Der Kirchhof Père La Chaise in Paris

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Autor: Max Ring
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Titel: Der Kirchhof Père La Chaise in Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 232–236
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Kirchhof Père La Chaise in Paris.

Ich hatte ihn satt bekommen, diesen Carneval von Paris mit seinem großen Cancan und dem Opernball, der meinen gehegten Erwartungen so wenig entsprach, mit der Courtille, die nun als eine Schaustellung der gewöhnlichsten Liederlichkeit ohne alle Grazie mir erschien, kurz, ich befand mich in der rechten Aschermittwochsstimmung, als ich meine Wanderung nach der Stadt der Todten, nach dem berühmten Kirchhofe Père La Chaise antrat. Links vom Bastillenplatz abbiegend, gelangt man in eine Straße, welche einem riesigen Magazine des Todes gleicht. Zu beiden Seiten reihen sich Läden an Läden, worin man alle Emblemen des Grabes, Kreuze, Gitter, Urnen, Grabsteine und Kränze, zu allen Preisen und von den verschiedensten Formen findet. Hier wird mit dem Tode selbst

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Das Grab Abälard’s und Heloisen’s.

noch Luxus getrieben und die schauerliche Waare mit einer gewissen Koketterie ausgestellt und angeboten, um die Kauflust der Vorübergehenden zu reizen; man speculirt auf die Thräne und den Schmerz der Hinterbliebenen. Der Franzose treibt mit Allem Handel, er verkauft das Vergnügen wie das höchste Leid. Selbst an Aushängeschildern fehlt es nicht, um zu verführen. Hier erblickt man einen Laden mit der Überschrift „Lafontaine’s Grab,“ dort ein Geschäft unter der Firma „das Grab Heloisens und Abälard.“ Man weiß wirklich nicht, ob man darüber lachen oder zürnen soll. Unterwegs begegnet man fortwährend einer Reihe von Leichenkutschen und Trauerwagen. Der [234] Tod hält täglich in Paris eine fürchterliche Ernte und die Lebenden sind fortwährend beschäftigt, ihre Leichen zu begraben. Man trifft viele verweinte Augen an, wahre Leidtragende, denen der Schmerz von den blassen Wangen abzulesen ist, aber auch lachende Erben, welche sich die Mühe geben, wenigstens traurig zu scheinen, und hinter dem vorgehaltenen Schnupftuch die nicht fließenden Thränen zu verbergen suchen. Junge Mädchen mit Kränzen und selbst der Gruft entgegenwankende Matronen ziehen an uns vorüber, arme Mütter und Väter, welche ihr Liebstes hier begraben haben, und auch Kinder, die zu dem Grabstein ihrer Eltern pilgern. Alle Stände sind hier vertreten, der Arbeiter in der Blouse, der Banquier in der eleganten Equipage; selbst die Dame im Erinolin-Rock stattet den Todten einen Besuch ab und legt ihre Visitenkarte auf ein Grab.

Der Eindruck, den diese riesige Gräberstadt verursacht, ist überwältigend, und erinnert mich an die Worte eines jüngeren Dichters, der denselben in folgenden Versen wiederzugeben verstanden hat:

Drüben braust Paris, die Brandung, deren Toben nimmer ruht,
Dessen Gassen reiche Adern angefüllt mit frischem Blut,
Dessen Plätze Riesenherzen, die mit ewig gleichem Schlag
Ungestüm und donnernd pochen, ohne Aufhör, Nacht und Tag.

Hier der Kirchhof Père La Chaise, ruhig wie das todte Meer,
Dessen Gassen bleiche Adern, leblos und vom Blute leer,
Dessen Plätze Riesenherzen, von des Todes Hand erstarrt,
Gräber, die gespenstisch schweigen, Marmorfelsen, kalt und hart.

Immer größer wird des Todes ausgebreitet mächt’ges Reich,
Eine Stadt will er sich gründen, jener ries’gen Weltstadt gleich;
Lockt wie Romulus zur Freistatt jedes Herz, das unmuthsvoll,
Jeden Geist, der kühn die Schranken seines Kerkers überschwoll.

Friede, Ruhe ist die Losung. Jeder hat sein stilles Haus,
Jedes Grab hat seine Blumen, voll des süßen Schmerzenthau’s,
Ist`s kein freundlich Menschenauge, das den grünen Rasen tränkt,
Gibt der Himmel seine Thränen, die er seinen Kindern schenkt.

