| XXVI.
2. Chron. 7, 12–14; 15–18; 19–22.
1.
In der ersten Lection heißt Israel (V. 14) das Volk, das nach Gottes Namen genannt ist. Daran möchte ich eine Bemerkung anschließen. Die Stelle heißt genau: das Volk, über dem Mein Name genannt ist. Das geschah aber bei dem priesterlichen Segnen. Die Priester warteten auf den Stufen des Altars, bis von dem dienstthuenden Priester im Heiligthum das Rauchwerk angezündet war, und dann sprach die ganze Schaar den Segen mit aufgehobenen Händen und mit den Worten: Jehovah segne dich etc. Damit wurde der Name Jehovahs auf das Volk gelegt. Der Segen wurde aber über das Volk nicht
so gesprochen, wie es in unsern Kirchen der Fall ist. Wir sprechen mit aller Absicht die Versammelten in der Mehrzahl an, der alttestamentliche Priester aber sprach: der HErr segne
dich. Jetzt eine Gemeinde in der Einzahl anreden ist Schwärmerei, ist keine Wahrheit, am wenigsten in einer Landeskirche, denn diese ist eine Mischung von Guten und Bösen, entstanden aus Vernachlässigung der Zucht. Es ist keine wahre innere Gemeinschaft vorhanden, die Glieder einer Gemeinde von heutzutage
| fühlen sich nicht als eine Einheit, sondern nur als Einzelne, sie können daher auch nicht als eine Einheit angeredet werden. Im Tempel zu Jerusalem war das anders, wenn dort die Priester segneten, so segneten sie das Volk als Volk, und dies Volk war zugleich auch die Kirche, eine Staatskirche, die Gottes war, ein Gottesstaat – eine Einrichtung, die im neuen Testament nicht nachgeahmt werden kann. Man kann aus dem was im alten Testament war nicht immer einfach auf die neutestamentliche Zwischenzeit schließen; manches Vorbild des alten Testaments geht erst in Erfüllung am Ende der Tage, ja in der Ewigkeit. Die alttestamentliche Theokratie vollendet sich nicht in dem priesterlich-königlichen Volk der Christenheit – das ist nur eine Zwischenstufe der Erfüllung – sondern in der Christokratie des Endes und in dem ewigen Gottesreich. Gegenwärtig ist jeder Schatten eines theokratischen Staates hingefallen; was in alten Zeiten die Bischöfe Germaniens nachzubilden versuchten, war eine Unmöglichkeit schon damals und ist jetzt zu einem vollen Widerspruch geworden. Das Volk Israel hatte einen einzigen Tempel und Ein Priesterthum mit dem Einen Hohenpriester an der Spitze: dessen Segen traf sie, sie mochten sein in der Welt wo sie wollten. Wenn wir von uns sagen wollten, wir seien ein Volk, über das der Name des HErrn genannt ist, so geht das an, wenn wir das Wort „Volk“ nicht pressen; aber im Grunde sind wir ja doch kein Volk, sondern Einzelne, Zerstreute. Wir werden aber auch einmal sichtbar Eine Heerde unter Einem Hirten werden.
2.
Die Rede des HErrn ist deutlich eine Antwort auf das Gebet, welches Salomo bei der Einweihung des Tempels gesprochen hat. Salomo empfieng die göttliche Antwort im
| Traum, jedenfalls in der Nacht, die auf die Tempelweihe folgte. Wie die Stände des Volks bei einem Landtag die Thronrede mit einer Adresse beantworten, die die Worte des Fürsten wiederholt, so schließt umgekehrt hier die göttliche Antwort sich ganz genau und mit Wiederholung derselbigen Worte an die Bitte Salomos an. Salomo betet: „So laß nun Deine Augen offen stehen über diesem Haus und Deine Ohren aufmerken auf das Gebet an dieser Stätte,“ und der HErr antwortet: „So sollen nun Meine Augen offen sein und Meine Ohren aufmerken auf das Gebet an dieser Stätte.“ Aber ER setzt noch hinzu: Meine Augen und
Mein Herz sollen da sein allewege. So geht also die Erhörung überschwänglich über die Bitte hinaus. Salomos Bitte ist, so zu sagen, eine bescheidene; er bittet um ein offnes Ohr und Auge Gottes für die Gebete seines Volks, und der HErr antwortet, daß ER die Bitten des Volks nicht blos bemerken und hören, sondern Sein Herz zu ihm neigen wolle. Alles was urbildlich in Gott dem menschlichen Herzen entspricht: Sein väterliches Gemüth, Seine Zustimmung, Seinen Willen und kräftige Bereitschaft zur Erhörung, sagt ER dem betenden Volke zu. Wenn Salomo auch noch so vollkommen gebetet hat, so ist er eben doch nur ein Mensch. Die Gränzen des menschlichen Geistes werden durch den Einfluß des göttlichen Geistes nicht aufgehoben; auch ein Apostel hört nicht auf Mensch zu sein, sondern gibt Gottes Wort nur wieder im Abglanz einer Menschenseele. Daher sind Gottes selbsteigene Worte größer als alle menschlichen, auch inspirirten Worte. Der HErr legt dem Sinn des Beters noch zu, Seine Antwort geht weiter als der Beter denkt. Der Apostel sagt: der Geist vertrete uns mit unausgesprochenen Seufzern, Gott aber kenne des Geistes Sinn. Der Geist legt auch was in unsern Gebeten uns unbewußt und unverstanden ist dem
| himmlischen Vater vor. Wir fassen das, um was wir beten, so zu sagen, nur am Saum, und der Geist gibt, daß daraus ein Gewand wird, groß genug um Leib und Seele darein einzuhüllen und den ganzen Menschen zu kleiden und zu schmücken.
