Der gegenwärtige Stand der Naturschutzpark-Bewegung

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Textdaten
Autor: Kurt Floericke
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Titel: Der gegenwärtige Stand der Naturschutzpark-Bewegung
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aus: Kosmos – Handweiser für Naturfreunde, Bd. 6, Heft 12
Herausgeber: Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1909
Verlag: Franckh’sche Verlagshandlung
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Commons
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Der gegenwärtige Stand der Naturschutzpark-Bewegung.

Die zahlreichen Unterschriften aus der deutschen Geistesaristokratie, die unter dem Aufrufe[WS 1] zur Schaffung eines großen deutschen Naturschutzparkes im Aprilhefte des „Kosmos“ stehen und sich noch fortwährend vermehren, sprechen deutlich dafür, daß die kulturellen Führer unserer Nation sich einig sind über die Nützlichkeit, ja Notwendigkeit einer solchen Großtat auf dem Gebiete des Naturschutzes, durch die nicht nur für zahlreiche, von der modernen Kultur mit der Ausrottung bedrohte Tier- und Pflanzenarten eine letzte gesicherte Zufluchtsstätte geschaffen würde, sondern die auch im weitesten Maße zur Pflege des Heimatsinnes und damit der Vaterlandsliebe beitragen müßte und die nicht zuletzt auch der Wissenschaft zugute käme. Daß der Gedanke aber auch in der deutschen Volksseele allenthalben freudigen Widerhall findet, das beweisen die zahllosen begeisterten Zuschriften, die dem „Kosmos“ von allen Seiten zugegangen sind, selbst von Deutschen aus Nord- und Südamerika, aus Ost- und Westafrika, aus dem Orient und aus Ostasien, denn gerade der im Auslande lebende Deutsche weiß ja am ehesten die Schönheit unserer heimischen Natur, die Wunder unseres herrlichen Waldes zu schätzen und zu würdigen, weil er sie eben schmerzlich entbehren muß. Und solche Schönheit in unberührtem, jungfräulichem Zustande unter dem urwüchsigen Walten freier Natur wenigstens für kleine Strecken deutschen Landes dauernd zu erhalten, solange es noch Zeit dazu ist, das ist gewiß eine große, edle und lohnende, wenn auch unendlich schwierige Aufgabe. Wenn z. B. die Primaner eines kleinen sächsischen Gymnasiums die für ihre Verhältnisse gewiß recht ansehnliche Summe von 37 Mark einschickten, wenn die Primaner des Gymnasiums in J. sich von ihrem bescheidenen Taschengeld zugunsten des Naturschutzparks monatlich je 50 Pfennige absparen, wenn eine Lehrerin in Wien unter den Schülerinnen der untersten Volksschulklasse einige Kronen sammeln konnte, wenn unbemittelte Schreibmaschinenfräulein wenigstens die Arbeitskraft ihrer Mußestunden dem großen Unternehmen unentgeltlich zur Verfügung stellten, so spricht dies alles wohl mit unverkennbarer Deutlichkeit dafür, daß das deutsche Volk weiß, was es an einem solchen Parke haben würde, und daß es auch Opfer dafür zu bringen bereit ist. Je zahlreicher und allgemeiner nun die Beitrittserklärungen und die Spenden Einzelner einlaufen, die natürlich durch Lotterien, Werbemarken, Ansichtskarten, Wohltätigkeitsfeste, Agitationsvorträge u. dergl. vermehrt werden müssen, um so eher werden sich auch Behörden, Vereine und Mäzene veranlaßt sehen, uns ihre wohlwollende und tatkräftige Unterstützung angedeihen zu lassen. Darüber sind wir uns ja klar, daß wir durch reine Privatsammeltätigkeit schwerlich die immerhin umfangreichen Mittel aufbringen werden, die zur Verwirklichung so weit ausschauender Pläne nötig sind. Geeignete Mittel und Wege ausfindig zu machen, um auch die Beihilfe der Regierungen, Vereine usw. zu gewinnen, war daher mit der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung einer internen und vertraulichen Versammlung, die wir für den 23. Oktober nach München einberufen hatten.

