Das Dichterhaus bei Oldenburg
„Zu Oldenburg giebt’s eine stille Stätte,
Manch’ Auge hat sie thränenschwer geschaut,
Dort liegt ein Sänger auf dem Krankenbette,
Schon ein Jahrzehnt mit seinem Schmerz vertraut.“
Ein natürliches Gefühl veranlaßt uns, das Andenken und die Verehrung für hervorragende Männer von der Person auch auf den Ort zu übertragen, wo dieselben geweilt und gewirkt haben, oder noch weilen und wirken. So lebt der Beschauer beim Betrachten der durch große Geister geweihten Stätten unwillkürlich ein reiches Dichter- oder Heldenleben mit durch, welches ihm aus der ganzen Umgebung, aus den kleinsten Gegenständen derselben lebendig entgegentritt und mit eigenthümlichem Zauber eine Fülle von erhebenden Gedanken und Empfindungen in ihm wach ruft. Es freut uns daher immer, wenn die „Gartenlaube“ uns ein Dichterhaus zeigt und unserer Phantasie Gelegenheit giebt, ein Dichterleben in seinen hellen Licht- und allzu oft auch dunklen Schattenseiten mit der Oertlichkeit in Verbindung zu bringen.
Wir führen den Leser heute an eine Stätte, an der Licht und Schatten im grellsten Contrast neben einander wohnen, die geweiht ist durch die reichste Fülle von Poesie vereint mit einem ebenso reichen Leiden und Dulden. Es ist das Dichterhaus am Haventhore bei Oldenburg, wo unser Julius Mosen nun schon seit zwanzig langen Jahren durch unsägliches Leiden an das Schmerzenslager gefesselt ist.
Der Name Julius Mosen, der mit dem schweren Geschick, das den Dichter in der Fülle seines poetischen Schaffens so unerbittlich gelähmt, längere Zeit vergessen schien, ist erst in letzter Zeit wieder zur vollen verdienten Würdigung gekommen, wozu die Gartenlaube und dann vor wenigen Jahren durch die eingehenden geistvollen Artikel von Johannes Scherr und Arnold Schloenbach über ihn und seine Schöpfungen jedenfalls die nächste Anregung gegeben. Später durch die Nationalsubscription auf die Gesammtausgabe seiner Werke hat das deutsche Volk ihn zu den Heiligthümern seines Herzens erhoben. In der Presse sowohl, wie im Volksmunde ist Julius Mosen so oft genannt, daß wir das Dichterhaus, welches ein warmer Verehrer und vortrefflicher Charakter-Darsteller aus der Mosen’schen Schule, der Hofschauspieler Dietrich, photographisch aufgenommen hat, nur mit wenigen Worten über des Dichters häusliches Sein und Leben begleiten werden.
Freundlich hinter hohen Akazien, Flieder und üppig wucherndem Roth- und Weißdorn versteckt, wo nur ein ungetrübtes Glück zu wohnen scheint, liegt hart an der lebhaften Straße von Oldenburg nach Ost-Friesland Mosen’s Haus. So gastlich und einladend dasselbe dem Wanderer erscheint, so herzlich wird dieser auch daselbst willkommen geheißen, wenn ihn seine Theilnahme und Verehrung für den kranken Dichter einsprechen lassen. Treten wir daher sogleich ein und lassen uns von Mosen’s treuem Diener Wilhelm unter vielen Complimenten und tiefen Verbeugungen, aus denen ein gewiegter Tanzkünstler mit weiser Oekonomie die doppelte Anzahl machen würde, in das Wohnzimmer führen, welches zu ebener Erde gerade unter dem Balcon liegt. In einer Sopha-Ecke, nach alter Gewohnheit vollständig und auf das sorgfältigste angekleidet, sitzt hier Julius Mosen. Unfähig sich zu bewegen oder sich laut zu äußern, kann er unseren Gruß nur durch ein Aufschlagen und einen freundlichen Blick seines glänzenden Auges erwidern. Seine aufopfernde Gattin Minna sitzt neben ihm und führt in der liebenswürdigsten Weise die Unterhaltung, indem sie seine wenigen leisen Aeußerungen der Umgebung verdolmetscht, so daß das Schreckliche des Leidens und die damit zusammenhängende Befangenheit des Besuchenden allmählich ganz schwinden.
Die wenigen Stunden, welche Mosen bei seinem jetzigen Zustande Vormittags und Abends in diesem Zimmer zubringt, sind gewöhnlich der Politik und Tagesliteratur gewidmet. Seine Frau pflegt ihm die neuesten Zeitungen und literarischen Journale vorzulesen und er ihr mit dem größten Interesse zu folgen. Wie lebhaft dies noch immer ist, davon gab die Erschütterung Zeugniß, mit der er die Kunde von Gutzkow’s entsetzlichem Unglück empfing. Er war es, auf dessen Anregung alsbald ein Verein verschiedener einflußreicher Oldenburger zur Bildung eines Gutzkowfonds zusammentrat. Nur zuweilen, aber bei sehr lebhafter Erregung, vermag er noch seine Empfindungen und Gedanken in Worte zu kleiden, welche dann in ihrer gedrängten lakonischen Kürze und präcisen Weise stets inhaltsschwer und schlagend „den Nagel auf den Kopf treffen“ und in guten Augenblicken gewöhnlich von dem köstlichsten Humor gewürzt sind. Als wir vor nicht langer Zeit sein Erstlingswerk [268] „Der Gang zum Lutherbrunnen“[1] lasen, eine Novelle, in der romantisches Lieben und Sterben eine große Rolle spielen, lachte er während der ganzen Vorlesung still vor sich hin. Von seiner Frau gefragt, was der Grund seiner Heiterkeit sei, antwortete er mit vernehmlicher Stimme: „Ich habe den Helden an einer Pfarrerstochter sterben lassen; das ist mir später nicht mehr passirt.“
Bei Gelegenheit der Subscription auf die Gesammtausgabe seiner Werke sandte Ferd. Freiligrath seine herrlichen Verse an Julius Mosen; ich las ihm dieselben vor, da traten Mosen vor innerer Bewegung die hellen Thränen in die Augen; er verlangte nach Wein und brachte den schönen Trinkspruch:
„Ferdinand – Für’s Vaterland!
Freiligrath – Hoch die That!“
Als ich Mosen am Weihnachtsabend 1863 den kostbaren Ehrenbecher überreichte, zu welcher Gabe auf Anregung des „Lahrer hinkenden Boten“ von allen Seiten des Vaterlandes Beiträge eingelaufen, saß er einige Zeit stumm da, innerlich heftig bewegt und Thränen der Freude und Rührung in den Augen. Mit schwacher, bebender Stimme verlangte er aus dem Ehrenbecher zu trinken, und nachdem er aus demselben einen vollen Zug gethan, klangen laut und vernehmlich aus seinem Munde die Verse:
„Es prangt vor mir in Märchenpracht
Der Becher vom deutschen Volk gebracht –
Füllt mir den Becher bis an den Rand,
‚Es lebe hoch das Vaterland!‘
Gott schirme die deutsche Jugend zugleich
Im heiligen Kampf für Recht und Reich;
Hell sei mein Dank wie der Weihnachtsstern,
Er grüße die Freunde nah und fern;
Gott schütze vor Allem die Rosenblüthe
Der deutschen Poesie in Eurem Gemüthe!“
Mosen, der in seinem leidenden Zustande selbst keine Zeitung lesen kann, hatte vorher keine Ahnung von dieser frohen Ueberraschung gehabt, die auch von seiner Umgebung vor ihm geheim gehalten worden war.
