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Die Gartenlaube (1873)/Heft 49

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1873
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[787]

No. 49.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der König auf Besuch.
Historische Novelette.
1.

Dresden hatte am 9. September 1756 die Ueberraschung gehabt, die vom Feldmarschall Keith befehligte Armee in seine Mauern einrücken zu sehen, und am nächstfolgenden Tage erschien König Friedrich der Zweite, wie ein stiller Reisender, ohne Kanonendonner, Glockengeläute und sonstige Empfangsfeierlichkeit. Er nahm Quartier in dem Palais Mosczynski, dessen Besitzerin, als wäre der Wechsel ihrer Wohnung eine in aller Güte und Freundschaft verabredete Sache gewesen, das Weite gesucht hatte. Ohne Schwertstreich und Flintenschuß war dieses königlich preußische Gastspiel auf sächsischem Grund und Boden eröffnet worden; die einzige Illustration, welche diese Veränderung hervorrief, bestand in dem verblüfften Dreinschauen der Residenzbewohner, von denen die Mehrzahl die Hände in den Taschen ballte, nicht nur weil die Tischgäste, die, so zu sagen, ihnen in’s Haus fielen, eine Belastung ihres Geldbeutels waren, sondern auch weil das fremde Blauroth ihren Augen wehe that.

Die sächsische Armee hatte sich vor Ankunft der Preußen auf ihres Königs oder vielmehr dessen sauberen Ministers Brühl Befehl von der Landeshauptstadt in ein festes Lager bei Pirna zurückgezogen. Dreißigtausend Mann standen als schlagfertig auf den Papieren verzeichnet, welche Brühl seinem Herrn vorgelegt; es fehlte indeß die Bemerkung dabei, daß es nur siebenzehntausend Mann seien, da der große Schwindler den Sold für die nicht vorhandenen Dreizehntausend seit dem Dresdener Friedensschlusse (1745), eine Summe von zehn Millionen Thalern betragend, zu seinem Besten unterschlagen hatte.

Zugleich mit der Besetzung Dresdens schlossen die Preußen dieses Lager ein, in welchem, da für keine Proviantvorräthe gesorgt worden war, der empfindlichste Mangel an Lebensmitteln sich fühlbar machte.

So standen die Sachen, als eines Tages Trommler und Pfeifer den König, welcher an der Fronte der in zwei Gliedern aufgestellten Wachtmannschaft hinschritt, mit dem Parademarsche begrüßten. Er sah ungewöhnlich zufrieden aus, ein Umstand, der zu Zeiten gar nicht an ihm zu bemerken war, denn sein Lebensgang hatte ihn seit seinen Jugendjahren durch die ernstesten Prüfungen geführt, denen eben nur ein Mann seiner Geistesart gewachsen ist.

Die Officiere seiner Suite hatten sich auf den Stufen der Freitreppe aufgestellt, welche, einen Bogen bildend, an der Fronte des nicht sehr großen, aber zierlichen Palais Mosczynski von dessen beiden Ecken sich erhob und zu dem Portale führte, durch das man in das Innere des Gebäudes eintrat. Hier, in den schönen Parterrelocalitäten residirte der König von Preußen. Die neueste Zeit hat das Palais Mosczynski, das für die Residenzstadt Dresden mit Fug und Recht ein steinernes Blatt aus deren Schicksalschronik genannt werden konnte, aus der Reihe der historisch interessanten Gebäude gestrichen und auf dem weithin gedehnten Raume gewaltig große Häuser erstehen lassen.

Dieses schöne Palais, einem von duftigen grünen Ranken umrahmten Schmuckkästchen gleichend, paßte für einen Denker, dessen reger Geist sich mit großen Entwürfen trug und einer heiteren Stille bedurfte. Fern dem städtischen Trubel, ersetzte das Palais mit seinem prächtigen Park dem Könige zum Theil die Reize, welche sein Rheinsberg ihm so sehr lieb gemacht hatten, denn die Aussichten, die sich ihm hier aus seinem Wohnzimmer und bei Promenaden durch den Park boten, waren unvergleichlich schön. Im Osten hob das terrassenartig sich aufthürmende meißnische Elbhochland, jetzt mit dem Namen „Sächsische Schweiz“ belegt, seine gewaltigen Berghäupter wie ein vielgezacktes Riesendiadem in den bläulichen Ferneduft hinauf; im Süden lagerten gleich sanftanschwellenden Wellen die Zschärtnitzer und Räcknitzer Höhen bis hin zu den Thalwänden der wunderbaren, mehrere Stunden Weges weit sich nach dem Erzgebirge hinziehenden Felsengasse des Plauenschen Grundes, und im Westen bezeichnete der Zug der Lößnitzer Berge den Lauf der Elbe.

Dresden beherbergte somit in einem seiner anmuthigsten Schlösser einen König, welcher, der Ordnung der Dinge nach, nichts im Lande zu sagen gehabt hätte, wäre er nicht mit mindestens sechszigtausend Mann daselbst aufgetreten – aber neben ihm weilte in der Elbresidenz eine Königin nebst ihrem Kronprinzen und ihrer übrigen Familie, eine Königin, die, dem Lande angehörend, unter dem Drucke des geschehenen Wechsels aller Verhältnisse in Wirklichkeit nichts mehr zu befehlen hatte, deren Hofhaltung aber nach wie vor eine glänzende blieb. König Friedrich der Zweite fand es seiner und der königlichen Würde der hohen Frau angemessen, ihr seine Aufwartung zu machen, und eben jetzt hatte er sich dieser ritterlichen Pflicht entledigt. Er kam vom Schlosse, wo er und seine königliche Gegnerin, die ihn wie die Sünde haßte – denn zu ihrem angeborenen österreichisch-katholischen Hasse gegen den preußischen Ketzerkönig hatte sich noch die bitterste Feindschaft gegen ihn, den räuberischen Eindringling, gesellt – eine Scene abgespielt hatten, für welche kein passenderer Vergleich gefunden werden könnte als das bekannte Bild „Nattern [788] unter Rosen“. König Friedrich war dadurch in eine humoristisch-satirische Stimmung versetzt worden. Er hatte sich bei dieser so eigenthümlichen Visite bestrebt, seiner hohen Gegnerin klar zu machen, daß für ihn, um in Böhmen einzurücken, der Weg nicht durch Thüringen, sondern durch Sachsen führe, und die Erinnerung an diese Auseinandersetzungen mochte ihn noch beschäftigen, als er durch die von seinen Officieren auf der Freitreppe des Schlosses Mosczynski gebildete Haye hinaufstieg, denn ein leichtes Lächeln glitt über sein Antlitz hin. Auf der letzten Stufe angekommen, wendete er sich, den Hut ziehend, gegen die Officiere mit dem gewöhnlichen Entlassungsgruße:

„A revoir, Messieurs!“

Der König stand damals im besten Mannesalter. Das schwere Schicksal, welches über sein Haupt hingezogen, als er ein neunzehnjähriger Kronprinz war, hatte bei ihm eine Spur zurückgelassen, die sich nicht verwischen ließ und seinen Gesichtszügen einen tiefernsten Ausdruck gegeben. Eine harte Zeit, wie sie selten an Königssöhnen vorübergeht, hatte sein Antlitz für Jeden, der ihn auch nur einmal sah, zu einer unvergeßlichen Type gestempelt. Aus seinen scharf markirten, lebhaften Zügen, sprach eine nicht zu erschütternde Entschlossenheit. Auf seiner Stirn lag der Ausdruck von nicht zu beirrender Geistesgegenwart. Damals war sie noch glatt; keine Falten hatten sich auf ihr eingegraben; die Heiterkeit des Dichters gepaart mit der Ruhe des Philosophen verliehen ihr gleichsam die Eigenschaft eines makellos polirten Silberschildes, auf dem sich die Strahlen eines hocherleuchteten Geistes sammelten, unterstützt von dem Zauber seiner großen blauen Augen, deren Blick ein durchdringender war und eine unwiderstehliche Gewalt auf Alle übte, die ihn zu fürchten hatten. So zeigte sich sein Antlitz als ein wahrhaft königliches und durchgeistigtes. Als passende äußere Zuthat erschien sein stark gepudertes Haar mit Rollenlocken an den Schläfen und dem unvermeidlichen Anhängsel damaliger Zeit, einem langen Zopfe.

Jene militärische Steifheit, in der sein Vater Friedrich Wilhelm der Erste so besonders excellirte, besaß er ebensowenig wie dessen große Gestalt. Er gehörte der Körperlänge nach in die Rubrik „mittelgroß“. Seine ungezwungene Haltung hatte sogar eine gewisse nachlässige Gangart zur Folge, der er, wenn Nachdenken ihn von der Ueberwachung seines Aeußeren abgezogen, sich nur mit Mühe entreißen konnte.

Zwischen den beiden am Portale wachthabenden und präsentirenden Grenadieren hindurchschreitend, vom Major von Wangenheim begleitet, trat der König in die Parterrelocalitäten des Schlosses ein, wo ein Diener bereits die Flügelthür zu seinem Wohnzimmer geöffnet hatte. „Nachher … nachher!“ bedeutete der König den eifrigen Lakai, der ihm Hut, Stock und Handschuhe abgenommen und weiteren Befehls wartete. Ehe der Diener das Zimmer verließ, öffnete er die Thür des Nebengemachs und mit gewaltigen Sätzen sprangen drei Windspiele kleiner Art auf den König zu, der, sich zu ihnen niederbeugend, sie caressirte. Seine gute Stimmung wurde durch die ebenso zarten wie treuen Thiere, welche gemeinschaftlich einen Sessel in Besitz genommen hatten und an ihrem Herrn sich zärtlich emporstreckten, bedeutend gehoben. Er hing mit großer Liebe an diesen wie luftige Elfen ihn umgaukelnden Thieren.

„Da sieht Er, Wangenheim, wie seltsam es mir geht,“ hub der König an, und auf die drei Windspiele deutend, die auf seinen Wink ruhig nebeneinander auf dem Stuhle sitzen blieben, fuhr er fort: „Die Hündchen lieben mich; die Weiber sind mir spinnefeind. Das ist ein böses Schicksal, das man eben nur mit einem Wald von Bajonneten sich vom Halse schaffen kann.“

Die in ihm aufsteigende Erinnerung an seine vier, halb Europa gegen ihn in Harnisch rufenden Feindinnen, die Kaiserin Marie Theresia, die Czarin Elisabeth, die Königin Josephine von Polen und Kurfürstin von Sachsen, und die berüchtigte Marquise von Pompadour, verdüsterte seine gute Stimmung.

Major von Wangenheim hatte, seines Befehls harrend, an der Thür Posto gefaßt und sah mit Vergnügen, daß der finstere Ernst aus des Königs Antlitz allmählich wich. Plötzlich blieb der Monarch vor ihm stehen und musterte ihn eine Weile lang. Herr von Wangenheim, in der Meinung, er werde sich zum Gegenstand eines Tadels gemacht sehen, vermochte nicht die ihn dadurch bemeisternde Verwirrung zu beherrschen, von der eine sein Gesicht überfließende Röthe Zeugniß gab.

Unter den vielen Officieren des Königs galt Wangenheim, Major des Grenadierbataillons, welches nebst drei anderen Bataillonen, sämmtlich unter Commando des Generalmajors von Wylich, die Garnison Dresdens ausmachte, als einer der schmucksten. Er konnte stolz auf seine Persönlichkeit sein, war er doch ein schöner hochgewachsener Mann, den die Uniform ungemein wohlkeidete. Sein männlich schönes Gesicht flößte Zutrauen ein, weil seine Züge den Ausdruck der Offenherzigkeit trugen und aus seinen braunen Augen große Freundlichkeit leuchtete.

„Er macht Fortüne bei den Weibern?“ fragte der König plötzlich.

War der Major durch die Muthmaßung eines Tadels, dessen Ursache er sich nicht denken konnte, in Verwirrung gesetzt worden, so machte diese an ihn gerichtete unerwartete Frage ihn so verblüfft, daß er zögernd, als habe er falsch gehört, kaum mit der Entgegnung: „Majestät … ich?“ sich heraus getraute.

„Bah! bah! Stelle Er sein Licht nicht unter den Scheffel!“ redete der König weiter. „Wäre mir unlieb, hätte ich mich in dem Punkte bei Ihm geirrt. Wird wohl aber nicht der Fall sein, denke ich mir … wie?“

Die Verlegenheit Wangenheim’s nahm zu, da er wußte, daß der König keinen Scherz mit seinen Officieren zu treiben pflegte und jedenfalls hinter dessen sonderbarer Frage etwas ganz Unerwartetes im Rückhalt sein müsse, aber eine Antwort mußte er geben. „Majestät,“ sagte er, „ich glaube in diesem Punkte nichts vor meinen Cameraden voraus zu haben, obwohl dabei das Glück seinen gewissen Antheil hat, insofern es den Einen mehr als den Andern begünstigt.“

„Sehr wahr … Er ist aber unter allen Umständen Hahn im Korbe … weiß das, ist mir gesagt worden, daß Er ein Mann von Fortüne bei den Weibern ist. Er hat ja ein Duell in Berlin gehabt wegen einer jungen sächsischen Dame … wie Er da gleich die Augen aufreißt, daß ich von Seiner Teufelei Kenntniß habe! Ich denke mir also, wenn Er bei Fräuleins Glück macht, hat Er vielleicht auch den Schick dazu, einer alten, höchst respectablen Dame … in aller Submission natürlich … zu gefallen und durch Seine Ueberredungsgabe sie zu Etwas zu bewegen, was mir eine große Unannehmlichkeit ersparen würde.“

Der Major fühlte sich durch diesen angedeuteten delicaten Auftrag nur noch mehr verdonnert, aber die Nothwendigkeit drängte, sich dem Monarchen, der merkwürdiger Weise gerade ihm ein solches Vertrauen schenkte, zur unbedingten Verfügung zu stellen. „Majestät,“ flüsterte er mit einer Verbeugung, „haben über mich zu befehlen! Es kommt auf den Versuch an … bitte aber unterthänigst, schlechten Erfolg mir nicht als Schuld anzurechnen.“

„Nein, nein, sorge Er sich deswegen nicht! ’s soll nur ein Versuch sein. Nicht alle Versuche gelingen, absonderlich auf dem Felde, wo man nicht im Sturmschritt vorgehen kann. Die Dame, bei der Er sein Glück versuchen soll, ist keine Andere – als Ihre Majestät die Königin von Polen.“

„Die Königin?!“ rief Wangenheim erschrocken.

