Die Gartenlaube (1873)/Heft 22

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1873
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 22.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid
1.

Es war so früh am Tage, daß es über den Wildkaiser hin eben grau zu werden begann; hie und da waren noch Sterne wie verglimmende Punkte sichtbar, und die Mondsichel stand hell in dem erbleichenden Nachthimmel; in den Wipfeln der Bäume, die den Lindhamerhof umgaben, zwitscherte der erste tagverkündende Laut eines Finkenmännchens, und aus den reifen Kornfeldern, die sich den Hügel hinunter zogen, tönte der leise Schlag einer Wachtel, die noch wie verschlafen den Gesang einzuüben schien, mit dem sie den Morgen zu begrüßen dachte. Auch in dem Hause selbst und in dessen Umgebung war es noch still und reglos – nur etwas seitwärts von dem Wohngebäude, am Fuße einer alten, aber in wunderbarer Frische prangenden Linde saß ein junger Bursche, der ein Stück Holz in der Hand hielt. Bald schnitzelte er emsig daran, bald starrte er vor sich hin, als ob er tief über seine Arbeit nachdenke, oder in derselben innehalte, um das Schauspiel des in aller Pracht aufsteigenden Sommermorgens zu betrachten.

Der Lindhamerhof war auch wie dazu auserwählt, eine Warte und ein Luginsland für die Ebene zu sein, die sich tief unter ihm zwischen der vielgewundenen grünen Mangfall und der braunen Glonn bis zum Bereich des Innstroms ausbreitet, fern umrahmt von den Felswällen des Gebirges von der Brecherspitze und dem Jägerkamm an bis zum Wendelstein und Kranzhorn und über die Kampenwand weg bis zu dem in blauem Dufte verschwimmenden Staufen. Der Hof lag auf einem breit vorspringenden, bequem ansteigenden, aber ansehnlichen Hügel, der, unten reich bewaldet, oben in eine schöne grüne Hochebene endete; es war erklärlich, wenn im Volke die Sage ging, auf der Höhe von Lindham habe zur Römerzeit ein Wartthurm, und in noch früheren Zeiten ein heidnischer Götzentempel gestanden, zu welchem die umwohnenden deutschen Urvölker von weit und breit herbeigekommen, um das große Jahresfest der Sonnenwende zu feiern. Dem Volke, das überall das Wunderbare sucht und liebt, war das wohl glaublich; wurde ja doch auch gar viel von der großen Schlacht erzählt, die in unvordenklicher Zeit unten in der Ebene geschlagen ward, welche zur Stunde noch das Mordfeld heißt und auf welcher jedes Jahr Pflug, und Grabscheit fremde Münzen, wunderlich geformte Waffen und Geschirrtrümmer und Menschengebein von ungewöhnlicher Größe zu Tage fördert. Auch dadurch ward die Sage unterstützt, daß unfern des Wohnhauses, kaum eine Schußweite hinter demselben ein Hain von etwa zwanzig Lindenbäumen stand, wie sie in solcher Größe, Anzahl und Schönheit von ähnlichem Alter nirgends in der ganzen Gegend anzutreffen waren. Die Bäume standen, als wären sie von kunstvoller Hand geordnet worden, um als Riesensäulen des natürlichen Domes zu dienen, der wie eine Kuppel sich aus den ineinanderstrebenden Zweigen und Kronen wölbte. In der Mitte des Haines an einer kleinen Erhöhung brach eine mächtige Quelle frisch und klar aus dem Boden und strömte in anmuthigen Windungen unter den Bäumen fort, durch den Rasen der Hochebene und an dem Hause vorüber. Auch diese Quelle spielte in der Sage ihre Rolle, denn an ihrem Ursprunge sollte der Altar des Götzentempels gestanden sein; jetzt war von Tempel und Altar keine Spur mehr zu erblicken, aber die Quelle war noch immer der Segen und das Kleinod des Hofes, von dem dessen Bestehen und Gedeihen abhing.

Der Lindhamerhof war nämlich nicht nur durch die Schönheit und Höhe seiner Lage ausgezeichnet, sondern auch durch die höchst eigenthümliche Beschaffenheit des Bodens, auf dem er erbaut war. Obwohl nämlich der Hügel, wie an seinem Fuße hie und da unter Wald und Gebüsch zu Tage trat, eine Unterlage aus sandsteinartigen Felsen hatte, bestand die ganze Anhöhe und Abdachung nach allen Seiten hin aus reinem Lehm und nur aus Lehm, so daß das Erscheinen oder Auffinden eines Steines zu den größten Seltenheiten gehörte und Alles, was man von solch festen Stoffen bedurfte, mühsam von unten heraufgebracht werden mußte. Auch fehlte in demselben alles Wasser, und die Lindenquelle war es allein, welcher Wiesen, Aecker und Bäume des Hochfeldes ihr Dasein verdankten. Aber auch über ihr waltete ein eigenthümliches Schicksal, denn nachdem sie ihren Lauf am Gehöfte vorüber beendet hatte, verschwand sie plötzlich in einer unansehnlichen Erdspalte, ohne irgendwo wieder zum Vorschein zu kommen. Diese Eigenthümlichkeiten hatten schon manchen kundigen Mann der Umgegend beschäftigt; man wußte sich das Entstehen eines so mächtigen, vereinzelten und von der Bodenbildung der Umgegend so völlig verschiedenen Lehmkegels nur dadurch zu erklären, daß in den ersten Zeiten der Erde zwei Strömungen einander begegneten und im langen wütenden Kampfe diese Scheidewand zwischen sich aufwirbelten und aufthürmten. Das Volk kümmerte sich um solche gelehrte Erörterungen nicht; ihm war es genug sich zu erzählen, daß der letzte Götzenpriester, als er gezwungen gewesen, den Tempel zu verlassen, den Bann über die Quelle ausgesprochen, Jedem solle [350] ein Unheil widerfahren, der sich an ihr versündige und aus ihr anders als mit reinen Händen schöpfe. Die Bewohner des Hofes hüteten sich daher wohl, ohne Geschirr zu schöpfen oder zu trinken, und seit Jahrzehnten war für Fremde, die etwa auf dem Fußpfade vorüberkommen und in der Kühle des Lindenschattens nach einem frischen Trunk verlangen mochten, ein kleiner Holzbecher an einem Kettlein im Boden festgemacht; war es doch einmal geschehen, daß ein Wanderer, der ermüdet und durstig mit der Hand aus der Quelle getrunken, todt am Rande derselben liegen geblieben war. Vermutlich war der Mann erhitzt gewesen und der rasche Genuß des eisig kalten Wassers war ihm tödtlich geworden; der allgemeine Glaube der Umgebung aber war und blieb, der Bann des Götzenpriesters habe ihn getödtet. Auch von dem Lehmgrunde erzählte sich das Volk und witzelte über den Reichthum des Besitzers, der zu den Bauernfürsten der Gegend gehörte: „der Lindhamer von Lindham sei zwar nicht steinreich, aber er habe den Teig, aus dem man Ducaten drehe.“

Der Lindhamerhof selbst war so seltener äußerer Umgebung und innern Eigenthümlichkeiten vollkommen entsprechend: das Wohnhaus zeigte sich als ein behäbig stattliches Gebäude nach Art und Brauch, wie sie in der Gegend von alter Zeit herkömmlich gewesen – alt und fest trug der Bau das Gepräge der Zeit, in der er entstanden war, ganz und unverändert und nur mit kleinen Ausbesserungen an sich, die allmählich im Laufe der Jahre nothwendig geworden waren. Die gegen Aufgang und Mittag gewendete Giebelseite erhob sich auf der breiten gemauerten Gräd, welche sich auch an den beiden Langseiten hinzog und, gedeckt von der rings um den ersten Stock laufenden Laube oder Altane, einen trocknen Umgang um das ganze Haus bildete. Zu beiden Seiten der Stufen, die vom Wiesplatz zu der Gräd hinauf führten, waren Sitzbänke mit Tischen anbracht, die mit Ringeln an der Wand ausgeschlagen und herabgelassen werden konnten, wenn Wind und Wetter einen Sitz im Freien erwünscht erscheinen ließen; zwischen denselben führte die Hausthür in das breite Fletz, die Hausflur, in deren Ecke rechts der große eichene Gesindetisch seine mächtigen vier Beine ausspreizete, während zu beiden Seiten Thüren in die Wohnstube und die Schlafkammer führten. Im Hintergrunde loderte dem Eintretenden das gastliche Feuer vom Küchenherde entgegen; nebenan führte eine Treppe in’s obere Stockwerk und hinter derselben aus halbangelehnter Thür tönte das Rasseln, Blöken und Schnauben, das die Nähe des Kuhstalles verräth. Das ganze Haus, im Erdgeschosse gemauert, in den übrigen Theilen aus schönem wurmfreien Lärchenholz gezimmert, machte einen ungemein wohnlichen, zur Einkehr ladenden Eindruck – von dem weißen Bewurfe des Mauerwerks hoben sich kräftig die braunroth angestrichenen Thürstöcke und Fensterläden ab, deren jeder wieder mit einem weißen Andreaskreuz verziert war; das von Alter und Wetter gebräunte Holzwerk bildete einen freundlichen Abschluß, hie und da an den Eckpfeilern oder am Gitterwerk der Laube mit dem Grün saftiger Hauswurz oder eines Nelkenbusches geschmückt, dessen rothe Blumen wie Feuertropfen daran herniederhingen. Ueber der großen Laube unter der spitzzulaufenden Dachschräge befand sich noch eine kleinere, welche zum Speicher und allerlei Vorrathskammern führte; der Giebel selbst war mit breiten braun und weiß bemalten Balken abgeschlossen, die sich in der Kreuzung in zwei Pferdeköpfe ausluden – ebenfalls ein Ueberbleibsel jener Tage, da noch den Heidengötzen Pferde geopfert und deren Köpfe zu Zier und Andenken auf den First des Hauses befestigt worden waren. Jetzt war zwischen ihnen das Zeichen des Kreuzes aufgerichtet, wie es, am Dreikönigstag mit Kreide angeschrieben, am Thürgerüst und auf dem gedruckten Haussegen prangte, der an der Thür selber angeheftet war, wie ein Schild alles Böse und alles Nidingswerk abzuwehren, das sich der Schwelle nahen möchte. Stall und Scheune, die sich in ansehnlichen Nebengebäuden nach rückwärts anschlossen, waren von einem weiten Grasanger umgeben, auf dem Obstbäume standen, die in dem Lehmboden in weit und breit beneideter Schönheit und Fruchtbarkeit gediehen. Die Linde, unter welcher der junge Bursche saß, stand einzeln seitwärts, wie ein von dem Lindenhaine zu Wacht und Spähe vorgeschobener Posten.

Der Bursche war eine ebenso männlich kräftige als jugendlich frische Erscheinung, schlank und gelenk von Gestalt, mit offenen angenehmen Zügen und einem Paar nußbrauner Augen, aus denen Heiterkeit und Frohsinn leuchteten; daß er raschen Sinns und beweglichen Gemüths war, ließ das gleichfarbige Kraushaar errathen, das in kurzen Ringellocken Nacken und Stirn umgab; auch daß er den kleinen Schnurrbart über dem etwas trotzigen Munde zu beiden Seiten in Spitzen aufgedreht trug, deutete auf die Gewohnheit hin, Alles im Leben, Scherz und Ernst, Arbeit und Vergnügen, scharf und schneidig aufzufassen. Saß auch über und in den Augen etwas von nachdenklichem Ernst, so trat es doch zurück über dem Ausdruck heiterer Leichtlebigkeit, die, nahezu an Leichtsinn streifend, als Grundzug seines Wesens zu erkennen war und wohl Jeden beim ersten Anblick für ihn gewann, wie er Jedem vergnügt, freundlich und leicht gewonnen entgegenblickte.

Er hatte einige Augenblicke an seiner Schnitzerei fortgearbeitet und dann dieselbe prüfend und betrachtend nach allen Seiten gewendet – jetzt blickte er auf, denn der Morgen war mit jedem Athemzuge höher und lichter heraufgekommen; der Wachtelschlag schmetterte jetzt laut und voll und hatte bereits die Lerche geweckt, daß sie, hellauf trillernd, mit kurzen Flügelschlägen in den Aether aufstieg, durch den jetzt ein rosiger Schimmer floß und sich an den Berghäuptern brach; unten aber, über der Ebene und an den noch angeschienenen Seiten der Berge hin zog einen Augenblick ein dunklerer Farbenton, kalt wie ein letzter Schatten der weichenden Nacht. Am Hausfirste wachten die Schwalben auf und begannen zu schwätzen und raschen Flugs durcheinander zu schießen; es war die junge Sommerbrut, der es galt, die Schwingen für die große Herbstwanderung zu üben und zu stärken. Jetzt zuckte es über dem abenteuerlichen Zackenhaupte des Heubergs empor wie Blitzfeuer und lodernde Glut; jetzt tauchte der Sonnenball vollends über die Schrofen herauf, und nun rollte und wallte der Lichtstrom blendend und überwältigend über Thal und Höhen; stärker schlug die Wachtel; jubelnd trillerte die Lerche; aus den fernen Kirchdörfern schwebte, vom Morgenwinde getragen, das halbverwehte erste Gebetläuten herauf. Während zuvor Alles reglos und in atemloser Erwartung gelauscht, hatte mit dem ersten Lichtstrahl sich ein frischer kühler Lufthauch aufgemacht, um als Flügelbote des Tages die Saaten und Grashalme zu beugen und in den Baumkronen zu rauschen.

Der Bursche hatte Holz und Messer auf die Bank gelegt, welche rund um den Lindenstamm lief; die Hände um die Kniee geschlungen, saß er vorgebeugt, wie betend, da und sah mitfeiernd in die Feier des werdenden Tages hinaus; stärker ging über ihm der Luftstrom durch die brausende Linde und vom Hause kam gleich einer Antwort ein tiefer mächtig anschwellender Ton, melodisch und feierlich, wie der Klang einer Orgel.

Zu gleicher Zeit war auch die Thür des Wohnhauses aufgegangen und ein Mädchen herausgetreten, das, wie von dem Anblick und den erhebenden Klängen überrascht, einen Augenblick in die Morgenpracht hinausschaute, dann aber daran ging, die Fensterläden zu öffnen und zu befestigen; es war eine mühlos einförmige Beschäftigung, und doch verrichtete sie dieselbe mit einer ruhigen Anmuth und sicheren Leichtigkeit, welche sogleich erkennen ließen, daß es eine wohl besonnene, mit sich selbst klare Seele sein mußte, die in der feinen geschmeidigen Gestalt hauste und aus den angenehmen Gesichtszügen sprach. Das Mädchen war nicht auffallend schön zu nennen, aber Alles an ihr war regelmäßig und stimmte so wohl zusammen, daß die ganze Erscheinung wohlthuend und harmonisch wirkte. Aus den dunklen Augen sprach Wohlwollen und Herzensgüte; in das schwache Lächeln aber, das um die feinen schmalen Lippen schwebte, war ein Zug zurückgehaltener Wehmuth gemischt und in den Mundwinkeln saß etwas, was sich sogar wie Verbitterung und Trotz ansah. Das Mädchen trug die einfache Bauerntracht der Gegend, dunkles Mieder und dunklen Faltenrock, über diesen war eine weiße Schürze gebunden, über jenes ein leicht geschlungenes blaues Seidentuch geknüpft; über dem Mieder und unter dem Tuche schloß sich das Hemd um den Hals und bauschte sich an den Schultern in kurzen Aermeln auf, die den geschmeidigen wohlgeformten Arm bloß ließen – es war Alles vollkommen schlicht und einfach und doch machte es durch Reinlichkeit und Genauigkeit den Eindruck, als habe die Trägerin eben begonnen, sich zu einem Feste zu schmücken. Das Einzige, worauf sichtlich [351] besondere Sorgfalt verwendet worden, war das in reiche breite Zöpfe um Kopf und Stirn geschlungene Haar – es war wohl verzeihlich, wenn die Trägerin sich etwas darauf zu gute that, denn die Flechten desselben mochten sowohl in ihrem blauschwarzen Glanze, als in der Fülle und Weichheit nicht viele ihres Gleichen haben.

Sie war eben mit ihrer Arbeit fertig geworden und wollte sie an der andern Seite des Hauses fortsetzen, als sie an der Ecke ankam und den gegenüber sitzenden Burschen erblickte – eine leichte Bewegung flog anmuthig über das holde Gesicht und machte den herben Zug um den Mund auf einen Augenblick völlig verschwinden. Sie lehnte sich mit dem Arm an den Pfosten, der die vorspringende Laube trug, und sah mit unverkennbarem Wohlgefallen dem Burschen zu, der eben wieder seine Beschäftigung aufnahm. Sie hatte es auf den halbgeöffneten kirschroten Lippen sitzen, ihm einen neckenden Morgengruß zuzurufen, aber sie hielt ihn zurück, weil aus der Hintertüre des Hauses die Ehhalten des Hofes heraustraten, eine ansehnliche Schaar von Burschen und Dirnen, die nach einander die Sensen von der Tennenwand, wo sie an Pflöcken aufgehangen waren, herunter holten und unter Zuruf, Gelächter und beginnendem Gesange an den Linden hin den Fußpfad zur Hügelbreite einschlugen, wo ein kaum absehbares Roggenfeld mit hohen goldbraunen Aehren schnittreif der Ernte harrte.

Der Bursche schien weder das Kommen noch das Gehen der Schnitter zu beachten; sein Sitz war wohl auch zu weit entfernt, als daß er deren Gespräche hätte vernehmen können; das Mädchen dagegen ging aus der Gräd näher zu ihnen hin, weniger um zu hören, was sie schwatzten und sangen, als weil sie in der beobachtenden Stellung, die sie eingenommen, nicht gesehen sein wollte.

