Der Julius-Thurm in Spandau

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Autor: Rudolf Elcho
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Titel: Der Julius-Thurm in Spandau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 773–774
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch: Verordnung, betreffend die Verwaltung des Reichskriegsschatzes
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Der Julius-Thurm in Spandau.

„In Bereitschaft sein, ist Alles.“

Dieses Wort Hamlet’s machte der Reichskanzler im Jahre 1874 zu seinem Motto. Er forderte aus den Milliarden der französischen Kriegscontribution damals 120 Millionen Mark, um im Falle der Noth in kürzester Frist die Kriegsbereitschaft herstellen zu können. Im Grunde bedeutete diese Forderung nur eine Erweiterung des preußischen Kriegsschatzes von 90 Millionen auf 120 Millionen für das deutsche Reich. Nach der Bewilligung des Reichstags gingen am 3. Juli 1874 60 Millionen Mark aus der deutschen Reichsbank nach Spandau ab, und zwei Tage später folgten weitere 60 Millionen. Dieser Reichskriegsschatz, bestehend aus geprägtem Gold und schweren Goldbarren, wurde in eisernen Kisten in die Tiefe des Julius-Thurms zu Spandau versenkt.

Als ich zum ersten Male vor den hohen Bastionen der Citadelle stand, welche den Julius-Thurm mit seinem „Spreegold“ umgiebt, fiel mir unwillkürlich Moritz Hartmann’s launiges Märchen von dem Prinzen ein, der viele Jahre lang eine Festung berannte, um einen köstlichen Kuchen zu erobern. Der thörichte Prinz erstürmte nach schrecklichen Opfern und Mühen die Citadelle, allein der heißersehnte Kuchen war indessen – altbacken geworden. Einer gleichen Gefahr ist zwar der vielbegehrte Schatz im Julius-Thurm nicht unterworfen; denn Gold, in welcher Form und unter welchen Verhältnissen es immer erscheinen mag, behält seinen Werth, aber gleichwohl schrumpft der Schatz ein, wie Alles, was man abseits trägt vom Strom des Lebens: seit sechs Jahren liegen die 120 Millionen im Julius-Thurm, und ein einfaches Rechenexempel lehrt, daß dieselben seither – ohne Zins auf Zins zu legen – bereits 30 Millionen als Zinserträge gebracht hätten.

Ach, wir Armen! Was hätte sich mit dreißig Millionen Alles schaffen lassen! So lange indessen die Culturvölker die stehenden Heere fort und fort wachsen lassen, so lange in Ost und West die Kriegsfurie lauert, mögen Bismarck und Moltke Recht behalten mit dem Ausspruche: In Bereitschaft sein, ist Alles.

[774] Die Umgebung Spandaus, einer der ältesten Städte der Mittelmark, in welcher fort und fort die Waffen des Mars geschmiedet werden, hat einen völlig friedlichen Charakter. Ueber dem trägen Wasser der Spree gleiten mit leichtgeschwelltem Segel schmalgebaute Lastschiffe; hohe Pappeln ziehen sich an den Ufern hin; bunte Viehherden weiden auf flachen, von Riedgras umsäumten Wiesen, und auf den Wasserflächen im Innern der Festungsmauern rudern Hunderte von Schwänen auf und nieder.

Sogar die Festungswerke machen mit ihren rothen Mauern und spitzen Backsteinthürmchen einen niedlichen, aber keineswegs kriegerischen Eindruck. Man findet es darum begreiflich, daß die Festung im Jahre 1631 den Schweden nur einen geringen, im Jahre 1806 dagegen den Franzosen gar keinen Widerstand leistete.

Sein eigenartiges Gepräge empfängt Spandau durch die hohen Schlote der Artilleriewerkstätten, die vielen Casernen und den stolzen, mit einer Kuppel versehenen Thurm der Nikolaikirche. Die schlanken hellgelben Schornsteine der Artilleriewerkstätten ragen gleich türkischen Minarets über die niedrigen Dächer der Stadt, und hier und dort zügeln des Nachts feuerige Lohen aus denselben hervor und werfen einen magischen Schein auf die ungeheuren Werkhäuser, in welchen weit über 3000 Arbeiter beschäftigt sind.

Im Osten der Stadt ragt über den Riesenpappeln der Berliner Chaussee die zackige Mauerkrone des Julius-Thurms empor. Dort liegt auf gleichem Niveau mit der Stadt der stolze Festungsbau, die Citadelle, deren aus rothen Ziegelsteinen geformte Bastionen von einem Spree-Arm umschlossen werden. Aus diesem seeartigen Wassergraben ist ein Dickicht von Weiden und wehendem Röhricht hervorgesproßt, das sich an die kühn aufsteigenden Festungsmauern anschmiegt und in dem während des Sommers stolze Schwäne herumbotanisiren. Eine Zugbrücke führt zu dem geheimnisvollen Festungswerk hinüber, dessen hohes Thor mit einem von schwarzen Adlern getragenen Wappen geschmückt ist; die Bastion links von der Brücke trägt in Riesenlettern den Namen „König“ auf der Stirn. Hat man die halbdunkle Einfahrt passirt, so überrascht den Beschauer ein freundlicher Anblick.

Die Innenbauten, welche den weiten Exercirplatz umfassen, gleichen mehr friedlichen Landhäusern aus der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, als Festungsbauten. Uralte Kastanien umringen die schimmernden weißen Façaden und rothen Ziegeldächer der Casernen, welche sich an die Festungswälle anlehnen, und an der Westseite der Citadelle erhebt sich auf einer hügelförmigen Aufschüttung der mächtige runde und gleichfalls aus rothen Backsteinen aufgemauerte Julius-Thurm, welcher den Reichskriegsschatz umschließt. Das Festungswerk hat seine eigene, nicht uninteressante Geschichte.

An der Stelle, welche heute die Citadelle einnimmt, stand schon vor tausend Jahren eine Burg. Als Kaiser Heinrich der Erste in die Havelländer einzog und Brandenburg eroberte, errichtete er diese Burg zum Schutz gegen die Wenden. Er setzte Vögte über dieselbe, und sie hatte zuerst, wie man annehmen darf, ihre eigene Gerichtsbarkeit, allein schon Ludwig der Römer mußte „Haus und Vorburg“ dem Rathe der Stadt Spandau verpfänden. Im Jahre 1356 verlieh der Markgraf Ludwig seinem „getreuen Knecht“, dem Juden Fritzel, die Würde eines Schloß- und Thurmamtmanns zu Spandau, mitsammt allen Einkünften und Rechten. Der Umstand, daß der Markgraf seinem jüdischen Kammerknecht eine so gebietende und einträgliche Stellung zuwies, läßt uns vermuthen, daß der edle Markgraf bis an den Hals in Schulden saß und daß er einfach dem jüdischen Geldmann die Burg zu Spandau verpfändete.

Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts nahmen die Kurfürsten des Hohenzoller’schen Hauses Spandau mit Vorliebe zu ihrer Residenz und Joachim der Zweite trat hier zur Reformation über. Sein Vorgänger, Joachim der Erste, hatte Schloß und Amt Spandau seiner Gemahlin als Leibgeding angewiesen, und als diese Fürstin starb, faßte er den Entschluß, an Stelle der alten Burg eine dem Stand der damaligen Befestigungskunst entsprechende Citadelle zu erbauen. Er selber kam freilich nicht dazu, diesen Plan zu verwirklichen. Lange nach seinem Tode, im Jahre 1560, legte Christoph Römer mit zweihundert geschickten Italienern den Grundstein zu derselben.

