Der Weg der Buhlerin. Drittes Blatt

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Der Weg der Buhlerin. Zweites Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Der Weg der Buhlerin. Drittes Blatt
Der Weg der Buhlerin. Viertes Blatt
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Der


Weg der Buhlerin.


Drittes Blatt.
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DER WEG DER BUHLERIN.
THE HARLOT’S PROGRESS.
III.

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Der Weg der Buhlerin.


(The Harlot’s Progress.)




Drittes Blatt.


Molly fällt – fällt! immer schneller! Dieses ist erst die dritte Station ihrer Reise von den sechsen, die unser Künstler darstellt, und zwei Drittel der Tour ist schon gemacht. Von der zweiten ab gab es noch Sommerwege mit angenehmen Verirrungen nach der Seite, freilich nicht für jedes Geschirr. Die scandaleuse Chronik redet indessen von Weibern, ja von Gemahlinnen, die von dort ausgefahren, und gut angekommen sind! Die scandaleuse Chronik? – O die venerable Geschichte selbst, und eine nicht sehr alte, weiß von Vice- – Königinnen, die von diesem Posthause aus ihre letzte Station machten.

Aber hier ist Alles verloren! Sie hat, was Basedow ehemals im Scherz und bloß figürlich von sich selbst sagte, im Ernste vollbracht, und [252] sich mit dem Publicum vermählt. Sie erscheint hier als die Haupt-Person bei einer kleinen Lösch-Anstalt für brennende Herzen vom dritten Range. Wie gefallen! Fuimus, überall!

Sonst versparten wir die Beschreibung der Ausstaffirungen des Schauplatzes an’s Ende. Sie waren da Nebensache. Die Personen erklären den Werth der Meubel. Hier müssen die Meubel die Personen erklären. Ein junger weiblicher Körper, dem es nicht ganz an Reizen fehlt, ist bald geschmückt. Was ihn nicht ziert, das ziert er, und was beiden, Person und Kleid, etwa hier und da noch abgeht, sieht entweder die liebe Jugend vom andern Geschlecht nicht, oder wird auch leicht mit einem Läppchen zugedeckt, das man einer Stelle entzieht, die es mit großem Gewinn für das Ganze willig entbehrt. So geht ein solches Geschöpf noch lange mit, flickt immerweg den Mangel an sichtbarer Kleidung auf Kosten der unsichtbaren, und den Abgang an Schönheit auf Kosten der Ehrbarkeit, bis das Ganze endlich ge- und verflickt, seine Erneuerung, nach einem kurzen Tode, wieder erhält, und was als Hackabout verwes’te, als Mutter Needham wieder hervorgeht. Aber an dem Logis und seinen Meubeln in London, wo das Geld so spottwohlfeil, und daher alles so entsetzlich theuer ist, da ist Flicken nicht so leicht und auch nicht so nöthig. Denn aus dem Zimmer nimmt man dergleichen nicht mit vor die Augen auf der Straße; und was man von Augen von der Straße mit sich herauf in das Zimmer bringt, kömmt nicht ohne Weihe und nicht ohne Blendung.

Der Schauplatz ist in Drurylane[1]; wie man aus dem zinnernen [253] Porter-Kruge sieht, der rechter Hand unten im Winkel steht[2]. Das Zimmerchen muß hoch liegen, denn So viel Himmel durch eine Stubenthür zu sehen, als man hier dadurch erblickt, ist in Drurylane wohl nur in der Nachbarschaft von der Rauchkammer möglich. Dieses bezeugen auch schon die Fenster der Stubenthür gegenüber, wo das Licht nicht einmal durch die Stelle herein kann, in denen das Glas fehlt, und in die man ad interim bloß etwas Luft eingesetzt hat. Dieser Schauplatz erhält überhaupt sein Licht hauptsächlich nur von der Seite, von welcher wir hineinsehen, und Hogarth überläßt es gänzlich unsern architectonischen Fähigkeiten, daß Loch zu denken, durch das es kommen kann. – Welche Veränderung! Auch hier wird Thee getrunken, aber wie? Sähe man nicht offenbar die Tassen und die Theekanne, so sollte man fast glauben, es würden hier Schuhe geflickt! Der silberne Tisch mit seinen leichten Füßchen ist fort, und statt dessen hat sich ein anderer dahin gepflanzt, mit einem Fußwerk, das einen Ochsen tragen könnte. Vermuthlich ist auch der Dienst, den er jetzt hier versieht, nicht der einzige, den er versehen muß. Aus seiner starken, und dabei etwas untersetzten Figur wird es wahrscheinlich, daß er wohl zuweilen zum Fleischklopfen gebraucht wird, oder gar als Postament für Waschbütten und ermüdete Gäste, die sonst nicht unterkommen können, dienen muß. Dasselbe Füßchen und dasselbe Knie, die den silbernen umwarfen, sind indessen auch hier wieder dabei, aber nicht ihn umzuwerfen; vielmehr scheint sich ersteres sogar auf das Gebälke desselben zu stützen. Auch der silberne Theekessel ist dahin, und hat einem elenden blechernen Maße Platz gemacht, so wie die Meerkatze einem Landkätzchen, [254] und das Kammermädchen und der Neger einer Bastard-Art, die etwas von einem Kammermädchen, etwas von einer Negerin, und etwas von einer Meerkatze zugleich hat. Auf dem Tischchen erblickt man nur ein einziges Paar Tassen, dann die obere Hälfte eines andern, worin vermuthlich Zucker ist, ein kleines Brod, ein Messer und etwas Butter, wozu ein Schriftsteller den Teller geliefert hat. Der Bogen Papier nämlich, worauf sie liegt, ist ein Theil der Pastoral-Briefe (pastoral-letters) des Bischofs von London, Gibson, die der ehrliche Mann an seine Diöcese damals sehr wohlmeinend schrieb. Man sagt, sie wären, ihrer deutlich geschriebenen Adresse ungeachtet, nicht eher richtig an die Behörde gelangt, als die Gewürzkrämer sich endlich vereinten, sie zu frankiren, und die Besorgung davon zu übernehmen.