„Na, na, verliere Er nicht die Contenance! Er ist Grenadier-Major, der auf Ordre dem Teufel zu Leibe rücken muß, und der Königin von Polen Majestät ist noch lange nicht der Gottseibeiuns, wenngleich sie einen formidablen Haß gegen mich zu haben geruht. Höre Er mir zu!“

Der König erklärte dem von dieser Mission durchaus nicht Erfreuten Folgendes:

Durch den schnöden Verrath des sächsischen Cabinets-Secretärs Menzel waren dem Könige Friedrich die Copien der von Petersburg, Wien und Paris beim Dresdener Geheim-Cabinet einlaufenden Depeschen in die Hände gekommen, welche den Plan, Friedrich klein zu machen, das heißt ihn wieder auf die Provinz Brandenburg zu beschränken, verfolgten. Da Menzel nicht im Stande gewesen, alle diesen Plan besprechenden Depeschen zu copiren, weil manche derselben ihm ganz unzugänglich geblieben, so waren Lücken im Zusammenhange des Inhaltes der betreffenden Verhandlungen dieser drei Mächte vorhanden, welche ergänzt werden mußten. Nur so konnte der König vor aller Welt seinen kriegerischen Einbruch mitten im Frieden in das Kurfürstenthum Sachsen rechtfertigen. Dies aber war einzig nur dann möglich, wenn er in den Besitz des geheimen Staatsarchivs gelangte.

Das preußische Spionirsystem war damals so gut ausgebildet, [789] daß es das der anderen Höfe Europas weit übertraf. Preußisches Gold hatte in allen Schichten der hohen Kreise in den fremden Residenzen Seelen geködert, welche den Verrath als ein stilles, aber einträgliches Mittel betrachteten, ein gut situirtes Haus zu machen. In Wien gab es sogar katholische Geistliche, welche sich bedeutenden Einflusses rühmen konnten und trotz allem Fanatismus, den sie in die Herzen sehr fruchttragend aussäeten, dieses geheime Handwerk betrieben. König Friedrich titulirte diese stillen Handlanger, die ihm viel Geld kosteten, bekanntlich mit der einfachen Bezeichnung „Cujons“. Er war zu klug, um seiner durch sie immer obenauf erhaltenen Allwissenheit von Dingen, die ihm von großem Werthe waren, durch übel angebrachte Sparsamkeit Schranken zu ziehen. Namentlich galt ihm Sachsen als ein sehr günstiges Feld in dieser Beziehung. Die Bestechlichkeit, hier lange Jahrzehnte hindurch eingebürgert, leistete ihm große Dienste, und außer dem schon genannten Menzel gab es eine hübsche Anzahl Individuen, nicht nur am Dresdener Hofe, sondern auch in der Armee, die im Interesse König Friedrich’s arbeiteten. So hatte er gleich nach seiner Ankunft zu Dresden erfahren, daß die Localitäten des geheimen Staatsarchivs vollständig geräumt und dessen sämmtliche Acten, Documente und Briefschaften, zur gelegentlichen Fortbringung nach Polen zusammen gepackt, einstweilen in einige unmittelbar an die Appartements der Königin Josephine stoßende Gemächer geschafft worden seien, die hohe Frau aber allein im Besitze des Schlüssels zu der Thüre sich befinde, durch die man in diesen sichern und für unentdeckbar gehaltenen Verwahrungsort gelangte.

König Friedrich scheute sich, einen gewaltsamen Einbruch in die Häuslichkeit dieser Königin zu unternehmen, welche zwar seine erbitterte Feindin, aber immer eine Frau war, die er hochachtete, theils wegen ihrer Respectabilität in allen Tugenden, die einer Königin eine wahrhafte Würde verleihen, theils wegen der Offenheit, mit welcher sie ihre Abneigung gegen ihn ausgesprochen hatte. Das war wenigstens ein ehrlicher Haß, den er als berechtigt anerkannte.

„Er weiß nun Alles, Wangenheim. Versuche Er es, die Königin zu bestimmen, daß sie den Schlüssel herausgiebt! Ich muß sonst Gewalt anwenden lassen, weil das geheime Staatsarchiv mir unumgänglich nothwendig ist. Gehe Er nun und versuche Er sein Glück!“ Mit diesen Worten schloß der König seine Erklärung.

„Majestät, ich bekenne offen, daß ich lieber mit meinen Grenadieren eine Batterie stürmen wollte, als dieser Commission mich entledigen.“

„Glaub’s Ihm unbeschworen, mon cher Wangenheim; aber die Batterie, die Er zu nehmen versuchen soll, ist auch eine Nummer Eins,“ lautete des Monarchen Antwort, der er mit einem fast komischen Seufzer die Bemerkung hinzufügte: „Ach, die Cotillons machen mir das Leben sauer!“

Major von Wangenheim verließ mit militärischem Gruße und mit schwerem Herzen das Gemach, der König aber durchschritt dasselbe mehrmals in tiefem Sinnen. Dann trat er an den Tisch, auf welchen vom Stuhle aus sofort seine Hündchen sprangen und sich liebkosend an ihm emporstreckten.


2.

Hatte Gräfin Mosczynska – sie war, nebenbei gesagt, eine Tochter Königs August des Starken und der Reichsgräfin Cosel – ihren schönen Wittwensitz auch durch die von ihr gegebenen Feste oft zu einem sehr zahlreich besuchten Mittelpunkte der vornehmen Welt gemacht, so glichen diese Tage der Lust im Vergleich mit dem bunten, vielbewegten Leben und Treiben, welches die Anwesenheit des Königs Friedrich des Zweiten daselbst hervorrief, doch immer nur vereinzelten Sternen, die sich dem Auge darbieten. Nie vorher war die Umgebung des Palais Mosczynski so menschenbelebt gewesen wie jetzt. Das Dresdener Publicum, durchaus nicht den Preußen zugeneigt, im Gegentheile sogar sehr erbittert über die Art und Weise, wie Diese sich als Gäste aufgedrungen, ließ seine Neugier, den philosophischen und Flöte blasenden König zu sehen, durchaus nicht unbefriedigt. Das große eiserne Gitterthor zeigte sich oft von Hunderten von Leuten belagert, die einen günstigen ihren Wunsch zur Erfüllung bringenden Moment erwarteten. Solche Momente waren auch gar nicht so selten, denn der König liebte es, wenn ihn Geschäfte nicht abhielten, mit oder ohne Begleitung seiner Windspiele in dem wohlgepflegten Parke zu promeniren, eine Neigung, der er sich um so lieber hingab, als die sonnenhellen Septembertage es kaum bemerken ließen, daß der Herbst bereits der grünen Baumwelt sein buntes Colorit hier und da mit leisen Pinselstrichen aufzusetzen begann. Unwillkürlich flogen dann die Kopfbedeckungen der Neugierigen vor dem sie immer freundlich grüßenden Monarchen von den Häuptern; die sprüchwörtliche Höflichkeit der in der Residenzluft wohlgeschulten Dresdener ließ sich in dieser Beziehung keinen Vorwurf machen. Es gab vor dem Mosczynski-Palais immer etwas zu sehen, und auch das Ohr ging zuweilen nicht leer aus, weil der König geschäftsfreie Viertelstunden der mit Meisterschaft von ihm geblasenen Flöte zu widmen pflegte.

Der Angelpunkt des Dresdener Residenzlebens war bisher das kurfürstliche Schloß gewesen, jetzt aber das mehrerwähnte Palais in dessen Rang eingetreten. Die fremden Gesandten, die meisten der in der sächsischen Hauptstadt sich aufhaltenden Standespersonen, sowie die Mitglieder des Stadtrathes machten dem Könige häufig ihre Aufwartung und legten dabei die tiefste Devotion an den Tag. Aber es gab in dieser improvisieren Residenz auch noch eine Partei, welche mit großem Mißvergnügen die Verherrlichung des fremden Monarchen ansah – dies war die von der Gräfin Mosczynska zurückgelassene Dienerschaft, welche ihre dahingegangene Glanzzeit schmerzlich betrauerte. Zu Ende war’s mit den Trinkgeldern und allen anderen Freuden des Bediententhums. Diese würdigen Leute waren somit plötzlich außer Cours gesetzt worden, und die Einbuße ihrer schönen Nebeneinkünfte schmerzte sie besonders tief.

Es war ein gewaltiger Umsturz aller ihrer langjährig gewohnten Verhältnisse über sie gekommen. Sie hatten der preußischen Einquartierung aus ihren hübsch eingerichteten Wohnungen in der Oberetage und unter dem Dache weichen müssen. Dies war das Loos der Frau Castellanin und des Fräulein Doris, welche eine von der Frau Gräfin angenommene Waise eines in der Schlacht bei Kesselsdorf tödtlich verwundeten und in Folge dessen verstorbenen Officiers, Namens von Liebenau, war; dies war ferner das Loos einer Bettfrau der Frau Gräfin und eines jungen Burschen, Thaddäus, eines Enkels der Bettfrau, endlich eines stämmigen Mannes, Namens Nehemias Drill, der sich in seiner Tracht als Heiduck besonders viel dünkte. Als Ersatz dafür hatten sie die Wohnungen in zwei langen, aber sehr niedrigen Gebäuden beziehen müssen, welche, ungefähr dreißig Schritte zu jeder Seite von dem großen eisernen Gitterthore entfernt, ihre Rückwände an die Mauer lehnten, die ringsum das gewaltige Terrain umschloß. Diese Gebäude waren so sehr von Gebüsch und Bäumen verdeckt, daß der zum großen Gitterthore Hereinkommende sie nicht bemerken konnte. Auf der Rückseite des Palais befand sich ein sehr umfänglicher Vorhof mit einem hölzernen Gatterthore. Linden- und Kastanienalleen zu beiden Seiten bildeten einen breiten Zugang zum Palais. Von hohen Bäumen verdeckt und von Gebüsch versteckt, befanden sich hier Gebäude, die zu Stallungen, Wagenschuppen, Heuböden und Wohnungen für die gräflichen Stallleute dienten und, unter den jetzt veränderten Umständen von den Preußen zu gleichem Zwecke verwendet, auch den Raum für eine sehr große Wachtstube hergegeben hatten.

„Es ist eine sehr traurige Zeit, die durchzumachen uns auferlegt ist. Sie gemahnt mich an die babylonische Gefangenschaft der Juden,“ sagte die Castellanin, in ihrem ledergepolsterten Sorgenstuhle am Fenster sitzend, durch das sie keine andere Aussicht als die auf das Gebüsch hatte, welches das niedrige Haus umgrenzte. Wegen seiner Dichtigkeit machte dieses Gebüsch es unmöglich, das Palais zu sehen, welches sich ungefähr zweihundert Schritte davon befand und fast den ganzen freien Platz in seiner Breite einnahm.

„Nun, nun, Frau Castellanin, ich möchte die Anspielung auf das Judenvolk doch nicht so ganz goutiren,“ sagte Herr Drill, sich nach seiner Gewohnheit die stämmigen Schenkel streichelnd. „Wir sind doch eigentlich immer noch auf unserem Grund und Boden geblieben, obschon es sehr fatal ist, daß wir hierher versetzt worden sind, wo man sich bücken muß, will man sich nicht den Schädel an den niedrigen Thüren einrennen. ’s ist mir [790] freilich nicht recht, hier auf eine dürftige Bodenkammer als auf mein Logement angewiesen zu sein, indeß ich hoffe, daß dieser Zustand nicht lange dauern wird, denn ich habe so unter der Hand von den Grenadieren gehört, wenn’s bei Pirna entschieden sein würde, ob die Preußen oder unsere Sachsen die Herren im Lande bleiben, dann gäb’s eine totale Aenderung der ganzen Geschichte. Und ’s ist nicht zu bezweifeln, daß die Blauröcke tüchtige Hiebe davon tragen werden, denn General Brown rückt mit seiner kaiserlichen Armee unaufhaltsam heran und … ’s kann Einer darauf fluchen, daß sie, mit unseren Leuten vereinigt, der preußischen Sippschaft den Laufpaß so tüchtig auf den Buckel schreiben werden, daß sie wie weggeblasen aus Dresden verschwindet.“

„Gott geb’s, daß es so kommt, wie Er da prophezeit, Herr Nehemia!“ äußerte die gräfliche Bettfrau, die breit auf dem Kanapee saß und sehr schmerzlich den Verlust bedauerte, den der preußische Einbruch ihrer ganz vorzüglichen Stellung im gräflich Mosczynskischen Hause zugefügt hatte. Als älteste Dienerin der Gräfin, bei der sie jetzt dreißig Jahre lang war, hatte sie ihrer Herrin vollstes Vertrauen sich erworben und theilte diesen Vorzug mit ihrer guten Freundin, der Frau Castellanin, die, um zwanzig Jahre jünger als sie, als frühere Kammerjungfer der Gräfin sich dieser unentbehrlich zu machen verstanden und dadurch ihr jetziges Amt erhalten hatte. Die Castellanin war vor anderthalb Jahren Wittwe geworden und in dieser Stelle verblieben, um dem Glücklichen, den sie sich zum Lebensgefährten erwählte, mit ihrer Hand auch, wie die Gräfin es ihr zugesagt, den sehr einträglichen Castellansposten zu bieten, eine Aussicht, welche Herrn Nehemia Drill so reizend erschien, daß er der verwittweten Dame sehr stark und, wie es den Anschein hatte, nicht ohne Hoffnung den Hof machte.

