Die Gartenlaube (1856)/Heft 19
Man muß sie erlebt haben, jene milden Nächte Italiens, um den magischen Zauber, den unbeschreiblichen Eindruck zu begreifen, mit dem sie die Seele berauschen, mit süßer Trunkenheit erfüllen. Ein märchenhafter Glanz liegt ausgegossen über dem tiefdunkeln, mit tausend und tausend hellflammenden Sternen besäeten Himmel, und verklärt mit eigenthümlich ergreifendem Schimmer die reizenden Formen des wunderbar herrlichen Landes. Tiefe Stille ruht auf der schweigenden Landschaft; nur in den Wipfeln der schattigen Ulmen, in dem flüsternden Laube der Silberpappel rauscht leise die mit berauschendem Wohlgeruche geschwängerte warme Nachtluft, und spielt mit den leichten Rebenguirlanden, die sich malerisch von Baum zu Baum schwingen, und mit den tausend glänzenden Blüthendolden, die von Busch und Baum, von Hag und Rainen, von Wand und Pfeilern uns träumerisch entgegennicken.
Und auf den Stufen der grünumlaubten Treppe, oder unter der schattigen Veranda ruhen in malerischen Gruppen die Dorfbewohner, mitten unter ihnen der Erzähler. Das volle Mondlicht selbst stiehlt sich neugierig durch das breite, saftige Blätterdach, und beleuchtet die ausdrucksvollen Physiognomien der dunkeln Gestalten, die mit athemloser Spannung den Worten des Erzählers lauschen.
Und in der That, der Eindruck dieser Erzählungen ist unvergleichlich. Die stille Nacht mit ihrem Zauberglanze, die reizende Umgebung, der melodische Klang der Sprache, in der selbst des Bettlers Wort uns zum Gedichte wird, – das Alles stimmt schon von selbst das Herz zu poetischer Empfänglichkeit; wie wenig bedarf es, dem Vortrage des Erzählers eine Wirkung zu sichern, wie sie im kalten Norden nur die höchste Kunst, und sie so selten, erreicht.
Einen solchen Erzähler lernte ich einst in der Umgegend Turins kennen. Es war der Seelsorger und zugleich der Schullehrer des Ortes, ein vortrefflicher, würdiger alter Mann. Hatte er seine Messe gelesen, sein Brevier gebetet, seine Schule gehalten, auch wenn es sich gerade traf, seine Beichte gehört, so versammelte er des Abends seine Gemeinde um sich, um ihnen einfache Geschichten, die er selbst erlebt hatte, zu erzählen.
Eine seiner Geschichten klingt mir noch heute lebendig im Ohre. Ich versuche, sie wörtlich hier so zu erzählen, wie ich sie gehört und, wenn ich auch nicht hoffen kann, jene Wirkung wiederzugeben, die sie damals in mir zurückließ, so wird doch das eigenthümliche Gepräge der Wahrheit, das sie in so hohem Grade trägt, gewiß auch so seines Eindrucks nicht verfehlen.
So begann der Erzähler:
Zur Franzosenzeit, da war die Conscription. Söhne, Brüder, Gatten wurden schonungslos den Armen ihrer Familien entrissen, und zusammengekoppelt, wie die Thiere, wurden sie weggeschleppt, weit, weit weg – zur Schlachtbank. Eine Schlächterei war es, und als eine blutige Schlächterei betrachtete es das Volk, das arme Land, das man ohne den mindesten Nutzen für uns seiner besten Söhne unbarmherzig beraubte.
Ich wohnte damals auf dem Monte ferrato, in der Nähe von Locarno. Zu meinen kleinen Zöglingen gehörten auch zwei Kinder, deren Familien Nachbarn, und, wenn ich nicht irre, auch entfernt verwandt waren. Maria und Tonietto waren unzertrennliche Spielgenossen und die treuesten Freunde. Wer sie nicht kannte, hielt sie für Bruder und Schwester; die sie kannten, meinten, sie würden einmal das schönste Pärchen, das es auf der Welt geben könne.
Und in der That, mit achtzehn Jahren war Tonietto der stattlichste Bursche der ganzen Gegend, und der schönste junge Mann, den ich je gesehen. Maria war ein blondes Madonnengesichtchen, zart, rein, einfach, wie eine Taube. Und herzensgut waren Beide, und im Uebrigen vollkommen mit denen einverstanden, die da meinten, daß sie für einander geschaffen seien. Das ganze Dorf war ihnen gut, und seit man von ihrer Liebe wußte, ihnen nur um so herzlicher zugethan.
Das Mädchen war sechzehn Jahre alt, die Hochzeit beschlossen. Nur die Ziehung wollte man noch abwarten. Was sollte ihre Verbindung, wenn Tonietto Rekrut und die arme Maria schon am Hochzeitsmorgen Wittwe werden mußte?
So dachten die Eltern, aber durchaus nicht so die Brautleute. Wenn sie nur erst seine Frau wäre, meinte Maria, so würde sie ihm folgen zum Regiment, wohin es sei, wenn’s sein müßte, als Marketenderin. Diese Idee gefiel zwar Tonietto wenig, gleichwohl meinte auch er, für alle Fälle, auch wenn er fort müßte, sei es besser, wenn sie sein Weib wäre. Aber nicht lange trübten solche Ueberlegungen ihr junges Glück. Die Sorglosigkeit, die Zuversicht der Jugend hatte bald die trüben Befürchtungen verscheucht. Der Himmel könne so grausam nicht ihr Glück zerstören, das hofften sie fest. Dann dachten sie nicht mehr daran, und liebten sich nur um so inniger.
Aber nur zu rasch kam die Zeit der Aushebung. Auf dem ganzen Dorfe lag ein banger Druck. Die jungen Brautleute wurden Gegenstand des allgemeinsten Mitleids. Maria, vor einigen Tagen noch so blühend, so frisch, so lebensmuthig, sah welk, niedergeschlagen, [246] bleich. Die schönen großen Augen waren trüb und zeugten von schlaflosen, kummervollen Nächten. Tonietto schien in fieberhafter Aufregung; mit glühenden Wangen, die Lippen aufgedunsen und fest an einander gepreßt, starrte er mit weit aufgerissenen Augen wüthend und unheimlich Jeden an, als ob er in Jedem den Gensd’armen sähe, der ihn seiner Braut aus den Armen reißen wolle. Auch in seinen sonstigen Gewohnheiten zeigte sich eine auffallende Veränderung. Bisher war er unbestritten der geregeltste junge Mann des Dorfes gewesen; jetzt fing er an, sich öfters aus dem elterlichen Hause wegzuschleichen, zuweilen blieb er selbst zwei, drei Tage aus. Fragte man ihn nach der Ursache, so wollte er bald hier, bald dort Festlichkeiten der Umgegend beigewohnt haben. Aber Niemand glaubte ihm; Maria hatte ja ihre Wohnung nicht verlassen. Es ging das Gerücht, daß er mit Banditen Verbindungen angeknüpft habe, deren sich damals einige in der Umgebung des Dorfes festgesetzt hatten, der letzte Rest der Bande Majino’s, des „Alpenkaisers“, wie er sich nannte, die früher Jahre lang dort gehaust hatte.
Mochte dem sein, wie ihm wollte, gewiß ist, daß Tonietto sich am Ziehungstage in dem Hauptorte des Departements einfand. Man hatte bemerkt, daß Maria ihn begleitet hatte. Auf dem ganzen Wege hatte sie ihm dringend und bittend zugesprochen; es schien, als ob sie sich große Mühe gegeben, ihn zu irgend Etwas zu überreden. Schweigend und mürrisch war er neben ihr gegangen, mit einem Ausdrucke schlecht verhehlten Mißbehagens.
In dem Saale, wo die Ziehung stattfinden sollte, verließ er trotzig den Arm seiner Braut. Das arme Kind verbarg sich schnell in einem Winkel und erwartete muthig die Verkündigung der Loose; Tonietto mischte sich unter die Gruppen der jungen Leute, die das gleiche Schicksal dort hingeführt, die die gleiche bange Erwartung erfüllte. Alle betrachteten ihn mit lebhafter Theilnahme. „Tonietto,“ sagten sie, „wenn nur Dir Gott eine gute Nummer schickt! Wir haben Vater, Mutter, die wir pflegen und stützen müssen; will es aber das Schicksal anders, was ist’s weiter? Wir tragen dann keine Schuld, und – wir sehen die schöne weite Welt! Und dann, wie viele sind nicht heut zu Tage, die ganz wie wir die Heimath verließen, und als Offiziere, Generäle aus dem Kampfe zurückkehrten? – Aber Du, armer Tonietto, Du, mit Deiner lieben, reizenden Braut, – nein, das wäre sündlich!“
Tonietto antwortete nicht.
Endlich kamen der Präfect, die Militairbehörden, und die Ziehung begann. Nach der Reihe trat Jeder vor. Arme Maria, wie bebte dein Herz, als jetzt auch Tonietto vortreten mußte.
Er schien ruhig. Er zog – – Nr. 2.
Kein Zweifel war mehr möglich. Er trat zurück.
Maria trug man ohnmächtig hinweg; Tonietto sprach kein Wort.
Sobald die Ziehung beendet war, erhielten die Conscribirten den Befehl, sich in drei Tagen wieder zu gestellen. Man verlas ihnen die Kriegsartikel über die Strafe der Renitenten, und Alles zog sich zurück.
Die Eltern Tonietto’s wollten ihn mitnehmen. Er weigerte sich; er ginge mit den Andern, sagte er, und werde sie auf dem Wege wieder einholen.
Aber vergeblich erwartete man ihn den ganzen Tag und die folgende Nacht. Er kam nicht.
Neue Unruhe, neuer Schreck! Man gedachte jener schrecklichen Strafen, die nicht nur Tonietto erwarteten, sondern auch die Eltern des Deserteurs treffen mußten. Alle glaubten sich verloren.
In dieser Angst harrten sie drei lange Tage, aber immer vergeblich, auf seine Rückkehr. Am vierten Tage kam ein Sous-Offizier der Gensd’armerie, seine Abwesenheit zu constatiren. Aus Rücksicht für die braven Eltern bewilligte man ihnen noch eine Frist von zwei Tagen, um den Widerspenstigen zu gestellen. Aber wo sollten sie ihn suchen? – Sie waren der Verzweiflung nahe.
Am sechsten Tage schickte man ihnen zwei Mann Wache.
Aber am Abend dieses Tages sahen verspätete Landleute mehrere verdächtige Gestalten das Haus umschleichen. Um zwei Uhr des Morgens erschien in der Wohnung ein unbekannter Mann, und forderte den Vater Tonietto’s auf, hinter die Kirche zu kommen, es verlange ihn Jemand zu sprechen. Er ging hin und fand – seinen Sohn. Fast drei Stunden lang blieben sie dort und verhandelten sehr eifrig mit einander.
Man glaubte, Tonietto habe seinen Vater, der noch rüstig und kräftig genug war, überreden wollen, sich ihm und seinen Genossen anzuschließen, was dieser aber entschieden verweigert habe. Gewiß ist, daß Tonietto des Morgens in seiner Wohnung erschien. Die Wache wollte ihn verhaften.
„Das ist überflüssig!“ rief er, und schob die Blouse etwas zur Seite, als ob er ihnen sehen lassen wollte, was er unter den Kleidern verborgen trug. „Rühre Keiner mich an! – Sobald ich den Meinigen Lebewohl gesagt,“ fügte er hinzu, „gehe ich nach dem Hauptquartier, mich freiwillig zu melden.“
Er hielt Wort.
Ich hatte von seiner Rückkehr gehört, und lief hinzu. Ich fand Tonietto im Begriffe, das Haus seiner Eltern zu verlassen, und Maria Lebewohl zu sagen.
„Gott wird Dir lohnen,“ sagte ich zu ihm, „Du handelst wie ein braver Sohn.“
„So ist es,“ erwiederte er, und trat in’s Haus Maria’s.
Das war ein trauriger Abschied. Maria hat es mir tausendmal erzählt. Tonietto hatte ihr ihre Freiheit, ihr Wort zurückgeben wollen, das sie so oft einander gegeben. Sie wollte nichts davon hören und versprach, seine Rückkehr abzuwarten; denn damals hatte man noch nicht die Erfahrung gemacht, was es mit dieser unerbittlichen Aushebung auf sich hatte. Man glaubte dem Versprechen des Gesetzes; man glaubte, daß die Rekruten nur vier Jahre zu dienen hätten. Später wußte man, was man zu denken hatte. Von den einmal Ausgerückten kam nie auch nur ein Einziger zurück, sofern ihn nicht etwa eine Verstümmelung zum Dienste untauglich machte.
Endlich hörte ich einen lauten Schrei im Innern des Hauses. Tonietto trat heraus, verstörten Blickes. Kurz sagte er seinen Eltern, die ihn erwarteten, „Lebewohl,“ bat sie, ihn nicht zu begleiten, und ging – allein.
Der arme Bursche wußte, was seiner harrte; ich wußte es auch und folgte ihm. Ich ließ ihm Zeit, sich etwas zu beruhigen, dann näherte ich mich ihm; so gingen wir zusammen. In der Stadt angekommen, reichte er mir die Hand, zwei große Thränen rollten seine Wangen herab. Aber sogleich, als ob er sich seiner Schwäche schäme, runzelte er die Stirn, nahm eine ruhige Miene an und sprach von etwas Anderem.
Ich wollte den Unterpräfecten aufsuchen, mit dem ich etwas bekannt war, aber er wollte es nicht. In eignem Namen verlangte er Gehör und wurde vorgelassen.
„Ich bin Tonietto M ,“ sagte er; „vor drei Tagen habe ich die und die Nummer gezogen, und mich etwas schwer entschlossen, mich zu stellen. Offen gestanden, ohne die Gefahr, der ich meinen Vater und meine Brüder aussetzte, wäre ich vielleicht nie gekommen. Sei’s d’rum, – hier bin ich!“
Ich trat vor, und gab ihm und seinem Charakter das beste Zeugniß. Der Unterpräfect war ein wohlwollender Mann; er ließ den Gensd’armeriewachtmeister kommen und sprach mit ihm über Tonietto. „Ich werde thun, was irgend möglich ist,“ erwiederte dieser, als er das Zimmer verließ.
Dann winkte er Tonietto und brachte ihn nach seinem Quartier. Als ich Abschied von ihm nahm, beschwor er mich bei Allem, was mir lieb und theuer sei, seine Eltern und Maria zu verhindern, ihn nochmals zu sehen oder gar ihn zu begleiten.
Von den Gensd’armen hörte ich, daß er am folgenden Tage abmarschiren werde. So eilte ich nach dem Dorfe zurück. Ich fand Maria bei den Eltern Tonietto’s.
Alle seine Worte mußte ich ihnen wiederholen. Aber Maria rief: „Noch Morgen früh gehe ich hin!“
„Du kannst ihn doch nicht mehr sehen,“ wandte ich ein.
„So ist er im Gefängniß?“
„Ich glaube nicht; aber er will nicht, daß Du ihn abmarschiren siehst.“
„So gehen sie also Morgen schon?“ rief sie in Verzweiflung.
Dann hatte sie an Jeden tausenderlei Fragen, bis sie endlich erfuhr, wie die Renitenten transportirt würden. Da verstand sie Alles und schwieg.
Am folgenden Morgen, in aller Frühe, ging sie weg, einen kleinen Korb am Arme, damit man glauben sollte, sie ginge zu Markte. Aber Niemanden täuschte ihre arme List; Niemand zweifelte, daß sie Tonietto sehen wolle.
Sobald ihre Brüder davon hörten, eilten sie nach der Stadt; [247] aber Tonietto war schon fort, und Maria hatte Niemand gesehen. Sie hatte wohl erwartet, daß man sie dort suchen würde, und war daher direct nach der ersten Marschstation gegangen. Zu gleicher Zeit mit Tonietto kam sie dort an, der, wie ein Verbrecher, von zwei Gensd’armen escortirt wurde. Diese hatten indessen ihr Möglichstes gethan; sie hatten ihn schonend behandelt und nicht gefesselt. Sie erkannten Maria und ließen sie zu ihm. Sie theilte ihnen den Proviant aus, den sie Tonietto mitgebracht, und durfte so ein paar Stunden bei ihm bleiben.
Vergebens suchte er sie zu überreden, des Abends zurückzukehren; ihr Entschluß war unerschütterlich.
Während der Nacht wurde Tonietto eingesperrt. Maria suchte sich bei einer armen Frau ein Asyl. Am folgenden Morgen, lange bevor der Tag noch grauete, stand sie schon wieder an der Thür seines Gefängnisses und wartete bis er herauskäme.
Aber welcher Anblick, als er endlich kam! Die Hände gefesselt, mit Daumschrauben gespannt, dutzendweise an ein langes Tau gejocht, wie Galeerensträflinge, so wurde er mit einem Zuge Renitenter weiter geschleppt. Die Andern waren empört über diese Schmach; gleichwohl wußten sie, daß diese Strafe kaum ein paar Tage dauern würde, höchstens bis jenseits der Alpen, bis zur Reserve. Aber wie mochte Tonietto zu Muthe sein, seiner Braut ein solches Schauspiel zu geben! Sie ging muthig neben ihm.
„Aber was willst Du, was denkst Du, Maria?“ bat er, „was bezweckst Du, daß Du mich so begleitest?“
„Daran habe ich noch nicht gedacht,“ erwiederte sie lächelnd, „ich wollte Dich wiedersehen, und Dich ein wenig begleiten, das ist Alles!“
Und sie fing wieder an von ihrem Vorschlage zu sprechen, als Marketenderin[WS 1] mit dem Regimente zu ziehen. Tonietto widersetzte sich dem aber mit aller Kraft; er sprach ihr von ihren Eltern – und sie weinte.