Freiheit, Gleichheit, die Parole. Steht ein Marmormal auch stolz,
Kleidet, wie ein Bettlerkittel, manches edle Herz nur Holz;
Stein und Stein sinkt aus den Fugen und das Mausoleum wankt,
Während aus dem schwarzen Hügel frisch des Frühlings Inschrift prangt.

Dieser poetische Eindruck des Ganzen wird freilich durch so manche prosaische Begegnung gestört. Die ungeheuere Ausdehnung des Kirchhofs macht eine förmliche Polizeiverwaltung nöthig. Die Todtengräber und Aufseher sind in Sectionen getheilt, dazu kommen die privilegirten und nicht privilegirten Führer, welche sich jedem Fremden aufdrängen, und die man kaum entbehren kann, wenn man sich nicht in dem Gewirr der Alleen und Todtenstraßen verirren will. Fortwährend wird hier an den prachtvollen Erbbegräbnissen gebaut, und durch das Geschrei und die Geschäftigkeit der Arbeiter die Stille und Heiligkeit des Ortes gestört. Wie früher die reichsten und vornehmsten Familien in Paris ein glänzendes Hotel besitzen mußten, so jetzt ein hervorstechendes Erbbegräbniß. Man verwendet große Summen auf den Bau und führt förmliche Paläste auf. Die meisten dieser modernen Monumente sind oft großartig und praktisch, selten jedoch poetisch. Für die Angehörigen, welche an den Gräbern ihrer geliebten Todten beten oder trauern wollen, wird besonders dafür gesorgt, daß sie dies bei guter wie bei schlechter Witterung thun können. Unter einer gothischen oder maurischen Kapelle befindet sich eine vollkommen comfortable Einrichtung, welche gewöhnlich in einem schwarzsammetnen Betschemel, zwei Leuchtern mit Kerzen, Heiligenbildern, Cruzifix und selbst in einigen Stühlen besteht. Hier erscheint dann zuweilen eine Dame in rauschender Crinoline mit einem Blumenstrauß für zwanzig Franken, gefolgt von einem Diener in Livree, welcher, das Gebetbuch in der einen, die Gießkanne in der andern Hand, seiner Gebieterin trauern hilft.

Ich kam gerade hinzu, als ein Sarg in eine soeben beschriebene Familiengruft gesenkt wurde. Ich war erstaunt über die außerordentliche Tiefe. Sechs Särge hatten darin über einander Raum; der eben hinuntergelassene war der erste. Als er auf dem Boden ruhete, wurden dünne Steinplatten hinabgelassen und von dem Manne in der Tiefe in Empfang genommen; er legte sie auf einen hervorspringenden Sims, bis der Sarg vollständig bedeckt war. Auf diese Platten kommt nun der nächstfolgende Sarg und so fort, bis die Gruft voll ist.

Wie in der Rue Rivoli, so feiert auch hier auf dem Kirchhof die Verschwendung ihre Orgien. Es ist einmal für den Pariser eine Modesache geworden, auf dem Père La Chaise eine Familiengruft oder ein Erbbegräbniß zu besitzen; die Mode kostet viel Geld und man sucht daher in manchen Fällen auf ziemlich ordinäre Weise den Luxus mit einer schäbigen Sparsamkeit zu verbinden. So erinnere ich mich, eine große Säule gesehen zu haben, welche in förmliche Felder abgetheilt war, und zwar so viel Felder, als die Familie Mitglieder enthalten mochte. Zwei der Angehörigen waren vielleicht außer Landes gestorben oder sonst verkommen, und statt ihrer Namen stand mit fetter Schrift die Anzeige: „Hier sind zwei Grabstellen zu vermiethen!“ Solche Züge charakterisiren am besten die heutigen Franzosen.

Auch die sprichwörtlich gewordene Eitelkeit der Nation zeigt sich in den prachtvollen Denkmälern und prunkenden Inschriften. Man glaubt, daß unter diesem großartigen Mausoleum auch die Ueberreste eines großen Mannes, eines berühmten Generals, eines gefeierten Gelehrten liegen müssen, und erfährt zu seiner Enttäuschung, daß nur ein reich gewordener Tapezier oder Gewürzkrämer sich diesen Obelisk von cararischem Marmor errichten ließ. Meist sind die Gräber der wahrhaft großen Männer um so einfacher, und welche Größen wurden hier begraben!

