Die Gartenlaube (1856)/Heft 20
O Frauenliebe, Maienkraft,
Die in des Busens dunkler Tiefe
Ein reiches Frühlingsleben schafft,
Und ob sie winternächtig schliefe;
Im unbezwungnen Sehnen zieht,
Dem Sehnen leihet Feuerworte,
Dem Worte ahnungsvolles Lied.
O Frauenliebe, Sonnenlicht,
Und lange Kummernächte nicht,
Noch Winterstürme je ermatten,
Das aus dem tiefsten Herzensquelle
Wie gold’ner Sang entströmet rein,
In’s tiefste Herz uns spült hinein!
O Frauenliebe, Sonnenlicht,
Das jede Blüthe, die das wilde
Gewitterstürmen grausam bricht,
Das jeden Streit versöhnend theilet,
Das jedem Schmerze Balsam schafft
Und jede Herzenswunde heilet
Mit wunderbarer Gotteskraft!
Der uns des Lebens Herbe süßet,
O Frauenliebe, Himmelsgruß,
Der uns aus ferner Heimath grüßet
Du bist’s, die in der Sorgen Mitte
Du machst die kummerschwüle Hütte
Zum theuren heimathlichen Herd!
(Schluß.)
Viele hatten um Maria’s Hand geworben. Sie wählte einen gewissen Francesco. Es war ein guter Mensch, ein Gespiele ihrer Kindheit und der beste Freund Tonietto’s. Er gehörte zu den Wenigen, die die Aushebung verschont hatte; er hatte nie das Dorf verlassen; er wußte, daß sie keine Liebe zu ihm hatte, machte sich auch keine Hoffnung, daß das jemals anders werden könne, und dennoch hatte er sich nie entschließen können, eine Andere zur Frau zu nehmen, dennoch hatte er immer in inniger Liebe an ihr gehangen.
Maria gestand ihm aufrichtig, weshalb sie sich entschloß, ihn zu heirathen. Sie sagte ihm, daß es ihr unmöglich sei, jemals wieder zu lieben, wie sie Tonietto geliebt, unmöglich auch nur diese Liebe jemals aus ihrem Herzen zu reißen; wolle er sie aber als eine Wittwe betrachten, der man gestattet, eine erste verlorene Liebe still im Herzen zu tragen, so wolle sie ihm versprechen, ihm allein von allen Lebenden gut und ihm ein braves, treues Weib zu sein.
Mehr hatte der gute Mann nicht gehofft. Ihre Erklärung machte ihn überglücklich. Er selbst beredete Maria, die kleine Kette Tonietto’s, die sie seinetwegen ablegen wollte, auch ferner zu tragen.
Die Hochzeit wurde still und geräuschlos vollzogen. Francesco war reich. Die Summe, die er zur Hochzeitsfeier bestimmt hatte, wurde theils zur Einrichtung einer freundlichen Wohnung für die greisen Eltern der Braut verwandt, die er noch am Hochzeitstage dort einführte, theils durch mich unter die Armen vertheilt. Es war ein allgemeines, freundliches, aber prunk- und geräuschloses Fest.
Die beiden Familien – Francesco hatte noch seine Mutter – lebten in schönster Eintracht; es waren brave Leute, und kein Wort des Zwistes störte je ihre friedliche Häuslichkeit.
Vor Ende des Jahres vermehrte sich die Familie um ein Söhnchen; Alle aus einem Munde nannten ihn Tonietto. Zehn Monate später kam ein zweiter Sohn. – Maria hatte zwar ihre frühere Heiterkeit nicht wiedergewonnen; doch spielte wohl zuweilen um ihre Lippen ein süßes Lächeln, wenn freundlich ihr Blick auf ihren Kindern und ihrem Gatten ruhte.
Obwohl sie damals sechsundzwanzig bis siebenundzwanzig Jahre [262] zählte, war sie doch schöner wie je; des Abends sah ich sie manchmal in der Mitte der ehrwürdigen Alten und ihrer lieblichen Kinder; es war eine raphael’sche Madonna in der Mitte der heiligen Familie.
Aber selbst dieses halbe Glück sollte nicht dauern.
Eines Abends erging ich mich vor meinem Hause und betete mit lauter Stimme, wie das meine Gewohnheit war, das Brevier, als ich Jemand hinter mir her laufen hörte; eine wohlbekannte Stimme rief:
„Mein lieber Meister!“
Und plötzlich fühlte ich mich umarmt, und fast in die Höhe gehoben; es war schon Dämmerung, aber trotzdem war keine Täuschung möglich – es war Tonietto!
Wenn ich je an Gespenster geglaubt hätte, so hätte ich sicher denken müssen, es wäre sein Geist, und er käme, um mich für den Antheil zu strafen, den ich an Maria’s Hochzeit trug. Ich gestehe, ich war so bestürzt, daß ich, wenn auch nur einen Augenblick, so dachte. Aber die Wirklichkeit ließ keinen Zweifel übrig.
Bestürzt, vernichtet, außer mir, nahm ich maschinenmäßig Tonietto am Arme, und zog ihn ungestüm in’s Haus.
Er bemerkte den Eindruck, den seine Ankunft auf mich gemacht hatte; er wechselte die Farbe, seine Stimme zitterte:
„Mein Vater?“ fragte er, „mein Bruder?“
„Sie leben –, aber wir müssen den Greis auf diese große Freude vorbereiten –“
„Und Maria?“
„Ihre beiden Brüder fielen, kurz nachdem die Nachricht von Deinem Tode eingegangen war.“
„Und Maria?“
„Sie lebt.“
Es entstand eine Pause von etwa zwei Minuten. Ich hatte den Muth, sie zu unterbrechen.
„Hast Du denn niemals schreiben können seit sechs Jahren?“
„Ich habe sehr oft geschrieben. Aber ich fürchte, ich fürchte, Ihr habt nur meine ersten Briefe erhalten; die andern, wenigstens seit zwei Jahren müßt Ihr sie doch erhalten haben?“
„Nein, nein,“ rief ich verzweifelnd, „nein, nichts haben wir erhalten! Und seit zwei Jahren –“
Tonietto unterbrach mich:
„So habt Ihr mich seit mehr als sechs Jahren todt geglaubt? Das fürchtete ich; und dann – dann kam mir ein Gedanke, den ich verjagte, als ob ihn ein böser Geist mir zuflüsterte, ein Gedanke, der mich vor Schmerz getödtet hätte. O, froh kam ich an, als ob es möglich wäre, nach zehn Jahren noch unberührt das Glück zu finden, wie ich es beim Scheiden verließ. Armer Giovanni! armer Filippo! arme Maria!“
„Maria“ – sagte ich; ich hoffte, daß er mich fragen würde.
Aber er sprach kein Wort. Hätte es sich um Leben und Tod meines eigenen Vaters gehandelt, ich hätte es nicht aussprechen können, das ich sagen wollte: „Maria ist nicht mehr Dein.“
Endlich begann er wieder:
„Und wenn Ihr seit zwei Jahren meine Briefe erhalten hättet?“
„So wären sie doch noch zu spät gekommen.“
Und ich athmete auf, fast glücklich, daß das Wort gesprochen war. Ich erhob den Blick zu dem Gesichte des Soldaten, und, traurig zum Sterben, las ich dort alle seine Mühsale, alles Elend, alle Schmerzen, die er erduldet hatte, und es schien mir, als läse ich dort auch all’ den Jammer, den die Zukunft ihm noch bieten sollte.
Noch ein paar Minuten stand er schweigend, dann machte er ein paar Schritte, runzelte die Stirne, erhob das Haupt und sagte:
„Lassen Sie uns zu meinem Vater gehen, und dann –“
Ich folgte ihm und wir gingen zusammen bis zu seinem Hause.
Den Empfang, den Jubel seines Vaters und seines Bruders, die Thränen, die dem Soldaten über das rauhe Gesicht herabstürzten, will ich nicht beschreiben. Ich suchte Francesco auf, der es übernahm, Maria die Nachricht mitzutheilen. Wie er das gethan? Ich weiß es nicht, ich habe es nie erfahren. Das war ihr Geheimniß; niemals wurde davon gesprochen.
Drei Tage später, wie mich Francesco gebeten hatte, führte ich des Abends Tonietto hin.
Der traurigste von den Dreien schien Francesco. Maria kam uns mit dem Lächeln eines Engels entgegen. Ihr Gesicht war eigentlich weniger ruhig. Sie reichte Tonietto die Hand.
„Gott sei gelobt! Wer, bei Gott, durfte erwarten, Euch vor dem Paradiese wiederzusehen? Wir hatten keine andere Hoffnung mehr, Francesco und ich.“
Die Kniee des Soldaten zitterten; er hatte nicht die Kraft zu sprechen; er nahm die Hand Maria’s und Francesco’s, legte sie in seine beiden Hände, und küßte sie mehrmals.
Dann sah er plötzlich in einem Winkel des Zimmers die beiden Kinder; er stürzte ungestüm auf sie zu, umarmte sie leidenschaftlich wiederholt, und nahm das größte von ihnen auf seine Kniee. Das Kind sträubte sich und schrie. Maria rief ihm zu, um es zu beruhigen.
„Tonietto! Tonietto!“ rief sie.
Der Soldat machte eine heftige Bewegung. Einen Augenblick hatte er geglaubt, daß sie sich an ihn wende. Aber schnell errathend, daß man dem Kleinen seinen Namen gegeben, drückte er ihn von Neuem in seine Arme, küßte ihn, und vergrub dann sein Gesicht in den blonden Locken des Kindes, um die Thränen zu verbergen, die er nicht mehr zurückhalten konnte.
Endlich, nach und nach, wurden Alle etwas ruhiger. Francesco brachte die Rede auf Tonietto’s Erlebnisse. Er fragte ihn, wie er dem Tode entronnen sei nach der schrecklichen Wunde, die er bei dem Uebergang über die Beresina erhalten haben sollte.
Tonietto erzählte kurz und einfach. Er war nicht in die Brust getroffen, sondern nur die Schulter ihm zerschmettert worden, und bewußtlos zu Boden gestürzt, war er erst wieder zu sich gekommen, als die Russen im Begriffe waren, die Leichen zu plündern. Ihn selbst hatten sie fast nackt liegen lassen, als zufällig ein ganz junger Offizier vorüber kam, der, von seinem Elend gerührt, ihn in’s Lazareth bringen und ihm, wenn auch nicht Alles, doch wenigstens seine beiden Ehrenkreuze zurückgeben ließ, die er von da an beständig trug.
Nach einigen Monaten, im Sommer, war er geheilt. Mit einer Colonne Kriegsgefangener legte er nochmals die traurige Strecke zurück, die er schon einmal mit der flüchtigen Armee durchwandert hatte. Er kam nach Moskau zurück. Von da war er an die Grenzen Sibiriens geschickt worden.
Dort zerstreute man die Colonne. Man schickte die Gefangenen hier und dort hin; kaum einige Sous gab man ihnen, um ihr Leben so lange zu fristen, bis sie eine Stelle finden konnten.
Tonietto erhielt durch Zufall eine Stelle als Verwalter bei einem Vornehmen des Landes. Dieser gewann ihn lieb, und war ganz unglücklich, als im Anfange des Jahres 1815 die Kriegsgefangenen frei erklärt wurden.
Aber die Gefangenen hatten Sibirien noch nicht verlassen, als schon auf die Nachricht von dem Ausbruch des letzten Krieges mit Frankreich ein Gegenbefehl eintraf. Der Gutsherr war ihm nachgeeilt und hatte ihn nach seinem Schlosse zurückgebracht; aus Furcht, daß er ihm nicht nochmals entrönne, unterschlug er seine Briefe, und suchte ihm die Ereignisse, die sich zutrugen, zu verbergen.
Aber endlich hatte Tonietto Alles erfahren. Er war entflohen, und hatte sich an den Gouverneur der benachbarten Stadt gewendet.
Hier unterbrach der Soldat seine Erzählung. Ich errieth, was er hatte sagen wollen, und verstand das Gefühl, das ihn schweigen ließ. Es war offenbar die Zeit, wo er wieder angefangen hatte, zu schreiben, in der sichern Hoffnung, daß nun jedenfalls seine Briefe ankommen würden.
Er schwieg, wie es schien, heftig bewegt. Dann brach er kurz ab.
„Der Gouverneur,“ sagte er, „verzögerte meine Abreise mehr als ein Jahr lang, unter tausenderlei Vorwänden; endlich, vor sechs Monaten, ließ er mich frei. Aber während dieses Jahre langen Abwartens hatte ich die kleine Baarschaft, die ich mir in der Gefangenschaft gesammelt hatte, ganz ausgegeben; so sah ich mich gezwungen, ohne alle andern Hülfsmittel, als die den Gefangenen bewilligten Etappen, zu Fuße die Rückreise anzutreten. Meine Wunden verursachten mir entsetzliche Leiden; mehr als einmal blieb ich auf dem Wege liegen; noch mehr, mehr als einmal mußte ich meine Kreuze verbergen, und – betteln.“
Ich sah, wie er hier auf’s Neue weich wurde. Auch Maria konnte ihre tiefe Rührung kaum mehr verbergen. Ich stand daher schnell auf, nahm Abschied, und wir gingen zusammen weg.