Neben dem Bette steht ein elender Flechtstuhl, und gleichwohl der einzige im Zimmer, sobald das Tischchen beim Frühstück oder bei der Waschbütte aufwartet. Er selbst ist jetzt in einer Art von Tischdienst begriffen, und trägt eine Bouteille, die man zu einem Leuchter erhoben, und einen Suppen-Teller, den man in voriger Nacht so sehr erniedrigt hat, daß er von nun an mit Ehren bloß nur noch unter der Bettlade dienen kann. Ueber die Stuhllehne ist das Mäntelchen von gestern Abend geworfen, vermuthlich rothes Tuch mit falschem Golde, das sich vortrefflich ausnimmt, zumal bei dem Neugierde und Phantasie spornenden Strahl eines Gassenlaternen-Lichtchens von vierter Größe im Winkel. Wo so etwas aushängt, da läuft das London’sche Gesindel von allerlei Rang in’s Garn, wie die Lerche vor dem Spiegel im Sonnenstrahl.

Diesem Stuhle gegenüber, bei den leeren Porter-Krügen, steht die Toilette, auch auf Elephanten-Beinen statt Ziegenfüßchen. Es ist eigentlich ein Flügeltisch, der, wie alles auf diesem Zimmer, zu allem dient. Gegen einen Punschnapf mit einem Ausschnitt, der neuer ist als der Napf, ist ein dreieckiger Spiegel-Abschnitt, auch neuer als der Ganze, angelehnt. Beide, Ausschnitt und Abschnitt nämlich sind nicht das [255] Werk der Kunst, sondern des Zufalls. Voran liegt auch hier das elfenbeinerne Waffenstück[3] zum Kriege wider Bisse von außen. Gegen die von innen, von welchen man auch hier zuweilen nicht frei sein mag, stehen die Waffen gleich neben dem Spiegel: ein Branntwein-Gläschen, und ein Branntwein-Mäßchen. Ersteres hat, wie man sieht, ebenfalls das Ungefähr durch eine fürchterliche Amputation genöthigt, immer auf dem Kopfe zu stehen, wenn es leer, und sich von andern halten zu lassen, wenn es voll ist, welches gewöhnlich der umgekehrte Fall mit dem Menschen ist, dem es und der ihm dient. Was noch weiter da herumsteht, ist vermuthlich kosmetischer Apparat, um das Gesichtchen, das in Yorkshire vielleicht gesunde, natürliche Frucht geblieben wäre, hier nach seinem frühen Verfall, noch auf kurze Zeit in betrügerisches Wachs-Obst zu verwandeln. Ein Briefchen: To Md Hackabout steht aus der Schublade hervor, vermuthlich ein Seufzerchen im Manuscript, das sich Luft macht.

An der Hinterwand, neben der Thüre, erblickt man einen Bindfaden mit Schlingen, allerlei daran zu hängen, woran aber jetzt Nichts hängt. Es scheint die Garderobe zu sein. Auch ein Fuimus. Vielleicht ist ihr ehemaliger Inhalt bloß von dem Leihhause in Schutz genommen, oder durch die Winkel des Zimmers vertheilt, oder dient überhaupt nur auf kurze Zeit aufzuhängen, was bloß für den Moment geborgt war[4].

Soviel von den Meubeln, die die ökonomischen Umstände der Dame in’s Licht setzen. Das Uebrige, was da noch herumsteht, liegt und [256] hängt, dient zur Erläuterung von anderen, die die Heldin selbst einen Grad näher angehen, und ihre Bedeutung wird also am besten mit der Geschichte der Personen selbst verwebt, auf die wir ohnehin, wie wir fürchten, die Neugierde unserer Leser vielleicht zu lange gespannt gehalten haben.

Es ist Dreiviertel auf Zwölf Vormittags, und weil erst gefrühstückt wird, noch sehr früh, ungefähr Sieben Uhr nach Stunden der Unzeit[5]. Unsere Heldin hat sich aufgerichtet, und stützt sich etwas matt und schwer auf den rechten Arm; in der linken Hand hält sie eine Uhr am äußersten Ende des Uhrbandes, mit horchendem Kopf, vermuthlich repetirt die treue Weiserin die Stunde. Die Stunde? Ach leider nichts als die erbärmliche Eilfe, die es geschlagen hat. Was helfen Dir alle Repetir-Uhren der ganzen Welt! Ein Paar Repetir-Ohren, durch die die Ermahnungen deines rechtschaffenen Vaters dir wieder erneuert in die Seele schallten, wäre dir unendlich mehr werth. Doch horch, die Stunde schlägt! Es ist viel verloren, aber noch nicht alles. Die Gerechtigkeit ist erwacht, und hält noch den Todesstreich zurück, der schon über deinem Haupte schwebt. Die Thür öffnet sich, und Sir John Gonson[6] mit seinem Gefolge tritt in das Zimmer, und die Heldin [257] wird arretirt. Vermuthlich ist die Uhr eine kleine Beute der vorigen Nacht, und der Beraubte selbst ist vielleicht der erste Kläger gewesen. Das reizende Geschöpf, dessen obere Hälfte hier auf einem Lumpenhügel von Unterröcken gestützt erscheint, ist vermuthlich die Präsidentin bei dieser Anstalt. Ihre Nase scheint gelitten zu haben, ob in einer Herzens-Angelegenheit durch innern Brand, oder in einer affaire d’honneur, wobei sie den Augen und Zähnen secundirte, ist uns nicht bekannt. Hierbei müssen wir unsere Leser um ein Paar Thränen bitten für einen armen Teufel, der ihnen so viel Vergnügen gemacht hat, aber nun schon lange nicht mehr ist; für den muntern, drolligen, halblateinischen Partridge (Rebhuhn) in Fieldings Tom Jones[7] Denn, wie Fielding versichert, so war die so berüchtigte Haus-Ehre des Märtyrers, diesem Steinbütt[8] hier wie aus dem Gesichte geschnitten! Doch [258] hinweg den Blick von deinem unüberschwänglichen Leiden, guter Tropf, denn mich dünkt, ich hörte dich deinen Lieblings-Refrain, womit du so manche Betrachtung schlossest, und den du immer passend fandest, vermuthlich weil du ihn nicht verstandest, über mir flüstern.

