Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Gudhrûnarkvidha fyrsta
Gudrun saß über dem todten Sigurd; sie weinte nicht wie andere Frauen, aber schier wäre sie vor Leid zersprungen. Auch traten Frauen und Männer hinzu sie zu trösten; aber das war nicht leicht. Es wird gesagt, Gudrun habe etwas gegeßen von Fafnirs Herzen und seitdem der Vögel Stimmen verstanden. Auch dieß wird von Gudrun gesagt:
Da sie sorgend saß über Sigurden.
Nicht schluchzte sie, noch schlug sie die Hände,
Brach nicht in Klagen aus wie Brauch ist der Frauen.
Das lastende Leid ihr zu lindern bedacht.
Doch Gudrun konnte vor Gram nicht weinen,
Schier zersprungen wäre sie vor Schmerz.
Goldgeschmückte, Gudrun zur Seite.
Eine Jede sagte von ihrem Jammer,
Dem traurigsten, den sie ertragen hatte.
„Mich acht ich auf Erden die Unseligste.
Der Männer verlor ich nicht minder als fünf,
Der Töchter zwei und drei der Schwestern,
Acht Brüder; ich allein lebe.“
So trug sie Trauer um den Tod des Gemahls,
So füllte sie Grimm um des Fürsten Mord.
„Ich habe von herberm Harm zu sagen:
Sieben Söhne sind im südlichen Land
Und mein Mann der achte mir erschlagen.
Haben Wind und Wellen gespielt:
Die Brandung zerbrach die Borddielen.
Die Holzhürde selber zur Helfahrt schlichten.
Das Alles litt ich in Einem Halbjahr,
Und Niemand tröstete in der Trauer mich.
Noch vor dem Schluß desselben Halbjahrs.
Da besorgt ich den Schmuck und die Schuhe band ich
Alle Morgen der Gemahlin des Hersen.
Wozu sie mit harten Hieben mich schlug.
Niemals fand ich so freundlichen Herrn,
Aber auch nirgend so neidische Herrin.“
So trug sie Trauer um den Tod des Gemahls,
So füllte sie Grimm um des Fürsten Mord.
„Wenig weist du, Pflegerin, ob weise sonst,
Das Herz einer jungen Frau zu erheitern.
Weshalb verhüllt ihr des Helden Leiche?“
Und wandte ihm die Wange zu des Weibes Schooß.
„Nun schau den Geliebten, füge den Mund zur Lippe
Und umhals ihn wie einst den heilen König.“
Sah des Helden Haar erharscht vom Blute,
Die leuchtenden Augen erloschen dem Fürsten,
Vom Schwert durchbohrt die Brust des Königs.
Ihr Stirnband riß, roth war die Wange,
Ein Regenschauer rann in den Schooß.
Die verhaltnen Thränen tropften nieder,
Und hell auf schrieen im Hofe die Gänse,
Die zieren Vögel, die Zöglinge Gudruns.
„Euch vermählte die mächtigste Liebe
Von allen, die je auf Erden lebten.
Du fandest außen noch innen Frieden,
Schwester mein, als bei Sigurd nur.“
„So war mein Sigurd bei den Söhnen Giukis,
Wie hoch aus Halmen sich hebt edel Lauch,
Oder ein blitzender Stein am Bande getragen,
Ein köstlich Kleinod, über Könige scheint.
Höher hier als Herians Disen.
Nun lieg ich verachtet dem Laube gleich,
Das im Forste fiel, nach des Fürsten Tod.
Den süßen Gesellen: das schufen die Giukungen.
Die Giukungen schufen mir grimmes Leid,
Schufen der Schwester endlosen Schmerz.
Wie ihr übel die Eide hieltet.
Nicht wirst du, Gunnar, des Goldes genießen:
Dir rauben die rothen Ringe das Leben,
Weil du Sigurden Eide schwurst.
Als mein Sigurd den Grani sattelte,
Und sie um Brynhild zu bitten fuhren,
Die unselige, zu übelm Heil.“
„Mann und Kinder misse die Vettel,
Welche dich, Gudrun, weinen lehrte,
In den Mund dir Worte am Morgen legte!“
„Geschweig der Worte, Weltverhaßte!
Immer den Edlingen warst du zum Unheil;
Wie sein schlimmes Schicksal scheut dich Jeder;
Sieben Königen kostest du das Leben,
Die der Freunde viel den Frauen erschlugst!“
„An allem Unheil ist Atli Schuld,
Budlis Sohn, der Bruder mein.
Des Wurmbetts Feuer an dem Fürsten ersahn,
Des Besuches hab ich seitdem entgolten,
Dieses Anblicks muß immer mich reuen.“
Es brannte Brynhilden, Budlis Tochter,
Glut in den Augen, Gift spie sie aus,
Als sie die Wunden sah an Sigurds Brust.
Darauf ging Gudrun in Wälder und Wüsten bis Dänemark, wo sie bei Thora, Hakons Tochter, sieben Halbjahre weilte. Brynhild wollte Sigurden nicht überleben. Sie ließ acht Knechte und fünf Mägde tödten. Darauf durchbohrte sie sich selbst mit dem Schwerte wie gesagt ist in dem kürzern Sigurdsliede.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied.