Die Gartenlaube (1868)/Heft 19

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1868
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 19.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Vetter Gabriel.
Von Paul Heyse.


In einer rheinischen Stadt, die durch die Schönheit und Munterkeit ihrer Frauen und Mädchen berühmt ist, ging eines heiteren Septemberabends ein junger Mann mit hastigen Schritten die Hauptstraße hinab auf das ansehnlichste Privathaus zu, in welchem von allen Schönen die Schönste wohnte. Er war eben mit dem Dampfschiff, das rheinaufwärts fuhr, gelandet und hatte sich auf dem fliegenden Steg allen anderen Passagieren vorgedrängt, als könne er die Zeit nicht erwarten, bis er den Fuß auf festen Boden setzte. Trotz des frischen Abendwindes trug er den mit schwarzem Flor umwundenen Strohhut in der Hand; sein blondbärtiges Gesicht war stark geröthet, das lose geknüpfte Halstuch schien ihm noch immer den Athem einzuengen; gleichwohl sprach er im raschen Gehen abgerissene Sätze vor sich hin, stand dann wieder, wie um Luft zu schöpfen, und benahm sich überhaupt so wunderlich selbstvergessen, daß mancher Vorübergehende ihn im Verdacht hatte, er habe wohl bei irgend einer Mostprobe den Gehalt des heurigen Jahrganges zu gründlich untersucht. Damit that man ihm nun freilich schweres Unrecht. Wenn er berauscht war, war es nicht von jungem Wein, sondern von alter Liebe, seiner ersten und einzigen, deren Aufblühen in unvordenkliche Tage, in die übermüthige Knabenzeit, zurückdatirte und somit Muße genug gehabt hätte, auszugähren und zu einem gesunden Haustrunk heranzureifen. Aber mancherlei Schicksale hatten diese friedliche Entwickelung gehemmt, und wenn wir verrathen, daß in den letzten zwei Jahren und sieben Monaten der jugendliche Phantast die Straße, die zu seiner Schönen führte, mit keinem Fuß betreten hatte, obwohl er nur drei Stunden rheinabwärts auf seinem Weinberg haus’te, so wird es Niemand befremden, daß ihm jetzt bei dem hastigen Gang Herzklopfen und Beklommenheit übermächtig zu schaffen machten.

Auch blieb er, vor dem bewußten Hause, Nummer 27 in der Rheinstraße, angelangt, wohl fünf Minuten unten an der stattlichen Pforte stehen, ehe er den Muth fassen konnte, die breiten Sandsteinstufen zu betreten. Er betrachtete die schöngeschnitzten Löwenköpfe an den schweren ehernen Klopfern, als könnten sie Orakelsprüche aus ihren Rachen erschallen lassen. Dann sah er zum Balcon hinauf, dessen zierlich vergoldetes Geländer ganz mit Schlinggewächsen überhangen war. Auf dem hatte er manch liebes Mal gestanden, bei Tag und Nacht; es war ihm wie gestern, daß er der Straßenjugend von droben herab Confect und Früchte vom Nachtisch eines großen Schmauses zugeworfen hatte, den der Hausherr zu Ehren seiner schönen Tochter an ihrem Geburtstage gegeben. Dann war die achtzehnjährige Geliebte hinter ihn getreten und hatte gesagt: „Was machst Du wieder, Vetter? Du hast immer Possen vor. Wenn der Vater das sähe!“ – Und er hatte erwidert: „Soll das Gesindel da unten nicht auch was davon haben, daß Du auf der Welt bist, Bäschen?“ – Und nun hatte sie sich selbst von seinem Muthwillen anstecken lassen und alles Geld aus ihrer Börse unter die jauchzenden Buben und Mägdlein ausgeworfen und dann dem Tumult zugesehen mit einer Miene, wie eine Königin am Krönungstage; er aber war sich wie der König vorgekommen, und selbst die Dazwischenkunft des gestrengen Papas, der ihn trotz des Festtages noch einmal in’s Comptoir schickte, um einen dringenden Brief zu schreiben, hatte seine stolze Glückslaune nicht niederzuschlagen vermocht. Er war allerdings nur ein armer Commis, der von den Unterstützungen einer alten Tante lebte, und wenn ihn auch die Tochter des Hauses Vetter nannte, er selbst wagte es nicht, den Herrn des Hauses Onkel zu nennen. Besagte alte Tante war auch freilich nicht die Schwester, sondern nur eine weitläufige Cousine des reichen Kaufmannes, in dessen Haus und Geschäft ihr Neffe seit einigen Jahren aufgenommen war, und wenn der junge Mann sich nicht so brauchbar und unermüdlich gezeigt hätte, seinem Principal zu dienen, die Verwandtschaft und gar die Jugendfreundschaft mit dem Bäschen hätten ihm dieses vornehme Haus eher verschlossen als geöffnet. Bei alledem hatte er sich durch sein fröhliches Wesen und seine guten Manieren nach und nach so eingebürgert, daß selbst der einsilbige Herr Chef hinter seiner goldenen Brille dann und wann einen wohlwollenden Blick für ihn hatte, und keinem nichtigen Grunde und Niemand als sich selbst durfte er es zuschreiben, daß plötzlich dies Alles ein Ende mit Schrecken genommen.

Auch diese Erinnerung tauchte wieder in ihm auf, aber das Bittere daran war verschwunden in der Hochfluth seliger Hoffnungen, die jetzt durch sein Herz stürmten. Er nickte dem Portier, der ihn verwundert ansah, fast gönnerhaft zu und erstieg noch ganz so im Fluge wie sonst die teppichbelegte Treppe, mußte aber auf dem ersten Absatz ausruhen, um Athem zu schöpfen. Da brach er von einem mächtigen Oleanderbaume, der unter andern Tropengewächsen den Flur schmückte, eine Blüthe ab und steckte sie als Vorzeichen des Sieges in’s Knopfloch. Dabei kam ihm der Ring mit dem Smaragd, den er am kleinen Finger trug, vor die Augen. Er hatte ihn heute erst angesteckt und dachte ihn nicht lange zu tragen. Nun drehte er ihn am Finger herum, als könne er einen dienstbaren Genius damit heranbeschwören, zog aber, als nichts Wunderbares geschah, einen kleinen Kamm aus der Tasche, [290] um seinen dicken Haarbusch von der Stirn zurückzubändigen, und musterte sich dabei in dem hohen Spiegel neben den Blumen, der seine kraftvolle Gestalt vortheilhaft genug darstellte, um ihm alle Geisterhülfe bei seinem Vorhaben entbehrlich erscheinen zu lassen.

Er war, außer dem lichtgrauen Rock, ganz weiß gekleidet, das schwarzseidene Halstuch in einen flotten Knoten geschlungen, Alles in Allem eine schmucke Erscheinung, die sich selbst in diesem mit dem üppigsten Geschmack ausgestatteten Hause wohl sehen lassen durfte.

Eben wollte er die letzte Stufe ersteigen, als er aus der Thür, die in den Salon führte, eine Mädchengestalt treten sah, in Hut und Mantille, zum Ausgehen gerüstet. Das Gesicht sah er nicht sogleich, da die schöne Schlanke den Kopf zurückgewendet hatte, um einer Zofe einen Auftrag zu hinterlassen. Aber hätte er auch die Stimme nicht gehört, schon der Schatten dieser Gestalt hätte ihm verrathen, daß es die war, die er suchte. Mit einem Sprung war er oben. „Bäschen,“ rief er, „kennst Du mich noch?“

Sie wandte sich nach ihm um. „Mein Gott!“ sagte sie und trat, wie vor einem Gespenst erschreckend, einen Schritt zurück – „Du bist’s?“

„Kein Schlechterer, als meine arme Wenigkeit,“ versetzte er und versuchte zu lachen. Aber die Heiterkeit verging ihm schnell. Denn obwohl nur ein falber Rest von Tageslicht in dem Treppenflur herrschte, konnte er doch sehen, wie todtenblaß sie geworden war und in wie heftiger Bewegung sie an dem Pfosten der hohen Flügelthür einen Halt suchte.

Ein paar Minuten standen sie so einander gegenüber, jedes suchte nach einem gleichgültigen Wort, das den jahrelang zerrissenen Faden wieder anknüpfen sollte.

„Bäschen,“ sagte er endlich, „ist Dir nicht wohl? Ich habe Dich erschreckt, nicht wahr? Es war recht ungeschickt von mir, so aus dem Hinterhalt aufzutauchen. Ich hätte mich sollen ordentlich anmelden lassen; dachte freilich nicht, daß das Wiedersehen Dich so unliebsam überraschen könnte.“

„Es ist schon vorbei,“ sagte sie mit mühsam gewonnenem Athem. „Ich war allerdings nicht darauf gefaßt – es ist schon lange her – und ich dachte eben an ganz andere Dinge – auch bin ich etwas nervös geworden, mußt Du wissen, seit dem Einbruch hier im Hause, von dem Du vielleicht in der Zeitung gelesen hast. Verzeih’ mir, Vetter, daß ich Dich nicht besser empfangen habe. Es ist ja recht hübsch von Dir, Dich einmal wieder sehen zu lassen.“

Sie schwieg wieder und athmete tief. Er wartete vergebens, daß sie ihm eine Hand reichen würde. „Cornelie,“ sagte er, „Du hast ausgehen wollen. Laß Dich nicht stören. Ich komme ein ander Mal wieder.“

Schon verneigte er sich und setzte den Fuß auf die Treppe, als sie plötzlich ihrer Stimmung Herr geworden schien und eine kleine zierliche Hand im Handschuh ihm entgegenstreckte. „Wo denkst Du hin?“ sagte sie. „Du willst doch nicht im Ernst wieder fort, ohne die Eltern gesehen zu haben? Sie sind gerade ausgefahren, müssen aber jeden Augenblick zurückkommen. Und mit meinem Ausgang hat es nicht die mindeste Eile. Ich wollte nur über die Straße in die Musikalienhandlung, mir neue Noten zu holen. Komm, Vetter. Es ist ja eine halbe Ewigkeit, daß man nicht mehr die Ehre gehabt hat –“

Sie trat in den Salon zurück, und obwohl er ihre Hand nur flüchtig gedrückt hatte, zog es ihn doch willenlos wie in früherer Zeit ihr nach. Da war noch Alles, wie damals, der große Flügel mitten im Zimmer, die zwei hohen Palmen zur Seite der Balconthür, der Papagei auf seinem blanken Kletterbaum, der noch immer gurgelte: „Ach Gott, wird’s heute regnen?“ und über dem seidenen Divan die große spinatgrüne Alpenlandschaft mit der Schafheerde und der abendröthlichen Jungfrau im Hintergründe, in der seine Augen so oft spazieren gegangen waren, wenn große Gesellschaft war und das Bäschen sang. Alles noch auf dem alten Fleck, und nur die Hauptsache verrückt und verschoben. Denn war die ernsthafte junge Dame, die jetzt ihm gegenüber auf dem Divan saß, in Hut und Mantille, und mit der Spitze ihres Sonnenschirmchens das Teppichmuster nachzeichnete, war das sein Bäschen, mit dem er so oft in diesem Gemach die tollsten Kinderein getrieben hatte, daß die Palmenzweige von der Erschütterung der Luft durch ihr helles Gelächter erbebten und der Papagei immer ängstlicher dazwischenkreischte? Freilich, sie war indessen in die Zwanzig gekommen, und wer weiß, was sie Alles erlebt haben mochte, seit er sie nicht gesehen! Nachdenklich hätte sie immerhin sein dürfen. Aber warum so fremd und kühl, daß die eisgepanzerte Jungfrau auf der Landschaft, zumal in ihrem Alpenglühen, ihm wärmer vorkam als die Stirn des schönen Mädchens ihm gegenüber?

Er wußte auch wirklich anfangs nichts Anderes vorzubringen, als die landläufigsten Fragen nach ihrer Gesundheit und der ihrer lieben Eltern, und ob sie im Sommer verreist gewesen sei und noch fleißig Musik treibe, und wie Blanche, ihr kleines Windspiel, sich befinde, ob es noch so gern Biscuit esse. Auf all’ diese Fragen antwortete sie mit der freundlichsten Gleichgültigkeit und erkundigte sich ebenso ihrerseits nach der letzten Krankheit seiner guten Tante, die vor drei Monaten gestorben. Er hatte es ihr und den Ihrigen durch einen lithographirten schwarzgeränderten Brief angezeigt. Da erzählte er nun, während er den Flor seines Strohhutes glatt zupfte, wie schwere Zeit er mit der guten, fast tauben Alten durchgemacht habe, die ihn das letzte Jahr nicht einen Tag habe entbehren wollen. Er wurde bei aller aufrichtigen Trauer um seine Wohlthäterin ganz humoristisch, als er ihr Zusammenleben auf dem Weingut beschrieb, die allabendliche Rabouge, die er mit ihr spielen mußte, ihre Leidenschaft, die unerhörtesten neuen Gerichte zu erfinden, die sie dann trotz seines Protestes vorzüglich fand und in einem Kochbuch, an dem sie arbeitete, ausführlich beschrieb; ihre Wohlthätigkeit gegen das durchtriebenste Gesindel, das richtig immer die Stunde abzupassen wußte, wo der Herr Neffe nicht zu Hause war, endlich ihre wahrhaften Verdienste um den Weinbau, worin sie es mit dem kundigsten und geschultesten Manne aufnahm.

„So schwach sie sonst gegen mich war,“ schloß er seinen Nachruf, „in dem Punkte verstand sie keinen Spaß. Ein ganzes Jahr lang hat sie mich Chemie studiren lassen, um die Sache rationell und aus dem Grunde zu betreiben, und wie sie mich dann zu sich berief, um unter ihrer Leitung die Weinberge zu übernehmen, habe ich ein Examen bestehen müssen, – ich versichere Dich, Cornelie, mancher Professor wäre dabei in die Enge gerathen. Die Gute! Sie hat den heurigen Jahrgang nur noch in der Blüthe miterlebt. Aber fast ihre letzten Worte waren die Prophezeiung: ,Du sollst sehen, Gabriel, er wird alle Kometenweine übertreffen.’ Und das war ihre letzte Freude. Denn auf die Kometen war sie schlecht zu sprechen und hielt sie für himmlische Schwindler, die nicht das Geringste von der Weincultur verständen. Ich hätte ihr die Genugthuung wohl gegönnt, ihre Voraussage so glänzend bestätigt zu sehen!“

Darauf schwieg er und das Mädchen schien durchaus nicht geneigt, ihn seinen wehmüthigen Gedanken zu entreißen. Nur der Papagei[WS 1] krächzte ein paar Mal sein trockenes: „Ach Gott, wird's heute regnen?“ und nebenan hörte man die Zofe hantieren.

Er stand endlich auf, fuhr sich mit dem Taschentuch die Stirn, auf der trotz der Abendkühle, welche durch den offenen Balcon hereindrang, der Schweiß stand, und ging einmal durch den Salon, ehe er sich wieder dem Divan näherte.

„Bäschen,“ sagte er, mit einem plötzlichen Aufschwung all' seines Muthes, „man soll freilich Tod und Leben nicht so in einem Athem besprechen, aber es hilft nichts, ich merke schon, es kommt kein ordentliches Gespräch zwischen uns zu Stande, eh' ich nicht von der Hauptsache gesprochen habe. Sage einmal aufrichtig: Du bist mir bös, nicht wahr?“

„Ich?“ sagte sie mit mühsamer Stimme, während sie mechanisch eine Visitenkarte, die auf dem Tische lag, zwischen ihren Fingern auf und zu rollte. „Warum sollte ich Dir böse sein? Was hättest Du mir zu Leide gethan?“

„Ist das wahr?“ sagte er und trat ihr mit hastiger Freude näher. „Kann ich mich darauf verlassen, daß Alles noch so ist zwischen uns wie damals?“

„Und wie war es denn damals,“ erwiderte sie mit bebender Stimme, „daß es nicht mehr so sein sollte? Du hast einige Zeit nichts von Dir hören lassen; je nun, Du hattest andere Dinge zu thun. Menschen können nicht immer beisammen bleiben. Nun bist Du wieder da, dann ist ja Alles in Ordnung.“

„Nein, Bäschen,“ rief er und fuhr sich lebhaft in die Haare, „so ganz in Ordnung doch nicht. Gestehen wir es uns nur aufrichtig: ich hätte nicht leicht einen dümmeren Streich machen können, als daß ich damals am Morgen nach jenem Ball zu Deinem Vater ging und um Deine Hand bei ihm anhielt. Wenn ich jetzt [291] daran denke, ich weiß nicht, ob ich lachen oder mit den Zähnen knirschen soll vor Scham und Aerger. Lieber Gott, wer war ich denn? Der jüngste Commis, ein Hans Habenichts, der von einer guten alten Tante sein Taschengeld bekam und ihr seine Schneiderrechnungen zuschicken durfte! Und darauf hin werben um das schönste und reichste Mädchen der Stadt, bei dem Manne, der mich nie für voll angesehen hatte, weil ich in seinem Hause in unbewachten Augenblicken den alten Kindskopf aufsetzte und dann und wann, wenn Bankiersdiner war, unten am Tische den Quatorzième machen durfte! Die Zunge hätte ich mir eher abbeißen sollen, als vor diesen Mann hintreten mit leeren Händen und vollem Herzen, während er unter Grafen und Baronen das Aussuchen hatte. Aber gestehe, Bäschen, ein Stück Verantwortung für diese haarsträubende Kinderei kommt auf Deine Rechnung. Erstens, warum trugst Du auf jenem Ball das bewußte meergrüne Kleid, von dem ich Dir schon einmal gesagt hatte, daß es mich um meine fünf Sinne brächte? Und zweitens, als ich Dir sagte, Du seiest so reizend, daß ich auf einen Wink Deines kleinen Fingers die halsbrechendsten Dinge unternehmen würde, warum fragtest Du da mit so ungläubigem Lachen: ,zum Exempel?’