Infandum, Regina, jubes renovare dolorem.

Jetzt zur noch übrigen Ausstaffirung des Blattes, die nun verständlicher sein wird. An der Kopf-Wand der Bettlade, oder vielmehr des Verschlags, unter welchem die Bettlade steht, schwebt zwischen Betthimmel und Erde ein Komet mit fürchterlichem Schweife, – der Educations-Besen. Wir gedenken seiner etwas spät, ob er gleich unter allem Leblosen auf diesem Blatte gewöhnlich das erste ist, was, nächst der Taschen-Uhr (und auch die könnte sterben), das Auge des Anschauers auf sich reißt. Wir haben ihn fürchterlich genannt, bloß dem Sprachgebrauch zu Liebe; denn diese Kometen am Firmament der Moral sind so wenig jenem System schädlich, als die am Himmel dem System der Welt. So wie Newton gemuthmaßet hat, daß die letzteren mit ihren Schweifen vielleicht stärkenden Duft in das System hereinfächeln könnten, so ließe sich, nicht bloß muthmaßen, sondern geometrisch erweisen, daß die ersten mit den ihrigen eine Menge Uebel aus der Welt hinauskehren. Betrachtet man sie aber auch nicht als Besen, sondern bloß als einen Büschel Wellenholz, so ist ihr Nutzen wirklich unübersehbar. Denn, kann man fragen, was würde aus dem reißenden Strome von Unterricht und Lehre werden, der auf Schulen durch beide Ohren in uns hineinstürmt, wenn man ihm nicht mit solchen Faschinen am andern Ende zu gehöriger Zeit entgegen baute, zu verhindern, daß er nicht gerade, mir Nichts dir Nichts, da wieder durchbreche?

Wie kömmt aber, wird man fragen, die pädagogische Faschine oder der Staupbesen der Philanthropie hierher? und gerade an die Bettwand? Das Problem, ich muß gestehen, ist fürwahr nicht leicht. Ich wünschte es wäre schwerer, oder gar so schwer, daß es schlechterdings [259] nicht aufgelöst werden könnte. O! das sind die herrlichsten Materien für Schriftsteller, die nach Bogen bezahlt werden, wie die Maurer nach Cubik-Fußen. Aber so ist, leider! das Problem bloß nicht leicht, und das ist es gerade, was es schwer macht. Indessen wir wollen es versuchen. Nur noch eine kleine Einleitung. Wir stehen hier bei den Werken unseres Künstlers zum erstenmal an einer Stelle, auf die wir noch oft, und selbst in diesen Blättern noch zweimal zurück werden kehren müssen; nämlich da, wo die Moral selbst das Moralisiren verbietet, und die gesprächigste Hermenevtik verstummt, oder wenigstens sich stumm stellt, und dem Vorbeigehenden zuklingelt; oder, wenn sie endlich genöthigt wird zu sprechen, wenigstens nichts weiter sagt, als: Ich bin stumm.

Die Weltweisen haben längst bemerkt, daß Erblinden die Hälfte des Tages sei, und wirklich scheint die Natur diese Meinung zu unterschreiben, welches eben nicht immer der Fall bei Bemerkungen der Weltweisen ist. Ich zweifle nämlich, ob es gegen irgend ein Uebel in diesem Jammerthal mehr Hilfsmittel gibt, als gegen das nicht sehen können. Bliebe die Sonne aus; gut, so steckten wir Lichter an. Das ist eine Kleinigkeit. Verschließt der Staar das Fenster, wiederum gut, so macht der Augenarzt den Laden wieder auf. Wird der Mensch Myops oder sieht er von dem Universo nichts als die Spitze seiner Nase, oder wird er Presbyt, und sieht den Kirchthurm deutlich, aber nicht seinen Nächsten, der vor ihm steht, so ist der ganze Handel mit zwölf Groschen abgethan, die man an den Glasschleifer bezahlt. Mit Hilfe dieser großen Triple-Allianz von Lichter-Zieher, Augenarzt und Glasschleifer hat der Mensch bisher die absolute sowohl als relative Blindheit so kräftig bekämpft, defensive wenigstens, daß ihre Einrisse, die sie dennoch hier und da thut, kaum der Rede werth sind. Ja man hat sogar offensive agirt, und Hoffnung, dereinst noch den Splitter in des Bruders Auge im Monde zu sehen. Ist es nicht sonderbar, mit diesem Sehen? Haben wir nicht schon eine Telegraphik mit dem Monde zu [260] Stande gebracht? so daß wir, genau berechnet, immer nach anderthalb Secunden wissen können, wenn dort oben ein monte nuovoentstanden ist, oder ein Lissabon oder Messina sein Ende erreicht? Aber ach! wenn es doch auch Telegraphen für die übrigen fünf Sinne gäbe! Allein da sieht es erbärmlich aus! Da sinkt der Presbyte immer mehr in Myopie; Fernsichtigkeit wird Kurzsichtigkeit, und diese erstirbt bald in völliger Blindheit. Wer da ein Licht anzünden, oder den Staar ausziehen oder eine Brille schleifen könnte! O! es wäre der Stein der Weisen, ich meine des Alters, ohne welches keine Weisheit möglich ist. Man hat es tausendmal versucht, aber mit welchem Erfolg? Der Geist, erst voraus und willig, und das Fleisch hinten drein schwach, eröffneten den Zug; dann folgte armselige, erzwungene Willigkeit des Fleisches, hinter welcher der Geist erbärmlich herkroch, und endlich – war gar kein Zug mehr; und Geist und Fleisch, und Auge und Brille waren verloren. – Meistens Jammer-Schade für die – – Brille. – Aber wir sprachen, dünkt mich, von dem Educations-Besen an der Bettwand. Ist denn das eine Brille – für Presbyten? Die Wahrheit zu gestehn, ich weiß es selbst nicht; nur so viel weiß ich, daß sie, wenn es eine ist, nicht auf die Nase applicirt wird. Ich glaube hiermit meine Pflicht gethan, ich meine über eine epineuse Stelle meines Autors so lange commentirt zu haben, bis ich mich selbst nicht mehr verstehe, und das ist alles, was ein ehrlicher Commentator thun kann. Was indessen diesem loco an Gesprächigkeit abgeht, versprechen wir dem Leser zehnfältig an anderen Stellen zu ersetzen, wo sie nicht halb so nöthig wäre, und auch dieses – ist alles, was ein ehrlicher Commentator thun kann.