„Es ist wohl wahr, daß wir die Hoffnung fest halten müssen, von dieser so tief unsere sächsischen Sentiments demüthigenden Last baldigst befreit zu werden,“ sprach die Frau Castellanin. „Ach, mir schnürt es das Herz zusammen, wenn ich daran denke, daß unseres allergnädigsten Königs Majestät und unser hochpreislicher Premierminister, Seine reichsgräfliche Gnaden von Brühl Excellenz, draußen im wilden Lagerleben campiren müssen, während sie hier in Allerhöchst Dero Residenz das Vergnügen von Opern, Concerten oder Jagden haben könnten. Das ist ein entsetzlicher Gedanke.“

Die Frau Castellanin besaß eine Art ceremoniöses Wesen, das sie sich als Kammerjungfer angeeignet und seitdem sehr ausgebildet hatte, weswegen, da ihr Benehmen bei jeder Gelegenheit den Anstrich von Vornehmheit zeigte, das Dienstpersonal des Mosczynskischen Hauses unter sich sagte, an ihr sei eine große Dame verloren. Ihre Herrin, selbst eine sehr stolze Frau, hatte daran Gefallen gefunden, denn sie erblickte darin eine große Verehrung ihrer Person, und Marianne stieg bei ihr zu hoher Gunst. Da sie, manche Schrullen abgerechnet, nie gegen einen oder den andern der Dienerschaft sich feindlich bewies, im Gegentheil, wenn die Gräfin ihre Unzufriedenheit über einen ihrer Diener aussprach, jederzeit vermittelnd eintrat und Differenzen dieser Art zu begütigen wußte, so erwiesen ihr Alle die größte Aufmerksamkeit, die sie mit einer leutseligen Grandezza hinnahm, wie ihre Gebieterin selbst sie nicht anders hätte zeigen können.

„Die preußische Majestät,“ sagte der Heiduck, „macht sich ihre Concerte selbst und hat schon davon gesprochen, wie mir einer der Lakaien mittheilte, den Winter über, vorausgesetzt, daß Alles so geht, wie eben die Majestät denkt, Concerte hier aufzuführen, in denen der König persönlich …“

„Schweige Er davon, Herr Nehemia!“ rief die Castellanin indignirt. „Es ist zu abominable, daß ein König den Concertmeister spielt. Niemals ist Dergleichen im sächsischen Kurfürstenhause vorgekommen.“

„Wenn ich aber von Allem schweigen soll, was ich so höre, dann wird Sie, hochwertheste Frau Castellanin, nichts erfahren und in dieser Bude hier gleich einer in einem Käfig eingesperrten Turteltaube sitzen,“ entgegnete der Heiduck.

„Er ist ja heute ganz besonders artig … nennt mich eine Turteltaube! Nun, will mir das wohl gefallen lassen – eine sehr zarte Schmeichelei,“ sprach Frau Marianne Küntzel ihm sehr freundlich zunickend.

„Muß unterthänigst depreciren, hochwertheste Frau Marianne, gegen Dero Ansicht, als hätte ich Ihr mit der Turteltaube zu schmeicheln versucht … Dergleichen kann bei mir nicht vorkommen; ich bin ein höchst aufrichtiges Mannsbild, das eine große Verehrung für Sie im Herzen hat. Mehr kann ich Ihr nicht sagen; ich denke, es wird vor der Hand genug sein.“

Bei diesem Aufwande von zärtlichem Gefühle hatte sich Herr Nehemia Drill erhoben und sich vor der Frau Castellanin verneigt. Diese reichte ihm die Hand, welche er nach dem Beispiele der Cavaliere küßte; dabei legte er die eigene Rechte gefühlvoll auf’s Herz, wie er dies bei den Herren des Hofes so oft gesehen, wenn sie den Damen die Cour machten. Dann streichelte er seiner Gewohnheit nach wohlgefällig seine Schenkel.

Die Bettfrau sagte gerührt von dieser Scene. „Das wäre ein Mann für Sie, liebwertheste Freundin, denke ich.“

„Pst, jetzt nichts von Dergleichen! Noch sitzen wir an den Wassern von Babylon … erst müssen diese verlaufen sein, dann können wir an uns denken,“ sprach die Castellanin mit Würde.

„Da erzähle Er uns, Herr Nehemia, von der Majestät da drüben!“ äußerte die Bettfrau. „Ich habe sie schon gesehen; aber unsere werthgeschätzte Freundin ist derselben noch mit keinem Blicke ansichtig geworden.“

„Sehne mich auch nicht danach. Bewahre mich Gott davor!“ fuhr Jene eifrig auf. „Die ganze Majestät da drüben kann mir gestohlen werden.“

Eben wollte Herr Drill von „Dem da drüben“ erzählen, als der im Gebüsche versteckte, nach der Auffahrt vor dem Palais hinüberlauschende Thaddäus eilfertig mit der Meldung an’s Fenster gesprungen kam: „Alleweil’ sind die Equipagen des russischen Herrn Geheimraths von Groß, des kaiserlichen Gesandten, Grafen von Sternberg, und des französischen, Marquis von Broglio, vorgefahren. Staatspferde mit prächtigen Federbüschen und in funkelndem Geschirre, daß man kaum die Augen lange darauf halten kann. Vorreiter, Lakaien und Läufer alle in Galalivree. Das ist ein Staat!“

„Dummer Junge!“ brummte seine würdige Großmutter. „Ob wir das wissen oder nicht! ’s geht uns nichts an.“

„Der Herr Gevatter Gärtner kommt,“ bemerkte die Frau Castellanin, da ein Mann, den Hut auf dem Kopfe und den Stock in der Hand, rasch an ihrem Fenster vorbeischritt. „Gebt ihm gleich einen Sessel … wird müde sein, kommt aus der Stadt.“

Er war auch müde und desperat zugleich, denn er ließ sich mit seiner Leibeslast so abgespannt auf den ihm zurechtgeschobenen Stuhl fallen, daß dieser, wie im letzten Stadium seiner Existenz, in allen seinen Fugen krachte.

„Mit Permission vor Ihr, Frau Gevatter Castellanin! Gehen wir aber zu Grunde, ist’s auch kein Schade um einen Sessel. Ich bringe einen haushohen Aerger mit, und es wäre kein Wunder, wenn mich unterwegs der Schlag gerührt hätte. Ueber uns sind, weiß Gott, die Tage gekommen, so uns nicht gefallen werden, und den Sachsen möchte ich sehen, dem sie gefielen; das muß ein Lump in Folio sein. Du himmlischer Vater, diese Preußen sind unsere Todtengräber. Muß doch der Herrgott vom hohen Himmel dreinschlagen!“

(Fortsetzung folgt.)




Zum Jubeltage des „Reichsfechtmeisters“.


Als der kleine Detmold im Rückzugsjahr Neunundvierzig „kurzweiliger Reichsminister“ war, benutzte er seine hohe Stellung auch dazu, seinen Freund, den Pastor und Senior Bödeker zu Hannover, in des Handwerksburschenwortes verwegenster Bedeutung zum „Reichsfechtmeister“ zu ernennen. Dies erzählt der alte Herr selbst in seiner jüngsten Schrift: „Fünfzig Dienstjahre bei der Marktgemeine zu Hannover. Eine Denk- und Dankschrift, zugleich Vermächtniß von Hermann Wilhelm Bödeker, Past. prim. und Senior minist. Preis zehn Groschen und mehr, behuf Minderung der Schulden des Schwesternhauses.“

[791]

Senior Bödeker als „Reichsfechtmeister“.
Nach einer Zeichnung von Karl Grote in Hannover.

[792] Zur Feier der beiden Ehrentage, des 27. November, an welchem Bödeker vor fünfzig Jahren zum Collaborator an der Marktkirche gewählt, und des 15. Januar 1874, an welchem Tage er in sein Amt eingeführt wurde, haben sämmtliche Prediger und Kirchenvorsteher Hannovers einen allgemeinen Aufruf erlassen, welcher zu Beisteuern zu einem Festgeschenk im Geiste des Jubilars auffordert; der Zweck desselben ist, das Schwesternhaus, welches Bödeker im Jahre 1848 für fünfzig alte bürgerliche Damen mit vierzigtausend Thalern gestiftet, von den noch darauf haftenden Schulden (zwanzigtausend Thaler), für deren Tilgung der greise Senior noch alljährlich von Haus zu Haus wandert, möglichst zu befreien und dadurch den Fortbestand dieser wohlthätigen Anstalt für immer zu sichern.

Dieser Feier schließt sich auch die Gartenlaube an, indem sie den ehrwürdigen Mann auf diesem alljährlichen Sammelgang und damit zugleich in seiner beneidenswerthen Würde als „Reichsfechtmeister“ bildlich darstellt.

Der Artikel zum Portrait Bödeker’s, mit welchem Dr. Wilhelm Schröder vor zehn Jahren[1] das „Genie im Wohltun“ der großen Gartenlaubengemeinde vorstellte, bringt uns den ganzen Mann als Menschen, Theologen und Bürger so klar und vollständig zur Anschauung, daß es heute fast genügen könnte, einfach darauf hinzuweisen. Da kommt nun aber der Jubilar selbst und läßt uns in sein Leben zurückblicken bis in die Tage der Kindheit und hebt den Vorhang vor einer Reihe stiller Thaten des Herzens, so daß wir seine Jubelschrift doch nicht unbenutzt lassen dürfen. Wenn freilich Manches von Dem, was wir hier mittheilen, durch die Tageszeitungen früher den Weg zu unseren Lesern findet, als diese Nummer der Gartenlaube, so dürfen sie dazu nicht scheel sehen; sie haben wenigstens den Vortheil, Das dauernd zu besitzen, was in der Tagespresse nur rasch an ihnen vorübereilt.

Wie bei so vielen hervorragenden Männern begegnen wir auch bei Bödeker der erhebenden Erscheinung, daß seine ersten und liebsten Erinnerungen sich an seine Mutter knüpfen und deren zum Theil recht originelle Erziehungsmethoden. Sehr eigenthümlich zum Exempel war das mütterliche Verfahren gegen unbegründete üble Laune. „Mürrische Kinder sind krank, und kranke Kinder müssen Arznei haben,“ hieß es, und so wurde eine Medicinflasche mit großer Etiquette aus der Anrichte geholt, in welcher sich ein Gemisch von Lakritzen, Wienerwasser, Kamillen und Krauseminze befand. Wohl oder übel mußte ein Löffel voll hinabgeschluckt und zu Bett gegangen werden – und ohne Grund stellte sich niemals wieder üble Laune ein. Ein noch schärferes Mittel wehrte der Naschhaftigkeit, die allerdings bei neun eigenen (sechs Knaben und drei Mädchen) und fünf Kostkindern des Hauses gründlich curirt werden mußte. Waren etwa Kirschen, Erdbeeren oder dergleichen abhanden gekommen und sämmtliche junge Mäuler hatten sich für unschuldig erklärt, so befahl die Mutter, die Brechweinflasche herbeizuholen und Jedem einen Eßlöffel voll zu verabreichen. Da war’s denn sicher, daß der Uebelthäter alsbald hervortrat, um freiwillig sich und die Genossen vor dieser Procedur zu schützen.

Auch diejenige Eigenschaft, welche den Mann zu dem großen Wohlthäter machte, als den wir ihn verehren, die Herzensgüte, führt der treue Sohn auf die unvergeßliche Mutter zurück, weil sie den Keim in der Kinderbrust so schön zu pflegen verstanden. „Zu dieser Herzensgüte,“ erzählt er, „glaube ich eben so sehr erzogen worden zu sein, wie ich sie als Erbschaft überkommen habe; denn oft, wenn ich als fünfjähriger Knabe Mittags zwölf Uhr mich an den Tisch stellte – bis zum neunten oder zehnten Jahre erhielten wir nicht den Brettstuhl der Erwachsenen – und das Gebet gesprochen war, sagte die Mutter: ‚Hermann, während Dein Essen sich abkühlt, kannst Du der Hirtenfrau Kabermann etwas zu essen bringen.‘ Der Mann war als Kuhhirt seit fünf Uhr nach der Weide und die Frau lag lahm im Bette. Ich holte also den blauen irdenen Henkeltopf aus der Küche, ließ einfüllen und wanderte zu der Kranken, wo ich mich noch erinnere, daß ich mich auf die Fußspitzen stellen mußte, um die hölzerne Thürklinke zu heben und in die Wohnstube zu gelangen.“ Es gehört wohl auch hierher, daß er, schon Secundaner des Rathsgymnasiums zu Osnabrück, seiner Vaterstadt, monatelang einer bettlägerigen alten Magd der Familie regelmäßig nach der Nachmittagsschule in ihrer Leidenskammer eine Stunde lang vorlas – Alles zur Freude seiner guten Mutter.

Aber auch vom Vater erbte er unschätzbare Seelengüter. Herr Johann Jacob Bödeker, Succentor (Gehülfe des Cantors) und erster Lehrer zu St. Katharinen in Osnabrück, war ein Mann von dreiunddreißig Jahren, als ihm seine Gattin, Maria Elisabeth, des Tabaksfabrikanten Russel Tochter, am fünfzehnten Mai 1799 als drittes Kind den Hermann gebar, und dieser preist es ihm noch in seiner goldenen Jubelschrift nach, daß er dem Vater die ihm eigenthümliche Energie und den sehr werthvollen Humor verdanke. Von beiden erzählt Bödeker hübsche Proben, u. A.: „Als Anno 1808 seine mit achtzig Kindern überkommene Schule sich auf hundertundfünfzig vermehrt hatte und ein größeres Local nöthig wurde, schaffte er trotz der Kriegszeit und bei natürlichem Mangel magistratlicher Hülfe binnen vier Wochen zweitausend Thaler an und baute selbst das jetzt noch bestehende große Schulhaus. Zu dessen Einweihung bat er sich in einer Sitzung des Magistrats und der Geistlichkeit Posaunenbegleitung aus. Der Superintendent meinte, das sei sehr theatralisch, der Bürgermeister aber genehmigte den Wunsch des Schulhalters wegen der bei der Sache angewandten Mühe – und die Stadtpfeifer wurden befohlen.“ Wegen seines durchfahrenden Wesens nannte man ihn den „Bonaparte“; der Superintendent sagte freilich einmal: „Der Schulmeister ist ein grober Kerl!“ – aber doch hielt er ihn so hoch, daß er oft den Wunsch aussprach: „Ich wollte, daß alle meine sechs Söhne (jedenfalls solche) Schulmeister würden!“

Wiederum einen Blick in die häuslichen Sitten jener Zeit eröffnet es, wenn wir erfahren, daß Bödeker erst, als er am 21. October 1817 die Universität Göttingen bezog, zum ersten Male mit Socken ausgerüstet wurde, weil „diese so wenig wie Halstücher, Handschuhe und Mützen in unserem Stande während der Knabenjahre getragen wurden“. Am Abende zuvor hatte er seinen Vater die Hand darauf geben müssen, sich nicht eher zu verloben, als bis er Pastor wäre.