Seitdem bemerkte ich nie mehr, weder an ihm, noch an Maria, einen zweiten Moment der Schwäche. Gewiß, sie fühlten sich [263] Beide unendlich unglücklich; aber sie trugen ihren Kummer mit starker Seele und bewundernswerther Geduld. Tonietto verleugnete nicht einen Augenblick seinen edlen Charakter. Nie hatte er gegen Francesco auch nur einen Gedanken, geschweige ein Wort des Zornes, des Neides, der Geringschätzung oder des Spottes. Ja, wagten hier und da seine Kriegsgefährten eine spöttische Bemerkung über Francesco, so war er immer der Erste, offen für ihn Partei zu nehmen.
Vor all’ diesen Ereignissen waren sie Freunde gewesen, jetzt schienen sie Brüder. Jeden Augenblick kam Francesco, Tonietto aufzusuchen und ihn mit sich nach Hause zu nehmen; gern hätte er ihn den ganzen Tag dort behalten, und gerne ihn auch allein dort gelassen, wenn Tonietto eingewilligt hätte. Aber Tonietto ging nur des Abends hin, und nur in Gesellschaft Francesco’s. Dann blieb er kurze Zeit und beschäftigte sich fast nur mit den Kindern.
Mit Maria unterhielt er sich so ungezwungen und unbefangen, daß bald Jedermann, und Francesco vor Allem glaubte, daß Alles vergessen sei; und ich gestehe, ich selbst fing an, das zu glauben.
Eines Tages jedoch kam ich auf einem Spaziergange durch das Gebirge zufällig in die Nähe eines Weinbergs, der dem Vater Tonietto’s gehörte. Wie ich aus dem, denselben begrenzenden Kastanienwäldchen heraustrete, bemerkte ich plötzlich den armen jungen Mann vor mir, der sich offenbar an diesem abgelegenen Orte unbeachtet glaubte. Er saß, die Hacke zwischen den Knien, die Hände gefalten und müßig, das Haupt schwermüthig herabgesunken. Ich blieb stehen, um ihn zu betrachten, denn sonst hatte ich ihn immer rüstig an der Arbeit gefunden. Einen Augenblick fühlte ich mich befangen; es kam mir vor, als ob ich ein Unrecht begangen, unbefugt in seine Geheimnisse eingedrungen sei. Das Herz wurde mir schwer, und ich wollte mich zurückziehen. Aber mein Fuß stieß an ein paar dürre Zweige; er hörte das Geräusch, sprang lebhaft auf und rief mich zurück.
„Ihr seid ermüdet, lieber Tonietto,“ sagte ich.
„Sehr müde, ja, in der That,“ erwiederte er; „das kömmt daher, sehen Sie, weil ich das Hacken während meiner Dienstzeit ein wenig verlernt hatte; aber nach und nach wird das sich schon wieder geben.“
Wir waren Beide glücklich, die Unterhaltung auf dieses Gebiet ablenken zu können; und nie hat man ja größern Ueberfluß an Worten über ein Thema, als wenn man fest entschlossen ist, ein anderes nicht zu berühren.
„Aber ich denke,“ sagte ich, „das hattet Ihr ja doch in Sibirien wieder gelernt, bei dem Gutsherrn, der, Gott verzeih’ ihm, so grausam Eure Correspondenz unterschlug –“
Zu spät merkte ich plötzlich, daß ich unwillkürlich auf den Punkt zurückgekommen war, den wir Beide vermeiden wollten. – Er antwortete nicht.
„Giebt es viele Trauben hier?“ fing ich wieder an.
„Ja,“ erwiederte er.
Und damit ließ er die Unterhaltung fallen. Ich war zu weit gegangen, ich hatte mich getäuscht.
„Armer Tonietto! Ihr waret immer brav und bieder, in jeder Lage des Schicksals; Ihr waret ein guter Sohn und ein braver Soldat, heute seid Ihr ein guter Bürger, und wie immer, ein guter Sohn.“
Diesmal hatte ich das Richtige getroffen; Tonietto faßte sich sogleich:
„Ja, mein Vater,“ sagte er, „so ist es. Gottes Gebot sollen wir erfüllen und ertragen, was Gott uns schickt, seien es freundliche oder trübe Stunden, Sieg oder Vernichtung, ein Ehrenkreuz oder eine Kugel in der Schlacht, und jetzt ein gutes oder ein schlechtes Jahr, eine reiche Ernte oder Dürre und Hagel. Sie sehen, jeden Tag finde ich mehr Ähnlichkeiten zwischen meiner frühern und meiner jetzigen Beschäftigung.“
„Das ist wahr,“ erwiederte ich; „ich habe auch immer gehört, daß tüchtige Landwirthe die besten Soldaten sind. Aber Ihr waret ja nicht mehr blos Soldat, Ihr wäret ja nahe daran, Offizier zu werden; und wenn die Kugeln –“
„O!“ rief er, „wenn es nur die Kugeln gewesen wären.“ – Und er stockte.
Ich hatte wieder die Narbe berührt. Gleichwohl fuhr ich fort, ich hatte meine Absicht dabei.
„Sehnet Ihr Euch nicht nach dem Kriegsdienste zurück?“ fragte ich. „Das Schwerste war überstanden als Ihr den Dienst verließt: vielleicht könntet Ihr mit Vortheil wieder eintreten.“
Nun waren wir endlich auf freiem Gebiet; er sagte mir, er habe wohl daran gedacht und sich deshalb erkundigt; er habe aber keine andere Aussicht, als wieder als gemeiner Soldat einzutreten; man habe ihm zwar Hoffnung gelassen, daß er bald Sousoffizier und vielleicht auch Offizier werden könne; aber er hatte die Kraft nicht mehr, mit dem Anfang wieder zu beginnen. Hätte der Krieg fortgedauert, so hätte er zweifelsohne auf Beförderung hoffen können, wie bei seinem ersten Eintritt; im Frieden aber schien ihm nichts trauriger als das Soldatenhandwerk. Das Garnisonleben, selbst zu Paris, und bei der Garde, schien ihm unerträglich.
Außerdem hätte er seine Orden gegen andere, mit einem andern Brustbilde, umtauschen lassen müssen, wenn er wieder Dienste genommen hätte; auch dazu konnte er sich nicht verstehen. Konnte er doch schon das nicht verschmerzen, daß er die beiden Kreuze, die er selbst in Sibirien immer offen getragen, an der Grenze Frankreichs hatte verbergen müssen.
So blieb ihm, wie er sagte, nichts übrig, als bei seinem Vater, an dessen Seite Gott ihn zurückgeführt, zu bleiben, und ihn, so lange Gott wolle, zu pflegen, wenn er auch seiner nicht bedürfe.
Dann schien er unter der Last schmerzlicher Gedanken fast zu erliegen.
„Das ist gar traurig, Herr,“ seufzte er, „mit dreißig Jahren seine ganze Vergangenheit verschwinden und wie in Nichts zerfließen zu sehen. Mit dreißig Jahren beginnt man kein neues Leben mehr!“
Er hatte Recht; ich wollte ihm nicht beistimmen, aber widersprechen konnte ich ihm nicht. Ich wollte weggehen, er nahm mich bei der Hand; um sie zu drücken, oder um mich zurückzuhalten? Ich weiß es nicht. Dann nahm er seine Hacke auf die Schulter und ging mit mir nach dem Dorfe zurück.
Seit diesem Tage suchte er mich wieder öfter auf; wir verstanden uns und hatten lange Unterredungen mit einander. Er hatte nicht die Bildung, wie man sie durch Lectüre und Studium gewinnt; aber die Erfahrung und sein bewegtes Leben hatten ihm Geist und Herz entwickelt; nie habe ich einen Mann gefunden, in dessen Gesellschaft ich mich wohler gefühlt hätte als in der seinigen.
Armer Tonietto! Jene trostlosen Gedanken verfolgten mich unaufhörlich, ich konnte sie nicht mehr los werden; und wie sehr ich sie zu bekämpfen suchte, sie erdrückten uns Beide mit der trostlosen Macht der Wahrheit: sein Vater bedurfte seiner nicht, – und: mit dreißig Jahren beginnt man kein neues Leben mehr!
Seine Schicksalsgenossen litten an demselben Uebel wie er.
Die nur fünfundzwanzig Jahre alt waren, fanden sich leicht in die neuen Verhältnisse, und dachten nicht mehr an die Vergangenheit. Aber die mit dreißig Jahren zurückgekehrt waren, waren nicht mehr im Stande, ihre Gewohnheiten zu ändern; sie wußten nichts zu thun, als sich ängstlich an die Vergangenheit anzuklammern, und unaufhörlich zu klagen über die Gegenwart. Einzelne davon verloren ganz den Muth; plötzlich starben sie hin, ohne daß sie selbst eigentlich wußten, woran sie starben; sie starben aus Langeweile und Verzweiflung.
Ich rieth allen diesen Braven, zu heirathen; und, ohne auf die zu achten, die meine, wie sie es nannten, „Manie“ in’s Lächerliche zogen, trauete ich all’ diese Vielgeprüften; fast Alle schienen in den neuen Verhältnissen, die ihnen das Familienleben bot, glücklich wieder aufzuleben. Aber was sollte ich mit Tonietto anfangen? Ich wagte nicht, ihm offen zu sagen, was ich dachte, und er kam mir in keiner Weise entgegen.
Indessen versuchte ich es wiederholt, und mit allen erdenklichen Umschreibungen. Ein Mal verstand er mich, und sofort ging er kalt und mit einem Ausdruck des Mißbehagens, wie ich nie an ihm gesehen hatte, von mir weg ; wenigstens vierzehn Tage lang konnte ich ihn nirgends mehr treffen oder sprechen.
Und von Tag zu Tage veränderte er sich mehr und mehr; er magerte ab und seine Kraft schien gleichsam zu verlöschen. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Ohne etwas davon zu sagen, ging ich nach der Stadt, und erwirkte für ihn, von einem mir befreundeten Colonel, ein Patent als Sousoffizier. Froh kündigte ich ihm den Erfolg meiner Bemühung an; aber er dankte mir mit einem traurigen Lächeln; ich sah ein, daß in seinem geschwächten [264] Körper selbst die Kraft des Entschlusses ganz erstorben war. Er fühlte wohl, daß das, was ich ihm anbot, das Beste für ihn wäre, aber es fehlte ihm der Muth, es anzunehmen.
Indessen verschlimmerte sich sein Zustand von Tag zu Tage. Niemand zwar schien es zu bemerken, außer mir, und vielleicht Maria. Dem Anscheine nach blieb auch seine Ausdauer bei der Arbeit dieselbe; er ruhte nur, wenn er sich allein glaubte; so hatte ich ihn früher einmal überrascht und überraschte ihn später häufig, in einer träumerischen, hoffnungslosen Stimmung.
Sechs Monate waren auf diese Weise verflossen; er war wie ein Skelett geworden; zu Maria ging er seltener als je.
Kaum war der Schnee ein paar Tage verschwunden, so nahm er sein Arbeitszeug und begann einen Weinbergsgraben in den Fels zu hauen ; das war damals für ihn eine furchtbare Anstrengung. Wie zufällig schickte ich den Arzt zu ihm dorthin, der sich nach seiner Gesundheit erkundigte und ihm rieth, aufzuhören und sich zu schonen.
„Lege ich mich zu Bette,“ erwiederte er, „so bin ich so gut wie todt.“
Er hatte Recht. Eine kleine Erkältung zwang ihn, das Zimmer zu hüten; und bald ergriff ihn das Fieber. Er ließ mich rufen, um ihm den letzten Trost zu bringen. Ich hörte seine Beichte, – gute, reine Seele! Dann bat er mich, Maria und Francesco rufen zu lassen.
„Wozu das?“ erwiederte ich, – „die arme Frau!“
„Sie haben Recht,“ sagte er, „sorgen Sie lieber, daß sie nicht kömmt. Ich bin ein Mann ohne Kraft; doch glaube ich, daß ich jetzt ein wenig mehr Muth haben werde.“
Am dritten Tage erhielt er die letzte Oelung. An seinem Halse fanden wir eine Flechte von Maria’s Haar.
„Nehmen Sie sie weg,“ sagte er; „vielleicht war es Unrecht, daß ich sie nach meiner Rückkehr noch getragen habe. Aber dies kleine Andenken und dies Gebetbuch, das ich von Ihnen habe, sie haben mich immer begleitet und mir in Rußland das Herz warm gehalten. Nehmen Sie es. Nehmen Sie auch meine Kreuze.“
Und er gab mir das Buch und die Kreuze, die unter seinem Kopfkissen lagen.
Eine halbe Stunde später verlor er das Bewußtsein, und ehe der Tag zu Ende ging, war er verschieden.
Maria lebte ruhig noch vier Jahre; vor sechs Monaten ließ sie mich rufen, um ihr den letzten Beistand zu leisten. Sie starb in Frieden.