Der Père La Chaise umschließt das Genie, das Wissen, die Schönheit, Anmuth und den Ruhm von Frankreich. Seine Straßen und Fußpfade führen ihren Namen von den dort ruhenden berühmten Todten; wir sehen einen Sentier de Couvier, de Cherubini, de Molière, de Laplace, de Cambacérès, de Ney, de Foy, eine Allee de Casimir Perier u. s. w. Die Kunst hat ihre besonderen Viertel, so wie die Tapferkeit und Beredsamkeit. Dicht an einander befinden sich die Gräber der Dichter Delille, Bernardin de Saint Pierre, Joseph Chenier, Laharpe, Parry u. s. w.; die Componisten Gretry, Mehul, Cherubini, Boieldieu und Chopin, dessen Grab noch immer mit frischen Kränzen von seinen zahllosen Verehrern und Verehrerinnen geschmückt wird, schließen sich ihnen an, während Talma und die Mars das Theater in würdigster Weise repräsentiren. Auf dem Père La Chaise sind die Ueberreste eines Racine, Molière, des geistreichen Beaumarchais, des liebenswürdigen Fabeldichters Lafontaine beigesetzt. Unter jenem bescheidenen Steine ruht der berühmte Schriftsteller und Redner Benjamin Constant; dort das prachtvollste Mausoleum bedeckt die Asche Casimir Perier’s, welcher der Minister Louis Philipps war und die Revolution zu schließen, die neue Dynastie für immer zu befestigen glaubte; in jenem festen Steingemäuer, von eisernen Thoren verschlossen, liegt Sieyès, der die erste, die Welt erschütternde Revolution des französischen Volkes mit heraufbeschworen. Rechts am Fuße der großen aufsteigenden Anfahrt entdeckt man das Grabdenkmal von schwarzem Marmor des Marschalls Kellermann und seiner Gattin; er lehrte die jungen, des Krieges ungewohnten Soldaten der Republik bei Valmy siegen. Steigt man höher hinauf, so findet man die Generäle des Kaiserreichs, die Schlachtgefährten Napoleons, Lefebure, Massena, Davoust, Herzog von Eckmühl, Macdonald und weiterhin die Stätte, wo einst ein Stein mit der Inschrift stand: „Hier ruht der Marschall Ney, Herzog von Elchingen, Fürst von der Moskwa. Gestorben (?) den 7. December 1815.“ Auf diesem Platz liegt die Geschichte des ersten Kaiserreichs begraben.

Wir bleiben vor einem Denkmal in Form einer Kapelle stehen; Cambacérès’ Asche wird hier aufbewahrt, dessen Name so lange lebt, als der bestehen wird. – Ueber dem Grabe des berühmten Schädellehrers Gall steht seine Büste, ein greises Haupt mit tief gefurchter Stirn und geistreichen Zügen. Schön und stattlich ist das Erbbegräbniß Ledru Rollin’s, das freilich nicht an die Einfachheit des verbannten Demokraten erinnert. Am prächtigsten dürfte wohl das Mausoleum der Gräfin Demidoff, das sinnigste das der Frau des bekannten Republikaners Raspail sein; eine gänzlich verhüllte weibliche Gestalt, die nur den Arm unverhüllt trägt, den sie nach dem Gitter ihres im Gefängniß schmachtenden Gatten sehnsuchtsvoll ausstreckt. Casimir Delavigne liegt daneben; unter einem Sirenenbäumchen, nicht weit davon das liebenswürdige Dichterpaar Charles Nodier und Emil de Souvestre, dessen Andenken nicht nur die Literaturgeschichte, sondern die Armen und Hülfsbedürftigen von Paris beweinen. Honoré de Balzac, der feine Kenner des menschlichen und besonders des weiblichen Herzens, schläft unter einem einfachen Leichenstein, von rankender Clematitis umzogen.