So ging sie traurig weiter. Die Andern machten sich lustig über sie, die Gensd’armen, die gewechselt hatten, begegneten ihr unfreundlich. Bei der Mittagsruhe ging es noch schlimmer. Die Gefangenen wurden in die Scheune eines Gasthauses eingeschlossen. Maria wollte an der Thüre warten, man jagte sie weg. So blieb sie von ferne stehen und wartete, ohne auch nur einen Bissen Brot oder einen Schluck Wasser zu nehmen, wartete so lange, bis sie endlich die Gefangenen, gefesselt wie am Morgen, wieder heraustreten sah. Rasch war sie wieder an der Seite Tonietto’s; sie näherte seinen Lippen eine schöne Frucht, die seine trockene Kehle erfrischte; dann setzte sie unermüdlich ihre Reise fort. Vergeblich bat, flehte, beschwor er sie, ihn zu verlassen; sie ging und ging, und wußte weder was sie that, noch was sie wollte.
Endlich, des Abends, nicht weit mehr von dem Nachtquartier, holten sie die beiden Brüder ein. Sie beschworen Maria mit Thränen in den Augen, mit ihnen zurückzukehren. Sie widersprach ihnen nicht. Tonietto vereinigte seine Bitten mit den ihrigen. Endlich gab sie nach, und bald war man darüber einig, daß sie bis zur Nacht zusammenbleiben, dort sich erholen und dann des Morgens zum letzten Male Abschied nehmen und sich trennen wollten.
Tonietto brachte die Nacht, wie gewöhnlich, im Gefängnisse zu; sie ging mit ihren Brüdern in ein Gasthaus.
Aber kaum hatte sich das arme Kind zu Bette gelegt, als sie, erdrückt von den Anstrengungen, der Hitze, und noch mehr von der Angst und Noth der letzten Tage, von einem brennenden Fieber ergriffen wurde. Heftige Fieberphantasien stellten sich ein; ihr Zustand wurde höchst bedenklich.
Der Morgen kam. Einer ihrer Brüder blieb an ihrer Seite, der andere lief nach dem Gefängnisse. Nur ein paar Worte konnte, er in aller Eile Tonietto von ihrer Krankheit sagen, ihm die Hand zum Abschied drücken, – und, ungestüm, ohne auch nur Zeit zu haben zu antworten, wurde er mit den Andern fortgerissen, auch von dem Letzten der Seinen grausam getrennt.
Maria blieb vierzehn Tage zu Bette. Ihre Brüder verließen das Zimmer nicht. Ihre Mutter kam, sie zu pflegen. Endlich, sobald sie so weit hergestellt war, um die Reise ertragen zu können, kehrten sie zusammen zur Heimath zurück.
Maria war nicht wieder zu erkennen. Niemand konnte sie ansehen, ohne das innigste Mitgefühl. Es war eine arme zarte Blume, die der rauhe Sturm geknickt, ein Bild des Kummers, ein rührendes Bild des Schmerzes. Nur langsam, nach und nach begann sie, sich zu erholen, seit die Eltern Tonietto’s den ersten Brief von ihm erhalten hatten. Ich erinnere mich noch wörtlich seines Inhaltes.
„Lieber Vater,“ so schrieb er, „der erste Gebrauch, den ich von meinen Händen mache, seit ihre Fesseln gelöst sind, ist, Euch diesen Brief zu schreiben. Wir sind glücklich hier bei der Reserve angekommen, in einer Stadt, die Besançon heißt. Man sagt, daß wir nicht lange hier bleiben werden. Ich bin schon ganz eingekleidet; Ihr würdet mich nicht wieder erkennen; am ganzen Körper haben wir die Nummer des Regiments und der Kompagnien; wir sind gezeichnet wie die Heerden zu Hause. Sobald wir eingekleidet waren, begann das Exerciren. Es scheint, hier thut man nichts Anderes von Sonnenaufgang bis zur Nacht. Unser Aller Hoffnung ist, daß es zum Kriege kommt; dann haben alle diese Quälereien ein Ende; und dann, waren wir einmal im Feuer, sind wir keine Rekruten mehr. Rekrut! das ist ein Schimpfwort, das sie uns den ganzen Tag zurufen. Seid also getrosten Muthes, liebe Eltern! Schreibt mir doch bald Nachrichten von der armen Maria. Ich habe viel gelitten, als sie mich die beiden ersten Tage begleitete.
„Ich hoffe, daß ihr Niemand das böse gedeutet hat, und ich bitte Euch, sie statt meiner zu umarmen; Ihr wißt, auch auf dies letzte Glück mußte ich verzichten. Grüßt mir freundlich ihre Brüder, ihre Mutter, meinen Bruder, und endlich unsern guten Schullehrer; ihm verdanke ich den großen Trost, daß ich Euch heute schreiben kann.
„Lebt wohl und bleibt mir gut. Euer Sohn Tonietto.“
Der zweite Brief war von Magdeburg datirt.
Unter Anderm schrieb er: „Ich war in der großen Schlacht bei Jena. Man hatte mir gesagt, daß das erste Feuer große Angst mache. Für mich, muß ich sagen, war es der beste Trost, den Gott mir schickte, seit ich Euer Haus verlassen. Seit diesem Tage sagt mir Keiner mehr; Rekrut! Ich bin sogar zu den Grenadieren einrangirt – “
Ein anderer Brief kam im nächsten Winter, ich weiß nicht mehr, aus welchem Theile Polens datirt; ein anderer Brief kam noch im Sommer desselben Jahres von Aranda am Duero in Spanien. Es waren immer Berichte von neuen Schlachten. Man sah, daß er an dem Handwerke Geschmack fand. Er war Korporal, dann Sergeant geworden; endlich hatte er das Kreuz erhalten.
So verflossen zwei Jahre. Eines Tages hielt ich, wie gewöhnlich, meine Schule; da trat ein Kind ein, sagte einem andern ein leises Wort, dieses sagte es seinem Nachbar, und in einem Augenblick machte die Nachricht die Runde durch die Schule; alle sprangen sie auf, ich konnte sie nicht zurückhalten, „Tonietto ist da!“ riefen sie, „Tonietto ist da!“
Wir liefen Alle hin. Ich fand Tonietto zwischen seinem Vater und Maria. Eine siegende, unendliche Wonne strahlte aus seinen dunkeln Augen, er sah wie verklärt vor Freude, vor Entzücken. Maria weinte und schluchzte wie ein Kind; sie konnte kein Wort sprechen. Ihre Brüder und Verwandten, die ganze Familie stand um sie herum.
Als er mich sah, stand er auf und reichte mir die Hände. Er erzählte mir, daß sein Regiment aus Spanien zur italienischen Armee bestimmt, durch Piemont marschire; er hatte drei Tage Urlaub erhalten, um seine Eltern zu besuchen, und – – er hatte zu viel sonst zu thun, als daß er mir mehr davon hätte sagen können.
Er nahm die Hand Maria’s und bedeckte sie mit Küssen, mit einer Gewandtheit und Unbefangenheit, die er wahrlich bei seinem Abmarsche nicht gehabt. Ich begann zu fürchten, daß er sich geändert haben möchte. Aber ich sah ihn den andern und die folgenden Tage; ich plauderte weitläufig mit ihm; er war noch immer derselbe brave und gute Junge. Vielleicht war freilich seine Liebe nicht mehr ganz dieselbe wie früher; aber so war es noch besser. Der männliche Charakter, den ihm seine neue Lebensweise gegeben, hatte seiner Zärtlichkeit eine andere Form eingeprägt. Er verzehrte sich nicht mehr in Lamentationen und Seufzern, er strebte energisch nach seinem Ziel; er gab sich ernstlich Rechenschaft über seine Hoffnungen und faßte bestimmte Pläne.
Sehr bald hoffte er, Dank seiner Kenntnisse, Offizier zu werden; dann, sagte er, sei nichts leichter, als den Heirathsconsens zu erlangen; verweigere man ihm den, so könne er den Dienst verlassen.
[248] „Desto besser dann,“ fügte er lachend hinzu; „was bekömmt man so nicht Hiebe und Stöße von allen Seiten und von Jedermann! Auch ich habe meinen Theil, wenn auch nichts davon in meinen Briefen steht, und wenn ich noch ein Paar dazu erwische, so kann ich schon mit fünfundzwanzig Jahren den Invaliden spielen, und, wie sie das nennen, mich auf meine Güter zurückziehen.“
Die drei Tage waren ein Fest für das ganze Dorf; für Maria waren es die drei schönsten Tage ihres Lebens.
Beim Scheiden überreichte Tonietto seinem Vater drei Louisd’or, seinem Bruder einen, Maria ein hübsches Knüpftuch und einen Ring. Bald darauf schickte er ihr, von Venedig aus, mit einem Briefe ein goldenes Kettchen, das fortan nie mehr von ihrem Nacken kam.
Mittlerweile hatte der Krieg mit Oesterreich begonnen; es war der dritte Feldzug, den Tonietto mitmachte. In jeder Schlacht erhielt er, wie er schrieb, neue Hiebe und neue Beförderungen.
Diesmal wurde er am Kopfe verwundet, man wußte es im Dorfe, und Maria war darüber ganz außer sich. Aber er wurde wieder hergestellt und kam zur „alten Garde.“ Wäre er zum Marschall von Frankreich ernannt worden, er hätte keine größere Freude darüber empfinden können, als sich in dem Briefe aussprach, in dem er diese Nachricht mittheilte.
Der Friede führte ihn nach Paris zurück. Von dort aus schrieb er häufig und schickte von Zeit zu Zeit kleine Geschenke für Maria. Er meldete unter Anderm, daß er zum Generalstab übergegangen sei, und ganz gewiß bald zum Offizier ernannt werden würde, und dann! – dann, schrieb er, sind wir Alle glücklich!
So vergingen wieder zwei Jahre. Da begann der Krieg mit Rußland. Tonietto marschirte voll Hoffnung aus. Als er von Smolensk aus schrieb, war kein Zweifel mehr: er war zum Sousoffizier-Adjutant ernannt worden und hatte einen zweiten Orden erhalten, das eiserne Kreuz; es konnte nicht fehlen, daß er vor Beendigung des Feldzugs Offizier war. Uebrigens glaubte man Allgemein, daß dieser Krieg der letzte sein werde; wollte es das Schicksal aber auch anders, so war er jedenfalls Offizier, so dachte man, und Alles ging vortrefflich.
Maria fing an, von denen beneidet zu werden, die sie noch jüngst bedauert hatten; sie schrieb lange Briefe an ihren Bräutigam und Alles schien sich auf’s herrlichste zu ordnen.
So kam der Winter. Da lief plötzlich ein Gerücht um, die ganze französische Armee sei aufgerieben worden. Ich ging nach der Stadt, und erfuhr, daß die Nachricht wahr oder doch nur wenig daran irrig sei. Kein Brief kam mehr an, auch von Tonietto nicht; ebenso wenig von den Andern.
Endlich, gegen December, schrieben einige Piemontesen, daß er beim Uebergang über die Beresina gefallen sei.
Ich sage nichts über den Schmerz des armen alten Vaters, den Kummer der Brüder, die Verzweiflung der armen Maria.
Sie wurde krank und entging kaum dem Tode. Nicht genug damit, das Unglück brach von da an Schlag auf Schlag über die Familie herein. Einer von den Brüdern wurde bei der Aushebung eingezogen und nach Deutschland geschickt; ein paar Monate später – denn die Rekrutirungen dauerten jetzt ununterbrochen fort – marschirte auch der andere ab und wurde nach Frankreich dirigirt.
Aber, wenn das Unglück einmal sich senkt über ein Haus, so wächst es unbarmherzig, und immer dichter fallen seine Schläge, bis das Entsetzen auch den Theilnahmslosesten erfaßt. Die Brüder Maria’s fielen wieder, der eine bei Hanau, der andere unter den Mauern von Paris, unter den letzten Schüssen, die in diesem furchtbaren Kriege fielen.
So war Maria allein übrig geblieben als die einzige Stütze ihrer nun ganz verarmten, von Kummer erdrückten Eltern. Nur das lebendige Gefühl ihrer Kindespflicht und Gottes Wille, konnten ihr die Kraft geben, das Leben zu ertragen.
Das arme Mädchen war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Ihr edel getragener Schmerz gab ihren schönen Zügen einen unbeschreiblichen überirdischen Ausdruck. Ihr ganzes Wesen schien erhaben und geadelt.
Armes Kind! Nie mehr sah man sie lachen; doch lag auf ihrem Gesichte auch nicht der Ausdruck wilder Verzweiflung, nicht einmal heftigen Schmerzes; es war ein Ausdruck inniger Betrübniß, wie er nur ihr eigenthümlich war.
1814 kehrten unsere Fürsten wieder; mit ihnen einige wenige Trümmer der ehemaligen großen französischen Armee. Damals erfuhr man einige Details über Tonietto’s Ende. Bei dem verhängnißvollen Rückzug aus Rußland war er einer der Wenigen gewesen, die den Muth nicht hatten sinken lassen. Schien die Kälte unerträglich, so pflegte er zu sagen, er trage zwei Talismane bei sich, die ihm das Herz warm hielten trotz Rußlands Schnee und Eis. Ob er Offizier geworden war, wußte man nicht genau; gewiß war, daß er beständig die Compagnie geführt hatte. Zuletzt waren sie an der verhängnißvollen Brücke angekommen. Er war einer der Ersten, die sie überschritten. Kaum auf dem andern Ufer, hatte er sich wie ein Löwe auf den Feind geworfen, fast in demselben Augenblicke aber eine Kugel mitten in’s Herz erhalten, und er war todt liegen geblieben.
Das Regiment hatte ihn vergöttert; alle Piemontesen waren stolz auf ihn. – Armer Tonietto!
„Arme Maria!“ fügte ich hinzu, „ihr Unglück ist noch größer, sie muß noch leben!“ –
Und doch wußte man noch nicht Alles, was ihr bevorstand. Drei Jahre waren vergangen. Ich hatte Maria nicht verlassen, und hoffte, daß nach und nach die Zeit den Kummer des armen Herzens lindern würde. Auf einmal bemerkte ich, daß ihr Aussehen, ihre Miene, deren schmerzlicher Ausdruck für ewig eingegraben schien, sich nochmals veränderte. Mehrmals suchte ich Gelegenheit, mich ihr zu nähern. Ich hoffte, daß sie mir den neuen Kummer mittheilen würde, der sie augenscheinlich ganz zu Boden drückte. Aber sie schwieg.
Eines Tages endlich hatte ich sie auf dem Wege getroffen, und wir gingen zusammen dem Dorfe zu. Sie schien aufgeregter als jemals. Nach langem Schweigen konnte ich mich nicht enthalten, leise vor mich hin zu sagen: „Arme Maria!“ Da zerfloß sie in Thränen; sie machte eine Bewegung, als wollte sie sich an meine Brust werfen, doch schnell sprang sie zurück, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, und schluchzte laut:
„O, mein Vater!“ rief sie, „sie wollen mich verheirathen!“
Ich gestehe, das hatte ich nicht erwartet, das war mir nie in den Sinn gekommen; unwillkürlich sträubte sich mein Herz gegen einen solchen Gedanken, es kam mir vor wie ein Verbrechen.
Nun auf einmal war mir Alles klar; ich begriff, wie die Dinge standen, und wie es kommen mußte. In der That, die Eltern Maria’s waren in einer verzweifelten Lage. Sie selbst konnten nicht mehr arbeiten, die Brüder waren todt. – Maria, so sehr sie sich Tag und Nacht abmühete, sie allein konnte sie nicht mehr vor dem drohenden Elende schützen. Und das Elend war gekommen.
Gott weiß, wie gerne ich den armen Leuten meine ganze Habe gegeben hätte, um dieses Letzte Maria zu ersparen. Aber das Wenige, was ich besaß, reichte nicht hin zu ihrem Unterhalte. Und wenn ich starb, wer konnte sie ferner unterstützen?
Ich sann und sann, aber je mehr ich überlegte, desto mehr sah ich ein, daß nur ein Ausweg blieb.
„Ja, Du armes Kind,“ sagte ich, und nahm ihre Hand in die meinige, „Du mußt heirathen, weil Dein greiser Vater, Deine blinde Mutter es in ihrem Elende von Dir fordern. Sie fordern von Dir Ruhe und Trost in ihren letzten Tagen; Du darfst es ihnen nicht versagen. Maria, sei tapfer, sei stark! Du zahlst Deine Schuld, Du erfüllst Deine Pflicht auf dieser Erde. O, Maria, es ist kein leeres Wort, das Wort des Herrn, daß wir auf Erden sind, zu dulden. Das ist Dein größtes, Dein schrecklichstes Opfer. O, Maria, dulde Du, was Gott Dir schickt, dort oben winkt Dir der Lohn, dort wirst Du wieder eins sein mit Tonietto, mit all’ Deinen Lieben!“
Sie seufzte tief, dann erhob sie die Augen still zum Himmel; ihr liebliches Antlitz trug wieder jenen schmerzlichen Ausdruck überirdischer Ergebung.
„Ich wußte es wohl,“ sagte sie, „daß auch Sie es so wollten.“
Wir gingen und sprachen kein Wort mehr bis zu ihrem Hause.