Es wurde neulich eines schönen Morgens Friede in London auf den Straßen geblasen, geblasen von Trompetern zu Pferde, verkleidet wie Kunstreiter, die sich dem hohen Adel und verehrten Publikum durch solche Umritte empfehlen wollen. Außerdem werden ja auch Buden gebaut draußen in Green- und Hyde-Park, worin die Palmerston’sche Regierung dem Volke für 8000 Pfund Sterling, welche dasselbe Volk erst hat hergeben müssen, ein besonderes Friedensfest geben will. Die Budenbauer und die regierenden Verwalter des Volksfriedensfestes nehmen so und so viele Tausend Pfund für ihre Bemühungen: was übrig bleibt, kommt dem Volke zu Gute, d. h. es kommt bei diesem Feste etwa um 5000 Pfund zu kurz. Hätte man ihm das Geld gelassen, könnte es sich dauernd der 8000 Pfund und des Friedens erholen. Aber der Friede besteht bereits jetzt schon wieder aus neuen Kriegsrüstungen. Der Friede sieht schon jetzt nicht wie eine dauerhafte Arbeit aus. Die Feinde Englands, zu denen zum Theil die hochgestelltesten Engländer gehören, suchen England zu einem Kriege gegen Amerika zu hetzen. Dazu müssen die ehemaligen deutschen Bummler, Assessor Streber aus Berlin, jetzt conservativer Dictator von Costa-Rica, und der alte göttinger Student Walker, jetzt Chef der rothen Republikaner von Nicaragua, auch der unkluge und etwas ungesetzliche Irländer Crampton, den die englische Regierung als ihren Gesandten und Soldatenwerber nach Amerika geschickt hatte, herhalten. So schickt man bereits trotz aller Protestationen Truppen nach Canada und nimmt die Miene des aberwitzigsten Krieges an, um die Vergehen Crampton’s gegen amerikanisches Gesetz zu vertheidigen.
Wir kommen aus diesem Wahnsinn zu unserem Thema, der technischen und wissenschaftlichen Bedeutung von Schmiedeeisenkanonen. Deren Fabrikation, lange für unmöglich gehalten und öfter mißlungen, ist jetzt als gesichert zu betrachten. So große Massen weiches Schmiedeeisen ließen sich nicht hämmern, ohne durch die Verschiedenheit ihrer Temperatur beim Schmieden zu krystallisiren, wodurch das Schmiedeeisen die ihm eigene Textur, den zähen Zusammenhang seiner kleinsten Theile verliert und spröde wird, so daß es leichter bricht und platzt. Es war lange ein Problem der Eisen- und Waffenmeister, die Dauerhaftigkeit und Kraft kleinerer Waffen von Schmiedeeisen auch auf Kanonen auszudehnen, überhaupt, die größten Massen von Eisen schmiedend zu formen. Den Eisenmeistern von Mersey bei Liverpool gebührt die Ehre, dieses Problem zuerst gelöst zu haben. Schon 1845 wurde in der Anstalt von Horsfall eine große Kanone mit einem 13 Fuß langen und 12 Zoll im Durchmesser großen Laufe, aus welchem Kugeln von 219 Pfund Gewicht geschossen wurden, für die amerikanische Dampffregatte Princeton geschmiedet. Sie wog ohne alle Zuthat 160 Centner. Die Ausbohrung des Laufes und alle feinere Arbeit ward der größern Anstalt von Fawcelt, Preston u. Comp. in Liverpool übertragen. Sie richtet jetzt ihre Mündung gegen Feinde Amerika’s auf Brooklyn bei New-York.
Nach Ausbruch des Krieges nahm der moderne Vulkan Englands, Mr. Nasmyth, die Sache wieder auf, worüber in der Gartenlaube berichtet ward. Aber seine Riesenkanone platzte. Das Eisen war beim Hämmern zum Theil in krystallinischen Zustand übergegangen, also stellenweise brüchiger in der Textur geworden. Nasmyth behauptete nun, die Krystallisation ließe sich nicht vermeiden. Dies nahmen die Herren der Horsfall’schen Anstalt als eine Herausforderung an und gingen an ein größeres Werk als das von ihnen bereits geschmiedete. Die Schmiedearbeit zu ihrer jetzigen Riesenkanone ist vollendet. Man sah einen ungeheueren zusammengeschmiedeten, etwas kegelförmigen Eisenklumpen, 15 Fuß lang, 2 Fuß 10 Zoll im Durchmesser am dicken Ende, 23 Zoll bis zur Mündung abnehmend, 490 Centner schwer. Um die Textur des Schmiedeeisens beim Hämmern – das große Problem, zu sichern, wurden alle wissenschaftlichen und technischen Mittel und Vorsichtsmaßregeln angewandt. Man schmiedete sieben ganze Wochen lang ununterbrochen Tag und Nacht unter der Oberleitung des technischen Directors Mr. Clay. Die bearbeitete Eisenmasse bestand aus Eisenbarren, die der Länge nach an einander gelegt von dem großen Dampf-Stoßhammer zu einer einzigen fibrösen Substanz zusammengearbeitet wurden. Diese Masse wurde dann durch neue Eisenbarren, in der Quere, dann diagonal und dann wieder in der Länge angeschweißt, vermehrt und verstärkt. Bei dem ganzen Processe war es eine Hauptsorge, Stöße und Erschütterungen der Masse während des Kühlens oder während einer geringeren Temperatur zu vermeiden.
Es kam aber zuletzt immer noch auf die genaueste Durchsuchung des ganzen ungeheuern Klumpens an, ob er überall die zähe Textur des Schmiedeeisens beibehalten und nicht durch Krystallisation gelitten habe. Diese fiel durchweg zur größten Genugthuung aus und zwar beim Bohren des 131/2 Fuß langen und 11 Zoll im Durchmesser breiten Laufes. Der Bohrer brachte durchweg eine zähe, elastische Masse von Schmiedeeisenspähnen heraus, die auch unter dem Mikroskope nirgends eine Spur von Krystallisation verriethen. Die Hauptsache ist gethan und gelungen. Nur der Kaliber des Laufes muß noch erweitert und genau egalisirt werden. Die äußerliche Oberfläche zu formiren und zu poliren, ist zwar keine Kinderarbeit, aber doch mit den zu Gebote stehenden mechanischen Dampfmitteln eine gewöhnliche Procedur, nur im größten Maßstabe. Man hatte zur Vollendung dieser äußerlichen Arbeiten vier Wochen berechnet. Die vollendete Kanone [265] wird aus ihrem 350 Centner schweren Leibe mit dem 13 Zoll im Diameter messenden Laufe mit je 90 Pfund Pulver 302 Pfund schwere Kugeln 5 englische Meilen (d. h. eine ganze deutsche) weit schleudern. Den ersten Schuß aus ihr will man auf dem Schlachtfelde von – Waterloo thun. Aber wo ist Waterloo in England geblieben? – Gelingt der Schuß, wollen die Herren Horsfall dieses Stückchen in die Wirthschaft der Regierung schenken. Wird diese daraus schießen, um Crampton’s Vergehen gegen amerikanisches Gesetz damit zu rechtfertigen? Palmerston’s Regierung will es, will es hartnäckig, um zu zeigen, wie lieb ihr der Friede mit – Europa sei, um die Reste materieller Wohlfahrt und moralischen Uebergewichts vollends zu ruiniren und nichts mehr – vor Europa voraus zu haben; aber wir glauben so stark an die Bande der Interessen zwischen dem arbeitenden und producirenden England und Amerika, daß wir nicht fürchten, es könne den Müßiggängern und Doppelgängern gelingen, diese Bande zu sprengen, selbst nicht mit 302-Pfündern, von je 90 Pfund Pulver eine deutsche Meile weit getrieben.
Und so hoffen wir, daß die Riesenkanone, nachdem sie über das Schlachtfeld der Todten bei Waterloo gedonnert und in Woolwich aufgestellt worden sein wird, sich zuweilen als Schlafstelle obdachloser Armen und als Beweis, daß Schmiedeeisen zu ungeheuren, unzerbrechlichen Banden der Völker und ihrer sich austauschenden Ueberfülle von Lebensgütern nützlich, sich aber nie als Mordinstrument gegen Völker – Brudervölker – wahnsinnig und ruhmvoll erweisen werde.
Die Interessen der Völker, die fast über die ganze Erde bereits dahin zusammenlaufen und erkannt werden, lassen die Diplomaten so wenig wieder zum alten erobernden Mord und Todtschlag kommen, daß selbst der jetzt friedensgekrönte Wahnsinn des Krieges mit gegenseitiger Herausgabe des Eroberten abschloß, alle übrigen Friedensbestimmungen aber bei einer Tasse Kaffee Nachmittags viel wohlfeiler und anständiger hätten erreicht werden können. Hoffentlich haben die friedlichen, fleißigen Völker selbst ihre Diplomaten bald so weit, daß sie Jeden, der ein Gewehr gegen ein ganzes Volk abschießt, mindestens als einen eben so großen Verbrecher behandeln, als Den, der als Privatperson gegen eine andere Privatperson Pulver und Blei mißbraucht.
II.
Bulwer lebte mit seiner Gattin schon seit Jahren auf dem gespanntesten Fuße. Diesem peinigenden Verhältnisse ein Ende zu machen, reiste die Lady auf den Continent, der Gatte blieb in England! Ehe sie von einander Abschied nahmen, wurde ein Pakt geschlossen, da die Lady ebenfalls schrieb, daß keines von beiden Theilen jemals diese ehelichen Verhältnisse selbst unter dem Gewande eines Romans öffentlich berühren dürfe, widrigenfalls die gerichtliche Scheidung, ein in England verpönterer Act als irgendwo, vorgenommen werden solle. Lady Bulwer brach diesen Vertrag – indem sie den Roman: [266] „Cleveley, oder der Mann von Ehre“ schrieb. Wenn ich mich recht erinnere, beginnt die Verfasserin ihre Erzählung unter dem Motto: „Ich schreibe, was ich erlebte und im Innersten fühle!“ In dem Roman selbst erscheint eine unbemittelte Lady, die ohne Neigung an einen geizigen, kalten und stolzen Mann verheirathet wird. Trotz allen Kampfes kann die junge, täglich verletzte Gattin dieses Verhältniß der Qual nicht länger tragen. Sie gesteht dies einst einem jungen Cavalier, den sie früher liebte, und der sie noch liebt. Der Gatte erfährt diese Bekenntnisse – schwört fürchterliche Rache – verstößt sie endlich, und Cleveley, der Mann von Ehre, bietet der Verstoßenen Herz und Hand an. – Dies sind die Grundzüge des Romans.
Bulwer trug hierauf auf Scheidung an, und reiste damals mit seinem Advokaten nach Genf, wo sich seine Gattin aufhielt, um noch eine persönliche Besprechung mit ihr zu pflegen, als ich ihn in Wiesbaden sah. Ob diese Scheidung wirklich erfolgt ist, weiß ich nicht – erklärlich wurde mir aber die außerordentlich ernste, ja angegriffene Stimmung des Dichters, dem jedes Gespräch, ja jede Aufmerksamkeit lästig schien.
Drei Monate nach meinem Aufenthalt in Wiesbaden befand ich mich in Genf.
Genf zieht ganze Colonien aus allen Nationen, namentlich aus England an. Landhäuser, Villen und Schweizerdörfchen vom bunten Gemisch der Fremden belebt, – die Terrasse „La Traille“, von der man die erhabene Aussicht auf den Salève und die savoyischen Alpen genießt, – „St. Antoine“ oder „Place Maurice,“ von dem aus man den glänzenden Spiegel des Sees mit seinen lachenden Ufern und Bergen in unermeßlicher Ausdehnung vor sich sieht, – der schöne „Place de bel Air“ zwischen den Rhonebrücken und dem höheren Theile der Stadt – Alles gleicht einem englischen Park, in welchem Genf das Lustschloß ist. Ueberall die üppigste Vegetation, Wiesen, Felder, Weinberge mit lebendigen Hecken. Die Anhöhe von St. Jean, der Hügel von Saconex, Montbeillant, Rainpalais, Tour des Jardins, Cologny, Roissière und Champol, gewähren die entzückendste Aussicht. Und welch’ ein Schatz von historischen Erinnerungen! Jenes einfache Landhaus, Diotati, bewohnte Englands großer, unglücklicher Dichter, Lord Byron; am Ende des Sees, hart am Ufer, ragen aus den blauen Wogen die Zinnen des alten grauen Chillon, in dem Byron seinen Gefangenen schmachten läßt – das kleine Fernex, der Wohnsitz Voltaire’s, wo er mit seiner Nichte, Madame Denis, sein Leben zu beschließen dachte.
Ich besuchte eines Tages Coppet, wo Frankreichs großer Finanzmann, Necker, starb. – Vor seiner Büste, in tiefem Sinnen, stand eine Dame von imposantem Aeußeren. Bei meinem Eintreten wendete sie leicht den Kopf, und ich gewahrte die edelsten und zugleich stolzesten Züge, bemerkte aber auch leider, daß diese Züge stark mit weißer Schminke belegt waren. Hinter der Dame stand ein junges Mädchen, die auf eine Begleiterin schließen ließ. Wenn man eine Mappe unterm Arme trägt, kommt man selten in Verlegenheit. Ich zog deshalb meinen Bleistift hervor und skizzirte schnell den Kopf des ehemaligen Ministers, um meine Gegenwart weniger lästig scheinen zu lassen – denn die Dame wollte augenscheinlich allein sein, und doch konnte ich nicht umhin, dieselbe mit dem respektvollsten Interesse zu betrachten.
Am andern Tage, als ich aus dem Hotel trat, begegnete mir die junge Begleiterin der Erscheinung von Gestern, und gab dem Portier einen Brief. Ich grüßte unwillkürlich – es entspann sich ein Gespräch, und meine Ahnung hatte mich nicht betrogen – denn die junge Dame war eine Landsmännin, die vor einem Jahre hergekommen war, um sich im Französischen zu vervollkommnen.
