Des Haares Krankheiten und Pflege
Vorzeitige Grau- und Kahlköpfigkeit sind sehr häufige Leiden unserer Zeit, einer Zeit, wo man doch so oft und so viel Haare lassen muß, daß Einem die Haare zu Berge stehen könnten und daß man sich alle Haare ausraufen möchte. Aber wo die Haare zum Lassen, zum Zubergestehen und Ausraufen bei dieser haararmen Zeit hernehmen? Das ist die Frage, in der schon Mancher ein Haar gefunden hat. Beim männlichen Geschlechte müssen in der Regel die Barthaare für die Kopfhaare vicariiren, denn die Haare auf den Zähnen werden nicht für voll angesehen. Bei den Damen lassen sich allenfalls durch Häubchen oder die Frisur à la Chinoise dünne und kahle Stellen des Köpfchens maskiren. Am besten wär’s aber doch, wenn man ein brachliegendes Haarfeld so bearbeiten könnte, daß auf ihm wieder üppiges Haar wogte. Dies ist nun aber leider sehr selten zu erzielen, und es ist weit leichter, durch richtige Pflege des Haarbodens, das vorzeitige Absterben und Ausfallen des Haares zu verhüten. Deshalb geht mein Rath auch zunächst dahin, sich in Zeiten mit Haut und Haaren gehörig zu befassen, ehe man ein Grau- und Kahlkopf geworden ist.
Bei allen Haarangelegenheiten kommt hauptsächlich der häutige Haarboden mit dem Haarsäckchen, und zwar vorzugsweise der Haarkeim auf dem Boden dieses Säckchens, in Betracht, weil vom Blut dieses Keimes aus nicht blos die zellige und faserige Haarsubstanz, sondern auch die das Haar tränkende Flüssigkeit abgeschieden wird (s. Gartenlaube 1856. Nr. 1. und 1854. Nr. 44.46.). Sodann ist ferner noch der das Haar einsalbende Hauttalg und die in das Haarsäckchen einmündende Talgdrüse, sowie die sich fortwährend abschilfernde Oberhaut der behaarten Kopfschwarte nicht unberücksichtigt zu lassen. Die letztere kann nämlich am Austrittspunkte des Haares und Hauttalges Hinderniß veranlassen und so dem Haare Nachtheil bringen. - Wir könnten sonach als oberste Regel bei einer naturgemäßen Haarpflege die folgende aufstellen: „das Haar muß gehörig ernährt und richtig eingesalbt werden.“ Die Ernährung geht nun aber, wie gesagt wurde, vom Blute des Haarkeimes auf dem Boden des Haarsäckchens aus und es muß deshalb den Blutgefäßchen dieses Keimes stets die gehörige Menge und zwar guten Blutes zugeführt werden. Wer überhaupt zu wenig und krankes Blut im Körper hat, wie Blutarme (in Folge von Kummer und Elend, Gram und Sorge), Bleichsüchtige, Kranke und Reconvalescenten, oder wessen Kopfhaut durch irgend welchen Umstand (durch Druck, Spannung, Kälte, Hautentartung u. s. w.) blutarm wird, dessen Haar kann in Folge schlechter Ernährung sehr bald grau und locker werden oder ausfallen. Die Einsalbung des Haares mit Hauttalg scheint dazu nöthig, daß die Flüssigkeiten im Haare nicht so leicht verdunsten und dann das Haar austrocknet und erbleicht. Damit nun aber dieser Hauttalg, sowie das Haar selbst (mit seiner Flüssigkeit im Innern), auch ungehindert auf der Oberfläche der Kopfhaut hervortreten könne, darf die Oeffnung des Haar-Talgsäckchens nicht von Oberhautschüppchen und Schmutz (Pomate) verengert oder gar verlegt sein und deshalb ist auch das Aeußere der Kopfhaut von Einfluß auf das Gedeihen des Haares.
Ein hauptsächliches Erforderniß zum Conserviren des Haares ist hiernach die öftere Reinigung des Haarbodens (der Kopfhaut), die wenigstens jede Woche einmal vorgenommen werden sollte (noch häufiger bei Solchen, die am Kopfe sehr schwitzen) und theils im Abkämmen der Oberhautschüppchen, theils im Abwaschen der Haut mit lauem Seifenwasser bestehen muß. Das Waschen kann auch mittelst einer mäßig steifen, in das Wasser getauchten Haarbürste geschehen, und da, wo der Haarboden schwer zu reinigen ist, durch Zusatz einer kleinen Quantität Spiritus zum Wasser (etwa einen Eßlöffel auf ein Drittel Maaß) unterstützt werden. Gehen bei dieser Reinigung viele Haare aus, so muß sie in milderem Grade (mit weicher Bürste und weitem Kamme), aber öfterer geschehen. Denn man bedenke, daß jene Reinigung gleichzeitig auch einen heilsamen Reiz auf die Haut ausübt und den Blutzufluß zum Haarkeime vermehrt, wodurch die Absonderung der Haarsubstanz und Haarflüssigkeit befördert wird. Eine zu starke Reizung ist natürlich, wie alles Uebermäßige, nachtheilig; überhaupt taugt eine allzugroße Sorgfalt bei der Haarpflege nichts. Jeden Tag müssen die Haare ein- oder zweimal (des Morgens und Abends) gut durchgekämmt werden, auch ihrer Richtung entgegen, erst mit einem weiten und dann mit einem engen, sogenannten Staubkamme, und schließlich bürste man sie mit einer nicht zu scharfen Bürste tüchtig durch oder reibe die Kopfhaut mit Flanell gehörig ab. Zu starke Wärme darf übrigens ebensowenig wie zu große Kälte und schneller Wechsel zwischen Wärme und Kälte auf die Kopfhaut oft und lange einwirken, weil sonst die Ernährung des Haarsäckchens und Keimes gestört wird. Die häufigen kalten Waschungen und Uebergießungen des Kopfes sind dem Haarleben durchaus nicht förderlich. Ebenso ist das feste Binden der Haare beim weiblichen Geschlechte, sowie das zu häufige Abschneiden derselben beim männlichen sehr nachtheilig; dagegen schadet das Brennen der Haare durchaus nicht so viel, als man immer behauptet, ja, wenn es mit Vorsicht geschieht, scheint die Wärme des heißen Eisens und der sanfte Zug am Haare günstig (blutzuführend) auf den Haarboden einzuwirken. - Außer dem Reinigen des Haares und Haarbodens durch Kämmen, Bürsten und Waschen ist ein zweites Erforderniß für das Gedeihen des Haares: „die gehörige Einsalbung desselben.“ Hierzu dienen am besten die einfachen reinen fetten Oele, wie das Oliven- oder Provenceröl und das Mandelöl; sie sind den Pomaten, zumal den parfümirten und in ihrer Zusammensetzung geheim gehaltenen, weit vorzuziehen. Die Pomate hat übrigens ihren Namen von Pomata (ital. pomo, der Apfel), weil die erste Haarsalbe von einem römischen Arzte, Pittoni, mit Aepfelsaft bereitet wurde. Natürlich muß auch das Einölen des Haares mit Maaß und Ziel geschehen, und niemals so, daß die Haare wie durch Kleister zusammengeklebt erscheinen.
