Das deutsche Volkslied

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das deutsche Volkslied
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 819, 829, 830
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[819]

Die Macht der Thränen.
Originalzeichnung von Professor Thumann.

[829] Das deutsche Volkslied (mit Abbildung, Seite 819) hat schon seit mehr als einem Jahrzehnt in Georg Scherer, dem Dichter zarter und sinniger Lieder einen treuen Freund und Pfleger gefunden. Scherer begnügte sich nicht damit, nur aus bereits gedruckten Sammlungen ein neues Buch auszuwählen, sondern er schöpfte aus dem Urquell des Volksliedes, aus dem Volke selbst. Aus den verschiedenen Heimstätten deutschen Lebens trugen sein eigener Eifer und die Emsigkeit gleichstrebender Genossen einen frischen Schatz von Liedern zusammen, und erst mit diesem in der Hand schlug er die seit Herder bei uns angehäufte Literatur der Volkspoesie auf und brachte so, vergleichend, sichtend und säubernd, ein Musterbuch zu Stande.

Schöpfung, Verfall, Neuerwachen und neue Blüthe des Volksliedes hielt stets mit unseren nationalen Schicksalen gleichen Schritt. Die Mehrzahl der heute noch bevorzugten Volkslieder danken wir dem aufgeweckten, [830] muthigen und lebensfrischen Geiste des deutschen Volkes im Reformationszeitalter und dann dem Wiedererwachen des Nationalgeistes unter dem alten Fritz und in den Befreiungskriegen. Und wer waren und sind noch ihre Dichter? Darüber belehrt uns Heinrich Heine so schön. „Gewöhnlich,“ sagt er, „sind es wanderndes Volk, Vagabunden, Soldaten, fahrende Schüler oder Handwerksburschen, und Letztere ganz besonders. Gar oft, auf meinen Fußreisen, verkehrte ich mit diesen Leuten und bemerkte, wie sie zuweilen, angeregt von irgend einem ungewöhnlichen Ereignisse, ein Stück Volkslied improvisirten oder in die freie Luft hineinpfiffen. Das erlauschten nun die Vögelein, die auf den Baumzweigen saßen, und kam nachher ein anderer Bursch mit Ränzel und Wanderstab vorbeigeschlendert, dann pfiffen sie ihm jenes Stücklein in’s Ohr, und er sang die fehlenden Verse hinzu, und das Lied war fertig. Die Worte fallen solchen Burschen vom Himmel herab auf die Lippen, und er braucht sie nur auszusprechen, und sie sind dann noch poetischer als all’ die schönen poetischen Phrasen, die wir aus der Tiefe unseres Herzens hervorgrübeln.“ Diese Worte schrieb Heine nieder, als ihm zum ersten Male „Des Knaben Wunderhorn“, jene Sammlung von Achim von Arnim und Clemens Brentano, vor Augen kam. Auch dieses Werk ist neuerdings von H. Killinger u. Comp. in Wiesbaden in einer illustrirten Prachtausgabe dem Publicum zugeführt worden.

Volkslieder sind nur zum Singen da, und darum war man auch früh bemüht, die alten Volksweisen zusammenzutragen. Eine der bedeutendsten Sammlungen verdanken wir O. L. B. Wolff in seiner „Halle der Völker“. Auch Scherer’s erste Ausgabe des heute von uns besprochenen Werkes führt den Titel: „Die schönsten deutschen Volkslieder mit ihren eigenthümlichen Singweisen“. Die vorliegende neueste Ausgabe kündigt sich als „illustrirte Pracht-Ausgabe“ an, die, neben einer Bereicherung des Buchs um siebenunddreißig Lieder, ihr Hauptgewicht auf die Illustration legt. Die Originalzeichnungen dazu lieferten Jacob Grünenwald, Andreas Müller, Karl von Piloty, Arthur von Ramberg, L. Richter, M. von Schwind, A. Strähuber und P. Thumann. Von der kunstreichen und sinnigen Hand des Letzteren ist die Probe, welche wir unseren Lesern auf S. 819 zu dem nachstehenden Volksliede mittheilen.


 Die Macht der Thränen.

Es kam von einer Neustadt her
Eine Wittfrau sehr betrübet;
Es war gestorben ihr liebes Kind,
Das sie von Herzen geliebet.

Sie ging einmal in’s Feld hinaus,
Ihre Traurigkeit zu lindern;
Da kam das liebe Jesulein
Mit so viel weißen Kindern.

Mit weißen Kleidern angethan,
Mit Himmelsglanz verkläret,
Mit einer schönen Ehrenkron’
War’n diese Kinder gezieret.

Und als die Mutter ihr Kind erblickt,
Schnell thät sie zu ihm laufen:
„Was machst Du hier, mein liebes Kind,
Daß Du nicht bist bei’m Haufen?“

„Ach Mutter, liebste Mutter mein,
Der Freud’ muß ich entbehren;
Hier hab’ ich einen großen Krug,
Muß sammeln Eure Zähren.

Habt Ihr zu weinen aufgehört,
Vergessen Eure Schmerzen,
So find ich Ruh’ in dieser Erd’,
Das freute mich von Herzen.“