Durch Empfehlung trat sie bei einer Dame vom Stande als Gesellschafterin ein – diese Dame war Lady Bulwer – und meiner kleinen Landsmännin verdanke ich die Blicke in das eheliche Verhältniß des englischen Paares, welches, wie wir hoffen wollen, bei so gegenseitigen ausgezeichneten Vorzügen, sich wieder gefunden haben möge.
Die Anhänger der Bourbonen scheinen eben so rasch an Anzahl wie an Bedeutung abzunehmen. Es war vor ungefähr zwölf Jahren noch ein ansehnliches Häuflein, das sich um den jungen Herzog von Berry schaarte. Ich bemerkte unter Anderen den alten Fürsten Polignac und den noch älteren Ms. Clevy, den Kammerdiener Ludwig’s XVI., mit dem, es kam mir etwas sonderbar vor, eine wahre Abgötterei getrieben wurde.
Der Schwäche seiner Partei bewußt, bewußt der Thatsache, daß sich in Frankreich, so sehr man auch von Fusionen sprechen mag, außer einigen alten Marquis der Faubourg St. Germain, Niemand mehr mit Wärme für die, man möchte sagen, aus der Mode gekommenen Bourbonen interessirt, hat sich auch wohl nur der Herzog, der unter dem Namen eines Grafen Chambord auftritt, mit den Orleans verbunden, oder vielmehr sich ihnen in die Arme geworfen, um nicht völlig isolirt dazustehen. Das heutige Frankreich weiß sehr gut, daß außer Heinrich IV. es den Bourbonen wenig Dank zu schulden und demnach wenig Ursache hat, sich um ihretwillen noch die Köpfe blutig zu schlagen.
Es war im Jahre 1850, als in Regensburg ein sonderbares Fuhrwerk nach dem Gasthof „zum Ritter“ umlenkte. Es war dies ein großer, hochrädriger Wagen aus dem Anfange des Jahrhunderts, in dessen Boden ein riesiger Regenschirm, mit roher Seide überzogen, eingeschraubt war. Unter diesem Wetterdache, das gegen Sonne und Regen ganz vorzügliche Dienste leisten mußte, denn das seidene Zelt überragte auf allen Seiten den Kutschkasten, saß, die übereinandergeschlagenen Hände auf einen Stock gestützt, ein ehrwürdiger Herr von siebenzig Jahren, mit südlichbraunem Teint und eisgrauem Schnurr- und Backenbart. Ohne sich eines Prophetenblicks rühmen zu dürfen, dieser Greis mit den tiefgefurchten militärischen Zügen konnte nichts Anderes als ein französischer Marschall aus der großen napoleonischen Zeit sein. – Es war Marmont, der Herzog von Ragusa, einer der besten Generale des Kaisers, leider aber auch einer der Ersten von Jenen, die ihrem Gebieter in der Stunde der Entscheidung untreu wurden. Der Marschall hat noch kurz vor seinem Tode die Motive seines Abfalls in einem Memorandum niedergelegt – im Jahre 1850 reiste er nach Regensburg, um mit dem Grafen Chambord zusammenzutreffen, der zur nämlichen Zeit im Gasthofe zu den „drei Helmen“ sein Absteigequartier genommen hatte, um dann mit seinem Gefolge und dem kleinen Rest von Anhängern nach Frohsdorf abzugehen.
Kurz nach dem Tode des ermordeten Herzogs von Berry, des Neffen Ludwig XVIII., wurde die Herzogin am 29. September 1820 von einem Prinzen entbunden. Doch weder die Schmerzen der Geburt, noch die Freude, einem Sohne das Leben gegeben zu haben, ließ sie die politischen Rücksichten vergessen, welche sie ihm als einstigen Thronerben des Landes schuldig zu sein glaubte. Sie bestand auf das Herbeirufen unbefangener und glaubwürdiger Zeugen, um die Echtheit dieses Kindes zu beweisen, und erst nachdem dies geschehen, und die Rechtmäßigkeit der Ansprüche ihres Sohnes gegen jeden Zweifel geschützt war, überließ sie sich dem wehmuthvollen Glücke, mit dem der Besitz eines Kindes sie erfüllte, dessen Vater bereits in höheren Regionen seine Heimath gefunden hatte.
Als sie Herrn Deneux, ihren Geburtshelfer zu sich kommen ließ, trat sie ihm ruhig entgegen und sagte: „Ich weiß, daß es bei schweren Entbindungen der Gebrauch ist, der Mutter auf Kosten des Kindes das Leben zu retten. Ob meine Stunde schwer sein wird – wer kann das wissen? – Aber wie dem auch sei, so vergessen Sie nicht, daß das Kind, welches ich zur Welt bringen soll, das Eigenthum Frankreichs ist, und zögern Sie keinen Augenblick, ich beschwöre Sie, und mache Sie dafür verantwortlich, es selbst auf Kosten meines Lebens zu erhalten.“ – Im Exil, im Schlosse Holyrood bei Edinburg, erhielt der junge Herzog seine erste Erziehung.
Von dem männlichen Muthe, von dem, wie uns das spätere Leben der Herzogin Berry zeigt, abenteuerlichen Wesen der Mutter scheint der Sohn nichts geerbt zu haben. – Ich sah einen großen, beleibten, blonden jungen Mann, mit kleinen sanften Augen, energielosem Munde und zurückliegendem Kinn; dazu eine starke, gebogene Nase, und man hatte ungefähr ein Bourbonen-Gesicht vor sich. Einer großen, kühnen, entscheidenden That, wie sie der vollziehen muß, wer sich ein Land, einen Thron wieder erkämpfen will, schien mir der junge Prätendent nicht fähig.
Professor R., der Architekt des Fürsten, lud mich eines Tages ein, dessen Hotel zu besuchen.
[267] Ich habe die Straße vergessen, denn Wien hat viele Straßen, wo das Palais liegt, über dessen Portal mit großen goldenen Lettern der Name „Metternich“ steht. Wir konnten nur flüchtig alle Säle durchwandern. In einem waren die Marmorbüsten fast sämmtlicher europäischer Monarchen, ein anderer enthielt Portraits, unter denen mir die Bildnisse der verstorbenen Fürstin und Wellington’s, beide von Lawrence gemalt, am meisten auffielen. Kurz vor seinem Tode hatte der eiserne Herzog dem Fürsten sein Bildniß geschenkt. In einem andern Saale, auf einer großen Tafel unter Glas, befanden sich die Orden des Staatsmannes – zuletzt trat ich auch in sein Studirzimmer, in dem der Arbeitstisch Napoleon’s stand.
Mein gütiger Führer hatte dem Fürsten zu sprechen. Wir durchschritten einen Theil des Parks, ehe wir in ein Gartenhaus im italienischen Geschmack gelangten, vor dem mehrere der seltensten Papageien in vergoldeten Käfigen prangten. Professor R. lud mich ein, mit in’s Vorzimmer zu treten, und ich hatte eben noch Zeit, durch die Spiegelscheiben den berühmten Staatsmann an seinem Pulte zu sehen, mir den Rücken zugekehrt. Ist das Metternich? dachte ich bei mir; diese aufrechtsitzende, hohe Gestalt, die ich mir klein und gekrümmt vorgestellt hatte? Ich sollte bald darauf noch mehr überrascht werden.
Das Empfangszimmer war mit Statuetten, antiken Waffen, Schilden und ausgegrabenen römischen Geräthschaften geschmückt. Ich hörte im Zimmer des Fürsten sehr laut sprechen, und unterschied natürlich dessen Stimme sehr deutlich. Plötzlich öffnete sich die Thür. „So kommen Sie doch herein“ – trat mir der Fürst entgegen. Meine Toilette, die auf einen solchen Besuch durchaus nicht gerüstet war, setzte mich einigermaßen in Verlegenheit. Der Fürst bemerkte dies, und fügte lächelnd hinzu: „ich sehe auf Dergleichen nicht.“ Die Unterredung dauerte, wie sich von selbst versteht, nicht lange, und ich durfte mich nach wenigen Minuten empfehlen.
Ueber die politische Bedeutung dieses außerordentlichen Mannes nur ein Wort fallen zu lassen, wage ich nicht. Ich will nur versuchen, den äußern Menschen zu schildern, wie ich ihn damals sah. Der Fürst ist sehr groß und breitschulterig gebaut. Sein Kopf hat einen überaus klugen und listigen Ausdruck. Der Blick des Auges verräth die durchdringende Schärfe seines Verstandes, die Linien um den Mund die nie beirrte Ruhe des Diplomaten, der einst, vielleicht noch jetzt, die politischen Fäden halb Europa’s zusammenhielt und leitete. Die Augenbrauen sind stark und hochgeschweift, die Stirn schmal und hoch, das Haar weiß und in streng-stylisirtem Schwung, wie man gewöhnlich Goethe’s Haar auf seinen Büsten sieht. So erschien mir der Fürst vor vier Jahren.
Metternich soll noch jetzt täglich gegen dreißig Briefe schreiben. Er hat wohl seit zehn Jahren keinen Fuß mehr auf die Straßen Wiens gesetzt, so daß ihn viele Wiener von Person nicht kennen würden, ließe seine ganze Erscheinung nicht etwas Außergewöhnliches vermuthen, wenn er dann und wann im Wagen gesehen wird. Die mächtigsten Herrscher, besonders der verstorbene Czaar von Rußland, unterließen es nie, in seinem Hotel abzusteigen, so oft sie nach Wien kamen und, hat man nur einmal den greisen Staatsmann gesehen, darf man überzeugt sein, daß ihn auch dann keinen Augenblick das stolze Bewußtsein seiner Weltstellung verließ.
Als der Fürst von der Flucht Louis Philippe’s hörte, soll er nur gesagt haben: „Das ist schlimm für uns.“ Als er die Nachricht vom Tode Wellington’s, seines persönlichen Freundes, erfuhr, soll er leise vor sich hin gesprochen haben: „So – – –.“ Diese stoische Ruhe, ohne die allerdings ein großer Diplomat nicht leicht denkbar, verließ ihn auch nicht in einem jüngst so verhängnißvollen Jahre. Zur herbeigerufenen Dienerschaft sagte er: „Geht, Kinder, ich kann Euch weder mehr behalten, noch schützen.“
Die Vorsehung wollte es aber anders!
Die Lauben sind wohl so alt als die erste menschliche Kultur und wurden sicher schon gezogen und gepflegt, als die Menschen das Jäger- und Hirtenleben mit dem Feld- und Gartenbau vertauschten. Sie haben sich seit Jahrtausenden in den Gärten gehalten und werden in den kleinen Haus- und Blumengärten bleiben, so lange es Gärten giebt. Nur im Park und in den Landschaftsgärten sind sie entbehrlich geworden, weil in diesen der schattige Wald selbst zu einer Kunstschöpfung zusammengezogen ist. Aber auch hier sind stille, abgeschlossene wohnlich eingerichtete Plätze angenehm und sogar Bedürfniß. Sie sind daher auch im sogenannten englischen Garten neuerlich wieder sehr begünstigt worden, werden aber zumeist mit der Architektur verbunden und an oder nahe bei Gebäuden angebracht, was ihrer Bestimmung auch ganz angemessen ist.
Wir wollen uns diese verschiedenen Lauben näher betrachten.
Die einfachste und natürlichste Laube bildet der Baum. Er ist das Urbild der Laube, die er auch vertritt, wenn gar nichts an ihm geschieht und seine Krone sich frei entwickeln kann. Man hat weiter nichts daran zu thun, als den Stamm auszuästen, um die geeignete Höhe zu bekommen und ebenfalls die Aeste auf ein Geländer zu stützen oder sie nöthigenfalls herunterzuziehen. Unter solchen Lauben-Bäumen ist es in der That am Angenehmsten, besonders, wenn man eine schöne Aussicht von dem Platze hat, die durch keine Seitenwand beschränkt ist. Die Luft ist hier auch bei großer Hitze angenehm kühl, während sie in geschlossenen, dichten Lauben oft drückend dumpf oder schwül ist. Dagegen ist man auch dem Zuge mehr ausgesetzt, und es ist immer zweckmäßig, im Rücken ein Gebüsch anzubringen oder eine förmliche Hinterwand, und wenn es sehr zugig an dem Platze ist, auch Seitenwände, wenigstens so weit der Sitz reicht, zu errichten, die aus Hecken oder einem mit Kletterpflanzen bezogenen Geländer bestehen. Auf Anhöhen mit schönen Aussichten, besonders nach Abend zu, sollte man immer solche Lauben anlegen. Sie eignen sich auch in jedes Landschaftsbild, während künstliche Lauben in manche Landschaft gar nicht passen wollen.
