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Der Weg des Liederlichen. Drittes Blatt

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Der Weg des Liederlichen. Zweites Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Der Weg des Liederlichen. Drittes Blatt
Der Weg des Liederlichen. Viertes Blatt
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Der


Weg des Liederlichen.


Drittes Blatt.
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DER WEG DES LIEDERLICHEN.
THE RAKE’S PROGRESS.
III.

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Der Weg des Liederlichen.


(The Rake’s Progress.)




Drittes Blatt.


Die größten Naturforscher, zumal die Chemiker, wollen bemerkt haben, daß der Mensch und alles was Odem hat und ihn fein lange behalten will, diesen Odem am besten aus einer Mixtur schöpft, aus einem Theile Lebens- und drei Theilen Todes-Luft. Das ist sehr merkwürdig. Denn steckt man den Menschen ganz in letztere, so kann man ihn nur gleich wieder herausholen; es ist nichts weiter mehr mit ihm anzufangen. – Er ißt nicht mehr. Bringt man ihn hingegen ganz in erstere, – o! da flackert das Leben hoch auf, mit sechsfacher Klarheit, die Jugend glüht auf seinen Wangen, und verdaut in seinem Magen mit sechsfacher Kraft, aber es geht schnell, und man fürchtet, man fürchtet, wenn’s lange so fortginge, das – ewige Leben. Wie weislich hat [380] daher nicht der Himmel der Luft des ewigen Lebens in unserer Atmosphäre die dreifache Portion Todes-Luft zugesetzt! Ohne diesen Dämpfer möchten wohl die meisten Pflänzchen durch allzu geilen Wuchs am Tage der Ernte mehr in das Bund, als in den Scheffel geben. Ich glaube daher, daß ein gründliches Werk über die Dämpfer bei unserm jetzigen Treibhaus-System in der Erziehung von unendlichem Nutzen sein würde. Jetzt ist viel zu viel Treibstoff darin. Wie erzieht uns denn der Himmel? Bestünden wir bloß aus Seele, so würden wir alle zu Bet-Brüdern und Schwestern aufschießen, die am Ende weder für den Himmel noch die Erde taugten, allein die bekannten fünf Dämpfer machen, daß der Geist zwar etwas langsamer fortrückt, aber dafür auch am Ende sich in beiden Climaten darf sehen lassen. Wozu dieses alles? Wozu? Ich sollte denken, die Anwendung fiele in die Augen. – Auf dem zweiten Blatt stand Rakewell im Treibhause, und hier sitzt er im Dämpfer. Er hatte heute gefochten, getanzt, und zwar bloß mit dem Tanzmeister, er hatte Clavierstunde, eine auf dem Waldhorn und eine mit dem Kunstprügel; er hatte eine Vorlesung angehört und eine Menge häuslicher Geschäfte abgethan. So etwas will Ruhe haben, worin der Geist Zeit gewinnt, sich wieder für den Morgen zu spannen, und diese findet er hier; freilich auf eine etwas eigene Weise, aber das geht uns nichts an, das ist Sache des Geschmacks. Es hat ehemals Menschen gegeben, die sich von dem schwersten aller Geschäfte, dem Regierungs-Geschäfte, auf diese Weise erholt, und sogar wieder zu den Sorgen für ganze Länder gespannt haben.

Hier ruht also der thätige Mann in einem Gasthofe aus. Ob es ein natürliches Bordel ist, oder ein ex tempore selbst gemachtes, weiß ich nicht. Es ist gleichviel; wahrscheinlich ist es aber das Letztere. Mit Geld läßt sich in London aus jedem Zimmer Alles machen, Bibliothek, Bildergallerie, Museum oder Harem, und das in kurzer Zeit. Rakewell hat hier für sich und einen Freund das Letzte gewählt. Die [381] Besatzung ist, wie man sieht, von fast orientalischer Stärke, nämlich, die kleine Kröte mit der Ballade an der Thür, die offenbar nicht herein gehört, abgerechnet, zehn Mädchen gegen zwei Männer, eigentlich jetzt bloß noch zwei Mann[1]. Es ist fürchterlich hergegangen, und das etwas lange, denn das Licht, das uns hier leuchtet, kann nicht von den vier Flämmchen im Hintergrunde herstammen. Der Tag ist angebrochen und spiegelt sich in den Bouteillen, und das ist für uns sehr gut, denn ohne seine Beihilfe würden wir kaum die Hälfte des Schreckenssystems erkennen können, das hier geherrscht hat, und noch herrscht. Dieses Blatt mögen diejenigen beherzigen, die das Landleben bloß aus Schäfergedichten kennen.