Betrachten wir nun die Krankheiten des Haares, so finden sich die Ursachen derselben ebensowohl in der Haut, dem Haarbalge und Haarkeime, wie im Haare selbst. Am häufigsten hört man über das Ausfallen und zeitige Grauwerden der Haare klagen. Hieran dürfte aber wohl in den meisten Fällen, abgesehen von einer mit Blutarmuth verbundenen Störung des Allgemeinbefindens, die Vernachlässigung der Haar- und Hautpflege die Schuld tragen, in Folge deren, wie oben angedeutet wurde, die Ernährung und Einölung des Haares leidet, und wodurch es dann zur Austrocknung und Erbleichung desselben kommt. Beiden Haarleiden muß sobald als möglich entgegengetreten werden und zwar dadurch, daß man die Kopfhaut öfters reinigt und mäßig reizt, [76] um den Blutzufluß zum Haarkeime zu steigern. Zu diesem Zwecke ist vorzüglich Wärme (trockne, feuchte oder in Dampfform) und Reibung (mit Flanell oder Bürste) zu empfehlen; reizende Einreibungen (Pomaten und Waschwässer, mit spanischem Fliegenstoffe oder Brechweinstein) schaden gewöhnlich mehr als sie nützen, weil sie zu leicht eine übermäßige Reizung der Haut veranlassen. Aber freilich muß jene gelinde Reizung oft wiederholt, längere Zeit consequent fortgesetzt und allmälig gesteigert werden, wenn sie helfen soll. Hilft sie dann nicht, so ist der Boden des Haares (die Haut, der Balg, der Keim) verändert, und in diesem Falle bringt kein Mittel neue Haare hervor und würde es auch noch so sehr angepriesen. Das häufige Abrasiren der Haare beim Ausfallen derselben wirkt ebenfalls als Reizmittel und zwar in manchen Fällen, wenigstens bis zum 40sten Lebensjahre, günstig, in andern aber (vielleicht wegen Uebertreibung der Haarbildung) nachtheilig.
Bisweilen tragen kleine, nur durch das Mikroscop erkennbare Pilze, die im Haarbalge wuchern, die Schuld des Ausfallens der Haare, sowie auch manche, besonders dem Kindesalter eigenthümliche Kopfausschläge Kahlköpfigkeit nach sich ziehen. Alle diese Leiden verlangen eine ordentliche ärztliche Behandlung, und zwar so bald als nur möglich nach ihrem ersten Erscheinen. - Die Brüchigkeit und Spaltung der Haare kann durch Abschneiden und bessere Ernährung derselben gehoben werden. - Der Weichselzopf, bestehend in einer Verfilzung und Verklebung der Haare (nicht blos des Kopfes, sondern auch des Bartes und der Achselhöhle), dürfte wohl stets eine Folge von Unreinlichkeit und vernachlässigter Haarpflege sein. Er kommt hauptsächlich an den Ufern der Weichsel (besonders am rechten Ufer derselben) und des Dnieper vor, und ist sehr oft mit einem Ausschlage der Kopfhaut, sowie mit Absetzung eines schmierigen übelriechenden Hauttalges verbunden. Man heilt den Weichselzopf durch Abschneiden der Haare und Waschungen des Kopfes mit grüner Seife; bei Ausschlägen nützen Fetteinreibungen.
Aus dem Gesagten wird nun hoffentlich jeder Leser leicht ersehen können, daß alle jene Anpreisungen von untrüglichen Universalmitteln gegen Kahlköpfigkeit u. s. w. nichts als Beutelschneider-Charlatanerien sind. Daß die Homöopathie gegen das Haarausfallen und die Kahlköpfigkeit eine große Menge von ausgezeichneter, innerlich in Nichts-Form zu gebrauchender Arzneimittel besitzt, versteht sich von selbst, und es bleibt nur merkwürdig, daß es unter den Propheten und Anhängern der Homöopathie noch so viel Kahlköpfe und Beperrückte giebt.