Eine ganz andere Art Lauben bilden die Bäume mit hängenden Zweigen, besonders die Hänge- oder Traueresche, die hängende Sophora (Sophora japonica pendula), die hängende Eberesche (Sorbis aucuparia pendula), die schwarze Schirmweide (Salix nigra pendula), die sogenannten Trauerrosen, d. h. auf hohe wilde Rosenstämme geimpfte Kletterrosen u. a. m. Läßt man diese ungehindert wachsen, so berühren die Aeste bald den Boden und bilden ein nach allen Seiten geschlossenes rundes Laubzelt. Sie haben den großen Vortheil, daß sie ein köstliches Versteck gewähren und doch nicht auffallen und dabei nach allen Seiten die Aussicht gestatten, wenn sie, wie es meistens der Fall ist, auf Rasenplätzen angebracht sind. Will man blos einen Schirm, der nach allen oder zwei Seiten offen ist, so bringt man ein Gestell an, auf welches sich die Aeste legen, und schneidet die zu tief herabhängenden alljährlich ab. Auf diese Weise kann man einen Schirm von 20 bis 30 Fuß Durchmesser aus einem einzigen Baume bilden. Diese Art Lauben sind besonders für Wirthschafts- und Gesellschaftsgärten zu empfehlen. Säulen und Gestell können aus bearbeitetem und angestrichenem oder aus noch mit der Rinde bekleidetem Holze bestehen.
Köstliche Lauben bildet der hochstämmige Baum, wenn Kletterpflanzen sich dazu gesellen, und diese Form ist unendlicher Abwechselungen fähig. Soll der Charakter des Baumes nicht geschwächt werden, so klettern die Schlingpflanzen nur am Stamme empor und verbreiten sich, wie natürlich von Ast zu Ast, so daß nach und nach eine grüne ebene Decke entsteht, aus der nur einzelne Ranken in malerischer Unordnung herabhängen. Soll dagegen mehr der Charakter der Laube hervortreten, und ein gewisser Abschluß nach Außen stattfinden, so werden in passender Entfernung vom Stamme und möglichst regelmäßige Stützen oder Säulen angebracht, an welchen die Schlingpflanzen hinaufklettern können. [268] Hierzu eignen sich ganz besonders Stämme von sogenanntem Naturholz mit rauher Rinde, am besten Eichenholz. Die Seiten bleiben ganz oder nach der Aussichtsseite offen, doch mögen sich zuweilen von den Säulen-Stämmen, namentlich, wenn diese Aeste haben, die Ranken der Kletterpflanzen gleichsam, wie eigenmächtig und des Zwanges spottend, bald tiefer, bald höher nach der Seite verbreiten.
Die Benutzung der Bäume als Lauben ist, mit Ausnahme der aus Hängebäumen, nicht häufig, und Viele mögen sie sogar nicht als Lauben betrachten, indem sie nur an die backofenförmigen, häßlichen, geschlossenen Lauben denken. Gleichwohl haben solche Schattenplätze, wie ich schon oben angedeutet, unbestreitbare Vorzüge in Bezug auf Schönheit und Annehmlichkeit, und sind auch billig herzustellen und zu unterhalten. Viel häufiger sind die aus Sträuchern und Hecken gebildeten Lauben. Ihr Urbild ist das zu einem dichten Laubdach verwachsene Gebüsch. War die Decke nicht von selbst dicht und schließend, so zog der Besucher solcher heimlichen Plätze die Aeste oben und an den Seiten zusammen und flocht die Zweige zu einer dichten Wand und Decke zusammen.
Dies waren jedenfalls die ersten eigentlichen Lauben. Man suchte darin Schutz gegen die Sonne, Regen und Wind, wohl auch ein Versteck, wie es noch heute bei Hirten, Jägern u. s. w. Brauch ist, und von Kindern so gern nachgemacht wird. Wer das Glück gehabt hat, seine Jugend auf dem Lande zu verleben, wird sich mit wehmüthiger Lust an die Zeiten erinnern, wo im Ufergebüsch oder am Bergrande verborgene Lauben gebildet wurden, die nur den vertrautesten Freunden bekannt waren. Ja oftmals ersah dazu der kühne größere Knabe die Krone einer buschigen Kopfweide oder den dichten Wipfel eines großen Baumes, brachte einen Sitz, wohl auch ein Bret zum Schreiben an, versuchte auf diesem Plätzchen, das gewöhnlich einen romantischen Namen erhielt, seine Ferienarbeiten zu machen, ohne jemals etwas fertig zu bringen, oder machte wohl gar Verse. Auch wenn der knabenhafte Jüngling schon von blauen Augen und blonden Haaren träumt und sich das Ideal der künftigen Liebe ausmalt, ist diese Laube der beliebteste und beste Ort. In den Strudel des geschäftlichen Lebens geworfen und älter geworden, belächeln wir solche Kindereien: und doch wie schön, wie glücklich war jene Zeit!
Man verzeihe diese kleine Abschweifung. Lassen wir jene Urbilder von Lauben für Kinder und Verliebte, für Erwachsene sind sie nicht, denn wir fühlen uns bei längerm Aufenthalte beengt und gedrückt. Es fehlt darin an Licht; wir sind größer geworden und verlangen einen größeren freien Raum um und über uns. Gleichwohl sind sie in gewisser Form auch im Garten, besonders in Landschaftsgärten schön. Zwei Rosenbüsche oder andere schöne Sträucher mit überhängenden Aesten nahe am Wege stehend, oben zusammengewachsen oder künstlich zusammengezogen, mit einem Busch im Rücken ohne alles Geländer oder nur einen einfachen Bogen bildend, und nicht größer als nöthig ist, um eine Bank oder einige Stühle, vielleicht noch einen Tisch hinein zu stellen: eine solche einfache Laube ist für eine oder einige Personen ein höchst angenehmer Aufenthalt. Sie muß aber unbedingt nach einer Seite offen sein und nur ein Laubdach über den Sitz bilden.
Den Wenigsten mochte diese einfache Form genügen, auch wollten sie in den in regelmäßigen Formen angelegten Garten nicht recht passen. Man verlangt eine künstlichere, mehr architektonische Form, umgab den Platz mit einer dichten Hecke und zog die Zweige oben dicht zusammen, so daß kaum ein Sonnenstrahl einfallen konnte. Damit das Ganze Form behielte, so wurde ein Holzgestell angebracht. Eine Thür war meist die einzige Oeffnung, zuweilen wurden ein Paar regelmäßig vertheilte und geformte Fensteröffnungen angebracht. Das Ganze wurde mit Bänken und Tischen versehen. Dies wurde die gewöhnliche bürgerliche Gartenlaube, gleichsam der Typus aller Lauben, wie sie uns noch allenthalben, obschon meist in verwildertem Zustande begegnen. Hören wir, welchen Genuß und Nutzen sie bringen: In den ersten Jahren der Anlage, wenn die Hecken von Linden, Weißbuchen etc. noch dünn sind, und das Lattendach vielleicht mit Feuerbohnen, Winden oder Kürbis bedeckt ist, setzt man sich oft hinein, beklagt aber, daß sie bei Sonnenschein nicht schattig genug sei, und freut sich auf die Zeit, wenn sie erst ganz dicht sein wird. Die Laube wird dicht, endlich wölben sich die Aeste zur Decke wie ein Backofen zusammen und kein Sonnenstrahl dringt mehr durch. Der Gartenbewohner Wunsch ist nun erfüllt. Gleichwohl bleibt Niemand lange darin, man trinkt, wenn es heiß ist, allenfalls Kaffee, schnappt aber bald nach freier Luft und schlägt nach Mücken, deren Lieblingsaufenthalt solche Lauben sind. Gegen Abend nach Sonnenuntergang will gar Niemand mehr in der Laube sitzen, und man sucht sich gern freie Plätze aus, von wo man das verschwindende Abendroth und die nach und nach erscheinenden Sterne sehen kann. Der Boden darin ist fast immer feucht; die Bänke und Tische werden morsch und überziehen sich mit Moos. Die Sperlinge übernachten in dem dichten Astgeflecht und beschmutzen Tische und Bänke; Spinnen überziehen das Innere massenweise mit ihren Netzen zum Mücken- und Fliegenfange. Zuletzt dient die Laube nur noch als Versteck für das Dienstmädchen, wenn es ihrem Schatz ein spätes Stelldichein giebt, und zum Frühstücks- und Faulenzerplatz für Gartenarbeiter. – Nein! solche Lauben lege man nicht mehr an, und wer noch eine im Garten hat, haue sie ab oder halte sie wenigstens nach einer Seite ganz offen. Will man solche Hecken-Lauben bilden, so dürfen es nur bogenförmige Nischen sein, die den Sitzplatz wie einen Sonnenschirm schützen. Solche Plätze sind in Gartenwirthschaften sehr zweckmäßig und erwünscht, weil sie verschiedene Gesellschaften absondern, und man kann deren an den Seiten eines breiten Weges eine Menge anbringen.
Als sich im siebenzehnten Jahrhundert der französische architektonische Gartenstyl ausbildete, spielten diese Lauben eine große Rolle und wurden zu einer außerordentlichen Vollkommenheit gebracht. Zwar findet man schon Spuren von förmlichen Laubengängen bei den Römern unter den Kaisern; aber an eine solche Mannigfaltigkeit der Formen, wie in den späteren französischen Gärten nach Le Notre’s Erfindung war nicht zu denken. Da gab es Lauben, welche Häuser mit verschiedenen Zimmern und Sälen, andere, die Speisesäle, Tanzsäle, Tempel, Kapellen, offene Säulenhallen und andere Dinge mehr vorstellten. In den größeren Gärten sah man gerade oder kreisförmige Laubengänge von großer Länge, mit saalartigen Erweiterungen, entweder mit Fensteröffnungen versehen oder nach einer oder auch zwei Seiten offen und blos auf Heckensäulen ruhend. Das sogenannte Berceau beschattete ganze Wege und war gewöhnlich oben zugerundet. Selbst ganze Bäume waren zu Lauben verschnitten und stellten ein Haus oder einen Thurm mit verschiedenen Stockwerken vor, die man auf Treppen erreichen konnte. Bei Festlichkeiten von zahlreichen Menschen belebt, dabei oft noch mit Statuen verziert, mochten diese Laubengebäude glanzvoll genug aussehen, und der erste Anblick solcher Künsteleien, wovon hier und da noch einige leidlich erhalten sind, riß zur Bewunderung hin; aber sie konnten nur für den ersten Augenblick gefallen und mußten bald als langweilig und zwecklos erscheinen. Eine solche Vereinigung von Laubgebäuden hat das traurige Ansehen einer unbevölkerten Stadt.
Wir kommen nun zu den Lauben, wo das Gestell von Holz die Form bedingt, indem die dazu verwendeten Pflanzen zu schwach sind, um sich selbst zu halten. Dies sind die echten vervollkommneten Lauben. Sie gewähren Schutz, Schatten und Abgeschlossenheit, ohne dumpfig und düster zu werden. Sie werden nur mit leichten Pflanzen bezogen, entweder mit förmlichen Schling- und Kletterpflanzen, sowohl holz- als krautartigen, oder mit andern dünnzweigigen schönblühenden Pflanzen. Obschon vollkommen grün, müssen sie doch das Licht nicht zu sehr abschließen und selbst einzelnen Sonnenstrahlen Eingang gestatten, was der Kühlung nichts benimmt. Alle Zweige müssen auch von inwendig mit Blättern besetzt sein, so daß das Auge überall Grün, nie abgestorbene und zu Hecken verwachsene Aeste sieht. Wenn nicht besondere Ursachen zur Abgeschlossenheit vorhanden sind, so halte man sie nach zwei, wenigstens nach einer Seite ganz offen oder bringe hinlänglich große Oeffnungen an. Je dichter die Bekleidung der Laube mit Blättergrün ist, desto offener müssen die Seiten bleiben. Die Höhe richtet sich nach der Größe und sollte bei kleineren Familienlauben nicht unter 10 Fuß, bei großen Gesellschaftslauben nicht unter 15 Fuß, bei ganz kleinen Nischenlauben, welche nur eine Bank überwölben, nicht unter 6 bis 7 Fuß betragen. Je höher die Laube ist, desto angenehmer wird der Aufenthalt darin.
Die schönsten, zweckmäßigsten und leichtesten Lauben sind solche, die mit Kletterpflanzen (Schling-Rankenpflanzen) bezogen werden. Darunter verstehen wir alle Pflanzen, die von der Natur
[269]angewiesen sind, sich von selbst auf irgend eine Weise an andere Gegenstände zu befestigen.
Außer den eigentlichen Schlingpflanzen eignen sich aber noch viele Pflanzen mit langen, dünnen Zweigen zu solchen Lauben.
Sehr schön sind hochwachsende Rosen, deren es eine Menge schöner Arten und Sorten zu diesem Zwecke giebt.
Die Anwendung der Sträucher schließt jedoch die eigentlichen Schlingpflanzen nicht aus, und man kann immer hie und da eine Schlingpflanze mit an der Laube ziehen, besonders schönblühende und langwachsende zur Bedachung. In einem folgenden Artikel sollen die zu Lauben geeigneten Pflanzen namentlich aufgeführt und ihre Verwendung besprochen werden.