Auf dem Betthimmel ruht, ganz wie hier zu Hause, die Perücken-Schachtel[9] eines berüchtigten Gassendiebs (Street robber) James [261] Dalton. Wenn es kein Erbstückchen schon wirklich ist, so wird es bald eins werden, denn der Kerl wurde um jene Zeit gehenkt. Wie tief ist unsere Heldin gefallen! Gassendiebe sind Spitzbuben vom dritten Range, schlechterdings ohne alle Spitzbuben-Ehre. Man würde sie in einem Staate von Straßenräubern (Highwaymen), die ihre Ahnen bis auf Alexander hinauf zählen, aufknüpfen. Zu seiner und des Mädchens Ehre wollen wir annehmen, daß er kein schleichender Taschendieb (Pick-Pocket) war, sondern ehrlich und mit Gefahr raubte, Herz gegen Herz, oder wenigstens Pistole oder Messer gegen Prügel; aber doch bloß zu Fuß (Foodpad), also kein Chevalier mehr. Das Pferd erhöht und adelt selbst Spitzbuben – in England. Man will bemerkt haben, daß der Räuber, der sich an der Erde hält, immer etwas vom Yahoo hat, hingegen der zu Pferd immer etwas vom Houyhnhnm[10]. Es ist keine Kleinigkeit, was Dalton dem Mädchen da anvertraut hat. Perücken von allerlei Stand, Form und Schattirung, sind wichtige Stücke des Räuber-Apparats. In der einen sieht er wie die Haasen und Feldhühner mancher Länder im Sommer aus, wie gepflügtes Land oder Stoppel-Feld, und im Winter, wie Schnee; oder wenn er in der einen als Raupe geplündert [262] hat, verpuppt er sich in einer zweiten, und schlüpft der Gerechtigkeit in der dritten als Schmetterling aus den Händen. Man hat Beispiele, daß welche, ehe sie zum Examen und der Promotion gelangen konnten, in Zeit von acht Tagen die Tour durch alle vier Facultäten mit Perücken gemacht haben. Zeugen werden denn freilich am Ende diese Masken des Hinterkopfs gegen den Kopf selbst, und dieses macht das Pfand auf dem Betthimmel hier desto wichtiger.

An der Wand hängt in effigie Mac Heath einer der größten Männer in seinem Fach. Auch schreibt man ihn M’ Heath mit demM voran, so wie so manchen seines Gleichen mit dem M hintendrein. Selbst der berühmte Gay rechnete es sich zur Ehre, der Curtius dieses Macedoniers von der Heide zu werden[11]. Auch wurde ihm bei seinem Tode eine Bildsäule errichtet, aber sehr merkwürdig, ohne Piedestal. Sie erhielt nämlich ihre Unterstützung von oben, vermuthlich, weil sein M im Namen voraus stand. Auch wurde er nicht in Marmor oder Erz aufgeknüpft, sondern man nahm ihn, den Bildhauer und Gießer zu ersparen, und um die größtmögliche Aehnlichkeit zu erhalten, selbst in Person dazu. Niemals habe ich mir noch mehr Raum gewünscht, als hier. Es wäre viel zu sagen. Also nur kurz das Thema. Man hat statuas pedestres und equestres, gerade so wie Foodpads und Highwaymen. Aber mich dünkt, es fehlt noch eine Haupt-Art von Statuen in der Welt, woran weder Rom noch Griechenland gedacht hat, und die hauptsächlich unsern Zeiten aufbehalten zu sein scheint, und das ist die: Statua pensilis. Eine kleine contradictionem in adjecto zwischen stehn und hängen wird der Kritiker im Namen nicht achten. Es ist ein bloß grammatischer Widerspruch, und bei unsern gewöhnlichen Statuen hat man öfters welche zu verdauen, die tiefer liegen. Ich sehe nicht ein, warum man nicht Personen, die sich um das menschliche Geschlecht [263] cum grano salis verdient gemacht haben, in Erz, mit dem Gesangbuch in der Hand, aufgehängt, und das an einen Galgen von Erz, und an Ketten von Erz, z. B. im Hinterhofe des Pantheons. Sollten wohl die geheimen Gießereien zu Meudon auf so etwas gehen? Voraus konnte immer gearbeitet werden. Denn dem französischen Witze und französischen Künstler-Talenten muß es ein Leichtes sein, eine Bildsäule mit beweglichen Gliedern so zu gießen, daß sie im Windmonat (Ventôse) zur Verewigung aufgestellt, und im Hitzemonat (Fervidor) im Hinterhofe des Pantheon aufgeknüpft werden könnte.