Während der Streit über das geistige Eigenthumsrecht des „Fechters von Ravenna“ durch das nach langem Hoffen und Spannen erfolgte Bekenntniß Halm’s für alle Nicht-Bacherl seinen endlichen Abschluß erhalten hat, ist derselbe jetzt durch das wuthentbrannte Streben der Bacherl-Ritter in eine neue Phase getreten. Halm’s, des Dichters der „Griseldis“, des „Sohnes der Wildniß“ Concurrent, der Dorfschulmeister Bacherl, hat den Rechtsweg betreten müssen, angestachelt durch die Lanzen seiner Ritter, die das verkannte Genie nun einmal um jeden Preis zum allgemeinen Verständnisse bringen wollen, und es ist bereits so weit gekommen, daß die von Vaterlands- und anderen Gefühlen seligen Münchener emsig den gefeierten Namen Halm von den Theaterzetteln kratzen und den ihres ländlichen Pädagogen an seine Stelle setzen.
Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn!
Wenden wir uns von diesem etwas lächerlichen Treiben zu freundlichern Gestalten, zu unserm Halm, den wir als eine der schönsten Blüthen im deutschen Dichterkranze verehren, und von dem wir, indem wir unsern Lesern sein ansprechendes Bildniß geben, sagen können, daß sich in ihm manch’ schöne und seltne Tugend eint, vor Allem aber jene, die Wissen und Bescheidenheit Hand in Hand gehen läßt.
Friedrich Halm – Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen – wirkl. k. k. Hofrath und erster Custos der k. k. Hofbibliothek, Ritter des k. bayr. Verdienstordens vom heil. Michael, des k. dän. Danebrogordens und der ersten Klasse des großherzogl. sächs. Hausordens vom weißen Falken, wurde am 2. April 1806 zu Krakau geboren, wo sein Vater, Cajetan Freiherr von Münch-Bellinghausen, Appellationsrath war, bis er, vom Kaiser Franz I. des vollsten Vertrauens und besonderer Gunst gewürdigt, später zum Staats- und Conferenzrathe befördert wurde. Es lag nahe, daß der Sohn eines so ausgezeichneten Staatsmannes, der auf das Justizwesen der ganzen Monarchie einen ebenso entschiedenen als wohlthätigen Einfluß hatte, vorzugsweise zum Staatsdienste berufen schien, aber obwohl er für diesen mit Sorgfalt und, wie die spätere Zeit lehrte, mit Erfolg herangebildet wurde, pulsirte schon in dem Knaben jene dichterische Ader, die ihn in seinen Mußestunden Repertoire für sein kleines Theater entwerfen und Schiller’sche Stoffe dramatisiren ließ. Die Edler’sche Kunsthandlung am Graben in Wien lieferte ihm damals Dekorationen und Schauspieler. – Nach beendigten Gymnasialstudien trat Halm im Jahre 1819 als öffentlicher Zuhörer in die philosophischen Studien an der wiener Hochschule, ein schmächtiger, hoch aufgeschossener, schweigsamer Jüngling mit sprechendem, aber auffallend schwachem Auge, dichtem Haar, etwas gedämpfter Stimme, einfach, in sich verschlossen und wortkarg, aber einnehmend durch sein anspruchsloses Aeußere, das ein desto regsameres Leben im Innern zu bergen schien. Schon in dem dreizehnjährigen Dichter machte sich die Neigung zur Pseudonymität bemerklich, in der er seine damaligen dichterischen Ergüsse, die indeß nicht zum Druck gelangten, bald mit El. Mayer, bald mit E. Belling unterschrieb. So wuchs er, in seinen Büchern und Träumen lebend, in stiller Einsamkeit auf, und es wurde ihm die seltene Selbstständigkeit zu Theil, schon mit dem 20. Lebensjahre seine Studien beendet, sein erstes Trauerspiel geschrieben und den Hafen einer glücklichen Ehe erreicht zu haben.
Diese gänzliche Umgestaltung aller seiner Verhältnisse, weit entfernt, seiner Neigung zum dichterischen Schaffen Eintrag zu thun, belebte sie vielmehr zu höherem Schwunge, aber in der edelsten [250] Bescheidenheit zog er sich und die Früchte seines Fleißes vom Markte des Lebens zurück, und kaum seine vertrautesten Freunde erhielten von ihnen Mittheilung. Doch „wirkliches Talent ist mit dem Drange nach Mittheilung verbunden,“ und aufgemuntert durch seinen vormaligen Lehrer, Professor Michael Enk von der Burg, Kapitular des Benedictinerstiftes zu Melk, trat er im Jahre 1835, mithin erst im 29. Lebensjahre, mit seinem dramatischen Gedichte „Griseldis“ in die Oeffentlichkeit. In Wien mochte man über den Pseudonymen Verfasser Halm wohl im Klaren sein, allein außerhalb Wien hatte der Name, der am literarischen Himmel plötzlich als neuer Stern aufleuchtete, einen ebenso fremden und beziehungslosen Klang, wie einige Jahre vorher die Namen Grün und Lenau. Die Wirkung, welche „Griseldis“ auf dem k. k. Hofburgtheater machte, ist bekannt, in kurzer Frist begann es seine Runde über große und kleine Bühnen, und um so freudiger und allgemeiner wurde Friedrich Halm als echter Dichter begrüßt, als das verwaiste deutsche Drama der aufhelfenden Hand eines Retters bedurfte. Weitere Leistungen: „Der Adept“ (1836), „Camoens“ (1837), „Imelda Lambertazzi“ (1838), „Ein mildes Urtheil“ (1840) folgten und mit ehrendem Beifalle aufgenommen rechtfertigten sie die an den Namen Halm geknüpften Hoffnungen. In diese Zeit fällt auch die Bearbeitung eines dem Lope de Vega nachgebildeten dramatischen Gedichtes: „König Wamba,“ von dem jedoch nur ein Fragment in die Oeffentlichkeit gelangte. Eine bedeutende Augenkrankheit brachte den Dichter im Jahre 1840 in die Gefahr zu erblinden, aber Dank der Pflege, mit der Gattin und Schwägerin ihn umgaben, genaß er wieder und konnte seine Dankbarkeit in der seinen Pflegerinnen gewidmeten dramatischen Scene, „Die Pflegetochter,“ die zum Besten der barmherzigen Schwestern am k. k. Hofburgtheater dargestellt wurde, an den Tag legen.
Weit über die Grenzen Deutschlands trug den gefeierten Namen Halm’s das im Jahre 1842 erschienene romantische Drama: „Der Sohn der Wildniß,“ das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, während das nächstfolgende Produkt „Sampiero“ (1844) mehr durch das Gepräge edler Gesinnung, als durch den Gang der Handlung wirkte. Aber auch Bearbeitungen ausländischer Meisterwerke, „König und Bauer“ (1841) nach Lope de Vega, und „Die Kinder Cymbolins“ (1842) nach Shakespeare, entstanden unter seiner Feder, und widmete er die erstere seinem Lehrer Enk, den Halm selbst als einen der besten Dramaturgen Deutschlands schätzte. Von einem dramatischen Märchen: „Schwert, Hammer, Buch,“ brachte das Taschenbuch: Gedenke Mein für 1838 ein Bruchstück, und den Bearbeitungen fremder Werke folgte bald die selbstständige des vom Spanier Tellez behandelten Stoffes: „Donna Maria de Molina.“ Im März 1848 gelangte ein fünfactiges dramatisches Gedicht: „Verbot und Befehl“ auf der wiener Hofbühne zur Darstellung, ein ebenso meisterhaft angelegtes wie vollendet durchgeführtes Intriguenspiel, das indeß im Drange und Sturme der Zeit, in der das politische Interesse das für Poesie überwog, nicht allein durchzudringen vermochte. Später erschien auch ein Bändchen „Gedichte“ bei Cotta, eine um so überraschendere Gabe, als der Dichter mit ähnlichen kleinern Dichtungen zurückhaltend zu sein pflegte. Sie sind nicht minder reich an Wärme der Empfindung und Kraft wie seine größeren Arbeiten, die bei durchsichtiger Klarheit von ungewöhnlicher Tiefe zeugen. Den glänzendsten Beweis hiervon gab die am 18. Oktober 1854 zur Darstellung gelangte Tragödie: „Der Fechter von Ravenna,“ der im eigentlichsten Sinne des Wortes einen Triumphzug durch das deutsche Vaterland hielt und noch jetzt für seinen Schöpfer fechtend neue Lorbeeren erntet.
Ein großer und besonders der reichste Theil der Holländer am Kap der guten Hoffnung hat sich von dem unangenehmen Schutze der englischen Kolonialregierung frei gemacht, und jenseits der Grenzen des englischen Gebiets in der Nachbarschaft von Buschmännern und Kaffern eine eigene kleine Staatsgesellschaft mit republikanischer Verfassung gegründet. Die kleine Republik gedeiht vortrefflich, da die Leute wenig Abgaben und keine Millionen Interessen von Kriegsschulden und Sünden der Väter zu bezahlen brauchen, so daß ihnen die Früchte ihres Schweißes und Fleißes ohne Abzug, Schutzzoll und Steuer zu Gute kommen. Ihr Fleiß wird aus gedeihlichem Ackerbau und Viehzucht reichlich belohnt. Es sind fast lauter große Grundbesitzer, die mit hottentottischem, buschmännischem und kafferischem Gesinde arbeiten, und mit demselben im Nothfalle ohne viele Exercitien, Manövers und Paraden ihr Land vertheidigen. Sie führen blos Krieg, wenn es wirklich ein allgemeines Interesse, ein Gemeingut zu schützen und zu vertheidigen giebt, so daß die Leute ohne vorhergehende Militärschule und sonstigem Humbug nach Herzenslust zuschlagen und deshalb ganz gegen alle Regeln der Kriegswissenschaft siegen.
Die Transvaal-Republik gedeiht also und hält sich tapfer gegen allerlei Angriffe und Feinde. Nur mit der sonst freigebigen, aber noch wilden, heißen Natur können sie’s zuweilen nicht aufnehmen. Die schrecklichste Plage jener Gegenden sind eine eigenthümliche Art von schwarzen, dicken Wolken, welche Tag in Nacht verwandelnd zuweilen über eine Strecke sich hinwälzen und kein grünes Hälmchen zurücklassen, die schwarzen Wolken von Heuschrecken. Eine solche Wolke fraß auch im Jahre 1852 die ganze Ernte des Herrn van Bloom in wenigen Stunden mit Stumpf und Stiel aus. Früh mit lachenden Aussichten aufstehend, sank er Abends als ruinirter Mann auf’s Lager. Er hatte viel Geld aufgenommen, um die Kultur seines Bodens auszudehnen, um von dem Ertrage Zinsen und Kapital zu zahlen. Der Gläubiger fiel nun hinter den Heuschrecken her über ihn, und ließ ihn auspfänden. Nichts blieb ihm als Schießgewehr, zwei Söhne, Hendrick und Hans, und eine treue Seele von schwarzbraunem Buschmann, genannt Swartboy. Sie zogen haus- und heimathlos hinaus in die Wildniß, um als Elephantenjäger ihr Heil zu versuchen. Das fanden sie denn auch, wenn auch vermischt mit manchem Unheil, aber doch immer wildem, kräftigem Unheil der Natur in Wald und Wetter, im spannenden, aufreizenden, lohnenden, siegreichen Kampfe mit dem Riesen der Wildniß, dem Elephanten, dem Rhinoceros und andern respektabeln Gegnern. Schwer war oft der Kampf, aber ein einziger erlegter Elephant ließ sich mindestens zwei Zähne ausziehen, von denen man Zahnstocher für die halbe zahnstochernde Menschheit oder Tausende von Decken für die Halbtontasten des Fortepiano herausschneiden kann. Die wilden Jäger erlebten ein ganzes Buch voll Abenteuer, welche der berühmte Jagdschriftsteller Reid unter dem Titel: „The Bush-Boys“ sammelte und herausgab.
Wir theilen daraus eine der interessantesten Schilderungen, den Kampf zwischen einem Rhinoceros und einem Elephanten mit, wodurch wir zugleich eine originale Anschauung von dem natürlichen Charakter dieser beiden, noch vorsündfluthliche Bildungen repräsentirenden Riesenthiere bekommen.
Eines Tages wurden die Jäger durch die plötzliche Nachbarschaft eines alten Rhinoceros, das aus der buschigen Ebene in der Nähe eines Sees auftauchte, in ihrem Marsche aufgehalten. Man dachte daran, es zu tödten, aber das war leichter gedacht, als gethan. Sie hatten keine geschulten Pferde und ein Angriff zu Fuße erschien eben so gefährlich, als vergebens. Wie leicht konnte es Einen auf seinen spitzigen Nasenthurm spießen, ihn dann abschleudern, und unter seinen mächtigen Füßen zermalmen! Im besten Falle würde er entwischen, da ein Rhinoceros schneller läuft, als der flinkste Buschmann. Sich im Gebüsch heranschleichen und ihn schießen? Ein Schuß tödtet das Rhinoceros blos, wenn man in’s Herz oder sonst einen edeln, innern Theil trifft. Doch das war der einzige rathsame Plan. Sie krochen also auf ihren Füßen gegen den Wind im Gebüsche heran, als Swartboy plötzlich wie rasend auf- und umhersprang, und ununterbrochen dazu murmelte: „Da Klow! Da Klow!“ (Der Elephant! Der Elephant!) Van Bloom entdeckte auch sofort in der Richtung, welche Swartboy zeigte, auf der westlichen Ebene, aus dem niedern Gebüsch hervorragend und schwarz gegen den hellgelben Himmel abstechend, den breiten, runden Rücken eines Elephanten. Er kam näher und wackelte ganz lebhaft mit den großen lappigen Ohren. An Erlegung [251] des Rhinoceros war nun nicht mehr zu denken. Ehe sie sich aber über einen neuen Angriffsplan gegen den Elephanten einigen konnten, war dieser schon mit langsamen Schritten, aber schnell genug bis an den Rand des von Felsen umränderten Sees mit nur einer Eingangsschlucht auf dieser Seite herangekommen. Er watschelte munter nach dieser Schlucht, blieb dann plötzlich stehen, und fuhr mit dem Rüssel in allen Richtungen umher, prüfend, horchend, nachdenkend. Nach einigen Minuten trat er in die Schlucht hinein, die er vollständig ausfüllte. Die Jäger hatten jetzt in einer Entfernung von kaum 300 Yards einen vollen Anblick seiner Masse, über welcher die großen gelben Hauzähne gar lockend und graziös in die Höhe krümmten. Eine ungeheuere Körpermasse. Swartboy murmelte: „Alter Bulle! Sehr alter Bulle!“ Bis jetzt hatte das Rhinoceros noch nicht die geringste Ahnung von dem Nachbar, so nahe er auch war. Der Elephant trägt seine ungeheure Körpermasse still wie eine Katze. Zwar hört man dabei seinen Athem, wie fern aufrollenden Donner, aber das Rhinoceros war zu sehr mit seinem eigenen Vergnügen beschäftigt, als daß es etwas davon hätte hören können. Es wälzte sich übermüthig im vollsten Lebensgenusse umher, und machte allerhand spielende Capriolen, wie eine junge Katze im Sonnenschein. Dies sahen die Jäger deutlich über den Elephanten weg, wo sich unmittelbar am See die Schlucht wieder ausbreitete und erhob. Diese sonnige Stelle war der Spielplatz des Rhinoceros. Dies bemerkte jetzt auf einmal den Elephanten und sprang auf wie ein Gummiball mit einer Agilität und Elasticität, die ganz unmöglich erschienen war in einem so mächtigen Klumpen von Fleisch und Knochen. Gleichzeitig stieß es ein Mittelding von grunzendem und pfeifendem Ton aus. Der Elephant antwortete mit seinem furchtbaren Trompetenton des Aergers, der von den Felsen wiederhallte. Beide waren erstaunt über einander, Beide glotzten sich einige Minuten steif und fest an. Außerdem schienen sie das Dilemma, in welches sich Beide versetzten, zu merken. Der Elephant konnte nicht zum Wasser vor dem Rhinoceros, das Rhinoceros nicht zurück auf’s Land vor dem Elephanten. Es hätte können unter dem Elephanten wegkriechen, aber unter allen Thieren ist das Rhinoceros das letzte, welches kriecht, statt zu kriegen. Es fürchtet weder einen Menschen, noch ein Thier, selbst nicht den Löwen, den es öfter vor sich herjagt, wie eine Katze.