Eine der Mägde brach, als sie, ihre Sense herunterholend, gegen das Hausdach emporsah, in lautes Gelächter aus und deutete nach dem First, auf welchem sich ein eigenthümliches Spielwerk, vom frischen Ostwinde gefaßt schnurrend um sich selber drehte – es war eine stattliche Windfahne, die ihren Dienst trefflich verrichtete, aber um sie her waren kleine, vollkommen kenntliche Figuren angebracht, ein fliehender Hirsch, ein ihn verfolgender Hund und ein berittener Jäger, die wirklich hinter einander her zu treiben schienen und dadurch einen lustigen Eindruck hervorbrachten. „Da schaut hinauf,“ rief die Dirne, „was auf dem Lindhamerhof über Nacht für ein g’spaßiges Windfahne gewachsen ist! Wie muß denn das hinauf ’kommen sein?“

„Das ist eine Frag’, so dumm wie Du selber!“ erwiderte mürrisch ein alter Knecht, indem er kaum einen halben Seitenblick nach der Windfahne machte. „Von selber ist’s nit hinaufgeflogen; es muß es Einer hinaufgesteckt haben, und wer das ist, kann man auch leicht errathen – man weiß ja, wer solche Narreteien treibt auf dem Lindhamerhof …“

„Aha, bist wieder einmal mit’n linken Fuß aus’m Bett gestiegen, Brunnensepp!“ sagte die Magd lachend. „Hätt’st ein Apotheker werden sollen, wenn Du jedes Wort auf die Goldwag’ legen willst, und wenn ich dumm bin, so bist Du auch noch kein Doctor worden und Deine Grantigkeit ist doch nichts Anderes, als der Zorn, daß Dir nichts Solches einfallt … Der Wolferl freilich, der weiß jeden Tag was Anderes – erst vorgestern hat er die neuen geschnitzten Staarenhäuseln aufgestellt, von denen eins wie ein Geschloß, das andere wie eine Almhütten ausschaut, und heut hat er schon wieder was Neu’s und was Lustiges ausg’studirt!“

„Das ist schon eine Kunst auch!“ erwiderte der Knecht grämlich. „Wenn Einer den Herrn spielen und feiern kann, wann er mag, dem kann leicht solche Narretei einfallen – es thät’ ihm schon vergehn, wenn er den ganzen Tag arbeiten müßt’, wie unser Einer. Natürlich auch, warum sollte denn nit so sein – ist ja alleweil so der Brauch gewesen, daß sich Zehne schinden müssen, damit Einer faullenzen kann.“ Er brach in ein erbittertes Gelächter aus und wußte seinem Unmuthe nur durch ein Schnaderhüpfl Luft zu machen, das er mit rauhem höhnenden Tone vor sich hin sang. Es lautete:

„Sagt zum Zeiserl der Stier:
Mein, Du singst leicht dahi’,
Du darfst nix was fludern (als flattern),
Aber zieg’n (ziehen) muß i!“

Die Magd war aber wegen des Trutzgesangs nicht verlegen und sang im Fortschreiten rasch hinwieder.

„Und zum Stier sagt das Zeiserl:
‚Mach’ keine Faxen!
Wenn Dich ’s Ziegen (Ziehen) verdrießt,
Laß Dir Flügel wachsen!“

Die Anderen lachten laut auf, weil dem Griesgram so heimgegeben worden, und noch von fern, als der Zug schon hinter den Linden verschwunden war, schallten die fröhlichen Stimmen herüber.

Das Mädchen war wieder an ihren vorigen Platz zurückgekehrt und verweilte dort wie unschlüssig, ob sie in’s Haus zurückkehren oder dem ganz in seiner Arbeit vertieften Burschen ihre Anwesenheit bemerklich machen sollte. Zu Ersterem trieb sie ein leiser Verdruß, daß er ihrer gar nicht gewahr wurde oder sich so anstellte, denn sie hatte sich zuletzt nicht mehr gescheut, so laut zu werden, daß er sie wohl hören mußte – für das Letztere sprach eine Regung in ihr, über die sie sich selbst nicht klar war, ein Wunsch, ihn zu sehen und zu sprechen, denn es war ihr, als habe sie ihm Vieles und höchst Wichtiges zu sagen. Diese Erwägungen gewannen endlich die Oberhand; sie blieb an dem Geländer der Gräd stehen, lehnte sich mit gebeugten Armen darauf und rief dem Burschen mit lauter und doch nicht ganz unbeklommener Stimme einen Guten Morgen zu.

„Auch so viel!“ erwiderte er flüchtig aufblickend und in gleichgültigem Tone.

„Bist schon so früh aus den Federn, Wolf?“ fragte sie wie zuvor, und in gleicher Weise entgegnete er:

„Wie Du siehst – hältst mich für eine Schlafhauben, Th’res?“

„Mein, wer Dich für eine Schlafhauben kauft, der giebt sein Geld umsonst aus,“ sagte sie lachend; „ich wunder’ mich nur das Meist, daß Du noch da bist!“

„Wo sollt’ ich sonst sein?“

„Wie Du fragst! Ist ja schon Alles draußen im Feld beim Kornschneiden …“

„Aha, blast der Wind daher?“ rief Wolf, indem er sein Messer zuklappte, das Holz, an dem er geschnitzt, in die Tasche steckte und zu dem Mädchen mit einem Blicke emporsah, in dem sich Stolz und Gleichgültigkeit die Wage hielten. „Du meinst, wo die andern Knecht’ sind, da gehöre ich auch hin!“

„Wie Du so daher reden kannst wie ein Mann ohne Kopf!“ entgegnete sie rasch. „Aber Du bist der Sohn vom Haus, der Aelteste, der einmal der Herr wird auf dem Lindhamerhofe, und der sollt’ überall dabei und vorn dran sein …“

„Ho,“ rief er lustig lachend und richtete sich in seiner ganzen Höhe auf, „das Kornschneiden bringen sie auch ohne mich zuweg’.“

„Aber sie sollten nicht,“ eiferte Th’res. „Die Leut’ verdenken Dir’s und reden drüber.“

„Laß sie reden und denken, was sie mögen!“ sagte er kaltblütig und trat vor das Geländer, daß sie übergebeugt zu ihm heruntersah. „Was frag ich nach dem Gered’ von all den Leuten, die sich um ungelegte Eier kümmern und blasen, was sie nicht brennt!“

Th’res errötete bis unter die Zöpfe über der Stirn. Wolf that, als ob er es nicht gewahrte, und fuhr noch anzüglicher fort: „Wenn Jeder vor seiner Thür kehren thät’, wär's bald überall sauber, mein’ ich. Warum soll ich mir einreden lassen? Ich red’ auch Niemandem was ein – ich hab’ was Besseres zu thun.“

Unwillkürlich sah das Mädchen nach dem First empor, wo, von einem raschen Windstoße gefaßt, Hirsch, Hund und Jäger im Kreise um die Windfahne schnurrten – so flüchtig der Blick, war er Wolf’s scharfem Auge doch nicht entgangen, und nun war die Reihe der anzeigenden Zornröte an ihm. „Ho,“ rief er ärgerlich, „schau’ nur hinauf nach der Windfahne und den Staarenhäuseln … was frag’ ich danach! Ich weiß so gut wie Alle, daß das nichts ist als eine bloße Baßlerei, die Niemand nichts nutzt; aber sie schad’t auch keinem Menschen, und wem’s zuwider ist, der soll nicht hinaufschauen oder was Gescheiteres machen.“

Er hätte noch mehr gesagt; aber der Luftzug, der die Windfahne gedreht hatte, machte auch die Saiten der Windharfe [352] schwingen – sie erklang wie ein tiefer, lange ausgehaltener Grundton, auf welchen dann ein vielstimmiger Accord bald zugleich, bald gebrochen in wechselnde Tonleitern majestätisch einsetzte. Th’res horchte hoch auf; ein schönes Licht brach aus ihren Augen, und sie winkte Wolf ab, um ungestört lauschen zu können.

„Sei nit harb, Wolf!“ sagte sie dann, als die Harfe in zitterndem Gesäusel ausklang. „Ich mein’s ja gut, was ich sag’, und ich sag’s auch nicht für mich und von mir, sondern einzig und allein für Dich selbst und wegen der andern Leut’. Ich thät’ Dich nit schänden – mir hast Du schon das Herz eingefüllt mit der Windorgel, die so lieblich geht, daß man glaubt, man ist in der Kirchen – aber Du solltest es doch bedenken, schon dem Bauern, Deinem Vater, zu lieb … Du weißt, er kann’s nit leiden, wenn Du Dich von der Bauernarbeit so wegschraubst … Du solltest doch auch zum Kornschneiden hinausgehen. Der Vater wird bald herunterkommen; wenn er Dich noch daheim und bei Deiner Baßlerei findet, nachher wird er wieder zornig; er ist ja eh’ gleich in der Höh’ … nachher giebt’s Verdruß, und den kann ich nit leiden …“

Wolf sah ihr, als sie geendet hatte, einen Augenblick schweigend in’s Gesicht; er begegnete ihrem freundlich bittenden Auge und schien unschlüssig, wie er ihr erwidern sollte; aber er drückte die gemüthliche Wallung nieder, die in ihm aufzusteigen begann, und sagte scharf und spöttisch, wie zuvor: „Ja, ja, es hat halt ein Jedes was, das ihm zuwider ist, der Vater und Du und ich auch. Weil Du gar so gut zureden kannst, muß ich halt gehen, aber nit dahin, wo Ihr’s haben wollt, sondern wohin es mich freut. Verstanden? Und wenn Du wissen willst für ein anderes Mal, was mir zuwider ist, so will ich Dir’s sagen … Wenn mir Eins einred’t und eine Lehr’ geben will, als wenn’s ein Schulmeister wär’ und ich ein kleiner Schulbub’ – das kann ich nit leiden.“

Die Stufen der Gräd hinanschreitend, war er rasch im Hause verschwunden und ließ das Mädchen in sehr gekränkter Stimmung zurück; es that ihr bitter leid, daß sie bei dem besten Willen wieder den Ton nicht getroffen hatte, der zum Herzen des Burschen sprechen sollte. Es war ihr altes Unglück – ohne sich einer wärmeren Neigung zu ihm bewußt zu sein, war sie doch seit Jahren bestrebt, ihm zu Gefallen zu leben und zu thun, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte, aber sie erreichte nichts damit; er schien ihre Bemühungen gar nicht zu bemerken oder nahm sie als etwas hin, was sich dem Sohne des Hauses gegenüber, der einst dessen Herr werden sollte, von selbst verstand. Ein unsäglich bitteres Gefühl zuckte ihr durch die Seele; sie fragte und erforschte sich selbst, womit sie denn eigentlich gefehlt habe und ob es denn sein Ernst sein könne, ihre freundliche Besorgniß mit so übermüthigem Hohne zu vergelten, und bebte erschreckend zusammen, als sie nach wenigen Augenblicken Schritte über das Fletz zur Thür kommen hörte. Wenn es ihn reute! Wenn er zurückkäme! Sie that nun ebenfalls, als bemerke sie nichts und sei ganz in die Betrachtung der herrlichen Morgenlandschaft versunken. Der Kommende hielt jetzt offenbar seinen Schritt an; er kam auf den Zehen näher, sie fühlte seine Nähe hinter sich und glaubte seinen Athem zu spüren … war das wirklich Wolf? So vertraulich hatte er sich ihr noch nie genähert, und doch – wer sonst als er durfte daran denken, es zu thun?

Jetzt legte sich ein Arm sachte um ihren Leib – sie wandte sich um und hatte sich, als sie ihn erblickte, mit einem kräftigen Rucke so vollkommen frei gemacht, daß der Angekommene, von dem Empfange überrascht, unwillkürlich zurücktaumelte – es war ein anderer, etwas jüngerer Bursche, der, wenn auch Wolf in Zügen und Gestalt nicht unähnlich, von ihm doch himmelweit verschieden war. Es war dasselbe Gesicht, aber der Ausdruck war ein ganz anderer: was bei Wolf heitere übermüthige Lebenslust war, prägte sich hier als derbe Genußsucht aus, und an die Stelle liebenswürdiger Geradheit und Offenheit war hin ein Scheinbild getreten, eine gezierte, übertriebene Freundlichkeit darauf berechnet, die hinterhältigen Gedanken und Absichten zu verbergen, die in den Augenwinkeln lauerten. Auch die Gestalt war derber und anscheinend sogar kräftiger entwickelt; Nacken und Hals waren die eines Stieres, für Pflug und Joch geschaffen.

„Du bist es, Dickel?“ rief Th’res überrascht, indeß ein Roth des Unwillens über seine Kühnheit und die eigene Täuschung in ihrem Antlitz aufloderte. „Was unterstehst Dich, Du frecher Mensch?“

„Dummes Ding,“ rief er mit boshaft funkelnden Augen entgegen, „was fällt Dir denn ein, mir einen solchen Renner zu geben? Bist etwan von Glas, daß man Dich nit anrühren darf? – Ich hab’ Dir ja nur einen ‚Guten Morgen‘ geben wollen …“

„Ich brauch’ keinen solchen ‚Guten Morgen‘!“ sagte Th’res und wollte der Thür zu, wohin er ihr aber den Weg vertrat. „Wohl bin ich von Glas; d’rum bleib’ mir vom Leibe, damit Du Dich nicht schneid’st!“

„Hoho, ich fürcht’ mich nit so leicht,“ rief Dickel entgegen, „wenn Du auch noch so wild thust, es wird nit gleich Scherben geben. Meinst, ich weiß nit, wie Ihr Madeln seid, alle miteinander – oder willst Du vielleicht eine Ausnahm’ sein? Ja, Du bist eine Ausnahm’,“ setzte er, näher tretend, in einem Tone hinzu, der zärtlich sein sollte, aber nur lüstern war, „denn Du, die Schönste von Allen – mir wenigstens gefallt Keine so wie Du, Du geschrecktes Bachstelzel, und ich möcht’ Dich zum Schatz haben! Schlag’ ein und gieb mir ein Bussel als Drangeld! Nachher sind wir ein Paar …“

„Laß mich meiner Weg’ geh’n,“ sagte Th’res und versuchte neben ihm in’s Haus zu schlüpfen, „wir Zwei haben nichts zu schaffen miteinander!“

„Was nit ist, kann ja noch werden,“ erwiderte Dickel noch zudringlicher, indem er sie ’am Rocke festhielt. „Ich mein’s gewiß aufrichtig mit Dir, und wenn ich auch den Lindhamerhof nit krieg’, weil ich der zweite Sohn bin, so wird doch schon auch für mich so viel herausspringen, daß wir uns ein ordentliches Heimathl kaufen können, und wenn Du Dich vor den Leuten scheust und willst es derweil nit wissen lassen – meinetwegen, mir ist’s auch recht! Mir ist’s noch lieber, da ist noch mehr Gespaß dabei, wenn alle Welt glaubt, man kann nit Fünfe zähl’n, und schön heimlich thut man doch, was Einen gefreut. Sag’ Ja, Th’res, und es wird Dich nit reu’n, und wenn’s auch in dem G’sangel heißt:

Die Liebschaft im Haus,
Die ist selten a G’winn,
Was man an Schuhen erspart,
Geht an Strümpfen dahin…

so laß Dich’s nicht anfechten – morgen ist Markt drunten in Aibling; da kauf’ ich Dir gleich ein paar Dutzend Strümpf’, damit Du nit zu sparen brauchst …“

„Geh’n laß mich, Du ausgeschämter Mensch!“ rief Th’res stampfend und Thränen des Zornes in den Augen. „Ich ruf’ den Vater oder ich kratz’ Dir selber die Augen aus. … Du willst mich zum Schatz? Und wenn die Männer so rar wären wie der Schnee um Johanni, so möcht’ ich von Dir nichts wissen, der sich nicht schämt und einem braven, ordentlichen Madl einen solchen Antrag macht …“

(Fortsetzung folgt.)





Am Wartburgthor.


Die Berge schmückt der Frühlingsschleier,
Und alle Wälder wachten auf.
Da hebt die Auferstehungsfeier
Zur Waldburg uns das Herz hinauf.

5
Wie trotzt der Pfad, in Fels gehauen,

Zu Fels ergraut des Thors Gestein!
Und acht mal hundert Jahre schauen
In ihrer Mauern Kranz herein.

Und acht mal hundert Jahre schreiten

10
Durch dieses Thor aus dem Gefild

Und tragen Bild um Bild der Zeiten
Durch dieses Thor auf ihrem Schild.
Da drängt’s den Geist, daß er berichte,
Was, Zug um Zug, ihm steigt empor,

15
Ein treuer Pförtner der Geschichte,

Das Aug’ versenkt in’s dunkle Thor.

Hell blitzt das Schloß weit in die Thale,
Verkündend allem deutschen Land,
Daß Thüringen zum zweiten Male

20
In seiner Stämme Ring erstand.

Tief in der Unstrut liegt die Krone
Vom hingesunk’nen Königshaus:
Hoch schaut von seinem Wartburgthrone
Der Löwe in die Welt hinaus.

[353]

Am Eingange der Wartburg.
Nach der Natur aufgenommen von K. S.


25
Trompetenschall und Jubelrufe!

Das erste Wartburgfest bricht an!
Wie dröhnt vom scharfen Rosseshufe
Der Felsweg! Auf das Thor gethan!
Da sprengt herein des Bergs Bezwinger,

30
Herein des Heerzugs Rott und Trott:

Grüß Gott, Herr Ludewig, der Springer!
Und Euren Eingang segne Gott!

Und wieder klirrt’s herauf von Eisen.
Zum Junkerschrecken wird der Stuhl

35
Des Fürsten, den die Bauern preisen:

Er kommt vom Schmiede in der Ruhl!
Und hinter ihm, in Kriegeswettern,
Die Lanze hoch, das Schwert gezückt,
Des Barbarossa tapfre Vettern,

40
Den Mantel mit dem Kreuz geschmückt.


Horcht auf! Vom Thal welch’ Harfenklingen!
Es zieht herein der Sänger Kreis,
um für die Minne zu erringen
Im Wartburgkrieg der Palme Preis.

45
Darauf, nach bösen Kampfes Tosen,

Geht still herauf Elisabeth,
Im Arm der Armuth Korb voll Rosen,
Die fromme Seele voll Gebet.

Gleich frommer Ehre hat die Rechte

50
Held Ludwig fest und treu geweiht:

Wie glänzt die Wartburg als die echte
Herberge der Gerechtigkeit!
Von Thüringen bebt bis zum Rheine
Die Raublust, als sein Kriegeszug

55
Das Schwert der Rache bis zum Maine

Um seines Krämers Esel trug.

Trübt sich der Tag? Der untreu fröhnig
Wird das Geschlecht. Wer zieht heraus?
Sieh’, Raspe ist’s, der Pfaffenkönig!

60
Thorwart, schleuß’ ihm das Thor nicht auf!

Wozu das Thor noch? Schmach und Trauer!
Die Blide wird der Treue Lohn –
Und dort, ach, flieht, steilab die Mauer,
Die Mutter vom gebissnen Sohn.

65
Und wieder strahlt es hell! Da reitet

Zum Thore der Gebissne ein. –
Weit hin von Siegesehren breitet
Sich seines Lorbeers Zauberschein.
Und höher noch im Sohne blühen

70
Der Wartburg Glanz, Thüringens Macht –

Recht wie der Berg im Abendglühen
Ausleuchtet, eh’ er sinkt in Nacht.

[354]

Der Löwe stirbt. Wohl trägt zum Thore
Wettin herein den Rautenkranz.

75
Doch trauernd mit dem Wittwenflore

Verhüllt die Burg den alten Glanz:
An’s Herz gedrückt der Minne Lieder
Sinkt sie wie auf die Todtenbahr
Verlassen und vergessen nieder

80
Und schlummert hundertfünfzehn Jahr’.


Da ballt zum Wetter sich die Wolke
Am deutschen Himmel, donnernd fährt
Den Fürsten all’ und allem Volke
Ein Blitz durch Herz und Haupt! Verklärt

85
Vom ew’gen Licht der Wahrheit zittern

Die Mauern, es zerreißt der Flor;
Der mächtigste von allen Rittern,
Ihr größter Gast betritt das Thor!

Der Junker Görg! Die Flammenleuchte,

90
Die auf den Zinnen hoch er hält.

Der Welt, die vor dem Wahn sich beugte.
Hier leuchtet sie der ganzen Welt!
Sie leuchtet fort, ob auch die Hallen,
Die ausgestrahlet „Gottes Wort“,

95
Verödet trauern und verfallen

Dreihundert Jahr’, sie leuchtet fort.

Und ihre Flamme hat entzündet
Das Herz der treuen Jünglingsschaar,
Die auf der Wartburg Fels gegründet

100
Des deutschen Geistes Hochaltar:

Der Heldenjugend ohne Gleichen,
Die dem zerriss’nen Reich entrollt
Der deutschen Einheit erstes Zeichen,
Das ewig hehre Schwarz-Roth-Gold!

105
Ein halb Jahrhundert hat gerungen

Die Wartburgfahne mit der Macht:
Der deutsche Geist blieb unbezwungen,
Trotz Bundestag und Kerkernacht! –
Heut ist’s vollbracht! Ihr tapfern Alten,

110
Der Erbfeind sank, die Zwietracht liegt

Zermalmt! Gott war mit Eurem Walten:
Der Geist der Wartburg hat gesiegt!

Drum stehst du, alte hohe Warte,
In Deutschlands Herzen so geweiht.

115
Daß jedes deutschen Siegs Standarte

An deiner Ehren Kranz sich reiht.
So schreite, von der Welt bewundert,
Von Sieg zu Sieg der deutsche Geist!
Heil Burg dir, die noch manch Jahrhundert

120
Ein Pförtner der Geschichte preist!
Friedrich Hofmann.



Goethe.
Sein Leben und Dichten in Vorträgen für Frauen geschildert.
Von Johannes Scherr.
VII.

Der 9. Juni von 1772 ist ein für die Geschichte der deutschen Sturm- und Drangzeit wichtiges Datum: – das war ja der Tag, an welchem es in unserer Literatur zu lotten und zu werthern begann. Denn an diesem Tage hat unser Dichter die Lotte der Lotten, die Ur-Lotte so zu sagen, zum erstenmal gesehen und kennen, item natürlich auch lieben gelernt: die neunzehnjährige, schöne, schlanke, blondhaarige, kornblumaugige und, ach, dem hannover’schen Gesandtschaftssekretär Kestner verlobte Lotte Buff, zweitälteste Tochter des Amtmanns Buff, welcher die um Wetzlar gelegenen Güter des argverotteten Deutschen Ordens verwaltete und in kleiner Entfernung von der Stadt im „Deutschen Hause“ mit seinen sieben Kindern wohnte, denen die Mutter weggestorben war. Von diesem Junitag an hat es dann in der deutschen Dichtung lange fortgelottet, von der Kraftgenialität bis in die Klassik hinein, und ist für unsere beiden Erzklassiker Goethe und Schiller der Name geradezu schicksalsvoll geworden: – Lotte Buff, Lotte Stein, Lotte Kalb, Lotte Lengefeld. Die zweite dieser Lotten werden wir später als die große, größte Flamme unseres Dichters kennen lernen; die vierte war das still und stät und segensreich brennende Licht im Dasein Schiller’s; von der dritten, der „Titanide“, wußte nicht nur der Schöpfer des Don Carlos, sondern auch der des Titan zu erzählen. Der letztere Jean-Paulisches: – „Durch den Nachsommer meines Lebens wehen jetzt die Leidenschaften“ – „Jene Frau, mit der ich einmal eine Scene hatte, wo ich im Pulvermagazin Tabak rauchte“ – „Das auflösende Leben mit genialischen Weibern hab’ ich nun auch kennen gelernt.“ Es trieb ihn aber doch, dieses Leben noch weiter kennen zu lernen, bis er klug genug geworden, aus der Flugregion der Titaniden auf den soliden Boden einer Hausfrauschaft sich zurückzuziehen, welche, obzwar aus Berlin stammend, dafür zu sorgen verstand, daß dem großen Humoristen seine bairischen Knödeln richtig bereitet wurden, item demselben in katarrhalischen Zeiten sein Warmbier in der gehörigen Temperatur präparirte und endlich auch gar nichts die Frauenwürde Entwürdigendes darin fand, dem Eheherrn die Strümpfe zu stopfen, so diese bei seinen vielen Schlendergängen durch Mondscheinlandschaften und Blumenstaubwolken brüchig geworden. Eine Hausmutter darf ja so was thun, wie selbst unsere von den höchsten Stelzen der Frauenemanzipationstheorie herabschwadronirenden Phantasmistinnen neuester Sorte nicht ganz werden in Abrede stellen wollen. Dagegen eine „Titanide“ als Beherrscherin der Knödelnbereitung, als Warmbierbrauerin, als Strümpfestopferin sich denken – oh, all’ ihr himmlischen und höllischen Mächte, schon die bloße Vorstellung erregt eine Empfindung, welche mit dem Zahnweh große Aehnlichkeit hat.

Freilich, es gibt Umstände, unter welchen auch die alltägliche Hausmutterschaft gar reizend-poetisch sich darzustellen vermag. Namentlich, wenn eine so schöne Blondine wie die neunzehnjährige Lotte Buff das Hausmütterchen macht. Das that sie, wie gewohnt, auch an dem vorhin erwähnten 9. Juni von 1772, und im „Werther“ (Brief vom 16. Junius) ist es gar hübsch beschrieben: – „Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause, und da ich die vorliegende Treppe hinaufgestiegen war und in die Thüre trat, fiel mir das reizendste Schauspiel in die Augen, das ich je gesehen habe. In dem Vorsaale wimmelten sechs Kinder von elf zu zwei Jahren um ein Mädchen von schöner Gestalt, mittlerer Größe, die ein simples weißes Kleid mit blaßrothen Schleifen an Arm und Brust anhatte. Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren Kleinen ringsherum jedem sein Stück nach Proportion des Alters und Appetits ab und gab’s jedem mit solcher Freundlichkeit“ – nun, ihr kennt ja die prächtige Gruppe. Hat sie euch doch Kaulbach dem goethe’schen Entwurfe nachgezeichnet. Selten dürfte ein schönes junges Mädchen in einer alles reinmenschlich Gute im Menschen elektrischer berührenden Situation einem jungen Manne zuerst erschienen sein. Der Eindruck, welchen die frohsinnige Anmuth, womit Lottchen ihre jüngeren Geschwister bemutterte, auf unseren Wolfgang hervorbrachte, war ein mächtiger, schon beim ersten Anblick. Sie fuhren dann mitsammen zu einem ländlichen Balle und beim Schlusse desselben konnte sich der Dichter sagen: „Es hat mich mal wieder!“

Ja, es hatte ihn mal wieder, jenes geheimnißvolle „Es“ oder X, an welchem alle Physiologen oder Psychologen der Welt noch lange herumtasten können, ohne doch die „unbekannte Größe“ wirklich zu finden. Wenn man jedoch die mit unbegreiflich engherziger Scheu allzu lange unter Verschluß gehaltenen Akten der Goethe-Lotte-Kestner-Geschichte oder, literarhistorisch zu reden, der Wertherei, wie sie jetzt gedruckt vorliegen („Goethe und Werther“, Briefe Goethe’s u. s. w., herausgegeben von A. Kestner, 1854), unbefangen prüft, so gewinnt man als Resultat die Empfindung, des Dichters Gefallen an Lotte sei doch mehr nur Phantasiefeuer als Herzensflamme gewesen. Von jener echten, tiefinnigen Glut der Leidenschaft, welche aus dem Verhältnisse zu Friederike Brion loderte, ist da doch eigentlich nur dann und wann ein Funke zu spüren. Viel, sehr viel mag zu dieser Einhegung und Kühlhaltung von Goethe’s Neigung die Art und Weise mitgewirkt haben, wie Lotte selbst und ihr Verlobter die Sache nahmen und führten. Beide gewannen den Dichter aufrichtig lieb und erwiesen ihm großes Vertrauen. Daß durch den Freund eine Störung ihrer Beziehungen als Bräutigam und Braut eintreten könnte, ist ihnen gar nicht eingefallen. Lotte insbesondere hat den künftigen Wertherschöpfer hierüber von Anfang an taktvoll vor jeder Ungewißheit bewahrt. Sogar angenommen, unser junger Apoll von Wolfgang habe mit seiner genial-siegreichen Erscheinung den guten Kestner in ihren Augen verdunkelt, so war sie doch gescheid und fassungsfest genug, es nicht merken zu lassen. Junge Mädchen sind ohne alle Frage in Heiratsachen viel verständiger und berechnender als junge und alte Männer, wie denn überhaupt das Weib, solange es unverdorben ist, die „Dinge dieser Welt“, die thatsächlichen Verhältnisse sehr klug und praktisch anzusehen und, wenn nöthig, auch anzufassen vermag. Sehr natürlich ist auch, daß die Frau die Heiratfrage mit mehr Berechnung behandelt [355] als der Mann; denn diese Frage ist für sie die einzige Lebensfrage, der einzige große Wurf, durch dessen Gelingen oder Mißlingen ihr Schicksal entschieden wird und zwar zumeist für immer. Das Schicksal des Mannes dagegen können noch andere Probleme, der Staat, die Kirche, die Wissenschaft, die Berufspflicht, bedingen und bestimmen; denn er ist seinerseits von der Natur nicht darauf angewiesen, in der Familie aufzugehen. Was Lotte betrifft, so war sie keine hochgestimmte Seele, keine ungewöhnlich, sondern nur eine gesund und tüchtig angelegte Mädchennatur. In ihren hellen Augen stand deutlich zu lesen, daß sie recht gut wüßte, ein Spatz in der Hand sei besser als eine Taube auf dem Dache oder gar als ein Paradiesvogel auf einer fernen Palme. Es wäre auch gar nicht unmöglich, daß ein Gerücht von der Flatterhaftigkeit des schönen Sohnes der Frau Aja in die schläfrige Reichskammergerichtsstadt an der Lahn gedrungen und daß dadurch Schön-Lottchen in der Ansicht bestärkt worden, so ein Paradiesvogel sei zwar ein prächtig Ding zum Ansehen, aber beileibe nicht zum Verlieben; zumal nicht für Eine, welcher eine anständige Versorgung an der Seite eines gar nicht unebenen Mannes allbereits gesichert ist. So hatte sie denn Kestner’s „interessanten“ Freund gerne, wie eben lebensfrohe, aber sittsame und kluge Mädchen die Freunde ihrer Hochzeiter gern zu haben pflegen – Punctum. Kestner wußte das und ließ daher die Beiden ruhig und unbefangen gewähren; auch dann, wann, wie doch mitunter geschah, der goethe’sche Sturm und Drang die von allen drei Betheiligten stillschweigend anerkannten Schranken freundschaftlicher Convenienz zu überspringen drohte. Man lebte bis in den Herbst gut und harmonisch mitsammen und trennte sich dann freundlich und friedsam, auf seiten des Dichters wie der beiden Verlobten überzeugt, eine für das Leben aushaltende Freundschaft geschlossen zu haben. Für Goethe scheint es freilich eine Nothwendigkeit geworden zu sein, von dem Umgange mit dem reizenden Mädchen sich loszureißen, um nicht tiefer verstrickt zu werden. Anfänglich hatte er nur eine zeitweilige Entfernung von Wetzlar im Auge, eine mit Merck im August verabredete Rheinfahrt; aber einmal fortgegangen, kehrte er nicht mehr zurück und er that wohl daran. Den Abend des 10. Septembers verbrachte Goethe noch im „Deutschen Hause“. Das Gespräch zwischen ihm, Kestner und Lotte wandte sich auf eines jener Probleme, über welche um so mehr geredet zu werden pflegt, je weniger man davon wissen kann, nämlich auf das „Jenseits“, und die Drei versprachen einander, was befreundete Menschen schon millionenmal einander versprochen haben und was noch nie gehalten worden ist, nämlich daß, wer von ihnen zuerst sterben würde, wiederkommen sollte, um den Ueberlebenden zu berichten, ob denn eigentlich etwas und was an dem Jenseits sei. Am folgenden Morgen verließ der Dichter Wetzlar für immer, ohne ausdrücklichen Abschied von Lotte genommen zu haben. Er mochte seiner Selbstbeherrschung nicht trauen.

Eine mehrtägige Wanderung führte den Flüchtling, wie wir ihn ja wohl nennen dürfen, über Braunfels, Weilburg und Ems nach Ehrenbreitstein, wo er mit Freund Merck zusammentreffen wollte, und im gastlichen Hause der La Roche daselbst konnte ihm einer der vielen bunten und grellen Contraste der Zeit handgreiflich klarwerden. Denn er traf ja da in der Person der Hausfrau die verkörperte Empfindsamkeit, das Sturmlied der Kraftgeniesucht zum Aeolsharfengesäusel gedämpft, und in der Person des Hausherrn die glatte, kalte, sarkastisch-scherzende Weltmännischkeit französischen Salonstils, deren Einwirkungen vordem Wieland in dem Kreise des Grafen Stadion, welchem Herr La Roche ebenfalls angehört, nachhaltig zu verspüren gehabt hatte. Er stieß im Hause auch wieder auf den unvermeidlichen Leuchsenring, den Anschmiegling und Thränendrüsendrücker, und konnte demselben etliche weitere Züge zu seinem Pater Brei abgewinnen. Was jedoch unserem Wanderer zweifelsohne erfreulicher, war die Wiederbegegnung mit der ältesten Tochter des Hauses, der Max, wie sie kurzweg hieß, mit ihren „schwärzesten Augen und einer Gesichtsfarbe, die nicht reiner und blühender gedacht werden konnte“. Diese max’schen Schwarzaugen verfehlten dann auch ihrer Wirkung auf unsern höchst empfänglichen Flatterer nicht. Viele Jahre später hat er die behagliche Erinnerung daran in die Worte gefaßt: „Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte verklungen ist. So sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den Mond aufgehen und erfreut sich an dem Doppelglanze der beiden Himmelslichter.“ Beizufügen ist aber, daß meines Erachtens die Frauen an solcher Vielseitigkeit eines Mannesherzens, an einer solchen gleichzeitigen Doppelfreude über eine absteigende Sonne und einen aufsteigenden Mond nicht eben sehr sich erbauen werden. Oder doch? Sollte es wahr sein, daß ein nicht gar zu schreiender Ruf der Don-Juanschaft kein Hinderniß, sondern eher ein Förderniß für Männer wäre, Frauengunst zu erlangen? Sollte die Sage, daß die Frauen darauf erpicht seien, Flatterherzen nachzujagen, mehr als Sage sein? Weiberkenner behaupten es. Ich sage aber wohlbedacht „Weiberkenner“, nicht „Frauenkenner“.

Merck, dem der süße Leuchsenring mit seiner ewigen Briefevorleserei höchlich zuwider sein mußte, trieb zum Aufbruch und in seiner und seiner Frau Gesellschaft fuhr der Dichter den Rhein aufwärts, die Schönheit der in vollster Herbstpracht prangenden Ufergelände in die durstige Seele trinkend. Und das war ein mächtiger und langnachwirkender Trunk. Denn ist nicht Rheinisches in Goethe’s Dichtung? Gemahnt sie uns nicht häufig an den Rhein, wie er von Mainz bis Bonn in ruhiger Majestät dahinströmt zwischen seinen schöngehügelten, rebengesegneten Ufern, malerische Felsbildungen, dunkelnde Waldkuppen, „Burgen mit hohen Mauern und Zinnen“, behäbige Dörfer und blühende Städte auf seinen Wassern spiegelnd?

Nach Frankfurt heimgekehrt, wurde unser Wolfgang erst recht gewahr, daß ihm Lotte doch viel gewesen war. Ein Gemüthszustand stellte sich ein, welcher mit dem nach der Rückkehr von Straßburg quälend eingetretenen große Aehnlichkeit hatte. In den Briefen, welche er damals an Kestner und dessen Braut schrieb, wurde der Ton um so leidenschaftlicher, je mehr der Hochzeitstag der Beiden sich näherte. Einmal brach die Leidenschaftlichkeit des Dichters im vollen Bibelstilpathos hervor: – „Ich wandle in der Wüste, da kein Wasser ist; mein Haar ist mein Schatten und mein Blut mein Brunnen“. Eine zu Anfang Novembers aus Wetzlar herübergekommene Botschaft steigerte den Sturm in der Brust des jungen Mannes. Dort hatte sich nämlich am 29. Oktober einer der wetzlarer Genossen Goethe’s, Karl Wilhelm Jerusalem aus Braunschweig, aus Verzweiflung, von der Frau eines Freundes, in die er verliebt war, schroff zurückgewiesen worden zu sein, erschossen, mit einem von dem Gatten seiner Geliebten entlehnten Pistol. „Auf einmal“ – erzählt uns der Dichter in seiner Selbstbiographie – „erfahre ich die Nachricht von Jerusalem’s Tode und in diesem Augenblicke war der Plan zum ‚Werther‘ gefunden. Das Ganze schoß von allen Seiten zusammen und ward eine solide Masse, wie das Wasser im Gefäß, das eben auf dem Punkte des Gefrierens steht, durch die geringste Erschütterung sogleich in festes Eis verwandelt wird.“ In Wahrheit, der Plan zu dem berühmten Roman mochte so gefunden sein, mit der Ausführung hatte es aber noch Weile. Die Unruhe Wolfgang’s mußte erst noch zunehmen, bis er sich raschweg entschloß, von all der Pein dichtend sich zu befreien. Beim Jahreswechsel von 1773 verheirathete sich die Max La Roche mit dem Handelsherrn Brentano in Frankfurt, und wenn der Dichter dieses Ereigniß zuerst jubelnd begrüßt hatte, wenn er dann sich bemühte, sein Verhältniß zu der schönen jungen Frau als ein geschwisterliches anzusehen, so mußte er doch bald erkennen, daß man sich so etwas zwar leicht einbilden kann, daß es aber schwer, die Einbildung in die Länge festzuhalten und durchzuführen. Ganz eigenthümlich schmerzlich mußte ihm auch der Auftrag, für Kestner’s und Lotte’s Vermählung, welche am 4. April stattfand, in Frankfurt die Trauringe einzukaufen, an das Herz greifen. Persönliche Motive zu der Stimmung, aus welcher heraus der Werther geschaffen wurde, waren demnach hinlänglich viele vorhanden und insofern hatte Goethe ganz recht, am 2. Januar von 1824 zu Eckermann zu sagen: „Ich hätte kaum nöthig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trübsinn aus allgemeinen Einflüssen meiner Zeit herzuleiten. Es waren vielmehr individuelle, naheliegende Verhältnisse, die mir auf die Nägel brannten, mir zu schaffen machten und mich in jenen Gemüthszustand brachten, aus dem der Werther hervorging. Ich hatte gelebt, geliebt und sehr viel gelitten! Das war es.“ Gewiß, und Menschenleben und [356] Menschenleid sind auch im Wesen zu allen Zeiten dieselben. Aber die Formen, in welchen die herbsten Bedrängnisse und tiefsten Schmerzen der Menschenkinder zur Erscheinung, zur dichterischen Ausprägung kommen, sind doch je nach den Zeiten sehr verschieden. Der Werther trägt daher ebensosehr das Gepräge der goethe’schen Individualität, wie diese damals war, als die Signatur jener Epoche, welche ich, um all’ ihre Aufgespanntheit, Gefühlsschwelgerei, Rührsäligkeit, Mondsüchtelei und Thränenverschwendung in ein Wort zusammenzufassen, kurzweg die ossianische nennen möchte. Nach dem Erscheinen von Goethe’s Roman konnte, mußte sie für uns Deutsche allerdings mit Fug und Recht die Wertherzeit heißen.

In unserem Dichter wertherte es das ganze Jahr 1773 hindurch so heftig, daß seinem eigenen Geständniß zufolge der Selbstmordsgedanke in ihm aufsprang und er zu wiederholtenmalen die Schneide eines in seinem Besitze befindlichen kostbaren Dolches nachdenklich mit der Hand prüfte. Glücklicherweise legte er das Selbstmordsinstrument – es war doch wohl nicht schneidig genug – beiseite, ergriff statt desselben die Feder und schrieb, nachdem er sich von allem Umgang abgeschlossen, nach „langen und vielen geheimen Vorbereitungen“ binnen vier Wochen (im Februar und März von 1774) „Werther’s Leiden“, welcher Hervorbringung, sagt er, „ich alle die Glut einhauchte, die keine Unterscheidung zwischen dem Dichterischen und dem Wirklichen zuläßt.“ Im September war der Roman gedruckt im Publikum und der Werthersturm entfesselt. Denn einen wahren Sturm wühlte das wundersame Büchlein in der deutschen, in der europäischen Lesewelt auf, wie, was die Einzelnheiten angeht, in dem Buche „Werther und seine Zeit“ von J. W. Appel (1855) nachgelesen werden mag.

„Werther’s Leiden“ sind und bleiben eine jener epochemachenden Dichtungen, welche als von der Zeit unverrückbare und unzerstörbare Marksteine die Vorschrittstadien der Weltcultur bezeichnen. Sie sind eins jener Bücher, deren Inhalt so sehr ein Bildungsgemeingut geworden, daß ihre bloße Nennung ausreicht, jedem wirklich gebildeten Menschen den Culturcharakter ihrer Entstehungszeit in’s Gedächtniß zu rufen. Die Genesis derartiger Werke, welche man wohl auch Generalbeichten der Gesellschaft nennen könnte, ist diese: – Eine bestimmte Periode treibt die Summe ihres Schauens und Fühlens auf die Spitze. Dann geht der überlegene Genius, welcher in einem ihrer Söhne waltet, her, faßt mit souveräner Hand die chaotisch wogenden Zeitgedanken zusammen und formt aus solchem Zeitlichen ein ewiges Kunstwerk. Kaum ist dann so ein unvergänglich Monument vor die staunenden Augen der Zeitgenossen hingestellt, so eilen die „minderen Geister“, es nachzupfuschen. Wie ist nicht auch der Werther nachgepfuscht worden! Am breitesten durch den guten Miller in seinem „Siegwart“, welcher 1776 erschien und zu jenem sich verhält, wie etwa zu einer vollendet schönen Trauerweide eine vom Zuckerbäcker in Marzipan nachgeknetete … Goethe’s Roman ist die künstlerische Combination der wetzlarer Herzenserlebnisse seines Verfassers mit der Katastrophe des jungen Jerusalem. Gewiß ließ der Dichter es sich nicht träumen, daß er, mittels Schaffung seines Werkes von einem moralischen Krankheitstoff sich befreiend, ein europäisches Wertherfieber entzünden würde, welches die seltsamsten Phantasiestücke und Extravaganzen mit sich brachte. Mitunter auch ein hübsches Stück Komik, wie dieses, daß im Dorfe Garbenheim (Wahlheim im Werther) der Wirth in seinem Garten unter Eichen und Buchen einen Hügel aufschichtete und denselben reisenden Engländern und sonstigen Raritätenjägern als Werther’s Grab zeigte. Die Chinesen haben bekanntlich Werther und Lotte auf ihre Theetassen gemalt und Napoleon sagte Anno 1808 in Erfurt dem Dichter, er habe den Roman siebenmal gelesen, knüpfte auch an diese Mittheilung die bekannte scharfsinnige Kritik, die schwache Seite der Dichtung sei die Mischung der Motive des gekränkten Ehrgeizes mit denen der Liebesleidenschaft. Napoleon’s wiederholte und einläßliche Beschäftigung mit dem Werther ist ohne Frage ein culturgeschichtlich sehr schwerwiegendes Zeugniß für die gewaltige Wirkung des Gedichts. Sie brauchte nicht eine durchweg beifällige zu sein und war es auch nicht. Lessing schüttelte bei aller Anerkennung der Schönheiten des Romans doch bedenklich den Kopf zur Motivirung der Katastrophe, wie zu dieser selbst, und der gute, rüstige, vielverdiente Aufklärer Nikolai in Berlin, der für Poesie eigentlich gar kein Organ hatte, fand sich bemüssigt, den goethe’schen „Leiden des jungen Werther“, welche doch, abgesehen von ihrem hohen Kunstwerth, das große Verdienst hatten, die schleichende Sentimentalitätsepidemie einer akuten Krisis entgegengetrieben zu haben, seine platten und faden „Freuden des jungen Werther“ entgegenzusetzen, worin der Held sich nicht entleibt, sondern nur ein wenig besudelt, da ihm ein statt mit einer Kugel mit Hühnerblut geladenes Pistol in die Hände gespielt wird, und schließlich der ganze Jammer in Wohlgefallen sich auflös’t, indem Werther und Lotte in aller Form kopulirt werden. Leopold Wagner hat dann den Wertherfreudenverfasser sehr derb abgeführt mittels der Posse „Prometheus, Deukalion und seine Recensenten“, und so that auch Goethe selber epigrammatisch-bündig in seinen Knittelversen „Nikolai auf Werther’s Grab“, wo in der Manier niederländisch-naturwahrer Malerei unser Erzprosaiker von Aufklärer in einer unbeschreiblichen Stellung abkonterfeit wurde. Im übrigen erinnert die ganze um den goethe’schen Roman her wuchernde Literatur an das bekannte schiller’sche Wort: „Wenn die Könige bau’n, haben die Kärrner zu thun.“ … Daß der Werther, ästhetisch angesehen, ein Kunstwerk ersten Ranges, bedarf heutzutage keines Nachweises mehr. Unser Dichter offenbart sich darin von der ersten bis letzten Zeile als ein Darstellungskünstler höchster Mächtigkeit. In diesem geistvoll angelegten und mit echtester Inspiration, mit wundersam frisch erhaltener Stimmung durchgeführten Seelengemälde stört uns nicht ein schiefer Strich, nicht ein falscher Farbenton. Die Charakterzeichnung ist meisterlich und gibt sich namentlich kund in dem deutlichen Auseinanderhalten und scharfen Gegenüberstellen der drei Hauptfiguren Werther, Albert und Lotte. Die Handlung wird so psychologisch folgerichtig fortgeleitet, sie verläuft so naturgemäß, daß man sich am Schlusse sagen muß: Es mußte alles so kommen, wie es kam. Da ist überall elementare Poesie, scheinbar in unwillkürlichem Ergusse dahin schäumend, in Wahrheit aber durch die ordnende Künstlerhand gelenkt und geleitet. Von der Anschaulichkeit der Lokalzeichnung, von der Durchgeistigung des Naturlebens, von der Beseelung der Landschaftsschilderung sprechen, hieße nur sagen, was jedermann fühlt, wer den Werther lies’t. Auch die bezaubernde Stilfrische, die süße Musik und leidenschaftliche Macht der Sprache des Romans zu preisen, ist überflüssig. Es genügt, zu sagen, daß nur selten, sehr selten das Idiom einer Nation einen solchen Triumph erlangte, wie ihn das der deutschen im Werther feierte und zu feiern fortfährt.

Zwei Menschen jedoch gab es, welche durch das Erscheinen der goethe’schen Dichtung, durch das beispiellose Aufsehen, welches dieselbe erregte, und durch alle die mannigfaltigen, theilweise höchst wunderlichen Erörterungen, welche daran sich knüpften, peinlich, sehr peinlich berührt werden mußten: Kestner und seine Frau. Ob freilich die letztere durch die ihr gewordene Verherrlichung in der Tiefe ihrer Seele nicht weit mehr beseligt als verletzt sein mochte, wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls glaubte Kestner Ursache zu haben, über die ihm zugetheilte Albertsrolle ein deutliches Gebrumme vernehmen zu lassen. Der Beschwichtigungsbrief, welchen der Dichter hierauf an das junge Ehepaar richtete, ist ganz herrlich, ist den glühendsten Ausströmungen im Werther gleichzustellen. „Oh, ihr theuren Menschen“ – in diesen Ausruf faßte Goethe zusammen, was er den Freunden inbetreff ihrer Bedenken über den Werther und dessen Schöpfer sagen wollte – „ahnt ihr denn so gar nicht, wie der Mensch euch lieben muß, dessen Leiden euch schon in dem bloßen Abbilde schaudern macht?“ Eine solche Beschwörung verfehlte ihres Eindruckes nicht: das Verständniß zwischen dem Dichter und dem jungen Paare stellte sich völlig wieder her und der freundschaftliche Briefwechsel ging fort. Vom Jahre 1776 an wurde er spärlicher, nach Kestner’s im Mai von 1800 erfolgtem Tode hörte er ganz auf. Es war jetzt über die Wertherei hinlänglich viel Gras gewachsen. Vierundvierzig Jahre nach ihrem Auseinandergehen in Wetzlar haben sich dann Goethe-Werther und Lotte noch einmal gesehen. Im Oktober von 1816 trat in Weimar, wohin sie eine verheirathete Schwester zu besuchen gekommen war, die nahezu vierundsechzigjährige Frau Hofräthin Kestner zu dem siebenundsiebzigjährigen Dichterkaiser ins Zimmer. Er empfing die Jugendgeliebte etwas umständlich [357] und gravitätisch, wie das die Art seines Alters war, aber doch, mit herzlicher Freundlichkeit. Lotte hatte sich gut erhalten: ihre Gestalt, ihre Augen, ihre Wangen waren sogar noch immer schön; aber – sie wackelte mit dem Kopfe. Als sie gegangen, mochte der alte Olympier, wie stark zu vermuthen steht, in seiner damals schon häufig weit ins Chinesische sich hineinschnörkelnden Ausdrucksweise sich sagen: „Noch immer etwas, manches sogar von der Lotte von ehedem; aber der Wackelkopf! Und um sie bin ich verzweifelnd in der Werthertracht herumgelaufen? Hm, hm – wunderlichst, unbegreiflichst, incommensurabelst!“ Und doch ist die Wertherstimmung ihm später noch einmal nahegetreten. Zur Zeit nämlich, als die junge Ulrike von Lewezow in Marienbad das Herz des vierundsiebzigjährigen Dichtergreises mit Jugendglut erfüllt hatte. Der Buchhändler Weygand in Leipzig, der ursprüngliche Verleger des Werther, wollte zum Herbste von 1824, wo gerade fünfzig Jahre seit dem Erscheinen des Romans verflossen waren, eine Jubelausgabe desselben veranstalten und bat den Verfasser um ein einleitendes Gedicht. Goethe entsprach dem Wunsche und schrieb die wertherisch-schmerzliche Betrachtung nieder, welche er später als erstes Stück der „Trilogie der Leidenschaft“ in seine Werke aufnahm und die mit den tiefgefühlten Zeilen anhebt:

„Noch einmal wagst du, vielbeweinter Schatten,
Hervor dich an das Tageslicht.
Begegnest mir auf neubeblümten Matten
Und meinen Anblick scheust du nicht.
Es ist, als ob du lebtest in der Frühe,
Wo uns der Thau auf einem Feld erquickt
Und nach des Tages unwillkommner Mühe
Der Scheidesonne letzter Stral entzückt:
Zum Weilen ich, zum Scheiden du erkoren,
Gingst du voran und – hast nicht viel verloren!“




Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Aber noch ehe er oder die Anderen diesen Entschluß ausführen konnten, wurde drunten rasch und heftig das Zeichen zum Heraufziehen gegeben. Die Obenstehenden athmeten auf und traten näher an die Oeffnung heran, in der auch nach kurzem Harren die Förderschale erschien. Ulrich stand in derselben, das Antlitz entstellt und geschwärzt vom Schweiß und Staub der furchtbaren Arbeit in den Schachten, die Kleidung zerfetzt, zerrissen, bedeckt mit Erde und Steintrümmern, während ihm von Stirn und Schläfen das Blut niederrieselte. Wie bei der Einfahrt hielt er den jungen Chef umfaßt, aber diesmal stützte er nicht blos einen Wankenden; Arthur’s Haupt lag todtenbleich mit geschlossenen Augen auf seiner Schulter, und seine Gestalt hing unbeweglich und leblos in den Armen, welche sie mit Anstrengung aller Kräfte aufrecht erhielten.

Ein Ruf des Schreckens tönte von allen Seiten. Man wartete kaum, bis die Maschine still stand. Mehr als zwanzig Arme streckten sich aus, den Besinnungslosen in Empfang zu nehmen und ihn zu seiner Gattin zu tragen, die, gleich all’ den Uebrigen, während der ganzen Zeit nicht von der Stätte des Unglücks gewichen war. Alles umdrängte die Beiden. Man rief nach Hülfe, nach dem Arzte, und Niemand achtete in der allgemeinen Verwirrung auf Ulrich, der es seltsam still und willenlos hatte geschehen lassen, daß man die Last aus seinen Armen nahm. Er sprang nicht mit seinen gewohnten raschen und energischen Bewegungen aus der Förderschale; langsam, mühsam stieg er aus und mußte sich zweimal an den Ketten festhalten, um nicht umzusinken. Er gab auch jetzt noch keinen Laut von sich, aber die Zähne des jungen Bergmanns waren wie in wüthendem Schmerze aufeinander gebissen, und das Blut strömte stärker, wenn man auch unter der dicken Staubschicht nicht sehen konnte, daß sein Gesicht an Leichenblässe dem des jungen Chefs nichts nachgab. Er ging schwankend noch einige Schritte vorwärts, bis in die Nähe der Gruppe, die sich um Arthur drängte, dann hielt er plötzlich inne und umfaßte krampfhaft mit beiden Armen einen der beiden Pfeiler des Gebäudes, um sich daran aufrecht zu erhalten.

„Beruhigen Sie sich, gnädige Frau! Es ist ja nur eine Ohnmacht,“ tröstete der Arzt, der, bei den Verunglückten beschäftigt, sofort hergeeilt war. „Ich finde nicht die geringste Verletzung an dem Herrn; er wird sich erholen.“

Eugenie hörte nicht auf den Trost; sie sah nur das bleiche Antlitz mit den geschlossenen Augen, nur die hingestreckte Gestalt, die kein Lebenszeichen von sich gab. Es hatte eine Zeit gegeben, wo die junge Frau als Neuvermählte, wenige Stunden nach ihrer Trauung, als eine fremde Hand sie der Gefahr entriß und sie noch in Ungewißheit über das Schicksal ihres Gatten schwebte, mit kühler Besonnenheit und Ruhe zu ihrem Retter gesagt hatte: „Sehen Sie nach Herrn Berkow!“ Was Kälte und Verachtung damals gesündigt, das freilich war mehr als gesühnt durch die Qual dieser letzten Stunden, in denen sie erfahren hatte, was es heißt, für das Geliebte zu zittern, ohne ihm helfen zu können, ohne ihm auch nur nahe zu sein. Jetzt sandte und ließ sie keinen Anderen an seine Seite; jetzt lag sie auf den Knieen neben ihm und rief wie jede andere Frau in Todesangst den Namen ihres Mannes:

„Arthur!“

Es war ein Schrei der leidenschaftlichsten Liebe, der vollsten Verzweiflung, und bei diesem Aufschrei ging ein leises schmerzliches Zucken durch die Gestalt des jungen Bergmannes, der noch immer am Pfeiler lehnte, und der sich aufrichtete bei diesem Ton. Noch einmal wandten sich die finsteren blauen Augen hinüber zu den Beiden, aber es lag nichts mehr von dem alten Trotz und Haß darin, nur ein stummes tiefes Weh; dann umschleierte sich der Blick; die Hand hob sich, nicht nach der blutenden Stirn, sondern nach der Brust, wo doch keine Verletzung war, aber sie preßte sich so fest darauf, als wühle dort der schlimmere Schmerz, und in demselben Augenblicke, wo Arthur in den Armen seines Weibes das Auge aufschlug, stürzte Ulrich hinter ihnen zusammen. – – –

Obgleich jetzt auch die Letzten dem Schachte entstiegen waren, blieb es doch seltsam still und bang in der versammelten Menge. Kein Jubel, keine Freudenbezeigungen gaben sich kund; der Anblick der Geretteten verbot sie. Man wußte ja noch nicht, wer von ihnen wirklich dem Leben erhalten blieb, und ob der Tod nicht noch die ihm mühsam entrissenen Opfer zurückverlangte. Der junge Chef hatte sich schneller von seiner Ohnmacht erholt, als man geglaubt. Es war in der That ein Nachsturz des schwer erschütterten Erdreiches gewesen, der ihn und seinen Gefährten noch im letzten Augenblick getroffen, aber wunderbarer Weise hatte Arthur nicht die geringste Verletzung davon getragen; er stand bereits wieder aufrecht, wenn auch noch matt und bleich, auf den Arm seiner Gattin gestützt, und bemühte sich, seine Erinnerungen zu sammeln, um Eugeniens angstvolle Fragen zu beantworten.

