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Die Cicada (Sechste Sammlung)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Cicada
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aus: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung) S. 352-355
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Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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[352]

 Die Cicada.

     In dem Kleinesten der Schöpfung zeiget
Sich des Schöpfers Macht und Huld am größten.

     Nahe Sanct Franciscus kleiner Celle
Stand ein Feigenbaum; und auf dem Baume

5
Sang am Morgen, frisch gestärkt vom Thaue,

Lieblich die Cicada. Sankt Franciscus
Hört ihr zu an seinem kleinen Fenster,
Und verstand ihr Lied. „Hieher, o Schwester,
Rief er, komm hieher!“ und winkt ihr freundlich.

10
„In dem Kleinesten der Schöpfung zeiget

Sich des Schöpfers Macht und Huld am größten.“


[353]

     Fröhlich sprang sie von dem Feigenbaume
Auf Franciscus Finger, neigte freundlich
Sich, den hocherhabnen Mann zu grüßen,

15
Der ihr rief; er grüßete sie wieder:

„Sing’, o Schwester, wie du droben sangest,
Von des Höchsten Lobe Du die Kleinste.“

     Alsobald, (sie fühlete mit Freuden
Und mit Stolz das heilige Kathedor,

20
Wo sie stand und ihren hohen Hörer:)

Alsobald erhob in süßen Tönen
Sich ihr zirpender Gesang. Es nahten
Alle ihre Schwestern, ihre Töchter,
Schnur und Schwieger; rings auf Bäum’ und Sträuchen

25
Horchte schweigend jegliche Cicada.


     Und sie sang. Die zarten Flügel schwingend,
Ihre kleinen Beine froh bewegend,
„Wer? wer gab mir diese leichten Füße,
Zierte sie mit schönen vesten Knoten,

[354]
30
Schnell hinabzuspringen, leicht zu hüpfen

Rings von Baum zu Baum, von Zweig auf Zweige.
Augen gab er mir, krystallne Sphären,
Die sich wenden, vor- und rückwärts blicken,
Aufzuspähen alle meine Feinde,

35
Den gefräßgen Specht und Spatz und Raben.

Flügel gab er mir, ein Gold-Gewebe,
Grün und blau, in Farben seines Himmels
Und in Farben meiner Bäume spielend.
Fröhlich schwing’ ich sie, wie keine Lerche,

40
Keine Nachtigall die Flügel schwinget,

Koste Gottes Thau, den jeden Morgen
Mir, nur mir sein Finger niedertröpfelt,
Und erhebe meine Stimm’ und singe
In des Wandrers Ohr den Ton der Schöpfung,

45
Und erfrische seinen Gang. Dem Landmann

Stimm’ ich an das frohe Lied der Ernte.
„Reich, o Bruder, stehen unsre Felder;
Schön, o Schwester, dein’ und meine Auen.

[355]

Singet mit mir dankbar und zufrieden:

50
Groß ist Gott im Kleinesten und Größten.“


     Rauher pries sie jetzt in wilden Tönen,
Wie auf Kräutern sie und über Blumen
Manchen Blum- und Krautverwüster aufspäht,
Ihn mit scharfen Nägeln faßt und festhält,

55
Und aussauget ihre Beute. –


 „Schweige,
Sprach Franciscus, deine Stimme tönet
Rauh und heiser. Lerne von mir, Schwester,
Zeit ist jetzt zu singen, jetzt zu schweigen.

60
Fleuch empor, und preise mir in Zukunft

Gottes Lob, nicht deine eignen Thaten.“
„Groß ist Gott, im Größesten und Kleinsten“
Jauchzten auf die horchenden Cicaden.