Da sitzt Er nun, oder das Wenige, was noch von ihm übrig ist; fürwahr sehr wenig. Von sechs Sinnen, die er mitbrachte, ist fast keine einzige Nummer mehr da, und die Restchen der nicht ganz entwichenen sind gar der Rede nicht mehr werth. Die Kleider, so wie die Glieder, hängen nur noch lose um ihn und an ihm, und folgen bloß dem Gesetze der Schwere. Der linke Strumpf hat bereits die tiefste Stelle erreicht, und bei dem ersten Ruck werden die Beinkleider dem Beispiele folgen, und dann vermuthlich der Herr selbst hintendrein. Allem Anscheine nach, hat er wirklich schon einen kleinen Kampf mit den Gesetzen der Schwere bestanden, wobei der Stuhl hinter ihm den Rücken zerbrochen hat. Welche Seligkeit in diesem Gesichte! Der ganze kümmerliche Rest von Zeichensprache, die noch um diese Lippen schwebt, scheint bloß gesammelt, um dem Beobachter das unbeschreibliche Glück der Sinnlosigkeit begreiflich zu machen. An der Seite hängt der Degen neben der Scheide und mit ihm im Kreuze, also schon vorbereitet, sich [382] in dieser Verbindung über das Cadaver des Helden als Ehrenzeichen zu legen, so bald er sich zur Erde bestatten wird.

Unmöglich können wir ihn so ruhen lassen, ohne einen Blick auf seine Thaten zu werfen, und dieses führt uns auf eine nähere Beleuchtung des Schlachtfeldes. Neben ihm auf der Erde liegen Siegeszeichen, die Laterne des Nachtwächters, eigentlich der Wache, neben ihrem officiellen Quarterstaff, und das ist so ehrenvoll, als läge die Wache selbst ausgestreckt da. Figg’s Zögling hat sich brav gehalten. Gleich dabei, und fast unter der Degenspitze, liegt, durch sie gefallen, das Größte, was durch den Degen eines Helden fallen kann – Julius Cäsar’s Kopf. Ein zweiter Kaiserschnitt (sectio Caesarea) legte den Herrn der Welt hier in den Staub, mitten unter zerbrochenen Gläsern, geheimen Pillen und Trümmern der Hornleuchte. Rakewell kam nämlich in seinem Taumel (und das ist die beste Zeit dazu) auf den Gedanken, die römische Republik wieder herzustellen, und fiel daher mit seinem Jacobiner erbärmlich über den Kaiser-Zodiakus des ersten Jahrhunderts her, der dort oben an der Wand prangte. Die Ordnung der Zeichen in demselben ist, wie man sieht, ganz nach dem System der Stube, und ihrer Mobilien und Moventien:

Sunt: Aries, Cancer, Virgo, Gemini, Leo, Taurus etc.

Die Tyrannen sind auch wirklich, so weit man sie sieht, alle geköpft, Nero ausgenommen! das war ein Herr Bruder, ein wahrer Teufelskerl, der hatte Kopf, und den sollte er auch behalten. Den Uebrigen scheint Hogarth statt der lästigen Regierungsköpfe, die sie hatten, einige leichtere zum Privatgebrauch aufgesetzt zu haben. Es läßt nämlich, als wären die leeren Räume Köpfe, oder umgekehrt. Es mag in Rom auch oft der Fall gewesen sein. August streckt eine ganz beträchtliche Zunge heraus, vielleicht gegen die arme Republik! Vitellius (Vitelius schreibt Hogarth) sieht nun, auf unserer Copie wenigstens, durch Perücke und Krägelchen wirklich respektabel aus, und der ehrliche Vespasian trägt [383] einen Schweinskopf. Hielt ihn Hogarth etwa für den Zerstörer Jerusalems[2]?