Das alte Rhinoceros hatte also nicht die geringste Absicht, dem Elephanten zu weichen. Der Elephant, auch ein altes Haus, hielt es offenbar ebenfalls für einen Ehrenpunkt, nicht nachzugeben, und da sie nicht an ein „Ehrengericht“ appelliren konnten, blieb ihnen nichts Anderes übrig, als die Sache persönlich zu entscheiden Die Jäger betrachteten sich die seltsame Scene mit dem gespanntesten Interesse. Beide Repräsentanten der Riesenthiere gehörten unstreitig zu den größten ihrer Art. Der Elephant, obgleich bei Weitem der überlegene, kannte seinen Gegner doch zu gut, als daß er es hätte wagen sollen, ihn ohne Weiteres anzugreifen. Er fürchtete dessen furchtbare Nasenspitze, das war sicher. Aber sein Geduldsfaden riß endlich, nachdem sich beide sehr lange mit Blicken gemessen. Seine alte Würde wurde verhöhnt, sein Pfad zum Bade und Trunk streitig gemacht, seine Herrschaft in Frage gestellt. Mit einem trompetenden Gebrüll, welches die Klippen erschütterte, stürzte er sich auf das Rhinoceros, packte es mit dem Rüssel fest unter ein Vorderblatt des Fußes und stürzte es in’s Wasser, daß die Wellen nach allen Seiten hoch in die Höhe schäumten und an den Ufern auf- und abwogten. Es sank, bäumte sich schnaubend und wälzte sich furchtbar mit seinem ungeheuern Körper, bis es die Füße wieder unter sich bekam, blitzschnell heraussprang und mit eingelegtem Horne gegen den Bauch des Elephanten stürzte. Dieser merkte den Angriffsplan und hielt stets mit wunderbarer Geschicklichkeit Front gegen den wüthenden Feind, bis er ihn wieder packte, wieder in’s Wasser stürzte. Es sprang wieder heraus, erneuerte seinen Angriff, ward wieder in’s Wasser gestürzt und sofort, bis der große See mit weißem Schaum bedeckt war. Zuletzt kämpften beide im Wasser, bis der Elephant zu glauben schien, der Gegner habe dort Vortheile, so daß er heraussprang und sich fest in den engen Eingangsschlund stellte, dessen Wände ihn schützten, und dort den Feind mit hochgeschwungenem Rüssel und gespannten, mächtigen Ohrlappen erwartete. Aber die Wände der Schlucht waren zu niedrig, um seine Flanken zu decken und hinderten ihn nur an freier Bewegung. Das Rhinoceros kletterte schnaubend herauf, wälzte den Kopf auf dem Ufer, riß den Boden mit dem Horne auf und so mit gesenktem Kopfe stürzte es sich blitzschnell hervor, warf dann den Kopf in die Höhe, bog ihn seitwärts und schlug dann dem Elephanten seitwärts das Horn in die Rippen. Er kreischte und schlug mit dem Rüssel wie mit einer Peitsche um sich, Zeichen genug, daß die Wunde „saß.“ Er sprang in’s Wasser und überstürzte seinen Körper fortwährend mit Wasserströmen aus dem Rüssel. Als er die Wunde so gekühlt hatte, kletterte er zurück und suchte emsig nach seinem Feinde. Dieser aber, offenbar zufrieden mit diesem Siege und dieser Bewährung seiner Ehre, hatte sich inzwischen davon gemacht und war nicht wieder aufzufinden.
Jetzt rüsteten sich die Jäger, den verwundeten Elephanten zu attakiren. Aber Swartboy meinte, es sei jetzt höchst gefährlich, von ihm nur gesehen zu werden. Deshalb hielten sich zunächst Alle verborgen. Gleichwohl war die Gelegenheit zu verführerisch und gebieterisch zugleich. Sie waren alle sehr hungerig und beschlossen, von einem Theile seines Rumpfes zu Abend zu essen. Sie krochen deshalb möglichst nahe, um in guter Schußnähe gleichzeitig zu feuern. Der Vater kroch voran, seine Söhne hinter ihm durch dünnes, oft vereinzeltes Gebüsch bis auf zwanzig Yard Entfernung. Sie sahen das im Schmerze wüthende Riesenthier durch das auseinander gebogene Buschwerk und legten die Gewehre an. Inzwischen kehrte aber der Elephant in’s Wasser zurück und butterte sehr leidenschaftlich darin mit seinen Butterfaßbeinen umher, während er sich mit dem Rüssel ein Sturzbad nach dem andern gab. Diese Heil- und Linderungsversuche setzte er lange emsig fort, bis sein donnernder Athem schwerer und dumpfer wurde und er öfter plötzlich mit dem Rüssel nach der Wunde fuhr, aus welcher der See weit umher blutgeröthet worden war. Endlich strengte er sich an, an’s Ufer heraufzuklimmen, was ihm sehr schwer ward. Mit den Vorderfüßen schon oben, fing er an zu wiegen und zu schwanken und rollte dann kopfüber zurück in’s Wasser, welches aus dunkeler Röthe weißschäumend aufspritzte und den todten Elephanten begrub. Als er wieder auf die Oberfläche gehoben ward, lag er still. Die kleine Wunde erwies sich sehr tief. Das Rhinoceros hatte ihn mit einem Stiche seines fürchterlichen Horns zum Tode getroffen.
Eine andere Elephantenjagd erwies sich in anderer Weise sehr abenteuerlich. Van Bloom stand hinter einem dicken Baume. Der Elephant, den die Jäger kommen sahen, wollte an ihnen vorbei, ohne sie zu bemerken. Aber die massenhaften, glänzenden Elfenbeinzähne desselben wurden von den Jägern um so leidenschaftlicher in’s Auge gefaßt und abgeschätzt. Van Bloom legte sein langes Rohr auf einen Ast, zielte nach dem Kopfe, drückte los und bekam sofort die wüthend trompetende Antwort von dem getroffenen Riesen, der donnernd und krachend in dem Gesträuch umherwüthete, Bäume mit dem Rüssel entwurzelte und in die Luft schleuderte und nach allen Seiten Schrecken verbreitete. Der Schuß hatte ihn blos getroffen, aber nicht verwundet. Vater und Söhne hielten sich jetzt an das einzige Mittel, zu entkommen. Sie blieben still und bewegungslos hinter dem Baumstamme. Nicht so Swartboy, der vor der krachenden Wuth des grimmigen Thieres ausriß, über eine offene Stelle lief und dazu außerdem noch fürchterlich schrie. Sofort sprang der Elephant in wüthenden Sätzen hinter ihm her, ohne die Schüsse zu beachten, die ihm Hendrick und Hans nachschickten. Einige Secunden genügten, um den Elephanten mit dem schnellfüßigen Buschmann in Berührung zu bringen. Mit der größten Geschicklichkeit steckte er ihm von Hinten her seine ungeheuern Elfenbeinkurven zwischen die Beine und schleuderte ihn hoch in die Luft. Die Jäger sahen ihn in den Lüften verschwinden, aber zu ihrem größten Erstaunen nicht wieder zum Vorschein kommen. Eben so erstaunt schien der Elephant, der ihn erwartete, um ihn todt zu trampeln. Er sah sich nach allen Seiten um, drehte sich, suchte, konnte aber keinen Buschmann entdecken. Wüthend darüber, brüllte er plötzlich auf und faßte einen Baum, den er schüttelte, daß er bis in die Wurzeln krachte, um den Buschmann, der sich in dessen Krone festgehalten, herunterzuschütteln. Der Buschmann hielt sich verzweifelt fest, so daß er nicht eher herunter kam, als bis der Baum selbst, umarmt von dem Rüssel des Elephanten niederstürzte, mit der Krone gegen dessen Hinterseite. Swartboy berührte im Falle sogar des Elephanten Rücken und rutschte an dessen Hinterfüße herunter, unverletzt, da ihn die Baumzweige geschützt hatten, auch unverletzt in dem Begreifen und [252] Benutzen seiner Lage. Wohlwissend, daß an Flucht oder an Gnade nicht zu denken war, sprang er plötzlich mit seiner katzenartigen Geschicklichkeit an einem Hinterfuße des Elephanten in die Höhe und hielt sich fest, wie angewachsen, da der Gelenkabsatz am Fuße des Elephanten ihm zugleich einen festen Standpunkt gab. Der wüthende Riese schüttelte und griff bald links, bald rechts nach ihm, ohne ihn zu erreichen. Zugleich begriff er offenbar durchaus nicht, was dies für eine Ladung hinten war, so daß er erstaunt und erschreckt mit einem schrillen Gekreisch, mit starr aufgerichtetem Rüssel und Schwanze ausriß, ohne jemals Halt zu machen, bis er ganz aus dem Gesichtskreise war. Der Buschmann war in einem Dickicht leise heruntergerutscht und in entgegengesetzter Richtung mit aller Macht seiner Füße davon gelaufen. Dies war nicht nöthig, denn der Elephant, nicht minder erschreckt, dachte wahrscheinlich während der nächsten zehn Meilen seiner Flucht nicht ein einziges Mal daran, sich umzusehen.
Neben dem „Ocean auf dem Tische“, der in englischen Küstenstädten
jetzt so allgemeinen Beifall findet, darf sich „der See im
Glase“ für die Binnenlandsbewohner schon sehen lassen. Beide
sind erfreuliche Zeichen von dem täglich zunehmenden Geschmack
für Natürliches, und neben der Beschreibung des ersteren in Nr.
38 des vorigen Jahrg. der Gartenl. von einem andern Verfasser,
der in Deutschland zuerst Mittheilungen über das Aquarium überhaupt
gab, geben wir nun hier eine Beschreibung des „See's im
Glase“ und eine ausführliche Anleitung zu dessen Einrichtung
und Abwartung.
Als von England aus der Ocean auf dem Tische oder, wie man das geschmackvolle und lehrreiche Ding auch nennt, das Aquarium, dem Verfasser dieser Mittheilungen zuerst bekannt wurde, hätte er sich an die Stirn schlagen mögen, daß er, ein Naturforscher im Dienste der Verallgemeinung seiner reichen, schönen Wissenschaft, nicht längst daran gedacht habe, die seit vielen Jahren von ihm gepflogene Gewohnheit, zu wissenschaftlichen Beobachtungen in großen Gläsern Wasserthiere und Wasserpflanzen zu ziehen, zu einem neuen Mittel zu machen, naturwissenschaftlichen Sinn zu wecken und pflegen. Die sofort eingeleiteten Veranstaltungen zur Herstellung genügender Glasgefäße und Gestelle haben nach vielfältigen vergeblichen Versuchen erst jetzt zu dem gewünschten Ergebnisse geführt;[1] und nun ist auch die Wiederkehr des Frühlings beflissen, uns die Gefäße mit Leben zu erfüllen.
Das etwa 20 par. Zoll hohe und 15 Zoll weite Glasgefäß füllt man zunächst am Boden etwa 3 Zoll hoch mit Flußsand. Ein weiteres aus dem Steinreiche zu entlehnendes Erforderniß – denn es vereinigen sich alle drei Reiche im Aquarium – ist eine gehörige Anzahl größerer und kleiner Stücke von dem Kalksinter, welcher schon längst als Einfassung von Gartenbeeten oder zu Miniaturfelsen auf Blumengestellen in Gebrauch und allgemein bekannt ist. Dieser schöne Stein, das Erzeugniß kalkhaltiger Quellen aus der jüngsten erdgeschichtlichen Vorzeit, verleiht dem Aquarium nicht nur einen großen Schmuck, sondern gewährt auch den Pflanzen und Thieren eine erwünschte Stätte. Die Pflanzen treiben ihre Wurzeln in die vielen röhrenartigen Zwischenräume des Kalksinters, aus welchem viele von ihnen zugleich eine gedeihliche Nahrung ziehen, und kleinere Thiere finden in denselben einen Zufluchtsort, wenn sie von größeren verfolgt werden. Von größeren Kalksinterstücken baut man in der Mitte des Gefäßes einen Felsen, welcher mit seiner Spitze über das Wasser hervorragt und, je nachdem man die Botanik oder die Zoologie vorherrschen lassen will, für letzteren Fall sogar noch über den Rand des Gefäßes hinausragen kann. Die Porosität des Steines zieht auch in diese als Felseninsel emporstehende Spitze fortwährend Wasser in die Höhe, so daß in ihre Spalten und Risse gepflanzte Moose und andere kleine Pflanzen freudig wachsen und so dem Steine das Ansehen eines bebuschten Felsens en miniature verleihen. Rings um den Fuß des kleinen Berges bedeckt man den Flußsand mit kleinen, höchstens faustgroßen Steinstücken oder kleinen Bachkieseln. Sie geben nicht nur dem Boden das Ansehen eines felsigen Meeresbodens, sondern verhindern auch die Thiere, den Sand aufzuwühlen, wodurch das Wasser getrübt werden würde.
Ehe ich weiter beschreibe, muß ich an meine Leser die Vorfrage richten, ob sie ihrem Aquarium mehr einen landschaftlichen Charakter geben wollen, oder ob es mehr das Ansehen eines Pflanzenkübels erhalten soll.
Nehmen wir zunächst letzteren Fall an (nach welchem der Holzschnitt aufgefaßt ist), so muß in die Mitte des Gefäßes ein etwa 8 Zoll hoher und 4 Zoll weiter walzenförmiger Korb, aus ungeschälten Weidenruthen weitläuftig geflochten, gestellt werden, den man durch an seine Seiten angelegte Kalksinterstücken verdeckt. In diesen Korb setzen wir mit etwas Teichschlamm einige größere Wasserpflanzen, die sich nun scheinbar aus dem Steinfelsen hoch über die Wasserfläche erheben. Der Korb ist überflüssig, wenn man aus passend geformten Steinen einen kleinen Krater für die Pflanzen zusammenbauen kann. Ohne der Liebhaberei für Ausländisches wehren zu wollen, so spreche ich doch in Folgendem nur von einheimischen Pflanzen, denn ich räume der Fremde nur erst dann ein Recht ein, wenn die Heimath sich unzulänglich erweist. Und in der That bietet der Spiegel unserer Sümpfe und verschilfter Teiche genug Pflanzen dar, welche in das Aquarium versetzt, sich sehr gut ausnehmen, ja welche vielen meiner Leser und Leserinnen wegen ihrer zum Theil abenteuerlichen Formen wie ausländische vorkommen werden. Zudem sind diese Pflanzen überall zu finden, wo die ihnen zusagende Oertlichkeit vorhanden ist, was überall in ganz Deutschland der Fall ist. Neben den straußartig aus dem Mittelpunkte des Gefäßes hervorwachsenden höheren Pflanzen kann man theils in den Zwischenräumen der äußeren Steinumkleidung des Korbes, theils in den Fugen der am Boden vertheilten Steine kleinere Pflanzen anbringen; ja eine unserer schönsten Wasserpflanzen, der Froschbiß, Hydrocharis morsus ranae, schwimmt ganz frei auf dem Wasserspiegel, indem sie ihre etwa fingerlangen schön bewimperten Wurzeln in das Wasser frei hinabhängen läßt.
Als die für diese Einrichtung des Aquariums (als Pflanzenkübel) geeignetsten Pflanzen nenne ich folgende: 1. Das Pfeilkraut, Sagittaria sagittifolia, nächst den gelben und weißen Seerosen unstreitig diejenige Pflanze, welche dem landschaftlichen Charakter unserer Teiche und Lachen einen geradehin tropischen Zug verleiht. Schon Mancher wollte mir kaum glauben, daß die Pflanze mit dem vollkommen einem Pfeile gleichenden Blatte und den sonderbaren dreiblättrigen Blümchen eine gemeine deutsche Wasserpflanze sei. 2. Der Igelkolben, Sparganium ramosum. Auch dieses schilfartige Gewächs mit den abenteuerlichen Blüthen wächst beinahe in jedem Teiche und ist doch außer Botanikern, Fischern und – Badenden den Wenigsten bekannt. 3. Der Froschlöffel, Alisma Plantago. Neben den pfeilförmigen und den langen säbelförmigen Schilfblättern der beiden vorigen bietet eine dritte Blattgestalt diese in jedem Graben wachsende Pflanze. Ihre Blätter sind länglichrund. Ihr mit vielen Hunderten dreiblättriger rosenrother Blüthchen übersäeter Blüthenschaft bildet ein zwei Fuß hohes, ungemein zierlich und leicht verästeltes Bäumchen. 4. Das Riedgras oder Segge', Carex. Von dieser artenreichen Gattung sollte man stets jenen drei Gewächsen eine ihrer größeren Arten beigesellen, namentlich C. stricta, limosa, vesicaria, ampullacea oder Pseudocyperus. Die ansehnlichen äußerst zierlich aus zahlreichen Schlauchfrüchtchen zusammengesetzten weiblichen Blüthenähren, welche auf zarten Stielen bogig überhängen, werden Vielen zum ersten Male zu Gesicht kommen, da diese schönen Gräser meist an unzugänglichen Stellen sich verbergen.
Diese vier Pflanzen reichen zu einer Gruppe vollkommen aus; ich nenne jedoch noch einige, welche sich ebenfalls dazu eignen.
[253]
[254] 5. Die Wasserviole, Butomus umbellatum. Sie hat über 1 Elle lange aufrecht stehende bandförmige Blätter und auf hohem Schafte eine reiche Dolde violetter Blüthen. 6. Das Sumpfschlangenkraut, Calla palustris, die Gattungsschwester des bekannten Aaronstabes, Calla aethiopica; jedoch niedriger bleibend und mit herzförmigen Blättern. 7. Die Sumpfbrunnenkresse, Nasturtium palustre; sie empfiehlt sich durch ihre fein fiederspaltigen Blätter und findet sich fast überall in Gräben. Gar nicht oder nur wenig treten über den Wasserspiegel empor. 8. Die Wassernuß, Trapa natans, eine zierliche auf dem Wasser schwimmende Blätterrosette bildend. 9. Das Hornblatt, Ceratophyllum demersum; 10. Das krausblättrige Laichkraut, Potamogeton crispus; 11. Der Wasserstern, Callitriche verna; 12. Der Froschbiß', Hydocharis morsus ranae.