Neben M’ Heath hängt hier noch ein anderer Mann, mit S. T. P. hinter seinem Namen, das soll heißen: Sanctae Theologiae Professor, Dr. Sacheverel. Es ist sehr gut für einen Erklärer dieser Blätter, daß der Name Sacheverel schon zehnfach wieder aufhebt, was ihm das S. T. P. auf kurze Zeit geliehen haben kann. Er trieb sein Spiel auf der Heerstraße nach dem Himmel, so wie sein Pendant auf der von London nach Oxford. Hogarth verdient Verehrung, ihn so aufgeknüpft zu haben. – Man hat den Proceß dieses Schwärmers in einigen deutschen Zeitungen neuerlich mit dem vom Schuster Hardy verglichen. Welchem von beiden zu Ehren, weiß ich nicht. Der dabei erregte Lärm hatte freilich einige Aehnlichkeit. Gleichheit von dieser Seite ist in London leicht erhalten. Tumult in der Tiefe ist da immer Folge von Bewegung etwas von oben, die Art der Bewegung sei welche sie wolle. Dr. Sacheverel und Hardy erregten Bewegung, nur, dünkt uns, mit dem wichtigen Unterschied, daß man die von dem Herrn Doctor viel zu hoch, und die von dem Schuster vielleicht viel zu geringe angesehen hat. D. Sacheverel war einer von den Zionswächtern, von denen Lessing sagt, daß sie sogleich Feuer riefen, wenn sie im Dunkeln etwas schimmern sähen, ohne zu untersuchen, ob es nicht gar am Ende ein Streifchen Nordlicht gewesen sein könne. Eigentlich hatten sich aber der Herr Doctor diesesmal ihr eignes Pfeifchen angesteckt, an einem Orte, und zu [264] einer Zeit, wo Sie es hätten sollen bleiben lassen. Mit diesem gingen Sie so unvorsichtig um, daß am Ende Zion und der Stadt beinahe der Schade geschehen wäre, welchem zuvorzukommen der Hr. Doctor eigentlich besoldet wurden. Sacheverel war zwar ein äußerst toryisch gesinnter Prediger der damaligen Zeit (1709), da das Ministerium bekanntlich whiggisch war. Es kam ihm aber vor, und das war das Pfeifchen, als würden alle tolerirten Brüder zu sehr vom Ministerium und sogar von der hohen Geistlichkeit begünstigt. Nach einigen starken Zügen im Dunkeln, und vermuthlich etwas schwindlich, oder sonst nicht ganz recht bei Trost, glaubte er Flamme zu riechen auf Zion, und schrie um Hilfe. Er predigte nämlich, nicht in einer Winkel-Kapelle, sondern in der Paulskirche selbst, über die Worte des Apostels, von der Gefahr vor falschen Brüdern, zog das Ministerium und dessen Maßregeln, nicht etwa in Allegorien, sondern mit klaren Worten, auf das abscheulichste durch; brachte den damaligen Lord Schatzmeister unter dem Namen Volpone auf die Kanzel, und rief dem Volk zu: anzuziehen den Harnisch und das Rüstzeug Gottes und aufzustehen gegen die falschen Brüder. – Zum Tage dieser Predigt hatte sich dieser aufrichtige Bruder recht vorsätzlich den 5ten November ausersehen. Bekanntlich ist dieses der Gedächtnißtag, nicht bloß der Pulververschwörung, sondern auch der berühmten Landung, durch welche die wohlthätige Revolution bewirkt wurde.

Man weiß ferner, daß an demselben die Orthodoxie des londonschen Pöbels, wenn sie auch das ganze Jahr ruhig auf der Hefe gelegen hat, etwas zu gähren anfängt, so wie manche Weine, wenn die Trauben blühen. Es werden nämlich, um des Evangelii Willen, heilige Feuer auf den Straßen angezündet, und der Pabst in Effigie verbrannt, den falschen Brüdern zur Warnung. Sacheverels Predigt hatte die Folge, daß man nicht bloß, wie sonst, Fensterläden, Ausstellläden, Kellerthüren, Buden und dergleichen Brennholz zum Feuer trug, [265] sondern Kirchenstühle der falschen Brüder, und um ein Haar, die falschen Brüder selbst. – Ist das nicht fürchterlich? – War denn, wird vielleicht mancher Leser mit mir fragen, keine Feuerspritze in der Nähe, um auf den Mund, auf welchem dieser Schwefel glühte, einen armsdicken Wasserstrahl hinzuleiten, und den Kopf mit einer Wasserglorie zu weihen? Vielleicht hätte das Volk, beim Anblick eines solchen Elementenstreits, angezogen das Gewand der Fröhlichkeit, und angenommen die Miene des lustigen Spottes, und die Sache wäre gelöscht gewesen. – Aber so ging, leider! die Sache nicht. Der damalige Lordmayor, auch ein Schwefel-Heiliger vermuthlich, ließ die Rede des Gerechten drucken, und nun brannte es auf einmal überall; sie wurde von seinen Anhängern in den Himmel erhoben. Die Weisesten im Parlament riethen, die Sache nicht wichtiger zu machen als sie wäre, durch Aufmerksamkeit. Aber es war vergebens. Sacheverel wurde vor die Schranken des Oberhauses als Staatsverbrecher gebracht. Alles was er wünschte. Es wurde immer ärger; sein Wagen wurde täglich von einer ungeheuern Menge frohlockender Menschen begleitet von Westminsterhall bis nach Temple-Bar. Die Häuser der dissentirenden Gemeinde wurden geplündert, tolerirte Bethäuser niedergerissen, und selbst des Groß-Canzlers, Lord Whartons, und des Bischofs, von Sarum, Haus mit Zerstörung bedroht. Und am Ende, was geschah nach alle diesem Lärm? Er wurde eines Misdemeanors schuldig befunden, das heißt, eines Mitteldings zwischen hängenswerthem Verbrechen und gar Nichts, worüber die englischen Gesetze nicht bestimmt entscheiden. Hätten der Herr Doctor ein Petschaft gestohlen, so hätte man Sie aufgeknüpft. So aber wurde er drei ganzer Jahre vom Predigtamt suspendirt und sein Opus öffentlich verbrannt. – War es nun vorbei? Nichts weniger. Es ging immer höher, immer weiter, und wie uns dünkt, von nun an von Rechtswegen. Die leichte Strafe hielt man für nichts weiter als eine Lossprechung, bei der man auch noch sein bischen Recht behaupten wollte, und bei lebendigem Leibe wurde nun der Mann als [266] Heiliger und Märtyrer zugleich angesehen. Heilige Feuer und heilige Illuminationen erleuchteten und schmückten ihm zu Ehren die Nächte von England von einem Ende zum andern. Nun fing der Märtyrer erst an, seine Lage recht zu genießen. Er kutschte im Triumph durch das Land. Die Universität Oxford kam ihm mit Pracht und festlichem Aufzug entgegen, und man schmauste den ganzen Tag um des Evangelii Willen. Ein großer Theil des englischen Adels bewirthete ihn mit Pracht und frommer Schwelgerei, und der Magistrat der Städte zog ihm mit Musik, Cavallerie und in pontificalibus entgegen. Die Hecken an den Wegen, wo er vorbeikam, waren mit Kränzen geziert und von den Kirchthürmen wehten Wimpel und Flaggen, und die ganze Luft erschallte von Sacheverel und der Kirche[12]. So stand die Sache damals. Man sieht, die Nachwelt hat die Acten etwas revidirt und das Urtheil umgestoßen, und Hogarth, der in Executionen von Sündern, deren Hals für gemeine Kräfte zu stark war, eine unnachahmliche Stärke besaß, hat den Heiligen hier neben Mac Heath aufgeknüpft. Sic pagina jungit amicos. Und wirklich sollen die Mac Heathe und die Daltons mit ihren Nonnen eine Hauptrolle bei Sacheverels Verklärung gespielt haben. Während er seinen geistlichen Segen ausstreuete, führten diese das nötdige Ackergeräthe, um allenfalls damit den Boden weltlich zu bearbeiten, der sich weigern würde ihn anzunehmen.