Und als ich fortfuhr: zum Exempel konnte ich mir ein Herz fassen, morgen früh vor Deinen Vater hinzutreten und zu sagen: Machen Sie mich zu Ihrem Schwiegersohn und ich will Ihnen zweimal sieben Jahre dafür Comptoirfrohne thun, wie ein Neger im Zuckerrohr!’ – warum lachtest Du da noch ungläubiger und sagtest blos: ,Vetter, Du bist ein Narr!’? Du kanntest mich doch hinlänglich, Cornelie, um zu wissen, daß ich wirklich ein Narr war und ein Hitzkopf dazu, und daß der Schwur, den ich Dir auf Deinem Ballfächer leistete, morgen früh, sei’s lebend oder todt, zu Deinem Vater zu gehen, mir aus dem Herzen kam. Und doch lachtest Du nur immer unbarmherziger, als wenn es Dir eben recht wäre, mich den Hals brechen zu sehen. O Bäschen, wie ich dann am andern Tage, in ein wahres Nichts verflüchtigt durch drei kurze Worte meines gestrengen Chefs, die Treppe hinunterschlich, aus dem Haus und dem Geschäft weggewiesen wie ein Mensch, dem nach solcher Majestätsbeleidigung und Tempelschändung Alles zuzutrauen ist: da hätte ich gern vorher noch bei Dir angeklopft, um zu fragen, ob Du nun zufrieden seiest, oder ob ich noch ’was Dümmeres begehen solle, um Dir meine Ergebenheit auf Tod und Leben zu beweisen. Aber da kam mir Dein gottloses Lachen wieder in den Sinn, und zum ersten Mal blitzte mir der Gedanke durch den Kopf: Herrgott, sie hat am Ende gar kein Herz, wenigstens nicht für dich, und Alles, was du zu deinen Gunsten ausgelegt hast, war nur spitzbübische Schadenfreude, dich recht vernarrt zu machen, um dich dann auszulachen. Und da, Cornelie, ging der Hitzkopf wieder einmal mit mir durch. ,Gut,’ sagte ich, ,ich gehe; ich betrete dieses Haus nicht eher wieder, als bis ich ein gemachter Mann bin und mich der Herr Vater nicht mehr von oben bis unten mustern kann, um mir dann den Rath zu geben, ich möchte mich in eine Heilanstalt verfügen. Und bis ich so weit bin, will ich mir alle Gedanken an sie aus dem Sinn schlagen, und sie soll gar nicht mehr wissen, ob ich auf der Welt bin!’“

Er hatte die letzten Worte in so leidenschaftlichem Ton gesprochen, daß er jetzt plötzlich selbst vor dem Schall seiner Stimme erschrak.

„Da siehst Du nun,“ sagte er lächelnd, indem er sich wieder setzte und von Neuem die Stirn trocknete, „wie stürmisch es damals in meiner armen Seele zuging, daß die bloße Erinnerung mich wieder ganz rabiat macht. Und ich bin doch seitdem, Dank der Rabouge meiner guten Tante, ein ganz gesetzter Mensch geworden, mit einer wahren Lammesgeduld, der sich zu einem der musterhaftesten Hausväter und Ehemänner dieses Jahrhunderts qualificirt.“

Dabei sah er ihr gespannt in das zartgefärbte Gesicht, als erwarte er, daß nun sie das Wort ergreifen und seine lange Beichte mit einer ähnlichen Herzensergießung erwidern werde. Unbewußt drehte er dabei den Ring mit dem Smaragd um den Finger und athmete tief auf, als sei die Last, die er jahrelang getragen, jetzt von ihm abgefallen. Sie aber sah ihn nicht an, obwohl ihre schönen braunen Augen nahe genug an ihm vorbeistreiften, immer auf die Palme geheftet, die jetzt ganz im Schatten stand. Ihr Gesicht hatte einen seltsam düsteren Ausdruck, weit über ihre Jahre, und wäre er minder von seinen Hoffnungen verblendet gewesen, er hätte erschrecken müssen vor dem leidenschaftlichen Zucken ihres Mundes, als sie ihn jetzt öffnete, um ganz gelassen zu sagen:

„Ich gratulire Dir zu Deiner Geduld. Auch ich habe Gottlob in dritthalb Jahren Manches gelernt und bin mit Manchem fertig geworden, sogar mit mir selbst. Dazu lebt man ja.“

„Gewiß,“ erwiderte er, ohne recht zu wissen, was sie gesagt hatte, denn er sann im Stillen darüber nach, wie er nun vorbringen sollte, was er auf dem Herzen hatte. Plötzlich entschloß er sich, Alles von der heitersten Seite zu nehmen, und lachte mitten in seiner Beklommenheit. „Bäschen,“ sagte er, „das meergrüne Kleid ist wohl indessen grau geworden. Aber das thut nichts. Am Ende war’s doch wohl nicht das Kleid, was mir damals eine so wahnsinnige Courage machte. Wenigstens finde ich, das braune, das Du da anhast, könnte mich ebenso weit treiben, nur mit dem Unterschiede, daß das Wagestück heute nicht mehr so groß wäre, wie damals.“

„Findest Du?“ sagte sie und warf ihm einen raschen Blick zu, vor dem er die Augen niederschlug. „Du hast seltsame Begriffe, muß ich gestehen.“

„Nun,“ erwiderte er zögernder, „die Sachen haben sich doch stark geändert. Oder meinst Du nicht, Bäschen?“

„Ja wohl,“ sagte sie und nickte hastig mit dem Kopfe. „Es ist Alles sehr anders geworden.“

„Und darum, wenn ich morgen früh – oder warum könnte es nicht gleich heute Abend sein? – Deinem Vater wieder gegenüberträte und ganz dieselbe Rede an ihn hielte, die damals ein Narrenstreich, eine rechte Fanfaronade war, meinst Du nicht, daß er jetzt eine etwas höflichere Antwort darauf hätte?“

Sie stand auf, blieb aber, mit der Hand sich aus den Marmortisch stützend, am Divan stehen, zitternd am ganzen Leibe. „Das ist zu viel,“ sagte sie mit halb erstickter Stimme. „Es wäre besser, Gabriel, Du gingest, eh’ ich Worte finde, die Dich endlich darüber aufklären, wie ich von Deinem Betragen denke, gleichviel, was mein Vater für eine Antwort hätte.“

„Aber um Gotteswillen, Cornelie,“ rief er und sprang nun ebenfalls auf, ich begreife nicht –“

„Noch immer nicht?“ unterbrach sie ihn rasch, während ihr die Thränen in die Augen traten. „Muß ich es wirklich selbst sagen, wie unerhört ich es finde, daß Du nach dritthalb Jahren, wo ich für Dich nicht existirt habe, eben nur daran denkst, was mein Vater Dir antworten würde, als verstände sich’s ganz von selbst, daß die Tochter indessen keinen anderen Gedanken gehabt hätte, als wann der verehrte Herr Vetter sich einmal wieder melden würde? Das gute Kind hat sich vielleicht etwas gelangweilt in den Jahren, seit ihr Tänzer auf jenem Ball ihr allerlei närrische Dinge gesagt hat. Dafür wird sie nun königlich belohnt; er hat seine Tante beerbt, er ist eine gute Partie geworden, das Bäschen wird überglücklich sein, wenn er jetzt plötzlich wieder erscheint und um ihre Hand anhält. Denn er könnte ja auch die erste beste Andere heimführen, die ihm vielleicht inzwischen, bei seinem lustigen Leben in Berlin und Wien, weit besser gefallen hat; aber die Genugthuung kann er sich nicht versagen, nun als ein gemachter Mann vor seinen Schwiegervater hinzutreten und ihn zu beschämen durch die Mittheilung, daß er jetzt so viel Tausende jährlich einnimmt, wie damals Hunderte. Auf diesen Augenblick hat man sich ja so lange gefreut und, um die Wirkung noch brillanter zu machen, jahrelang sich um das Bäschen nicht von fern bekümmert, da dieses gute Wesen einem ja doch sicher war. Aber es thut mir leid, Vetter, daß ich es sagen muß: ich verdiene die gute Meinung nicht, die Du von mir gehabt hast. Ich bin nicht mit der Lammesgeduld begabt, wie Du sie mir ohne Zweifel zugetraut hast, und wie gesagt, wenn es damals ein dummer Streich war, aus einem Ballscherz Ernst zu machen, so würde ich es jetzt für eine Beleidigung halten, wenn Du meinem Vater die nämliche Rede hieltest, wie an jenem Morgen, und würde diesmal selbst antworten, wie er damals gethan, auf die Gefahr hin, daß Du wieder einige Jahre für uns verschollen wärst!“

Sie trat von ihm weg an das nächste Fenster und kehrte ihr Gesicht, das über und über glühte, von ihm ab, der in sprachloser Betäubung an dem Tische lehnte. „Steht es so?“ sagte er endlich dumpf vor sich hin; „das hab’ ich freilich nicht gedacht. Ich dachte, es könne sich auch hier nichts verändert haben, weil in mir Alles nur allzusehr beim Alten blieb. Nun freilich –“

„Und wie war es damals?“ unterbrach sie ihn, ohne sich umzuwenden. „Hast Du Dich schon damals viel darum bekümmert, wie es etwa in meinem Herzen aussah? Nahmst Du nicht immer stillschweigend an, daß ich Niemand anders je lieber haben könne, als Dich, und wenn ich Dich darüber auslachte und Dich [292] einen eingebildeten Herrn der Schöpfung nannte, bestärkte Dich nicht auch das in dem Glauben an Deine Unfehlbarkeit? Und dennoch, hätte ich damals gedacht, Du würdest den Uebermuth wirklich so weit treiben und zum Vater gehen, so hätte ich Dich gewarnt und mir’s ernstlich verbeten, um Dir eine Beschämung zu ersparen. Denn ich war Dir herzlich zugethan, Gabriel, und wahrhaftig, Dein Weggehen, Dein Verstummen, die Todtenstille zwischen uns, das Alles hat mich anfangs geschmerzt. Ich hätte auf einen Brief von Dir freundlicher geantwortet, als Du verdientest. Hernach, als Monat auf Monat verstrich und wir nur aus dritter Hand hörten, Du seiest durchaus nicht in den Rhein gesprungen, sondern genössest Dein Leben mehr als je, – nun, da habe ich mir einen Vers darüber gemacht und bin, wie gesagt, wie mit manchem Anderen, auch damit fertig geworden, ganz und gar und für immer!“ – –

Sie schwieg, und sehr zur rechten Zeit. Denn unwillkürlich ausbrechende Thränen drohten zu verrathen, daß sie nicht an Alles glaubte, was sie sagte, und nicht mit Allem so fertig war, wie sie ihm und sich selbst einreden wollte. Er aber stand wie vernichtet und fand keine Worte, sich zu rechtfertigen. Ein paar Mal lag es ihm auf der Zunge, ihr zu sagen, daß er all’ die stummen Jahre hindurch nur von der Hoffnung gelebt habe, er sei durch ein unzerreißbares Band mit ihr verbunden, sie könne so wenig je einem Anderen gehören, wie er ein Glück ohne sie zu denken vermöge. Aber eben diese Zuversicht machte sie ihm ja zum Verbrechen! Und hatte sie nicht auch Recht? Worauf durfte er seinen felsenfesten Glauben bauen? Was hatte sie ihm je gesagt oder gethan, das über die vertrauliche Munterkeit eines verwandtschaftlichen Verkehrs hinausging?

Aus dieser armsünderhaften Stimmung, in der er jede Strafe gern über sich hätte ergehen lassen, schreckte ihn plötzlich der scharfe Ton der Hausglocke auf, der einen Besuch ankündigte. „Ich will gehen, Cornelie,“ sagte er. „Ich thue besser, die Eltern nicht abzuwarten. Ob ich überhaupt wiederkomme, weiß ich noch nicht. Es scheint mir in diesem Augenblick sehr überflüssig, da ich nun über Vieles anders denke. Indessen will ich es nicht verschwören. Niemand weiß, wie weit seine Kräfte reichen.“

„Gabriel,“ sagte sie mit plötzlich besänftigter Stimme und wandte sich nach ihm um, „es thut mir leid, daß ich Dir das habe sagen müssen. Aber es war mir so um’s Herz und ich war Dir die Wahrheit schuldig. Gieb mir nun die Hand und laß das Alles zwischen uns wie nicht gesagt und geschehen sein. Wir fangen eben von vorn miteinander an, ich bin Dein Bäschen, Du mein Vetter; bist Du das zufrieden?“

Er sah ihr mit einem tieftraurigen Ausdruck in die Augen, als ob er, ehe er in ihre Hand einschlug, erforschen wolle, wie sie es meine; da, noch ehe er darüber in’s Klare gekommen war, öffnete sich die Thür, und ein eleganter junger Mann trat mit heiterer Sicherheit, wie wenn er hier zu Hause wäre, ein, verneigte sich gewandt vor Cornelien, der er die Hand küßte, und begrüßte den Fremden mit einem etwas kühlen Seitenblick. Cornelie stellte ihn dem Vetter als einen Freund des Hauses vor, den Sohn eines Geschäftsfreundes ihres Vaters aus Bordeaux, der, um deutsche Verhältnisse kennen zu lernen, seit einigen Monaten sich hier aufhalte. Gabriel beobachtete sie unverwandt. Jede Spur des aufgeregten Gesprächs schien aus ihrem Gesicht wie weggeweht, sie führte im muntersten Französisch die Unterhaltung mit dem geistvollen jungen Franzosen, und als sie merkte, daß Gabriel stumm dabei saß, schlug sie plötzlich vor, die provençalischen Volkslieder mit ihm zu singen, die der Gast ihr neulich gebracht habe. Sogleich setzte sie sich an den Flügel, sich selbst zu begleiten, aber die Stimme gehorchte ihr nicht wie sonst. Die verschluckten Thränen rächten sich. Nun drang sie in den Franzosen, allein zu singen, während sie ihn begleitete, und ließ sich vor jedem Liede die Worte, die ihr fremd waren, übersetzen, mit einem Eifer, als lägen ihr diese Sprachstudien wunder wie sehr am Herzen. Der Fremde schien es durchaus nicht für nöthig zu halten, seiner lebhaften Verehrung für das schöne Mädchen irgend Zwang anzuthun, weil ein stummer Dritter zugegen war. Er enthielt sich jeder directen Galanterie in Worten; aber jede Geberde, jeder Blick, der Ton seiner Stimme, das Lachen, mit dem er auf ihre Scherze einging, sprachen alle nur das Eine aus: Ich bin überglücklich in Deiner Nähe zu sein; mache mit Deinem Sclaven was Du willst!

(Fortsetzung folgt.)




Die Metzger und ihr Brunnen.

Wenn Literatur und Malerei sich in unserer Zeit fortwährend bestreben, das Leben des deutschen Volkes in Schrift und Bild mit glücklichem Humor zu feiern, und namentlich dem Handwerkerstand ein Interesse an sich selbst, an seinen Gebräuchen und Besonderheiten zu geben, so hat die Bildhauerkunst in größeren Werken noch wenig oder keine Beiträge dazu geliefert. Ist es doch in ihr recht schwer, beim Humor die Schönheit der Formen festzuhalten, den Naturalismus nicht zur Caricatur herabsinken zu lassen. Die deutschen Bildhauer des Mittelalters nahmen es mit ihren Humoresken zum Theil nicht so genau wie wir. Sie opferten der Wahrheit und Charakteristik gar oft die Schönheit.

Unter allen Gegenständen des täglichen Gebrauchs eignet sich wohl keiner zu heiterer, volksmäßiger Ausschmückung so gut, als der Brunnen. Der Bildhauer Conrad Knoll in München, bekannt durch seinen Tannhäuserschild, seine Heroen-Statuen am Rathhaus zu München, Palm-Standbild zu Braunau, Wolfram von Eschenbach zu Eschenbach etc., hat neuerdings in seiner ebenso schönen als originellen Ausschmückung des Fischbrunnens eine heitere Sitte der Münchener Bürgerschaft in sinniger Darstellung verherrlicht, die in einer nicht unbedeutenden geschichtlichen Begebenheit Baierns wurzelt und den deutschen Süden mit seiner naturkräftigen Lebenslust vortrefflich charakterisirt. Diese Sitte heißt der Metzgersprung und ihre Entstehung ist, wie die Chronik berichtet, in der Stadt Nürnberg zu suchen.

Als im Jahre 1346 eine Partei gegen Ludwig den Baier, zu Gunsten Karl des Vierten sich gebildet hatte, beschlossen mehrere Nürnberger Zunftmeister die Anhänger Ludwig’s zu überraschen, und zur Verabredung der Art und Weise hatte man sich am 15. Februar 1346 am Schönen Brunnen zusammenbestellt. Zwei Metzgerjungen aus München, Sewald Snyder und Michael Tumbläger, aber versteckten sich trotz der Kälte in den Brunnen, hörten Alles mit an, erkannten die Verschworenen, theilten das Vorhaben ihren Meistern mit und retteten die Stadt dem Kaiser Ludwig.