An Cäsar’s Stelle (und wirklich hing auf den ersten Abdrücken Cäsar hier) hat man einen derben, vierschrötigen Herrn der Welt eingesetzt, der seinen Platz füllt. An einer solchen Figur hat denn doch der orbis terrarum etwas, woran er sich halten kann. Der Mann heißt Pontac, und soll, nach Herrn Ireland’s Versicherung, ein Koch von Ruf (an eminent Cook) gewesen sein. Ein Deutscher hätte eher auf einen Brauer gerathen. Vielleicht auf einen niedersächsischen Pontac-Brauer. Der Anonymus weiß nicht recht, was er aus dem Wanste machen soll, muthmaßet aber, es könne irgend ein famöser H . . . .-Wirth der damaligen Zeit gewesen sein. Also ist es gar der Herr Wirth von dieser Schenke selbst, den Rakewell an Cäsar’s Stelle setzte:

Tyran, descends du trône, et fais place à ton maitre.

[384] In einem Fabel-Buche mit Bildern könnte es auch Klotz I vorstellen, welchen Jupiter in den Sumpf warf, als man ihn um einen König bat; auf diesen folgte sodann Storch I, Storch II u. s. w., von welchen Sueton das Weitere erzählt.

Der Spiegel, das Universal-Porträt aller Anwesenden, ist gleichfalls durchgehauen, vielleicht war das ein Selbstmord in effegie von Rakewell’s Schwerte verübt. Die Speisekammer hat man in dem allgemeinen Tumult, in der Eile, in einem Winkel linker Hand angelegt, der, wie man sieht, schon besetzt war. So etwas thut nie gut. Es entsteht auch da Tumult. Der erste Besitzer, ein Topf, mit dem überhaupt wenig Umstände gemacht worden, und der selbst sehr oft gar keine macht, gießt seinen ganzen Ueberfluß über gebratene Hühner mit der Gabel noch in der Brust, abgerissene Hühner-Schenkel und Teller und Citronen, und Creme-Gläschen unerbittlich aus, und behauptet den Platz. Das spanische Rohr ihres Herrn liegt zerbrochen mit seinem Halsbändchen darneben, und gebietet nicht mehr. Im Vorgrunde liegen Frauenkleider von der tiefsten Schälung (man hat es sich hier sehr commode gemacht), sie erstrecken sich bis zu den Kaiserköpfen, und hängen durch diese mit den gemeinen Pillen zusammen; u. s. w. Alle sichtbaren Stuhllehnen sind zerbrochen.

Dieses wäre kurz der Kreis der Verwüstungen der todten Natur. Nun ein Paar Blicke auf die unter den Lebendigen. Stumpfheit und Erschlaffung haben hier im Aeußern, wie gewöhnlich, etwas von der Form der Nüchternheit, und in der Anordnung der Körper überhaupt ist wenigstens malerisches System. Eine Linie durch die schwebenden Köpfe um den Tisch gezogen, steigt von der Rechten zur Linken allmählig auf, und kehrt von einem geschorenen Kopfe wieder nach der Linken abwärts mit gleicher Neigung gegen den Horizont zurück. Man hat seine ersten Plätze so ziemlich wieder. Das ist aber auch hier die ganze Methode, und diese hat die Form des Tisches allein bewirkt. So etwas vermögen Tische wohl; sie arrangiren, was sonst nicht zu arrangiren [385] gewesen wäre, unterstützen physische Distanz, und gewähren den An- und Um-Sassen Sicherheit, durch steife Neutralität, wo ein Paar Zolle weniger Holz Mord und Todschlag erzeugt haben würden. So geht es überall. Es läßt sich mit der Landcharte erläutern.