Bödeker hatte sich als Jüngling auch körperlich tüchtig ausgebildet, namentlich Schlittschuhlaufen, Schwimmen, Schießen, Tanzen, aber auch Satteln und Säumen gelernt, denn Reiten war seine Lieblingspassion. Noch als Student kaufte er sich von seinen Ersparnissen ein Pferd für zehn Thaler, ja, er gesteht sogar, daß vielleicht die dunkle Vorstellung, daß er als Landpfarrer ein Ackerpferd auch als Reitpferd würde halten können, ihn zur Wahl des geistlichen Amtes bestimmt habe. Eine solche Landpfarrei aber war nichts weniger, als das Ziel des Vaters für den Sohn; verwies er es doch der demüthigen Mutter, wenn sie nur von ihren künftigen Besuchen auf einer „Landpfarre“ sprach; „ein schlechter Corporal,“ pflegte er dann zu sagen, „der nicht denkt General zu werden!“ – und zu der Mutter gewandt sagte er in damals auch in gebildeten Familien noch gebräuchlichem Plattdeutsch: „Worüm sall he nich Stadtpastor weren können?“

Und er wurde es; aber selbst zur Concurrenzpredigt um das Collaboratoramt an der Marktkirche in Hannover am 19. November 1823 ritt er, und zwar auf seiner für fünfzehn Thaler gekauften hellbraunen Stute. Bei Northeim kam er an einem Acker vorbei, auf welchem ein Bauer pflügte. Er bot ihm die Tageszeit und veranlaßte ihn dadurch, sich zu ihm hinzuwenden. „Liese! Liese! Bist du’s denn?“ rief der Mann plötzlich, ebenso froh überrascht, als gerührt. Und richtig! Die Liese wieherte, legte den Kopf auf seine Schulter und ließ sich liebkosen. Er hatte den Mann angetroffen, der mit der späterhin als „Absetzer“ verkauften Liese den französischen Feldzug durchgemacht und sie auch in der Schlacht von Waterloo als hannoverscher Husar geritten hatte. „Wie wir uns da alle Drei gefreut haben!“ setzt Bödeker selbst gerührt hinzu.

Mit der selbstständigen Stellung als Stadtpastor, zu welchem er schon im März 1825 erhoben wurde, beginnt Bödeker’s selbstgewählter Beruf als Wohlthäter seiner Mitmenschen in und außerhalb seiner Gemeinde. Wie er sich die Lebensfrische erhalten, die den greisen Mann noch heute beglückt, haben wir in der Anmerkung zu unserm Artikel von 1863, Seite 110, bereits erzählt. Bödeker schreibt letztern Gewinn seinen tagtäglichen Morgenpromenaden zum Frühstück im Kaffeehause zum Listerthurme [793] in dem zweitausend Morgen großen Stadtwalde von Hannover zu. Als einen Lohn für seine Standhaftigkeit in der Leitung und Erhaltung seines „Norddeutschen Morgenpromenadenbeförderungsvereins“ preist er es, daß er, schon den Siebenzigern nahe, an einem Festtage neben seiner Hauptpredigt noch dreizehn Reden halten und doch noch an einem Festmahle, das aus Anlaß der letzten, einer Traurede, stattfand, theilnehmen konnte.

Schwerer als die Zeit war für seine wohlthätigen Unternehmungen häufig das Geld zu beschaffen. Hier ist hervorzuheben, daß Bödeker nicht blos mit fremden Gaben waltete, sondern daß er es vermochte, aus seinen eigenen Mitteln jährlich fünf- bis sechshundert, also in dem Zeitraume von fünfzig Jahren etwa dreißigtausend Thaler zu opfern, und zwar, wie er ausdrücklich bemerkt, „ohne andere Pflichten darüber zu versäumen“.

Einem Manne, der so mit dem Beispiele vorangeht, mußte es Jedermann verzeihen, daß er gleiche Ansprüche an Opferfreudigkeit an Jeden machte, von dem er wußte, daß er auch opferfähig sei. Und bedeutende Summen bedurfte Bödeker, wenn auch nach und nach, für seine Unternehmungen, wie die Stadtschullehrerwittwencasse für die Residenz Hannover, die Marienstiftung zur Ausbildung armer Mädchen für häuslichen Dienst, das Rettungshaus in Ricklingen bei Hannover für je zwanzig bis dreißig verwahrloste Knaben, die allgemeine Volksschullehrerwittwencasse für das ganze hannoversche Land, das mehrgenannte Schwesternhaus, den Mäßigkeitsverein, den Thierschutzverein mit Pferdeschlächterei. Außer diesen und noch vielen anderen Stiftungen, deren Mitglied er ist um seiner Unterstützungen willen, erforderten Einzelunterstützungen zahlreicher verschuldeter und unverschuldeter Unglücklicher noch Tausende, und alle diese Mittel brachte der „Reichsfechtmeister“ zusammen. So weit hat er es darin gebracht, daß, wie er selbst erzählt, an öffentlichen Plätzen wie im Privatkreise, sobald er sich rührt, alle Hände nach den Portemonnaies greifen; kein Wunder, daß die Poesie noch weiter in der Anerkennung dieser Meisterschaft geht und prophezeit, daß, sobald Bödeker einst im Himmel erscheine, selbst der liebe Gott zum Portemonnaie greifen werde.

Ganz besonders muß aber betont werden, daß Bödeker nur annahm, was ihm freiwillig gespendet wurde, ohne Pressung, ohne Hinweisung auf ewige Vergeltung oder Bedeckung etwaiger Sünden; es mußte ihm entgegengetragen, freudig geopfert, oft sogar aufgedrungen werden, wenn er befürchten konnte, daß zunächst Betheiligten dadurch etwas entzogen würde. Vor den milden Stiftungen standen ihm immer und überall jedes Einzelnen eigene Angelegenheiten. Auch das ist ein Verdienst des großen Wohltäters.

In der Darlegung seiner eigenen und fremder Geldverhältnisse bei Aufzählung der langen Reihe von Wohlthaten geht Bödeker mit ebenso großer Offenheit als Ausführlichkeit bis in’s Einzelne und Kleinste zu Wege; gerade letztere ist es jedoch, die uns an der Mittheilung derselben in unserm Blatte verhindert, – aber ohne Zweifel Bödeker selbst zum größten Wohlgefallen. Denn da er den Erlös für seine Jubelschrift der Entschuldung seines Schwesternhauses widmet, so geschieht es in seinem eigenen Interesse, wenn wir unsere Leser in dieser Beziehung auf diese „Denk- und Dankschrift“ des Jubilars hinweisen, die in der Hahn’schen Hofbuchhandlung zu Hannover erschienen ist.

Einer Freude geben wir zum Schlusse noch Ausdruck: es ist die über das seltene Glück Bödeker’s, für die Thaten seiner Menschenliebe so viel Gegenliebe, für seine vielen Wohlthaten so wenig Undank erlebt zu haben, wie seine helle frohe Jubelschrift bezeugt. Möge dieser Jubel seines Herzens durch keinen Mißklang gestört werden! Das wünscht ihm zu seinem Ehrenfeste recht innig seine alte Freundin, die Gartenlaube.
Fr. Hfm.




Eine Epistel an die Rheinländer.
Von Emil Rittershaus.


Es hat die Dichterzunft gesungen
So lang vom freien deutschen Rhein;
Durch alle Welten ist gedrungen
Das Lob von Rheinlands Volk und Wein.
Du frisch’ und rosig’ Bild, erblasse!
Schweig’ mit dem Lob, du Dichterschaar! –
Der Rhein ist noch die Pfaffengasse,
Wie er’s im Mittelalter war.

Wem will das Herz nicht überquellen
Vor Freude, wenn er rheinwärts zieht!
Aus Reben lugen die Capellen;
Es tönt der frommen Pilger Lied.
Mit Fahnen sind geschmückt die Dächer,
Im Laube jauchzt der Vöglein Chor;
Die Glocken läuten, und zum Becher
Winkt grüner Strauß an manchem Thor.

Schön ist der Rhein in Sommerzeiten,
Der Fürst der Ströme fern und nah –
Und wollt ihr in die Hütten schreiten
Am Strand, ein stolzer Sinn ist da.
Kein „Küß’ die Hand!“ Kein knechtisch’ Bücken!
Ich sag’ es diesem Stamm zum Ruhm –
Doch neigt und beugt sich Haupt und Rücken
Vor Einem, vor dem Priesterthum.

Das kommt nicht salbungsvoll von oben,
Liebt nicht die Augen zu verdreh’n,
Doch dort, wo Kegel wird geschoben,
Da kann man den Herrn Pfarrer seh’n,
Der weiß sein Liedlein mit zu singen,
Wo lust’ge Laune Wogen schlägt,
Giebt freie Bahn in allen Dingen,
Wenn die Vernunft nur Ketten trägt. –

Die ihr des Regimentes Zügel
In Händen habt, erkennt es klar:
Wer brach dem freien Geist die Flügel
Und gab die Macht der Pfaffenschaar?
Ihr nahmt die Herrn zu Bundgenossen,
Ließt frei sie schalten früh und spät –
Und nun? Ihr seht die Saaten sprossen
Und erntet jetzt, was ihr gesät.

Viel ist versäumt. Wohlan, zum Werke!
Noch lebt auch hier gesunde Kraft;
Im freien Volke sucht die Stärke
Und nicht in der Bedientenschaft!
Nur kein Vermitteln, feig und bange!
Hinweg die Schranken, groß und klein!
Die Schulen frei vom Priesterzwange –
Und anders wird das Volk am Rhein.

Nichts hoff’ ich zwar von jener Sorte,
Die stets nur mit dem Dasein spielt,
Die sich mit einem witz’gen Worte
An allem Ernst vorüberstiehlt.
Halb Pfaffenknechte, halb Hanswurste,
Im Herzen leer, im Sinne platt,
In einem groß nur, in dem Durste,
Und, ach, in allem Andern matt.

Die haben nur des Most’s Moussiren,
Doch nicht vom Weine Duft und Geist;
Die sind nur gut, wo Pokuliren
Und seichter Scherz die Losung heißt.
Gottlob, noch lebt am Rebenstrande
Manch’ hoher Geist, und ein Geschlecht,
Mit Liebe zu dem Vaterlande
Und einem Herzen, schlicht und recht!

Mit allen Ehren hat’s gestritten,
Als man zum Waffentanz gegeigt;
Treuherzig ist’s die Bahn geschritten,
Die ihm der Priester Hand gezeigt.
Hier laßt euch jetzt, ihr Freien, schauen!
Hierher! Hier ist des Kampfes Platz.
Zu spenden gilt’s den Rebengauen
Der Wahrheit, der Erkenntniß Schatz.

Kühn in die Welt, ihr Wissensreichen!
Nur frisch dem Volk euch zugesellt!
Ihr sollt dem Leuchtthurm nimmer gleichen,
Deß’ Strahl nur in die Ferne fällt.
Ihr, die ihr lebt, gekrönt vom Glücke,
Zerbrecht der Kasten alten Bann!
Die Bruderliebe schlag’ die Brücke
Vom reichen Mann zum armen Mann!

Du Volk im Land der Rebenranken,
Scheuch’ aus dem Herzen Spuk und Traum!
O, gieb dem Lichte der Gedanken
In deiner tiefsten Seele Raum!
Tritt kindlich fromm zu deinem Gotte,
Dien’, wie du willst, dem Herrn der Welt,
Nur laß beiseit die Pfaffenrotte,
Die zwischen Gott und dich sich stellt!

Sie lügen, die in Christi Namen
Dem Nächsten fluchen frech und dreist.
Sie sind vom Pharisäersamen
Und nicht aus der Apostel Geist.
Sie sind es, die den Götzen dienen,
Den Götzen Haß und Herrschbegier. –
Die Zeit ist da! Zum Kampf mit ihnen
Und kein Pardon! Sie oder wir! –

Du Volk am Rhein, wasch’ ab die Schande,
Daß du für Wahn die Lanze brichst,
Daß du im deutschen Vaterlande
Für Rom und seine Herrschaft fichtst!
Wach’ auf! Das Glück zukünft’ger Tage,
Die Freiheit bringt es nur allein.
Wach’ auf, daß man in Wahrheit sage
Und sing’ vom freien deutschen Rhein!



[794]

Ein sächsischer Schulmeister im Mormonenlande.


Für den in transatlantischen Ländern reisenden Deutschen ist es von besonderem Interesse und Reiz, das Leben und Streben, Treiben und Ringen unserer Landsleute in der Fremde zu sehen und zu beobachten, wie im Kampf mit fremdartigen Verhältnissen, mit heterogenen Lebensbedingungen, in freiem Spiel der Kräfte einer tüchtigen Persönlichkeit die eigenthümlichen Vorzüge und Schwächen des Stammes, dem das Individuum durch Geburt und Erziehung angehört, erst recht sich herausbilden und markiren. Wenn man nun aber meine speciellen Landsleute, die „Königreich-Sachsen“, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten in den mannigfachsten Lebensstellungen und auf den verschiedensten Niveaus der bunten Erwerbsthätigkeit wiederfindet, welche jene wunderbare amerikanische Welt bald aus dem Rohen im großen Style gestaltet, bald durch den Luxus raffinirter großstädtischer Uebercultur künstlich erzeugt, und sie in solcher Lage beobachtet, so widerspricht dies keineswegs obigen Beobachtungen. Ist doch das Königreich Sachsen selbst mit seiner stammlich gemischten Bevölkerung im hohen Grade ein Mikrokosmos, eine kleine aber ganze Welt, deren geistig und wirthschaftlich reichverzweigtes Leben alle Elemente und Hülfsquellen eines großen Staates im Kleinen wiederspiegelt. Kunst und Wissenschaft, Industrie und Landwirthschaft, Bergbau und Waldwirthschaft finden sich gleichmäßig vertreten und entwickelt in dem Ländchen, das auf seinen zweihundertfünfundsiebenzig Quadratmeilen eine mannigfaltige geographische Gestaltung aufweist und selbst von einer zum Meere führenden Wasserstraße durchzogen wird. Nach mannigfachen Begegnungen mit speciellen Landsleuten, die alle, auf sehr verschiedenen Wegen freilich, dem allgemeinen Ziele des Gelderwerbs zusteuerten, überraschte es mich aber doch in hohem Grade, als ich im Herbst 1872 in der großen Salzseestadt unter den Erziehern des heranwachsenden Mormonengeschlechts, ja als einen der Aeltesten der Mormonenkirche, ein Dresdener Kind, einen ehemaligen Lehrer einer dortigen Volksschule, Herrn M., fand.