Noch hängen zwei Bilder an derselben Wand. Gleich unter Mac Heath, ein Brust-Bildchen mit einer Glorie, und über den ungleichen Fenstern das Opfer Isaaks. Die Ausleger, die das erste berühren, sagen alle schlechtweg, es sei eine Jungfrau Maria. [267] Dieses ist, um die Sache kurz zu benennen, ein sehr elender Gedanke dieser Herren Ausleger. Denn einmal ist die Figur offenbar männlichen Geschlechts, und so sind wir mit einem Male am Ende. Wäre sie aber auch dieses nicht, so hätte der Gedanke schon in sich etwas Empörendes für ein gewisses Gefühl, welches Hogarth bei alle seinem Muthwillen, so viel ich weiß, nie beleidigte. Es wäre auch kein gutes Zeichen. Freilich mag wohl hier und da in der christlichen Welt, das Bild dieser ehrwürdigen Person in manchen Privattempelchen aufgehängt sein, worin Gott so schlecht gedient wird, als hier. Aber so etwas ist viel zu gesucht, und das Empörende beim ersten Anblick, stumpft alle Empfindung ab für den schwachen Reiz einer solchen Alltags-Finesse hintendrein. Mit einem Wort: es ist nicht wahr. Das Ding ist ein Kalenderheiliger freilich. Aber man bedenke die Zahl 365. Sollte unter dieser ganz beträchtlichen Heerde auch nicht ein einziges räudiges Stück gewesen sein, wie Sacheverel, oder Mac Heath? – Ueber das Opfer Isaaks sagen die Ausleger theils Nichts, theils Etwas, was eben so viel werth ist. Bei verwickelten Stellen ist das Ausleger-Mode. Vermuthlich ist das Bild noch ein Ueberbleibsel aus dem portugiesischen Tempel, und vielleicht enthält das, was wir oben, S. 259, so ganz unbefangen gesagt haben, schon selbst die beste Erklärung. Wirklich nimmt auch hier die Geschichte des Mädchens eine Wendung, die man in dieser Lage noch immer glücklich nennen kann. Das Schwert, das über ihr aufgehoben war, wird noch angehalten, und die Stätte, wo Isaak geopfert werden sollte, hieß bloß: der Herr siehet. Was will man weiter? Hogarth sah vermuthlich hier nicht sehr tief, und dachte sich bloß Rettung vom gewaltsamen Tode oder Zurückhaltung des Schwertstreiches der strengen Gerechtigkeit in besondern Fällen, durch den Arm einer höhern Güte, die die Macht dazu hat. So denken sich Tausende die Geschichte von Isaak, die nicht tiefer sehen. Die Erklärung ist freilich, wenn Hogarth Philologe und Schriftgelehrter gewesen wäre, gezwungen. Allein, sind das nicht auch öfters Bibelerklärungen von Leuten, die alles das sind, was Hogarth nicht war? Wie vielmehr wird man christlich [268] dem Manne vergeben, aus dessen Charakter sich ein Bischen von witzigem Leichtsinn doch nicht ganz so rein wegerklären läßt?

Nachdem wir dieses merkwürdige Blatt seinem Hauptinhalte nach durchgegangen haben, so wollen wir nun mit ein Paar Federzügen noch hier und da etwas zusammenkehren, das uns bisher entgangen war.

Gerade über dem Manne mit dem Prediger-Kragen stehen ein Paar Arznei-Gläschen mit ihren Doctor-Krägelchen, und sehen da zu dem Fenster hinaus, wodurch schwerlich wieder Jemand hineinsieht, und am andern steht gar, wo ich nicht irre, eine Salbe! – Gut, weil sie da stehet, so ist es Pflicht sie stehen zu lassen. Hier klingelte die Hermenevtik.