Dieser gab darauf der Metzgerzunft in Nürnberg das Privilegium, alljährlich am Faschingstag ihre Lehrlinge öffentlich frei zu sprechen. Als nun die zwei jugendlichen Retter des Vaterlandes als Meister nach München zurückkehrten, führten sie dieselbe Sitte in der Residenz ein. Anfangs nur im Keller gehalten, wurde sie nach einer neuen Fleischerordnung und Metzgerzunft öffentlich und litt nur in den Jahren 1463, 1515 und 1517 durch die Pest eine Unterbrechung. Selbst als die Seuche vorüber war, fürchtete sich Jedermann auf der Straße ohne Noth zu erscheinen; die Stadt glich der Oede eines Kirchhofes. Da machten die Metzger einen rühmlichen Anfang, neue Lebenslust hervorzurufen. Tanzend zogen sie durch die Straßen der Residenz, um zu beweisen, daß die Luft wieder rein sei, und sprangen in den Brunnen, zu zeigen, daß auch das Wasser keine giftigen Stoffe mehr berge; hierauf wagten sich denn die übrigen Bewohner auch wieder heraus. Nun wurde während drei Jahrhunderten bis aus die neueste Zeit das heitere Spiel des Metzgersprunges jährlich wiederholt. Einige Lehrlinge der ehrbaren Zunft erhalten zu ihrer Standeserhöhung das frische Brunnenbad, sie ziehen mit Musik in fröhlichem Zuge durch die Stadt zum Fischbrunnen, und ein Altgeselle bringt nach der lustigen Einweihung den neuen Freigesprochenen und der Stadt mit einem Becher Wein ein Lebehoch.

Diese Scene nun hat der Künstler an dem neuen Fischbrunnen, den man statt des alten schadhaften zu setzen beschloß, auf echt künstlerische Weise dargestellt.

Das Brunnenmonument ist gleichsam in drei Stockwerken aufgebaut. Das untere, der Sockel von röthlichem Marmor, erhebt sich aus einem achteckigen Brunnenbassin von grauem Granit. Ueber diesem baut sich in schönen architektonischen Verhältnissen eine gleichfalls achteckige Säule auf, welche von den verschiedenen Gruppen, Figuren und Ornamenten umgeben und geschmückt ist. Aus dem ersten Theile dieser Säule fließt und springt das Wasser aus Löwenköpfen und Delphinen in Muscheln oder in das große

[293] Becken. Dazwischen erblickt man rechts und links auf dem Sockel sitzend eine Gruppe von je zwei Burschen in der abenteuerlichen Tracht der Metzgerlehrlinge am Faschingstage, Jacken und Beinkleider mit Kälberschwänzen besetzt, Wasserkübel ausschüttend. Im übermüthigen Spiel hebt der Eine drohend den Kübel in die Höhe, als wollte er ihn über seinen Genossen ausleeren. Bei der zweiten Gruppe hingegen hält ein Bursche einen gefangenen Fisch triumphirend hoch, den sein Camerade neckisch anspritzt. Auch fehlt der übliche Früchtekorb nicht, aus welchem bei dem Faschingsspiel Aepfel und Nüsse unter die Straßenjugend geworfen werden.

Der neue Fischbrunnen in München.

An dem oberen verjüngten Theile der Säule stehen vier Tannenbäumchen in Kübeln, die Stämme mit Festschmuck von Wappen, Schildern und Bändern verziert, ihre Zweige zu Nischen bildend, unter welchen ein Quartett Musiker in Knabengestalten anmuthig placirt ist, von denen der Eine die Flöte, der Zweite das Horn, der Dritte die Schalmei und der Vierte den Dudelsack bläst. Die originelle knappe Kleidung der Knaben hebt ihre jugendlichen Formen reizend hervor und erhöht dadurch den Eindruck von Naivetät, welcher dieses kleine Tonkünstler-Quartett auszeichnet. Auf der Plattform über diesen Kinderfiguren steht der Altgeselle, ebenfalls in leichter Kleidung, welche die kräftigeren schönen Formen sehen läßt; den Weinkrug in der Linken, schwingt die Rechte den Becher hoch in der Luft.

Außer diesen heiteren Darstellungen finden sich bei näherer Betrachtung an untergeordneten Stellen noch zwei Reliefs, welche auf jene grauenvolle geschichtliche Erinnerung hindeuten, die man mit der Sitte des Metzgersprungs in Verbindung bringt. Unter den großen Muschelschalen, zwischen den sitzenden Gruppen, kauern als Träger der Schalen zwei unheimliche Gestalten, stets vom Wasser bespült, die eine mit Schädeln und Todtengebeinen, die andere mit Fledermäusen gekrönt. Sie halten erdrückte drachenartige Gewürme in ihren Händen, Symbole der Pest und Cholera. Dagegen nippen oberhalb der von Wasser überfließenden Schalen ein Paar allerliebste Tauben hüben, und drüben ein Paar der Kufe entsprungene muntere Fischlein von dem erfrischenden Naß. Die sich kreuzenden Wasserstrahlen, welche von den speienden Delphinen aufwärts steigen und aus den Löwenköpfen und den Wasserkübeln abwärts sprühen, beleben das Ganze und verleihen den fröhlichen Gruppen noch größeren Reiz.

Das Monument ziert an derselben Stelle des alten Brunnens, der die heitere Scene erlebte, als Schmuck den Marienplatz, dessen Besuch wir allen Reisenden dringend empfehlen.

K. G.     
[294]

Englische Sitten.

2. Behandlung der Hausthiere und des Gesindes.

Der Engländer ist Aristokrat, er ist es schon oder er sucht es zu werden. Daß er jetzt, durch Disraeli verführt, den Versuch macht, Demokrat zu werden, hat ihm noch wenig von seiner Elle aus dem Rücken genommen. Der krumme Rücken des Franzosen ist ihm ein Gräuel. Eine Dame beklagte sich, die Franzosen wären grob geworden. „Das ist ein Fortschritt,“ sagte ihr Gemahl, „wenn das wahr ist, so kann noch etwas aus ihnen werden.“ Wenn die Engländer zugeknöpft und vornehm sind, so wissen sie sehr gut, warum. Und wir können das Stimmrecht der Hausbesitzer, Aller, die eine Thür nach der Straße haben, diesen Schritt zur Demokratie, ebenso gut als einen Schritt zur Aristokratie ansehen. Jeder will Herr werden, vor allen Dingen sein eigener Herr. Der Herr braucht nun aber den Diener und – die Hausthiere. Wie Einer zu Gelde kommt, gleich schafft er sich Hunde, Pferde und Bediente an, während ein Schweizer, der plötzlich eine große Erbschaft that, sich in’s Bett legte und Rothwein trank.

Jedem Fremden, der nach England kommt; fällt gewiß die Fülle der galonnirten Bedienten, Carossen, Luxuspferde und Hunde auf. Wenn er dann vollends erst einige Male über die Hunde gefallen ist, die ihm nicht aus dem Wege gehen, – was sie sich natürlich von ihren Herren abgesehen, – ja die nicht einmal dem Stocke ausweichen wollen, so wird er sich auch überzeugen, daß diese Thiere hier eine andere Stellung haben, als auf dem Continent. Wo der Edelmann obenauf ist, da ist es auch der Hund. „Ein Junker hielt sich ein paar Hunde.“ Hier in England hält er sich gleich einen ganzen Hundegarten (kennel). Vor der Stadt Brighton, wenn man nach dem römischen Lager hinaufgeht rechter Hand, sieht man ein geräumiges Viereck eingemauert. In dem wandern und sitzen eine Menge Fuchshunde umher. Sie haben ordentlich Steige darin gelaufen. In der einen Ecke ist ein Verschlag. Hier füttert und regiert sie der Hundemeister. Würde ein Fremder aus Versehen über die Mauer kommen und unter sie gerathen, er wäre verloren und würde unfehlbar zerrissen; die Hunde sind hier allein, und weit und breit wäre keine Hülfe zu errufen. Der Hundegarten ist aus guten Gründen einsam gelegt. Diese seltsame Anstalt, die dem Lord Chichester, dem großen Dünenlord, gehört, kostet ihm jährlich etwa eintausend Pfund Sterling, sechstausend sechshundert sechsundsechszig Thaler. Der Adel hat seine Lasten. Der edle Lord muß den Fuchsjägern die Hunde füttern.

Solche Rolle spielt der Hund, und durch die ganz besondere Hundepflege ist es nun ein weitverbreitetes Vorurtheil in England geworden, daß der Hund Menschenverstand habe, und ich höre fortdauernd versichern, es sei nicht zweifelhaft, daß er denken könne.

Die Schätzung der Hunde durch die Herren und Damen führt zu Hundemoden und Hundepreisen, die fabelhaft sind. Die Häßlichkeit wurde geradezu für Schönheit erklärt, und so wurde sie Mode. Die schottischen Dachshunde (terriers sieht man alle Tage unter den verlorenen Artikeln auf der ersten Seite der Times. Bei ihnen ist man in Zweifel, welches Ende Kopf, welches Schwanz sein soll, und je mehr diese Vollkommenheit erreicht ist, desto höher wird das Meerwunder geschätzt, zu zehn, zwanzig, dreißig Pfund Sterling. Die Bullenbeißer-Terriers sind wo möglich noch ärger, glatte, schiefbeinige, großköpfige kleine Kobolde, und werden besonders geschätzt, weil sie Ratten, Katzen und Garotter höchst wirksam anfallen.

Auch die Preise der Schooßhündchen sind fabelhaft. Eine Dame meiner Bekanntschaft hatte für einen kleinen schwarzen Kläffer, eben weil er so klein war, fünfzig Pfund (dreihundertdreiunddreißig Thaler zehn Silbergroschen) gezahlt. Was dem edlen Lord Chichester seine Jagdhunde kosten, habe ich schon erwähnt.

Die theuren Hunde werden nun natürlich auf die schlaueste Weise gestohlen und dann entweder an den Eigenthümer selbst wieder verkauft oder auf der Eisenbahn weit weg- und einem fremden Liebhaber zugeführt. In London ist ein eigener Agent, der jeden abhanden gekommenen Hund wiederschafft, wenn ein annehmbares Gebot gethan wird.

Wenn man in der Zeitung liest: „Hundeversammlung beim Teufelsgraben am 1. April!“, so ist das nicht etwa ein Scherz, sondern heißt: dort werden sich die Fuchsjäger versammeln und sich für die Jagd natürlich mit Champagner und Ale stärken. Die Einnahme Mister Tacker’s, des jovialen Wirths am Teufelsgraben, ist bei solchen Gelegenheiten bedeutend. Er hat mir seine Keller gezeigt und mir die Geheimnisse solcher Tage verrathen.

Am Morgen einer angesagten Fuchsjagd strömen dann nach dem Frühstück, d. h. von zehn bis elf, von allen Seiten Reiter in scharlachrothen Fracks, auch im gewöhnlichen Reitcostume, und junge und ältere Damen zu Pferde mit und ohne Reitknechte zusammen. Kein Wetter, kein weiches Feld hält sie ab. Diese Jagdtage sind Festtage für Müßiggänger, die so das Einerlei der Langeweile unterbrechen und sich Appetit zu ihrem Abendessen holen, das sie aber Mittagessen nennen. Schießgewehre werden gar nicht mitgenommen, und man giebt dem Fuchs eine gute Strecke vor, ordentlich als wolle man ihn anständig behandeln und den Hunden, die das Feld wie eine Heerde Schafe bedecken, nicht zu leichtes Spiel mit ihm geben. Die Fuchshunde sind keine Windhunde, sondern eher unsere Jagd- und Hühnerhunde.

Die Jagd ist in der That mehr ein Spiel, als eine Fuchsvertilgung. Es kommt dabei mehr auf eine wilde Reitpartie und gelegentlich auf Courmacherei mit den jungen Damen an, als auf den Fuchs. Der ist nur das flüchtige Ziel, nach dem Alles jagt und rennt; das Jagen und Rennen ist der Zweck.

Reinecke aber kennt die Gefahr. Er macht keine unnöthigen Umwege und weiß, daß der grade Weg zu irgend einem Bau der kürzeste ist. Dies bringt die Verfolger oft in Verlegenheit. Doch über Hecken und Gräben, über Hohlwege und Verschläge, durch Sumpf und Busch verfolgen die Heerde von Hunden und ein ganzes Regiment von Reitern den einen armen Reinecke, der in der Regel bald verloren und dessen Ruthe das Siegeszeichen dessen ist, der zuerst bei dem Zerrissenen anlangt.

Dies grausame und halsgefährliche Spiel mit dem Leben eines armen Fuchses wird viel angefeindet. „Fuchsjäger“ ist wie unser „Junker“, ja noch schlimmer, aber nichts ist populärer, als dieses Jagdvergnügen. Der Geist, welcher sich mit Gesetzen und Strafen gegen die Hahnenkämpfe und das Boxen gewendet hat, kann hier noch nichts leisten, und der Spott der Humanisten und Fuchsfreunde hat keine Macht über die Eitelkeit, mit der Aristokratie herumzureiten und, wenn man nicht adelig ist, sich auf diese Weise selbst zu adeln. Wer Zeit und ein Pferd hat, kann mitreiten. Was das Mitreiten aber sagen will, sieht man aus Folgendem.

In Lewes traf ich neulich einen alten Herrn im Wirthshause der Eisenbahn. Da er die rothe Jacke anhatte, fragte ich: „Ist die Jagd denn schon aus?“

„O nein, aber mein Pferd wurde lahm und zwei Mal bin ich gestürzt. Sie sehen, wie ich aussehe. Da bin ich nun umgekehrt, habe mein Pferd in die Cur gegeben und will mich selbst mit einem Glase Burton-Ale pflegen; dies Bier zieh’ ich doch dem Champagner vor!“

So tröstete er sich über seine Unfälle.

Kurz darauf kam ein junger Rothrock; schien ein Officier zu sein. Der war weniger gut gelaunt. Er suchte vergebens seine Stimmung durch Pfeifen zu vertuschen; man hörte es ihm an, daß es nicht richtig war, und der Alte fragte: „Nun, was ist? Warum trinken Sie nicht eins?“

„Bin nicht aufgelegt!“ – neues Pfeifen – „hab’ mein Pferd erschossen; kostet mich hundert Pfund; war auf einen Pfahl gesprungen und hatte sich gespießt.“

Nach und nach erschienen auch die Anderen, die bis zu Ende ausgehalten und auf die der Zug bei Brighton wartete. Alle hatten mehr oder minder an Leib und Gut gelitten, aber der Fuchs war doch um’s Leben und – um seinen Schwanz gekommen! Wie viel junge Damen bei der Gelegenheit ihr Herz verloren, ist mir natürlich nicht bekannt geworden.

[295] Die Jagdpferde, vornehmlich der Damen, sind merkwürdig gut abgerichtet und sehr häufig wissen sie mit allen Schwierigkeiten des Terrains zu Stande zu kommen. Die Abrichtung der Pferde geht hier überhaupt weiter, als bei uns. Nicht nur die Dressur der Damenpferde, die auf Commando Trab oder Galopp gehen, auch die Pferde, mit denen die Fleischer umherfahren, ist auffällig; ebenso sind die Pferde der Milchmänner und wer sonst noch seine Waaren in Wagen ausfährt – man liefert hier Alles in’s Haus – wie Hunde abgerichtet. Sie kennen die Häuser der Kunden, sie bleiben ruhig stehen, während ihr Führer die Ablieferung der Waare besorgt, gehen auf seinen Zuruf zum nächsten Hause, wenn’s in der Nähe ist, und eilen, wenn er wieder aufsteigt, um eine längere Strecke zu fahren, im Galopp davon, weil der Fleischer sowie der Milchmann ein Interesse daran hat, seine Waare überall rechtzeitig abzuliefern. Diese Fleischerkarren sind zu gewissen Zeiten an Straßenübergängen und abschüssigen Stellen böse Gäste.

Tolles Fahren ist zwar hart verpönt, aber der Fleischer- und der Postkarren, der die Briefe aus den Briefpfeilern zusammenholt, beide haben in der That eine Entschuldigung für ihr rasches Fahren, und man hört nicht von Unfällen.

Die vielen Luxuspferde, die Carossen, die Wappenschilder an Kutschenthüren und im Siegel, die Hunde und die männlichen Bedienten werden theuer versteuert, am theuersten der Haarpuder der Bedienten und der goldene Knopf auf ihren langen Rohrstöcken. Die rothen Kniehosen und weißen Strümpfe, in denen ihre Waden hinten auf den Kutschen paradiren, sind bis jetzt noch nicht besteuert, durch Disraeli und die abessinische Expedition aber ernstlich mit einer Auflage bedroht.

Das Bedientenwesen oder -Unwesen – denn Müßiggang ist aller Laster und vieler Verbrechen Anfang – geht in der That sehr weit. Der Volkswitz hat auch für den Bedienten ein eigenes Schimpfwort, welches in den Wörterbüchern nicht aufgeführt wird, nämlich flunkey so viel als dienstbarer Geist. Bedientengeist und Bediententhum heißt dann Flunkeyism und ist im Witz der Volksberedsamkeit eine unentbehrliche Würze geworden.

Der Kellermeister (butler) nimmt den ersten Rang des edlen Hausgesindes ein und führt im Erdgeschoß bei Tische den Vorsitz. Manchmal scheint ihn jedoch der Jockey zu überholen. Der berühmte Jockey Grimshaw bekommt eintausend Pfund Sterling Gehalt; kein Butler bringt es über hundert Pfund und hat in der Regel nur vierzig Pfund. Der Jockey bringt aber auch bei den Wettrennen wieder enorme Summen ein, wenn er sich wirklich so bewährt, wie Grimshaw, der schon wiederholt den ersten Preis davongetragen hat.