Sie war über Erwarten gut besucht, diese denkwürdige Sitzung, die hoffentlich einen Markstein in der Geschichte der deutschen Naturschutzbewegung bilden wird, und wer die auf ihr herrschende Arbeitswilligkeit und Begeisterung für die schöne Sache selbst gesehen hat, der wird nicht länger daran zweifeln, daß das zuerst von vielen Skeptikern für unmöglich Gehaltene in absehbarer Zeit als stolz vollendete Tatsache dastehen wird. 36 Träger in der Naturschutzbewegung bekannter Namen waren aus allen Teilen [370] Deutschlands und Österreichs, z. T. als offizielle Vertreter großer und hochangesehener Vereine, zu einmütigem Zusammenarbeiten nach Bayerns schöner Hauptstadt geeilt; 20 weitere, denen berufliche Pflichten ein Abkommen leider unmöglich machten, hatten ihr Fernbleiben schriftlich oder telegraphisch entschuldigt und zugleich der bedeutungsvollen Tagung ihre herzlichsten Sympathien und Wünsche ausgesprochen. Nachdem schon von vornherein bestimmt war, daß der „Kosmos“[WS 2] als solcher zurücktreten würde, sobald das Unternehmen in sichere Bahnen gelenkt sei und greifbare Formen angenommen habe, nachdem ferner ein Zusammenarbeiten so vieler Vereine für die Dauer eine zu schwerfällige Verwaltung darstellen würde, kam man rasch zu dem Entschlusse, für die praktische Durchführung des großen Planes eine eigene Organisation zu schaffen. Diese ist also in München unter dem Namen „Verein Naturschutzpark“[1][WS 3] aus der Taufe gehoben worden, wird aus rein praktischen Gründen ihren Sitz in Stuttgart haben, aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich die Rechte einer juristischen Person erwerben, wie überhaupt der gemeinsame deutsch-österreichische Charakter des Unternehmens allzeit betont und festgehalten werden soll; an der Spitze des Vereins, dessen Satzung gleich durchberaten und in möglichst knapper und klarer Form festgestellt wurde, steht ein engerer Arbeitsausschuß von 15 und ein weiterer von 50 Personen. Vorsitzender ist Herr Gutsbesitzer Erwin Bubeck in Eschenau bei Weinsberg, stellvertretender Vorsitzender Herr Graf Karl Heinrich Bardeau in Öblarn (Steiermark), Schriftführer der Unterzeichnete, Kassenwart Herr Verlagsbuchhändler Euchar Nehmann in Stuttgart. So fern gewiß allen Beteiligten jede Art von Vereinsmeierei liegt, so ließ sich doch in diesem Falle die Schaffung einer eigenen Organisation nicht umgehen, denn nur so wird es bei der geringen Höhe des Jahresbeitrages (mindestens 2 Mk., für lebenslängliche Mitglieder mindestens 100 Mk.) möglich gemacht, daß jeder einzelne, auch der minder Bemittelte, bequem sein Scherflein beisteuern kann zur raschen Durchführung des großen und eminent gemeinnützigen Unternehmens. Am nächsten Tage hielt dann auch gleich noch der engere Arbeitsausschuß seine erste Sitzung ab, auf der u. a. die baldige Herausgabe einer zugkräftigen Agitationsbroschüre (sie steht nach Erscheinen jedem Interessenten in beliebiger Anzahl kostenlos zur Verfügung) beschlossen und für Propagandazwecke ein besonderer Presse-Ausschuß eingesetzt wurde. Glückauf!