Bis zum Auftreten Vauban’s, des berühmten französischen Kriegsbaumeisters und Heerführers, hatten die Italiener den Ruf, die geschicktesten Festungsbauer zu sein. Als daher der Bau der Citadelle nur langsam vorwärts schritt, berief der Landesherr im Jahre 1568 einen italienischen Baumeister, Namens Franz von Guardino, an die Spitze des Unternehmens. Ein altes dunkles Oelbild mit vielen Rissen und Schrammen befindet sich heute noch auf der Citadelle und zwar im Anbau des Julius-Thurmes, welches das Bildniß Guardino’s wiedergibt. Der Italiener war ein schöner, überaus stattlicher Mann mit geistvollen Augen, vollem Bart und feingeformtem Mund, dessen Verdienste sein Fürst durch eine schwere goldene Ehrenkette belohnt hatte.

Nachdem 1578 Graf Rochow zu Lynar die Leitung des Festungsbaues übernommen und dann rasch beendet hatte, wurde die Citadelle 1580 mit Truppen besetzt; die vollkommene Fertigstellung des Baues zog sich jedoch bis zum Jahre 1602 hin, und verschlang in jener Zeit Jahr für Jahr etwa 94,000 Thaler Baugelder, was im Hinblick auf die Zeitverhältnisse als ein enormer Kostenaufwand bezeichnet werden muß. Bedenkt man nun, daß zweiundvierzig Jahre an der Citadelle gebaut und kolossale Geldsummen daran verschwendet wurden, so muß man sich sagen: Der Kriegsschatz ruht in einer goldenen Gruft; denn strategisch hat dieser Bau heute noch weniger Bedeutung als zur Zeit der französischen Invasion nach der Schlacht bei Jena.

An der Stelle des Julius-Thurmes stand vordem ein Holzthurm, und als man die Citadelle baute, wurde dieser abgerissen und durch den festeren Backsteinthurm ersetzt. Woher die Bezeichnung Julius-Thurm stammt, ist den Spandauer Chronisten unbekannt. Ursprünglich war er zur Aufnahme von Gefangenen bestimmt, und heute noch hört man in Spandau die Redensarten: „Ihm winkt der Julius“, „Du sollst mir Juliussen kennen lernen“, oder „Er hat zwei Jahre Julius abgebrummt“. Im Laufe der Zeiten war der Thurm an der Spitze stark verwittert; die Militärverwaltung ließ daher zum Schutze der Millionen eine neue Bedachung und eine stolze Krone darauf setzen, deren rothe Zacken im Sonnenschein wie Purpur leuchten. Ein großes Gebäude, das Laboratorium der Citadelle, lehnt sich an den Fuß des mächtigen Thurmes an, und ein kleiner auf der Höhe der Citadelle gelegener Anbau verbirgt den Eingang zur Schatzkammer. In diesem Annex wohnt der Schlüsselbewahrer, und eine besondere Schildwache hütet den Thurm von außen. Kein „Sesam, thu’ Dich auf!“ und keine Aladinslampe vermögen dem Sterblichen diese Schatzkammer zu erschließen; denn das Kriegsministerium hat seinen Schatz wohl verwahrt, und nur Bellona kann ihn entführen.

In seinen düsteren Straßen weist Spandau auch ein Zuchthaus auf. Hier war es, wo man den Dichter Gottfried Kinkel einst in den Sträflingskittel steckte und Wolle spinnen ließ, bis kühne Freundesthat ihn befreite (vergl. „Gartenlaube“ 1863, S. 104). Ruft man sich nun die Thatsachen in’s Gedächtniß, daß die Havelstadt zwölf Casernen und riesige Werkstätten für Militärzwecke, sowie die hundertzwanzig Millionen für die erste Mobilmachung mit ihren Mauern umschließt, so muß man sich sagen, daß Spandau durchaus nicht so harmlos ist, wie es aussieht. Hier legt Germania in Zukunft ihre Rüstung an, und vom Julius-Thurme aus werden sich, wenn es sein muß, ihre Kriegsadler in die Luft schwingen.

Rudolf Elcho.