An der sogenannten Chapelle, wo die eigentliche Todtenfeier abgehalten wird, dem Haupteingange gegenüber, bietet sich von der [235] Höhe eine überraschende Aussicht dar; zu unsern Füßen ruht Paris, dessen Häusermeer am Horizont im Nebel verschwimmt. Den Vordergrund bilden die himmelhohen Schornsteine des modernen Fabrik- und gewerblichen Treibens, aber wie geistige Riesen ragen die Thürme des Notre-Dame, das Pantheon, die Julisäule und die Spitze von St. Jaques und die Vendomesäule hervor, während sich zur Rechten der Montmartre mit seinen Häusermassen emporhebt. Aber was hat dieses wechselnde Farbengemisch von Weiß und Schwarz in unserer Nähe zu bedeuten? – Es sind die niederen Kreuze der Armen, die hier zu Tausenden eingescharrt liegen. Zwischen den schmalen Hängen wandelt die blaue Blouse des Arbeiters und das weiße Häubchen der Frau aus dem Volke; sie bringen auch einen Kranz, freilich kostet er nur wenige Sous und die Inschrift auf den Gräbern besteht oft nur in einem Blatt Papier mit dem Namen des Verstorbenen auf Holz geheftet. Zuweilen geht aber aus diesen unteren Volksclassen ein Mann hervor, der sich durch seinen rastlosen Fleiß und durch unermüdliche Thätigkeit emporschwingt. Ein solcher Arbeiter, der nach Paris kam und sein Glück gefunden hat, ist auf einem Denkmal dargestellt. Er steht in natürlicher Größe, bekleidet mit dem gewöhnlichen Rock des Arbeiters, die Aermel zurückgestreift, in der Hand sein Werkzeug. Auf der andern Seite erblicken wir denselben Mann in eleganter Kleidung, ein Buch in der Hand, umgeben von den Emblemen des Wohlstandes. Der Todte ist der reiche Porzellanhändler Marc Schölcher, der sich aus niederem Stande zum Reichthum und zu einer gewissen Berühmtheit emporgeschwungen hat. Solche Monumente sind gewiß für den armen Arbeiter ein Trost und eine Aufmunterung; sie sollten nur öfters in ähnlicher Weise ausgeführt werden. – Mit zahllosen Inschriften sind diese Leichensteine und Denkmäler bedeckt, zuweilen pomphaft und eitel, oft aber rührend und tief ergreifend. Unter Rosen, Thuyas und andern Gesträuchen ruht ein junges Mädchen, auf dem Leichensteine stehn die Worte: „Armes Kind! Sie war erst fünfzehn Jahre.“

Eine Mutter, klagt um ihr Kind:

           O warte doch!
Geneigt zur Mutter mit Lächeln,
Das Liebe nur verleiht, sprachst Du dies Wort;
Das einz’ge war es, das Du sprechen konntest.
Die Mutter lächelt Dir jetzt zu und spricht nur immerfort:
           O warte doch!

Und dort die kleine Alexandrine Tuillet, wie zart und doch herzzerreißend ist Deine erste Lüge in Deinem vierten Jahre. Wie schmerzlich die Klage der Eltern um Dich:

„Dem Tode nahe, sagte sie: uns: Weine nicht, Papa, weine nicht, Mama; ich fühle mich besser. – Und sie starb’!“

Zwei Steine liegen neben einander, auf dem einen liest man: „Ich erwarte meine Mutter,“ auf dem andern: „Ich bin bei meinem Kinde.“ Dort die Pyramide trägt die einfache, ergreifende Inschrift: „Zweiundzwanzig Jahre und Du stirbst! O Melanie!“ Auf dem Grabe der sechzehnjährigen Dichterin Elisa Mercoeur findet man unter andern Versen von ihr selbst gedichtet die schönen Zeilen:

„Vergessenheit ist Tod, der Ruhm das andre Leben,
Schmerzlose Ewigkeit wird dem Genie gegeben.“

Georgine Mars starb mit neunzehn Jahren, ihr widmet die berühmte Mutter den traurigen Nachruf:

„Hier ruhet Tugend, Anmuth und Talent!
O Ihr, die Ihr das holde Wesen kennt
Und Blumen ihm und Thränen wollt gewähren,
Versparet für die Mutter Eure Zähren.“

Eine Tochter schreibt die rührenden Worte: „Hier ruht meine beste Freundin: es war meine Mutter.“ Und ein Sohn: „Wanderer! schenke meiner Mutter eine Thräne, indem Du glaubst, es sei die Deine.“ Auf dem bescheidenen hölzernen Kreuze der allgemeinen Begräbnisse steht die schönste Lebensgeschichte eines Weibes: „Sie lebte, liebte, starb gleich gut.“ Ein merkwürdiges Grab ist noch das der Frau von Lamarle milder Inschrift: „Wer sie kannte, beweint sie.“ Sie war die natürliche Tochter des Königs von Preußen, die Schwester Friedrich Wilhelm III. Beim Einzuge der Verbündeten in Paris lebte noch ihr Gatte, der eine ansehnliche Unterstützung von seinem großmüthigen, fürstlichen Anverwandten erhielt. –