Es hat in den vergangenen Monaten freilich auch nicht an mehr oder weniger berechtigten Bedenken gegen unser Projekt gefehlt, und sie sind teilweise auch in der Fach- und Tagespresse zum öffentlichen Ausdruck gekommen, Bedenken, denen man aber von vornherein das eine entgegenhalten kann, daß die Schaffung solcher Parke ja in Mitteleuropa überhaupt noch nicht praktisch versucht worden ist, also sich auch nicht aus Tatsachen, sondern höchstens aus grauer Theorie ein ungünstiges Urteil herleiten läßt. Und dann ist doch die ganze Sache so erhaben, so groß, so gemeinnützig, so gewaltig in ihren Folgen, daß sie unbedingt wenigstens eines ernsten Versuches wert erscheinen muß. Freilich dürfen wir nicht den ausgedehnten Yellowstonepark der Nordamerikaner als Maßstab für einen bei uns zu errichtenden Naturschutzpark nehmen, denn über Tausende von Quadratkilometern land- oder forstwirtschaftlich wertlosen Landes verfügt ja das alte Kulturland Europa nicht mehr. Und auch das wollen wir uns nich[t] verhehlen, daß die Sache Zeit zu ihrer Entwicklung braucht, daß die Segnungen solcher Parke weniger der Gegenwart als unseren Kindern und Enkeln zugute kommen werden. Immerhin werden sich solche Parke, die den angestrebten Zweck wenigstens zum größten Teile erfüllen, auch heute noch – aber es ist die höchste Zeit! – bei uns schaffen lassen, und bestimmte Vorschläge wegen geeigneter Örtlichkeiten sind ja auch in München eingehend durchberaten worden. Wenn wir trotzdem die gespannte Erwartung vieler Freunde unserer Sache, wo wohl der Park zu liegen käme, heute noch nicht durch bestimmte nähere Mitteilungen erfüllen, so hat das seine wohlerwogenen Gründe rein praktischer Art, die jedermann verständlich und gerechtfertigt finden wird. Ein sehr wichtiger Punkt bei jedem für unsere Zwecke in Betracht kommenden Gelände ist ja unbedingt seine möglichste Abgeschlossenheit durch scharfe natürliche Grenzen. Um diese zu erreichen, sind jedoch kleine, jetzt leicht zu bewerkstelligende Arrondierungsankäufe notwendig, und wenn die Örtlichkeit zu früh in weiteren Kreisen bekannt werden würde, liegt die große Gefahr nahe, daß die betreffenden Grundstücke zu Spekulationsobjekten werden und dann im Preise unverhältnismäßig in die Höhe getrieben werden könnten, was wir natürlich unbedingt vermeiden müssen.

[371] Häufig und nicht mit Unrecht ist eingewendet worden, daß ein Naturpark in den Alpen, wie wir ihn zuerst in Aussicht genommen hatten, nur den Gebirgsformen unserer Tier- und Pflanzenwelt eine sichere Zufluchtsstätte gewähren könne, nicht aber denjenigen Arten, die ihren Lebensbedürfnissen nach auf das Hügelland oder auf die Tiefebene angewiesen seien. Das ist ganz richtig, aber mutatis mutandis läßt sich dasselbe sagen auch gegen jeden anderen Park, denn umgekehrt würde z. B. ein solcher in der Tiefebene niemals die Gebirgsformen in sich schließen können. Es ist deshalb mehr und mehr der Gedanke hervorgetreten, von vornherein drei große Naturparke in Angriff zu nehmen, wovon der eine als Hochgebirgspark in den Alpen, der zweite als Park für das Mittelgebirge und Hügelland in Süd- und Mitteldeutschland und der dritte als Park für die Tiefebene in Norddeutschland gedacht ist. Einerseits würden in diesen drei Parken tatsächlich alle für uns in Betracht kommenden Tier- und Pflanzenarten einbezogen werden können, und andererseits stellt es sich – so paradox dies klingt – immer mehr heraus, daß wir aus hier nicht näher zu erörternden Gründen auch in pekuniärer Hinsicht leichter diese drei Parke ins Leben rufen können, als einen einzigen, etwa in den Alpen. Wie wir uns die praktische Ausgestaltung und Verwaltung solcher Parke denken, darüber soll später zu gelegener Zeit in dem zu schaffenden Organ des Vereins Naturschutzpark berichtet werden.