„Wir befanden uns bereits am Ausgange des Schachtes. Hartmann war einige Schritte vorauf und somit schon in Sicherheit; da muß er irgend ein Anzeichen der Gefahr bemerkt haben. Ich sah ihn plötzlich zu mir zurückstürzen und meinen Arm ergreifen, aber es war zu spät; schon wankte Alles um und über uns. Ich fühlte nur noch, wie er mich zu Boden riß und sich über mich warf, fühlte, wie er mich mit seinem eigenen Körper gegen die herabstürzenden Trümmer deckte – dann vergingen mir die Sinne.“

Eugenie gab keine Antwort; sie hatte die Nähe dieses Mannes so unendlich gefürchtet, hatte so namenlos gezittert, als sie hörte, daß Arthur in seiner Begleitung das Wagniß unternommen, und jetzt dankte sie es dieser Nähe allein, daß sie den Gatten lebend und gerettet in ihren Armen hielt.

Der Oberingenieur näherte sich den Beiden. Sein Gesicht war sehr ernst, und auch seine Stimme hatte einen tiefernsten Klang, als er sagte: „Der Arzt meint, sie würden Alle gerettet werden, nur der eine, der Hartmann nicht – bei dem ist jede Hülfe umsonst! Was er heute da unten in den Schachten geleistet, das war zu viel, selbst für seine Riesennatur, und die [358] Wunde hat dann noch das Uebrige gethan. Wie er es möglich gemacht hat, trotz dieser schweren Verwundung sich und Sie, Herr Berkow, aus den Trümmern emporzuarbeiten, Sie in die Förderschale zu heben und festzuhalten, bis Sie in Sicherheit waren, das ist fast nicht zu begreifen, und war eben auch nur ihm möglich. Er hat es gethan, aber er wird es auch mit dem Leben bezahlen!“

Arthur sah seine Gattin an; ihre Blicke begegneten und verstanden sich. Er raffte sich trotz seiner Erschöpfung empor und die Hand Eugeniens ergreifend, zog er sie fort nach dem Platze, wo den Verunglückten die erste, reichlich gebotene Hülfe zu Theil ward. Nur einen, den letzten, hatte man abseits getragen. Ulrich lag auf dem Boden ausgestreckt; sein Vater war noch nicht wieder zur Besinnung zurückgekehrt und wußte nichts von dem Schicksal des Sohnes, aber dieser war deshalb nicht allein oder nur von fremder Hülfe umgeben; an seiner Seite kniete ein junges Mädchen, das den Kopf des Sterbenden in ihren Armen hielt und mit dem Ausdruck herzzerreißender Angst in seine Züge blickte, ohne auf ihren Bräutigam zu achten, der an der andern Seite stand und die erkaltende Hand des Freundes gefaßt hatte. Ulrich sah beide nicht, wußte vielleicht gar nicht mehr, daß sie bei ihm waren; sein Auge war groß und starr auf den flammenden Abendhimmel, auf die sinkende Sonne gerichtet, als wolle es noch einen Strahl des ewigen Lichtes einsaugen und mit hinübernehmen in die lange düstere Nacht.

Arthur hatte eine halblaute Frage an den gleichfalls anwesenden Arzt gerichtet; dieser antwortete mit einem stummen Achselzucken – der junge Chef wußte genug. Die Hand seiner Gattin loslassend, flüsterte er ihr einige Worte in’s Ohr und trat dann zurück, während Eugenie sich zu Ulrich niederbeugte und seinen Namen nannte.

Da flammte es noch einmal mitten durch den Nebel des Todes mächtig auf; die ganze Gluth und Leidenschaft des Lebens drängte sich für einen Moment nochmals zusammen in diesem Blick, den er mit dem Ausdruck des vollsten Bewußtseins auf die junge Frau richtete, deren Lippen jetzt eine bange leise Frage aussprachen:

„Hartmann! Sind Sie schwer verwundet?“

Das Weh von vorhin zuckte wieder über sein Antlitz; die Stimme klang dumpf, gebrochen, aber ruhig. „Was fragen Sie nach mir? Sie haben ihn ja wieder. Was brauche ich da noch zu leben! – Ich hab’s Ihnen ja vorher gesagt: Er oder ich! Ich meinte es freilich anders, aber das war’s doch, was mir durch den Kopf fuhr, als die Wand stürzte. Da dachte ich an Sie und Ihren Jammer, und dachte daran, daß er mir da oben die Hand gereicht hatte, als sonst Niemand sie wollte, und da – da warf ich mich über ihn!“

Er sank zurück; der aufflammende Funke erlosch schnell in der Anstrengung des Sprechens, aber dieses wilde glühende Leben verblutete sich im Tode ruhig, ohne Kampf und Qual. Der Mann, dessen ganzes Dasein nur Haß und Kampf war gegen die, die das Schicksal über ihn gestellt, er hatte in der Rettung des Gehaßten sein Ende gefunden. Die Ahnung war zur Wahrheit geworden, die das Wasser ihm gestern zurauschte; es hatte aus der Tiefe der Schachte hervor dem Opfer den Todesgruß gebracht. Er brauchte nicht mehr über dieses „morgen“ hinauszublicken, das sich so dicht vor ihm verschleierte; es war Alles zu Ende für ihn mit diesem „morgen“ – Alles!

Drüben von der Landstraße her tönte der tactmäßige Schritt einer vorrückenden Menge, tönten Commandoworte und Waffenklirren; die aus der Stadt erbetene und erwartete Hülfe gegen den Aufruhr war eingetroffen. Schon beim Betreten der Colonie hatte der befehlshabende Officier erfahren, was hier geschehen war; er ließ seine Leute drüben auf der Chaussee Halt machen und kam, nur von einigen begleitet, hinüber auf den Schauplatz des Unglücks, wo er den Chef zu sprechen verlangte. Arthur trat ihm entgegen.

„Ich danke Ihnen, mein Herr,“ sagte er mit ruhigem Ernste. „Aber Sie kommen zu spät; ich bedarf Ihrer Hülfe nicht gegen meine Leute. In einem gemeinsamen zehnstündigen Kampfe um das Leben der Unsrigen haben wir Frieden miteinander gemacht – hoffentlich für immer!“




Wieder war es Sommer geworden; wieder lag Sonnenschein und Sommerpracht auf den Waldbergen und Thälern und über der Berkow’schen Colonie, wo sich das Leben so rührig und rüstig regte, wie nur je vorher, aber freier, freudiger war es geworden. Es wehte jetzt wie ein Athem von Freiheit und Glück durch diese Werke, die an Großartigkeit nichts eingebüßt hatten, wo sie doch Alles gewannen, was ihnen einst fehlte. Freilich war das nicht in Wochen und Monaten geschehen; es hatte Jahre dazu gebraucht, und sie waren nicht leicht gewesen, diese Jahre, die der Katastrophe folgten. Damals, als die Arbeit auf den Werken wieder aufgenommen wurde, lag noch eine schwere Last auf den Schultern des jungen Chefs, der zwar Frieden gemacht hatte mit seinen Leuten, aber auch beinahe am Ruine stand. Jene Zeit der Gefahr, wo es sich darum handelte, mit persönlichem Muthe und persönlicher Aufopferung den Excessen einer rebellischen Menge gegenüberzutreten, war vorüber; aber nun kam das Andere, Schwerere, die Zeit der Sorge, der steten mühseligen Arbeit, des oft verzweiflungsvollen Ringens mit der Macht der Verhältnisse, die Arthur fast zu Boden drückten. Doch er hatte in dem ersten Kampfe seine Kräfte kennen und erproben gelernt; er wußte sie in dem zweiten zu gebrauchen. Länger als ein Jahr war es zweifelhaft gewesen, ob die Werke überhaupt ihrer Bestimmung und ihrem Besitzer erhalten blieben, und auch nachdem diese erste, gefährlichste Krisis überstanden war, gab es noch immer genug der Gefahren und Verluste, denen man die Stirn bieten mußte. Schon während der letzten Lebenszeit des alten Berkow hatten gewagte Speculationen, maßlose Verschwendung und vor Allem das gewissenlose, nur auf den augenblicklichen Gewinn berechnete System der Unternehmungen, dessen verhängnißvolle Folgen doch schließlich auf den Unternehmer zurückfielen, die Stellung und das Vermögen desselben schwer erschüttert. Der Stillstand der Werke, die fast einen Monat lang feierten, das Unglück in den Schachten, zu deren Herstellung die bedeutendsten Mittel nöthig waren, drohten das schon halb Verlorene vollends zu vernichten. Mehr als einmal schien es unmöglich, die Werke zu behaupten; mehr als einmal schienen die Wunden, welche die Vergangenheit und vor Allem der letzte Streit ihnen geschlagen, unheilbar zu sein; aber der so spät erwachte Charakter Arthur’s stählte und entwickelte sich vollends in dieser Schule ununterbrochener angestrengter Thätigkeit.

Es wankte Alles und drohte zusammenzustürzen, als der junge Chef vor Jahren an die schwere Aufgabe gegangen war, aus einem wahren Chaos von Geschäften, Verpflichtungen und Anforderungen, die er vor allen Dingen zu bewältigen hatte, eine neue Ordnung der Dinge zu gestalten; aber er hatte Vertrauen auf sich selbst gelernt; er hatte sein Weib zur Seite, und es galt, für Eugenien und für sich selber die Zukunft und das Lebensglück zu erringen. Das war es, was ihm Muth gab, wo vielleicht jeder Andere muthlos und verzweifelt zurückgewichen wäre; das war es, was ihn aufrecht erhielt, wenn die Aufgabe doch bisweilen über seine Kräfte ging, das war es, was ihm endlich den Sieg zuwandte. Jetzt waren die letzten Nachwehen jener Katastrophe überwunden und das alte Glück zurückgezwungen zu all den Unternehmungen, die sich an den Namen Berkow knüpften; aber dieser Name hatte abgestreift, was ihm einst Schlimmes anhaftete; er stand jetzt rein und ehrenvoll da vor aller Welt. Die Werke mit ihrer riesigen Ausdehnung und ihrem großartigen Betriebe waren fester und sicherer gegründet, als je zuvor, und mit ihnen war es auch der Reichthum des Besitzers. Dieser Reichthum, der dem jungen verwöhnten Erben einst so verderblich zu werden drohte und zum Theil schon geworden war, weil das Glück ihn mühelos zu seinen Füßen niedergelegt hatte, auf den er eben deshalb mit so verächtlicher Gleichgültigkeit herabblickte, jetzt, wo er ihn in jahrelangem Kampfe zurückerobern mußte, wo er in seiner Hand zum Segen für so Viele wurde, jetzt war er ihm auch werth geworden.

Es war gegen Mittag, als der Director und der Oberingenieur, von den Werken kommend, nach ihren Wohnungen gingen. Die Beiden waren wohl älter geworden im Laufe der Jahre, verändert hatten sie sich nicht. Der Eine hatte seine Gutmüthigkeit und der Andere seine Malice behalten, die gerade jetzt wieder aus seiner Stimme klang, als er das vorhin angefangene Gespräch fortsetzte:

„Der Herr Baron von Windeg haben sich schon wieder [359] durch den ältesten Sohn anmelden lassen. Es scheint, man prahlt jetzt einigermaßen mit einer Verwandtschaft, zu der man anfangs nur mit Widerwillen herabzusteigen geruhte. Seit unserem Betriebe und unseren Einrichtungen von Seiten der Regierung eine so außerordentlich schmeichelhafte Aufmerksamkeit zu Theil wird und man sich sogar höheren Orts dafür interessirt, sind die Werke ‚courfähig‘ geworden in den Augen des alten Aristokraten. Sein Schwiegersohn freilich war es schon längst, und ich dächte, der könnte sich auch jetzt mindestens in eine Reihe stellen mit den Windegs. Die ganze Rabenauer Majoratsherrlichkeit reicht nicht zur Hälfte an die Berkow’schen Besitzungen und den Einfluß ihres Chefs. Der Baron sieht nachgerade ein, daß er mit seinen Gütern sich in der Menge der anderen verliert, während wir eine Macht in der Provinz geworden sind, der Niemand die Anerkennung mehr versagt.“

„Es wird bei uns aber auch mehr geleistet als anderswo,“ sagte der Director. „Sie studiren jetzt überall herum an unseren Einrichtungen und Verbesserungen; nachgemacht hat es uns freilich noch Keiner.“

„Ja wohl, und wenn das so fortgeht, werden wir wohl bald bei der ‚philanthropischen Musteranstalt‘ angelangt sein, gegen die der selige Herr Berkow einst so entrüstet protestirte. Nun, Gott sei Dank!“ – der Oberingenieur hob mit großem Selbstgefühl den Kopf – „wir können’s ja jetzt! Uns kommt es ja jetzt gar nicht mehr darauf an, Summen, die Andere ängstlich in die Tasche stecken müssen, auf unsere Leute zu wenden, und die Summen sind nicht klein. Und doch ist es noch nicht allzulange her, wo wir nicht um Vermögen oder Einfluß, sondern allein um die Existenz der Werke kämpften, und nicht einmal die gerettet hätten, wären uns nicht gerade in der entscheidenden Krisis ein paar Glücksfälle zu Hülfe gekommen.“

„Und hätten sich unsere Leute nicht so ausgezeichnet benommen,“ setzte der Director ernst hinzu. „Es war keine Kleinigkeit für sie, ruhig zu bleiben, während die Wühlereien und Hetzereien in der ganzen Umgegend nicht aufhören wollten. Das Unglück in den Schachten hat Geldopfer genug gekostet, gerade damals, wo uns noch jedes Tausend schwer wurde, aber ich glaube, der Herr hat es nicht zu theuer bezahlt mit Dem, was er dabei an seinen Leuten gewann. Die Stunden der Angst und Gefahr, die er da unten mit ihnen getheilt, um ihre Cameraden zu retten, die vergißt ihm noch heute Keiner und wird ihm auch Keiner vergessen; so etwas kittet zusammen für die ganze Lebenszeit. Seit dem Tage haben sie ihm getraut, als er ihnen sein Wort gab, Alles wieder gut zu machen, wenn man ihm nur Zeit ließe, sich erst selbst Luft zu schaffen; sie haben redlich gewartet, und da ist es am Ende kein Wunder, wenn er jetzt mehr thut, als er verheißen hat.“

„Meinetwegen!“ sagte der College trocken. „Er kann sich jetzt immerhin einigen Luxus darin erlauben. Uebrigens ist es tröstlich zu sehen, daß man unter Umständen auch mit der Philanthropie glänzende Geschäfte macht, wie unsere Jahresabschlüsse beweisen. Sie sind weitaus bedeutender als unter dem früheren Regimente, dem man eine besondere Menschenliebe nun gerade nicht zum Vorwurf machen konnte, und doch wurde da herausgepreßt, was nur aus den Werken herauszupressen war.“

„Sie sind ein unverbesserlicher Spötter!“ zürnte der Director. „Sie wissen doch am besten, daß sich Herr Berkow nicht von solchen Rücksichten leiten läßt.“

„Nein, dazu ist er doch noch zu sehr Idealist!“ meinte der Oberingenieur, den Vorwurf sehr gleichmüthig hinnehmend. „Glücklicher Weise ist er es nicht mehr, als sich mit der Praxis verträgt, und er hat eine zu bittere Schule durchgemacht, um nicht zu wissen, daß die Praxis doch am Ende Grundlage und Hauptbedingung all’ solcher Bestrebungen bleiben muß. Ich meinestheils bin gar nicht für den Idealismus, das wissen Sie ja.“

Der Andere lächelte ein wenig boshaft. „Ja, das wissen wir Alle, aber sollte es sich nicht einigermaßen ändern, wenn ein so durchaus idealistisches Element wie unser Herr Wilberg in Ihre Familie eintritt? Das steht ja wohl nächstens bevor, Herr College?“

Der Director schien mit dieser Hindeutung dem Herrn Collegen einen kleinen Hieb versetzt zu haben, denn Jener verzog das Gesicht und fuhr ärgerlich auf.

„Reden Sie mir nicht auch noch davon! Ich höre es schon zu Hause genug. Das muß mir passiren, mir, der ich nichts so sehr verabscheue als Sentimentalität und Ueberspanntheit! Gerade mir hat das Schicksal einen Schwiegersohn aufgehoben, der Gedichte macht und Guitarre spielt! Der Mensch ist nicht wegzubringen mit seiner Bewerbung und seinem Geseufze, und Melanie will keine Vernunft annehmen. Aber ich habe noch nicht Ja gesagt, und es ist noch sehr die Frage, ob ich es thue.“


(Schluß folgt.)




Schloß Hohnstein in der sächsischen Schweiz.


Wie in der Familie, so giebt es auch in der Natur Aschenbrödel. Als solch ein armes, zurückgesetztes Wesen erscheint mir immer das alte romantische Schloß Hohnstein, das von steilem Felsen in die reichste Landschaft sieht, zu Füßen stille Wälder, anmuthige Thäler, kleine Gebirgswässer und wunderlich geformte Steinmassen, die sich, Geschiebe und Schichten bildend, in langen Ketten dahinziehen, oder losgelöst umherliegen, die Häupter geschmückt mit saftgrünem weichen Moos und dem graziösen Farrenkraut. Die Einsamkeit, die auf dem Ganzen ruht, theilt es mit all jenen Gegenden, die seitab von der Heerstraße liegen, und erhöht dadurch das Interesse des Touristen, der sein Ziel nicht in einer zerstreuungssüchtigen Menge sucht, sondern in einer Umgebung, die von jener noch möglichst unentweiht blieb.