Dem schwarzen Federhute unsers Helden nähert sich ein weißer sehr vertraulich. Es sind freilich blos Hüte. Aber gewiß hat das Mädchen dieser Anordnung ihren Sieg vor so vielen Schwestern mit zu danken. Es geht vermuthlich Alles in eine Kasse, aber Sie war es doch. Rakewell liebt die Federhüte, setzte nun ein Mädchen hier auch einen auf, und oben drein weiß gegen schwarz, so heißt doch dieses für Jeden, der lesen kann, deutlich: Ich und Du, und das ist mehr als die Hälfte des Sieges. Mit der Rechten greift sie nach seinem Herzen, nach dem Puls an der Quelle. Die Attaque ist aber eine falsche. Der eigentliche Angriff ging auf einen andern Puls, die Taschenuhr, und diese wird auch, während ihr Auge scharf Wache hält, sicher an das Hintertreffen abgeliefert. Die Uhr weist auf drei. Das wäre selbst für den höchsten Sommer etwas früh für so vieles Licht, als hier leuchtet, und das keinen andern Quell haben kann, als den Tag. Doch das hat keine Schwierigkeit. Es ist eine bekannte Erfahrung: wenn sich Menschen nicht mehr nach ihren Uhren richten, so richten sich die Uhren nach ihnen. Unordnung hat den Vortheil, daß man aus ihr Alles erklären kann. Herrlich ist die Gleichgültigkeit ausgedrückt, womit die Arriere-Garde die Beute aufnimmt. Man sollte hinter diesem Gesichtchen kaum so viel Bekanntschaft mit dem Verbrechen vermuthen. Ihre Rechte, den Ellbogen auf die Stuhllehne des Besiegten gestützt, nimmt die Uhr auf, als wäre es eine Seifenkugel, und sie ist willens, noch vor der Ablieferung an die Schatzkammer, eine Zeit lang damit zu tändeln, und das so nahe an Rakewell’s Ohren. Sie muß wohl wissen, wie solche Ohren an solchen Köpfen gehen. Daß sich Hogarth etwas auf dieses Gesichtchen eingebildet haben mag, sieht man wieder aus dem angebrachten Contraste, wodurch er es hervorzurücken sucht. [386] Hier ist wieder britisches Milch und Blut auf afrikanischen Kienruß getragen[3]. Wie der kleine schwarze Satan dahinter nicht wetterleuchtet! Es sind die lebendigsten Augen auf dem ganzen Blatte. Sie schlagen eigentlich in der Gegend der blanken Schüssel an der Thüre ein, wo ein Mädchen in der Stellung des Trompeters auf dem zweiten Blatte, eine äußerst unzüchtige Ballade, the black Joke (der schwarze Spaß), abplärrt. An diesem Gesange scheint die Hexe Vergnügen zu finden. Freilich, man ist auch schwarz, und liebt außerdem auch wohl einen Scherz unter andern Farben. Sie bringt den Finger gegen den Mund, wahrscheinlich sollte es aus einem Rest von weiblicher Schamhaftigkeits-Ziererei die ganze Hand sein, die sie aber auf halbem Wege hier unnöthig fand.

Gleich dabei sind am Tische zwei weibliche Drachen-Köpfchen merkwürdig, wovon das eine Feuer, das andere verpesteten Wein speit. Vermuthlich schlugen sie sich vorher bloß auf den Zungen-Hieb, oder hatten ihre Gewehre bloß mit Segens-Partikelchen geladen; nun aber, da der Sprachschatz verschlossen ist, greifen sie nach solidern Waffen. Die eine nach dem Messer, und die andere nach der Feuerspritze. Vielleicht bat die brennende von beiden bloß die löschende, die Nymphe des Quells, um einen Trunk, der jener fehlt; diesen sendet sie ihr auch in Strahlenform zu, und sichert dabei den Quell selbst mit beiden Händen. Einige Zolle weniger Holz am Tische, hätte große Dinge bewirken können. In der Mitte zwischen diesem kriegerischen Paare, da, wo sich die Pyramide der Gruppe zuspitzt, befindet sich ein höchst friedliches. In dem bedeutungsvollen Gesichte des Mädchens kann selbst der Nebel des Weins den matten Schimmer eines andern Feuers nur kaum verhüllen. Sie scheint ein erschlafftes Lappenmaul von einem Kerl berücken zu wollen, auf eigene Rechnung, und daher vermuthlich mit schlechtem Erfolg. Die [387] Scene liegt außerhalb der Gränzen unserer Blätter. Die beiden übrigen Figuren am Tische sind sehr verständlich. Sie stellen das Mechanische in den Trinkkünsten auf einer der ersten Staffeln ihrer Fortschritte und auf der letzten vor. Die eine, rasch und munter, trinkt noch mit der Linken allein, indem sie in der herabhängenden aber nicht erschlafften Rechten die Bouteille mit Anstand hält. Sie greift das Glas noch mit der bekannten Zierde, wobei der kleine Finger, als wäre es eine Prise, nicht mit anfaßt. Die andere trinkt schlaff und überfüllt, mit beiden Fäusten, und kann nicht mehr. In jener glaubt man den Dichter Griechenlands zu sehen, der beseelenden Chier und Begeisterung in starken Zügen, aber immer mit Grazie einzieht; und in dieser einen der Unsrigen, der den Kübel seines Verlegers mit viel versprechendem Hub ansetzt und dabei das schwere Doppelbier, noch zum Glück für seine Leser, zur Hälfte in die Hosen gießt.