Der Weg, welcher diesen Mann vom Katheder jener Schule zum Lehrertisch in der Mormonenschulclasse geführt hat, wo wir ihn zuerst, umgeben von seinen Schülern und Schülerinnen, fanden, ist ein krauser, seltsamer gewesen. Ich will mein merkwürdiges Zusammentreffen mit diesem Mann kurz zu schildern versuchen.

Am Abend des 14. October 1872 war ich mit zwei werthen Landsleuten, Touristen gleich mir, in der großen Salzseestadt angekommen. Wir hatten uns im Townsend-House einquartiert, einem Hôtel, das, geleitet von einem dreifach beweibten Mormonen, in der That in Einrichtung und Verpflegung eine dieser vierfältigen Direction entsprechende Vielseitigkeit der Fürsorge nicht vermissen ließ. Am anderen Morgen suchten wir alsbald einige Herren auf, an welche uns verschiedene Landsleute in schon von uns besuchten Städten der Union behufs Auskunft und Führung adressirt hatten. Allein vergeblich waren unsere Nachfragen. Die Herren waren eben nicht aufzufinden, da sie gestorben oder weiter nach Westen, nach irgend einem unbekannten Bergstädtchen Montanas oder Idahos, gezogen waren. Was nun beginnen? Wir schlenderten durch einige der breiten, wohlchaussirten, von dem bekannten Stadtbach durchströmten und mit freundlichen villenartigen Häusern besetzten Straßen zur schattigen Veranda unseres Gasthauses zurück und ließen uns das Adreßbuch geben. Vielleicht, daß wir auf diesem Wege einen gefälligen Cicerone durch das Rom der Mormonen und mit seiner Hülfe Gelegenheit zu einer Unterredung mit ihrem Papste Brigham Young erlangen könnten. Und siehe da, wir fanden in der That einen deutschen Namen mit dem Beifügen: Professor an der Universität, Aeltester der Mormonenkirche und Schuldirector. Die Salzseestadt, welche mit weit größerem Rechte als Chicago den Namen der Gartenstadt führen könnte, streckt sich weithin in dem Thale, welches die in edlen Formen sich erhebende Kette der Wahsatchberge begrenzt. Die Wohnung unseres Schulmeisters lag so ziemlich am Ende der Stadt. Wir mietheten daher eine Droschke – für drei Dollars die Stunde – und fuhren hinaus, an dem Tempel mit seinem Schildkrötendach und an der Residenz Brigham’s und seiner Weiber vorüber, die noch von der mächtigen Steinmauer umgeben ist, welche früher zum Schutz der bei Indianerangriffen dahin mit Weib und Kind sich flüchtenden Schaar der Heiligen aufgeführt worden ist. Auch an dem berühmten Adlerthor, das sich mit seinem aus Holz geschnitzten Aar gar wunderlich ausnimmt, führte uns unser Weg vorüber und dann auf staubigem, von Fruchtgärten besäumtem Wege weiter, bis der Wagen vor einem länglichen niedrigen Hause hielt.

Ohne Zögern traten wir über ein paar Stufen ein und sahen uns sofort im Schulzimmer; auf den Schulbänken saß eine Schaar meist gesund und blühend aussehender Kinder, Knaben und Mädchen durcheinander, in zwei Abtheilungen, von einem jüngeren und einem älteren Lehrer unterwiesen. Der letztere trat auf uns zu und bezeichnete sich uns als der Gesuchte, ein Mann mittlerer Größe, frischen Aussehens und kräftiger Gesundheit, nicht bebrillt und mit einem wenig schulmeisterlichen Wesen, so daß man ihn eher für einen deutschen Farmer hätte ansehen können. Er reichte uns, nachdem er unser Anliegen vernommen, freundschaftlich die Hand und versprach uns für den Nachmittag seine Führung, indem er uns einlud, seiner Lection beizuwohnen, was wir denn auch thaten. Während nun Herr M. seinen Schülern und Schülerinnen – die natürlich zum großen Theil aus polygamischen Ehen stammten – die beste Methode der Zinsenrechnung, des sogenannten compound interest, wie der technische Ausdruck der amerikanischen Schulterminologie lautet, lehrte, war auf der anderen Seite des ziemlich großen Raumes ein anderer Lehrer bemüht, seiner Schülerabtheilung einen elementaren Theil des stets auf die praktischen Bedürfnisse des Lebens berechneten Schulprogramms beizubringen. Um nicht zu stören, schieden wir bald, mit der Verabredung des Wiedersehens am Nachmittage. Bei aller Achtung vor den Leistungen der Verwaltung Brigham Young’s fiel doch die Parallele zwischen diesem dürftigen, räumlich so beschränken Schulhause und dem am Abend von uns besuchten geräumigen und luxuriös ausgestatteten Theater, dessen Baukosten zum großen Theil aus kirchlichen Mitteln flossen, zu dessen Ungunsten aus.

Unter der Führung des Herrn M., der sich uns in der liebenswürdigsten Weise während der beiden Tage unseres Aufenthaltes in der Salzseestadt widmete, durchstreiften wir die Salzseestadt und ihre nächste Umgebung; wir besuchten vor Allem das alte und das neue Tabernakel, den Tempelbau, der, nach einem Plane des Propheten selbst begonnen, ein großartiges Werk zu werden verspricht, wenn er je vollendet wird, sodann das „naturwissenschaftliche Museum“, ein Sammelsurium à la Barnum im Kleinen, unter dessen hervorragenden Stücken uns unter Anderem eine Ziethenhusarenpatrontasche, die Portraits von Kaiser Wilhelm und seinen Getreuen und das Bild einer Scene aus der Schlacht von Sadowa mit Stolz gezeigt wurden.

Die Merkwürdigkeiten der Salzseestadt sind, wie das Mormonenthum selbst, seine Entstehung und Lehre, zu bekannte Themata der Darlegung und Schilderung, als daß ich es unternehmen möchte, dieselben nach meinen Eindrücken und Erfahrungen wiederzugeben. Auch hier bewährte sich mir die alte Wahrheit, daß das Meiste in der Wirklichkeit doch ganz anders ist, als die aus den verschiedensten Berichten und Meinungen kaleidoskopartig zusammengesetzte Vorstellung uns annehmen ließ. Jedenfalls bleibt mir von allen empfangenen Eindrücken der als mächtigster bestehen, daß die Niederlassung der Heiligen der letzten Tage hier zwischen dem großen Salzsee und den höchst imposanten und herrlichen Wahsatchbergen eine große colonisatorische That ist, die in der Geschichte der Besiedelung des amerikanischen Westens eine bedeutende Stellung einnimmt. Wie man auch über die Mormonenlehre und ihre Auswüchse, die Polygamie, die Gefangenhaltung der Geister, den Zehnten etc. denken mag, in den fünfundzwanzig Jahren, seitdem die ersten Mormonenschaaren von Nauvoo, flüchtend vor einem fanatisirten Mob, hier in dem öden, unfruchtbar scheinenden, nur von Büffeln und ihren weißen und rothhäutigen Verfolgern belebten Thale einzogen und ihre Zeltpfähle steckten, bis heute ist Großes hier vollbracht worden. Das zeigt sich uns, wo wir auch hinschauen. Das vermochte allein die schaffende Kraft unseres Jahrhunderts, der Geist der Association, der hier noch dazu durch eine religiöse Idee getragen wird. In der Bethätigung dieser Gemeinsamkeit auf allen [795] Gebieten des Lebens, vornehmlich dem wirthschaftlichen, liegt meiner Ansicht nach das Geheimniß der Erfolge dieser merkwürdigen Secte der christlichen Kirchen.

Eine der weniger bekannten Schöpfungen dieser Art ist die Zion-Cooperative-Mercantile-Institution. Die „Z. C. M. I.“, wie sie in der amerikanischen Geschäftssprache kurz bezeichnet wird, ist eine großartige Productiv- und Verkaufsgenossenschaft, gegründet auf Actien für fünfzig Dollars, deren Unterbringung bis zum Gesammtbelauf von einer halben Million Dollars von vornherein durch Ursprung und Zweck des Unternehmens, als eine wirthschaftliche Stütze der Kirche, gesichert war. Wir besuchten das Hauptdepot in einem der schönsten steinernen Gebäude der Stadt, welches natürlich Eigenthum der Stiftung ist. Dort wurden wir von Herrn M.’s Bruder, der, ebenfalls früher Lehrer, ihm nachfolgte, empfangen. Er ist einer der Leiter des natürlich auch durch Young und zwar im Jahre 1868 gegründeten Instituts. Nach Young’s eigener Erklärung belief sich im Frühjahr dieses Jahres das einbezahlte Actiencapital auf nahe 750,000 Dollars. Das Waarenlager hatte einen Werth von anderthalb Million Dollars. Die Einkäufe für das zweite Halbjahr 1872 betrugen anderthalb Million Dollars Papier und 140,000 Dollars Gold. Die in sechs Monaten gemachten Geschäfte erreichten die Summe von zwei und einer halben Million Dollars und die für das letzte halbe Jahr ausbezahlte Dividende betrug zehn Procent.

Auf der Geschäftsempfehlungskarte sehen wir den Bienenkorb, das Symbol der Mormonen, mit der Umschrift: „Holiness to the Lord“. Auch Herrn M.’s Bruder bewährt in dieser Stellung die angeborene sächsische Vielseitigkeit. Die Verkaufshalle und die Waarenlager an Schnitt-, Kram- und Eisenwaaren, Mobiliar, Ackerbaugeräthen und Maschinen etc. kann man kaum eleganter und reichhaltiger in einer der großen Städte des Ostens finden. Alles, was der tägliche Bedarf erfordert, ist hier und in den zahlreichen Filialgeschäften der Stadt und des Territoriums zu haben. Die Institution hat auch eine Apotheke. Sie fabricirt auch in verschiedenen Spinnereien und einer Schuhwaarenfabrik viele ihrer Verkaufsartikel selbst. Die Kundschaft und die gute Rente kann natürlich bei der ganzen Organisation nicht fehlen. Auch das Theater der Salzseestadt, welches wir mit Herrn M. besuchten, ist kein Privatunternehmen; auch da bethätigt sich der Mormonismus. Der Prophet beschaffte die Mittel, hundertfünfzigtausend Dollars, zu dem kostspieligen Bau des stattlichen Gebäudes. Die Schauspieler sind großentheils mormonische Dilettanten; Repertoire und Leitung stehen unter Brigham’s Einfluß. Das Innere ist elegant, in Weiß und Gold decorirt, die Sitzplätze der vier Ränge sind freilich Holzbänke, nur die Sperrsitze gleichen denen unserer Theater. Der Prophet hat hier natürlich eine Reihe reservirter Plätze für seine Gattinnen, Söhne und Töchter; ihm selbst ist eine prächtig ausgeschmückte Prosceniumsloge gewidmet.

„The mixed marriage“ war der ominöse Name des Stückes, welches heute mit einem Gast aus New-York in der Hauptrolle gegeben wurde. Der Inhalt bestand, kurz gesagt, darin, daß ein junger Mann von zwei Frauen geliebt wird, allerlei böse Schicksale, ja sogar die Verurtheilung zum Tode erfährt, und zuletzt neben der einen ihm bereits angetrauten Auserwählten die andere, welche nicht von ihm lassen will, als „Schwester“ acceptirt. Jeder Act endete natürlich mit einem Knalleffect und zwar unter gehöriger Steigerung: der erste mit einer Ohnmacht, der zweite mit einem Fluch, der dritte mit einem Durchbruch durch das Eis, der vierte mit einem tödtlichen Axthieb. Dieses Alles wurde aber durch das in bengalischem Feuer strahlende Schlußtableau überboten: man sieht den Bösewicht am Galgen hängen – in der That ein unverdientes Schicksal, denn der treffliche New-Yorker Schauspieler war es allein, der dem abgeschmackten Stück das Interesse des Publicums zu erhalten wußte. Glücklicherweise betreibt der Bösewicht das Geschäft hier in der Salzseestadt schon seit mehreren Wochen, ohne merklichen Schaden an seiner Gesundheit zu leiden. Das Stück wurde schon seit längerer Zeit allabendlich gegeben, daher die Leere des Hauses. Nur hie und da sieht man eine junge, hübsche Mormonin, gekleidet in die schreiend bunten Farben der amerikanischen Mode. Auch die beiden Herren Söhne des Präsidenten Young, welche vor uns auf den sonst leeren Sitzreihen der Young’schen Familie Platz genommen hatten, schienen das Stück schon oft gesehen zu haben; die Burschen, im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren, langweilten sich; der eine hatte sich der Länge nach ungenirt auf einer Sitzreihe gelagert; zur Abwechselung bewarf er einen anderen Burschen, der ebenfalls auf einer leeren Bank lag, mit Crackers. Ein zweiter dieser hoffnungsvollen Blüthen des zukünftigen Mormonenthums schaukelt sich, den Hut auf dem Kopf, auf einem Rollstuhl, der extra zur Benutzung für eine der älteren Frauen Brigham Young’s hingestellt ist.

Unter der Veranda unseres freundlichen Hôtels bei einer Tasse Kaffee sprach sich Herr M. uns gegenüber offen und schlicht über die Mormonenlehre und das, was er für das Wesentliche derselben halte, aus. Er ist felsenfest überzeugt, daß die Mormonenkirche noch eine große Zukunft habe und daß alle Verfolgungen und Anfeindungen, welchen sie besonders durch die „Frömmler in Massachusetts“ ausgesetzt sei, ihr nur zum Segen gereichen können. Auch die Polygamie vertheidigte unser mormonischer Landsmann und wies darauf hin, daß sie einen Schutz gewähre gegen die Prostitution (!). Die Geschichte seiner Bekehrung gebe ich so, wie sie mir nach seiner Erzählung im Gedächtniß liegt. Hier ist sie:

„Ich war Lehrer an einer der Volksschulen in Neustadt-Dresden und gehörte einem Verein an, in dessen Kreise populärwissenschaftliche Vorträge gehalten zu werden pflegten. Die Reihe kam an mich, und ich wählte, angezogen durch die Lectüre des Buches von Moritz Busch, das Thema: ‚Die Mormonenlehre‘. Allein ich wünschte mir eine selbstständigere Auffassung, ein gründlicheres Verständniß von der Sache zu verschaffen, und schrieb, da ich wußte, daß die Mormonenkirche Missionäre, namentlich in den skandinavischen Ländern, unterhalte, an einen Freund, der in Kopenhagen lebte. Einige Zeit verging, ohne daß ich Antwort erhielt. Die Mormonenlehre beschäftigte mich indessen vielfach, da ich mir sagen mußte, daß viele Zweifel, Widersprüche und Ungewißheiten, welche mir bisher beim Religionsunterricht über manche wichtige Punkte geblieben waren, in der Mormonenlehre auf die einfachste, für mich zusagendste Weise gelöst waren. Etwas Außerordentliches sollte sich aber zutragen, um mich zu bekehren. Ich gab dem Sohne einer polnischen Gräfin Privatstunden. Eines Tages, als ich zur gewöhnlichen Zeit meinen Schüler besuchte, war derselbe verhindert, und ich daher genöthigt, im Gartensalon des Hauses zu warten. Hier eine längere Zeit allein und über allerlei nachdenkend, vernahm ich plötzlich mit dem geistigen Ohre ein längeres Gespräch, das ich mit einem unbekannten Manne führte, zuerst über gewöhnliche Dinge, dann über Grundfragen des Mormonismus. Nach einiger Zeit trat Jemand ein – Alles war vorüber.