In der Form lassen diese Lauben die größte Mannigfaltigkeit zu. Einen charakteristischen Unterschied macht die Art des Gerippes (Geländers), nämlich ob dieses einfach, von rohem Holz, an dem noch die Rinde ist, oder ob es elegant von bearbeitetem, angestrichenem oder gar vergoldetem Holze (wie im Orient), oder von Eisen und Draht ist. Beide Arten von Lauben, die künstlichen wie die einfachen, sind schön, jede an ihrem Platze. Luxus ist durchaus keine nothwendige Eigenschaft an Lauben, obschon ich ihn nicht ganz ausschließen möchte, wie es einige ältere Aesthetiker wollen. Ich kenne Lauben von rohen Aesten, die dem prächtigsten Blumengarten zur Zierde gereichen, allerdings aber in einer weniger geschmückten und gekünstelten Natur noch mehr am Platze sein würden. Dagegen dürfen Lauben mit gekünstelten Gerippen, die auch nackt und noch nicht mit Pflanzen bekleidet, auf Schönheit Anspruch machen, nur in eigentlichen Gärten und in der Nähe von Gebäuden vorkommen, denn sie würden in einem ungeschmückten Landschaftsgarten nur stören. – Lauben von rohem Holze sollten so ungekünstelt in der Form sein, daß sie nur als Träger der Schlingpflanzen erscheinen, und man darf nicht etwa von Bohnenstangen Sterne, künstliche Rosetten und andere Zimmermannskunststücke ausführen wollen, wie es so häufig geschieht. Solche Lauben sehen häßlich aus, bis sie grün sind, und dann sieht man nichts mehr vom Holzwerk, also war die Zierrath mindestens überflüssig. Das Holzgestell darf für sich gar nicht gesehen sein wollen, sondern nur als Träger der Zweige erscheinen. Auch hier sind die an den Seiten offenen Lauben am schönsten und die Säulen können, wie oben bei den Blumenlauben erwähnt wurde, mit knorrigen Aesten besetzt sein. Ich habe einmal eine Nachahmung einer solchen Naturlaube aus dunkel bronzirtem Gußeisen gesehen, die von außerordentlicher Schönheit war. Wo ein Ast unnatürlich schien, war zur Ausfüllung ein Hirsch- oder Rehgeweih angebracht. – Will man einmal elegante Lauben, so mache man sie von Eisen oder Draht, oder wenigstens nur die Säulen und Rahmenstücke von Holz, das kunstlose Geflecht aber von Draht; denn die geschnörkelte Künstelei des Tischlers gefällt hier nicht mehr, als das oben erwähnte Kunststück des Zimmermanns, und hält nicht lange. Hier genügt meistens ein einfacher Bogen oder ein gerades Dach. Will man die Seiten etwas verzieren, so forme man einige Bogen, die das Ansehen von nur durch eine mit Grün bezogene Säule getrennten Fenster- und Thürbogen haben. Sehr gekünstelte Lauben von Metall, z. B. solche, die einen Kiosk, orientalische und chinesische Gebäude, Tempel u. s. w. vorstellen, gehören mir in einen Prachtgarten, und es ist hier das Gerippe die Hauptsache, weshalb es auch nur dünn mit Pflanzen bezogen werden darf, um die schönen Formen nicht zu verdecken. Aus dieser Ursache sind sie nicht einmal zweckmäßig und durchaus nicht behaglich. Eine der schönsten und zierlichsten Lauben von Gußeisen, die ich kenne, habe ich in meinem „Katechismus der Ziergärtnerei“ abbilden lassen.
Sie stellt einen von hinten auf wenig sichtbaren Säulen ruhenden Thronhimmel mit gothischen Verzierungen dar. Die Schlingpflanzen sind aus der Spitze durch eine hohle Base gezogen, und bilden darin ein Bouquet. Die häßlichsten Drahtlauben sind die, welche das Ansehen eines großen Vogelkäfigs haben und nach allen Seiten zu sind. Kleine Drahtlauben kann man auf einen Bretterboden befestigen und mit kleinen eisernen Rädchen versehen.
Nicht genug zu empfehlen sind Lauben in Verbindung mit kleinen, zierlichen Gärtenhäuschen, wo die Laube gleichsam nur die Vorhalle bildet. Man begreift leicht, wie angenehm es ist, eine Laube zu besitzen, deren hinterer Theil gegen Regen geschützt ist, so daß man sie bequem und elegant einrichten kann. Eine solche Laube ersetzt im Sommer förmliche Zimmer. Solche Gartengebäude lassen die größte Einfachheit und die größte Eleganz zu. Nach der Laube zu sind sie ganz offen oder mit einer Glasthür versehen. Der Hellung und Aussicht wegen kann auch eine Wand aus Glas bestehen.
Eine ganz eigene Art von Lauben bildet die italienische Pergola, eine Form, die neuerdings in fast allen Ländern, wo es elegante Gärten giebt, die alte Laube verdrängt hat. Die Urform besteht in Italien schon, seitdem die Weinrebe dort kultivirt wird, und hat sich bis heute so erhalten. Hohe Steinpfeiler tragen starke Querhölzer, die immer gerade aufliegen. So entstehen entweder bloße Lauben oder förmliche Rebengänge. Ihr Zweck ist, die Wege zu beschatten und dieselben durch Weinbau nutzbar zu machen. Sie eignen sich ganz vortrefflich zum italienischen Baustyl, und werden in Gärten vorzugsweise in Verbindung mit Gebäuden angebracht. Durch die Einführung der Pergola in die Gärten hat sich ihr Wesen etwas verändert. Zwar sucht man, namentlich, wenn die Architektur des Wohnhauses an die italienische erinnert, stets Steinpfeiler anzuwenden, aber schon die Römer hatten anstatt derselben kunstvolle Säulen und Karyatiden. Unter anderen beschreibt Plinius eine Weinlaube, welche einen Sitzplatz (Stibadium) und Brunnen beschattete, die von vier Lastträgerinnen (Karyatiden) aus Marmor getragen wurde. Schinkel hat davon eine sehr schöne ideale Zeichnung entworfen. So wurden nach und nach die Steinpfeiler zu Säulen und Holzpfeilern, und man verband die Formen der leichten orientalischen Gitterlauben mit denen der einfachen Pergola. Bedingung ist, daß die Tragsäulen immer eine ziemliche Stärke haben. Diese Pergola wird zur Veranda, wenn sie an einem Gebäude angebracht wird, wozu sie sich vor Allem eignet. [270] Sie bildet dann einen Theil der Architektur des Gebäudes und trägt außerdem viel zu dessen Schönheit bei. Es ist wunderbar, wie man mit einer Veranda und Schlingpflanzen ein unansehnliches, sogar häßliches Gebäude völlig verändern und verschönern kann, namentlich, wenn dasselbe im Verhältniß zu hoch ist. Das nüchternste Gebäude wird durch eine Veranda schön. Die Veranda kann als bedeckter Gang das Wohnhaus umgeben, und als schattiger Gang über den Hof führen, oder auch blos an der Sommerseite angebracht sein. Es kann keinen reizenderen Vorplatz geben, als eine unmittelbar mit dem Hause verbundene Veranda. Damit die untern Zimmer nicht zu sehr verdunkelt werden, muß die Veranda hoch angebracht werden. Man macht sie an Gebäuden aus diesem Grunde auch oft schräg (dachförmig) und läßt sie bis unter die Fenster des ersten Stockes gehen, wodurch allerdings die Architektur des Gebäudes sehr verdeckt wird. Die wahre Pergola oder Veranda hat oben weit entfernte Querhölzer, es ist aber gut, Draht dazwischen anzubringen, um die Schlingpflanzen besser befestigen zu können. Die Seiten sind stets ganz offen und außer den Säulen nie mit Schlingpflanzen bezogen. Gerade dies bedingt ihren Charakter und macht sie so schön. Wo Wein gedeiht, sollten nur Reben an der Pergola gezogen werden, denn dies ist ihre Bestimmung.
An der östlichen Seite der großen Andeskette in Südamerika, fern von den zugänglichen Gestaden des großen Oceans erhebt sich auf Felsen trotziger Höhe der Brennpunkt alter inca-indischer Kultur, Cuzco. Wenige europäische Reisende haben es besucht und beschrieben. Zwar hat es in keinen Lande an Schriftstellern gefehlt, welche sich die blutigen Metzeleien, unter welchen das blühende Inca-Reich durch spanische, grausame Habsucht ruinirt ward, entgehen ließen; aber von den Monumenten und den übriggebliebenen Menschen dieser alten Kultur hatten wir bisher kaum eine an Ort und Stelle aufgenommene Schilderung. Viele haben von Ueberbleibseln alter aztekischer Reiche, von den Hügeln Cholula’s, den Ruinen Tlascala’s u. s. w. geschrieben, aber die cyclopischen Mauern alter peruvianischer Civilisation blieben bisher ohne alle persönliche Untersuchung.
Deshalb unternahm Mr. Markham, Mitglied der geographischen Gesellschaft in London, eine eben so kühne als dankbare Heldenarbeit, die Geschichte und die Monumente jener alten Inca-Kultur persönlich aufzusuchen und zu erforschen. Bloßer Durst nach genauerer Kunde über diese merkwürdige Race und ihr Reich trieb ihn im August 1852 dahin. Er ging über den Panama-Isthmus im October und dampfte in wenig Tagen an der Küste entlang nach Lima, die Hauptstadt der alten spanischen Macht, die das Mutterland selbst an den Bettelstab bringen half, jetzt Hauptsitz einer unabhängigen republikanischen Regierung und eines bunten, lebendigen Handels und Wandels. Von hier aus begann das eigentliche Ziel und die Schwierigkeit, aber auch die Schönheit der Reise durch die luxuriöseste tropische Vegetation und Landschafts-Poesie, belebt von reichen Heerden fetter Kühe und in kostbarsten Seidenstoff gekleideter, munterer, graciöser Alpaca’s und Vicuña’s, von nomadisch einherwandernden braunen und rothen Nachkommen des alten Inca-Volks und Bergleuten aller Völker in Silber-, Kupfer-, Kohlen-, Blei-, Zinn-, Quecksilber- und Goldminen, deren Menge und Reichthum kaum zum hundertsten Theile bearbeitet wird, so daß Industrie, Speculation und Habsucht noch ein unerschöpfliches Feld ihrer Thätigkeit finden. Wir lassen uns hier auf dieses verführerische Thema nicht ein und begleiten unsern Reisenden direct nach der alten Hauptstadt der Inca’s.
Von Lima zog Mr. Markham 120 englische Meilen lang über ein Meer sandiger, steiniger Wüsten, in denen Oasen wie lachende Inseln sich erheben, nach Pisco, um unterwegs Land und Leute zu studiren. Die Leute sind ein sonderbares Gemisch von eingebornen Spaniern, Mischlingen zwischen Spaniern, Indianern, Negern, Europäern, darunter auch vielen Deutschen, kurz, allen möglichen Formen und Farben von Menschen. Spanier von peruvianischer Geburt bilden im Durchschnitt noch die reicheren Klassen, die ärmern und arbeitenden bestehen hauptsächlich aus Negern und Mischlingen. Erstere wohnen in großen steinernen Häusern, die je einen plaza oder viereckigen freien Hofraum einschließen, die ärmeren desto armseliger in Buden von Rohr, deren Zwischenräume mit Lehm ausgeklebt und dann je nach den Mitteln der Einwohner überdacht oder auch für Regen und Sonnenschein offenherzig gelassen sind. Alle Gebände sind niedrig, einstöckig wegen der vielen Erdbeben an der Küste, welche höhere Bauten leicht zusammenschütteln und die Bewohner darunter begraben. Viele Dörfer bestehen blos aus armselig zusammengeklebten Hütten, aber mit eleganten Kirchen in deren Mitte. Man braucht nicht viel Wohnung. Die Natur ist, wo sie einmal die Wüste überwunden hat, so üppig und schön, daß es als Sünde erscheint, in Häuser zu kriechen. Besonders zauberisch ist das Thal Mala, ein üppiges, quellendes, blühendes Gedränge von Baumwollenwäldern, Orangenhainen, Weingärten, Bananen-Parks und Maisfeldern. Die Ortschaften dieses Thales, wie z. B. Canete, zerstreuen sich in malerischer Schönheit in Blumen- und Fruchtgärten von Alligator-Pfirsichen, an hohen, graciösen Bäumen, Orangen, Citronen und delicaten Granadilla’s oder Früchten der Passionsblume, die sich in üppigen Guirlanden verzweigen und im Winde duftend und wehend herabhängen. Durch fast jeden dieser Gärten springt und perlt ein kühlender Strom aus den Gebirgen herab. Das Murmeln und kühlende Rauschen dieser in unzähligen Armen und Fingern sich vertheilenden Bergströme giebt den süßen Abenden unter einem sanften blauen Himmel nach brennender Tageshitze einen unsäglichen Reiz von Melodie, Frische und Erquickung.
Von Pisco ging die Reise erst landein- oder vielmehr aufwärts, zunächst nach Ica, am Fuße der Cordilleren. Hier versah sich der Reisende mit allen möglichen Mitteln, um die Heldenthat einer Uebersteigung der Cordilleren auszuführen, mit Lebensmitteln, Führern und Trägern. Letztere waren natürlich Maulesel, besonders reichlich mit Weinschläuchen versehen, verfertigt von Ziegenfellen, die den Thieren lebendig abgezogen werden, weil man aberglaubt, der Wein halte sich darin besser. Der Aberglaube schindet noch ganz andere Leute lebendig als Ziegen.