Im Hintergrunde steht noch ein Mädchen in einer bedeutungsvollen Verrichtung begriffen. In der Hand hält sie ein Licht, und ist offenbar beschäftigt, etwas damit anzuzünden, und dieses etwas ist nichts Geringeres, als das ehemalige Eigenthum der hellen Köpfe dort oben an der Wand, nämlich der Orbis Terrarum selbst; TOTUS MUNDUS. Daß Hogarth zu diesem Geschäfte eine H . . . gewählt hat, zeugt von dessen großer Bekanntschaft mit der alten Geschichte und den frühsten Denkmälern der erhabensten Dichtkunst. Vielleicht steckt noch mehr dahinter. Einer von Hogarth’s Commentatoren hilft sich hier sehr kurz. Er glaubt, das Mädchen habe sich von der Gesellschaft zurückgesetzt gesehen, und zünde daher aus Wuth die Welt an, wenn sie auch gleich mit verbrennen sollte. Was das für ein Witz ist, und für eine Divinationsgabe, und für eine Aneignung von Hogarth’s Laune! Warum nicht lieber das Haus des Monsieur Pontac schlechtweg angesteckt, und das Licht gerade unter die Treppe gehalten? Nein! wenn diese Handlung, außer dem ganz planlosen Hang des betrunkenen Menschen, Zerstörungen anzurichten und sich darin behaglich zu finden, noch eine Bedeutung hat, wie ich glaube, so hat sie gewiß eine tiefere. Vielleicht ist folgende, wo nicht die wahre, doch [388] wenigstens eine, Hogarth’s Genie angemessenere, als jene. Wer eine Landcharte (von Ländern selbst ist hier die Rede nicht) ganz unallegorisch anzünden will, fängt in dubio, wenn sie an der Wand hängt, mit dem untern Rande an. Dieses thut aber das Mädchen nicht, ja sie scheint vielmehr einen besondern Fleck der Charte, mit einiger körperlichen Anstrengung, und wohl gar auf den Zehen stehend, aufzusuchen. Nun ist, wo ich nicht irre, dieses Fleckchen gerade vor der östlichen Küste von Amerika, von welcher bekanntlich die Spanier eine Waare nach Europa gebracht haben, mit welcher diese Mädchen bis auf diesen Tag eine Art von Schleichhandel treiben. Was man also hier für ein Anzünden hält, könnte wohl gar ein bloßes Beleuchten oder ein Aufsuchen des Hauptcomtoirs aus mercantilisch-geographischer Neugierde sein? Gewiß nicht. Schierlich zündet sie, weil sie selbst ein naher Bankrot im Handel drückt, die Welt in effigie an der Stelle an, wo die ehemalige amerikanische Compagnie sie zuerst in natura wirklich ansteckte und ein Feuer anzündete, das man jetzt durch Amalgamation löscht[4]. Diesen Weltbrand begleitet Hogarth mit einem, allenfalls zum Abläugnen, etwas versteckten Muthwillen, also gerade der gefährlichsten Art für einen Ausleger. Hinter der Thüre steht nämlich ein blinder Harfenspieler, auf dessen Harfe, drollig genug, der König David, den Hogarth gern in üble Gesellschaft bringt[5], wieder mit einer Harfe hingepflanzt ist. Hier sitzt er also unmittelbar vor dem Nero, und da kann man sich kaum, wenn man Hogarth’s muthwillige Laune kennt, des Gedankens erwehren, er habe ihn dahin gesetzt, zum Brand der Welt Musik zu machen, wie jener zu dem von Rom.