Um sich einen Begriff von der Ausbildung des Bedientenwesens zu machen, braucht man blos die Titel des Gesindes aufzuzählen. Es wäre naiv, wenn Einer dächte, mit Knecht, Magd, Kutscher, Koch und Bedienten auszukommen. Der Jäger oder Wildhüter ist verschieden von dem Parkhüter, wo z. B. Hunderte von Fasanen und Rebhühnern von Hennen ausgebrütet werden, die dann Wald und Feld bevölkern und dem Bauer den Weizen ausfressen. Vom Parkhüter ist wieder der Gärtner verschieden, und der hat seinen Untergärtner. Der Jockey ist nur für die Rennpferde, der Reitknecht (groom) nur für die Reitpferde, der Kutscher nur für die Wagenpferde. Die eigentlichen Bedienten sind Valet und Laufbursche (footman), der Koch verläßt die Küche nicht, der Aufwärter bei Tisch ist zunächst und zuoberst der Kellermeister, dann der Valet und Laufbursch und unter beiden der Page. Bei kleinen Gesellschaften ist hinter jedem Stuhl ein Bedienter. Mägde im Eß- und Drawing Room erscheinen zu lassen, ist ganz ungehörig und ordinär. Die Aufwärter bei Tisch haben in Uniform oder in schwarzem Frack und weißer Halsbinde zu erscheinen. Daher der Ausdruck: Er kann eine weiße Halsbinde tragen, ohne wie ein Bedienter auszusehen. Die Herren Geistlichen haben diese Anstrengung zu machen; bei großen Gelegenheiten freilich Jeder, wo es denn auch eigene Putzhemden giebt.

Die Titel der Mägde sind noch zahlreicher, als die der Diener. Garderobenmädchen, Stubenmädchen, Kammermädchen, Aufwaschmädchen, Waschmädchen, Küchenmädchen, Scheuermädchen, Kindermädchen, Ober und Unterkindermädchen, Amme, Stillamme, Oberamme, Vorrathskammermädchen (stillroommaid), Büffetmädchen, Schenkmädchen, Kellnerinnen, Haushälterinnen, Leinzeugfrauen, Köchinnen, feine Köchinnen, einfache Köchinnen, d. h. für englische Hausmannskost etc. etc., denn

„Wer kennt die Aemter, nennt die Namen
Der Herren Bedienten und der Damen?“

Es herrscht eine strenge Rangordnung unter ihnen, mit der sie es eben so ernstlich nehmen, wie ihre Herren mit Nobility, Gentry und Handelsleuten oder Gewerbsleuten. Eine vornehme Familie kam mit ihrem ganzen Haushalt nach Brighton und nahm ein großes Hans an der Seepromenade für einhundert Thaler die Woche, welches dafür natürlich glänzend eingerichtet war. Die Dienerschaft war bisher zufrieden gewesen. Hier brach plötzlich eine Unzufriedenheit über sie herein, wie eine Epidemie. Zuerst erschien der Butler und sagte den Dienst auf. Angenommen. Dann der Kutscher. – Das ist unbequem! müssen ihn aber doch gehen lassen. – So folgte Einer nach dem Andern, die Mägde ebenfalls. Dies war unerklärlich. Endlich als auch Sophy, das Kammermädchen der Lady, erschien, verließ diese den kalten Geschäftston des: „Gut!“ und „Angenommen!“ mit den Worten: „Aber was in der Welt habt Ihr denn, und was ist es mit Dir, Sophy? Ich weiß doch, daß Du zufrieden bist; warum willst Du, und warum wollt Ihr mit Einem Male Alle fort?“

„Wir können nicht bleiben, denn wir können uns nicht zum Essen setzen. Der Eßtisch ist unten rund, und da weiß Niemand, wo oben oder unten ist und wo er nach seinem Range sitzen soll.“

„Da schlag’ ich vor,“ sagte die Dame lächelnd, „daß wir ihnen einen richtigen Eßtisch anschaffen!“ Und der Grund des Aufruhrs war gehoben.

Auf den Landsitzen der Reichen emancipiren sich die Angestellten so weit, daß eine Freundin uns erzählte, sie sei nicht im Stande, ihre eigene Butter zu erlangen, und müsse, obgleich sie die schönsten Milchkühe hielte, in der Stadt kaufen lassen; einige Spanferkel erobert sie indessen manchmal und theilt uns davon mit.

Das ärgste Beispiel einer solchen einreißenden Unabhängigkeit ist aber wohl dieses: Wir pflegten im Sommer nach Kent zu gehen in das Gehölz von Pembury auf einen uralten Pachthof der Pfarrei, der Pelletgate hieß. In der Nähe ist der prächtige Park von Summerhill, den seiner Zeit Cromwell dem Richter Karl’s des Ersten, Bradshaw, geschenkt hat, der dann aber in die Hände der Firma Alexander und, als die einmal liquidirte, an den alten Isaac Goldsmid kam, der von Einigen auf fünfzig Millionen Pfund Sterling geschätzt wurde, jedenfalls aber ein fabelhaftes Einkommen hatte, denn Summerhill und die umliegenden Pachtgüter sollten ihm jährlich viertausend Pfund Sterling einbringen. Der Verwalter, dessen Name dem von Cromwell sehr nahe kommt, war aber weit entfernt davon, die Pachten richtig einzutreiben. Die Leute gewöhnten sich daran, umsonst zu wohnen, ja, einige berechneten noch Fuhren und Dienstleistungen für den Grundherrn, und der alte Herr Goldsmid hatte vier Jahre lang seine viertausend Pfund Sterling nicht erhalten, ohne den Ausfall zu empfinden und ohne sich zu beschweren, daß er noch dazu bezahlen mußte, – als seine Söhne den Zustand entdeckten, die Sache untersuchen und den Verwalter absetzen ließen. Die Stelle hatte ihm dreihundert Pfund eingetragen und man sollte denken, er hätte Ursache gehabt, sie sich zu erhalten. So gehen aber die Engländer mit ihren großen Gutsherren um. Adel bringt Lasten, noblesse oblige!

Fahren und Reiten wird von Herren und Damen kunstgemäß und kunstlos stark ausgeübt. Man sieht sehr viel schlechte Reiter, mehr gute Reiterinnen; auch lenken junge und alte Damen vielfältig ganz allein ihr Geschirr, ohne daß man von Unfällen hörte. Sie füttern die Pferde mit Zucker und Zwieback und machen sich so vertraut mit ihnen, daß die Pferde selbst ein Gefühl der Galanterie gegen sie fassen und ihnen schon darum nicht durchgehen. Ich habe mich selbst von pferdeerfahrenen Schönen spazieren fahren lassen und ihre Geschicklichkeit in allen Schwierigkeiten bewundert. Zu Wagen, zu Fuß und zu Pferde hat man links auszuweichen:

„Geh’ links, so bist Du recht,
Gehe rechts, so bist Du links!“

Die Reiterinnen weichen natürlich schon wegen ihres langen Reitkleides links aus. Prr! heißt Woh!

Die Damen tragen beim Reiten schwarze Tuchhosen, einen stehenden weißen Halskragen, einen runden Herrenhut und das bekannte fliegende Reitkleid. Dies ist meist schwarz, aber auch [296] grau und braun. Grau und braun ist vornehmer, weil es eigen und nicht gemiethet sein muß. Die gemietheten dagegen sind alle schwarz.

Mit dem Reitknecht in weiter Ferne hinter sich auszureiten, ist anständig; dagegen ist es für eine Dame höchst unanständig, ihn neben sich reiten zu lassen oder sich gar mit ihm zu unterhalten. Einiger Grund zu dieser strengen Sitte liegt in dem Zuge der romantischen Schönen, mit den Reitknechten durchzugehen. Vor einigen Jahren machte sich noch die Tochter eines Pfarrherrn (eines Sinecuristen von Vermögen) dadurch berühmt, daß sie den Reitknecht entführte und den Vater zur Genehmigung der Verbindung nöthigte. Aus den Zeitungen kam die Begebenheit in die Carnevalsposse (Pantomime).

Viele alte Herren von Stellung und Vermögen reiten der Gesundheit wegen und sehr oft ohne alle Vorübung und ohne allen Sinn für das Pferd. Man sieht sie hülflos ohne Schluß und Haltung im Sattel auf- und niederhopsen, und mancher von ihnen läßt sich so über den Kopf des Pferdes wegschleudern und verkürzt sein Leben durch den nämlichen Ritt, durch den er es verlängern wollte. So der berühmte und brave Sir Robert Peel. Er ist aber nur Einer von den Vielen, die so um’s Leben kommen.

Das Klima im Süden von England ist so mild und gleichmäßig – am 26. Februar d. J. war die Temperatur meines Zimmers ohne Feuer 12° Reaumur –, daß der Landmann für Pferde und Rindvieh keine eigentlichen Ställe, sondern nur offene Verschläge braucht. Es kommt hier selten zu Schnee und Frost, und der letztere ist nicht von Dauer und nicht scharf. Dabei hegt alle Welt das Vorurtheil, kaltes Wetter und ein ordentlicher Frost seien gesund. Für Luxuspferde und für die Anstalten, wo Milchkühe gepflegt werden, hat man natürlich die schönsten Ställe in den Städten und auf dem Lande. Die Arbeitspferde sind meist große flämische oder normannische Rosse, wie sie wohl noch Mancher aus der Zeit der französischen Messagerieen kennt.

Pflege und Fütterung der Thiere ist ausgezeichnet. Rennpferde bekommen sogar Bier und Brod. Schafe werden mit großen Runkelrüben fett gemacht. Das kurze Urgras auf den Kreidedünen wurde sonst für die Nahrung gehalten, welche die schönen Sussexhämmel so zart mache; jetzt mit der Rübenfütterung sind sie es nicht minder.

So ist die Thierwelt gewissermaßen verbessert und damit der Stoff veredelt worden, von dem wir uns nähren, und so eine neue verbesserte Auslage von uns hergestellt. Dabei muß ich freilich der Pflanzenesser gedenken, der Dissenters vom Fleischessen. Als ich zuerst nach England kam und aus continentaler Verzogenheit den Thieren weder Vernunft noch ein Recht zugestehen wollte, wurde ich von einem hiesigen Literaten hart angelassen, und er sagte in allem Ernst zu mir: „Es ist kein Wunder, daß ihr in Knechtschaft lebt, da ihr so despotisch und ungerecht gegen die Thiere seid. Das Thier hat auch sein Recht! Ihr seid Barbaren, daß ihr dies nicht wißt und nicht zugebt.“

Ich erzählte einem berühmten deutschen Flüchtlinge[1] von dieser Abkanzlung und meinte, die Hausthiere oder das Wild auf meiner Flur sei wohl rechtlich geschützt, das Recht habe aber nicht das Thier, sondern der Eigenthümer. Die Fische im Meer dagegen hätten doch gar kein Recht.

„Sie haben das Recht zu leben,“ erwiderte er, „zwar das Recht dandi in judicium (zu klagen) haben sie nicht, aber ich erkenne ihr Recht an und esse sie nicht, ich esse nur Pflanzenkost.“

Die armen Fische! wie Wenige sind so großmüthig, diese Lücke in der Weltverfassung, daß die Fischesser noch unverantwortlich sind, nicht zu benutzen! Vielleicht sind auch darum die Fischfresser, die Hechte und andre Kannibalen des Oceans und der süßen Gewässer, erst so gewissenlos geworden, daß sie ihre Bruder verschlingen, statt, wie unser Freund, von Pflanzenkost zu leben.

Arnold Ruge.




Von drei großen Zauberern.

Eine räthselhafte Geschichte.       Von Rudolf Löwenstein.


Ein großer Zaubrer ging einmal
Auf Wanderschaft durch Berg und Thal,
Trug eine Mappe in der Hand
Und einen[WS 2] Hut mit breitem Rand,

5
      Von Schlangenkraut umschlungen;

Von seinen Wundern ist die Mähr
Durch’s weite, weite Land umher
      Auch bis zu mir gedrungen.

Das muß doch wohl ein Zaubrer sein:

10
Er fängt die Sonnenstrahlen ein,

Er holt mit seinem Zauberstab
Vom Himmel Mond und Steril’ herab
      Und kann die Wolken haschen.
Er greift, und macht sich nicht ’mal naß,

15
Den Wasserfall und steckt ihn baß

      In seiner Mappe Taschen.

Ihm ist zu hoch kein Alpenschnee,
Kein Strom zu wild, zu tief kein See;
Wo er sich setzt auf grüner Flur,

20
Da braucht er seine Taschen nur

      Ein Weilchen aufzuklappen,
Dann nimmt sein Stäbchen er geschwind,
Und Wald und Felder, Schaf und Rind –
      Husch! sitzen sie in der Mappen!

25
Was auf der schönen Gotteswelt

An Land und Leuten ihm gefällt,
Sei es des Königs Prunkgemach,
Sei es des Bettlers niedres Dach,
      Sei’s Ritter oder Knappe –

30
Er schwingt sein Stäbchen – Eins, Zwei, Drei –

Und fertig ist die Zauberei
      Er steckt sie in die Mappe.

Der Reiter auf behendem Roß,
Im Sturmesschritt der Krieger Troß,

35
Der Aar in pfeilgeschwindem Zug

Sind sicher nicht im schnellsten Flug
      Vor seiner Zauberklappe,
Der Hirsch im Sprunge, Schwalb’ und Spatz,
Auf hohem Dach die schwarze Katz –

40
      Sie müssen in die Mappe.


Die Rose sammt dem Falter d’ran –
Er lockt sie mit dem Stab heran.
Die Blumen rings in Wald und Au
Mit all’ den tausend Tröpfchen Thau,

45
      Die an den Blättern hangen,

Das Bienchen, das im Kelch sich stärkt,
Sie alle sind, eh’ sie’s bemerkt,
      Vom Zauber schon gefangen.

Und wo da scherzt ein glücklich Paar –

50
Sein scharfer Blick nimmt gleich es wahr.

Ihr Kinder all’ mit feur’gem Blut
Und feur’gem Aug’ – seid auf der Hut,
      Daß er euch nicht ertappe!
Ihr Mägdlein, hold von Angesicht –

55
Euch hilft kein Flieh’n, noch Sträuben nicht –

      Ihr müßt in seine Mappe!

Der Zaubrer also ging einmal
Auf Wanderschaft durch Berg und Thal,
Er hatte auf seinem kurzen Gang

60
Gethan schon manchen guten Fang

      Und wollte zur Rast sich legen.
Wollt’ träumen einen Zaubertraum,
Da kam vom nahen Waldessaum
      Ein Wandrer ihm entgegen.

65
Der Fremdling, der des Weges kam,

Sah aus gar fremd und wundersam;
Er trug ein Büchlein in der Hand
Und einen Hut mit breitem Rand,
      Von grünem Band umwunden,

70
Ein Sträußlein d’rauf mit Edelweiß,

Das ihm auf hoher Alm mit Fleiß
      Die Sennerin gebunden.

„Grüß Gott,“ sprach er, „seid Ihr der Mann,
Der Alles schier verzaubern kann?“

75
Der Zaubrer spricht mit lust’gem Sinn:

„Mein lieber Fremdling, ja, ich bin
      Der Herr von Licht und Schatten;
Die halbe Welt schon trag’ ich schier
In meiner Mappe – doch wer seid Ihr?

80
      Wollt mir die Frage gestalten.“


Der Fremdling spricht und lacht dazu:
„Ich bin ein Zaubrer, just wie Du,
Wie Du zieh’ ich von Land zu Land,
Und selbst zu fernster Meere Strand

85
      Trägt mich ein Zaubernachen,

Und zog’ zum Nordpol ich hinaus –
Wohin ich komm’, bin ich zu Haus –
      Ich kenne alle Sprachen.

Ich weiß, was in der Tanne dicht

90
Holztäubchen mit dem Tauber spricht,

Was aus des Finken Ruf erklingt,
Was hoch im Blau die Lerche singt
      Und was die Drosseln schlagen.
Was Elster und Kiebitz im Moor,

95
Und was der Sperling schwatzt im Rohr –

      Ich kann’s genau Dir sagen!

[297]

Ich weiß, was mit der Sehnsucht Schall
Im Dickicht klagt die Nachtigall,
Und was die Falter flüstern sacht,

100
Wenn aus den Kelchen um Mitternacht

      Entsteigt der Blumen Seele.
Denn merke, wenn Du’s noch nicht weißt:
In jedem Blümchen steckt ein Geist –
      Der steht mir zu Befehle.

105
Der Stift, den ich als Zauberstab

Hier in dem kleinen Büchlein hab’,
Ist an geheimen Kräften reich;
Er öffnet mir den Berg sogleich
      Und kann den Felsen brechen.

110
Er flößt dem Todten Leben ein,

Und wenn ich will, muß dieser Stein
      Vertraulich mit mir sprechen!

Was in des Windes Säuseln rauscht –
Nur ich versteh’s, ich hab’s erlauscht!

115
Und wenn aus mondbeglänztem See

Sich hebt die bleiche Wasserfee,
      Umtanzt von den Libellen,
Dann hör’ ich, was von Lieb’ und Leid
Und von smaragdner Herrlichkeit

120
      Erzählen rings die Wellen.


Ich höre, wenn am Himmel fern
Erglänzen heimlich Stern um Stern,
Manch’ still Gebet’ die Luft durchzieh’n;
Mir ward von Gott die Kunst verlieh’n,

125
      Die Herzen zu ergründen.

Und was da lebt an Leid und Lust
Und Hoffnung in der Menschenbrust –
      Ich weiß es Dir zu künden!“

Der erste Zaubrer nun begann:

130
„Reich’ mir die Hand! Du bist mein Mann!