Soll das Aquarium vorzugsweise eine kleine botanische Garteninsel für möglichst viele Sumpf- und Wasserpflanzen werden, mit nur beschränktem Spielraum für die Fischchen am Umfange des Steinbeetes, wozu der Kalksinter so sehr passende Gelegenheit bietet, so wähle man aus nachbenannten Pflanzen, die fast überall auf den deutschen Moorbrüchen wachsen: 13. Der Fieberklee, Menianthes trifoliata, eine unserer schönsten deutschen Pflanzen mit einem schlanken Schafte, welcher hyacinthenähnliche, blendend weiße, inwendig zart bebartete Blumen trägt; 14. Das Vergißmeinnicht, Myosotis palustris; 15. Der Gagel, Myrica Gale, ein zierlicher, schön beblätterter kleiner Strauch. 16. Die Parnassie, Parnassia palustris, eine wunderschöne Blume; 17. Die Kriechweide, Salix repens, ein astreiches Weidenbüschchen, welches nicht über eine Spanne hoch wird; 18. Swertia perennis mit dunkelblauer Sternblume; 19. Die Sumpftofieldie, Tofieldia palustris; 20. mehrere Orchisarten, z. B. Orchis viridis, conopsea, palustris und andere; 21. Die Sumpfheidelbeere, Vaccinium oxycoccos, ein zarter kriechender Strauch mit fadendünnen Stämmchen und rosenrothen Blumen; 22. Die Bärenwurzel, Meum athamanticum, eine kleine Dolde mit haarfeinen, tausendfältig zerschlissenen Blättern, 23. Das Siebenfingerkraut, Comarum palustre, mit schönen aus sieben Blättchen zusammengesetzten Blättern und schwarzrother Blume; 24. Die Rauschbeere, Empetrum nigrum, ein höchst zierlicher, dicht mit kleinen Blättchen bedeckter kleiner Strauch von Fingerlänge; 25. Die Moorhaide, Erica Tetralix, den capischen Haiden unserer Gewächshäuser nicht nachstehend; 26. Der Wassernabel, Hydrocotyle vulgaris, ein zartes Gewächs mit kreisrunden, sonnenschirmartig auf dem Blattstiele sitzenden Blättern, 27. Die Borstbinse, Scirpus setaceus, ein äußerst zartes Gras, welches dichte kleine Rasen bildet.
Unser Aquarium ist vielleicht auch berufen, unsere zarteste deutsche Pflanze, welche ihren fast mährchenhaft lautenden Namen, Sonnenthau, Drosera rotundifolia, mit Fug und Recht trägt, von ihrem für die Spaziergänger fast unzugänglichen Standorte in unser Zimmer zu versetzen. Dieses reizende Gewächs wächst immer auf den wassergetränkten Moospolstern mooriger Wiesen und würde ohne Zweifel, mit einem Moosbüschel zugleich ausgehoben und mit diesem in das Aquarium versetzt, in diesem gedeihen und, was man fest behaupten darf, staunendes Entzücken erregen. Ueberhaupt ist Freunden der kleineren, meist so zierlichen Pflanzenformen anzurathen, im Aquarium ein nur 1–2 Zoll über dem Wasserspiegel emporragendes steinumfriedigtes Moorbett für diese einzurichten.
Endlich sind noch einige höhere Gewächse nachzutragen, welche namentlich im Frühjahre das Aquarium schmücken: 28. Die Dotterblume, Caltha palustris, welche als kräftiger voller Stock mit seinen großen dottergelben Blumen im März und April dem Aquarium einen schönen Schmuck verleiht. 29. Die Waldbinse, Scirpus silvaticus; 30. Die Wollgräser, Eriophorum latifolium, augustifolium und vaginatum zieren nach dem Verblühen ihren Standort durch die blendendweißen Wollbüschel der Fruchtährchen. 31. Die gelbe Schwertlilie, Iris Pseudacorus.
Ist eine Auswahl aus den genannten 31 Pflanzen getroffen, und dieselben theils auf dem Grunde, theils in den Fugen des Mittelfelsens und in dem Korbe im Innern dieses mit nur weniger Schlammerde eingepflanzt, so füllt man das Gefäß bis etwa 3–4 Zoll unter dem Rande mit Fluß- oder Bachwasser. Um nicht zu lange Zeit ein trübes Wasser zu haben, gießt man es natürlich langsam und ruhig ein, wo möglich so, daß es gegen die innere Wand des Gefäßes strömt, und von dieser breit auf den Boden abfließt. Am besten bedient man sich beim Ein- und Ausgießen des Wassers eines Guttaperchaschlauches als Heber.
Der Kalksinter enthält oft, namentlich wenn es Stücken sind, die nicht frisch gebrochen wurden, sondern vielleicht schon lange Zeit am Boden der Witterung ausgesetzt gelegen haben, in seinen Zwischenräumen Erde und Staub, welche man mit einer Bürste oder einem kleinen Besen von Birkenreisern vorher auswaschen muß, damit nicht das Wasser lange Zeit dadurch getrübt wird, indem sich diese anhängende Masse erst nach und nach ablöst.
Hat man kein Flußwasser zur Hand, so kann man auch reines Brunnenwasser nehmen, dessen Kohlensäure zwar sofort etwas von dem Kalk auflösen und das Wasser für einige Stunden etwas milchig machen wird, worauf sich aber die dadurch gebildete, sehr geringe Menge weißen Kalkpulvers auf den Boden niederschlagen wird, so daß der Niederschlag nicht einmal als weiße Farbe darauf sichtbar bleibt. Hierbei entwickelt sich anfangs sehr lebhaft der bekannte Kalkgeruch, der aber bald verschwindet. Nach dem Einfüllen des Wassers auf dessen Oberfläche schwimmende Körperchen entfernt man leicht, indem man die Hand in das Wasser taucht, an der dieselben, wenn man sie wieder heraus zieht, hängen bleiben. Man spült sie dann von der Hand in einem andern mit Wasser gefüllten Gefäß ab.
Wenn wir nun die Anlegung des Aquariums mehr in landschaftlichem Charakter auffassen, haben wir manche der genannten Pflanzen zu vermeiden und einige andere hinzuzufügen. Wir werden dabei den Busch in der Mitte ganz wegzulassen haben, vielmehr in der Mitte eine womöglich mehrkuppige kleine Felseninsel aufthürmen und bis vielleicht 5–8 Zoll noch über den Rand des Gefäßes herausragen lassen. Es ist dabei maßgebend, ob die Porosität des Kalksinters im Stande ist, das Wasser so hoch über den Spiegel desselben emporzusaugen, denn im entgegengesetzten Falle würde man die Steine weniger über das Wasser herausstehen lassen dürfen, da dieselben durch und durch immer feucht sein müssen. Es ist gut, wenn man zu dieser Auffassung zunächst das untere Fünftel der Höhe des Gefäßes, welches der engste Theil desselben ist, mit grobem Flußsand ausfüllt und dann erst auf diesen den Kalksinterfelsen aufführt, wobei man am wenigsten vergessen darf, die ganze, nun etwas beträchtlichere, Grundfläche mit kleineren Brocken von Sinter zu belegen. Hat man dazu ein sehr weites Gefäß, so daß man vielleicht über eine runde Bodenfläche von einer Elle Durchmesser zu verfügen hat, so läßt sich auf dem sandigen Grunde leicht ein Miniaturbild von untermeerischen Gebirgszügen und dazwischen liegenden sandigen Ebenen darstellen. Sechs pariser Zoll Wassertiefe ist dann hinreichend, damit die kleinen Felsenpartien nicht zu tief im Wasser stehen und an ihren Seiten und auf den Kuppen mit passenden Gewächsen bepflanzt werden können. Hierzu eignen sich nun ganz vorzüglich einige unserer deutschen Farrenkräuter, deren Wurzelstock selbst im Wasser stehen darf, jedoch nur so tief, daß die sich bildenden jungen Wedel sogleich aus dem Wasser heraustreten können. Von unseren Farren sind am tauglichsten 32. 33. die beiden Tüpfelfarren, Polypodium Dryopteris und P. Phegopteris; für eine Stelle über dem Wasser auch 34. P. vulgare, eben so der in den westlichen Theilen Deutschlands vorkommende 35. Ceterrach, Ceterach officinarum, 36. der Rippenfarren, Blechnum Spicant, 37. die Mauerraute, Asplenium ruta muraria, und 38. der schöne Haarfarren, Asplenium Trichomanes. Ganz vorzüglich durch die zarte Zertheilung des Laubes empfiehlt sich auch (jedoch nicht tief unter den Wasserspiegel zu bringen) 39. der zerbrechliche Blasenfarren, Cystopteris fragilis. Will man vielleicht aus der Felspartie in der Mitte einen größeren Farrenbusch seinen schönen Fächer entfalten lassen, so dient dazu irgend eine Art der Schildfarren, Aspidium, vor allen 40. A. Thelypteris und A. Oreopteris, welche auch eine tiefere Einsenkung ihres Wurzelstockes in das Wasser vertragen, dasselbe gilt von dem prachtvollen Königsfarren, Osmunda regalis, welcher auf Moorwiesen und in moorigen Waldungen an vielen Orten Deutschlands vorkommt.
So können wir die ganze Pflanzenwelt unseres Landschafts-Aquariums [255] aus lauter Farrenkräutern herstellen. Das lebhafte Grün der vielgestaltigen Wedel (so nennt man das Laub der Farrenkräuter), die zierlichen Fruchthäufchen auf deren Rückseite ohne sich einmischende Blüthenformen bringen einen eigenthümlichen fast fremdländischen Charakter hervor. Er erinnert uns unwillkürlich an jene vorzeitliche Pflanzenwelt, aus deren Ueberresten sich unsere mächtigen Steinkohlenlager gebildet haben, und in welcher die Farrenkräuter, freilich meist als ansehnliche Bäume, den Hauptzug bildeten. Dann dürfen wir aber, um die Aehnlichkeit vollständig zu machen, 43. den Waldschafthalm, Equisetum silvaticum, nicht vergessen, dessen quirlartig verästelte Stengel die elegantesten Bäumchen bilden. Er verträgt den Stand im Schlamm sehr gut.
Will man auch einige andere Gewächse zwischen den Farren vertheilen, so empfehlen sich dazu von den aufgezählten ganz besonders Nr. 21. 22. 24. 25. 26. und 27.
Von allen diesen für die landschaftliche Gruppirung aufgezählten Pflanzen wähle man kleine Exemplare aus, die man mit ein wenig Moorerde in passende Grübchen und Fugen der Steine locker einbettet.
Noch ist aber eines wesentlichen Schmuckes zu gedenken: der Wassermoose. Ziemlich viele Arten unserer Laubmoose wachsen entweder geradezu im Wasser, namentlich in steinigen Bächen, oder wenigstens auf moorigen Wiesen, und gedeihen dann auch sehr gut in dem Wasser unseres Aquariums. Namentlich in gebirgigen Waldgegenden wird man leicht solche Moose selbst auffinden, die man dann mit den Steinchen, an denen sie fest sitzen, einsammelt, und ohne sie unterwegs vertrocknen zu lassen, in das Gefäß bringt. Ich nenne, obgleich hier eine namentliche Bezeichnung kaum nöthig ist, 44–46. mehrere Astmoose, namentlich Hypnum riparium, H. palustre und H. alopecurum und 47. das Drehmoos, Funaria hygrometrica. In die Fugen der feuchten Oberfläche der Steine passen 48. 49. die Sternmoose, Mnium cuspidatum und punctatum, 50. der graue Gabelzahn, Dicranum glaucum, und 51. einige der kürzeren Arten der Gattung Wiederthon, Polytrichum.
Endlich sind zum Schluß der Pflanzenwelt noch die Algen zu erwähnen, jene bekannten grünen Fadenschöpfe der Bäche und Mühlgerinne. Man wähle solche, welche im Wasser an Steinen und Baumwurzeln festsitzen, da diese am meisten einen regelmäßigen schopfartigen Wuchs haben. Alte Mühlräder werden am leichtesten einen Vorrath liefern.
Wir gehen nun zur Thierwelt unseres Aquariums über. Wollen wir in diesem den Pflanzenschmuck vorherrschen lassen, so werden wir uns mit wenigen Arten von Thieren begnügen müssen, indem natürlich diejenigen zu vermeiden sind, welche von den Pflanzenwurzeln und Blättern leben. Dahin gehören vor allen alle, wenigstens die größeren, pflanzenfressenden Wasserschnecken. Da aber diese gerade durch ihre Lebensweise viel Unterhaltung und Belehrung bieten, so kann man wenigstens einige wenige aufnehmen. Diese großen Arten sind die große Schlammschnecke, Limnaeus stagnalis und die hornfarbige Tellerschnecke, Planorbis corneus. Beide leben gemein in unsern Teichen. Im Frühjahre legen sie ihren krystallhellen gallertartigen Eierlaich an die Glaswände ab, und man kann dann mit einer einfachen Lupe die Entwickelung der jungen Schneckchen von Tag zu Tag verfolgen. Aus dem winzigen hellgelben Dotterkügelchen entwickelt sich in einigen Wochen unter fortwährender langsamer Achsendrehung die kleine Schnecke mit dem Gehäuschen innerhalb eines Eierfaches im Laiche. Unsere beiden großen Sumpfschnecken: Paluvina vivipura und fasciata sind fleischfressend und daher den Pflanzen nicht nachtheilig. Sie reinigen im Gegentheil das Wasser von allerhand thierischen Abfällen. Sie bringen lebendige Junge zur Welt von Erbsengröße, und diese haben gleich ein Gehäuse von 4 Umgängen. Die Sumpfschnecken können die Mündung ihres Gehäuses hinter sich mit einem hornartigen Deckel fest verschließen. Neben diesen großen Arten wimmeln die meisten Wiesengräben und sumpfigen Lachen von einer Menge kleiner Schneckenarten und auch einigen kleinen erbsengroßen Muscheln, von denen man viele aufnehmen kann. Die Thiere, deren zierliche Gehäuse sehr manchfaltige Gestalten haben, bevölkern die Wände des Gefäßes auf eine angenehme Weise. Größere Muscheln, namentlich die Teichmuscheln, Anodonta, und Flußperlenmuscheln, Unio, darf man nur aufnehmen, wenn das Thierreich vorherrschen soll, weil sie meist ohne Unterlaß, freilich langsam wie der Zeiger der Uhr, den Grund durchfurchen und daher die Pflanzen aufwühlen.
Ich schalte hier die Jagd nach diesen kleinen Schnecken und anderen kleinen Wasserthieren ein. Sie ist nichts weniger als umständlich und zeitraubend. Man kann sie auf verschiedene Weise ausführen. Mit einem großen weißen sogenannten Zucker- oder Einmachglase geht man aus und sucht einen mit Pflanzen durchwachsenen und viel abgestorbene Blätter auf seinem Grunde enthaltenden Wiesengraben, oder eine solche Lache oder Sumpf. Mit der Hand oder mit einem Haken nimmt man auf’s Gerathewohl einige Klumpen von verwesenden Blättern und Wasserpflanzen und Stengelstückchen, die den Boden bilden, herauf und thut sie in das mit Wasser gefüllte Glas. Nachdem man den Brei etwas umgerührt hat, wodurch die darin enthaltenen Thiere sich in dem Wasser vertheilen, so schöpft man, ehe sie zu Boden sinken, die entvölkerten Blätter heraus. Die übrigen in dem Wasser vertheilten Dinge fallen zu Boden, während sich die Schnecken nach und nach alle an den Wänden des Glases versammeln, von denen man sie leicht abnehmen kann. Besonders ergiebig ist die Jagd, wenn man in heißem Wetter einen Graben findet, welcher durch Austrocknung das Wasser schon ziemlich ganz verloren hat. Dann finden sich die Schnecken gewöhnlich in großer Menge zwischen den noch nassen Blättern, welche recht eigentlich einen verfaulenden Blätterteig am Boden bilden. Dann kann man auch, wenn man das Glas nicht zur Hand hat, solche halb trockene Klumpen zu Hause entvölkern. Eine andere Art der Jagd auf kleine Wasserthiere geschieht mit einem Schmetterlingsnetz. In diesem wäscht man jene Blätterklumpen unter Wasser aus, wobei sich alle Thiere unten im Zipfel des Netzes ansammeln, während man die Blätter oben wieder herausfischt. Die gefangenen Thiere nimmt man ohne Wasser, blos naß, in einem kleineren Glase, welches man dann mit etwas Moos locker zustopft, oder in einer gebundenen, nicht geleimten, Schachtel mit nach Haus. Das Wasser würde selbst auf einem nur eine halbe Stunde langen Heimwege warm und faulig und für die Thiere tödtlich werden.
Bei dieser Jagd hat der, welcher sie zum ersten Male machte, ohne es zu ahnen zugleich eine Menge anderer Thiere mit erwischt, von denen viele in das Aquarium gehören. Auch nur einen Theil derselben hier namentlich aufzuzählen, würde zu weit führen. Das Aquarium, wenn es dabei vorzugsweise auf thierisches Leben abgesehen ist, ist eben eine wahre Wasser-Menagerie, welche dem Freunde der Natur eine Menge kleine Geheimnisse, noch nicht gesehene Thiere, vor Augen führen wird. Zu entfernen sind von der unwillkürlichen Beute die großen Wasserkäfer (namentlich Dityscus marginalis und andere) und die Blutegel, weil beide den größeren Thieren und auch den Schnecken nachstellen. Sicherlich hat uns ein solcher Fischzug auch einige Larven der Köcherjungfern (Phryganea) verschafft. Sie sind vor allen Dingen zu beachten, denn sie sind geschickte Mosaikarbeiterinnen. Jede baut sich nach ihrer Art entweder von kleinen Rinden-, Holz- und Blattstückchen, oder aus kleinen Steinchen oder aus kleinen leeren Schnecken- und Muschelschalen ein einen Zoll langes und längeres köcherförmiges Gehäuse, was sie immer mit sich herumschleppt. Vielleicht schwärmt eines Tages eine prächtige Libelle in unserem Zimmer herum, die wir als Puppe im Wasser auch mit gefangen haben. Die Köcherjungfern sind weniger schön geflügelte Schwestern der Libellen.