Die Mamsell, die da im Vorgrunde ihre Toilette zu machen scheint, ist ein unter dem Namen der Posituren-Macherin (the posture-woman) [389] sehr berüchtigtes Mensch der damaligen Zeit. Sie hieß, wie Trusler versichert, Aratine (vielleicht Aretine). Eigentlich kleidet sie sich aus. Sie ist willens, ihre Künste zu zeigen, und sich zu dem Ende in der Tracht des Huhns mit der Gabel in der Brust, als lebendiges Gericht, auf die Tafel bringen zu lassen. Die Schüssel, die dort zur Thüre hereingebracht wird, und in welche der Pavian, der sie bringt, hinein leuchtet, um das Schauspiel anzukündigen, wird die Drehbühne sein, auf welcher sie figuriren wird. Das ist allerdings abscheulich. Aber würde der Mensch viel dadurch gewinnen, wenn er der Fähigkeit beraubt würde, zuweilen so unter das liebe Rindvieh hinab zu sinken? Daß sich in den Schmutzwinkeln der großen Städte hier und da ein Ungeziefer erzeugt, das in solchen Bestialitäten sein Vergnügen findet, macht der menschlichen Natur bei weitem nicht so viel Schande, als ihr das Urtheil des innern Richters Ehre macht, der unbestechlich in der Brust von Millionen wohnt, und jenes Ungeziefer mit ewiger Infamie belegt. Ein gewisser Herr Pawson in England hat Joe Miller’s Späße (Joe Miller’s Jests) mit griechischen Noten herausgegeben, das ist nicht um ein Haar besser, als ein Eulenspiegel mit hebräischen. Dieses Buch fällt mir immer ein, wenn sich die Neigung bei mir regt, in diesen Erklärungen ernsthaft zu werden. Indessen, da nun hier einmal eine griechische Note steht: so kann ich unmöglich eine zweite zurückhalten, als Balsam für die Wunde, welche Aretinens Geschichte manchem zarten Organ vielleicht geschlagen haben mag. Es ist wahr, es ist eine schändliche Geschichte. Aber es ist nicht bloß der Wille der Gesellschaft, das gerupfte Hühnchen auf der Schüssel zu trillen, sondern zugleich der Wille des Hühnchens selbst, sich trillen zu lassen. Es weiß sich noch groß damit, es lebt darin und schafft sich Federn an davon. – Wie aber, wenn in den kleinen Cirkeln manches höchst christlichen Städtchens: in Zimmern, wo vielleicht, statt Pontacs, ein Ecce Homo von der Wand herabblickt, die abwesende Nachbarin, ja die abwesende Freundin selbst jeder Hülle ihrer menschlichen Schwachheit beraubt, auf das Caffeebrett gesetzt, und zur Unterhaltung der Gesellschaft, unter Damen und [390] Betschwester-Gegickel, getrillt wird, – wie da? – Oh nehmt wenigstens

das Ecce Homo weg, und hängt den Pontac auf!

Um die Schüssel steht: John Bonvine (bon Vin) at the Rose tavern Drurylane wodurch die Straße und der Gasthof bezeichnet werden, wo damals solche Orgien gefeiert wurden. Der Name Bonvin rechtfertigt die Muthmaßung wegen des Pontac. Auch der Pavian ist das Porträt eines berüchtigten Aufwärters zum Gasthofe zur Rose, der unter dem Namen Leather Coat (Leder-Rock) bekannt war. Er muß sich sehr ausgezeichnet haben, denn Fielding hatte ihn bereits im Jahr 1732 in seiner Coventgarden Tragedy unter dem Namen Leather sides auf die Bühne gebracht. Er soll eine unglaubliche Bekanntschaft mit diesem Handelsgeschäfte besessen haben, wer daher amerikanische Producte einlegen wollte, den wies er allemal an die besten Comtoire. Gewiß hat sich Rakewell an ihn gewendet.

Nicht ganz verstehe ich, was der Bediente mit der Schüssel auf der Treppe bringt oder überhaupt will, und doch steht er dort sicherlich nicht umsonst. Geht es etwa in andern Etagen in dieser Morgenstunde noch eben so zu, oder bedeutet es, daß dieses Zimmer etwas unter der Erde lag, und eigentlich ein sogenannter Keller (Cellar) war? Denn aus den englischen Küchen trägt man das Essen für die Gäste gewöhnlich hinauf, nicht hinab.