Unter den zahllosen Denkmälern, Grabsteinen und Monumenten waren es zwei besonders, welche meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, das Grab Abälard’s und Heloisen’s und die letzte Ruhestätte Ludwig Börne’s. Jahrhunderte liegen zwischen dem berühmten Liebespaar und dem deutschen Freiheitshelden; hier ruht das romantische Mittelalter mit seiner Scholastik und tiefen Leidenschaft, dort die Neuzeit mit ihren Kämpfen und Hoffnungen, mit ihrer Begeisterung und ihrem Zorn. – Sinniger können Abälard und seine Geliebte nicht gebettet sein; unter einer gothischen Kapelle ruhen Beide, zwischen Lorbeerbäumen und Cypressen, unter der sanften Last unzähliger Immortellenkränze, welche mitfühlende und mitleidende Herzen auf ihre Grabstätten legten. Die beiden Gestalten scheinen mit gefalteten Händen neben einander zu schlummern, der Hund zu ihren Füßen als Sinnbild der Treue blickt zu ihnen empor. Der steinerne Sarg, auf dem die Helden dieser großen Liebestragödie ruhen, ist muthmaßlich von hohem Alter, wenigstens deuten die plumpen Mönchsgestalten, die als Basreliefs unter gothischen Spitzbögen zu beiden Seiten stehn, darauf hin. Immortellenkränze bedeckten fast gänzlich die beiden Körper; sie waren sehr geschickt gebunden, so daß die einzelnen Blumen eine Inschrift bildeten. Auf dem einen von ihnen las ich à ma soeur; auf einem andern stand à ma cousine. Fast alle Gräber des Père La Chaise sind reichlich mit solchen Kränzen geschmückt, die gewöhnlich unter einem Glasdache hängen, das auf einem gußeisernen Gestelle ruht. Keins jedoch war so reich bedacht, als das Grab der Liebenden; ein Beweis, daß noch nicht jeder Sinn für Poesie und Romantik in dem sonst so frivolen Paris erloschen ist. Als ich den Leichenstein sah, sang ein Vogel in den nahestehenden Cypressen. Es war ein kurzes, leises Pfeifen, ein erster Frühlingsgruß nach überstandener Winterzeit. Ich konnte mich nicht enthalten, von einem der Kränze, welcher in der Nähe des rings herumgehenden, eisernen Gitters lag, einige Blätter und Immortellen zum Andenken zu pflücken. Abälard’s und Heloisen’s Geschick ist schon von manchem Dichter besungen worden und verdient im höchsten Grade unsere Theilnahme und das Mitgefühl jedes liebenden Herzens. Aus Liebe zur Wissenschaft hatte er, aus einer edlen und begüterten Familie stammend, auf das Recht der Erstgeburt verzichtet. Ganz besonders beschäftigte er sich mit der scholastischen Philosophie, dem Hegelianismus des Mittelalters. Der junge Denker wurde wegen seiner Kühnheit und Freisinnigkeit überall bewundert und verfolgt. Später kehrte er nach Paris zurück und söhnte sich mit seinen Feinden aus. Um den berühmten Lehrer sammelte sich ein Schülerkreis, zu denen der nachmalige Papst CölestinII., Petrus Lombardus, Beranger und Arnold von Brescia gehörten. Um dieselbe Zeit lebte die schöne Nichte des Canonicus Fulbert in Paris, die berühmte Heloise; sie war erst siebzehn Jahre alt und durch ihre Reize wie durch ihren Geist berühmt und angestaunt. Abälard, der damals schon achtunddreißig Jahre zählte, wurde durch den habsüchtigen Oheim bei ihr eingeführt, zuerst ihr Hausgenosse und Lehrer, später ihr Geliebter. Er las mit ihr die griechischen und römischen Dichter und besang sie in glühenden Liedern. Zu spät erfuhr der Oheim das Glück der Liebenden, er wollte sie trennen, aber Abälard entführte das schöne Mädchen nach der Bretagne, wo sie ihm einen Sohn gebar. Heimlich vermählte er sich mit ihr und Heloise kehrte in das Haus des Oheims nach Paris zurück. Aus mißverstandenem Zartgefühl leugnete sie vor diesem ihr Bündniß und erregte dadurch von Neuem den Zorn des unversöhnlichen Canonicus. Er mißhandelte Heloise, die sich in ein Kloster mit Abälard’s Hülfe flüchtete, und ließ diesen aus Rache darüber, auf die grausamste Weise verstümmeln. Tief gebeugt durch den ihm angethanen Schimpf trat Abälard als Mönch in das Kloster St. Denis und bewog seine Geliebte, ebenfalls den Schleier zu Argenteuil zu nehmen. Neue Verfolgungen erwarteten ihn, als er seine Vorlesungen wieder zu halten anfing. Auf der Kirchenversammlung zu Soissons wurden seine Ansichten über die Dreieinigkeit als ketzerisch verdammt; er war seiner Zeit vorausgeeilt und darum der Märtyrer seines Geistes. Um Ruhe zu finden verließ er St. Denis und erbaute unweit Nogent an der Seine eine Kapelle, Paraklet genannt, welche er nach seiner Erwählung zum Abt von St. Gildas de Ruys Heloisen und ihren Klosterschwestern zum Wohnsitz überließ. Sein übriges Leben blieb ein fortwährender Kampf mit seiner Liebe und dem Hasse der fanatischen Mönche, bis er mit der Kirche ausgesöhnt als Muster strenger, klösterlicher Zucht im Jahre 1142 starb. Heloise, welche ihn noch zwanzig Jahre überlebte, erbat sich seinen [236] Leichnam und ließ ihn im Paraklet begraben, um einst an seiner Seite zu ruhen. Die Revolution, welche so manches Monument des Mittelalters zerstört hat, schonte das gemeinschaftliche Grab der berühmten Liebenden. Beider Asche wurde 1808 nach Paris gebracht, aber erst zwanzig Jahre später auf dem Kirchhofe des Père La Chaise feierlich beigesetzt.