Wer schildert mein Erstaunen, als ich bald darauf den Besuch eines Fremden empfing, der sich mir als ein Aeltester der Mormonenkirche, aus Kopenhagen stammend, vorstellte. Bei meiner damaligen geringen Kenntniß der englischen Sprache und da er des Deutschen nicht mächtig war, wurde das Gespräch nur mangelhaft geführt. Unter der Firma des Sprachunterrichts blieb der Aelteste einige Zeit in Dresden und ich eignete mir von dem Manne, der eine stattliche, hohe Gestalt hatte, und das Wort mächtig führte, doch Einiges über die Mormonenlehre an.

Eines Abends ging ich mit ihm über eine der Elbbrücken, und hier begann Wort für Wort jenes Gespräch, das ich damals im Gartensalon der Gräfin im Voraus vernommen hatte. Seitdem stand mein Entschluß fest, zur Mormonenkirche überzutreten; meine Frau wollte ihr Schicksal nicht von dem meinen trennen, und so gab ich, fest gegen alle Versuche meiner Freunde, mich zurückzuhalten, meine Stellung auf. Zu meiner Taufe traf ein Apostel der Mormonenkirche von London ein. Dieser Act wurde, natürlich heimlich, Abends spät, am Ufer der Elbe, oberhalb der Stadt vollzogen. Als ich aus dem Wasser kam und meine Kleider angethan hatte, nahmen mich beide Glaubensgenossen unter den Arm und wir gingen nach der nächsten Station der böhmischen Bahn.“

Herr M. versicherte uns, daß auf diesem Wege auch seine mangelhafte Kenntniß des Englischen verschwunden sei, und er jedes Wort, das die Beiden zu ihm sprachen, verstanden habe, bis der Pfiff der Locomotive plötzlich das Gespräch störte und unterbrach.

Bald darauf zog Herr M. mit seiner Frau, die auch Mormonin wurde, nach der Salzseestadt. Er hat übrigens von [796] dort seine Geburtsstadt Meißen einmal besucht, bei Gelegenheit einer Mission, die er im Auftrag der obersten Kirchengewalt nach der Schweiz unternahm. Herr M. ist bisjetzt nur theoretischer Polygame. Der Unterhalt mehrerer Frauen soll auch in der Salzseestadt unverhältnißmäßig kostspielig sein.

Unser freundlicher Cicerone führte uns, wenige Stunden vor unserer Abreise, noch zum Präsidenten Brigham Young. Wir wurden in ein Gartenzimmer des großen Gebäudecomplexes geführt, welches den Namen: the President’s house trägt. Hier, in einem einfach möblirten, mit einigen in Oel gemalten Portraits von Propheten der Mormonenkirche geschmückten salonartigen Comptoir, pflegt Young seine Visiten zu empfangen und seine zahlreichen weltlichen Geschäfte, die ihm als Eisenbahn-, Bank- und Zioninstituts- etc. Director obliegen, zu erledigen. Bald erschien er denn auch und wandte sich nach einem kurzen Gespräch mit einem seiner Söhne zu uns, indem er uns die Hand bot. Er hat eine kurze gedrungene Gestalt, mit mächtigem Kopfe, hoher Stirn, unruhigen, lebhaften Augen von grünlicher Farbe, breiten Lippen, vorspringendem Kinn. Das Haupt des Einundsiebzigers war noch vollständig mit zurückgelegten, blonden, graugemischten Haaren bedeckt; den unteren Theil des Gesichts umschloß ein röthlicher Backenbart. Der „Präsident“ war im Morgenrock und hatte, von einer Eisenbahnexcursion des vorhergehenden Tages erkältet, ein dickes wollenes Tuch um den Hals geschlungen. Er schien denn auch noch jetzt indisponirt, denn er lispelte nur. Auf Anregung von unserer Seite sagte er einige Worte über die Schwierigkeit, welche die Gründung der Salzseestadt gemacht, über die Eisenbahnen, welche gebaut und noch zu bauen. Er erzählte uns, daß er zwar in Europa, nämlich in England, aber noch nie in Deutschland gewesen. Schließlich ersuchte uns der Secretair, ein junger Mann, dessen Schauspielertalent wir am Tage vorher im Theater hatten bewundern können, unsere Namen in das Fremdenbuch zu schreiben, und darauf empfahlen wir uns.

Eine Stunde später schieden wir unter herzlichem Händedrucke von unserem Freunde, Herrn M. Seiner Gefälligkeit hatten wir es zu verdanken, daß wir die kurze Zeit unseres Aufenthaltes vollständig ausnutzen konnten. Ich habe nichts wieder von ihm gehört und rufe ihm daher durch dieses auch drüben so viel verbreitete Blatt nochmals einen landsmännischen Gruß zu. Die Zeitungen brachten kürzlich Allerlei über den Propheten. Sie meldeten, daß er, der vielen Anfeindungen müde, sich nach Arizona begeben und dort eine neue mormonische Colonie gründen wolle. Sie theilten auch mit, daß ihn eine seiner Frauen wegen Polygamie angeklagt habe, und daß die Regierung überhaupt der Polygamie in Utah ein Ende machen wolle. Was daran Wahres ist, habe ich bis jetzt nicht ermitteln können, wohl aber liegt mir eine Erklärung Young’s vor, die er vor einiger Zeit im „New-Yorker Herald“ veröffentlichte. Dieselbe wurde meines Wissens bis jetzt nur durch wenige Zeilen auf telegraphischem Wege in Deutschland bekannt. Demnach hat der Prophet allerdings einige von seinen weltlichen Aemtern und namentlich die Präsidentschaft der obengenannten Institute niedergelegt, dagegen, so heißt es in der Erklärung, bleibt er Präsident der mormonischen Kirche. Er sagt:

„In dieser Eigenschaft werde ich fortfahren, die Oberaufsicht über kirchliche und weltliche Angelegenheiten zu führen, indem ich die Details jüngeren Männern überlasse. Wir beabsichtigen, in Arizona, im Lande der Apaches Niederlassungen zu gründen. Wir sind überzeugt, daß, wenn wir mit diesen Indianern bekannt geworden sind, wir sie zum Frieden in Uebereinstimmung mit der Indianerpolitik des Präsidenten Grant bewegen und jenes Land den Weißen zu Niederlassungen zugänglich machen können. Unsere Städte, Ortschaften und Dörfer erstrecken sich jetzt über vierhundert Meilen nach jener Richtung hin.“

Mit folgenden charakteristischen Worten schließt der Prophet seine Erklärung:

„Das Resultat meiner Arbeiten während der letzten sechsundzwanzig Jahre ist kurz zusammengefaßt folgendes: Dies von den Heiligen des jüngsten Tages bevölkerte Territorium zählt jetzt gegen hunderttausend Seelen. Mehr als zweihundert Städte, Ortschaften und Dörfer sind gegründet und von den Unsrigen bewohnt. Dieselben erstrecken sich im Norden bis Idaho, im Osten bis Wyoming, im Westen bis Nevada, im Süden bis Arizona. Schulen, Fabriken und andere Anstalten, welche dem Fortschritte und der Wohlfahrt unseres Gemeinwesens dienen, sind gegründet worden. Alle meine Unternehmungen und Arbeiten sind in Uebereinstimmung mit meinem Berufe als Diener Gottes ausgeführt worden. Ich erkenne keinen Unterschied zwischen geistlichen und weltlichen Arbeiten an. Es hat Gott gefallen, mich mit Wohlstand zu segnen, und als treuer Verwalter wende ich denselben an zum Wohle meiner Mitmenschen, um deren zeitliches Glück zu fördern und sie zugleich für die künftige Welt vorzubereiten. Mein ganzes Leben ist dem Dienste des Allmächtigen geweiht. Während ich bedaure, daß meine Mission von der Welt nicht besser verstanden wird, bin ich überzeugt, daß die Zeit, da ich verstanden werde, kommen wird. Das Urtheil über mein Wirken und dessen Ergebnisse stelle ich der Zukunft anheim.“

Einsichtige Kenner der Verhältnisse sind freilich der Meinung, daß das Mormonenthum sich schon jetzt in einer höchst bedenklichen Krisis befinde, da der Silberbergbau Utahs jährlich große Schaaren nichtmormonischer Einwanderer heranziehe. Mit jedem Jahre wächst die Zahl der Nicht-Mormonen auch in der Salzseestadt sehr bedeutend, wie wir dies von den Heiligen selbst hörten. Die Neigung der jungen mormonischen Damen, sich mit Nicht-Mormonen zu verheirathen, ist im entschiedenen Zunehmen. Wenn aber erst der Prophet das Zeitliche gesegnet hat, so werde, meint man, die neue Kirche schnell und schneller einem unaufhaltsamen Verfalle und schließlich ihrer Auflösung entgegengehen.

     Bremen.
M. Lindeman.




Thüringer Industrie.
Von Reinhold Sigismund.
Der Medicinhandel.
(Schluß.)

Obgleich der Handel mit Medicinwaaren in einigen Ländern verboten war, blühte doch das Geschäft der Laboranten und Balsamträger ohne ernsthafte Hindernisse weiter, bis sich durch die Schuld eines Laboranten ein schweres Gewitter über Alle zusammenzog.

Es hatte nämlich der mit Verfertigung verschiedener Medicinalwaaren sich befassende Dr. Worm in Oberweißbach 1805 von einem Elixir, dem Elixir Proprietatis des Paracelsus, welches er selbst verfertigt, eingenommen und Uebelsein darauf verspürt, ebenso ging es einer Magd und anderen Personen. Dr. Worm schöpfte hierdurch Verdacht und beschuldigte voreiliger Weise eine aus einem Leipziger Hause bezogene Pottasche, die er zu diesem Elixir verwendet, giftiger Eigenschaften, was sich zu bestätigen schien, als zwei Hunde, denen man davon auf Butterbrod zu fressen gegeben, convulsivische Zufälle und langanhaltendes Brechen darauf bekamen. Dr. Worm vernichtete hierauf das noch vorhandene Elixir und schrieb an die Balsamträger, welche dergleichen von ihm gekauft hatten, daß sie mit dem Vertriebe desselben inne halten sollten. Die tausendzungige Fama aber hatte sich schon der Sache bemächtigt und trug die Begebenheit, wie gewöhnlich, ganz entstellt in alle benachbarten Länder. Es hieß: Dr. Worm habe seine Medicamente aus Versehen mit aufgelöstem Arsenik vergiftet, eine Magd und ein Hund seien bereits daran gestorben. Regierungen und Publicum wurden alarmirt; es wird in Saalfeld, Koburg, Gera, Altenburg, Gotha, Meiningen, Hildburghausen, Anspach, Bamberg verfügt, die Waaren der Balsamträger mit Beschlag zu belegen. In der „Bamberger Zeitung“ macht der Polizeidirector bekannt, daß die sogenannten Königseer zu verbannen seien, man solle Anzeige über die Anwesenheit solcher schädlichen Arzneimittelhändler machen.

[797] Von den Predigern werden Warnungen gegen dieselben von den Kanzeln herab verlesen. Es half nichts, daß sich später durch die Untersuchung der ausgezeichnnetsten Chemiker herausstellte, daß die Leipziger Pottasche ohne schädliche Beimischung und die Vergiftungsgeschichte nur blinder Lärm gewesen sei. Balsamträger, die von den Briefen des Dr. Worm nicht erreicht worden waren, hatten das Elixir ruhig weiter verkauft und nirgends waren giftige Wirkungen desselben beobachtet worden.

Es half nichts, daß die schwarzburger Regierung das Resultat der Untersuchung in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften an die Regierungen bekannt machte. Das Hausiren der Balsamträger, Olitätenkrämer und Arzneihändler blieb bei Strafe verboten, ja in manchen Ländern sollte ihnen sogar der Durchgang durch das Gebiet nicht mehr gestattet und die Waaren beim Transport durch dasselbe confiscirt werden. Die schwarzburger Regierung war dem Medicinhandel gegenüber in eine unangenehme Lage versetzt worden. Es war dieser Industriezweig zu einer Zeit entstanden, wo der Handel mit Arzneiwaaren in keinem deutschen Staate verboten war. Er hatte sich immer mehr entwickelt. Eine Menge Menschen nährte sich davon und zog, wie gewissenhafte Männer versicherten, jährlich mehrere Hunderttausend Thaler fremdes Geld in das Land. Im Jahre 1805 wurden neunundzwanzig Laboranten und sechshundertvier Olitätenhändler ermittelt. Sollte man die Fabrikation der Arzneiwaaren und den Handel mit denselben nun, wo derselbe mit den Gesetzen der meisten Länder in Widerspruch gekommen war, verbieten, Elend, Verarmung, ja völlige Brodlosigkeit über einen ganzen District herbeiführen? Man wird zugeben müssen, daß dies der schwarzburger Regierung nicht zuzumuthen war. Wenn sie sich auch bestrebte, andere Industriezweige einzuführen, so war es doch unmöglich, sogleich durch dieselben Ersatz zu bieten. Sie versuchte dagegen Alles, um eine gewisse Ordnung in das Laborantengeschäft zu bringen.