Komm, laß uns wandern jetzt selband!
Ich fange für Dich in jedem Land
      Das Schönste mit meinem Stabe;
Doch Du lehrst mich der Stimmen Schall

135
Und lehrst erkennen mich das All

      Mit Deiner Wundergabe!“

Als sie nun zogen durch den Tann,
Da kam ein dritter Wandersmann.
An seinem Arm ein hölzern Ding,

140
Bespannt mit blanken Saiten hing,

      Und auf dem Hütlein droben
Ein frisches Sträußlein saß gar kühn,
Aus Maßlieb und aus Immergrün
      Von schöner Hand gewoben.

145
„Grüß Gott, Ihr Herr’n! Gebt nur Bescheid,

Ob Ihr die großen Zaub’rer seid,
Bekannt im Volke rings umher,
Genannt mit hoher Scheu und Ehr’,
      Der seltnen Wunder wegen?

150
Ihr seid’s! Gesegnet sei die Stund’!

Nehmt mich als Dritten auf im Bund
      Ich grüß’ Euch als Collegen!

Kennt Ihr mich nicht? – Mit meinem Stab
Hol’ ich der Sphären Klang herab,

155
Und trag’ in frommer Menschen Chor

Zum Himmel wieder ihn empor,
      In Tönen rein und helle,
Geb’ Flügel auch dem Menschenwort:
Es fliegt zum Lichte fort und fort,

160
      Gewiegt aus luft’ger Welle.


Was dort am Rad die Spinn’rin singt,
Was an des Kindleins Wieg’ erklingt,
Was klagend tönt aus Thales Grund,
Und was in froher Zecher Rund’

165
      Ertönt beim Saft der Trauben,

Und was beim gold’nen Erntekranz
Die Schnitter ruft zum lust’gen Tanz –
      Mein Werk ist’s, könnt’ mir’s glauben!“

Der zweite Zaub’rer spricht: „Ist’s wahr?

170
Ein Zaub’rer Ihr? – ’s wär’ wunderbar!

Noch nie gescheh’n ist sicherlich,
Daß drei gewalt’ge Zaub’rer sich
      Getroffen so auf Reisen!
Erlaubt mir nur die Frag’, ich bitt’,

175
Wenn Ihr ein Zaub’rer seid – womit

      Wollt Ihr uns das beweisen?“

„Womit? Dein Zweifel macht mir Spaß.
Womit? Nichts leichter doch als das! –
      Will Euch, Ihr Herren, mit Vergunst

180
Sogleich ein Pröbchen meiner Kunst

      Und meiner Wunder zeigen!
Gieb mir das Lied, das Du erdacht
Zum Himmel soll’s sogleich mit Macht
      Gleich einem Vöglein steigen!“

185
Und seht! er rührt der Cither Gold –

Da steigt ein Liedlein, wunderhold,
Empor, als wär’s ein Vögelein,
Und singt frisch in die Welt hinein
      Bald mächtig laut, bald leise.

190
Zu gold’nen Tönen schwillt der Text –

Die Zaub’rer selbst steh’n wie behext
      Und lauschen der Sangesweise.

Und endlich singen alle Drei
Entzückt die liebliche Melodei,

195
Und Alles lauschet – Baum und Bach,

Der Felsen lauscht und singt es nach
      Das Liedlein frisch und heiter,
Die Vöglein lauschen im Neste all’
Und tragen den wonnigen Wiederhall

200
      Von Gipfel zu Gipfel weiter. –


Wo mögen wohl – so fragt Ihr nun –
Die Zaub’rer solche Wunder thun? –
Habt Acht! ich mach’ es Euch bekannt!
Der Erste malt sie auf Leinewand,

205
      Der Zweite schreibt Gedichte,

Der Dritte ist ein Musicus!
Mein Liedlein aber ist am Schluß – –
      Das ist die Zaubergeschichte.




Dichter und Agitator.

Von Ludmilla Assing.

Der noch vor wenigen Jahren namentlich in Deutschland vielfach verbreitete Irrthum, daß Italien nur ein Land der Vergangenheit, ein „Land der Todten“ sei, beginnt nachgerade zu schwinden; die Ereignisse der letztern Zeit haben uns überzeugt, daß jenseits der Alpen noch frisches Leben pulsirt und daß man auf allen Gebieten des menschlichen Strebens sich dort wacker regt und fortschreitet. So besonders auch auf dem Felde der nationalen Dichtung, aus welchem wir Namen begegnen, deren Ruhm längst die Alpen überschritten hat. Einer der ausgezeichnetsten und geschätztesten dieser Poeten des jungen Italiens ist Francesco dall’ Ongaro; er ist auch in Deutschland bereits bekannt und viele seiner Lieder sind in fremde Sprachen übersetzt worden. So wird es vielleicht den deutschen Lesern nicht unwillkommen sein, in Nachfolgendem eine Lebensskizze des Dichters zu empfangen, die aus verschiedenen Quellen und aus mündlichen Mittheilungen dall’ Ongaro’s selbst zusammengestellt ist.

Von unbemittelten Eltern in den Bergen des Friaul 1808 geboren ward Francesco dall’ Ongaro, der frühzeitig einen aufgeweckten Sinn und eine hervorragende Begabung zeigte, für die Kirche bestimmt. Als er elf Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm nach Venedig, und dort wurde er in dem Seminar der Madonna della Salute zum geistlichen Stand erzogen. Das Studium der Literatur und Philosophie, das sich ihm dort darbot, zog ihn an, aber im Uebrigen paßte gewiß Niemand weniger in jene kalten, feuchten Mauern, in welche selten ein Sonnenstrahl eindringt als er, dessen heller, lichtverbreitender Geist sich früh schon nach anderen Bahnen sehnte. Von dem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit erfüllt, mußte er sich unglücklich fühlen unter dem Druck einer strengen Disciplin, eines freudlosen Daseins. Aber einen Sonnenstrahl konnten seine frommen Vorgesetzten ihm nicht rauben, den Sonnenstrahl der Poesie! Er machte Verse für die jugendlichen Straßensänger, die mit der Guitarre im Arm vor den Kaffeehäusern und auf der Piazzetta von Venedig ihre Lieder vortragen. So wurden seine ersten Dichtungen schon durch den Mund des Volkes gesungen und verbreitet. Damals ahnten die strengen Vater der Anstalt nicht, daß sie in ihrem eigenen Schooße, unter der Schaar jener schwarzgekleideten, trübsinnigen Zöglinge, welche das Volk in Venedig die „Raben“ zu nennen pflegt, sich einen zukünftigen unerbittlichen Gegner aufzogen.

Dall’ Ongaro war dreizehn Jahre alt, als auf der Piazzetta von Venedig dem unglücklichen Silvio Pellico und seinen Gefährten das Todesurtheil vorgelesen wurde, das die österreichische Regierung dann in lebenslängliches Gefängniß auf dem Spielberg umwandelte. Unzweifelhaft ist, daß diese Scene auf den jungen Francesco einen tiefen Eindruck machte und mit dazu beitrug, jenen begeisterten Patriotismus in ihm zu entzünden, den er sein ganzes späteres Leben hindurch bewährte.

Später auf die Universität Padua geschickt, begann er durch [298] mehrere seiner Gedichte, die ohne sein Wissen veröffentlicht wurden, gerechtes Aufsehen zu erregen. Zwar schlugen diese Gedichte noch keinen politischen Ton an, allein die geistlichen Behörden fingen doch an bedenklich zu werden und gestanden ihm erst nach längerm Zögern die Aufnahme in den Priesterstand zu.

Nach empfangenen Weihen verschaffte sich dall’ Ongaro die Erlaubniß zu predigen, weil er darin die einzige Art sich frei zu äußern erhoffte, die auf jedem andern Gebiet damals vollständig unmöglich war. Und der junge Priester predigte mit Pathos und Kraft, mit freisinniger, genialer Duldung, er predigte Menschlichkeit und Liebe. Es war natürlich, daß die Kirche ihn verfolgen mußte, denn er war ein Sohn des Lichtes, kein Sohn der Finsterniß!

Eines Tages predigte er in Venedig in San Francesco della Vigna über das Leben und den Tod der heiligen Margaretha von Cortona, einer Art heiligen Magdalena, die alle Sünden ihrer Jugend durch ein späteres werkthätiges und edles Leben sühnte. Niemals waren seine Worte glühender und begeisterter, er feierte jene Macht der Liebe, die auch auf die schon Gesunkenen läuternd wirkt und sie zu einem besseren Dasein zu erheben vermag. Die Beredsamkeit, die von seinen Lippen strömte, wirkte unwiderstehlich auf die Zuhörer, es war die Sprache des Herzens, es war die Stimme der Wahrheit, die einen glänzenden Sieg erwarben. Die Kirche war gedrängt voll, die ganze elegante Welt von Venedig hatte sich in ihr versammelt, und gewiß war unter den schönen, vornehmen, mit dem Ruf der Tugend geschmückten Andächtigen manche schlimmere Sünderin, als die heilige Margaretha von Cortona.

Der Erfolg war ein außerordentlicher, dall’ Ongaro’s Popularität wuchs ungeheuer, und viele Tage lang sprach man in den Salons von Venedig nur von der kühnen Predigt, von der Apotheose der heiligen Sünderin.

So groß wie der Beifall auf der einen Seite, so groß war auf der anderen das Aergerniß, welches die Geistlichkeit daran nahm, die immer feindlicher gegen dall’ Ongaro auftrat. Der erzürnte Patriarch von Venedig ließ ihn zu sich rufen und machte ihm, untermischt mit Bibelsprüchen, bittere Vorwürfe über seine Rede, indem er ihm erklärte, er würde ihm die Erlaubniß zu predigen entziehen.

„Sie verbieten mir zu predigen?“ rief dall’ Ongaro. „Gut, dann verzichte ich freiwillig auf das Uebrige. Wenn das, was in meinem Herzen lebt, wenn das, was ich der Welt zu sagen habe, gut und wahr ist, so wird Gott mir auch die Kraft geben, es gegen Ihren Willen, Ihnen zum Trotz, auszusprechen. Die Spalten einer Zeitung, die Blätter eines Buches, ja selbst die Bretter des Theaters werden mir dazu genügen. Von diesem Augenblicke an höre ich auf, Ihrem Orden anzugehören!“

Und mit diesen Worten verließ er den Patriarchen. Er entsagte nun wirklich dem Priesterstand, um seinen Ideen freier und ungehinderter in Zeitschriften, im Lehrfache und auf der Bühne Geltung zu verschaffen.

Er wandte sich nach Triest, wo er mit Valussi und einigen Anderen die „Favilla“, das erste italienische Journal dort, gründete, welches zehn Jahre lang bestand und italienische Vaterlandsliebe und italienische Cultur in Triest zu befördern suchte. Obgleich er die österreichische Unterdrückung beständig vor Augen hatte, die ihn mit Empörung erfüllte, so blieb er doch jedem ungerechten und fanatischen Nationalhaß fremd und wirkte auf dem Gebiete der Literatur und Poesie für eine innige Verbrüderung zwischen Italien und Deutschland. Er beschäftigte sich mit Vorliebe mit Goethe und Schiller und übersetzte mehrere Gedichte derselben in’s Italienische, während dagegen ein Wiener Blatt, das von Bolza und seiner Gattin geleitet wurde, Uebersichten über italienische Literatur brachte, und Mad. Bolza selbst einige Gedichte dall’ Ongaro’s in’s Deutsche übertrug. Seine 1840 in Triest in zwei Bänden erschienenen „Poesien“, Balladen, Volkssagen, Phantasien, Liebesgedichte enthaltend, sind voll Anmuth und frischem Reiz, Laute des Herzens voll Innigkeit und Kraft. Sie fanden nicht nur Beifall und Sympathie, sondern seine Ballade „Usca“ wirkte auch thatsächlich im Sinne wahrer Humanität, wie selten einem Gedicht beschieden. Der Stoff gründet sich auf eine wahre Geschichte. Eine junge Dalmatin war von ihrem Verlobten um einer anderen Frau willen verlassen worden; sie bot Alles auf, um den Ungetreuen zu sich zurückzurufen; vergeblich mahnte sie ihn an den ihr geschworenen Eid. Als nichts half, zündete sie am Vorabend seiner Hochzeit mit ihrer Nebenbuhlerin seine Hütte an und stürzte sich dann selbst in die Flammen, um mit dem noch immer Geliebten zu sterben. Man riß sie aber noch lebend aus der brennenden Hütte, und nun wurde die Unglückliche wegen Mord und vorbedachter Brandstiftung zu zwanzigjährigem Kerker verurtheilt und lebte noch in dem Gefängniß von Gradisca, als der Dichter sie durch seine ergreifende Ballade dem Mitleid der Zeitgenossen empfahl. Man bezeigte ihr nun lebhaften Antheil, und sie empfing vielfachen Trost dadurch. „Usca“ ist in Italien volksthümlich geworden, wurde und wird noch häufig auf dem Theater declamirt, Emile Deschamps übersetzte sie in’s Französische, Seidl, Tschabuschnigg und Andere in’s Deutsche.

Aber noch einen weiteren Einfluß sollte die Ballade ausüben. Als später ein anderes unglückliches Mädchen vor dem Criminalgericht zu Triest aus einer ähnlichen Ursache, wie die junge Dalmatin, des Mordes angeklagt worden war, führte einer der Räthe, derselbe Ritter von Tschabuschnigg, welcher „Usca“ übersetzt hatte, in seiner Vertheidigung diese als Beispiel zu Gunsten der Angeklagten an und brachte damit einen so mächtigen Eindruck auf die Richter hervor, daß sie die Strafe bedeutend mäßigten, auf zwei Jahre Gefängniß herabsetzten, worauf das Mädchen dann bald nachher ganz begnadigt wurde. So tröstete die Ballade eine Unglückliche und milderte das Loos der Anderen. An Tschabuschnigg übrigens sehen wir, daß es zuweilen sein Gutes haben kann, wenn ein Jurist zugleich auch Dichter ist!

Einen nicht weniger heilsamen Erfolg anderer Art hatte dall’ Ongaro’s Ballade: „La perla delle macerie!“ In dieser schilderte er eine jener Unglücklichen, die schon früh dem Laster verkauft werden, die trotzdem durch eine wahre Liebe sich veredelt, aber einmal, wie eine Sclavin ihrem Sclavenhalter, diesem und nicht mehr sich selbst angehörend, keinen Ausweg mehr zu ihrer Rettung finden können. Diese Ballade machte ein außerordentliches Aufsehen, sie war eine That, wie die Predigt zu Ehren der heiligen Margaretha von Cortona, sie war ein Aufruf zur Menschlichkeit und zum Mitleid; sie wies auf die Vergebung des Erlösers für Sünden hin, welche die Gesellschaft, die diese Sünden veranlaßt und verschuldet, mit kalter Strenge verurtheilt. Sie hatte zugleich einen wahrhaft sittlichen Kern, und nichts beweist dies schlagender, als daß eine Tänzerin in Padua, die eben die Bretter betreten hatte, als ein junger Dalmate ihr jenes Gedicht vorlas, so davon erschüttert wurde, daß sie, deren gefahrvolle Laufbahn wohl einen Vergleich mit derjenigen der „La perla delle macerie!“ zuließ, sich plötzlich und für immer vom Theater zurückzog. Und die edle Giulia Modena, die tugendhafte Gattin des berühmten italienischen Tragöden Gustavo Modena, die tapfere Patriotin, schrieb dem Dichter begeistert und gerührt, sie möchte ihm vor Dankbarkeit die Hände küssen, daß er sich mit so heilbringendem und segensvollem Mitleid ihrer armen gefallenen Schwestern annehme.

Aber auch Angriffe und Verfolgungen aller Art hatte dall’ Ongaro für das Gedicht auszustehen, und die Behörden nahmen solchen Anstoß daran, daß sie den Dichter mit Ausweisung bedrohten. Hierauf wandte er sich an den damaligen Gouverneur von Triest, Graf Stadion, und verlangte eine Unterredung mit ihm. Diese fand statt. Dall’ Ongaro fragte den Grafen, ob er die Ballade selbst gelesen habe?

„Nein, ich verstehe nicht Italienisch,“ erwiderte Stadion kurz.

„Gut, so werde ich Ihnen französisch den Inhalt erzählen,“ sagte dall’ Ongaro.

Der Graf hörte aufmerksam zu, fragte aber dann mit halb mitleidigem und halb höhnischem Lächeln: „Glauben Sie denn wirklich mit einem Gedicht aus jene verworfenen Weiber versittlichend wirken zu können?“

„Für die habe ich es gar nicht verfaßt,“ antwortete dall’ Ongaro mit Nachdruck.

„Für wen dann?“ rief Stadion verwundert.

„Für Sie, Herr Graf!“ erwiderte der Dichter, ihm kühn in’s Auge blickend.

„Für mich?“ fragte Stadion betroffen.

„Ja, für Sie,“ rief der Dichter mit Wärme. „Ihnen will ich vor das Gewissen führen, daß die Regierung, die jenen unglücklichen Wesen hundert Thüren offen läßt, um sich in’s Verderben zu stürzen, ihnen wenigstens eine Thür, einen Ausweg darbieten sollte, um sich zu retten, wenn sie selbst den Wunsch und Willen dazu haben!“

[299] Der Graf schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Sie mögen Recht haben.“ –

Und dall’ Ongaro wurde nicht ausgewiesen, und Stadion bemühte sich, die Gesetze in Bezug auf jene Unglücklichen zu verbessern und sie unabhängiger von jenen Elenden zu machen, welche sie ausbeuten und denen sie untergeben waren.