Die Katze! Ihr soll so eben ein Mäuschen entschlüpft sein, das sie da sucht, zum Zeichen der Armuth und Unreinlichkeit auf dieser Stube. Ratten und Mäuse sollen, wie man sagt, bei Reichen selten betteln, und da haben sie, wie uns dünkt, nicht so ganz Unrecht. Aber die Stellung des Thieres ist nicht die des intendirten Fangs und der laurenden Aufmerksamkeit. Also auch die mag stehen, wo sie steht. Noch hängt am hintern Vorhange des Bettes das geflügelte Kopfzeug vom vorigen Abend angehakt, vermuthlich geschwind im Sturm beim Ueberfall dahin geflüchtet, damit die Plättung nicht zerknittert würde. Der Hut scheint früher und noch im Stehn dahin gerettet worden zu sein. Nun noch etwas von dem Knoten im Bettvorhang. Herr Ireland sieht darin ein Gesicht, und sogar Aehnlichkeit mit der Frau Priesterin, dem Steinbutt. Ich habe so wenig gegen diese Muthmaßung, daß ich vielmehr glaube, Herr Ireland habe eben nicht sehr mit hogarthischen Augen gesehen, als hier. Es liegt nicht außer Hogarths Dichter- und Künstler-Charakter, dem Knoten in einem Vorhang um den Altar der Venus Pandemos, die Form eines erbärmlichen Gesichts zu geben, das mit abgewandtem Blick die Opfer beweint, die da gebracht [269] werden. Der Knoten scheint mit Sorgfalt und gewiß nicht ohne Bedeutung geschürzt; vermuthlich um nöthiges Licht oder auch freien Fall-Raumfür den Kometen bei seiner Annäherung zur Sonne zu gewinnen. Ob übrigens das Gesicht der Priesterin gleicht, lassen wir dahin gestellt sein. Enthalten aber können wir uns unmöglich bei dieser Gelegenheit, noch mit einer kleinen Betrachtung über das güldene Sprüchlein: Ne quid nimis, zu schließen. Wir haben allerdings hier mit einem sehr schlauen und originellen Schöpfer von Witz zu thun; das ist sehr wahr. Aber man lasse sich auch dadurch seine eignen gesunden Augen nicht verderben, und glaube nicht, Dinge auf dem Blatte zu sehen, die eigentlich ganz diesseits unserer eigenen Nasenspitze ihr lustiges Spiel treiben. So etwas erinnert an die Prophetinnen der neuern Zeit, die mit der Nadelspitze das Schicksal horchender Mamsellen aus Kaffeesatz in der Tasse heraussticheln und dann predigen: „Sehen Sie, meine allerschönste Mamsell, hier diesen kleinen Cirkel; er ist so deutlich; das ist ein Kutschenrad; und hier diese Pünktchen, 4, 8, 12, 16, 20, 24, das sind Fußtapfen von – warten Sie, liebstes Kind, – ja richtig, von 9 Pferden. O hauchen Sie noch einmal darauf. Nun. Sehen Sie, hier ist offenbar der Stern. Zählen Sie die Zacken selbst. Also, meine Allerschönste, Eine Kutsche mit sechsen und ein Stern dabei, und nun gar hier, ach! was ist das!“ – – – doch ne quid nimis. Hiermit wird aber schlechterdings nicht gegen die kleine Saillies des Witzes, wahren oder vermeintlichen, geredet, die sich der Ausleger, offenbar auf eigene Kosten, erlaubt, und worüber wir uns in der Vorrede erklärt haben. Diese sind gestempeltes Eigenthum des Erklärers, die man nehmen kann, wie man will. Die Rede ist nur von tief gewitterten Bedeutungen im Ganzen. Die Bedeutung des Ganzen hat Hogarth nie versteckt, er hätte es auch nur bloß zu seinem Schaden thun können. Was er im Ganzen will, leuchtet sogleich beim ersten Blick ein, und das muß sein. Ohne so etwas kann kein Kunstwerk dieser Art gefallen. Kennt man aber diese, so erhöhet das Bestreben, kleine untergeordnete Schwierigkeiten aufzuklären, das Vergnügen bei der Betrachtung, das [270] jede Dunkelheit des Ganzen gänzlich zerstören würde. Man würde das Blatt wegwerfen. So stellt das Comödiantenblatt, Seite 125, schlechterdings nichts weiter vor, als die Unordnungen und lächerlichen Contraste, die sich beim Ankleiden von herumstreichenden Comödianten in einem engen Raume nothwendig ereignen müssen; um diesen Contrast desto auffallender zu machen, wählte er die Götter-Oper, worin auf dem Theater Diane den Hirsch, und hinter den Coulissen der Hirsch oft Dianen jagt. Diese Unordnungen sammt und sonders in Einem einzigen Bilde darzustellen, war der reichste Gegenstand für das Talent unseres Künstlers. Hier war sein Genie zu Hause. Wäre er gezwungen worden, sich die Flügel nach irgend einem Conventions-Fuß, oder nach einem bestimmten Thema beschneiden zu lassen, so wäre er sicherlich auf der Erde liegen geblieben. – Das war der Fall bei ihm; z. B. beim Hudibras sehr augenscheinlich. Wer also in jenem ersten Blatt noch Plan und eine bestimmte Götter-Oper wittert, ist sicherlich sehr schlecht mit Hogarths Geist bekannt. Den gerichtlichen und, wie ich glaube, gründlichen Proclamationen der Aesthetik gemäßer wäre es freilich gewesen, sich noch bei allem Gefühl und Bewußtsein seiner inneren Stärke unter den Contract zu schmiegen, den die rohe Wildheit nothwendig mit dem verfeinerten Menschen jetzt eingehen muß, wenn sie ihren Waaren auf unsern philosophischen Märkten Abgang verschaffen will. Aber das konnte der Mann nicht; er producirte bloß, wir andern mögen nun drechseln. Ein einziges Beispiel zu geben: so hat man eben dieses Comödianten-Blatt auf die Liebschaft zwischen Endymion und Dianen gedeutet, zuversichtlich, und mit der Miene der Superiorität. – Einer meiner Freunde ist jener lächerlichen Erklärung nicht mit der Miene, sondern dem Gefühl wahrer Superiorität durch eine Deutung jenes Blattes begegnet, die ich hier ganz einrücken zu können wünschte. Er hat es auf die französische Revolution gedeutet und mit einem Witze, der jener kleinlichen Machination ganz unendlich überlegen ist. Ich kann und darf nur Einiges erwähnen. Etliche der stärksten Züge zu verschweigen, nöthigen mich aber sowohl, [271] als meinen Freund, Gefühle einer höhern Art, nach welchen ein solcher Witz jetzt, öffentlich geäußert, leicht mißgedeutet werden könnte, weil Personen genannt werden müßten, die unser Mitleid um so mehr fordern, je weniger wir heute wissen, was unser eigenes Schicksal morgen sein kann.

Zuerst also die beiden Teufel an dem Altar nebst der Baßgeige und dem Medusenkopf, der alles um sich her versteinert, sind, dünkt mich, luce meridiana clarius. Den verlorenen Seehandel drücken die Wellen vortrefflich aus, die man in die Ecke geworfen hat. Katzen drehn Weltkugeln um, ohne zu wissen, was sie da machen! Bischofsmützen werden Futterale für Comödienbücher. Juwelen von Blättern füllen Malter-Körbe. Das können doch wohl nichts weiter als Assignaten auf Juwelen sein, und diesem unermeßlichen Reichthum droht ein brennendes Talglicht den Untergang. Sanscülotterie ist hier überall; sogar das einzige Paar Hosen liegt weggeworfen da. Man schneidet einer wüthenden Katze den Schwanz ab. Ist das nicht Robespierres Schweif, mit dem man jetzt beschäftigt ist. Der Dreschflegel, das heißt, der Ackerbau liegt im Winkel. Die leeren Koffer sind so klar wie was. Eine See-Göttin aus Westindien schenkt einem Sanscülotten ihren letzten Rum, und beide weinen; sie selbst ist auf das Land geworfen. Der Affe, der seine Geschichte mit dem Helm, vielleicht der Pallas, treibt, ist nicht zu verkennen. Auch das Suchen der Kleiderstücke in den Wolken hat seine Bedeutung. – So geht es durch das Ganze, und die Versammlung, worin alles dieses vorgeht, nennt sich:

Senatus populusque Romanus. u. s. w.