Ludwig Börne’s Grab.

Hoch oben auf luftiger Höhe liegt das Grabmal Ludwig Börne’s, des deutschen Ehrenmannes, der fern von der Heimath als ein Verbannter in fremder Erde ruht. Er liebte sein schönes Vaterland mit der ganzen Gluth eines ehrlichen Herzens, und weil er es so ehrlich, liebte, grollte er oft und warf bittere heiße Worte über den Rhein hinüber. Ein kurzer, viereckiger Obelisk von grauem Marmor bezeichnet die Stätte, wo das edle Herz nach manchem heißen Kampfe endlich den Frieden gefunden hat. In einer Nische befindet sich das Portrait des Dahingeschiedenen, darunter in einem Viereck das Bild der Freiheit, welche die vereinigten Hände Deutschlands und Frankreichs an ihr Herz drückt. Hinter diesen Figuren stehen auf einer Votivtafel die Namen: Voltaire, Rousseau, Lamennais und Beranger; Deutschland gegenüber: Lessing, Herder, Schiller und Jean Paul. Das Ganze ist von geschliffenem Marmor, die Bildnisse von Bronze und das Denkmal selbst auf Kosten der Freunde errichtet. Die vielen frischen Immortellenkränze bürgen dafür, daß Börne noch nicht vergessen ist. Entzückend und großartig ist die Aussicht, welche man von hier aus genießt. Aus dem Häusermeer ragt die mächtige Kuppel des Pantheon hervor, ein würdiger Hintergrund zu dem Grabe Börne`s.

Nur noch ein Monument machte einen tiefen, unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Es war eine riesengroße Steinpyramide, die an ihrer Spitze statt jeder Inschrift den Namen Gottes von einem Strahlenkranz umgeben in hebräischen Zeichen trug, welche nach uralter Tradition des jüdischen Volkes Niemand aussprechen darf, da das Wort wie die Erscheinung des Höchsten selbst auf der Stelle tödten würde. Ich beugte mich mit ehrfürchtigem Schauder vor dem Unaussprechlichen, der da Herr ist über Leben und Tod. Das erhabene Bild eines alten deutschen Malers vom jüngsten Gerichte schwebte vor meiner Phantasie. Ich glaubte die tröhnende Posaune zu hören und sah im Geiste all’ die Todten sich aus der Gruft erheben und vor ihrem Richter stehen. Eine gewaltige Stimme aber rief über das moderne Babel die Worte des Dichters: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

Max Ring.