Stadion hegte nun eine solche Achtung für dall’ Ongaro, daß er ihn öfter zu Rathe zog, und dieser wirkte dahin, daß der Elementarunterricht in den öffentlichen Schulen in Triest verbessert und in italienischer Sprache ertheilt wurde. Dies zog später Stadion die Ungunst der österreichischen Regierung zu, und er wurde von Triest abberufen.

Auch dall Ongaro’s so voltsthümlich gewordenes Drama „Il Fornaretto“, welches Alexander Dumas in’s Französische übersetzt hat, ist ein Aufruf zur Milde und Gerechtigkeit: es kämpft für die Abschaffung der Todesstrafe. Als einmal in Mailand ein Todesurtheil vollstreckt werden sollte, genügten die Theaterzettel an den Straßenecken mit der Ankündigung des „Fornaretto“, um das Volk in die größte Aufregung zu versetzen und zu so drohenden Kundgebungen zu veranlassen, daß die österreichische Regierung die Theaterzettel abreißen ließ und aus Furcht das Urtheil auf spätere Zeiten vertagte.

Die Vorlesungen über Dante, welche dall’ Ongaro 1846 hielt, zogen einen großen Zuhörerkreis herbei. Er suchte auch bei diesem Anlaß die neue kirchliche Richtung zu bekämpfen, welche die Werke Gioberti’s und Balbo’s, so wie der Regierungsantritt Pius des Neunten hervorgerufen. In jener Zeit, in der Viele sich durch die ersten Zugeständnisse des neuen Papstes lauschen ließen und glaubten, daß durch ihn die Einheit Italiens verwirklicht werden könne, erkannte der scharfe Blick des ehemaligen Seminaristen der Madonna della Salute bereits, daß nur auf ganz anderem Wege das Vaterland Heil finden könne.

Das Jahr darauf nahm er an einem großen Bankett Theil, welches die Bürgerschaft Richard Cobden zu Ehren gab, und in glänzender und feuriger Rede sprach er von der Zukunft Italiens und daß dessen Einheit einstweilen durch einen Zollverein vorbereitet werden müsse. Die österreichische Polizei aber ließ ihn nicht ausreden; sie unterbrach ihn in der Mitte seines Vortrages. Die weitere Folge hiervon war, daß ein Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen wurde. Stadion war nicht mehr Gouverneur. Glücklicherweise benachrichtigte den Dichter eine unbekannte Hand von der bevorstehenden Gefahr, und so konnte er sich durch eine schleunige Abreise dem Gefängniß entziehen.

Italien war bereits in allgemeiner Aufregung; es gährte in Venedig, Mailand, Florenz und Rom. Dall’ Ongaro, ergriffen von dem Sturm und Drang der neuen Zeit, ging nach Venedig, und suchte Tommaseo auf, der bereits viel zu der Bewegung in Oberitalien beigetragen hatte und dessen von der österreichischen Regierung verfolgtes und aufgekauftes Buch „Italia“ dall’ Ongaro selbst heimlich in Triest seinen Freunden mit Eifer vorgelesen hatte. „Ich habe meine Schiffe verbrannt,“ rief dall’ Ongaro Tommaseo zu, „wirken wir zusammen für die Sache Italiens!“ Dies geschah. Dall’ Ongaro machte Tommaseo dann auch mit Manin bekannt; unermüdlich in seiner Thätigkeit setzte er sich in Mailand und Turin mit anderen Patrioten in Verbindung und suchte vorläufig ein Asyl in Toscana, bis er im December nach Rom ging, wo er mit mehreren Freunden gemeinschaftlich für die italienische Sache wirkte.

Als die erste Nachricht von der Wiener Revolution die Römer zu freudigen Hoffnungen entflammte, da eilten sie, von dall’ Ongaro und noch einigen anderen venetianischen Flüchtlingen angeführt, vor den Palazzo di Venezia, wo der österreichische Gesandte wohnte, und rissen das über dem Portal befindliche Wappen mit dem verhaßten Doppeladler herunter, und dall’ Ongaro schrieb mit eigener Hand an die leere Stelle die Worte: Palazzo della Dieta Italiana“ (Palast des italienischen Reichstags), während die jubelnde Menge unten auf dem Platze den Adler in Stücke zerschlug und verbrannte. Diese Scene hatte etwas Ueberwältigendes; der junge Dichter der Freiheit, der das Sinnbild der Tyrannei auslöschte, er feierte einen Triumph des Lichtes über die Finsterniß, er weihte begeistert eine neue Aera ein.

Kurz darauf schiffte sich dall’ Ongaro mit anderen Gefährten nach Livorno ein, wo bereits die Kunde von der Erhebung Mailands und von der durch Manin und Tommaseo in Venedig verkündigten Republik eingetroffen war. Er begab sich nun unverzüglich nach Mailand, wo er mit Carlo Cattaneo und den anderen Helden der fünf Tage eine Zusammenkunft hatte; dann eilte er nach Venedig und schloß sich der Freiwilligenschaar an, gemeinschaftlich mit seinen beiden Brüdern Antonio und Giuseppe dem Feind entgegenziehend, der Friaul bedrohte. Sein gefühlvolles Herz, sein dichterisches Gemüth war dem mörderischen Kriegswesen keineswegs mit Vorliebe zugewandt, aber da er durch Rede, Lied und Schrift zur Befreiung des Vaterlandes aufgerufen, hielt er es für eine heilige Pflicht, im entscheidenden Augenblicke nicht beim Kampfe zu fehlen. Und so zog er, ein italienischer Theodor Körner, mit Leier und Schwert in die Schlacht.

In diesen Tagen erhobener Seelenstimmung und begeisterter Hingebung entfaltete sich auch sein Genius in ganzer Herrlichkeit; seine patriotische Muse ist es vor Allem, die ihm den Kranz der Unsterblichkeit sichert; seine „Canti populari“ seine „Stornelli“ enthalten das innerste italienische Leben, sie feiern das italienische Volk in seinen Kämpfen, in seinem Heldenthum, in seinen Leiden, in seiner Vaterlandsliebe, sie klingen wieder in allen italienischen Herzen, sie trösteten die Verbanntem im Exil; Garibaldi hat die „tre colori“, die, obgleich damals noch ungedruckt, durch den Hauch der Revolution jenseits des Weltmeers getragen wurden, schon in Montevideo gesungen, und diese, so wie fein „grido di Prato“, den man vielfach componirt hat, sind italienische Volkshymnen geworden.

Dall’ Ongaro blieb im Kriege unversehrt, aber sein Bruder Antonio fiel auf dem Schlachtfelde von Palmanova.[2] Als auch Giuseppe an dall’ Ongaro’s Seite am Sila verwundet worden war, da zog er sich mit diesem nach Treviso zurück, und als auch Treviso gefallen, nach Venedig.

Dort gab er nun das Journal „Fatti e paroli“ heraus, dem Volke während der Belagerung von 1848 bis 1849 Muth und Begeisterung einhauchend. Mit Entschiedenheit kämpfte er gegen die zu frühe Vereinigung Venedigs mit Piemont, die er damals für Venedig unvorteilhaft fand. Sein vortreffliches Blatt beschäftigte sich mit gleicher Sorgfalt mit den inneren wie mit den äußeren Verhältnissen des Vaterlandes. Er machte darin auf die Unerfahrenheit und den bösen Willen des Chefs der dortigen Marine aufmerksam. Der Triumvir Graziani widersprach heftig und war so erbittert darüber, daß er mit seiner Demission drohte, wenn dall’ Ongaro nicht ausgewiesen würde. Manin war schwach genug, dall’ Ongaro Graziani zu Liebe zu opfern, und der Ausweisungsbefehl wurde erlassen. Graziani wurden später von der wiederhergestellten österreichischen Regierung seine Güter zurückgegeben, während über dem Haupte dall’ Ongaro’s und Manin’s bis zuletzt Oesterreichs unerbittliche Verfolgung schwebte. Die Chefs der Marine in Venedig aber waren denjenigen ähnlich, welche das Unglück von Lissa verschuldeten,

In Ravenna war es, wo dall’ Ongaro zum ersten Male Garibaldi begegnete, der, von der römischen Regierung vertrieben, überlegte, wohin sich wenden, um am erfolgreichsten der italienischen Sache sein Schwert zu widmen. Als die Nachricht eintraf, daß der Minister Rossi in Rom erdolcht worden und Pompeo Campello an seine Stelle treten würde, den dall’ Ongaro von Triest her kannte, da schlug letzterer Garibaldi vor, er wolle sich nach Rom begeben, um von jenem die Erlaubniß zu erwirken, die erste italienische Legion zu bewaffnen. Garibaldi war hiermit einverstanden und ertheilte ihm unbeschränkte Vollmacht, die Sache abzuschließen. Dall’ Ongaro’s Vermittelung hatte den besten Erfolg; Garibaldi wurde zum General ernannt und erhielt die Mittel, jene erste Schaar von Freiwilligen zu bilden, die unter dem zukünftigen Sieger von Varese, Calatasimi, Palermo etc. einen so glänzenden Antheil an den Schlachten der italienischen Unabhängigkeit haben.

Die Ereignisse folgten sich rasch. Der Papst war nach Gaeta geflohen, und Rom berief die constituirende Versammlung, welche die Republik verkündigte. Garibaldi und auch dall’ Ongaro, der Garibaldi’s Commissär war, wurden zu Volksvertretern erwählt. Dall’ Ongaro schloß sich mit Liebe und Verehrung Mazzini an, den er schon lange aus seinen Schriften kannte und der nun als Triumvir an der Spitze der römischen Regierung stand und diese zu einem ruhmvollen und edlen Vorbild [300] für alle Zeiten machte. Er sah den bedeutenden Mann in seiner Hingebung für das Volk, er sah seine weise Staatsleitung, sowie seine persönliche Uneigennützigkeit und Einfachheit; wie er bescheiden jeden Tag in einer kleinen Trattoria zu Mittag aß gleich dem einfachsten Bürger; wie er so wenig auf seinen persönlichen Schutz bedacht war, daß Lesseps mitten in der Nacht an sein Bett treten konnte, ohne nur einen Diener oder eine Ordonnanz finden zu können, um sich ankündigen zu lassen. Er sah ihn geliebt von der Bevölkerung, den guten Genius Roms, und dall’ Ongaro, stets für alles Gute und Schöne empfänglich, wurde ein warmer und thätiger Freund Mazzini’s.

Wer am Osterfest 1849, zur Zeit der Republik, in Rom gewesen ist, der wird sich der großen dreifarbigen Fahne erinnern, die, von der Nationalgarde geschwenkt, in der Loggia des Vaticans erschien, gleichsam als wenn das Vaterland diesmal selbst den Segen ertheilte, anstatt des entflohenen Oberhauptes der Priesterschaft. Das Volk begrüßte die Fahne mit gerührtem Jubel. Dall’ Ongaro hatte zu dieser Feier gerathen; war die Zerstörung des österreichischen Adlers der erste Act, so war diese Segnung der zweite des großartigen Dramas, das Rom damals vor dem erstaunten Europa aufführte. Römische klerikale Blätter haben später dem Dichter noch oft einen Vorwurf aus der dreifarbigen Fahne gemacht, sowie aus seiner Hingebung für Mazzini.

Mazzini war es auch, der ihn als Commissär nach Ancona und Sinigaglia sandte, wo, durch französische Einflüsterungen veranlaßt, allerlei Unruhen stattgefunden hatten und sogar viele Blutthaten begangen worden waren. Dall’ Ongaro gelang es, den schwierigen Auftrag zu erfüllen und die Excesse aufhören zu machen. Auf dall’ Ongaro’s Vorschlag wurde dann Felice Orsini das Commando Anconas übergeben, welcher dafür sorgte, daß die Ruhe ungestört blieb, und damit der französischen Regierung jeder Vorwand genommen war, eine „Republik von Mördern“, wie sie es nannte, zu bekämpfen. Doch trotz aller Anstrengungen mußte Rom den vereinten nichtswürdigen Angriffen seiner Feinde, Frankreichs, Oesterreichs, Neapels und Spaniens erliegen, es erlag der Uebermacht nach heldenmüthigem Kampf, der glorreicher war, als mancher Sieg. Dall’ Ongaro nahm an diesem Kampfe Theil bis zuletzt und suchte sich darauf ein Asyl in der Schweiz, im Canton Tessin zu Lugano, wo er mit dem edeln Patrioten, dem Grafen Giovanni Grilenzoni, verkehrte und durch seine Schriften die Flamme der Bewegung und die Hoffnung einer künftigen Wiedererhebung Italiens lebendig zu erhalten suchte. Dall’ Ongaro verdanken wir jenen in Lugano gedruckten vortrefflichen „Almanaco di Giano“, welcher die denkwürdigen italienischen Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 in kurzer, gedrängter, wahrhaft meisterhafter Darstellung enthält, sowie die treuen Lebensbilder der Helden derselben. In Lugano dichtete dall’ Ongaro auch auf den Wunsch der Schweizer Regierung, um patriotische Gefühle im Lande zu erwecken, sein Dramas „Gugliemo Tell“; er dichtete oder vielmehr improvisirte es nach den alten Volkssagen in Einer Nacht, und es wurde gespielt, wie er es auf das Papier hingeworfen. Der Beifall des Publicums war stürmisch und auch derjenige der Schauspieler so groß, daß sie die Nacht begeistert zusammenblieben und den andern Morgen mit den Fahnen, welche sie bei der Vorstellung gebraucht, durch die Stadt zogen, wo man sie mit neuem Beifall begrüßte. Unter diesem Einflüsse wurden die Wahlen erneuert und der klerikalen und österreichischen Partei der letzte Stoß gegeben. Das Drama wurde nie gedruckt, aber der erste schriftliche Entwurf verbreitete sich von Bühne zu Bühne und wurde zu dall’ Ongaro’s eigener Verwunderung häufig in Italien gegeben.

Unterdessen hörte die österreichische Regierung nicht auf, dall’ Ongaro’s Thätigkeit mit feindlichem Auge zu betrachten, und erlangte endlich vom Bundesrath 1852 seine Ausweisung aus der Schweiz. Damals schrieb ein Verehrer dall’ Ongaro’s, der früher einer der Zuhörer seiner Dantevorlesungen gewesen war, an ihn und rieth ihm, er möge ihm nur Eine Zeile schreiben, in welcher er ihn bevollmächtigte, ihm die Pforten des Vaterlandes ohne jede Bedingung zu öffnen. Des Dichters Antwort hierauf war kurz und bündig: er habe schon so viel mit andern provisorischen Regierungen zu thun gehabt und so wenig Freude davon erlebt, daß er sich mit einer solchen nicht mehr einlassen wolle! Die Satire auf die damals gefährliche Lage des österreichischen Kaiserstaates war scharf und schneidend genug! –

Dall’ Ongaro wandte sich nun mit seiner Schwester Maria, die ihn getreulich auf jedem Schritte in der Verbannung begleitete, und mit einem Neffen nach Brüssel. Dort hielt er auf’s Neue seine Dantevorlesungen, das Evangelium Italiens auch im Auslande predigend. Drei Jahre daraus erhielt er die Erlaubniß, nach Frankreich zu gehen, wo er sich gleichfalls mit literarischen Arbeiten beschäftigte und sein Ruhm auch in der Fremde sich immer mehr verbreitete. Als 1859 der Krieg mit Oesterreich ausbrach, ergriff dall’ Ongaro die ersehnte Gelegenheit, das geliebte Vaterland wiederzusehen, und ging als Correspondent eines französischen Blattes nach Italien. Nach dem Frieden von Villafranca aber konnte er nicht mehr mit dem französischen Standpunkt übereinstimmen, den er vertrat, und zog sich deshalb von dem Blatte zurück.

Er erhielt darauf in Florenz eine Professur der vergleichenden dramatischen Literatur. Von jetzt an nahm er seinen dauernden Wohnsitz in der Vaterstadt Dante’s, wo sein Haus ein beständiger Sammelplatz fremder und einheimischer Berühmtheiten ist und alle Sprachen durcheinanderrauschen. Vielleicht kennen manche unserer Leser den liebenswürdigen und geistreichen Mann persönlich und haben ihn selbst gesehen inmitten seines glänzenden Gesellschaftskreises, in welchem seine freundliche Schwester die Gäste empfängt. Deputirte, Künstler, Schriftsteller, Gelehrte vereinigen sich bei ihm; hier sieht man zuweilen den würdigen Patrioten Giovan Battista Cuneo, den alten Freund und Biographen Garibaldi’s, hier sang Angelo Brofferio seine piemontesischen Lieder, hier declamirte die geniale Improvisatrice Giannina Milli ihre hinreißenden Verse; blonde Engländerinnen und schwarzäugige Italienerinnen drängen sich mit Neugierde und Begeisterung um den Hausherrn, und wenn man ihn von so vielen schönen jungen Mädchen und Frauen wie von einem Blumenkranz umgeben sieht, so sollte man glauben, der glückliche Dichter habe nicht eine Muse, sondern deren wenigstens zwanzig!

Dall’ Ongaro ist noch immer eine schöne, stattliche Erscheinung; ist auch in den langen, malerischen Bart etwas Schnee gefallen, so sprühen dagegen aus den klugen, sprechenden Augen Jugend und Heiterkeit. Die wahre Dichternatur prägt sich in seinem ganzen Wesen aus und muß überall Zuneigung und Sympathie erwecken; sein Wort ist beredt und immer voll Geist, Witz und Güte.