Zu den Fischen übergehend, haben wir unser Aquarium vor den räuberischen Fischen zu bewahren, den Forellen, Hechten und Barschen. Kleine Samenfischchen aller Art eignen sich, denn der Fisch streckt sich nach der Decke und bleibt im kleinen Lebensraume ein Zwerg. Dies beweist der Goldfisch, eigentlich ein Karpfen, Cyprinus auratus, der in Bassins auch über 1 Fuß lang wird, in unseren Gläsern aber in zehn Jahren nicht merklich wächst und höchstens 4–5 Zoll lang wird. Nebenbei gesagt, ist der Goldfisch, von Nationalität ein Chinese, der einzige aus fremden Welttheilen bei uns eingeführte Fisch. Wir füttern unsere Fischchen, aber ja nicht zu reichlich, mit gedörrten Ameiseneiern (wenn es nicht eine Schande für einen Naturforscher ist, die Ameisenpuppen Eier zu nennen), weißen Oblaten, Brotkrümchen u. dergl. Sie finden außerdem mancherlei zu leben auf dem Grunde des Gefäßes, auf welchem sich mit der Zeit, wie in der freien Natur, als Beute für solches Gethier kleine Pflänzchen und Thierchen einfinden. Die kleinen Ellritzen, die in einem Gefäße von der [256] angegebenen Größe zu Hundert Platz haben, bilden ein sich munter umhertummelndes Fischpublikum neben den bedächtigen in Gold gekleideten Chinesen. Bringen wir als Wetterpropheten einen Wetterfisch, Cobitis fossilis, mit in das Aquarium, so müssen wir seinetwegen eine Stelle des Sandgrundes frei von Steinen lassen, damit er darin herumwühlen kann.
Wir kommen nun zu den Lurchen, wie wir echt deutsch die Amphibien nennen wollen. Leider herrscht vor ihnen ein grundloses Vorurtheil bei den Leuten, welches einzig und allein bei der Kreuzotter oder Viper kein grundloses ist, obgleich ich die häßliche Kröte, mit ihrem scharfen, aber durchaus nicht giftigen Harn, durchaus nicht liebenswürdig wie das Fischchen nennen will. Aber die harmlosen Molche, namentlich die kleinen sogenannten Teichsalamander, Triton cinereus, mit dem schönen Hautkamme über Rücken und Schwanz, gehören nothwendig in das Aquarium, welches wir ihretwegen nicht zu hoch mit Wasser füllen dürfen, da sie sonst gern herausklettern. Soll die Botanik in dem Aquarium die Hauptrolle spielen, so müssen die Molche leider wegbleiben, weil sie gern an den zarten Stämmchen, z. B. der Farrenkräuter, in die Höhe klettern und sie dann umknicken.
Das wäre nun ungefähr das Leben für unser Aquarium. Aber wird es darin auch Leben bleiben? Wird es uns nicht viel Sorge und Mühe machen, es zu erhalten? Wie oft müssen wir das Wasser erneuern? Antwort: Niemals. Wenn die Pflanzen darin recht freudig gedeihen so saugen sie mit ihren Wurzeln alle fauligen Stoffe auf, welche von dem Abgang der Thiere sich dem Wasser beimischen. In diesem Augenblicke steht neben dem Arbeitstische, an welchem dies geschrieben wurde, seit 6 Monaten ein großes Aquarium, ohne daß das Wasser einmal erneuert worden wäre. Nur zuweilen nachzufüllen hat man das, was durch die Verdunstung verloren geht. Doch weise man dem Süßwasser-Aquarium seinen Platz nicht an einem Fenster ein, das von der Sonne stark und lange beschienen werden kann, das Wasser darin nicht zu stark erwärmt werde. Größere Leichen, – todte Fische entgehen der Aufmerksamkeit nicht, weil sie sofort auf der Seite liegend, oben auf schwimmen – kann man leicht entfernen ehe sie faulen. Gleichwohl sind in meinem Aquarium in der angegebenen Zeit wenigstens zehn größere Schnecken gestorben und verfault, deren leere Gehäuse nun am Boden liegen. Ein Fisch ist darin noch nicht gestorben. Was das Thierleben gefährden könnte, wird sofort von den Pflanzen als gedeihliche Nahrung aufgenommen.
Dem Hornblatt (9), was langen Fichtentrieben ähnelt und sich in jedem Teiche findet, glaube ich vorzüglich das Gedeihen meines Aquariums zuschreiben zu müssen. Denn im October vorigen Jahres hineingelegte abgerissene fingerlange Stengel desselben sind seitdem zu ellenlangen armleuchterähnlich beblätterten Guirlanden erwachsen, welche im Lichte ununterbrochen kleine Perlen von Sauerstoff austreten lassen und dadurch so wie wahrscheinlich durch eine lebhafte Einsaugung von Kohlensäure das Wasser für die Thiere athembar halten. Gleich gute Dienste würde ohne Zweifel die schwimmende Salvinie, Salvinia natans, leisten, ein sehr niedlicher Wasserfarren, welcher sich in manchen Gegenden Deutschlands häufig auf dem Wasserspiegel großer Sümpfe findet.
So möge denn diese das reichhaltige Thema, welches dem eigenen Nachdenken und Erfinden immer noch Spielraum genug läßt, nur theilweise erschöpfende Mittheilung etwas dazu beitragen, die Freude an der Natur zu unterstützen.
Das Aquarium ist im häuslichen Familienkreise ein wirksames Mittel, die Kinderwelt an den vertrauten Umgang mit der Natur zu gewöhnen. Spielschulen und Kindergärten, ja jede gute Schule sollte sich dieses Mittels bedienen. Es schärft das Auge und lenkt die Beobachtungsgabe auf ein bisher von der Menge unbeachtet gelassenes Feld. Die Entwickelungsgeschichte der Schnecken, vieler Insekten, der froschartigen Lurche gewährt nicht blos dem wißbegierigen Auge des Kindes eine angenehme Unterhaltung, sondern vermittelt nützliches Wissen.
Dem See-Aquarium gegenüber hat das unserige ganz entschieden einen Vorzug, den der Verbindung des unter dem Wasserspiegel sich herumtummelnden Thierlebens und des freudig sich über ihm erhebenden Grün der Gewächse, während im Seeaquarium Alles unter Wasser bleiben muß.
Von H. K-g.
Bulwer. Badeleben.
Vom unfreundlichen Norden eilte ich vor einigen Jahren schnell
dem Süden zu, dem Süden des Rheinlandes, wenn man nämlich
so kühn sein darf, das Großherzogthum Nassau mit seinem Wiesbaden
zu den Rheinlanden zu rechnen.
Ich trat eines Tages in das Hotel zu den „vier Jahreszeiten“ gedachten Badeortes. Es war kurz vor Mittagszeit, weshalb eine Menge Gäste bereits im Speisesaal umherschlenderten, mit stiller Verzweiflung und Raffinement in den Mienen, wie sie am besten die paar langweiligen Minuten todtschlagen könnten, die noch an der Speisestunde fehlten. Diese Gruppen hatten demnach weder etwas Neues noch Befremdendes, um so mehr aber fiel mir eine Anzahl Gentlemans auf, in weißen Cravatten und dito Handschuhen, die sich rasch nach der Thüre wendeten, so oft sich diese öffnete. Die Haltung und der ganze Schnitt dieser Herren verrieth sogleich die Engländer, und die strenge Toilette einen außerordentlichen Empfang oder etwas dergleichen. Plötzlich öffnete sich die Thüre weiter, ich möchte sagen, formeller und umständlicher wie gewöhnlich, und herein schritt ein Mann, dem die Herren im Saale ehrfurchtsvoll entgegentraten und bewillkommneten. Der Eintretende schien ein Mann von Mitte Vierzig. Seine Figur war schmächtig und beinahe groß; die Farbe seines Gesichts blaß und gelblich, das gelockte schwarze Haar an manchen Stellen schon gebleicht. Man setzte sich zur Tafel, und ich war so glücklich, nicht allzu weit von der interessanten Erscheinung zu sein. Ich konnte fast nicht erwarten, bis der Kellner mir die Suppe reichte, um ihn zu befragen, wer der Fremde sei, dessen wahrhaft aristokratisches Wesen, dessen kränkelndes und doch so geistvolles Gesicht mich immer mehr zu fesseln begann. Endlich kommt der Kellner.
„Wie – – –? Ich verstehe nicht!“
„Ein Herr Bulwer – Engländer –“ antwortet der Gefragte.
Also Bulwer – einer der gefeiertsten Männer nächst Charles Dickens, der erste der lebenden Schriftsteller Englands, der Verfasser von Eugen Aram, dem letzten der Barone Pelham, Devreux und einer Unzahl der ausgezeichnetsten Romane, die uns mehr oder minder in das höhere gesellschaftliche Leben jenes Landes einführen.
Der Gentleman erhob sich kurz nach dem Dessert, drückte nach englischer Sitte jedem der anwesenden Landsleute die Hand, und verließ den Saal eben so kalt, ernst und schweigsam, wie er gekommen war.
Es ist ein altes und ziemlich wahres Wort: man soll Dichter nicht essen und trinken sehen, d. h. ihre persönliche Bekanntschaft überhaupt nicht suchen, da bei näherem Umgang oder beim Anblick derselben die Wirklichkeit oft sehr hinter dem Ideal zurückbleibt, das wir uns nach dem Lesen eines Werkes von der Persönlichkeit des Verfassers machten. Bei Bulwer hingegen bestätigte sich die Wahrheit dieses Ausspruches nicht, im Gegentheil könnten wir uns schwer ein vortheilhafteres Bild von einem so aristokratischen Schriftsteller, wie es Bulwer ohne Zweifel ist, entwerfen. Der kalte, stolze Ernst, der auf seiner hohen Stirn liegt, der stets sinnende, zuweilen schmerzvolle Zug zwischen den scharfen Brauen, die kühn gebogene Adlernase, die bestimmten Linien des Mundes, das energische Kinn, alles dies sind Eigenschaften in dem Antlitz des Mannes, welche ihn auch ohne seinen schriftstellerischen Ruhm den Stempel der Bedeutendheit aufdrücken würden.
Noch am nämlichen Tage erfuhr ich zufällig, Bulwer reise nach Genf zu einer persönlichen Zusammenkunft mit seiner Gattin, von der er schon seit längerer Zeit getrennt lebte, und von der sich gerichtlich scheiden zu lassen sein fester Entschluß sei. Ich ahnte damals nicht, später noch die Lady zu sehen, für die ich eben nicht [257] sonderlich eingenommen war, nachdem ich wußte, daß sie von einem solchen Gatten getrennt leben könne.
Das Treiben der Badesaison verwischte auf einige Zeit die Erinnerung an Bulwer’s Erscheinen. – Soll ich dieses Saisontreiben näher berühren? Ich denke, es ist nicht ganz überflüssig, insofern das Publikum die deutschen Bäder meist nur aus bezahlten Zeitungs-Annoncen kennt, welche Alles im rosigten Lichte schildern, ihren Kurort als ein Arkadien oder einen Tempel, die Menschen darin als Halbgötter oder Engel erscheinen lassen. – Das Leben in den Bädern, ich meine hier solche, wo der grüne Tisch die Axe ist, um die sich die Saison dreht, bleibt sich immer gleich – mag die Scene in Baden-Baden, Pyrmont, Homburg oder Wiesbaden spielen. Steigen wir einmal in Baden-Baden ab. – Vor den Spielstunden tödtliche Langeweile. Der Kurplatz ist leer – der Spielpächter geht, die Hände in den Taschen, mit verdrießlichem Gesicht vor dem Saal auf und ab, ein Dandy liegt auf drei Stühlen, sonnt sich und wirft sechs Cigarren in den Staub, ehe ihm die siebente ansteht. Selbst die Natur scheint sich zu ennuyiren, die Sonne zieht Wasser und macht ein schläfriges Gesicht – kurz – wehe dem Fremden, der in einer solchen Spielpause den Kur- oder vielmehr Spielort betritt! Endlich schlägt die erwartete Stunde. Der Dandy auf seinen drei Stühlen erhebt sich, seine schlaffen Züge beleben sich auf einen Augenblick, er zieht die Weste mit einer gewissen Begeisterung glatt, setzt das Lorgnon ein und stiert über die Anlage auf das Portal des nächstliegenden großen Hotels. Auch in den Schau- und Spielwaarenbuden wird’s wieder lebendig, und durch ihre Reihen bewegt sich nach und nach die schöne und die häßliche Welt nach dem Kursaal. Nur wenig Kranke sieht man. Dort erscheint immer einer jener reichen Unglücklichen, bei 17 Grad Reaumur in einen Pelz gehüllt, einen grünen Augenschirm vor dem Gesicht, bis zum Kinn bedeckt und von zwei Dienern geführt, so schleicht die Jammergestalt zur nächsten Bank und setzt sich unter schweren Seufzern nieder. Auch die Rollwagen kommen nach und nach an, darauf mumienartige alte Damen mit großen Roccoco-Fächern, hier ein französischer Exgeneral, vielleicht der berühmte tollkühne Lamoricière, da der greise Maler Horace Vernet am Arme seiner Schwiegertochter. Das sind die wirklichen Kranken. Jetzt kommen die eingebildeten oder spielwuthigen. Ihr Entrée verkündet das Rauschen schwerer Stoffkleider, vornehmes Lächeln, Sprachen in allerhand fremden Zungen.
Unser Dandy mit den drei Stühlen hat indessen seinen Gegenstand erblickt. Im Kavalierschlenderschritt bewegt er sich einer Dame zu, der ein Lohndiener folgt. Mit einem kaum bemerkbaren Hutlüften, die Dame mit einem leichten Neigen des Sonnenschirmes, stehen sie sich einander gegenüber. Der Dandy nimmt dem Lakai den Shawl und eine schwere Cassette ab, reicht der Dame den Arm, und sie steuern dem Spielsaal zu. Beide affektiren hierbei ein langsames Tempo; je näher sie aber der großen Flügelthüre kommen, desto mehr beschleunigen sie unwillkürlich ihre Schritte. Noch ehe sie in den Saal eintreten, empfängt sie der Spielpächter, ein Mann von Welt und einem militärischen Extérieur. Es entspinnt sich zwischen ihm und der Dame folgendes flüchtige französische Zwiegespräch, welches im gemeinen Deutsch ungefähr so klingt:
Sie: „O, wie haben Sie mich gestern wieder behandelt – ist das galant?“
Er: „Madame, verdiene ich diese Vorwürfe – habe ich Ihnen nicht schon seit vier Jahren gerathen, nie ein und dieselbe Karte zu poussiren – Monsieur werden mir das bezeugen.“
Monsieur lächelt statt dessen einfältig.
Sie: (und hierbei schlägt sie den Pächter leicht mit dem Parasol) „Ach, Sie sind ein unverbesserlicher Bösewicht – aber geben Sie Acht, ich werde mich rächen – ich werde Sie sprengen – nicht so, Sir Edward?“
Sie gehen – und der Pächter wirft ihnen einen unzweifelhaft verächtlichen Blick nach.
Es ist in einem Spielsalon eine alte ehrwürdige Sitte, daß man gewöhnlich an diesem oder jenem Fenster ein paar junge Damen sieht, die aufmerksam in einem goldberänderten Buche lesen. Zwei in einem Buche – dies sieht kindlicher, reiner aus als in zweien; dabei tragen sie lange, englische Locken, die nachlässig über das süße Gesicht herabfallen – vollendete Unschuld. Nicht selten steht dahinter eine höchst sittsam gekleidete Matrone, welche die Leserinnen zu überwachen scheint. Diese Damen figuriren meist als Verwandte des genannten Pächters und sind immer – Nichten. Derartige Fensterausstellungen sind für den Neuling berechnet, der in einem solchen Bilde der Harmlosigkeit etwas Vertrauenerweckendes findet und viel beherzter in den Rachen der Spielhöhle läuft, als wenn eine solche Fensterausstellung fehlte. Wir treten in den Spielsaal. Sammet, Seide, schwere Vergoldungen an den Plafonds und Wänden, vergoldete Armleuchter und Lustres imponiren hier dem Auge des Beschauers mit bestem Erfolg. Der Eindruck ist ein ernster, ja feierlicher – und diese Feierlichkeit wird weder durch lautes Sprechen noch durch Lachen unterbrochen – bald hört man das eintönige Geräusch des klingenden Metalls, bald die noch einförmigerern Ausrufe der Nummer der fallenden Kugel auf dem Roulette, oder den überzogenen Karton beim Trente et Quarante. Wir gehen am Roulette vorüber. Hier versammelt sich weniger die Geutre, höchstens sogenannte Zugvögel, Pariser Banquiersfrauen, holländische Blumenzwiebel-Händler, engagementslose Schauspieler, ruinirte Krautjunker und dergleichen. Das Trente et Quarante hingegen ist das auserwählte Spiel der Welt des besten Tons, auch gehört zum Verständniß dieses Spiels eine gewisse Berechnung (wenigstens glaubt man so), während am Roulette jeder Dummkopf sein Glück versuchen kann. Zudem coursirt hier meist nur das miserable Silber, während man dort nur mit Gold und hohen Banknoten manövrirt.
Das schöne Geschlecht ist beim Trente et QUuarante allerdings weniger vertreten, höchstens da oder dort ein paar uralte Damen in Rollstühlen, die bei jedem starken Verluste ein frisches Glas Wasser verlangen und nicht selten an der Bank von Krämpfen befallen werden. Dann rollt man sie ohne Umstände in ein Nebenzimmer, wo sich die betreffenden Erholungsmedicamente vorfinden, und nach einer halben Stunde rollen sie wieder herein an ihren Platz, den sie mit einem Handschuh belegten, und spielen mit todtbleichem Antlitz und zitternder Hand weiter. Nicht so jener junge, in die Höhe geschossene Engländer mit den Manieren und Gesten eines undressirten Jagdhundes. Er ist stark erhitzt, die Cravattenschleife sitzt ihm hinten – er sucht bereits in allen Taschen vergebens – nicht eine einzige Banknote mehr. Er flüstert in schlechtem Französisch einem der Croupiers Etwas zu; dieser wendet sich nach dem Spielpächter – der Spielpächter nickt verdrießlich – der junge Engländer muß enorm reich sein – denn er hat Kredit an der Bank. Nach einer halben Stunde steht er wüthend auf, reißt in der Zerstreuung dem nächstsitzenden Croupier die Schippe aus der Hand, nimmt einen fremden Hut mit und stürzt hinaus. Draußen sieht man ihn eine Stunde lang mit Meilenschritten auf- und abgehen und dann ein Glas Cognac mit Wasser trinken.