Mit der Eisenbahn oder dem Dampfschiff erreichen wir Rathen, das unmittelbar an der Elbe liegt. Man blickt von dort auf den nahen Lilienstein, dessen großartige Umrisse das Vorurtheil arg beschämen, als müsse der sogenannten sächsischen Schweiz, gegenüber der wirklichen, durchaus der Stempel des Kleinlichen und Niedlichen aufgedrückt sein. Allerdings ist dieser Zuname wenig glücklich gewählt, und die alte Bezeichnung „Meißner Hochland“ oder „Elbgebirge“ wäre vorzuziehen, da sie weder zu Vergleichen noch Enttäuschungen herausfordert, namentlich bei Denen, die hier Gletscher oder Edelweiß suchen, und wohl am liebsten mit Gebirgsstock und Steigeisen kommen möchten. Ehe wir Rathen verlassen, sei noch auf dessen malerische Gebirgshäuschen aufmerksam gemacht, von denen viele wie Schwalbennester an der Thalwand kleben. Wegen der alljährlich eintretenden Elbüberschwemmungen haben sie nicht selten einen Rettungskahn, der zum Hausmöbel gehört.

Der schönste Weg nach Hohnstein führt durch den „Buttermilchgrund“ und ist bequem, jedoch für den Fremden nicht ohne Führer, in zwei Stunden zu erreichen. Auf der höchsten Spitze des Felsens liegt das von drei Seiten mit Abgründen umgebene Schloß, welches durch eine steinerne Brücke mit der Stadt zusammenhängt und sich in das alte und neue theilt. Sein Ursprung greift in die ältesten Zeiten der Geschichte Sachsens zurück. Böhmische Herren von Cluhmen, Clomen oder Lohmen waren angeblich die ältesten Besitzer der Pflege von Hohenstein. Historisch gewiß ist, daß gegen 1330 die böhmischen Birken oder Berken von der Duba hier residirten, welche schon in Urkunden des zwölften Jahrhunderts vorkommen. Lateinisch wurden sie „Barones de quercu“ genannt, weil Duba soviel als Eiche heißen soll, weshalb sie auch in ihrem Wappen zwei kreuzweis übereinandergelegte schwarze Eichenäste mit fünf Zacken führten, wie noch über einem innern Thor des Schlosses zu sehen. Gleich den Burggrafen von Dohna trieben auch die Duba viel „Plackereien“, das heißt, sie pflegten neben andern ritterlichen Anmaßungen vorzüglich das Raubwesen, und hielten es mit den Hussiten, was den in Stolpen residirenden meißnischen Bischof, Johann den Vierten, derart empörte, daß nach unendlichen Kämpfen Hohnstein endlich unter meißnische Hoheit kam. Friedrich der Sanftmüthige nahm es 1444 ein, „damit die Fürsten zu Sachsen des Gebirgs vom Böhmerwalde besser mächtig werden könnten.“

[360]

FELSWAND bei RATHEN. ÖSTLICHER SCHLOSSTHEIL. LILIENSTEIN.
VOM BÄRENZWINGER GESEHEN. TOTALANSICHT von SCHLOSS HOHNSTEIN. SUDLICHER THEIL DES SCHLOSSES. HKönig deh
AUF DEM HOCKSTEIN. TEUFELSBRÜCKE UND WOLFSSCHLUCHT. HAUS MIT RETTUNGSKAHN. SICHT NACH DEM HOCKSTEIN.
Carl Stretter

[361] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [362] Nach dem Tode des Letzten von der Duba kam Hohnstein am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an Herzog Albrecht zu Sachsen, der es 1480 seinem Marschall Heinrich von Schleinitz schenke, dessen Söhne es einem von Schönburg überließen, bis es 1543 an Herzog Moritz von Sachsen fiel, seit welcher Zeit es beständig dem Kurhause gehörte. Im dreißigjährigen Kriege berannten es vergeblich die Kaiserlichen, wie die Schweden. Mehrmals wurde es vom Feuer, wenn auch nur theilweis, zerstört, zuletzt 1604 durch den Blitz, wobei der älteste Theil des Schlosses nebst allen Urkunden völlig zerstört wurde. Auf diesen Trümmern wurden in neuester Zeit eine Kirche im Anschluß an die Reste der alten, sowie ein großes dreistöckiges Gebäude nebst Aussichtsthurm aufgeführt, nachdem das ganze Schloß, bis 1860 Sitz eines Gerichtsamtes, 1858 für eine Männer-Corrections-Anstalt hergerichtet wurde, wodurch allerdings vielfache Umgestaltungen nöthig wurden, die leider manche alterthümliche Ueberreste verdrängten. Jedoch ist man hiebei mit möglichster Schonung verfahren, wie der noch ziemlich unversehrt gebliebene gothische Chor der früheren St. Annacapelle bezeugt. Der Zweck der Anstalt ist, die sittliche Besserung solcher Leute anzustreben, die sich durch die geordneten Polizeistrafen von ihrer unregelmäßigen Lebensweise nicht abbringen ließen, und dieser Zweck wird ebenso umsichtig als energisch und human verfolgt.

Hohnstein ward sonst, gleich dem Königstein, als Staatsgefängniß benutzt, woher sich noch das bekannte: „Wer da kommt nach dem Hohenstein, der kommt selten wieder heim“ im Volksmunde fortgepflanzt hat. So drohte zum Beispiel der Bürgermeister Rauscher in Leipzig dem bekannten Dr. Peucer, als er, des Kryptocalvinismus verdächtig, auf der Pleißenburg saß, man werde ihn, wenn er seinen Sinn nicht ändere, „nach Hohnstein führen und ihn da in einem unterirdischen Gefängnisse und finsteren Loche durch Gestank, Unflath und giftiges Gewürm elendiglich umkommen lassen.“ Ueberhaupt saßen hier mehrere in der Kirchengeschichte denkwürdige Gelehrte, wie der bekannte Gegner Luther’s, Hieronymus Emser, der berüchtigte Wittenberger Professor Joh. Mayor, und der in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges bekannte Dr. Craz. Auch verwahrte man hier viele Edelleute, darunter den bekannten Baron Klettenberg, dessen Gefängniß, ein finsteres feuchtes Loch, in dem der Gefangene bald den Scorbut bekam, nur für die schwersten Verbrecher bestimmt war. Zuletzt saß hier der Mörder Hahn, an dem (wenn wir nicht irren, 1770) die letzte Tortur vollzogen wurde.

Der von einer steilen Felswand hinter’m Schlosse und Mauerresten gebildete große Raum heißt jetzt noch der Bärenzwinger und ward als solcher 1609 feierlich eingeweiht. Fast hundertundfünfzig Jahre pflanzten sich hier Bären fort, wurden aber 1756 alle erschossen, da sie nicht selten die Mauern überkletterten und die Umgegend unsicher machten. (In diesem Bärenzwinger sehen wir auf unserem Mittelbilde, das vom gegenüberliegenden Felsen, dem „Großkäs“, aufgenommen ist, die ganze Breitseite des Schlosses mit dem neuesten und alten Theil. Das Gebäude in der gesonderten Abtheilung links, mit dem Thurm, das so kühn in die Luft hinausragt, hängt achtunddreißig Ellen über dem Loth.) Unter jenen Bären befand sich auch des Kurfürsten Friedrich August des Ersten bekannter Liebling, der zur Strafe hierher geschickt worden war, weil er sich thätlich an seinem fürstlichen Herrn vergriffen, der ihn geneckt hatte. Doch sollte Freund Petz nicht hier seine Tage beschließen, sondern im nahen Sedlitz bei einem Thiergefechte enden, wo er von einem Auerochsen an die Wand gespießt wurde, nachdem er noch vorher einem andern die Hörner nebst dem Hirnschädel abgerissen hatte. So berichten uns Merkel und Engelhardt.

Von Hohnstein nach Westen steht der gegen sechshundert Fuß hohe Hockstein mit seiner berühmten Wolfsschlucht und Teufelsbrücke. Durch eine fünf Fuß hohe und drei Fuß breite Höhle (Wolfsschlucht genannt) gelangt man auf die Oberfläche des Felsens, die über vierhundert Schritte im Umfang hat. Die Schlucht wird, je höher, desto enger. Das Licht fällt immer sparsamer ein, bis endlich ein von der Natur gebildetes Portal auf einen von drei Seiten mit Felsen umgebenen Platz führt, von welchem man noch ein ziemliches Stück steigen muß, ehe man den höchsten freien Gipfel des Hocksteins erreicht. Stufen, große Falze, Ueberreste eiserner Haken an der Spitze eines vorspringenden Felsenhorns lassen keinen Zweifel, daß der Hockstein einst bewohnt und befestigt war und mit dem nahen, nur durch das Polenzthal getrennten Hohnstein in Verbindung stand. Tief unten im Thale geht noch die alte malerische Mühle wie vor hundert Jahren, nur mit dem Unterschied, daß hier kein Lachsstechen mehr abgehalten wird, wie noch zu jener Zeit, als der Amtsfischpachter alle Jahre fünfzig Lachse in den Mühlgraben liefern mußte, wo man sie, wenn sie „abgestrichen“ hatten, entweder wieder fortließ oder mit großen vierzackigen Gabeln herausstach.

Der interessanteste Rückweg von Hohnstein, der nach der Festung Königstein oder direct nach Rathen führt, ist der „neue Weg“, noch immer so genannt, obwohl er bereits 1665 angelegt wurde. Nirgends sind die Felsen, umklammert von den Wurzeln himmelanstrebender Fichten und Tannen, so sonderbar gestaltet, nirgends treten sie so eng zusammen und scheinen über uns hereinzustürzen, wie hier. Endlich empfängt uns ein weites schönes Thal, aus dem, wieder bergaufsteigend zwischen Farren, Moosen und Haidekraut, ein vielfach gewundener Pfad, „Indianerpfad“ genannt, auf die jenseitigen Höhen führt, von denen wir unmittelbar den Heimweg antreten. In seiner ganzen Majestät steigt wieder der Lilienstein mit den ihn umgebenden ähnlich gestalteten Felsen vor uns auf, die wie riesige Wurzelstöcke aus der Erde ragen und sich mit ihren ernsten Formen wie Schattengeister von dem abendlichen Himmel abheben.
H. Kg.




Das alte Pfarrhaus in Pömmelte.[1]
Erinnerungen einer Pfarrtochter.


Es ist etwas Eigenes um Kindheitserinnerungen. Mögen sie noch so einfach sein, ein poetischer Duft ruht auf ihnen, den die prosaische Wirklichkeit nicht verwischen kann. So steht das alte baufällige Haus, von dem längst kein Stein mehr auf dem andern liegt, vor meinen Augen, verklärt durch die Erinnerungen aus den Tagen der Kindheit. Und wie sollte es auch nicht? Ist es doch dasselbe alte Pfarrhaus, in welchem meine Eltern zufrieden und glücklich gelebt haben, in welchem wir Geschwister, bis auf die Jüngste, geboren sind, das Haus, in welchem „Vater Uhlich“ achtzehn Jahre gelebt und gewirkt hat: das Pfarrhaus zu Pömmelte, einem preußischen Dorfe des Kreises Calbe in der Provinz Sachsen.

Sieben Hügel auf dem kleinen Dorfkirchhofe erzählen von dem Herzeleid, das meine Eltern betroffen, denn außer fünf Kindern in zartem Alter liegen meine lieben Großeltern Uhlich dort begraben, die ihren Lebensabend bei ihrem einzigen Kinde beschließen wollten. Dennoch barg das Pfarrhaus glückliche Menschen unter seinem Strohdache.

Ein absonderlich Bauwerk war es freilich, das alte Pfarrhaus. Seine Vorderseite, nach Norden gekehrt, wo des Dorfes Hauptstraße vorüberführte, der unschönen Kirche mit dem taubenschlagähnlichen Kirchthurme gegenüber, präsentirt sich wunderlich genug. Theils massiv, theils aus Lehmfachwerk erbaut, lehnt sich an den westlichen Giebel ein Anbau mit schiefem Ziegeldache. Die Fensterläden des Parterre sind hier ziegelrot, dort aschfarben angestrichen, sogar die Schornsteine sind, der eine mit Kalk beworfen, der andere die rothen Mauersteine zeigend, ein Abbild der Unregelmäßigkeit. Die Fenster selbst, wie verschieden! Hier [363] die Stellung eine regelrechte, dort Schwalbennestern gleich unter dem Dache, hier große helle Scheiben, dort vor Alter in allen Regenbogenfarben prangend. Und das ist des Hauses stattlichstes Bild! Die nach dem Hofe hingekehrte Südfronte ist ein wahres Chaos von Ursprünglichkeit und jüngerem Flickwerke mit schrägen Kammern und Fenstern aus unzähligen runden bleigefaßten Scheiben, an denen wir Geschwister, beiläufig bemerkt, Gelegenheit hatten, das Gesetz des Brennspiegels im verjüngtem Maßstabe zu studiren.

Aber, wie gesagt, glückliche Menschen barg das Pfarrhaus trotz seines lückenhaften Strohdaches, das der Sonne wie dem Regen freien Einzug gestattete. Vielleicht lebt der Herr Cantor P. noch, der einst, auf dem Heimwege nach seinem Dörfchen von einem heftigen Gewitter überrascht, ein willkommenes Nachtquartier bei uns fand. Ich glaube, der arme Mann hat in jener Nacht wenig geschlafen; wenigstens kam unsere Magd, der das Reinigen der Zimmer oblag, mit der überraschenden Kunde zurück: „Frau Pastern, da oben schwimmt Allens, un dat ganze Bedde is ok natt worrn.“

Das spitzige hohe Strohdach überragte zwei Böden; das hinderte aber keineswegs, daß bei heftigen Regengüssen auch im Erdgeschosse die Wasserspuren sichtbar wurden, zum höchsten Jubel für uns Kinder, denen das Tröpfeln von der Decke auf die Schulbücher, oder gelegentlich in die Suppenschüssel zu Mittag, nur eine lustige Unterbrechung des dörflichen Alltagslebens bot.

Einige der inneren Räume des alten Pfarrhauses stehen noch ganz besonders vor meiner Seele. Da ist eine große dreifenstrige Stube des oberen Geschosses, das eine Fenster, auf der Zeichnung nicht sichtbar, im östlichen Giebel, die beiden anderen, wie unser Bildchen zeigt, dicht unter dem Dache. Dies war der geräumigen Pfarre freundlichster Raum; darum hatten meine Eltern ihn als Wohnstube eingerichtet. Von hier aus gab es durch das Giebelfenster eine hübsche Aussicht nach dem Landstädtchen Barby, das eine kleine Stunde, und nach einer Windmühle, die eine Viertelstunde entfernt lag. Sie brannte in einer stillen Nacht ab, ein unverwischbares Schauerbild der Erinnerung.

Treuer noch als die Wohnstube haftet das darunter gelegene große Zimmer in meinem Gedächtniß.

In diesem Zimmer, also im Erdgeschoß, mit seinen zwei nach der Straße gehenden Fenstern, studirte mein Vater, hier gab er den Confirmandenunterricht, hier hielt er mit den verheiratheten Männern des Dorfes Abendversammlungen und übte mit Hülfe seines Cantors den jungen Burschen des Dorfes die schweren und weniger gangbaren Kirchenmelodien ein; hier fanden auch die von ihm selbst im Ausgange der dreißiger Jahre in’s Leben gerufenen Lehrerversammlungen statt.

Ich sagte eben: hier studirte mein Vater. Wollte er aber von allem Außenleben unberührt bleiben, dann zog er sich in ein kleines dahinter gelegenes Stübchen zurück, in dem ein unansehnliches fichtenes, einfach braun gebeiztes Stehpult, das noch aus seiner späteren Schulzeit stammte, seine sauber geschriebenen Schulhefte, seine studentischen Arbeiten nebst den niedergeschriebenen Predigten barg. In diesem Zimmer durften wir meinen Vater niemals stören; sämmtliche Hausbewohner kannten und respectirten denn auch dieses Gebot gewissenhaft.

Alles in Allem gerechnet war die Zeit unter dem moosigen Strohdache, für uns Geschwister wenigstens, die köstlichste unseres Lebens. Das Haus galt auch in Pömmelte für ein solches, unter dessen Dache sich angenehme Stunden verleben ließen. Darum sahen wir oft Gäste bei uns, die sich aus der Altersschwäche des Hauses nichts zu machen schienen. Man spöttelte über das lückenhafte Strohdach und saß wohlgemuth unter seinem Schutze. Desto mehr rühmte man unsern Keller, in dem sich die Milch so gut erhielt und in dem die Butter so köstlich frisch blieb. Von den Mäusen, die zuweilen in die Milch fielen, oder die sich in einem Brode eingenistet hatten, bekamen die Gäste nichts zu sehen.

Von Anbeginn seiner Amtsthätigkeit hatte mein Vater sich die persönliche Theilnahme am Schulunterricht vorbehalten; auch war es ihm Herzenssache, mit den Schullehrern der Umgegend in lebendigem Verkehr zu sein; daher rief er zu Ende der dreißiger Jahre die Schullehrerconferenzen in’s Leben, die in Pausen von halben Monaten Sonnabends bei uns stattfanden. Aus der stets wachsenden Theilnahme, der sich diese Conferenzen erfreuten, läßt sich am besten schließen, wie gern man kam. Bedenkt man die oft grundlosen Verbindungswege auf dem platten Lande in schlimmer Jahreszeit, die doch nicht vom Besuch der Versammlungen abschrecken konnten, so ist das gewiß ein Beweis von der Wichtigkeit, die von den Lehrern selbst diesen Zusammenkünften beigemessen wurde. Es versteht sich von selbst, daß mein Vater auch bedacht war, die Lehrer mit guter Lectüre zu versorgen, und gewiß giebt es heute noch manchen Schullehrer, der sich freudig seines früheren Zusammenwirkens mit Uhlich erinnert.[2]

In den Ausgang der dreißiger Jahre fällt die Gründung des „Gustav-Adolf-Vereins“. Mein Vater wurde Mitglied desselben, und das brachte viel Leben in unser Haus. Ueberall schloß man sich dem Vereine an; bald gehörten alle Freunde des Uhlich’schen Hauses dazu. Für die größeren Versammlungen, die bald hier, bald dort stattfanden, wählten die umliegenden Ortschaften meinen Vater als Deputirten. Die erste derartige Versammlung trat in Halle zusammen, dann folgte eine andere in Berlin, darauf in Göttingen etc. Viele bedeutende Männer, deren persönliche Bekanntschaft zu machen früher meinem Vater nicht vergönnt gewesen, verkehrten jetzt in unserm Hause. Auch der Briefwechsel wurde ein so lebhafter, daß die alte Botengängerin des Dorfes, von Alt und Jung „Annemarieke“ genannt, einmal meinte: „Wenn ick dat Alles lesen müßt, denn würr ick dumm in mienen Kopp!“

Die Regierung sah scheel zu dieser Bewegung, doch geschah nichts, sie zu unterdrücken. Aber das Jahr 1840 kam und mit ihm eine ernste Wendung der Dinge. War bisher das Leben in Pömmelte im Ganzen ein ruhig dahinfließendes gewesen, so sollten nun über das Strohdach des alten Pfarrhauses auch einmal Stürme hinbrausen, denn von jetzt an gewann es jene Bedeutung, die allein den Versuch rechtfertigen kann, die Blicke der Gartenlauben-Leser auf dasselbe hinzulenken.