  1. Eine lange und enge Straße Londons, worin nicht allein das weltberühmte Theater befindlich ist, sondern wo noch außerdem Schauplätze, wie der, den das Kupfer vorstellt, zu hunderten beisammen liegen. Auf diesen werden Jahr aus Jahr ein sehr bekannte Stücke gegeben, die sich gewöhnlich mit der Krankheit des Helden, dem Drurylane-Fieber (Drurylane-Ague), aber auch nicht selten mit Mord und Todschlag endigen, gerade so wie sehr viele Stücke in ihrer Nachbarschaft – auf dem weltberühmten Theater.
  2. Die Worte heißen John Dry (?) in Drurylane. Das zweite Wort ist in unserem Codex sehr undeutlich geschrieben, doch scheint der zweite Buchstabe eher ein r zu seyn als ein e. Copieen, die wir vor uns haben, ließe sich nicht trauen, selbst wenn man wollte, denn sie haben an dieser schweren Stelle gar nichts. Wir sind daher zur Conjectur geschritten. Dry heißt im Englischen bekanntlich sowohl trocken als durstig. Ob dieses Hogarthisch ergänzt sei oder nicht, wird mit etwas Zwang leicht ausgemacht werden können.
  3. Siehe S. 133.
  4. Man hat uns versichert, daß es in London außer den gewöhnlichen Leihhäusern, da man gegen Kleider Geld geliehen erhält, auch inverse welche gebe, wo man gegen Geld Kleider borgen kann. Bloß durch diese letzteren soll das erfinderische London in den Stand gesetzt werden, seine Gassen bis an den frühen Morgen, nicht bloß mit Lampen, sondern auch mit Prinzessinnen und Staatsdamen zu illuminiren, welches vortrefflich läßt, und Nachahmung verdient.
  5. Siehe S. 153.
  6. Nicht Gonston,, wie Herr Ireland immer schreibt. Sir John Gonson war eine Magistrats-Person von großer Rechtschaffenheit, die sich vorzüglich die Unterdrückung liederlicher Häuser angelegen sein ließ. Er bekleidete die wichtige Stelle, die der berühmte Fielding eine kurze Zeit, und nach ihm dessen Stiefbruder Sir John Fielding lange, und obgleich seines Gesichts beraubt, mit großem Ruhme bekleidete. Jetzt, wo ich nicht irre, wird sie von Sir Samson Wright mit gleichem Credit verwaltet. Die Hauptbeschäftigung dieser angesehenen Person ist, Verbrecher aller Art durch ihre Leute aufsuchen zu lassen, oder, wenn sie vor dieselben gebracht werden, abzuhören, und sie, nach Befinden der Umstände, entweder auf freien Fuß zu setzen, oder für den eigentlichen Proceß in der Old Bailey in Verwahrung zu behalten: Sir John Gonson’s Eifer und Thätigkeit wurde damals in mehreren Gedichten gepriesen, darunter befindet sich sogar eine nicht übel gerathene sapphische Ode, Ad Joannem Gonsonum Equidem, von einem Herrn Loveling. Sie fängt sich an

    Pellicum, Gonsone, animosus hostis,
    Per minus castas Druriae tabernas
    Lenis incendens, abeas Diones Acquus alumnis.

    Es verdient hier noch angemerkt zu werden, daß dieses das Blatt ist, das unserem Künstler die erste, große Aufnahme verschaffte. An dem Tage, da es erschien, war nämlich gerade Session bei der Schatzkammer. Einer der Lords derselben kaufte es unterwegs, und nahm es mit sich dahin. Die übrigen wurden so durch die große Aehnlichkeit Sir Gonsons frappirt, daß sie nach der Sitzung sämmtlich hingingen, und das Werk kauften, und so war Hogarth’s Glück gemacht.

  7. Tom Jones Book II. Chap. 3.
  8. Vermuthlich der Rhombus der Alten, bekanntlich eine sehr delicate Fischart. Vielleicht wäre die Vergleichung mit einem Rochen schicklicher gewesen, denn unter diesen soll es gewisse Species geben, die gerade so aussehen wie die Schönen, die damit handeln.
  9. James Dalton his Wigg box heißt die Aufschrift, so wie man auch im Deutschen im gemeinen Leben wohl sagt, Dalton seine Perücken-Schachtel. Es sollte Wig box heißen. Vermuhtlich rührt der Fehler wider die Orthographie nicht von James Dalton, sondern von Hogarth her. Seine Blätter wimmeln von dergleichen Unachtsamkeiten. Wir zeigen bei dieser Gelegenheit gleich noch zwei auf diesem Blatt an: unter dem einen Portrait muß Mac statt Mack, und unter dem andern Sacherevel statt Sacheveral stehen. Wir haben indessen alles in unsern Copieen treulich beibehalten, weil doch ein so verschmitzter Mann, wie Hogarth, hier und da wenigstens etwas darunter gehabt haben konnte. Denn von dieser Art ist unstreitig die Adresse an dem Halse der Gans auf dem ersten Blatt.
  10. Wer die Geschichte dieser merkwürdigen Völker noch nicht kennt, oder sie kennt, und jetzt etwa Neigung haben sollte zu ihnen zu gehen, wird die nöthige Auskunft finden in des berühmten Chirurgus und nachherigen Schiff-Capitäns, Lemuel Gullivers Reisen, im 4ten Theil.
  11. M’ Heath ist bekanntlich der Held der Bettler-Oper.
  12. Eine der neuesten Schriften, worin man diese Geschichte kurz und gut erzählt lesen kann, sind die Memoirs of the king of Great Britain, of the House of Brunswic-Lunenburg by W. Belsham. London 1795 II. Vol. 8vo. I. p. 60 u. s. w.