Die Reise führte zuerst über große Weideplätze, besäet mit Heerden von Kühen, Pferden und Mauleseln, dann durch eine wüste Schlucht zwischen Felsenterrassen, den hängenden Gärten der alten Peruvianer, jetzt wild übertapezirt von Heliotropen, Verbenen und scharlachrothen Salvien, auf Hügelkämmen entlang, durch grüne, blühende Schluchten und Felder bis zu dem Gebirgsdorfe Tambillo, von da höher hinauf über ungeheuere, graswogende Pampas, die terrassenförmig immer eine höher liegen als die andere, durchwüthet in allen möglichen Richtungen von Sturzbächen und rauschenden Stromschnellen, an welchen unabsehbare Heerden graciöser Vicuña’s trinken und munter davon galoppiren, sich neckend und haschend und allen möglichen Uebermuth unbeschränkter Freiheit und Fülle treibend. Den Pampas folgten bald Punas, ebene Strecken, zwischen erhabenen Klippen eingeklemmt und nicht selten schon mit Schnee bedeckt. Dazwischen donnerten und polterten unzählige Wasserstürze von und nach allen Richtungen in entsetzlicher Verwirrung, einige nach dem stillen Oceane drüben sich zusammenraffend, andere sich kämpfend nach dem atlantischen Meere hinunter arbeitend.
Nachdem Mr. Markham in einer Höhle, von Schneegestöber, Donner und Blitz und Thauströmen umrauscht, an seinen Maulesel gelehnt, stehend geschlafen hatte, war der höchste Punkt erreicht, und es begann die viel halsbrechendere Operation des Heruntersteigens nach der östlichen Seite der Cordilleren an Abgründen vorbei, in welchen steil herunter 800 Fuß tief unbändige Wasser donnerten auf glasglatten Wegen, auf welchen nur ein Fuß Raum hatte, Terrassen herauf mit Stufen, 7 Fuß auseinander, über Brücken aus alten Baumstämmen, die unergründlich tiefe Abgründe verbanden u. s. w., bis sich endlich wieder Vegetation und Leben, Tafelländer, Kartoffelfelder, indianische Bauern und indianische Mädchenreihen, Taille um Taille geschlungen und singend zwischen horchenden Viehheerden, wieder einfanden. Die erste Stadt, die er auf dieser Seite erreichte, war Agacucho am Fuße eines steilen Gebirges zwischen Fruchtbäumen versteckt, in der Mitte mit [271] einer schönen Kathedrale, einem stattlichen Cabildo (Gerichtsgebäude) und einer Universität. Stolze, steinerne Privatgebäude waren auf der Straßenseite oft durch kühle steinerne Bogengänge und Colonnaden verbunden. Auf dem großen Platze war Markt von malerischster Lebendigkeit. Indianische Mädchen in brillanteste Farben gekleidet, saßen graciös auf Matten unter großen Schirmen und boten ihre Waaren und Produkte aus. Das theatralische, spanische Kostüm aus den Zeiten des Eroberers Pizarro herrschte noch vor. Agacucho ist ein patriotisches Wort in der neuen, peruvianischen Geschichte. In der Ebene vor der Stadt wurden 1824 die spanischen Soldaten so geschlagen, daß die republikanische Unabhängigkeit Peru’s proclamirt werden konnte. Ueberhaupt entschieden sich die seit 1808 fortgeführten Freiheitskämpfe der spanischen Kolonien größtentheils um diese Zeit gegen das despotische, barbarische Mutterland, das ohnehin durch die Minen von Potosi, gerade durch die Fülle des Goldes, welches es den Kolonien wegraubte, an den Bettelstab kam.
Die Straße von Agacucho nach der alten Inca-Metropolis Cuzco ist ein Klettern bis zu einer Höhe, die noch 2000 Fuß über den großen Bernhard hinausreicht, bot aber dem Reisenden nach den Cordilleren-Scenen nichts besonders Merkwürdiges.
Als Manco Capac im 11. Jahrhundert hier sein Reich der Inca’s (oder „Kinder der Sonne“) gründete, umfaßte es kaum 20 Geviertmeilen. In jeder Ecke seines Landes baute er gerade gegen Süden, Norden, Westen und Osten Paläste und umgab sie mit Festungswerken, im hohen Centrum desselben aber Cuzco, seine Hauptstadt, die Residenz einer großartigen Bildung und Herrschaft, die sich vier Jahrhunderte lang unter nobeln Fürsten vom Aequator bis Chili, vom Amazonenstrom bis zum stillen Ocean ausdehnte, deren ungeheuere Monumente noch jetzt Staunen, deren noch in dem Munde des Volks lebende Legenden und Lieder männlichen Sinn und patriotischen Stolz erregen. Die Niedermetzelung dieser hohen, prächtigen Civilisation durch Franz Pizarro (1530) bildet eine der scheußlichsten Scenen in der Geschichte. Man sieht jetzt noch, was für eine Fülle von Schönheit und Pracht einst in diesem Reiche geblüht, haben mag. Ungeheuere Berge und Felsen steigen in unabsehbarer Gestaltungsverschiedenheit über die Schneelinie hinaus und bedecken ihre Häupter mit ewigem Weiß, während unten an sonnigen Abhängen üppig blühende und fruchtende Thäler nisten, durchkühlt von unzähligen Strömen und belebt von der reichsten animalischen Schöpfung. Zwischen den kostbarsten Bäumen und schönsten Blüthen und Früchten springt lustig und graciös das unschuldige Llama, das seidenhaarige Vicuña und Alpaca, jagen sich wilde und zahme Pferde, weiden Schafe und Kühe in glänzender Rundung, nicht selten erschreckt und überfallen von dem elastischen, bunten Jaguar und dem grausamen Puma. Im sonnigen Schlamme schläft heimtückisch der Alligator und raschelt die buntstreifige Schildkröte, und über diesen reich belebten Tischen schwebt lauernd der Condor zwischen Schneegipfeln, oft blaue Emporsichten in den Himmel über Schluchten verdunkelnd. Dazu die bunte, malerische Bevölkerung in Thälern und auf Oasen, getrennt durch wüste Einöden, gegen welche das nächste Thal in seiner strotzenden Fülle sich als das zauberischste Paradies hervorhebt, der unerschöpfliche Reichthum edeler und nützlicher Metalle zwischen Bergen unten schlummernd und der dummen Bevölkerung von noch nicht drei Millionen Seelen mehr versprechend, als hundert Millionen brauchen und verwerthen können. Das Alles giebt bei errungener und sich kultivirender Freiheit Aussicht, daß die Herrlichkeit der „Kinder der Sonne“ in neuer, schönerer Gestalt wieder auferstehe. Cuzco, wegen der Nähe des Aequators in dieser Höhe sich noch eines milden Klimas erfreuend, ist noch jetzt eine schöne, steinerne, in rechtwinkeligen Straßen laufende Stadt, noch voller Reminiscenzen an die alte Inca-Regierung, obgleich lange Sitz spanischer Despotie. Die untern Geschosse der Häuser bestehen noch fast alle aus der gigantischen granitnen Baukunst der Inca-Zeit. Im Norden der Stadt erhebt sich, durch einen Abgrund von einem viel höheren Felsengebirge dahinter geschieden, wie eine steile ungeheuere Treppe in Terrassen der Sacschuamam-Hügel, auf welchem der Palast des ersten Inca stand, jetzt eine schweigende, aber noch in gewaltigen Quadern redende Ruine. Die oberste Terrasse, auf welcher er stand, trägt noch eine Steinwand mit acht Recessen, deren Quadern genau in einander geschliffen sind, so daß sie ohne irgend einen Mörtel ein festeres Ganze bilden, als wenn sie gekalkt und gekittet wären. Im Centrum der untern Wand erkennt man noch das Bild einer Sirene in Relief. Auf einer andern Terrasse steht noch eine 16 Schritt lange, 10 Fuß hohe Steinmauer mit einem Fenster und einer Thür. Die Bausteine derselben bestehen aus noch ganz scharfkantigen, großen Parallelogrammen, blos neben und ineinander gelegt, und zwar so genau, daß man mit der Spitze eines Federmessers nicht in deren Fugen dringen kann. Quadern von 6 Fuß Länge bilden Steinstufen zu Treppen, die verschiedene Terrassen auf- und ableiten.
Äm 13. Jahrhundert ließ der große Krieger Inca Viracocha (der „Schöne des wilden Meeres“) einen größern Festungspalast im Osten des Sacschuamamhügels errichten. Drei halbrunde, große, mathematisch genau eingehauene Terrassen führen hinauf. Der Palast trug drei Thürme, die im Felsenboden unten durch Tunnels verbunden waren. Spuren und Ruinen davon liegen noch in unversehrten gigantischen Quadern umher, auf welche einst das Blut der Vertheidiger gegen spanische Bestialität in Strömen floß. Von einem Punkte dieser Terrassen läuft eine dreifache Linie cyclopischer Fortification, deren Größe und wissenschaftliche Konstruktion Staunen erregen. Sie besteht aus drei Reihen Granitmauern, 18, 16 und 14 Fuß hoch, mit springenden Winkeln, die so genau berechnet sind, daß kein Punkt angegriffen werden konnte, ohne ihn von verschiedenen andern Theilen her zugleich zu vertheidigen. Die Bausteine, ungeheuere Blöcke von 12 – 16 Fuß Höhe, alle genau behauen, gestaltet und in einander polirt, mußten nachweislich aus großer Ferne zu dieser bedeutenden Höhe hinaufgeschafft werden. Welche Kraft, welche Industrie, welche Wissenschaft und Bildung redet noch aus diesen gewaltigen Ruinen!
Ungefähr eine Stunde von Lima-Tambo an der alten Westgrenze des Inca-Reichs stehen die Ruinen eines ähnlichen Palastes, aber das merkwürdigste Beispiel alter peruvianischer Architektur findet sich in den Ruinen der Festung Ollantay im Thale Vilcamaga, östlich von Cuzco. Von den öden Pampas der Cordilleren stürzt sich ein Abgrund in das Thal, aus welchem sich zwei schroffe Felsenkegel erheben. Der eine ist zu einem Plateau künstlich abgeplattet und mit ungeheuern Bausteinen bedeckt, zwölf Fuß hohen, genau geformten Granitquadern. Einige dieser Quadern sind schon zu Mauern auf- und in einander gelegt, so daß sie wie eine polirte Masse dastehen, worin man die Fugen nur mit dem schärfsten Auge entdecken kann. Dahinter höher und tiefer erkennt man noch die Spuren vieler steinerner Privatgebäude. Auf andern Terrassen entdeckte Mr. Markham noch Wände von polygonalen, vieleckigen Steinen mosaikartig in einander gefügt, die an manchen Stellen, mit dem bloßen Finger berührt, metallartig erklingen und an die tönenden Memnonssäuleu Egyptens erinnern.
Die Kinder der Sonne wurden in Konstruktion dieser letzteren Bauten von den Kindern der Finsterniß und grausamer Hab- und Eroberungssucht unterbrochen, unterbrochen in dem erhabenen Werk, die gewaltigsten Andesfelsen in terrassirte Frucht- und Lustgärten zu verwandeln, und eine lachende Bildung an Bergen hinauf, Thäler hinunter und über traurige Pampas zu ziehen. Spät ist die Rache gekommen, aber sie ist gekommen. Noch ließe sich Vieles aus den Beobachtungen unsers kühnen Forschers über das alte Inca- und das neue, rührige freie Peruland mittheilen, Schilderungen des Lebens und Treibens der bunten Menschenmischungen, die vom tiefsten Schwarz in das civilisirteste Weiß des Nordens, von dem naivsten Naturleben in den üppigsten Luxus der Kauf- und Handelsherren Lima’s hineinragen. Aber die Civilisation und der Leibrock, der auch in Lima von zunft- und gewerberathflüchtigen, freien deutschen Schneidergesellen meisterhaft gemacht wird, bleiben sich im Wesentlichen überall gleich. Diese Gleichheit der Civilisation, sehr ohne Brüderlichkeit, ist bis jetzt noch ihre hinten geflügelte, größte Schattenseite.
Die alte, lange Jahrtausende uns verborgene atlantische Welt drüben ist längst ein neues Europa geworden. Wenn wir im alten so fortfahren, können wir uns hier mit der Zeit auch verlieren, wie die Azteken, die Inca’s und andere Menschengeschlechter der neuen Welt verschwanden. Die glorreiche Stadt Cuzco glänzte einst prächtiger und steintrotziger den Spaniern von ihrer 12,000 Fuß hohen Steinburg herunter entgegen, als die militärstolzesten Residenzen der alten Welt aus ihrem Sand- und Kalkstaube oder übertünchten Sumpfe. Steine, noch so gewaltig, Heere, noch so mächtig, thun’s nicht mehr, jetzt weniger, als zu irgend einer früheren Zeit.
[272]Die heulenden Derwische. Man wohnt vielen ekelhaften Auftritten im Orient bei, doch giebt es nichts Abscheulicheres als die Ceremonien der heulenden Derwische. Es kostet allerdings besondere Mühe, dieselben mit anzusehen, denn sie – ganz unähnlich den drehtanzenden Derwischen zu Pera und anderswo, welche stets bereit sind, fremden Zutritt zu ihrem Gottesdienst zu gewähren – hassen die Gegenwart der „Unreinen“ und Sündhaften. Zutritt in die geheiligten Räume ihrer Zusammenkünfte kann man nur durch die Verwendung höherer Personen und wiederholte Gesuche erlangen.
Mehrere unserer Versuche, dies geheimnißvolle Schauspiel sehen zu dürfen, blieben erfolglos, bis wir endlich durch die besonderen schriftlichen und persönlichen Empfehlungen zweier einflußreicher Personen, deren Bekanntschaft wir gemacht hatten, zur gnädigen Beachtung des Oberpriesters zu Broussa gelangten. Diesen Empfehlungen wagten wir noch die Versicherung hinzuzufügen, daß wir uns mit aller schuldigen Ehrerbietung und ernstem Gesicht während unserer Anwesenheit betragen wollten.