Dall’ Ongaro ist ein echt vaterländischer Dichter; es ist in der That etwas von einem italienischen Körner in ihm, so schwungvoll und kühn sind seine Lieder, während seine Grazie und Anmuth, das Gemisch von Sentimentalität und Ironie, von Sanftmuth und Schärfe zuweilen an Heine erinnern könnten. Die Klage der trauernden Lombardin aus dem Jahr 1848 und das Lebewohl der Livorneserin, welche ihrem Geliebten in den Vaterlandskrieg folgt, wird Niemand ohne Rührung lesen können, während er dagegen mit heiteren Jubelgesängen den Helden von Caprera und seine Wunderthaten feiert. Das Papstthum verfolgt er mit dem einsichtigen Haß Desjenigen, der es aus der Nähe mit klarem Blick angeschaut und sich deshalb keiner Illusion über dasselbe hingeben kann. Die Freiheit, die religiöse, die politische, die sittliche, liebt dall’ Ongaro wie eine schöne Braut, der er täglich neue Kränze und Blumen darbringt, jede großmüthige und edle That findet in ihm einen beredten Sänger. Wie er in Garibaldi den kriegerischen Helden Italiens verherrlicht, so in Mazzini den geistigen Helden, den großen Propheten und Meister, von dem die intellektuelle Entwickelung und Ausbildung seiner Nation ausgeht und immer neuen Stufen des Fortschritts entgegengeführt wird. Während er so das große allgemeine Vaterland im Auge hat, bewahrt er daneben die besondere Anhänglichkeit an sein heimisches Venedig, und man kann sich nichts Süßeres, Einfachinnigeres, Heiterfroheres denken als seine in der allerliebsten venetianischen Mundart erschienene Gedichtsammlung „Alghe delle Lagune“. Seine „Fantasie drammatiche e liriche“ sind eine Reihe von Balladen, Legenden und vaterländischen Hymnen aus früherer Zeit. Manche Frau hat die „amica ideale“ beneidet, der er so innige Liebesgedichte gewidmet, und es ist viel darüber gestritten worden, ob die ideale Freundin sich nicht auch in der Wirklichkeit verkörpert habe: diese Frage bleibe Eingeweihteren zur Entscheidung überlassen! –

Auch viele Dramen hat dall’ Ongaro geschrieben, die zum großen Theil auf italienischen Theatern vielfach aufgeführt worden sind, während seine Novellen als Muster poetischer Erzählungen gelten können und verschiedene Uebersetzer fanden.

Vielleicht bietet sich später einmal Anlaß, näher auf dall’ Ongaro’s Dichtungen einzugehen; einstweilen mögen diese Blätter ihn den deutschen Landsleuten empfehlen.



[301]

Hedwig Raabe.
Nach einer im Privatbesitz befindlichen Photographie.

[302]
Im Hause der Bonaparte.
Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)
5.

Jahre waren seit jenen schmerzlichen Ereignissen verflossen, Jahre der schwersten Kämpfe, aus denen Robert endlich siegreich hervorgegangen war, so daß er es wagen durfte, nach Rom zurückzukehren und vor den alten Freunden zu erscheinen, nachdem er zuvor während seiner langen Abwesenheit neue Triumphe in Paris gefeiert und einige Zeit in dem Elternhause an dem Herzen seiner Mutter geruht hatte.

Bei seiner Wiederkehr kamen ihm der Prinz und seine hohe Gattin wohl mit der früheren Herzlichkeit entgegen, obgleich Beide eine gewisse Befangenheit und Unruhe dem aufmerksamen Beobachter nicht zu verbergen vermochten. Augenscheinlich befand sich die Familie der Napoleoniden in einer erklärlichen Aufregung, hervorgerufen durch die gleichzeitige Nachricht von der in Paris vollbrachten Julirevolution.

Das Beispiel des französischen Volkes, welches in drei heißen Tagen die verhaßte Regierung gestürzt und die Bourbonen verjagt, wirkte wie ein Feuerbrand auf die übrigen mehr oder minder geknechteten Nationen Europas, vor Allem auf die leicht entzündbaren Italiener. Das ganze Land stand in revolutionären Flammen, geschirrt von den geheimen Gesellschaften der Carbonari und dem Haß der Patrioten gegen die österreichische Fremdherrschaft.

Vermöge ihrer eigenthümlichen Stellung bildeten die Napoleoniden, die Verwandten und Erben des Kaisers, den Mittelpunkt einer weitverzweigten, über die ganze Halbinsel bis nach Frankreich sich erstreckenden Verschwörung. Es handelte sich zunächst um nichts Geringeres, als um die Einheit und die Freiheit Italiens, in zweiter Linie um den Thron des ersten Napoleon, um die Wiederherstellung der früheren Weltmacht, um die Verwirklichung der niemals aufgegebenen Pläne eines ehrgeizigen Geschlechtes.

Der Prinz selbst hatte von Paris und von Corsica her die Aufforderung erhalten, sich an die Spitze einer neuen Bewegung zu stellen. Wenn er noch zögerte, so geschah dies aus Rücksicht auf seine Mutter, die bekannte Königin Hortense, und aus Liebe für seine Gattin, welche von jedem gewagten Schritte abriethen. Um so mehr drangen die übrigen Glieder der Familie, vor allen sein jüngerer Bruder Louis, auf ihn ein, sich der täglich zu erwartenden Revolution anzuschließen.

Unter diesen völlig veränderten Verhältnissen sah jetzt Robert die befreundete Familie wieder; der stille Kreis hatte sich in einen politischen Club verwandelt, die durch Geist und Liebenswürdigkeit ausgezeichnete Gesellschaft in einen Cirkel verwegener Verschwörer. Verdächtige Elemente, fremde Emissäre und Agenten der geheimen Verbindungen, welche sich über das ganze Land ausbreiteten, kamen und verschwanden wieder. Statt der geistvollen Unterhaltung über Kunst und Wissenschaft, statt des heiter anregenden Verkehrs herrschte jetzt die patriotische Phrase oder das noch gefährlichere Flüstern und Brüten der Conspiration.

Nur die Prinzessin hielt sich von dem verdächtigen Treiben frei, das sie mit sichtlicher Trauer erfüllte, als ob sie ein nahes großes Unglück fürchtete. Mit dem früheren Vertrauen gestand sie Robert ihre Besorgnisse in einem jener jetzt seltenen Augenblicke, wo es ihr vergönnt war, ihn allein zu sprechen.

„Der gute Geist,“ sagte sie tief bewegt, „ist von uns gewichen, seitdem Sie uns verlassen haben. Unsere friedlichen Abende werden niemals wiederkehren. Sie sehen, wie sich Alles hier verändert hat. Napoleon denkt und träumt nur von Verschwörungen und Revolutionen. Er selbst ist nicht ehrgeizig, aber er wird von allen Seiten gedrängt. Ich zittere für sein Leben, für seine Sicherheit. Die Thoren werden ihn und sich verderben.“

„Und vermögen Sie nicht, ihn zurückzuhalten? Er wird gewiß auf Ihre warnende Stimme hören,“ tröstete Robert voll inniger Theilnahme.

„Ich bin nur eine arme Frau, die keine anderen Waffen hat, als ihre Bitten und Thränen. Er lächelt über meine Befürchtungen und spottet meiner Angst. In seinen Augen bin ich blos ein furchtsames Kind, vor dem er seine geheimen Pläne sorgfältig verbirgt. Ich besitze nicht mehr sein Vertrauen, er verachtet meine Warnungen, indem er sich von seinem Bruder beherrschen läßt, der ihn mit sich fort in den Abgrund reißt.“

„Ich glaube, daß Ihre Besorgnisse zu weit gehen. Wie ich den Prinzen kenne, halte ich ihn keiner solchen Thorheit fähig. Er ist zu besonnen, um sich in ein Unternehmen einzulassen, das so wenig Aussicht auf Erfolg hat.“

„Das ist auch meine Meinung, aber er hört nicht auf mich, sondern nur auf Louis, der eine dämonische Macht auf Napoleon übt. Ich zittere vor dem Augenblick, wo dieser mit seiner Mutter in Rom eintreffen wird. Wie ich sicher weiß, steht er mit den Häuptern der Carbonari, mit Orsini und Menotti, in Verbindung. Seine Ankunft wird das Signal zu einem Aufstande in Rom geben; zu gleicher Zeit soll die Revolution in Modena losbrechen. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Nur Sie allein können mich und meinen Gatten retten.“

„Was vermag ich in dieser Angelegenheit zu thun, da ich diesem politischen Treiben fern stehe?“

„Napoleon ist Ihr Freund, er achtet und schätzt Ihre Einsicht, die Klarheit und Sicherheit Ihres Urtheils. Gerade weil Sie vollkommen unparteiisch die Verhältnisse betrachten, wird er auf Ihre Ansicht ein um so größeres Gewicht legen. Sie kommen aus Paris und kennen aus unmittelbarer Anschauung die Stimmung des Volkes, die Gesinnung der Führer. Wie ich aus den Zeitungen ersehe, hat Louis Philipp Sie ausgezeichnet und zu sich geladen. Sie haben ihn gesprochen, seine Umgebung beobachtet, mit den ersten Männern in Paris verkehrt und sich gewiß über die dortigen Zustände besser unterrichtet, als wir hier in Rom. Ich fürchte, daß Napoleon sich selbst täuscht und von seinen Freunden getäuscht wird. Sie allein können ihm den Wahn benehmen, seine Illusionen zerstören und durch die Darstellung der ungeschminkten Wahrheit ihm und mir den größten Dienst leisten.“

„Ich will es versuchen, selbst auf die Gefahr, den Prinzen durch meinen unberufenen Rath zu erzürnen,“ versetzte Robert, erfreut, der hohen Frau seine unveränderte Ergebenheit beweisen zu können.

Schon am nächsten Tage fand er die erwünschte Gelegenheit, dem Prinzen die nöthige Aufklärung über die französischen Zustände zu geben, die er aus eigener Beobachtung in Paris hinlänglich kennen gelernt hatte, wo er während seines Verweilens in den höchsten Kreisen und besonders in der Familie Orleans mit Auszeichnung empfangen wurde.

„Sie werden dem Freunde verzeihen,“ sagte Robert, „wenn ich Ihnen offen meine Besorgnisse über die eigenthümliche Lage ausspreche, in der ich Sie bei meiner Rückkehr wiedergefunden habe. Ich kann es wohl begreifen, daß die letzten großen Ereignisse auch Sie tief erschüttert und Ihr bisheriges Stillleben unterbrochen haben. Man ist nicht umsonst der Träger eines weltgeschichtlichen Namens, mit dem sich so viele und bedeutende Aussichten und Hoffnungen verbinden.“

„O! dieser Name,“ erwiderte der Prinz, „ist mein, ist unser Aller Unglück. Er legt uns Verpflichtungen auf, die mich in diesem Augenblick zu Boden drücken. Ganz Italien sieht auf uns und erwartet von mir das Zeichen seiner Befreiung. Darf ich die in mich gesetzten Hoffnungen täuschen? Ich bin der Erbe des Kaisers, seines Ruhms und seiner Größe, ein Napoleon und muß, wie er, dem Ruf des Volkes folgen.“

„Und glauben Sie wirklich, Prinz, daß das italienische Volk die Kraft besitzt, sich selbst zu befreien? Ich fürchte, daß Sie sich irren. Der beabsichtigte Aufstand wird wiederum an den österreichischen Bajonneten scheitern.“

„Hat Frankreich sich nicht gegen jede fremde Intervention im Voraus erklärt? Es wird nicht dulden, daß Oesterreich sich in unsere Angelegenheiten mischt.“

„Leider muß ich Ihnen diesen Wahn benehmen. So wie ich Louis Philipp und seine Minister kenne, wird er eher das Princip der Nichtintervention, als seinen Vortheil opfern. Er fürchtet sich mehr vor dem Schatten des Kaisers, als vor der öffentlichen Meinung. In dem Augenblick, wo ein Napoleon sich an die Spitze der italienischen Bewegung stellt, wird er Oesterreich

[303] gewahren lassen und lieber auf seine Popularität verzichten, als einem Napoleoniden die Hand reichen.“

„Ganz Frankreich wird ihn zwingen, uns beizustehen. Noch schwankt sein Thron, noch ist seine Herrschaft keineswegs befestigt. Er ist verloren, wenn er Italien nicht unterstützt, die Freiheit verräth und die dreifarbige Fahne ungestraft beschimpfen läßt,“ erwiderte der Prinz mit Heftigkeit.

„Sie täuschen sich,“ versetzte Robert, „über die gegenwärtige Stimmung in Frankreich. Die allein mächtige Bourgeoisie, welche Louis Philipp auf den Thron gesetzt, sehnt sich nach Ruhe. Sie kennt nur ein Losungswort: Geld und Genuß.“

„Aber das Volk und das Heer, die den Kaiser anbeteten!“ unterbrach ihn heftig der Prinz.

„Das Volk ist von Parteien zerrissen, das Heer unentschlossen, ohne Führer.“

„Man hat uns vergessen!“ rief schmerzlich der Prinz.

„Ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig, wenn Sie auch darunter leiden.“

„Ich glaube Ihnen, obgleich die Berichte unserer Agenten anders lauten. Unsere Freunde in Paris haben uns die Lage weit günstiger dargestellt, so daß ich im Begriff stand, mich der Revolution anzuschließen.“

„Mißtrauen Sie diesen von Leidenschaft erfüllten Fanatikern, lassen Sie sich nicht von den geheimen Agenten verführen, welche bei jeder Revolution nur zu gewinnen suchen. Namen wie der Ihrige üben einen eigenen Zauber aus, sind aber zugleich einer großen Gefahr ausgesetzt, als Spielball der Parteien zu dienen. Vergeben Sie meiner Aufrichtigkeit, aber nach meiner Ueberzeugung dürfen Sie nicht dem Schicksal vorgreifen, nicht auf die Stimmen des Ehrgeizes hören, wenn Sie nicht als Abenteurer enden wollen.“

„Ich danke Ihnen für Ihre Warnung, obgleich Sie meine schönsten Hoffnungen zerstören. Was aber auch kommen mag, so rechne ich darauf, daß Sie mein Freund, der Freund meiner Familie bleiben werden.“

In der That schien der Prinz seit dieser Unterredungen seine gefährlichen Pläne gänzlich aufgegeben zu haben, indem er sich hauptsächlich auf den uneigennützigen Rath Robert’s entschloß, den Bitten seiner Gattin nachzugeben und das aufgeregte Rom mit dem ruhigen Florenz zu vertauschen, wo er fortan in der Nähe seines Vaters, des früheren Königs von Holland, fern von allen revolutionären Umtrieben, zu leben gedachte.

Indeß war die Gefahr keineswegs beseitigt, da die Verschwörung im Stillen ihren Fortgang nahm, wenn gleich der Prinz sich nicht mehr daran betheiligte. Nachdem er sich zurückgezogen, richteten die Mitglieder der geheimen Gesellschaften jetzt ihre Blicke auf seinen jüngeren Bruder Louis, der augenblicklich noch bei seiner Mutter in Arenenberg am Bodensee verweilte, aber zu dieser Zeit in Rom erwartet wurde, wo die Königin Hortense die Wintermonate bei ihrer Familie zu verleben pflegte.

Einige Wochen später fand eine Versammlung der Carbonari in den römischen Katakomben statt; unter den Verschworenen befand sich ein junger Mann von ungefähr einundzwanzig Jahren, der von allen Anwesenden mit besonderer Auszeichnung behandelt wurde.

Trotz seiner Jugend machte sich seine geistige Überlegenheit bald bemerkbar, obgleich seine Züge keineswegs seine Bedeutung sogleich verriethen. Die kurze, gedrungene Gestalt ließ ihn, besonders wenn er stand, kleiner erscheinen als er wirklich war, entbehrte aber nicht einer gewissen Kraft und Eleganz, gepaart mit selbstbewußter Würde. Auf den ersten Anblick zeigte sein Gesicht einen träumerisch apathischen Ausdruck, eine schläfrige Abspannung, die jedoch nur den oberflächlichen Beobachter wie eine vorgehaltene Maske täuschen konnte. In Momenten der Aufregung schwand plötzlich die natürliche oder nur erkünstelte Ruhe, die matten Augen leuchteten, der verschlossene Mund öffnete sich, die starre Physiognomie belebte sich wunderbar und verrieth fast wider Willen eine seltene Intelligenz, eine glühende Phantasie und Leidenschaftlichkeit, die jedoch stets durch den berechnenden Verstand gezügelt und beherrscht wurde, während eine ungewöhnliche Energie den Grundzug seines Charakters bildete und sich in seinen Reden und Bewegungen offenbarte.

Der junge Mann war der Bruder des Prinzen, Louis, der gegenwärtige Kaiser der Franzosen, damals nur noch ein unbekannter Verschwörer, verzehrt von Ehrgeiz, berauscht von den zauberischen Erinnerungen seines Geschlechtes.

„Ihr habt mein Wort,“ sagte er zu den Genossen, „das Wort eines Napoleoniden. Ich bin der Eurige und will für die Freiheit und Einheit Italiens mit Euch leben und sterben.“

„Schwöre!“ rief der Vorsitzende der Carbonari.

Auf einen Wink desselben richteten die Mitglieder der geheimen Gesellschaft ihre bisher verborgenen Dolche gegen die Brust des jungen Mannes, der trotz seiner Selbstbeherrschung kaum merkbar zitterte.

„Möge mich der Tod von Eurer Hand treffen, wenn ich jemals die Freiheit verrathen, die Einheit Italiens jemals antasten sollte!“

„Tod dem Verräther!“ riefen die Verschwornen, indem sie einzeln die dunklen Katakomben verließen.