Mit Recht erinnert Nichols, daß dieses die Sitten der Zeit nicht mehr sind. Vielleicht sind die Priester und Götzen noch immer dieselben, und bloß die Liturgie hat sich verändert, oder befolgt man vielleicht Dr. Johnson’s sehr vernünftige Bemerkung[6]. Es ist gut, sagt er, daß unsere jungen Leute, wenn sie liederlich sein wollen, es wenigstens außer Landes sind, so können sie bei ihrer Zurückkunft mit einem neuen Charakter ein neues Leben anfangen. Rakewell [391] scheint hiervon nichts zu wissen; er dachte entweder, bleibe im Lande und nähre dich redlich, oder ist willens, sich außer England zu etabliren. Wo? das werden wir sehen.

Der Künstler hat dieses Blatt nicht im Spiegel umgezeichnet, und, wie mich dünkt, nicht mit Unrecht. Da Hogarth’s Zeichnungen meistens Copieen von größern Gemälden sind, so hat er sich, ohne besondere Veranlassung, nicht die Mühe genommen, sie umzuzeichnen; daher stehen oft selbst Jedermann bekannte Plätze und Straßen in London ganz umgekehrt da. Bei uns fällt nunmehr das Licht gehörig von der Linken ein, Rakewell’s Degen hängt an der Rechten, obgleich freilich hier das Kuppel so hängt, als wenn es sich gedreht hätte; die Feuerspeiende faßt das Messer mit der Rechten, und die Rockknöpfe des Mannes an der Spitze der Gruppe, sitzen ebenfalls an der Rechten. Wäre aber hier eine Uebereilung begangen worden, so wäre der größte Verlust, für den Erklärer wenigstens, die östliche Küste von Amerika. Denn im Original-Kupferstiche zündet das Mädchen das östliche Planiglobium, also die alte Welt an. Doch das ist auch wahr. Hier kann bloß die Inspection des Original-Gemäldes entscheiden.




  1. Es bedarf wohl kaum einer Erinnerung, daß im Menschenhandel zwischen zwei Mann und zwei Männer eben so scharf unterschieden wird, als im Buchhandel zwischen zwei Buch und zwei Bücher.
  2. Die Muthmaßung, daß Hogarth mit diesen Löchern nicht bloß leere Köpfe, sondern auch noch einen gewissen Charakter, woran es selbst der Leerheit nicht ganz fehlt, habe ausdrücken wollen, äußerte ich bereits im hiesigen Taschenbuche für 1785 (zweite Auflage S. 138), also eigentlich im Jahr 1784. Sie erhielt damals den Beifall eines Kenners, wurde aber von einem andern, der obendrein ein Engländer war, für unwahrscheinlich gehalten. Allein im Jahre 1792, also acht Jahre nachher, kam, in England selbst, der anonyme Erklärer auf einen ganz ähnlichen Einfall; nur hält er Vespasians Kopf für einen Fuchs-Kopf, und bringt eine Stelle bei, wo Jemand von diesem Kaiser, der den Geiz, dem er bei seinen übrigen guten Eigenschaften ergeben war, selbst als Kaiser nicht ablegte, sagte: ich sehe wohl, der Fuchs wechselt die Haare, aber nicht den Charakter. Indessen, so sehr auch dieser kleine Muthwille vielleicht in Hogarth’s Laune gedacht sein mag, so hätte er doch die Sache, ohne dem Zufall zu nahe zu treten, gewiß deutlicher und besser behandelt, wenn er diese Absicht einmal gehabt hätte. Mit etwas Phantasie sieht man leicht in jeder Sommerwolke einen Torso, und eine Silhouette in jedem Dintenflecken. Ich rechne also jetzt nicht mehr viel auf den Einfall.
  3. S. Seite 130.
  4. Einige Einwürfe, die wegen der Umzeichnung dieses Blatts gegen diese Erklärung gemacht werden könnten, werde ich am Ende dieses Capitels berühren.
  5. S. Seite 247.
  6. Boswell’s Life of Dr. J. Vol. II. p. 265.