Obgleich auch bisher schon von dem Amtsphysicus vor Amte Diejenigen, welche Laboranten werden wollten, examinirt worden waren und nach bestandener Prüfung verpflichtet wurden, sowie auch die Olitätenhändler, wurde doch eine neue Verordnung erlassen, in welcher diese Bestimmungen verschärft wurden. Es soll Keiner die Erlaubniß zu laboriren, das heißt Medicinwaaren zu verfertigen, erhalten, der nicht seine Recepte oder das Dispensatorium, nach welchen er arbeitet, dem Physicus anzeigt. Dann erst wird er zum Laborantenexamen zugelassen. Er erhält nach bestandener Prüfung, und nachdem er verpflichtet worden ist, die Erlaubniß, alle von ihm zur Prüfung vorgelegten Recepte, durchaus aber keine anderen Medicamente, zum Verkaufe zu verfertigen. Er darf seine Medicinwaaren nicht anders als bereits gefüllt, versiegelt und verpackt an die Medicinhändler abgeben, zu welchem Zwecke jeder Laborant sein eigenes Petschaft zu führen hat. Zum Medicinhändler soll Keiner aufgenommen und verpflichtet werden, der nicht wenigstens drei Jahre mit seinem Vater oder mit einem anderen verpflichteten Medicinhändler gereist ist. Die Medicinhändler sollen sich alles Curirens und Pfuschens in der Medicin und Chirurgie enthalten und durchaus keine Medicamente selbst verfertigen. Sie sollen ferner nur bei einem bestimmten Laboranten ihre Medicamente entnehmen und von einem Anderen nur dann Waaren bekommen, wenn sie ein Attest ihres bisherigen Laboranten beibringen, wonach derselbe bezeugt, keine Anforderungen mehr an Jene zu haben.

Allein diese Vorkehrungen genügten nicht, die gegen den Medicinhandel gerichteten Verbote der übrigen Regierungen rückgängig zu machen. Im Gegentheil wurden die Maßregeln gegen die Balsamträger und Olitätenkrämer immer schärfer. Eine an die schwarzburgische Regierung, natürlich in französischer Sprache, gerichtete Zuschrift des damaligen Königreichs Westfalen 1810 nennt die Händler in echt französischen Hyperbeln eine wahre Pest im Laufe ihrer Invasion, die eine gute Polizei nicht dulden dürfe, ohne das öffentliche Wohl zu compromittiren. Vom königlich sächsischen Ministerium läuft später eine Liste der von 1825 bis 1835 aufgegriffenen Medicinhändler ein, an Zahl siebenundachtzig, deren Waaren confiscirt, und die auch sonst mit Geld und Gefängnißstrafen belegt worden waren. Aehnliches geschah in allen übrigen Ländern. Aus diesem Grunde wagten es die Medicinhändler bald nicht mehr, unter ihrem alten Titel zu reisen. Sie zogen als Glas-, Porcellan-, Sämereienhändler in die Welt, und da die Pässe nicht mehr auf den Namen „Olitätenhändler“ ausgestellt werden durften, wurden auch keine Medicinhändler mehr verpflichtet.

Hierdurch gelang es der Schwarzburger Regierung auch, die Reclamationen fremder Regierungen zurückzuweisen. Aber auch unter dieser neuen Firma des Porcellan- und Glashandels waren sie der schärfsten Controlle unterworfen und vor den Nachstellungen der Polizei nicht sicher.

Dennoch, trotz der härtesten Maßregeln der Regierungen, ist es ihnen nicht gelungen, den Medicinhandel zu unterdrücken. Das Laborantengeschäft ist noch heute die Nahrungsquelle vieler Ortschaften der Schwarzburg-Rudolstädter Oberherrschaft. Viele Laboranten beziehen die Messen, versenden auch große Mengen von Arzneimitteln über die See. So fand man, daß ein Laborant, der nicht zu den bedeutendsten gehörte, auf einmal hundertfünfzig Pfund Kaiserpillen nach Hamburg sandte.

Der Medicinhandel ist noch immer ziemlich lohnend, dabei interessant, nicht angreifend und Ansehen verschaffend. Ein damit vertrauter und zuverlässiger Mann gab im Jahre 1857 an, daß in einem kleinen Orte von dreizehn Medicinhändlern nach Abzug aller Auslagen und Bedürfnisse ein jährlicher Reingewinn von circa siebentausend Gulden gemacht werde. Manche Laboranten haben sich ein ganz anständiges Vermögen erworben, wovon die ansehnlichen Häuser derselben Zeugniß ablegen. Manches Laborantengeschäft ist so gut und reichlich eingerichtet wie die beste Apotheke. Die Medicinwaaren haben jedoch am Bereitungsorte selbst einen sehr geringen Preis. Meist sind die althergebrachten Namen und Gebrauchsanweisungen der Medicamente beibehalten; sogar das Papier, worauf die Gebrauchsanweisungen gedruckt sind, hat die Farbe und das Ansehen wie in früheren Zeiten. Auch die Fläschchen, in welche die Arzneien gefüllt werden, haben die althergebrachte Form, denn das Volk hält am Alten fest, und in Tausenden von Häusern wird der Balsamträger noch gern gesehen und gegen die Verfolgungen der Polizei so viel wie möglich geschützt. Man kauft, was die Mütter und Großmütter gekauft und geschätzt haben. Wie der viele Krankheiten betreffende Aberglaube auf dem Lande, wie leicht nachzuweisen ist, von den Aerzten des sechszehnten Jahrhunderts, von Paracelsus und seiner Schule, eingeführt worden ist, von dem sich das Volk bis heute noch nicht losreißen konnte, so wurden auch die Arzneien der Balsamträger von früheren Aerzten erfunden, und das Volk hat sie als Hausmittel, die gleich zur Hand sind, wenn etwas verkommt, beibehalten. Oft ist ja der nächste Arzt erst in mehreren Stunden zu erreichen; so hat man doch wenigstens einstweilen etwas, die erste Angst zu beschwichtigen.

Wir haben oben das Urtheil des Königseer Amtes angeführt, nach welchem die geringe chemische Kenntniß der Laboranten die Schuld an dem Verfalle des Geschäftes haben sollte. Wir glauben jedoch, daß gerade die Kenntniß neuer Stoffe und deren Verwendung dem Medicinhandel Schaden gebracht haben. Wären die Laboranten bei ihren alten unschuldigen gebrannten Wassern, Balsamen und Olitäten geblieben, so würde man ihnen nicht den Vorwurf haben machen können, sie richteten durch Verabreichung von schädlich wirkenden Substanzen Schaden an. Die in Tausenden von Attesten beglaubigte Wunderwirkung der neueren Brustsyrupe, die aus nichts als gekochtem Zucker bestehen, beweisen schon, wie es gar nicht darauf ankommt, daß eine solche Medicin wirksame Stoffe enthalte. Der Glaube thut das Meiste.

Die beste Kritik des Laborantenwesens haben wir in einer Schrift der gothaischen Regierung an die schwarzburgische bei Gelegenheit der Worm’schen Sache gelesen. Diese sagt, sie glaube, keinen besseren Beweis gegen den Arzneihandel bringen zu können, als das von der schwarzburgischen Regierung selbst Gesagte, nach welchem die Worm’sche Arznei nur übel gewirkt habe, weil sie verkehrt angewendet worden sei. Eben deshalb könne man solches nicht Unberufenen in die Hände geben, noch weniger aber zusehen, wie leichtgläubigen Landleuten dergleichen als Universalmedicin angepriesen und aufgeschwatzt werde.

Die Medicinhändler verfertigen in der neueren Zeit ihre Waaren selbst und die Laboranten sind zum größten Theile Droguisten, von denen jene die Rohstoffe kaufen. Titel von den gebräuchlichsten Arzneien, die verfertigt werden, sind: Redlinger’sche, [798] Morrison’sche, Kaiser-Pillen, Dr. Stoughton’s Elixir magnum, Sulzberger’sche Flußtinctur, der goldene volatilische Melissengeist oder extra-ordinäres Schlagwasser, Menadische oder Altonasche Wunder-Kron-Essenz, Dr. Steer’s chemisches Opodeldok, das edle, gerechte und herrliche Bergöl, Universal-Lebensbalsam und ebenso Lebensöl, Augsburger Lebensessenz, Ballhausische schwarze Magen- und Gallentropfen, Jerusalemitanischer Balsam, Wiener Wunderbalsam, Schmerzstillende Kinder-Tinctur, Roßessenz, Viehpulver, Roß-, Drus- und Freßpulver und dergleichen mehr. Außerdem fertigen die Laboranten Räucherpulver, Räucherkerzen, Eau de Cologne, Schneeberger Schnupftabak, Schwarzburger, Hamburger, Menrisches Pflaster und sind sehr geübt in Darstellung von allen Sorten sehr schmackhafter Liqueure, die im Volke oft sehr sonderbare Namen haben, wie z. B. Schweinstreiber, Krammetsvogelspiritus und so fort.

Durch die norddeutsche Gewerbeordnung von 1870, welche außer den Apothekergeschäften kein Gewerbe kennt, mit dessen Ausübung die Befugniß zur Anfertigung von Arzneimitteln verbunden ist, hat die Prüfung und Verpflichtung der Laboranten, sowie die in den letzten Jahren gesetzmäßig vorgeschriebene Visitation ihrer Geschäfte durch die Physici ein Ende genommen.

Da es späteren Bestimmungen vorbehalten ist, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehre überlassen werden sollen, befindet sich die Angelegenheit des Medicinhandels noch in der Schwebe. Wahrscheinlich dürfte aber eine mildere Behandlung der Medicinhändler eintreten, besonders wenn sich dieselben angelegen sein lassen, sich unschuldiger Mittel zu bedienen. Alle Verbote und Verfolgungen waren ja ohnehin, wie man sieht, nicht im Stande, dem Medicinhandel ein Ende zu machen, denn das Verbotene reizt. Uebrigens wird der Handel mit anderen Geheimmitteln, die wir nicht zu nennen brauchen, so öffentlich und großartig betrieben, daß deren Erfinder reich davon werden. Will man dem Handel mit Dergleichen wirklich beikommen, so könnte dies nur dadurch geschehen, daß man den Glauben an deren Wunderwirkung durch eine bessere Bildung und Belehrung des Volkes zu vertilgen sucht. Doch meinen wir, daß man dies bei dem unserem Volke innewohnenden Hange, am liebsten das Wunderbarste zu glauben, niemals erreichen wird. Daß wir wenigstens noch weit davon entfernt sind, scheint uns das Beispiel mancher Volksschullehrer zu beweisen, welche am meisten von Wundercuren zu erzählen wissen und oft auch selbst gern etwas medicinische Praxis treiben.



Das Bild ohne Gnade.
Erzählung von A. Godin.
(Fortsetzung.)
8. Thea.

Ein Jahr war vergangen. So ungern Graf Hugo darauf verzichtete, mit Thea Parade zu machen, hatte er doch ihrer Trauerzeit Rechnung getragen. Das Stillleben, welches sie sich nach ihrer Rückkehr von der Heimath zu schaffen gewußt, und worin er sie gewähren ließ, brachte sie der Gräfin etwas näher.

Ein Sohn und Erbe wurde inzwischen geboren; man verlebte mehr Zeit auf dem Lande, als während des ersten Ehejahres, und die Liebe, welche Thea dem kleinen Stammhalter zeigte, gewann ihr die Nachsicht der Mutter in um so höherem Grade, als zu den früheren Aergernissen jetzt kein Anlaß vorlag. Daß der Graf mit seiner Pflegetochter philosophische Werke las und von den Literaturen aller Länder naschte, störte seine Frau höchstens dann, wenn die ihr langweiligen Studien in ihrer Gegenwart zum Gesprächsthema wurden. Im Stillen tauchte ihr der Gedanke auf, in dem klugen Mädchen, deren Zwitterstellung sie schwerlich zu einer passenden Heirath mochte gelangen lassen, später eine ganz geeignete Gouvernante für ihre Kinder zu besitzen; dies gab Thea’s Zugehörigkeit zur Familie in ihren Augen gleichsam einen Boden.

Graf Hugo, dessen jüngste Laune sich auf Naturwissenschaften und dahin einschlagende Philosophie geworfen, gab die Weisheiten, welche ihm aufgingen, frisch und mit seiner individuellen Auffassung verbrämt, an die junge Schülerin weiter. Alles, was er ihr bot, war von prächtiger Façade und lud zum Eintritt ein. Das geistvolle Mädchen, deren Scharfsinn es nicht entging, daß ihr Wegweiser von den Dingen, die er ihr zeigte, nur die glänzende Oberfläche sah, fand sich vom brennendsten Durst ergriffen, in die geheimnißvollen Tiefen zu tauchen, aus welchen früher Gehörtes, Unverstandenes ihr doch schon als Bekanntes entgegenleuchtete. Mit Ungestüm drang sie in den dunkeln Schacht, um zu den Goldadern zu gelangen, die sie dort ahnte. Gewöhnt, all ihr Denken an das Bild des geliebten Freundes zu knüpfen, wurden ihre Briefe an ihn, welche unter Robert’s Adresse häufig gingen und kamen, nach und nach zu Tagebüchern eines Strebens und Forschens, das Ernst keineswegs erfreute. Ihm war der Geist des Weibes ein köstlicher, erquickender Quell, an gesegneter Stätte entsprungen und eingehegt, ein Brunnen, der ihr allein gehört, aus dem Keiner schöpfen darf, dem sie es nicht gestattet. Tiefstes Bedauern ergriff ihn, so oft er sah, daß solch eine Begnadete hinausging an den großen See, wo ihrer Hunderte stehen, um aus- und einzugießen, was sie holen und bringen, und daß sie meinte, was sich dort schöpfen ließ, sei mehr werth, als ihre eigene Quelle. Der reine Sinn, der Scharfblick des eigenen prophetischen Herzens lehrte nach seiner Ueberzeugung das Weib die ganze Welt verstehen; dieses Orakel mußte ihr stets Alles verkünden, woran am meisten gelegen. Und gab er Ausnahmen zu, war ein Vertiefen in abstracte Fragen für einzelne Frauen wirklich ein Lebensbedürfniß, seine Dora war solche Ausnahme nicht! Diese phantasievolle, leidenschaftliche Natur bedurfte übersinnlicher Ideale; wenn sie die steilen Höhen, von welchen aus weiteste Umschau geboten, wirklich erklimmte, so würde sie dort eine Luft finden, in der zu athmen für sie unmöglich war.