Louis aber schlug den Weg nach dem Palaste des Fürsten Ruspoli ein, wo ihn seine Mutter, die Königin Hortense, mit Ungeduld erwartete. In ihrer Gesellschaft befanden sich sämmtliche älteren Mitglieder der Familie Bonaparte, der Fürst Lucian von Canino, Jerôme, der frühere König von Westphalen, und der Cardinal Fesch, der Oheim des Kaisers. Nur die greise Lätitia, die unglückliche Ahnherrin des berühmten Geschlechtes, fehlte heute, da sie durch einen Bruch ihres Fußes, den sie sich bei einem Ausgange zugezogen hatte, an ihr Lager gefesselt wurde. Bei seinem Eintritte richteten sich die Blicke aller Anwesenden auf den jungen Mann, der eine vollkommene Unbefangenheit heuchelte, obgleich er sogleich ahnte, daß die Versammlung zu so ungewohnter Stunde nur ihm allein gelten konnte.

„Louis,“ sagte die bekümmerte Mutter, „Deine Verwandten sind unzufrieden mit Deinem Verhalten. Sie haben sich bei mir beklagt, daß Du durch Deine Thorheiten ihren Interessen schadest, unseren Namen compromittirst.“

„Das sind harte Beschuldigungen,“ erwiderte er mit erkünstelter Ruhe, „die ich hoffentlich leicht widerlegen kann.“

„Du hast Dich,“ nahm jetzt der Cardinal Fesch das Wort, „vielfach auf dem Corso sehen lassen mit der verpönten Tricolore an der Schabracke Deines Pferdes, obgleich Du weißt, daß die dreifarbigen Bänder in Rom verboten sind.“

„Ich glaube, daß Sie mir am wenigsten einen Vorwurf daraus machen können, da Sie selbst einst die Tricolore trugen.“

„Das waren damals andere Zeiten,“ versetzte der Kirchenfürst verlegen. „Man muß sich in die gegebenen Verhältnisse schicken, um jeden Verdacht zu vermeiden. Außerdem suchst Du geflissentlich die Gesellschaft berüchtigter Verschwörer, mit denen Du vorzugsweise hier verkehrst. Die Polizei beobachtet Dich.“

„Mag sie mich beobachten, wenn es ihr Vergnügen macht. Ich verachte diese geheimen Spione und Sbirren einer ohnmächtigen Regierung.“

„Aber wir sind dieser Regierung zu großem Dank verpflichtet,“ bemerkte Lucian. „Sie allein hat uns ein Asyl gewährt, als wir von der ganzen übrigen Welt mit Verachtung zurückgewiesen wurden, verfolgt und verbannt, nirgends eine Zufluchtsstätte fanden. Der verstorbene Papst war unser Wohlthäter und hat uns zu einer Zeit beschützt, wo wir nur Feinde und Gegner hatten. Die gewöhnliche Klugheit verlangt, daß wir den römischen Stuhl schonen.“

„Der Stuhl ist zerbrochen und der geringste Anstoß wird ihn zertrümmern. Zwar verkenne ich nicht die persönlichen Verdienste des verstorbenen Papstes, aber das darf uns nicht abhalten, die weltliche Herrschaft des Papstthums zu bekämpfen, als das Haupthinderniß für die Freiheit und Einheit Italiens, gerade wie der Kaiser sie bekämpft hat.“

„O, Du bist unverbesserlich,“ rief der erzürnte Cardinal. „Wenn Du so fortfährst, vermag Dich selbst mein Ansehen nicht länger zu schützen. Der Gouverneur der Stadt ist heute schon bei mir gewesen und hat mich aufgefordert, Deiner Mutter den Rath zu ertheilen, Dich auf einige Wochen aus Rom zu entfernen, um Dir große Unannehmlichkeiten zu ersparen. Obgleich ich dem Gouverneur das Recht zu einer solchen Maßregel bestritten habe, so lange keine begründete Klage gegen Dich vorliegt, so halte ich es doch für gerathen, den gegebenen Wink zu beherzigen.“

„Und was sagt meine Mutter?“ fragte Louis, den Blick auf das liebevolle Gesicht der Königin Hortense gerichtet.

„Du weißt, mein Sohn,“ sagte die so vielgeprüfte Frau [304] mit sanfter Stimme, „wie sehr ich Dich liebe. Als ich heute unter den Hallen des Pantheon kniete, betete ich, daß es meinen Kindern wohlergehen und ich vor ihnen sterben möge. Vergiß nicht, daß das Herz einer Mutter vor jeder Gefahr zittert, die ihren Kindern droht. Deshalb bitte, beschwöre ich Dich, Dein Leben zu schonen und Dich nicht an einem Unternehmen zu betheiligen, das Dir und uns Allen nur zum Verderben gereichen muß. Nach meiner Ansicht hast Du die weit schönere Aufgabe, die Gemüther durch alle Dir zu Gebote stehenden Mittel zu beruhigen.

Der Mann, der sich von dem ersten Besten überreden und leiten läßt, ohne seine eigene Vernunft zu befragen und zu prüfen, wird zeitlebens unbedeutend bleiben. Du trägst einen großen Namen, aber Du darfst ihn nur dazu gebrauchen, in Zeiten einer Revolution die Ordnung wiederherzustellen und die Schwachen zu beschützen. Die einzige Rolle, welcher Deiner würdig ist, besteht darin, mit Geduld und Ergebenheit das Dir von der Vorsehung bestimmte Loos zu erwarten.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen

Eine Champagnerwette, veranlaßt durch Beethoven’s A-dur-Symphonie. Es war im Jahre 1847, als Ferdinand Hiller in Dresden eine Serie Beethoven’scher Symphonien zur Ausführung brachte. Darunter befand sich auch die A-dur-Symphonie. Zwei Herren, der Fürst L. und Freiherr von F., welche der Ausführung der letztem Tondichtung beigewohnt hatten, geriethen an der Table d’hote des Hotel de France in ein Gespräch über die Frage: Welchen Situationen und Gemüthsstimmungen der berühmte Tondichter in dieser A-dur-Symphonie wohl habe Ausdruck geben wollen? Während der Fürst L. nichts darin zu erkennen vermochte, als den Jubel einer Bauernhochzeit, widersprach dem der Freiherr, indem er behauptete, daß Beethoven doch wohl von höhern Ideen dabei geleitet worden sei. Man stritt hin und wieder und gelangte endlich zu einer Champagnerwette. Jetzt war die neue Frage: Wer soll diese Wette entscheiden? Ein Herr von S., der gegenüber saß und mit Interesse der musikalischen Unterhaltung gefolgt war, frug, ob man wohl den Berliner Professor der Musik, Herrn Bernhard Marx, der als geschätzter musikalischer Kritiker hinreichend bekannt, als kompetenten Entscheider der Wette anerkennen wolle? Beide Contrahenten waren damit einverstanden. Sofort wandte sich Herr von S. durch Vermittlung eines Eleven des Professor Marx an letztern, welcher denn auch die Gefälligkeit hatte, nachstehende Charakteristik, die wir der Güte eines musikalischen Raritätensammlers verdanken und die bis jetzt noch keine Veröffentlichung gefunden hat, an die zwei wettenden Herren einzusenden:

„Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob wohl Beethoven’s siebente Symphonie (die aus A-dur) eine bestimmter zu fassende Idee ausspreche? Die Kunstfreunde, unter denen diese Erörterungen stattgefunden, sind darüber zu einer Wette geschritten und haben meine Ansicht zu vernehmen gewünscht.

Vor Allem scheint mir eine Champagnerwette so ansprechend, daß sie durchaus getrunken werden muß – so gewiß, wie die A-dur-Symphonie gehört. Wer aber die Wette zahlen soll, ist eine etwas schwerere Frage.

Folgendes steht bekanntlich fest:

Beethoven hat öfters mit seinen Compositionen bestimmtere Vorstellungen, eine mehr oder weniger bestimmt zu fassende Idee zu verwirklichen gehabt. In seiner Pastoralsymphonie, in seiner Sonate les adieux etc. hat er solche Vorstellungen mit voller Bestimmtheit ausgesprochen. In anderen Werken hat er sie blos angedeutet, z. B. in seiner Marcia sulla morte d’un eroe (Sonate aus As) und in der heroischen Symphonie, zu der ihn bekanntlich das Heldenbild Napoleon’s begeistert. Wieder in anderen Werken fehlt jede Andeutung, und doch spricht aus ihnen eine bestimmte Idee oder Gefühls- und Stimmungsfolge, ein Seelenerlebniß uns zu, z. B. aus der C-moll-Symphonie, die man aus Nacht und Bedrängniß zu leichtem Triumph empor sich schwingen sieht. Bisweilen kommen auch äußere Notizen zu Hülfe, z. B. die Cis-moll-Sonate ist in einer Zeit entstanden, wo Beethoven sein Herz von einem edlen Gegenstände der Zuneigung (Gr. E…) losreißen mußte.

Nun zur A-dur-Symphonie.

Hier fehlt jede Andeutung mit Worten und jede äußerliche Notiz. Ob also dieses Werk nur ein geistreiches Spiel mit Tönen und unbestimmten Empfindungen ist, oder das Geheimniß einer bestimmten Idee in sich trägt, kann nur aus der musikalischen Auffassung entschieden werden. Die Musik aber ist jedenfalls unfähig, ihren Inhalt so klar und unwidersprechlich auszutönen wie die Sprache. Sie rührt diese, jene Saite unseres Gefühls an, leitet uns durch eine Reihe von Stimmungen, weiß vielleicht auch einzelne Andeutungen zu geben – und so wird sie uns zu einem süßverlockenden Räthsel der Seele. Wir sinnen darüber, wie über den im Flug aufgehaschten Blick oder die Träume der Geliebten, und so auch verstehen wir sie und lösen das Räthsel.

Ja, es läßt sich sogar dem, der willig ist zu vernehmen und mit uns glücklich zu sein, gar Vieles andeuten, - beweisen sogar. Aber freilich darf man nicht Beweise fordern, wie vor Gericht oder in der Kriegsschule. Wer hätte nicht schon in glückseliger Stunde köstliche Wahrheiten in schönen Augen gelesen, Wahrheiten, die ihm und jedem Mitfühlenden Ueberzeugung und Zuversicht für das Leben werden konnten? Aber beweisen mit a+b, – beweisen dem, der nicht Gleiches erlebt hat und Willigkeit und Sympathie mitbringt – beweisen mit solcher prosaischer Gewißheit ist nicht wohl möglich.

Wenn daher die gewetteten Champagnerflaschen vor Gericht gestellt und mit der A-dur-Symphonie confrontirt werden sollten, möchten die Richter eher alle nacheinander austrinken als zu einem unumstößlichen Spruch kommen.

Soll aber ein friedlicher und aufrichtiger Spruch gelten, so sage ich: Ja! Es ist in diesem Tongedicht nicht ein bloßes Tongespiel, sondern eine Reihe von Gestaltungen, wie sie dem Dichter im holden Wahnsinn durch die Seele schweben – er weiß selber nicht recht, woher und wie? Dies ist so gewiß, wie im Auge des Liebenden die Seele spricht; man vernimmt das Wort, ohne es urkundlich beweisen zu können.

Aber was spricht denn nun oder, läßt sich ahnen in diesem Tonzauber?


Fallen wir dabei nicht in Willkürlichkeiten, und vor Allem bleibe uns jene Plumpheit fern, die in diesen edel begeisterten Weisen Bauernlustigkeit vernimmt. Wie unter der Linde flink getanzt oder in der dunstigen Schenke die pralle Magd vom Großknecht umhergeschwungen wird im stampfenden Gedränge des Haufens, hat Beethoven in der Pastorale erzählt.

Hier sind es edle, ritterlich kühne, kampfbegeisterte Weisen, ein phantastischer Schwung ohne Rast und Ziel, stahlblitzend und doch gaukelnd leicht. Nur die Mauren im bunten Geflatter der Turbane haben so ihre andalusischen Hengste getummelt und mit vergoldeten Lanzen die schweren Eisenmänner umkämpft und umdrängt; ein sonnenhelles, sonnenheißes Leben voller Kämpfe, Liebe und Abenteuer … Dann mögen sie wohl ein Fürstenkind erbeutet haben; die Bläser rufen ihr „Hört!“ und eine Romanze erzählt viel, Klage und Trost wechseln. – Lösung, Auslösung müssen wir in die zweite Pause denken, Friede – auf wie lange? – ist wohl geschlossen. Nun brechen die Schaaren in brausender Lust heimwärts aus; von den Hügeln drüben schallen die leichten Trompeten und Hörner nochmals grüßend herüber. Und neu lebt sich’s weiter in ununterbrochener heißer, stürmender Festeslust, wo die glühenden Blicke der Krieger über bekränzte Becher hinweg nach den Schenkinnen und dem Umschlingen des bedeutungsvollen Tanzreigens hinüberblitzen.

A. B. Marx.“





Die bedeutendste Kunstschöpfung der Gegenwart ist ohne Frage das große Schlußbild zum Cyklus der Fresken Kaulbach’s im Treppenhause des neuen Museums in Berlin, welches das Zeitalter der Reformation zum großartigen Gegenstand hat. Klarer, übersichtlicher, vollendeter konnte der wunderbare Geistesfrühling der europäischen Völker jener Tage nicht zur Erscheinung gebracht werden. Das gewaltige Regen verschiedenartigster Kräfte, das in allen Landen dem damaligen Emporheben der Menschheit auf eine höhere Stufe des Lebenswerths und der Strebensziele vorausging und es begleitete, wußte Kaulbach’s Griffel in die Hallen eines Domes zu bannen, und in diesem Dom stehen, wie auf einer Weltbühne in große Culturgeschichtsgruppen geordnet, die hervorragendsten Vertreter ihrer Zeit und ihres Volkes in Kirche und Staat, Wissenschaft und Kunst, Leben und Streben. Und zwar ist’s ein deutscher Dom, in welchen Kaulbach diese Versammlung von wahrhaften Großen der Erde berufen hat, wie Deutschland damals der Mittelpunkt der welt- und staatsverbessernden Umwälzung Europas war; und von all’ diesen Großen, welche als Theologen, Reformatoren, Humanisten, Künstler, Erfinder, Entdecker auf Erden und am Himmel, Astronomen und Naturforscher, Staats- und Volksmänner hier ihre Stelle einnehmen, zeigt Jeder, bei getreuester Portraitähnlichkeit, die wahrste Charakteräußerung, Jeder steht hier als Der, wie ihn die Welt kennt, wie er uns ein älter Bekannter ist, und daher nimmt bei Beschauen dieses Bildes die Freude der Begrüßung alter Bekannter, unsere Verehrung und Bewunderung von Kindesbeinen an kein Ende.

Ein solches Bild durfte nicht alleiniges Eigenthum eines Kunsthauses bleiben; vor Tausenden verdiente es die Vervielfältigung durch den Grabstichel, und diese ist ihm nun in meisterhaftester Weise zu Theil geworden. Professor Eduard Eichens hat nach jahrelanger angestrengter Thätigkeit einen Stich vollendet, welcher in der That das Original in wunderbarer Treue und edelster Schönheit wiedergiebt und es ermöglicht, daß nun die ganze Nation dieses Spiegelbild ihrer hoffnungsreichsten Zeit betrachten und Vergleiche austeilen kann über Das, was sie verheißen und was davon zur Erfüllung gekommen. Jeder öffentliche, ob wissenschaftlichen, Kunst- oder geselligen Zwecken geöffnete Saal sollte sich mit diesem Bilde schmücken, ja in jeder höheren Lehranstalt sollte es vor den jungen Augen hängen: so reich an Lehre und Erhebung für Geist und Herz ist dieses kerndeutsche Werk! Das Verdienst, diese große Grabstichelarbeit in’s Leben gerufen zu haben, hat sich die Hofbuchhandlung von Alex. Duncker in Berlin erworben, welcher dafür der anerkennendste Dank gebührt. Das schöne große Blatt kostet nur zwei Friedrichsd’or.





Die blonde Goßmann. (Mit Abbildung, s. S. 301.) Wohl selten hat das deutsche Theaterpublicum eine Bühnenerscheinung mehr beschäftigt, in größere Aufregung versetzt, als jener anmuthige Kobold voll Schelmerei und Laune, jener liebenswürdige, naiv-neckische, unwiderstehlich-ungezogene Bühnenbackfisch, welchen die Kunstwelt als Hedwig Raabe kennt. In allen Städten, wo die viel wandernde Petersburger Hofschauspielerin aufgetreten ist und die Netze ihrer blonden Haare und blauen Augen ausgeworfen hat, so erst neuerdings wieder in Pest, sind ihr von Presse und Publicum so reiche Ovationen, eine solche Fülle von Lorbeer und anderen Kränzen gespendet worden, daß es überflüssig wäre, wollte die Gartenlaube ihren Lesern und Leserinnen noch Weiteres erzählen von diesem verzogenen Liebling Thalia’s; nur das sei noch zu erwähnen verstattet, daß das kindliche Element, welches Hedwig Raabe vor den Lampen so verführerisch zur Darstellung zu bringen weiß, im Leben der Künstlerin nächstens wohl ein Ende nehmen wird, da, wie man hört, der Backfisch sich noch im Laufe dieses Jahres in das Joch der Ehe zu spannen gedenkt.




  1. Gustav Struve.
  2. Wie es heißt, sollen seine Ueberreste jetzt nach Venedig zurückgebracht werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pagagei
  2. Vorlage: einem