Diese Scene berührt indessen die übrigen Spielenden nicht im Mindesten, im Gegentheil, es ist ein Stuhl leer geworden, und ein Stuhl ist viel werth am grünen Tisch. Augenblicklich nimmt ihn auch ein sehr dicker Herr ein, der seit mehreren Stunden keine Karte setzte, sondern mit tiefernstem Blicke sein Pointirtäfelchen durchstach. Er kennt nun den Verlauf des heutigen Spiels, es kann ihm nicht fehlen. Rouge ist vorzüglich – noir sehr veränderlich – – der Bube außerordentlich constant – Madame perfide über die Maßen. – Es kann dem dicken Herrn, wie gesagt, nicht fehlen. Er setzt – richtig – Valet gagne – er doublirt – der Bube gewinnt abermals – schon wirft der dicke Herr einen triumphirenden Blick durch seine goldene Brille im Kreise umher – und siehe da – Madame gagne und – der schlechte Kerl von Bube verliert. Kaum nach einer Viertelstunde verläßt der Kartenstecher seinen Stuhl, den abermals ein Dritter mit Heißhunger einnimmt.
Plötzlich entsteht im Roulettesaal ein ungewöhnliches Geräusch, es wird gezischt, Ruhe geboten, und ein Polizei-Commissar begleitet ein Subjekt ziemlich eindringlich zur Thüre hinaus. Was ist geschehen? Ach, einer jener armen Teufel von Industrierittern hat behauptet, die zwei Gulden auf „rothem Feld“ gehörten ihm, und hat sie ohne Weiteres eingestrichen, um sich damit zu entfernen. Um den Skandal zu vermeiden, hat man ihm das Geld gelassen, jedoch seine augenblickliche Entfernung in’s Werk gesetzt, da man genau wußte, daß er gar nicht pointirt hatte. Dergleichen Zerstreutheiten kommen oft am Roulette, namentlich Sonntags vor, wenn die gemischten Raçen aus den naheliegenden Städten und Städtchen herüberkommen, um auch einmal ihr Glück zu versuchen. Diese Leute mit ihren paar Gulden verfallen stets der Bank, und sind, da es viel Sonntage im Jahre giebt, und an diesen oft Hunderte [258] solcher Zugvögel kommen, eine nicht zu verschmähende Rente, während der kalte, besonnene Spieler, der mit Tausenden der Bank naht, für diese immer eine gefürchtete Erscheinung, da das Glück eine wetterwendische Person ist. Ja, ich habe einen Russen kennen gelernt, der so glücklich und so hoch pointirte, daß er alljährlich von dem Spielpächter ein bedeutendes Abfindungsquantum erhielt, unter der Bedingung, wenn er nicht mehr spiele. Ob er diesen eigenthümlichen Vertrag auf die Länge der Zeit gehalten hat, weiß ich nicht. Uebrigens habe ich, so oft und so lange ich Bäder frequentirte, was weniger aus Neigung, als aus Zufall geschah, nie von einem Selbstmorde eines unglücklichen Spielers gehört, eben so wenig von abenteuerlichen Entfernungen und dergleichen pikanten Affairen – immer nur erbärmliche Schwindeleien – wie Abreisen und den Wirth nicht bezahlen, oder einer verheiratheten Dame den Hof machen und einen Korb erhalten, oder geohrfeigt werden. Also auch von diesen Seiten nichts Romantisches – sondern gemeine, triviale Alltäglichkeit – gerade wie im Leben außerhalb der Bäder, der Aktien- und Börsenepidemie.
Eine kurze Notiz in einer Hamburger Zeitung, die ich hier wörtlich wiederhole, giebt mir Veranlassung zu einigen wichtigen Bemerkungen. Sie lautet: „Eine Elbblokade. Unser gesegneter Elbstrom bietet in der Gegend von Blankenese über den Sänden einen in diesem Augenblick sehr interessanten Anblick. Das Schiff „Carl und Auguste“, Kapt. Sonderburg, mit Reis von Batavia kommend, ist nämlich beim Aussegeln mitten im Fahrwasser fest geworden und zwar so verzweifelt glücklich auf der tiefsten Stelle, daß alle andern Schiffe, die jenem vorbeizusegeln versuchten, und dabei minder günstige Stellen zu passiren hatten, ebenfalls fest wurden. Auf diese Weise und da bei dem Ostwind das Wasser von Tage zu Tage niedriger wird, sitzt dort nun eine ganze Gesellschaft Kauffahrer zusammen und haben wenigstens den Trost, sich Gesellschaft leisten zu können. Unglücklicherweise aber ist die Elbe nun dadurch für größere Schiffe gänzlich abgesperrt, und das Wasser fällt von Tage zu Tage gerade eben so viel, als, man die Schiffe durch Löschen in Leichter zu heben bemüht ist. – Dieser unglückliche Zustand kann noch eine gute Zeit währen, und es fehlt weiter nichts, als daß noch ein tüchtiger Eisgang hinzukömmt, so können wir noch Wunderdinge erleben.“
Bekanntlich ist Hamburg der naturgemäße Hafen von ganz Mittel- und Norddeutschland. Thüringen, Baiern, Sachsen, Hannover, Braunschweig, die preußisch-sächsischen Provinzen, die Mark, Schlesien, und endlich Böhmen, Tirol, Steiermark und das industrielle Wien müssen ihre Fabrikate, soweit solche für England, Ost- und Westindien, das Kap und für die Ost- und Westküste Afrika’s, für Australien und die übrigen britischen Kolonien bestimmt sind – über Hamburg ausführen.
Es würde schwer zu ermitteln sein, den Antheil, den jeder einzelne dieser hier genannten Staaten an das transatlantische Export- und Importgeschäft nimmt, durch Zahlen zu bestimmen, es genügt die Thatsache, daß der jährliche Ein- und Ausfuhrverkehr Hamburgs über 400 Millionen Thaler beträgt und drei Viertel dieser Menge auf Deutschlands und Oesterreichs Rechnung kommen.
Unter solchen Verkehrsverhältnissen ist es nicht zu entschuldigen, wenn die deutsche Nation ihren einzigen bedeutenden Hafen, der die Verbindung mit den transatlantischen Erdtheilen vermittelt, der Art vernachlässigt, daß Fälle wie die oben angeführten vorkommen, ohne daß eine Regierung irgendwie Notiz davon nimmt, oder selbst die deutsche Presse etwas davon erwähnt.
Täglich hören wir von dem Wachsen unserer Industrie, wie Kreditanstalten gegründet, neue Verkehrsbahnen angelegt, Fabriken errichtet, Metall- und Kohlenbergwerke aufgeschlossen werden, und wie die deutsche Nation aus sich heraus stets neue Mittel und Wege schafft, um mit andern Völkern auf dem Gebiete des Fleißes gleichen Schritt zu halten. Während das innere politische Treiben uns von Tage zu Tage mehr den Bestrebungen gewisser Bureaukraten und Diplomaten entfremdet, und wir gleichgültig auf das Parteigetriebe eines untergehenden Junkerthums hinblicken, wenden wir uns mit aller Kraft dem wahren humanen und wirtschaftlichen Streben zu, „Reichthümer für die Zukunft zu schaffen“ und vereinen die Entdeckungen und Rathschläge der Wissenschaft mit dem Willen, dem Fleiße und der Ausdauer der materiellen Kraft.
Die Zeit, wo die Völker ihre industrielle und kommerzielle Thätigkeit nur auf die Grenzen ihrer eigenen Ländergebiete beschränkten, ist im Abnehmen, und die Schutzmauern und Verkehrsstörungen, die noch in vielerlei Formen bestehen, werden in Folge des Gegendruckes, den Eisenbahnen, Telegraphen und Dampfschiffe ausüben, bald einer unbehinderten Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter Platz machen müssen; wir stehen jetzt zu eng im Zusammenhange mit der ganzen Welt, um nicht sofort jede Störung des Verkehrs hart zu empfinden.
Demnach muß jene sogenannte Selbstständigkeit unseres gemeinsamen Vorhafens Hamburg naturgemäß abnehmen, je mehr unsere kommerzielle Verbindung mit England und den transatlantischen Ländern zunimmt. Wir bedürfen des Hamburgischen Kapitals jetzt durchaus nicht mehr zur Versorgung unserer Märkte, wie zu jener Zeit, als Deutschland noch bedeutende Mengen Manufakturerzeugnisse aus England bezog, und Hamburger Kaufleute die einzigen Vermittler waren. Das Kolonialwaarengeschäft des innern Deutschlands emanzipirt sich ebenfalls immer mehr von den Hamburger Kaufleuten, und es werden sich für die Folge direkte Verbindungen zwischen großen Kaufleuten im Innern Deutschlands mit überseeischen Produktionsplätzen bilden, wie man bereits von den deutschen Fabrikplätzen aus die Hamburger umgeht, und direkte Verbindung mit den Käufern in England und den Kolonien anknüpft, um deutsche Fabrikate abzusetzen.
Die Zunahme des Ein- und Ausfuhrhandels der Stadt Hamburg ist also keinesweges den Anstrengungen oder dem Unternehmungsgeiste der dortigen Kaufleute zuzuschreiben, vielmehr nur eine Folge des gestiegenen Wohlstandes der Hinterländer. Mit dem Wachsen der Industrie stieg unsere Ausfuhr, und da wir unsere Fabrikate nicht verschenken, so mußte natürlich die Einfuhr als Gegenwerth ebenfalls zunehmen, wovon die Wirkungen zuerst dort sichtbar werden, wo der Handel die Quantitäten der Tauschgüter konzentrirt – und dieser Ort ist unser Vorhafen Hamburg.
Was haben aber die Hamburger „Herren und Bürger“ in neuer Zeit gethan, um die wichtige Aufgabe, welche ihnen als Vermittler für das deutsche und überseeische Geschäft übertragen wurde, gewissenhaft auszuführen?
Die wenigen oben angeführten Zeilen in Betreff der „Elbblokade“ genügen, um eine Anklage des gesammten Deutschlands zu rechtfertigen.
Die Hamburger haben bisher ihre Stellung dem übrigen Deutschland gegenüber vollständig verkannt. Hamburg war stets mehr englisch als deutsch gesinnt und vergaß, daß es nicht England, sondern Deutschland seine Stellung zu verdanken habe. Mit jedem Ballen Kattun, der aus Manchester kam, sah man reichen Profit kommen, vergaß aber, daß nicht die Engländer, sondern die Käufer, welche die Waare bezahlten, den Gewinn brachten.
Es mangelt den Hamburgern weder an Kapital noch an Unternehmungsgeist, aber sie besitzen keinen Associationssinn; denn während in den englischen Handelsstädten und selbst in einzelnen größeren Städten des inneren Theiles von Deutschland, wie Berlin, Leipzig, Köln, Magdeburg und Stettin bereits seit fast dreißig Jahren sich Kompagnien zu Eisenbahnbauten, Feuer-, Lebens-, Hagel-, Land- und Wassertransport-Assekuranzen u. dergl. mehr bildeten, weisen die vier alten freien Hanse- und Reichsstädte bis in die neueste Zeit hinein keinen erheblichen Antheil an der gemeinschaftlichen Gründung solcher Institute nach. Kleine Städte, wie Dessau und Gotha, haben Banken und Lebensversicherungs-Kompagnien gegründet, die sich eines guten Rufes erfreuen; Bremen etablirt jetzt erst eine Bank, bei welcher merkwürdigerweise die Bremer sich wenig betheiligen, und die Zeichnungen zumeist von andern Börsenplätzen ausgegangen sind. Frankfurt, Hamburg und Lübeck wollen keine Banken (die hamburger Depositen-Bank verdient nur den Namen eines gemeinschaftlichen Geldaufbewahrungs-Instituts), weil die einzelnen dortigen Geldwechsler sich dem widersetzen, sie verdienen [259] durch die verschiedenen deutschen Münzverhältnisse weit mehr im Alleinsein, als in der Association, kurz, wir erkennen bei genauem Vergleiche, daß die vier genannten großen Handelsstädte in ihrem kommerziellen Wesen durchaus nicht der heutigen Zeit und deren Anforderungen gefolgt sind. Dort will Jeder noch nach seiner „eigenen Façon“ reich werden, während man an andern Orten Kapital und Arbeitskräfte vereint, und auch wirklich Gigantisches schafft. So haben die Hamburger länger als dreißig Jahre die Dampfschiffverbindung nach England, zum Nachtheil der deutschen Konsumenten, ohne Konkurrenz gelassen, und wahrlich, die Engländer verstanden ihr Monopol zu benutzen; wir mußten dreißig Jahre lang acht und neun Pence per Kubikfuß Fracht bezahlen, während jetzt die Frachtsätze der englischen Kompagnie vier und die der deutschen drei Pence betragen, wobei noch eine bedeutende Dividende zur Vertheilung kommt. Neunzehntel der Passagiere waren und sind heute noch Deutsche, aber die Perfidie der Engländer konnte sich nicht bequemen, nur die geringste Rücksicht hierauf zu nehmen, und Aufwärter und Aufwärterinnen auf ihren Dampfern anzustellen, welche der deutschen Sprache mächtig waren. Wie viele Frauen und Kinder müssen heute noch, von der Seekrankheit geplagt, sich abquälen, um sich nur wegen Verabreichung eines Glases Wassers verständlich zu machen.
Es herrscht in Hamburg ein wahrhaft widerlicher Respekt vor Allem, was englisch ist; während die Seelenaufkäuferei (wie früher für Brasilien) für die englische Fremdenlegion eben in Hamburg ihren Hauptwerbeplatz aufschlug, duldete man offiziell die Anwesenheit eines englischen Kriegsschiffes inmitten der Elbe, um die auf hamburgischem Gebiete geworbenen Schlachtopfer schnell nach Helgoland bringen zu können. Man denke sich nur den entgegengesetzten Fall, ein deutsches Kriegsschiff läge auf der Themse, um englische Matrosen für deutsche Kriegszwecke zu werben und zu einem Kriege, in dem England (wie jetzt Deutschland) neutral wäre – würden in einem solchen Falle wohl die Engländer ebenso bescheiden geschwiegen haben, als die Hamburger?
Aber die Zeiten, wo die Hansestädte Macht und Ansehen hatten, ist vorüber; ihre Selbstständigkeit besteht nur noch nach Innen in der Selbstverwaltung, deren sich hoffentlich andere Städte, welche einem großen Staatsverbande angehören, mit der Zeit ebenfalls wieder erfreuen werden. Die Hanseaten sind dem Handel gegenüber, was das Zunftwesen gegenüber der neuen großen Industrie ist – Zopfthum, und ihr Bestehen stützt sich nur auf die ihnen von der Natur gewährte geographische Lage, sie üben aber weder in politischer noch in kommerzieller Beziehung außerhalb ihrer städtischen Grenzen irgendwie einen Einfluß mehr aus; Jeder wird einräumen, daß auf den Börsen der Hansestädte die Preise der Staatspapiere und Aktien gar nicht, und die der Kolonialprodukte nur durch den Einfluß der Kosumenten des Binnenlandes festgesetzt werden.
Die hohe Bedeutung Hamburgs für Deutschlands Industrie und Handel läßt sich weit richtiger und vorurtheilsfreier beurtheilen, wenn man den Verkehr zwischen Norddeutschland und England genau kennt. Ein früher als erwartet eintretender Frost schneidet die Dampfschiffverbindung binnen drei Tagen völlig ab, und Güter, welche aus Böhmen und Sachsen für die Verschiffung nach den Kolonien bestimmt waren, um zur gewissen Saison einzutreffen, bleiben liegen. Natürlich leidet zuerst der Besteller in England durch die Unterbrechung, seine bereits bezahlte Waare kommt zu ungelegener Zeit; aber weit mehr leiden die sächsischen und böhmischen Arbeiter, denn die folgende Bestellung für die nächste Saison bleibt aus, manchmal sogar versorgt sich der Besteller auf andern Märkten, und zahlt gern einen höhern Preis, sobald er mit Bestimmtheit auf die rechtzeitige Lieferung rechnen kann, anstatt sich der Gefahr auszusetzen, seine Waare am deutschen Hafenorte nutzlos überwintern zu sehen.
Diese Hamburger Winterquartiere kosten natürlich viel Geld, obgleich die Eisenbahn die Benutzung der Dampfer von Glückstadt aus, selbst wenn der Hamburger Hafen mit Eis bedeckt ist, noch eine kurze Zeit gestattet. Im Allgemeinen aber muß es für die heutige Verkehrswelt keine Naturstörungen dieser Art mehr geben, die Technik hat wahrhaft Gigantisches geleistet, um nicht am Ende die Störung des Verkehrs durch einen Frost umgehen zu können.
Es bedarf dazu zunächst einer Brücke, um die diesseits der Elbe kommenden Güter sofort auf Eisenschienen nach Kuxhafen zu senden; hier am Ausfluß der Elbe müssen jene zeitgemäßen Einrichtungen, Docks, errichtet sein, deren ein Reich, wie das deutsche, zu besitzen berechtigt ist.