Drei Bursche, welche der Imam an der Thür aufgestellt hatte, erwarteten uns, und verhinderten das Gedränge, welches uns die Aussicht benehmen möchte. Nachdem sie uns die Pantoffeln ausgezogen, führte man uns in ein höher gelegenes, kleines Zimmer neben der Kapelle, durch dessen vergitterte Scheiben wir das Geheimniß bewundern sollten. Die Wände der Kapelle sind mit einer häßlichen Art Decoration bekleidet, die an die Inquisitionskammern erinnern. Wie die Moscheen und andere heilige Oerter sind sie mit Sprüchen aus dem Koran geschmückt, doch haben diese Derwische Gebräuche, vor denen man schaudert – Streitäxte, Ketten, Zangen, Dornen hingen umher, welche sie brauchen, um sich damit zu martern, wenn Stimme und Bewegungen nicht mehr ausreichen, die religiösen Rasereien auszudrücken.
Die Jünglinge, welche unsere Bedeckung ausmachten, placirten uns so, daß wir so gut wie möglich die Scene übersehen konnten. Dann stellten sie sich neben uns und hielten das Gedränge ab. Viele bittere Verwünschungen über die „Giaurs“ wurden von denen ausgestoßen, welche, wenn sie versuchten, mitten in unsern Zauberkreis zu gelangen, hinausgeworfen wurden. Unser kleines Zimmer füllte sich, und da die Hitze sehr drückend war, öffnete unser Dolmetscher das Fenster, um frische Luft einzulassen, da wir es nicht länger aushalten konnten. Hierauf verhinderten die Jünglinge das weitere Eintreten von Zuschauern und öffneten ein kleines Fenster, wodurch eine feine Zugluft entstand, die gerade über den Theil des Zimmers, wo wir standen, eine angenehme Kühle verbreitete. Wir hörten einen leisen, monotonen Gesang und sahen einen sich langsam in die Kapelle bewegenden Zug von Derwischen, an der Spitze ihre hohen Priester. Die Derwische warfen sich auf die Erde, die Stirn in den Staub; die Priester, indem sie ihre geöffneten, flachen Hände zum Himmel erhoben, hielten ein langes inbrünstiges Gebet. Ein Tigerfell wurde alsdann vor dem Oberpriester ausgebreitet, worauf er sich stellte. Hierauf wurde ihm eine schöne grüne Schärpe gereicht, die er sich sehr feierlich umgürtete. Nun begann ein dumpfes, abscheuliches Geheul, welches von der ganzen Brüderschaft wiederholt wurde, wobei sie ihren Körper dermaßen hin- und herwägten, daß die Stirn fast den Boden berührte. Nach und nach nahm der Wahnsinn zu, die Augen fingen an mit einem schrecklichen, unnatürlichen Glanz zu leuchten, Schaum trat auf ihre Lippen, wie bei einem epileptischen Anfall, ihre Mienen verzerrten sich zu den scheußlichsten Grimassen; der Schweiß rann in großen Tropfen über die Wangen von der blassen, leidenden Stirn herab; das „Al’làh-hou!“ wurde mit größerer Wuth geschrien, bis durch die übermäßige Anstrengung die Stimmen versagten und die Worte in ein wahnsinniges Geheul, wie aus einer Höhle wilder Bestien überging. Plötzlich erscholl aus dieser wogenden Masse ein bestimmteres, aber noch schrecklicheres Geheul: „Lah il ’lah el il Al’làh!“ rief eine Stimme, deren Ton überirdisch klang. Die Andern wiederholten mit abscheulichem Geschrei diesen Ruf. Im nächsten Augenblicke entstand ein dämonisches Gekreisch, und der Mann, welcher zuerst gerufen hatte, rollte in todeskrampfähnlichen Verzückungen über den Boden hin. Die ihm Zunächststehenden kamen ihm mit neuem, schrecklichen „Al’làh-hou!“ zu Hülfe. Sie hoben ihn empor, erwärmten seine Hände, rieben seine Glieder und versuchten sie zu biegen, aber er lag leblos und steif, wie ein Leichnam, da. Mit Blitzesschnelle griff nun die Ansteckung dieses Paroxismus um sich; die „Lah il ’lah el il Al’làhs“ wurden noch schrecklicher: die Frömmsten schwangen in wahnsinniger Wuth ihre Arme in der Luft umher. Jetzt fiel ein zweiter Derwisch, als wenn er durch’s Herz getroffen wäre, um und in Zuckungen. Dies steigerte den Wahnsinn, und der Imam regte durch Zuruf, Heulen und Gesten noch mehr dazu an. Ein junger Mann verließ sodann die Gruppe, welchem der Oberpriester mit einem zangenartigen Instrument mit aller Macht die Wangen zwickte, aber der Derwisch gab kein Schmerzenszeichen von sich. Ein hübsches kleines Mädchen von ungefähr sieben Jahren trat ein und legte sich schüchtern auf eine rothe Decke nieder. Der Oberpriester stellte sich, unterstützt durch zwei Aufwärter, welche an jeder Seite neben ihm standen, auf ihren zarten, kleinen Körper, und verweilte so einige Zeit. Sie mußte viel dabei zu leiden haben, doch als er wieder hinunterstieg, erhob sie sich und ging mit der Miene äußerster Zufriedenheit von dannen. Jetzt begann ein anderer Theil des häßlichen Gottesdienstes. Der Imam schlug den Takt zum Gesange, indem er die Hände zusammenschlug, um ein schnelleres oder durch Gesten ein langsameres Tempo anzudeuten. Klage folgte nun auf Klage, Geheul auf Geheul, Al’làh-hou auf Al’làh-hou, bis endlich die stärksten Männer, unfähig, diese Anstrengungen länger zu ertragen, in Zuckungen niederstürzten oder gleich Kindern angstvoll schluchzten. Man kann sich im Ganzen keine empörenderen Scenen vorstellen, als die der heulenden Derwische. Von gräßlicher Geisteszerrüttung zeugt die Meinung, daß solche Martern von Gott gern gesehen werden.
Einige Tage später machte ich zufällig die Bekanntschaft eines dieser Derwische. Es giebt unter den Osmanen zwei Krankheitsarten, die nur ihnen eigen sind; die eine nennen sie gellinjik, die andere yellanjik. Unter gellinjik verstehen sie fast alle möglichen Krankheiten des Leibes, unter yellanjik dagegen die einfacheren und leicht heilbaren, wie Zahnweh und das dadurch entstehende Gesichtsreißen. So schwer ist das gellinjik zu heilen, daß nur der Stamm einer einzigen Familie dies vermag; aber das yellanjik kann durch solche Emirs und Derwische geheilt werden, die vom Stamm der Fatima, der Tochter Mohamed’s sind. Der Zauber besteht in Folgendem: Meistentheils ist das schöne Geschlecht in der Türkei mit Gesichtsreißen behaftet; jedenfalls haben diese Quacksalber eine besondere Vorliebe für sie, welche sie die schwächeren Fahrzeuge des Lebens nennen. Wird ein Weib mit nervösen Schmerzen im Gesicht befallen, so muß der Glaube über die Etikette siegen. Sie wählt sich den Emir, der sie curiren soll. Sie läßt ihn kommen; er sitzt mit unterschlagenen Beinen und grünem, geordnetem Turban auf einem Divan. Die verschleierte Schöne wird von einem Sclaven zu seiner erhabenen Gegenwart geführt, und setzt sich auf ein niederes Kissen vor ihm. Der Emir spricht ein kurzes Gebet, legt seinen Daumen auf die Nase, streicht sanft über die Stirn und reibt leise die Wangen, und die Behandlung ist zu Ende. Eine junge Sclavin, welche mit yellanjik behaftet war, gehörte dem Hause an, wo man uns eingeladen hatte, auf einige Zeit zu wohnen. Auf ihren Wunsch wurde ein Bote zu einem Emir gesandt, welchen sie nannte und der ziemlich geschickt in seinen Kuren sein sollte. Er mochte einst ein schöner Mann gewesen sein, doch hatte sein Gesicht jetzt jenen kranken, verzerrten Ausdruck, wie er sich oft in Folge ihrer schrecklichen Ceremonien einstellt; und mit seinem dicken struppigen Schnauz- und geflochtenen Kinnbart machte er keineswegs einen angenehmen Eindruck. Ich unterhielt mich mit einem elektrischen Apparat an diesem Morgen. Nachdem er seine Operation vollendet, ging er an mir vorüber, als ich in der Säulenhalle Experimente machte, da dies sein nächster Weg zum Garten von ihrem Zimmer aus war. Er betrachtete die Gefäße einen Augenblick neugierig, stellte sich etwas zurück und zog einen kleinen Messingnapf hervor, indem er murmelte:
„Backschisch! Backschisch!“ (Geschenk, Trinkgeld, Almosen.)
„Backschisch! Backschisch wofür?“ fragte ich. Er machte ein Zeichen, wodurch er andeutete, ich solle ihm Almosen geben. „Nein, ich kann Euch kein Almosen geben. Ihr seid rüstig und stark, Ihr könnt arbeiten.“
„Ich arbeite auch – schwere Arbeit.“
„Für wen?“
„Für Al’làh!“
„Aber Eure Arbeit ist nutzlos, für ihn sowohl, wie für Euch. Ich gebe nichts und damit Punktum!“ erwiederte ich mit der gewöhnlichen Bestimmtheit. Ich war gerade mit einem interessanten Experiment beschäftigt und kehrte zu meinem Apparat zurück. Der Derwisch setzte sich ruhig auf den Boden, schlug seine Füße untereinander, hielt nochmals seinen Messingteller hin und saß da wie eine Marmorstatue. So trieb er es eine halbe Stunde lang, doch war ich fest entschlossen, ihm unter keiner Bedingung „Backschisch“ zu geben, und sein unermüdliches Gaffen fing an, mich zu ennuyiren. „Sagen Sie ihm, er soll seinen Geschäften nachgeben,“ sagte ich meinem Dolmetscher. Dieser that es. Aber der Derwisch erwiederte, daß er nicht ohne Geld gehen würde. „Wenn Ihr nicht gutwillig geht, so sehe ich mich genöthigt, Euch zu zwingen,“ sagte ich.
Der Derwisch antwortete nur mit einem gefälligen Lächeln, wodurch er andeuten wollte, daß er meiner Drohung Trotz biete und ich ihn nicht so los würde.
„Gut,“ sagte ich. „Wenn ich etwas mache, was Euch sehr unangenehm sein möchte, so ist dies nicht meine Schuld.“
Ich hatte eine große elektromagnetische Batterie in Thätigkeit auf dem Tische vor mir, von der diejenigen, die mit einem solchen Apparat bekannt sind, wissen, daß der stärkste Mann die Wirkung desselben auf die Nerven nicht auszuhalten im Stande ist. Ich brachte den Draht mit seinem Teller in Verbindung und gab ihm zur Probe die schwache Dosis einer kleinen Batterie. Er lachte höhnisch und rief: „Al’làh el il Al’làh.“
„Jetzt geht Ihr,“ sagte ich, den Magnet an den Kolben setzend, während sich die Dienerschaft herumstellte, um die Wirkung zu sehen. Sie war augenblicklich. Er rollte auf den Boden mit dem Schrei: „Al’làh hou!“ Seine Arme zitterten und der Teller, welchen er gern gehalten hätte, flog ihm wie eine Rackete aus den Händen; seine Gesichtszüge waren durch Schmerz und Wuth entstellt. Da ich merkte, daß er genug habe, befreite ich ihn von der Tortur. Er stand auf und in seiner Flucht, fast den Dolmetscher umlaufend, floh er, so schnell ihn seine Beine tragen wollten. Als er eine beträchtliche Strecke zurückgelegt hatte, wendete er sich um, und niemals sind mehr Flüche auf Jemand gefallen, als in diesem Augenblick auf mich. Er flehete mit seinem braungelben Gesicht Allah an, daß ich und mein Stamm verdorren möge mit Wurzel und Zweig, und binnen vierundzwanzig Stunden mit Beulen und Geschwüren bedeckt sein möchte. Jetzt wendete er auch den Frauen meiner Familie seine Aufmerksamkeit zu. Diese verfluchte er von meiner Urgroßmutter bis zur Urenkelin, und endlich setzte er noch hinzu, sollte meiner Frau Alles widerfahren, nur nicht Schönheit und Fruchtbarkeit, oder daß, wenn die letzte Bitte fehlschlagen sollte, meinen Nachkommen der bitterste Fluch würde, der jemals auf das Loos eines Vaters gefallen wäre. Seitdem habe ich oft herzlich über den in die Flucht gejagten Yellanjik-Doctor lachen müssen.
Man sieht aus diesem ganzen Erlebniß, daß an dem Untergange des türkischen Kultus mit seinen heulenden und drehtanzenden Derwischen nicht viel gelegen ist, und wenn die westliche Civilisation mit ihren elektrischen Apparaten auch von Grund des Herzens der Gläubigen verflucht wird, ist es doch ein Segen, diese faulen Nerven des Alttürkenthums tüchtig zu schütteln, und den religiösen Bettlern elektrische Schläge der Wissenschaft, statt Geld zu geben.