Das gleichfalls nicht selten gehörte Bedenken, daß sich in unserem hochkultivierten Mitteleuropa ein genügend großes, zusammenhängendes Gebiet überhaupt nicht mehr finden lasse oder doch viele Millionen erfordern würde, können wir zu unserer großen Genugtuung schon heute durch die hocherfreuliche Tatsache widerlegen, daß uns ein solches Gelände wenigstens für den ersten der geplanten Parke bereits unter außerordentlich günstigen Bedingungen samt den zugehörigen Baulichkeiten und Forstpersonal in Erbpacht zur Verfügung steht, und nur noch der Übernahme harrt, ein sehr umfangreiches Gelände, überreich an landschaftlichen Schönheiten, an Laub- und Nadelwäldern, Felswänden, Seen und herrlichen Wasserfällen, in stiller Einsamkeit vollkommen für sich abgeschlossen und doch leicht von der nächsten Bahnstation erreichbar, ausgezeichnet durch einen starken Wildstand wie überhaupt durch eine hochinteressante Fauna und Flora von z. T. bereits sehr selten gewordenen Arten, kurz ein Gelände, wie es passender, geeigneter und idealer für unsere Zwecke kaum denkbar ist. Zur Übernahme und Verwaltung sind nur wenige zehntausend Mark jährlich erforderlich, von denen überdies voraussichtlich ein Teil durch Subventionen gedeckt werden würde. Deutsches Volk, Volk der Denker und Dichter, Volk der Heimatsliebe und der Naturfreude: sobald diese verhältnismäßig geringfügige Summe aufgetrieben ist, ist der erste große Naturschutzpark Tatsache, und die beiden anderen werden bald folgen! Was das besagen will, weiß jeder warmherzige und aufrichtige Naturfreund. Es ist dazu nur nötig, daß der „Verein Naturschutzpark“ rasch etliche zehntausend treue Mitglieder gewinnt und darunter möglichst viele „lebenslängliche“. Sollte diese bescheidene Hoffnung nicht zu verwirklichen sein? Sollen wir uns wirklich von den als Dollarjägern verschrieenen Amerikanern nicht nur, sondern selbst von der kleinen Schweiz und dem volksarmen Schweden beschämen lassen, die sich auch schon großartige Naturparke geschaffen haben? Ich vermag es nicht zu glauben, denn ich denke dazu als unverbesserlicher Idealist zu hoch von unserem deutschen Volke. Und zu hoch auch besonders von unserer „Kosmosgemeinde“, die so oft schon erfreuliche Proben innigen Naturverständnisses und tatkräftiger Opferwilligkeit abgelegt hat. Mit ihren heute 71 000 Mitgliedern, die im nächsten Jahre sicherlich auf 80 000 anwachsen werden, stellt sie unzweifelhaft einen nicht zu unterschätzenden geistigen Machtfaktor im Kulturleben der Gegenwart dar, und ihr Beispiel wird manchen Lauen und manchen Zögernden mit fortreißen. Bei den Besprechungen in München glaubte der Vorstand des „Kosmos“ behaupten zu dürfen, daß etwa 20 000 unserer Mitglieder sich dem „Verein Naturschutzpark“ anschließen würden, womit das Zustandekommen des ersten Parks schon fast als gesichert gelten könnte. Kosmosmitglieder! Laßt das stolze und zuversichtliche Wort unseres Vorstandes nicht zu Schanden werden! Tretet Mann für Mann dem „Verein Naturschutzpark“ bei und helft uns so, einen Plan, der so schön ist, daß er zuerst vielfach als Utopie betrachtet wurde, rasch in die Wirklichkeit umsetzen! Wenn aber jedes Kosmosmitglied hier ungesäumt die Pflicht erfüllt, die jedem echten deutschen Naturfreund obliegt, dazu auch selbst noch in seinen Bekanntenkreisen weitere Mitglieder wirbt[2] und Sammlungen [372] veranstaltet, dann haben wir mit einem Schlage nicht nur einen, sondern alle drei Naturschutzparke, dann ist durch eine einzige Anstrengung, die für den einzelnen ein kaum nennenswertes Opfer bedeutet, allen unseren jetzt mit der Vernichtung bedrohten Tier- und Pflanzenarten nach menschlicher Voraussicht geholfen für lange Zeiten! Das ist doch wohl ein schönes Ziel, das sich zu erreichen lohnt, redlicher Arbeit wert, geeignet, alle für die Schönheit der vaterländischen Natur noch empfänglichen Herzen rascher schlagen zu machen, sie aufzurütteln zu entscheidender Tat.

Dr. Kurt Floericke.

  1. Satzungen und Werbematerial versendet, Auskünfte erteilt und Beiträge nimmt entgegen die Geschäftsstelle des „Verein Naturschutzpark“ in Stuttgart, Pfitzerstr. 5.
  2. Wie leicht sich Mitglieder für den „Verein Naturschutzpark“ werben lassen, beweist die Tatsache, daß eines der Vorstandsmitglieder in wenigen Tagen 200 gewonnen hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Aufruf zur Gründung von Naturschutzparken, wiederabgedruckt unter anderem in: Naturschutzparke in Deutschland und Österreich. Ein Mahnwort an das deutsche und österreichische Volk. Internet Archive; vergleiche Kurt Floericke: Umschau über die Naturschutzbewegung.
  2. Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, vergleiche w:Kosmos (Zeitschrift).
  3. w: Verein Naturschutzpark.