Im vorigen Jahre wurde in der Oldenburger Hafenstadt Brake eine stolze Brigg gebaut und vom Stapel gelassen, die als „Julius Mosen“ jetzt auf fernen Meeren schwimmt. In einigen herzlichen Versen baten die Unternehmer den verehrten Dichter um seinen Namen für ihre Brigg und luden ihn zur Tauffeierlichkeit ein. Sie sagten zum Schluß:
„Drum bitten wir um Deinen Dichternamen,
Die Meerfahrt hat auch ihr poetisch Ziel.
Gieb ihr die Weihe! Sprich ein freundlich ‚Amen‘!
Segne die Brigg, vom Top herab zum Kiel!
Mag sie sich dann auf Sturmeswogen wiegen,
Mit Gott wird sie in Deinem Zeichen siegen!
Und wenn die Dichterschiffe sich begegnen,
Der ‚Schiller‘, ‚Goethe‘, ‚Lessing‘, unser ‚Mosen‘
Auf hohem Meer, wird sie Apollo segnen
Bei heitrer Fahrt und wenn die Stürme tosen,
Sie werden grüßend ihre Flaggen zeigen
Und segnend wird Neptun den Dreizack neigen!“
Als Antwort sandte Mosen die folgenden Verse:
„Zum Schutz, zum Trutze sollst Du schalten
Ueber zwei Gewalten,
Du schöne Brigg, mein Pathenkind!
Helles Aug’ und kühne Hand
Führe Dich von Land zu Land –
Dies, mein Schiff, Dein Angebind.“
Einmal in der Woche, am Donnerstag Abend, versammelt der Kranke einen Kreis seiner treuen Freunde um sich. Es ist die „Donnerstags-Gesellschaft“ welche oft schon auch in der Presse rühmliche Erwähnung gefunden hat. Gewählte Lectüre oder geistvolle Gespräche bilden hier den Gegenstand der Unterhaltung, an welcher der Kranke leider nur noch selten und dann blos mit kurzen Worten theilnehmen kann. Daß er aber mit ganzer Seele dabei ist, beweist sein geistvoll blitzendes Auge, welches, ein treuer Spiegel seiner innersten Gedanken und Empfindungen, beredter spricht als viele Worte und seine ganze Umgebung beherrscht.
Doch nicht allein von Oldenburg, der zweiten Heimath des Dichters, sondern von allen Seiten des weiten Vaterlandes sucht sich die Liebe und Verehrung für den Leidenden einen Weg in seine stille Häuslichkeit und tritt tröstend zu ihm an sein trübes Schmerzenslager, um ihm „den vollen, den immergrünen deutschen Kranz“ auf seine Stirn zu drücken.
So überraschte ihn am letzten Christfeste Fritz Reuter in [269] seiner liebenswürdigen Weise durch die eben in zweiter Auflage erschienene Dichtung „Kein Hüsung,“ und als verspäteter Neujahrsgruß erfreute ihn vor kurzem ein prächtiges Photographie-Album von Deutschen in Nord-Amerika, welches über fünfzig Portraits der New-Yorker Sängerrunde und vieler Officiere mit eigenhändiger Dedication enthielt. Die Sängerrunde und das Officier-Corps in New-York waren es besonders, welche vor zwei Jahren durch ihre rege Thätigkeit bei der Subscription auf die Gesammtausgabe von Mosen’s Werken das Interesse für den Dichter in Amerika in großem Maße erweckten. Leider war es vielen der damaligen warmen Verehrer des Dichters nicht mehr vergönnt, auf diesen Gedenkblättern vor ihm zu erscheinen; die meisten von ihnen hatten den frühen, ehrenvollen Tod auf blutigem Schlachtfelde gefunden. Von den noch lebenden Betheiligten haben die bekannten Generale Louis Blenker, Osborne, Carl Schurz, Max Weber ihre Portraits mitgesandt.