Die Partei, die in Sachen der Kirche „Zurück“ als Losungswort ausrief, gewann die Oberhand. Von allen Kirchen des Landes klang Todesgeläut, denn Friedrich Wilhelm der Dritte hatte die Augen geschlossen. „Was wird nun werden?“ fragte man. Die Antwort ließ nicht lange warten. Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s des Vierten kam Eichhorn und das neue Kirchenregiment. Von nun an wurde der Pietismus maßgebend. Der Rationalismus wurde verdächtigt, angefeindet, gemaßregelt. Wer aber hätte ahnen können, daß das Erscheinen eines Bildes eine Brandfackel in die Gemüther zu schleudern vermöchte? Und doch geschah es. Das Bild hatte einen frommen Gegenstand zum Vorwurf. Eine betende Bauernfamilie, darunter eine blinde Mutter, liegt auf den Knieen vor einem Muttergottesbilde mit dem Jesusknaben. Also ein katholisches Bild? – Mit Nichten, lieber Leser. Ein Gedicht in der „Magdeburgischen Zeitung“ brachte die überraschende Erläuterung, daß das Anbeten des Jesusknaben auf den Mutterarmen auch nach evangelischer Auffassung wohlberechtigt sei, indem dieser, die zweite Person der Dreieinigkeit, hier die Vermittlerrolle gespielt, denn auf seine Fürbitte sei die Blinde genesen.

Sintenis, Prediger an der Heiligen Geistkirche in Magdeburg, antwortete auf dieses Gedicht in einer spätern Nummer desselben Blattes in derber und schonungsloser Weise. Er sprach das famose Wort: „Sie wollen sogar unsern Herrgott auf das Altentheil setzen.“ Diesen Ausspruch, dem ich zwar in den vielen aus jener Zeit stammenden Flugblättern nicht begegnet bin, schreibe ich doch unbedenklich nieder, da mein Vater, der in seinen Behauptungen äußerst vorsichtig zu Werke zu gehen pflegte, sich in seinem letzten Werke, „Leberecht Uhlich, sein Leben von ihm selbst beschrieben“ (Gera, bei Paul Strebel, 1872), Seite 28, selbst darauf bezieht. Das Consistorium, voran Bischof Dräseke, forderte Widerruf seines Ausspruches und drohete bei seiner Weigerung mit Amtsentsetzung. Er aber, eine ehrliche, unerschrockene Natur, widerrief nicht, zumal da seine Gemeinde wie Ein Mann für ihn einstand. Es gab nun einen heftigen polemischen

[364] Schriftenwechsel; aber Sintenis blieb im Amte. Man schien selbst in maßgebenden Kreisen das Aeußerste vermeiden zu wollen.

Mein Vater war Rationalist, ja, er war noch mehr: er war Einer von Denen, die man am richtigsten als Gefühlsfromme bezeichnen könnte. Seine Auffassung der Person Jesu entsprang dieser Frömmigkeit des Gemüthes. Für ihn bedurfte es keiner Machtstellung des Heilandes, sei es auch die des Fürsprechers an Gottes Thron. Denke man sich nun den Eindruck, den das Urtheil des Bischofs Dräseke über Sintenis auf ihn machen mußte, gerade wegen seiner Auffassung der Person Jesu. Der vielfache Verkehr mit gleichgesinnten Amtsgenossen ließ meinen Vater den Gedanken fassen, mit ihnen in noch engere Verbindung zur Abwehr frommer Uebergriffe zu treten und zugleich zwischen ihnen da eine Verständigung herbeizuführen, wo in einzelnen dogmatischen Punkten ihre Meinungen auseinanderwichen.

So ging denn aus dem alten Pömmelter Pfarrhause der Aufruf hervor zu dem so wichtig gewordenen Tage von Gnadau. Am 29. Juni 1841 kamen dort sechszehn Geistliche aus Magdeburg, Köthen und einigen Orten in Pömmeltes nächster Umgebung zusammen. Diese Sechszehn nun verständigten sich laut der 1842 gegründeten „Mittheilungen für protestantische Freunde“, Nr. 1, dort über den Grund ihrer Opposition und über Das, was anstatt des Verworfenen das echte Christenthum sei. Zwei Grundgedanken waren es, die sie für sich aufstellten: „Abwehr alles Dessen, was der freien Entwickelung auf kirchlichem Boden hemmend entgegentritt“ und „Ausbau des Christenthums oder“ (wie sie selbst sagten) „das Reich Gottes mit vereinten Kräften, ohne die Freiheit des Einzelnen zu beschränken.“

Die nächste Versammlung war für Halle bestimmt worden, und dort waren es schon sechsundfünfzig Freunde der Wahrheit, die am 28. September zusammentrafen, diesmal auch Nichtgeistliche. Hier wurden jenen zwei in Gnadau aufgestellten „Grundgedanken“ einige Sätze beigefügt, später bekannt unter dem allgemeinen Namen „Halle’sche Sätze“. Der bedeutendste unter ihnen ist: „Bei der Entwickelung der christlichen Lehre ist Wahrhaftigkeit unerläßliche Bedingung. Was man nicht mit der vollsten Ueberzeugung von seiner Wahrheit und mit dem reinsten Bewußtsein eigener Wahrhaftigkeit sagen kann, das bleibe ungesagt. Eine besondere Lehre für den Geistlichen und eine besondere Lehre für das Volk nehmen wir nicht an.“ Die Versammlung gab sich selbst den Namen „Protestantische Freunde“, der sich bald im Volksmunde in das kürzere „Lichtfreunde“ verwandelte, gegenüber der insgeheim wühlenden Jesuitenpartei, die schlechthin als „Dunkelmänner“ bezeichnet wurden.

In meines Vaters Wesen lag es nicht, sich vorzudrängen; da aber seine Freunde in ihm ein gewisses parlamentarisches Talent zu erkennen glaubten, machte es sich eigentlich von selbst, daß man ihn bei den immer häufiger wiederkehrenden Versammlungen zum Vorsitzenden, nach damaligem Ausdruck zum „Ordner“ wählte. Im Mai 1842 tagte eine über dreihundert Köpfe starke Versammlung in Leipzig. Hier ward zuerst der Beschluß gefaßt, ein eigenes Organ zu gründen; das war das Wochenblatt, das von nun an unter dem Titel „Blätter für christliche Erbauung von protestantischen Freunden“ erschien. Hauptmitarbeiter war mein Vater. Auch Dr. Rudolph Fischer (Archidiaconus an der Nicolaikirche zu Leipzig) sandte zuweilen Artikel ein, die Hauptarbeit aber blieb Jenem vorbehalten.[3]

Es ist allbekannt, wie rasch sich diese Bewegung verbreitete, daß sich viele Zweigvereine bildeten und die halbjährlich wiederkehrenden Hauptversammlungen in Köthen ihre Theilnehmer bald nach Tausenden zählten. Die Pfingstversammlung 1843 war eine besonders bewegte. In ihr hielt Wislicenus aus Halle seinen zündenden Vortrag: „Ob Schrift, ob Geist.“ Der Rationalismus sagte: „Nicht Alles in der Bibel ist Gottes Wort; aber neben vielem arg Menschlichen findet sich das wahre Gotteswort.“ Nun kam Wislicenus mit jener Frage, die er selbst dahin beantwortete: „Die Bibel ist uns nicht Autorität; sie ist uns nicht absolutes Gotteswort. Wir haben eine andere höchste Autorität; die ist der in uns lebendige Geist. Eine besondere Norm erkennen wir nicht an.“ Das wurde ausgesprochen vor Tausenden, trotz des herrschenden Symbolzwanges, trotz des an höchster Stelle protegirten Offenbarungsglaubens. Und dieser wichtige Tag ist es, dessen dreißigjähriges Gedächtniß wir mit diesem Artikel erneuern wollen.

Von da an wurden die protestantischen Freunde überschüttet mit Schmähschriften. Natürlich warf man auch dem „einfachen Landgeistlichen in Pömmelte den Fehdehandschuh hin. Weil ihm in den Versammlungen das Ordneramt zuerkannt wurde, wies ihm die große Zahl der Gegner die ehrende Stellung des Hauptes der Bewegung zu. Dabei wurde auf die hämischste Weise verfahren, indem man ihm Spottbilder und Schandbriefe gemeinsten Inhalts, einen sogar, und zwar unfrankirt und damals sehr theuer, aus Constantinopel zusandte. Endlich griff A. R. Findeis, Prediger der Zwangsarbeitsanstalt in Groß-Salza, meinen Vater in einem „offenen Sendschreiben“ in einer Weise an, welche die Reinheit seines Charakters beschmutzen sollte.

Dagegen mußte mein Vater auftreten, und er that es in seinen „Bekenntnissen“ (Leipzig, Friedlein und Hirsch, 1844), einer Broschüre, in welcher er in allgemein verständlicher Sprache die Angriffe zurückschlug, und in welcher er zugleich seine Auffassung des Christenthums und der Person Jesu offen darlegte, eine Schrift, die eine Menge von Auflagen erlebte, deren letzte ebenso rasch vergriffen war, als die erste.

Auf der großen Maiversammlung 1845 in Köthen, die im Freien tagte, weil kein Saal die mehr als dreitausend große Menge fassen konnte, kam auf Uhlich’s Betrieb für Wislicenus, der eben von einem über ihn verhängten Ketzergericht aus Wittenberg zurückkehrte, trotz mancher verschiedenen Ansichten unter den Gesinnungsgenossen, die Erklärung zu Stande, daß jene Versammlung im Princip mit Wislicenus einverstanden sei, unterzeichnet von fünfundvierzig Geistlichen und vierhundertfünfzig Nichtgeistlichen. Dieser Versammlung folgten viele größere und kleinere in ganz Norddeutschland. Ueberall hin verlangte man Uhlich, in dessen Hände man trotz seiner Bitte, auch Andere damit zu betrauen, das Ordneramt legte. „Keiner versteht das so gut wie Du,“ hieß es von allen Seiten. Die größte Versammlung fand in Breslau auf dem Schießwerder den 30. Juni 1845 statt; sie zählte fast sechstausend Köpfe. Der alte freisinnige Professor David Schulz umarmte meinen Vater mit Thränen im Auge, sich glücklich preisend, das erlebt zu haben. Todtschweigen konnte man diese Bewegung nicht – so verbot man sie denn. Eine Zusammenkunft Friedrich Wilhelm’s des Vierten mit Metternich hatte jenes Verbot zur unmittelbaren Folge.

Neben den Versammlungen der protestantischen Freunde waren zugleich andere Versammlungen entstanden, die zum Versprechungsgegenstande die bürgerlichen Verhältnisse wählten. Ueber ihre Entstehung findet sich Näheres in „Leberecht Uhlich, sein Leben von ihm selbst beschrieben“, S. 31. Auch diese „Volksversammlungen“ wurden als „gemeingefährlich“ verboten.

Welche Bewegung hatte sich in dem kurzen Zeitraume weniger Jahre entfaltet! Der „Bauernpastor“ war eine weit gekannte, viel genannte Persönlichkeit geworden. Durch die Verbote der Versammlungen mehrten sich natürlich die Zeichen der Zustimmung von allen Seiten. Ein ganz besonders hohes Pömmelter Pfarrhaus-Fest war stets der 27. Februar, als Uhlich’s bald in ganz Deutschland bekannter Geburtstag. Da kamen, oft von weit her, Deputationen, Sängerchöre aus den umliegenden Orten, zahllose Briefe und Zuschriften. Mein Vater mochte wehren wie er wollte, die protestantischen Freunde selber betrachteten ihn als ihr Haupt, und der Geburtstag schien ihnen der schickliche Tag, das auch durch Aeußerlichkeiten zu documentiren.

Es versteht sich von selbst, daß hierzu die Kehrseite nicht fehlte. Im Sommer 1844 schickte ein Anonymus zwei Nummern des frommen „Volksblattes für Stadt und Land“, herausgegeben von dem in diesem Sommer gestorbenen Nathusius, an die Gemeinde zu Pömmelte, in welchem mein Vater durch den Brief eines angeblichen Schulzen Gottlieb als Lügner und Heuchler [365] dargestellt wurde. Die Blätter wanderten von Haus zu Haus, und es ist eine schmerzliche Thatsache, daß die Gemeinde Pömmelte ihrem treuen Prediger den Kummer machte, sich zu Zweifeln an der Reinheit und Ehrlichkeit seines Charakters hinreißen zu lassen. Es gehörte eben Uhlich’s Persönlichkeit dazu, sie zu bekehren, und zuletzt baten die Männer selber treuherzig ihren Freund, ihnen zu verzeihen.

Die Lage Pömmeltes in der Nähe der Elbe und Saale verhängte im Frühjahr 1845 eine schwere Wassersnoth über uns. Alles, was niedrig lag, ward überschwemmt; einige Häuser stürzten zusammen, in andern flüchteten sich die erschrockenen Bewohner auf den Boden, um nachher durch die Dachluken gerettet zu werden, denn schnell stieg das Wasser haushoch. Wenige hochgelegene Orte mußten Menschen und Vieh zum Aufenthalt dienen. Dazu gehörte Kirche, Schule und Pfarrhaus. Und nur ein Kahn zum Retten! Man wußte sich zu helfen. Alle möglichen größeren Waschgefäße, Thorwegflügel wurden unsere Rettungsboote und unsere untere große Stube diente vielen Obdachlosen als einstweilige Unterkunft.

Uhlich’s ehemalige Pfarrwohnung in Pömmelte.

Zu unsrer größten Sorge hatte der Vater in Sachen des Gustav-Adolf-Vereins eine dreitägige Reise angetreten. Während seiner Abwesenheit kam die Noth. Gnadau war die nächste Eisenbahnstation; von daher mußte er kommen. Wir bestiegen, nach ihm ausschauend, Mittags unsern alten Kirchthurm. Richtig! da saß er lesend auf einer grasigen Erhöhung im Felde, als Sitz ein Paquet Bücher benutzend. Das war weitab vom Wege, der, wie Alles ringsum, überschwemmt war. Nur auf Umwegen konnte er dahin gelangt sein, und das stetig steigende Wasser hatte ihm jedes Fortkommen von dort unmöglich gemacht. Unser Ortsschulz, dem ein unternehmender Knabe, auf einem Thorflügel rudernd, die Nachricht brachte, wußte sich zu ihm hinzufinden. Aber erst spät Abends traf er bei uns ein. Er hatte, im untern Dorf anlangend, sofort rettende Hand angelegt, und ganz durchnäßt langte er endlich an. Der Schade, den das Dorf erlitten, wurde nachgerade überwunden. Meine Eltern halfen aus ihren Vorräthen, und auf meines Vaters Zureden halfen auch die Wohlhabenden aus dem Dorfe den weniger Bemittelten. So kam Alles wieder in’s Geleise.

Etwas anderes aber ging aus dem Geleise. Wislicenus’ inzwischen im Druck erschienene Rede hatte gewaltig die Gemüther aufgerüttelt. Die pietistische Partei erhob immer mächtiger ihr Haupt. Was sie beabsichtigte, bewies sie deutlich durch die Verhandlungen gegen Wislicenus, die diesem Amtsentsetzung in sichere Aussicht stellten. Die Verbote der Versammlungen folgten, und an meinen Vater erging das scharfe Verbot, seine Parochie nicht zu verlassen. – Man mußte nun wohl zu ihm kommen, und so wurde denn unser Haus häufig der Sammelpunkt bedeutender Männer. Das Pfarrhaus in Pömmelte hatte urplötzlich eine Berühmtheit erlangt, an die vorher schwerlich Jemand gedacht, trotzdem man über seine Altersschwäche und sonderbare Außenseite herzlich lachte.

Seit mehr als Jahresfrist war unsere Kirche Sonntags von Fremden überfüllt, die auch das ärgste Wetter nicht von diesem Kirchenbesuche abhielt. Das Himmelfahrtsfest 1845 brachte uns zwei Wagen voll Herren aus Magdeburg, Mitglieder des Kirchencollegiums zu St. Katharinen. Sie kamen im Auftrage ihrer Gemeinde, meinem Vater die zweite Predigerstelle an der Katharinenkirche anzubieten. Daß die Stelle geringer dotirt war, als die Pfarre in Pömmelte, konnte ihm kein Grund der Ablehnung sein, ihm, dessen Streben einzig und allein darauf gerichtet war, dem Allgemeinwohl zu dienen. Im October geschah die Uebersiedelung nach Magdeburg. Ich schweige von der tiefen Wehmuth, mit der wir Alle von dem traulichen Pfarrhause schieden. War es doch, als riefe aus jedem Winkel eine Stimme alle die frohen Stunden nach, die wir dort verlebt.

Der letzte Sonntag des September brachte die Abschiedspredigt meines Vaters, bei der heiße Thränen flossen. Der Abschied, als wir wirklich davon fuhren, war herzbrechend, und tief erschüttert verließen wir das Dorf. – Im April 1846 bekam ich von meinen Eltern die erbetene Erlaubniß, einige Tage in Pömmelte weilen zu dürfen. Ich ahnte das Herzeleid nicht, das mir bevorstand. Vom Fenster des Nachbarhauses aus sah ich Stein auf Stein seine gewohnte Stelle verlassen, denn – die Pfarre wurde niedergerissen. Bei meiner Abreise war nur noch ein wüster Schutthaufen vorhanden. Heute steht an derselben Stelle ein hübsches, bequem eingerichtetes Haus. In meiner Erinnerung aber lebt das alte Pfarrhaus mit seinem spitzigen Strohdach unverändert fort, darum habe ich versucht, dem Leser ein Bild davon und von dem ehemals darin herrschenden Leben vor die Seele zu führen.
Clara Uhlich.




Blätter und Blüthen.

Instinct oder Ueberlegung. Da in unserer Gegend die Staare noch nicht recht heimisch sind, wenigstens noch nicht in den Nistkästchen brüten wollen, so zog ich ein Paar junge Staare auf und ließ sie im Frühjahr 1871 in meinem Garten fliegen. Es dauerte nicht lange, so nahmen dieselben einen Nistkasten in Besitz und brüteten darin. Es war interessant zu sehen, mit welchem Eifer die Thierchen, die so zahm geworden waren, daß sie den Garten nicht verließen und nur in ihm ihre Nahrung suchten, alle Würmer und Insecten auflasen, die beim Graben und Hacken zum Vorschein kamen.