3.
Das Volk Israel war, wie es in der 1. Lection hieß, das Volk, über dem Gottes Name genannt war. Aber auch dieses Volk kann, wenn es in irgend ein Unglück geräth, Hilfe und Erhörung nur finden, wenn es bußfertig Gottes Angesicht sucht und von seinem bösen Weg sich bekehrt. Also auch von dem gesegneten Volk, über das Gottes Name genannt wird, wird Buße als Bedingung aller Erhörung seiner Gebete gefordert. Wenn aber das Volk nicht Buße thut für seine Sünde, dann kommt keine Hilfe, und wenn es sich wegwendet nicht blos von den Geboten Gottes, sondern von Gott selber und Ihn nicht mehr unterscheidet von andern Göttern, dann wird Gott all Seine Wohlthaten wegnehmen, dann wird Israel ausgewurzelt werden aus dem Lande, das Gott ihm gegeben hat, und sonderlich wird der Zorn des Lebendigen ausgehen über das Haus, das Ihm geweiht ist. Der HErr hat nicht verlangt, daß man Ihm ein Haus baue. ER hat Jerusalem und den Tempel erwählt aus freier Gnade, um Davids willen, und dem in freier Liebe Sein Herz zugeneigt, der in menschlich freier Liebe Ihm dies Haus widmete. Wenn daher eine Zeit eintritt, wo man anderen Göttern neben Ihm anhangt, so wirft ER dies Haus weg und macht eine Ruine daraus, daß alle Völker, die vorüberziehen, sich wundern werden und daraus studieren können, was Gott denen thut, die von Ihm weichen.
Wie Israel sich nicht selbst zu Gottes Volk, so kann
| kein Mensch sich selbst von sich aus zu einem Gotteskind machen; wenn ein Mensch umgewandelt und geheiligt wird, so gebührt Gott allein die Ehre. Das Wunder der Bekehrung eines Menschen und seiner Versetzung aus dem Stand eines Kindes des Zorns in den Stand der Gotteskinder ist allein ein Werk der freien Gnade. Wenn nun aber ein getauftes Kind Gottes im Vertrauen darauf, daß der Mensch allein aus Gnaden selig wird, leichtsinnig werden und bei Betrachtung seiner Mängel auf das Ruhekissen zurücksinken wollte, statt aus der Rechtfertigung die Kraft zur Heiligung, aus der Ruhe in JEsu Wunden Lust und Trieb zum Streben, zum heiligen Vorwärts zu schöpfen – dann wird Unsegen und Verlust der empfangenen Gnadengüter folgen. Ein Gotteskind weiß, daß es alle Tage fehlt und darum wickelt es sich alle Tage beim Aufstehen und Niederlegen in die Gnade der Rechtfertigung ein, aber es weiß auch, daß der rechtfertigende Glaube eine Kraft der Erneuerung ist, die den ganzen Menschen durchdringt und ihn befähigt, das Gute zu thun und das Böse zu lassen. Wer das nicht begreift, der wird schlechter werden von Tag zu Tag. Es trachte doch ein jedes gerechtfertigte Gotteskind, aus Dank und Freude über die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu, mit allem Ernst nach dem vorgesteckten Ziel der Heiligung. Der HErr gebe Seinen Kindern, daß sie ihren Beruf und Erwählung fest machen und das himmlische Canaan ererben.