Aber bekannterweise will man in offiziellen Hamburger Kreisen weder von einer Elbbrücke noch von einem Winterhafen in Kuxhafen gern sprechen hören, die Brücke würde manche alte früher erworbene Gerechtigkeit und dergleichen entwerthen, und gar ein Hafen in Kuxhafen, der könnte ja emporblühen und mit dem Hamburger rivalisiren, besonders wenn wie natürlich eine Eisenbahn bis zur großen hannoverisch preußischen Straße die Güter direkt bis zur Elbmündung bringt, um dort verschifft zu werden.
Was noch in Betreff der im Obigen erwähnten Versandung der Elbe zu bemerken bleibt, kann sich jeder Unparteiische selber denken. Entweder die Hamburger besitzen nicht die Mittel, oder sie wollen sie nicht hergeben, um die Gefahr zu beseitigen, welche durch das Versanden des Elbstromes dem gesammten industriellen und merkantilen Norddeutschland und Oesterreich droht. Jedenfalls handelt es sich um die Existenz des deutschen Verkehrs, um das fernere Bestehen großer Fabrikdistrikte, für deren Fabrikate die Verschiffung erschwert wird, und es ist hohe Zeit, diesen Gegenstand öffentlich, d. h. auch in nicht Hamburgischen Kreisen, zur Sprache zu bringen.
Hätten wir in Deutschland eine Stelle, von wo aus das Volk vereint solchen Hindernissen entgegentreten kann, wahrlich, sie wären längst beseitigt, aber die einzelnen Uferstaaten laboriren an der unpraktischen und unbeholfenen Schreibseligkeit des zwar sehr intelligenten, aber wirtschaftlich oft kenntnißlosen Beamtenthums. Man läßt das Selbstinteresse nicht aufkommen, und hat stets Staatsinteressen vor Augen, aber das Selbstinteresse schafft eben jene großen Unternehmungen, auf welche die Engländer und Amerikaner so stolz sind. Hätte das Staatsinteresse einer Elbbrücke oder eines Winterhafens bedurft, es wäre längst, zwar noch nicht beschafft – denn so schnell geht’s in Deutschland nicht – aber mindestens im Plane fertig, das Selbstinteresse hätte Beides und sogar die Herstellung des Elbstromes beschafft, aber man versteht nicht die richtigen Mittel zur Erweckung des erforderlichen Selbstinteresses zu ergreifen.
Wenn die deutsche Nation eine Einigkeit wünscht und erstrebt, so weiß sie auch warum. Die Presse hat bisher sich mehr auf staatspolitischem Boden gehalten, und verstand es wenig, dem Volke klar zu machen, worin eigentlich die Einigkeit zu erstreben sei, und welche Mittel dafür angewendet werden müssen. Es war dies Nichtwissen unserer Presse, wo eigentlich die Uneinigkeit schadet, daran Schuld, daß man nur allgemein hingeworfene Redensarten von Münz-, Maaß- und Gewichtseinheit dem Volke bot, ohne tiefer einzudringen und der ganzen deutschen Nation (Deutschösterreich inbegriffen) die großen wirthschaftlichen Folgen der Zerfallenheit klar zu machen.
Mögen die Leser der Gartenlaube, welchem Berufe und welcher Parteistellung sie auch angehören, es dem Verfasser dieser Briefe glauben, daß nur durch ein inniges Zusammenhalten der deutschen Nation in allen ökonomischen Angelegenheiten, und durch vereinte Abhülfe gefährlicher Uebelstände ebenso wie durch gemeinsames Schaffen großer Bauten die Concurrenzfähigkeit der deutschen Arbeit und des deutschen Gewerbfleißes anderen Völkern gegenüber ermöglicht wird.
Man möge sich nicht von einzelnen auf Industrie-Ausstellungen errungenen Eroberungen blenden lassen und glauben, die Industrie sei in voller Blüthe, der Absatz gesichert, – es ist dies nicht der Fall, sobald auf der einen Seite jene Zollschranken bestehen, die scheinbar die Industrie schützen sollen, in Wirklichkeit nur die Trägheit schützen, und auf der andern jene Hindernisse, wie die Elbzölle, Zunftgesetze, Niederlassungsbeschränkung, Mangel an Brücken, zunehmende Versandung der Flußmündungen, Münz-, Maaß- und Gewichtsdifferenzen und dergleichen mehr, die nur geeignet sind, die Anstrengungen der Nation unfruchtbar zu machen.
Wir haben es erlebt, wie die Staatspolitik es für zweckmäßig hielt, die Mündung der Donau zu verstopfen, wir haben ferner zur Schande Deutschlands erlebt, wie inmitten des Rheinstromes mit Steinen beladene Schiffe versenkt wurden: dies sind die vom blinden Wahne dem allgemeinen Verkehr gewaltsam bereiteten Hindernisse. Die Volkswirthschaft aber lehrt uns die Hindernisse, welche dem allgemeinen Verkehr noch entgegenstehen, zu beseitigen, [260] weil eine gemeinsame unverleugbare Solidarität unter allen Menschen herrscht, wie vielmehr also unter den Bewohnern eines und desselben Reiches, und diese Solidarität wird eben durch den Austausch und den Verkehr zur Geltung gebracht.
Wie dies geschieht, wie z. B. die Existenz des sächsischen Holz-Spielzeugarbeiters im Gebirge mit dem Steigen und Fallen des großen Welthandels in enger Verbindung steht, will ich Ihnen in meinem nächsten Briefe beweisen.
Der Untergang des Routledge. Der „New-York Courier and Inquirer“ theilt über einen entsetzenerregenden Schiffbruch, der im Februar das Schiff Routledge betraf, Folgendes mit: Am Bord des Routledge waren, als er an den Eisberg stieß, 144 Seelen. Von dieser Zahl ist, so viel man weiß, nur ein Einziger noch am Leben; alle Uebrigen haben ohne Zweifel ein trauriges Ende gehabt. Der Gerettete, ein Matrose Namens Nye, erzählt: „Der John Routledge verließ Liverpool am 16. Januar. Er war schwer beladen, und in der Fracht befand sich auch eine große Menge Eisen. Die Zahl der Mannschaft, die Offiziere eingeschlossen, betrug 20, die Zahl der Passagiere 120. Das Wetter war äußerst stürmisch und wir verloren einen Matrosen, der vom Clüverbaume in’s Meer stürzte, und einen Passagier, der von der See über Bord gespült wurde. Am 18. Februar trafen wir auf ein Eisfeld. Nur mit Beschwerlichkeit konnten wir jetzt uns Bahn brechen; am nächsten Morgen stieß das Schiff heftig auf einen Eisberg, und bald zeigte es sich, daß es einen furchtbaren Leck bekommen hatte. Zwei Pumpen wurden sofort in Bewegung gesetzt, außerdem warf man eine Menge Gegenstände über Bord und stopfte Kisten und Kleidungsstücke in die entstandene Spalte; aber Alles dies wollte nicht helfen, und bald war es offenbar, daß das Schiff sich rasch mit Wasser füllte. Man traf daher Anstalt, es zu verlassen und in die Boote zu steigen. Der Routledge hatte nur fünf Boote, welche nicht alle am Bord befindliche Personen fassen konnten; es wurden daher 25-30 Personen, welche sämmtlich, der Steuermann und der Schiffsmann ausgenommen, Passagiere waren, auf dem Wrack zurückgelassen, um mit demselben unterzugehen.
„Das Boot, worin ich mich befand, war das letzte, was vom Schiffe abstieß. Bald kam uns letzteres aus dem Gesicht und wir trieben jetzt, 13 an der Zahl, auf dem weiten Ocean, nur mit einer Gallone Wasser und 6 Pfund Brot versehen. Die Gesellschaft im Boote bestand aus dem Bootsmann, einem schottischen Matrosen, fünf Männern, vier Frauen, einem kleinen Mädchen und mir selbst. Das Wetter war empfindlich kalt, in das Boot drang eine Menge Wasser ein, und beide Umstände zusammengenommen setzten uns großen Leiden aus, die für die Passagiere entsetzlich gewesen sein müssen, da sie, mit Ausnahme einer Dame, welche in zwei Decken gehüllt war, nicht warm gekleidet waren. Die Bewegungen des Bootes waren sehr unsicher. Wir machten deshalb auch keinen Versuch, irgend einen bestimmten Punkt zu erreichen; unsere einzige Hoffnung war, von irgend einem vorbeifahrenden Schiffe gesehen zu werden. Mrs. Atkinson, die Frau des Schiffszimmermanns, die sich gerettet hatte, nahm das Wasser und Brot unter ihre Obhut und gab nur wenig davon her.
„Nach meiner Meinung würden die Meisten von uns der bittern Kälte widerstanden haben, wenn wir reichlicher mit Speise und Trank versehen gewesen wären. Aber bei unserm großen Mangel starb schon am dritten Tage ein Passagier. Der arme Teufel war bei dem scharfen Froste nur mit einem dünnen Rocke bekleidet! Am folgenden Tage starb eine Frau, die ihren Mann nur um zwei Tage überlebte. An diesem Tage sahen wir in der Ferne eine Brigg mit frischem Winde segeln. Wie richteten sich unsere Herzen auf bei dieser Aussicht auf Erlösung! Aber ach! da sprang eine Brise auf und vereitelte grausam unsere Hoffnungen. Trotz dieser furchtbaren Enttäuschung suchte ich meinen Muth aufrecht zu erhalten. Am fünften Tage fingen Alle, die mit mir im Boote waren, an, Seewasser zu trinken. Ich warnte sie davor, aber sie ließen sich nicht abhalten. Von dem Wasser, welches wir vom Routledge mitgenommen hatten, bekam ich nur sehr wenig, aber ich trank doch kein Seewasser, sondern, wenn mein Mund sehr trocken wurde, spülte ich ihn mit Seewasser aus, verschluckte aber nichts davon. An einem Tage fiel Schnee, was mir sehr dienlich war, da ich ihn zur Stillung meines Durstes benutzte. Die Andern, welche Seewasser getrunken hatten, starben rasch nach einander, und am siebenten Tage verschied der Letzte und ließ mich als das einzige lebende Wesen im Boote zurück.
„Die Todten, welche zuerst erlagen, wurden über Bord geworfen, aber die Fortschaffung der vier letzten ging über die geringe mir gebliebene Kraft, und mehr als zwei Tage mußte ich bei den entstellten Leichen bleiben, mit wenig Hoffnung, daß mein Loos ein besseres sein werde. Der Passagier, der zuletzt starb, war eine englische Dame, von zarter Gestalt, die Mutter des kleinen Mädchens. Ihre Tochter war ihr wenige Stunden im Tode vorausgegangen. Ich weiß nicht mehr, in welcher Reihenfolge die Andern dahin sanken. Der Bootsmann fing in der Nacht vor seinem Tode zu rasen an. Er fiel über Mrs. Atkinson her, biß sie in den Arm und kratzte sie wüthend. Er warf den Wasserbehälter über Bord und versuchte auch die Ruder über Bord zu werfen. Er stürmte mit einem Flaschenfutteral auf mich ein und versetzte mir in das Gesicht einen Schlag, dessen Spuren ich noch trage. Um Mittag starb er, nachdem er einige Stunden vorher in eine gänzliche Gefühllosigkeit gefallen war. Fast alle Uebrigen raseten vor ihrem Ende. Mrs. Atkinson rief in herzzerreißendem Tone nach Wasser und streckte ihre Hände aus wie um es zu empfangen. Sie endeten Alle wie der Bootsmann, und in vielen Fällen bemerkte ich erst dann, daß ein neues Opfer gefallen war, wenn es nach vorn überstürzte, sobald das Boot einen schweren Stoß bekam. Als alle meine Gefährten todt waren, richtete ich ein Ruder auf, woran ein wollenes Hemd und ein rothes Halstuch als Signal wehten.
„Dies war das erste permanente Signal, das aufgepflanzt worden war. Meine Füße und Beine waren durch den Frost übel zugerichtet, und ich konnte mich kaum bewegen. Ich lag im Bug des Boots. Gelegentlich warf die See Wasser herein, und ich erhob mich, um dasselbe wieder auszuschöpfen. Dann legte ich mich wieder nieder. Am 28. Februar, als ich neun Tage im Boote gewesen war, sah ich ein Schiff, das auf mich zufuhr. Jetzt war ich meiner Rettung gewiß, denn ich befand mich gerade in dem Wege des Schiffes. Als es sich mir näherte, sandte es ein Boot ab, um mich aufzunehmen. Ich und das gebrechliche Fahrzeug, das mich so lange mitten auf dem Ocean getragen hatte, wurden jetzt an Bord gebracht. Die noch übrigen Leichen, die ich in den letzten Tagen nicht mehr über Bord hatte werfen können, wurden in die Tiefe versenkt. Das Schiff war die „Germania,“ Kapitain Wood, das von Havre nach New-York bestimmt war. Die Erhaltung meines Lebens schreibe ich dem Umstande zu, daß ich kein Meerwasser trank. Ich sog aber wohl von dem Eise, das sich am Boot angesetzt hatte. Ich fand es zwar ein wenig bitter, aber es hatte den dem Meerwasser eigenthümlichen widerlichen Geschmack verloren und wirkte auf meinen Zustand nicht nachtheilig ein.“
Soweit die Erzählung des Geretteten. Dem New-York-Herald zufolge betrug die tägliche Ration eines Jeden im Boote nur einen Schiffszwieback und einen Mund voll Wasser. Um ein sparsames Trinken zu erzielen, ward das Wasser durch das Loch eines Korks gesogen. Als dies Experiment zum ersten Male ausgeführt wurde, konnte sich die Gesellschaft trotz ihrer traurigen Lage einer Art Lustigkeit nicht erwehren, die leider nur zu bald dem furchtbarsten Elend weichen sollte. Der Matrose Thomas Nye ist ein Bursche von 19 Jahren, von olivengelber Gesichtsfarbe, schlanker Statur, schwarzem Haar und schwarzen Augen; er war eben erst in den Seedienst getreten. Der John Routledge war ein Schiff von 1000 Tonnen, in Baltimore 1851 gebaut und zu 64,000 Dollars versichert.
Der undankbare Dieb. Der berühmte Minister Fox war mit seinem Bruder, dem General, auf den Artillerieplatz gegangen, um die erste Luftreise Lunardi’s mit anzusehen. Das Gedränge war entsetzlich. Fox konnte nur mit Mühe seine Hand zur Uhr herunterbringen, um nach der Zeit zu sehen. Statt der Uhr faßte er eine Hand, die er festhielt. „Mein Freund,“ sagte er zu dem unbekannten Eigenthümer der Hand, „Ihr habt ein Geschäft gewählt, das Euch noch ruiniren wird.“ „O, Mr. Fox,“ jammerte der Dieb, „vergebt mir und laßt mich gehen. Ich that es blos aus Noth, aus Liebe für meine verhungernden Kinder und meine kranke Frau.“ Fox in seiner Gutherzigkeit steckte eine Guinee in die Hand des Diebes, ehe er sie frei gab. Nachdem der Ballon gestiegen war und die Menge sich zerstreute, wollte er nach seiner Uhr sehen. „Guter Gott,“ rief er, „meine Uhr ist weg.“ „Ja freilich,“ antwortete sein Bruder, „ich weiß es, ich habe sie verschwinden sehen. Euer Freund nahm sie mit viel Geschick.“
„Und Ihr versuchtet nicht, ihn zu verhindern?“ „Nein, denn Ihr schient wirklich so gut mit einander zu stehen, daß ich dieses freundschaftliche Verhältniß nicht durch Einmischung stören wollte.“
Literarisches. Der Verlagshandlung Meidinger in Frankfurt ist es gelungen, den brieflichen Nachlaß des großen Herder zu acquiriren, der nun nächstens in drei Bänden erscheinen wird. Der erste Band wird die Briefe Goethe’s an Herder, nebst einigen bis jetzt ungedruckten Poesien des Faustdichters enthalten, der zweite Band: Briefe Schiller’s, Wieland’s, der dritte Zuschriften Jean-Paul’s, Lavater’s, Forster’s, Klopstock’s, Gleim’s, Knebel’s, Mendelssohn’s etc., die sich meist auf theologische Fragen der damaligen Zeit beziehen. – Außerdem haben wir noch von Otto Ludwig die anfangs für die Gartenlaube bestimmte Erzählung: „Zwischen Himmel und Erde“ zu erwarten, und von Willkomm einen Roman: „Rheder und Matrose“, der in Hamburg spielt. Roßmäßler’s vortreffliches Buch: „die vier Jahreszeiten“ erscheint Ende dieses Jahres in einer zweiten und zwar in einer billigen Volks-Ausgabe.
Für Eibenstock ist ferner eingegangen: Hr. Kasmuß in Agram 1 Thlr. – Von der 2. u. 4. M.-Classe der Bürgerschule zu Meerana, durch Hrn. Lehrer A. H. Mühlmann 1 Thlr. – Aus Altenburg 1 Thlr.
„Aus der Fremde“ Nr. 19 enthält:
Leben am Nordpole. – Christliche Neger in der Kirche und am Grabe. – Biographie reicher Kaufleute. – Bunte Bilder. Auf der Reise nach Peru. – Aus allen Reichen: Die Kunst, anzukündigen. – Brief aus New-York.
- ↑ Mit dankenswerthem Eifer war die Glaswaarenhandlung von Fritzsche und Breiter in Leipzig bemüht, nach Anleitung des Verfassers Süßwasser-Aquarien herzustellen, so daß sie nun, in diesem hohen Grade der Vollendung wenigstens, unseres Wissens in Deutschland allein und zuerst damit hervortraten. Für Leipzig und nächste Umgegend besorgen sie das Aquarium (siehe nebenstehendes Bild) mit der Füllung, für auswärts ohne dieselbe.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Markedenterin