Eines Tages, als beide Staare gerade bei dieser Arbeit beschäftigt waren, stieß ein Lerchenfalke nieder, erfaßte das Weibchen fast vor meinen Füßen, und nahm es mit fort. Glücklicherweise jedoch wurde der Räuber durch Arbeiter erschreckt und gab die noch unbeschädigte Beute wieder frei. Aber, o Schrecken! kaum einige Tage darauf nahm derselbe Raubvogel das Männchen vor meinen Augen weg und flog mit demselben in einen entfernten Garten, um es dort in Ruhe zu verzehren; durch das überaus klägliche Geschrei des armen Staares wurde es indeß auch diesmal möglich, den frechen Räuber zu verfolgen. Durch einen glücklichen Steinwurf gelang es, den kleinen Gefangenen zu befreien. Leider aber war derselbe durch dieses Unglück so verletzt worden, daß er weder im Stande war zu fliegen noch sich auf seine Füße zu verlassen, deren einer ganz gelähmt war. Nach mehreren Tagen, während welcher ich den Staar in der Stube gepflegt und gefüttert hatte, war derselbe wieder so weit hergestellt, daß er sich nothdürftig fortbewegen konnte. Hierauf ließ ich ihn wieder in den Garten, und kaum war er im Freien, als er auch schon mit großer Mühe den Baum erkletterte, auf dem sich seine Jungen befanden, um einen Einblick in den Kasten zu thun. Von dieser Zeit an holte er sich unermüdlich seine Nahrung, welche aus frischen Ameiseneiern bestand, bei mir selbst, fütterte die Jungen damit groß und zog endlich im Herbst, da er sich bis auf eine kleine Lähmung wieder völlig erholt hatte, mit seiner ganzen Familie ordnungsgemäß nach dem Süden.

Sehr gespannt war ich im Frühjahr 1872, ob sich die Staare wieder in meinem Garten einfinden würden. Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, da in den benachbarten Hölzern die Staare längst eingezogen waren, als in den ersten Tagen des April ein Paar Staare in den Garten kamen und denselben von einer hohen Fichte aus genau betrachteten. Sobald mich der eine Vogel bemerkte, kam er auf mich zugeflogen, schlug mit den Flügeln und fing in seiner Freude einen ganz merkwürdigen Gesang an, als wolle er mir die Erlebnisse seiner Reise erzählen. Dabei lief er mir häufig sogar durch die Füße, so daß ich mich sehr in Acht nehmen mußte, ihn nicht zu treten. Von nun an verließ mich der Staar während des ganzen Tags nicht wieder; er ging mit mir in’s Haus, ließ sich dort Leckerbissen [366] geben und las beim Hacken der Gartenpflanzen sorgfältig neben mir die Würmer auf. Hierbei hatte er sein mitgebrachtes Weibchen, einen sehr scheuen Vogel – das alte war jedenfalls auf der Reise verloren gegangen – ganz vergessen, weshalb er andern Tags eine große Tour machen mußte, um es wieder aufzusuchen. Da sich indessen das Weibchen durchaus nicht an die Nähe der Menschen gewöhnen wollte und der zahme Staar somit seine Touren täglich wiederholen mußte, so entschloß ich mich, ihm ein anderes und zwar ein zahmes Weibchen zu geben. Nach einigen Tagen, während welcher sich beide Vögel im Zimmer aneinander gewöhnt hatten, that ich sie in den Garten, woselbst sie auch sogleich ihr Nest bauten (das wilde Weibchen war inzwischen für immer abgezogen) und nach kurzer Zeit auch brüteten.

Der alte Staar machte sich die Fütterung der Brut dadurch sehr leicht, daß er zu mir kam, sein Lied sang und den dafür erhaltenen Lohn seinen Jungen zutrug. Bei solcher Fütterung kam es indessen plötzlich zwischen den beiden Alten zu einem heftigen Streit. Das Männchen, welches noch immer am Fuße etwas lahm war, hatte beim Einsteigen in den Nistkasten das Nest etwas verletzt, worüber das Weibchen so ungehalten wurde, daß es dem Herrn Gemahl einige Schläge mit den Flügeln gab. Nach diesem Streite verschwand ganz plötzlich mein treuer Gefährte, und da er nach acht Tagen noch nicht wieder zurückgekehrt war, so hielt ich ihn für verunglückt. Wie groß aber war meine Freude, als sich plötzlich der Schwergekränkte wieder einfand, ohne freilich vom Weibchen und von den Jungen Notiz zu nehmen. Da mir der traurige, einsame Vater leid that, so nahm ich die jungen Vögel dem Weibchen ganz weg und gab sie dem Vater zur Pflege, worüber sich dieser so freute, daß er, zum erstenmale nach dem Streit, sogleich wieder zu singen anfing und die Jungen sodann mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt großzog. Das Weibchen durfte aber nicht in seine Nähe kommen und noch jetzt ist die Spannung mit demselben nicht ganz überwunden.

Damit dieser merkwürdige Staar nicht etwa auf dem Zuge nach dem Süden, wo leider noch so viele durch Menschenhände ihren Tod finden, verunglücken möchte, behielt ich ihn mit seiner kleinen Xanthippe in meiner Stube zurück, wo er mich durch seinen mannigfaltigen, auf Commando zum Besten gegebenen Gesang, der aus der Nachahmung des Pirols, des Frosches, der Ziege und vieler anderer Thiere besteht; sehr angenehm unterhält.

Diese schmucklos geschilderte Episode aus dem Leben eines Staars zeigt zur Genüge, wie reich bewegt durch Schicksale und Affecte der verschiedensten Art selbst das Leben eines so winzigen Geschöpfs zu sein vermag, wobei wir noch immer bedenken müssen, daß wir doch nur einen sehr kleinen Theil der thierischen Empfindungen zu belauschen vermögen. Könnten wir es fassen, was in der Gemüthswelt der kleinen befiederten Freunde vorgehen mag, wenn jene dunkle, geheimnißvolle Wanderlust, die unwiderstehliche Sehnsucht nach Licht und Wärme, sich geltend macht, und könnten wir sie dann auf jener gefahrvollen Reise beobachten – was gäbe es dann erst zu erzählen!

Clingen.
S. Schneidewind, Oberamtmann.




Zum Bild und Gedicht von der Wartburg. (Seite 353.) Unsere Illustration stellt den inneren Thorgang der Burg mit seiner Umgebung dar, zur Rechten ein Stück der „Letzen“, des überdachten Vertheidigungsganges auf hoher Mauer, der den Burgfried mit dem Thor- und Ritterhaus verbindet, und zur Linken dieses selbst, im Volk berühmter als „Lutherhaus“. Die „Gartenlaube“ hat zwar auch das Geschichtliche der Burg in verschiedenen Artikeln behandelt; um aber dem Leser das Nachschlagen zu ersparen, fügen wir alles zum Verständniß des Gedichtes Nöthigste gedrängt hier an: Das Thüringische Königshaus ging 528 mit Hermanfried zu Grunde: Burg-Scheidungen an der Unstrut sah den letzten Kampf. Kaiser Konrad schuf die neue „Grafschaft“ Thüringen mit dem Löwenwappen um 1048; die Gründung der Wartburg geschah 1067. Den Beinamen „der Springer“ erhielt Ludwig allerdings erst in Folge seiner angeblichen Flucht vom Giebichenstein. Die Sage vom Landgrafen Ludwig, der aus einem Schwachen ein Eiserner ward, nachdem der Ruhlaer Schmied ihm sein „Landgraf, werde hart!“ zugerufen, ist allbekannt. Dieser und sein Sohn Ludwig der Milde waren ihrem Vetter, dem Kaiser Friedrich Barbarossa, auf dessen Kriegs- und Kreuzzügen gegen die heidnischen Polen und in’s Gelobte Land gefolgt; Letzterer starb auf Cypern 1190. Der poetische Wartburgkrieg zwischen den berühmtesten Minnesängern jener Zeit fand unter dem Landgrafen Hermann dem Ersten und seiner Gemahlin Sophie 1206 und 1207 statt. – Die Kaiserkriege zwischen Hohenstaufen und Welfen hatten auch Thüringen verwüstet, ehe Ludwig der Dritte die ungarische Königstochter Elisabeth auf die Wartburg brachte, die wegen ihrer Frömmigkeit und Wohlthätigkeit nachmals heilig gesprochen worden ist. Die Legende erzählt: „Als Elisabeth einstmals nach Eisenach ging und unter ihrem faltigen Gewand einen Korb mit Brod trug, um es den Armen zu spenden, trat ihr der Landgraf mit der barschen Frage entgegen: Was birgst Du unter dem Mantel? Erschrocken antwortete Elisabeth: Ich trage Blumen zur Stadt. Und siehe, als sie auf Ludwig’s Begehren den Mantel zurückschlägt, duften ihm frische Rosen entgegen.“ – Ludwig folgte dem Kaiser Friedrich dem Zweiten 1227 zum Kreuzzug und starb in Otranto. Sein Bruder Heinrich Raspe, zum Vormund bestellt, stieß Elisabeth mit ihren Kindern in’s Elend, riß ihr Erbe an sich, ließ sich von der Clerisei zum Gegenkönig gegen den gebannten Kaiser krönen und fiel 1247 in der Schlacht gegen ihn, trotzdem der Papst Jedem einen zweijährigen Ablaß verhieß, der für denselben beten würde. Das ist heute über sechshundertsechsundzwanzig Jahre her, und seitdem sind Millionen noch keinen Schritt weiter von dem alten Wahn gekommen. –

„Die Blide ward der Treue Lohn.“ Mit Raspe war der Mannsstamm der Thüringer Landgrafen ausgestorben. In dem Erbfolgekriege hielt das Volk, voran die Stadt Eisenach, zu den Nachkommen der heiligen Elisabeth gegen Heinrich den Erlauchten von Meißen, der die Wartburg behauptete. Da ward der Rathsherr Heinrich von Velsbach im Kampfe gefangen und mittelst einer Wurfmaschine (Blide) von der Burg geschleudert. Noch in der Luft fliegend soll er ausgerufen haben: „Das Land ist doch dem Kinde von Brabant!“ An der Stelle, wo er niederfiel und den Geist aufgab, steht am steilen Rasengehänge ein schiefer Stein. – „Der Gebissene, Friedrich, Sohn Albrecht’s des Entarteten und Margarethens, der Tochter Kaiser Friedrich’s des Zweiten, die, um der Mörderhand ihres Gemahls zu entgehen, mittelst einer Strickleiter aus der Wartburg entfloh, nachdem sie im Mutterschmerz beim Scheiden von ihren drei Söhnchen Friedrich in die Wange gebissen. Danach sein Beiname in der Geschichte und der ihn verherrlichenden Sage und Poesie. Unter seinem Sohne Friedrich dem Ernsthaften gedieh Thüringen zu seiner höchsten Macht. Der letzte Landgraf, der auf der Wartburg wohnte und 1406 starb, war Balthasar. Sein Nachfolger, Friedrich der Einfältige, starb 1440 in Weißensee. Es folgten die Wettiner, die längst andere Fürstensitze besaßen. Martin Luther verweilte aus der Wartburg vom 4. Mai 1521 bis zum 3. Mai 1522. Die 1815 von den zum großen Theil aus den Befreiungskriegen heimgekehrten Studenten in Jena gegründete deutsche Burschenschaft erhielt auf der Wartburg 1817 ihre Weihe; der kleine Rest der Greise feierte mit einigen Hundert Bundesgenossen alle späteren Jahrgänge des Wartburgfest-Jubiläums am 18. October 1867. Schon drei Jahre später ging der große Traum ihrer Jugend und der Wunsch ihren Lebens in Erfüllung. Niemand hat das ungeheure Erlebniß so verdient, wie sie, und so gewürdigt.
Fr. Hfm.

Dichterleid. Wenn das Schicksal mit harter Hand in das Privatleben einen Mannes greift, dessen Wirken der Oeffentlichkeit angehört, so darf wohl auch die öffentliche Theilnahme für einen solchen in Anspruch genommen werden. Dies müssen wir heute auf einen alten treuen Mitarbeiter der Gartenlaube beziehen, auf Albert Traeger, dem nach kurzer glücklicher Ehe, kurz nach dem Verlust seines einzigen Söhnchens, nun auch die junge Gattin durch den Tod geraubt wurde. Erst einunddreißig Jahre alt, starb zu Cölleda Frau Caroline Traeger, geborne Ritter, an einer Lungenentzündung am 17. Mai d. J. Möge die Theilnahme der Vielen, die den schwer Betroffenen als Dichter verehren, ihm den Gatten- und Vaterschmerz mildern!
Die Redaction.


Kleiner Briefkasten.


F. in Speyer. Ob wir die Verleumder nicht heimschicken werden? Lieber Herr, ist Ihnen wirklich der Raum der Gartenlaube so gleichgültig, der dabei unnütz verschwendet würde? Welches Kartätschenfeuer von versteckten und offenen Anklagen haben seit langen Jahren nicht der Neid, der Unverstand, der Priester, der katholische wie der protestantische, der Geheimmittelfabrikant wie der Kreuzritter gegen uns in die Oeffentlichkeit geschleudert, soweit ihnen die kleinen ultramontanen und feudalen Wochenblättchen und Zeitungen zu Gebote standen! Dürfen wir uns doch rühmen, das bestverleumdete Blatt in Deutschland zu sein. Da soll unser ganzen Redactionspersonal aus „ungläubigen Judenjungen“ bestehen, denen es besser wäre, man hinge ihnen einen Mühlstein an den Hals und ersäufte sie, da wo es am tiefsten sei; da soll die Gartenlaube erst an Oesterreich und später an Preußen verkauft sein; da werden grausige Geschichten erzählt von armen Schriftstellern oder von Haupt-Mitarbeitern der Gartenlaube, die das Blatt eigentlich gegründet hätten und dann verhungert wären, während der Verleger im Ueberflusse schwelge und das Geld verprasse; da werden Briefe fabricirt und in die Oeffentlichkeit gebracht, die wir niemals geschrieben haben; da wird unter frommen Augenverdrehungen versichert, die Gartenlaube nehme nur Mitarbeiter an, die auf den Barrikaden gestanden oder längst aus der Kirche gestoßen wären; da wird auf den Kanzeln gegen uns gepredigt, auf katholischen wie protestantischen, und mit sittlicher Empörung darauf hingewiesen, mit welcher raffinirten Bosheit die Gartenlaube die Religion untergrabe, den verwerflichen Materialismus predige und das Gemüth der einfältigen Gläubigen vergifte. Von all Diesem und noch viel Schlimmerem können wir Sie durch Hunderte von Blättern und Belegen überzeugen, die seit langen Jahren von uns gesammelt und mit Lächeln still bei Seite gelegt wurden. Sollen wir nach alledem wirklich den Raum unserer Zeitschrift mit Aufzählung der Verbrechen verschwenden, die der Gartenlaube von dieser Sorte von Feinden, dieser Mischung von Bosheit, Lüge, Neid und schäumendem Fanatismus aufgebürdet werden? Nicht doch – prüfen Sie die Gartenlaube und unsere journalistische Wirksamkeit mit ruhiger Ueberlegung und fragen Sie sich dann selbst, ob es der Mühe lohnt, diesen scandalsüchtigen Entstellungen von Thatsachen, diesen mehr oder weniger lächerlichen Lug- und Trugbündnissen auch nur mit einem Worte entgegenzutreten. Selbst polizeiliche Hülfe wäre hier Verschwendung!

A. Z. in Bremen. Sie haben eine der neuen rosenrothen Doppelpostkarten (Gartenlaube, Nr. 7) benutzt, um eine Frage an einen Geschäftsfreund zu richten; dieser hat aber nicht kartographisch, sondern brieflich geantwortet, und zwar in gereiztem Tone, weil er eine „Verletzung der hergebrachten Form“ darin gesehen. Trösten Sie sich! Alles Neue, wenn es keine absurde Pariser Mode, sondern etwas wirklich Zweckmäßiges ist, stößt anfangs auf Widerstand und bürgert sich erst allmählich ein. Mittlerweile kann ja übrigens in Fällen, wo man derlei Empfindlichkeiten befürchtet, für die Anfrage der alte briefliche Weg gewählt und nur eine mit Adresse versehene und frankirte einsame Postkarte für die Antwort eingelegt werden. Der Hauptvortheil, den Adressaten zu einer raschen, kurzhändigen Antwort zu bewegen, wird ja so nicht minder erreicht.

Arthur Michelis.

H. B. in Bremen. Recht talentvoll, aber zum Abdruck ungeeignet.

F. A. B. in St. Nicht zu verwenden. Zeichnung und Text stehen zu Ihrer Verfügung.


  1. Die Pfingstwoche vor nun gerade dreißig Jahren verdient unvergessen zu bleiben, und gerade der Kampf unserer Tage gegen jede Art von Pfaffenregiment muß an jene erste Ermannung des von muthigen Männern geleiteten Volksgeistes erinnern, der die Lichtfreunde in’s Leben rief. Eben darum führen wir unsere Leser heute vor und in die damalige Heimstätte des „Ordners“ jener Kampfschaaren: des Vater Uhlich, dessen Andenken ja in weit größeren Kreisen, als denen seiner „Freien Gemeinden“ in Ehren gehalten wird. Er gehört zu den treuesten deutschen Volksmännern. Möchte die Dankbarkeit und Liebe, die man ihm schuldig ist, seinen hinterlassenen Lieben ein segensreiches Erbe sein!
    D. Red.
  2. Wie sehr gerade die Volksschule bis in seine letzten Lebensjahre meinem Vater am Herzen gelegen, zeigen die beiden bei Paul Strebel in Gera erschienenen Broschüren: „Die Volksschule, 16 Sätze mit Erläuterungen“ (1868) und „Die freie menschliche Schule, ein Versuch“ (1870).
  3. Das Blatt bestand bis 1848. Im Jahre 1849 gründete mein Vater sein „Sonntagsblatt“, das trotz des dagegen erlassenen Verbotes, das sein Erscheinen über ein Jahr unmöglich machte, bis zu seinem Tode von ihm fortgeführt und stets allein von ihm geschrieben wurde. Es trat unter dem Namen von „Uhlich’s Sonntagsblatt“ (Magdeburg bei F. Demker) in seinen vierundzwanzigsten Jahrgang ein unter der Redaction von A. Reichenbach. Viele der erbauenden Aufsätze desselben sind noch dem literarischen Nachlasse unseres verewigten Vaters entnommen.