Ein Zeichen der Verehrung und Theilnahme, die Mosen von ganz Deutschland gespendet wird, war auch jenes Ständchen, das ihm unlängst eine Tiroler Sängergesellschaft brachte, die ihm sein unsterbliches „Zu Mantua in Banden“ sang. Es war die Gesellschaft Holaus, die während ihres Hierseins den kranken Dichter besuchte und ihm auf seinem Schmerzenslager den „Andreas Hofer“ vortrug. Sie sang in Mosen’s Wohnzimmer und blieb nachher noch eine Zeit lang bei dem Dichter, der sehr bewegt und bis zu Thränen gerührt war von den gewaltig ergreifenden Tönen seines Liedes. Als die Tiroler Abschied von ihm nahmen, ließ er sich von Jedem die Hand drücken und sprach mit bewegter Stimme: „Gruß und Handschlag den wackeren Tiroler Landsleuten von Eurem Julius Mosen!“
Hier dürfte auch die liebevolle Theilnahme von Frau Emilie von Gleichen-Rußwurm, Schiller’s Tochter, für ihren kranken Freund nicht unerwähnt bleiben. Durch Zusendung von frischen Blumen oder anderen sinnreichen Geschenken sucht sie den Leidenden zu erfreuen und pflegt ihre Sendungen stets mit einigen herzlichen und tiefempfundenen Versen zu begleiten. Unter Anderem empfing Mosen zuletzt von ihr eine schöne Schillerbüste, über der ein Engel schwebt. Frau von Gleichen hatte das Kunstwerk für ihn von einem Künstler in Volkstädt anfertigen lassen und begleitete es mit nachstehenden Versen:
„Mit Engelsgruß aus Volkstädt’s Auen,
Wo Schiller’s reinstes Glück erblüht,
Sollst heute Du sein Bildniß schauen
Im Sonnenschimmer sanft erglüht.
Und auf des Engels lichten Schwingen
Sei Lindrung Deinem Leid gebracht;
O, glaube nur, Dein treues Ringen
Wird von der Engel Schaar bewacht.“
Abends gegen neun Uhr läßt sich Mosen wieder in sein Zimmer tragen, das nach hinten hinaus ebenfalls zu ebener Erde liegt.
Es ist auf unserem Bilde das mittlere Fenster, welches uns durch dichtes Gebüsch freundlich entgegenwinkt. Hier liegt der arme Dichter von den unerbittlichen Leiden gefesselt die langen Nächte meistens wachend auf seinem Lager. Nur ein leiser, flüchtiger Schlummer erquickt ihn zuweilen und schließt auf kurze Zeit seine Augen. Doch eine treue Freundin hat er in seinen langen einsamen Nächten, leider aber nur kurze Monate im Jahre. Es ist Frau Nachtigall, die ihm treulich Gesellschaft leistet bei seinem qualvollen Wachen und ihm im nahen Gebüsch tröstend ihre schönsten schmelzendsten Weisen singt. Schon seit Jahren ist sie ihm treu ergeben, so treu, daß sie auch bei Tage mit ihrem Freunde nach vorn wandert und in dem blühenden Rothdorn ihre Concerte fortsetzt, um den würdigen Genossen in ihren lieblichsten Tönen zu feiern.
Sollte Ferdinand Freiligrath das wohl geahnt haben, als er in seinen schönen Versen an Julius Mosen sang:
„Lang ist die Zeit! Im Waldesgrund die Ammer
Lockt unterdeß dreimal fünf Sommer lang;
Dreimal fünf Sommer schlug vor seiner Kammer
Die Nachtigall, mit der er Wette sang!
Wißt ihr es noch? Hell klang es in den Landen:
Die Leipz’ger Schlacht! Zu Mantua in Banden!
Die letzten Zehn!“ – – –
- ↑ Mosen hat diese Novelle als Student in Jena geschrieben. Dieselbe war lange Zeit gänzlich vergriffen und nirgends mehr aufzutreiben. Sogar der Dichter besaß kein Exemplar mehr, bis sie im vorigen Jahre in Jena wieder aufgefunden wurde. Sie ist nicht mit in die Gesammtausgabe von Mosen’s Werken aufgenommen.