Er sprach diese Ueberzeugung rückhaltlos gegen Thea aus und erweckte damit in ihr tiefste Mißstimmung. Sie fühlte sich unverstanden und gedemüthigt. Der geistige Hochmuth, welcher sich in halbfertigen Naturen am schärfsten regt, bäumte sich auf. Und wie denn Alles leicht mißverstanden wird, was sich, aus seiner Verbindung gerissen, einzeln der Betrachtung darstellt, erschien ihr des Verlobten liebevolles Ablenken nur engherzige Nichtachtung ihrer Fähigkeiten. In den Briefwechsel, der seit einem Jahre Beider höchstes Glück gewesen, schlich sich jene leise Verstimmung ein, die aus Scheu, falsch verstanden zu werden, sich nicht zur lösenden Offenheit losringt, und Todesgefahr im Gefolge führt, wenn das kranke Selbstgefühl sich in stolzes Schweigen verhüllt. Was ein Blick, ein Händedruck oder ein warmes Wort rasch ausgleicht, glimmt träge und doch zerstörend fort, wo das zwischen Zürnen und Sehnen geschriebene Blatt Tage und Nächte bedarf, bis es die Hand, das Herz erreicht, für das es bestimmt ist.

Ernst empfand die Kühle, welche ihn aus den Briefen der Geliebten anwehte, mit tiefem Schmerz; im Bewußtsein voller Liebe und Treue versuchte er jedoch nicht, stürmisch wieder zu gewinnen, was, wie er empfand, unveräußerlich sein war. Er kannte die gährenden Elemente des Feuergeistes, dem er sich verbunden, und vertraute auf die Kraft der wahren, tiefinnersten Natur Thea’s.




9.

Ende Mai, als Matterns sich eben rüsteten, von der Residenz nach dem Gute überzusiedeln, empfing Thea einen kurzen Brief aus der neuen Heimath der Ihren, welcher ihr mittheilte, die Mutter sei erkrankt und verlangte nach ihr. Erschreckt durch diese Nachricht, reiste das junge Mädchen sogleich ab und traf Frau Rostan zwar außer Gefahr, aber noch schwer leidend. Wochenlanges Krankenlager ließ, trotz der sorgfältigsten Pflege, bei Frau Sophie eine Schwäche und Niedergeschlagenheit zurück, die für Thea äußerst bedrückend war. Die ganze Frische ihrer Mutter, welche so deutlich in der Erinnerung ihrer Kinder lebte, war dahin. Sie hatte sich geistig von dem Schlage nicht mehr erholt, welchen sie durch den Verlust des Gatten erlitten. Ueberanstrengung mochte mitgewirkt haben, ihre körperlichen

[799]

Geangelt und Gefangen. – Nach dem Oelgemälde des Professor Sonderland in Düsseldorf.

[800] Kräfte zu lähmen, und jetzt nach überstandener Krankheit schien das einst so sanguinische Temperament ganz in das Gegentheil umgeschlagen. So oft sie mit ihrer Tochter allein war, gab sie den Sorgen und Klagen Ausdruck, welche ihre Gedanken einnahmen.

„Was soll aus den Kleinen werden, wenn ich, wie es eben noch so nahe gedroht, frühzeitig sterben muß?“ – immer und immer wieder drängte sich diese Frage auf ihre Lippen. Seufzend gedachte sie des von Thea geschlossenen Bundes:

„Wenn nun Alles übel endet? Wenn sich der Graf, entrüstet über die Nichtachtung seines Willens, beleidigt von Dir abwendet, sobald Du das Ziel, Wernick Deine Hand zu reichen, erlangt hast? Wer soll dann für die Waisen sorgen? Robert bedarf noch auf Jahre hinaus selbst der Beihülfe; Wernick kann im glücklichsten Falle für den eigenen Hausstand Rath schaffen. Wie anders hätte Alles sich gestalten können, wenn –“ Der nicht ausgesprochene Schlußgedanke dolmetschte sich in einem Blick des Vorwurfs.

Thea widerstand dem Drängen des Grafen, zu ihm zurückzukehren, nicht länger, als ihr die Pflicht gebot. Ihre Mutter war wieder rüstig genug, um keines Beistandes mehr zu bedürfen; es gab für Thea Nichts mehr zu leisten, und sie fühlte sich wie erlöst, als sie Anfang Juli ihr baldiges Eintreffen nach Schloß Mattern melden durfte. Wie bedrückend erschien ihr diesmal die Enge des eigenen Familienlebens! Dahin jeder Reiz der Erinnerung, welche diese kleine Welt einst so reich erscheinen ließ – fremde Umgebungen, niedrige Räume – dahin der warme Blick des Vaterauges, Alles so kleinlich, so kümmerlich um sie her, daß ihr war, als müßte sie vor Mangel an Lebensluft ersticken. Sie ließ als Gabe Alles zurück, was sie irgend besaß. Mehr beschämt als freudig, verschenkte sie alles an die Ihrigen. Der Graf hatte ihr, als die Zeit ihrer Rückkehr fest stand, einen Carton mit hübschen frischen Sommertoiletten zugesandt. Er knüpfte daran die Bitte, nun, nachdem länger als ein Jahr über ihren Verlust hingegangen, auch die Trauer abzulegen, er bat zugleich um das Versprechen, daß sie sich fortan nicht mehr vom geselligen Verkehr abschließen würde.

Thea gestand sich nicht, wie sehr dieser Wunsch ihrem eigenen momentanen Bedürfnisse entgegenkam. Durch neue Eindrücke, durch äußerlich bewegtes Leben und Treiben all den peinlichen Gedanken zu entrinnen, welche sie während der letzten Monate bedrängt hatten, erschien willkommen. Als sie eintraf, fand sie das Schloß mit zahlreichen Gästen besetzt. Besuche aus der Kreishauptstadt, einzelne Passanten, die ein paar Tage blieben, um neuen Erscheinungen Platz zu machen, endlich Verwandte der Gräfin, die zu längerem Verweilen aus Ungarn gekommen, füllten das Haus.

Thea’s Persönlichkeit, Manchen bekannt, Anderen neu, wirkte sofort belebend. Das schöne Mädchen ward unmerklich zum stillschweigend anerkannten Mittelpunkte für den anwesenden Kreis, und das Verlangen, die geheime Mißstimmung zu übertäuben, die in ihr wühlte, ließ sie mit all ihren Gaben und deren Wirkung spielen wie mit Bällen, welche der Jongleur in die Luft wirft, um sie selbst wieder aufzufangen. Nichts von Coquetterie lag in der Weise, womit ihr glänzendes Naturell sich äußerte; aber eine fieberische, ihr sonst nicht eigene Lebendigkeit brach Stunde um Stunde hervor, um raketengleich aufzuflammen und ebenso plötzlich wieder zu verlöschen. Sie nahm jede Huldigung, die ihr gebracht wurde, in ihrer sorglosen und doch stolzen Weise hin, ebenso unbekümmert um der Gräfin Stichelreden wie um die prahlerische Eitelkeit, mit der Graf Hugo seine Pflegetochter zur Schau zu stellen stets bedacht blieb. Die Freiheit, mit der ein so junges Mädchen sich zwischen Allem bewegte, erregte indeß bald das Staunen oder den stillen Aerger Derer, welche ihre Stellung zum Hause kannten. Dafür aber, daß über letzteren Punkt Niemand in Zweifel bleiben konnte, sorgte die Gräfin, namentlich ihren Verwandten gegenüber.

Fast schien es, als hätte diese Mittheilung das Interesse, welches sie dämpfen sollte, bei einem derselben noch erhöht. Stephan Sandor, ein Vetter der Hausfrau, hielt sich von der ersten Stunde an, in der ihm Thea begegnete, wie gebannt in ihrer Nähe und warf die ganze Macht seiner Persönlichkeit in jeden Moment, den er mit ihr verlebte. Nicht umsonst. Ohne die gebotenen Lebensformen zu verletzen, löste er allmählich das schöne Mädchen gleichsam los von ihrer Umgebung. Der Platz an ihrer Seite, ein Fluß des Gesprächs, wie er nur Zweien unter Vielen möglich wird, das Recht, ihr jene stillen Aufmerksamkeiten zu erweisen, die namenlos sind und doch Geber und Empfänger so eigenthümlich aneinander fesseln, dies alles war nach kurzer Zeit sein Monopol geworden. Befand er sich nicht neben ihr, so folgte ihr sein Auge wie ihr Schatten; er wußte stets, wo sie war, was sie eben that; mitten im Gespräche mit Anderen wandte er oft plötzlich den Kopf, um mit einem kurzen Worte, das wie ein Vogel zu ihr hinüberflatterte, den Beweis zu geben, daß kein Laut von Dem, was sie zu einem Dritten gesprochen, ihm entging. Bald erblickte man diese Beiden immer zusammen. Die Freiheit des Landlebens unterstützte den geheimen Zug des Suchens und Findens. Es war, als unterliege Thea einer souverainen Macht, der Widerstand entgegenzusetzen nicht möglich sei.

Stephan Sandor gehörte zu jenen Persönlichkeiten, die sich dem Gedächtnisse unverwischbar einprägen, selbst wenn man ihnen nur einmal begegnet und nicht wieder, gleich ungewöhnlich durch die fesselndste äußere Erscheinung wie durch sein geistiges Gepräge. Die kühn geschnittenen lebensvollen Züge interessirten. Ein Blick großer Sanftheit weckte sofort das Vertrauen; bei jeder Regung glühte sein ganzes Wesen auf wie ein Funken eines verborgenen Feuers. Ein wunderbar verwandter Zug blitzte Thea im Verkehre mit dem jungen Ungar entgegen. So oft er sprach, war ihr, als träten ihre eigenen Gedanken wie lebendig gewordene Geister vor sie hin – doch nicht ihre Gedanken allein. Wenn sie seinen Ideen auch zu folgen, seine Phantasien zu überflügeln und seinen überlegenen Geist zu fassen vermochte – Eines war an und in ihm, das sie rührte und fesselte, wie nichts auf Erden je zuvor: eine Kindlichkeit des Gemüthes, die sein ganzes Wesen durchströmte, wie ein frischer Quell. An Das, was er gab, nicht unbedingt zu glauben, war unmöglich, und hier lag der Schlüssel zu der Macht, welche Stephan auf Alle übte, denen er sich je gewidmet, zu derselben Macht, welche auch Thea mehr und mehr umspann. Sie wußte selbst nicht, wie ganz sie in dieser Erscheinung aufging, die gleich einem Meteor in ihr Leben gefallen war; aber sie folgte ihm willenlos in alle Stunden und Tage hinein, wie dem Winke eines Magnetismus, vor dessen leiser Beschwörung jedes Besinnen schwindet und nur der Traum übrig bleibt.

Nach einem jener heißen Augusttage, die sich in so köstlichen Nächten ausleben, begab sich die Tischgesellschaft, als die Abendtafel aufgehoben war, aus dem Gartensalon nach dem tiefer im Park gelegenen Teiche, über welchem um diese Stunde der Mond zu erwarten stand. Bereits zitterte silbernes Licht im weichen Reflex über das Wasser hin, in dessen stiller Ruhe jeder einzelne Stern sich spiegelte. Die Nacht trug ihren Königsmantel; auf dunkelblauem Grunde flimmerte Funke an Funke. Kein Blättchen regte sich; nur der Duft des Jasmins drang mit betäubender Süße aus den Büschen. Ein Lauschen rings, als verhauchte selbst der leise Athem der Natur, harrend und hoffend. Da brach Gesang die Stille. Weiches Tönen melodischer Frauenstimmen, die jenseits des Wassers ein zweistimmiges Lied sangen: „Du bist wie eine stille Sternennacht“.

Stephan trat zu Thea, die im Schatten stand und schweigend in die Höhe blickte. „In meiner Heimath,“ sagte er mit gedämpfter Stimme, „in Winternächten ist es, als zuckte der ganze Himmel. Jeder Stern scheint dann zu beben. Das gleicht Ihnen – auch Sie sind keine stille Sternennacht.“

Sie schüttelte schweigend das schöne Haupt und ließ die Wimpern sinken, ohne damit den Tropfen verbergen zu können, der sich langsam löste und über ihre durchsichtig blasse Wange fiel.

Stephan ergriff ihre Hand. „Thea,“ sagte er mit leidenschaftlicher Innigkeit, „wollen Sie mir folgen in meine schöne Heimath? Thea, können Sie mich lieben?“

„Können Sie mich lieben?“ Dieser Klang, dieses Wort, dereinst von einer anderen Stimme gehört, nicht unter den Sternen, nein, im klaren Lichte des Tages, Antwort heischend, wie heute, und Antwort empfangend als williges Gelöbniß der Treue! Ein Abgrund gähnte plötzlich vor Thea auf. Ihr war, als sei eine Saite gesprungen, deren Riß für ewig alle Harmonie ihres Innern unmöglich gemacht, als sei etwas zerbrochen, das sich nimmer aneinanderfügen ließ. Mit gewaltsamer Hast zog sie ihre Hand zurück, warf einen heftigen Blick zu dem Gesicht [801] empor, das sich über sie beugte, und verschwand ohne eine Silbe, einen Laut.

Wie sie ihr Zimmer erreicht, wußte sie nicht. Wie lange sie auf den Knieen gelegen, das Angesicht in die Polster des Stuhles gedrückt, vor welchem sie sich niedergeworfen, wußte sie nicht. Als sie aus dem Wirbel tobender Empfindungen zum Besinnen auffuhr, war es tiefe Nacht um sie her. Sie strich sich die Haare aus den Schläfen, wie eine Traumwandlerin, stand einen Moment regungslos, fachte dann Licht an und trat ungestüm an ihr Schreibpult, das sie erschloß, um aus einem der Fächer ein Bild hervorzunehmen. Ihre Augen hingen an den Zügen des Mannes, dem sie Treue gelobt, so durstig, als wollten sie jede Linie in sich trinken, bis sie plötzlich die Hand mit dem Bilde wie leblos sinken ließ.

Sie empfand in sich eine Möglichkeit, an welche sie nie gedacht – die Möglichkeit neuer Liebe. Die Farben dieses Bildes standen erblaßt in ihrem Herzen, ein anderes war da, war näher, nahm ihr Sein und Denken so gefangen, daß für den Fernen nichts übrig blieb, als ein dumpfes Wehgefühl. Sie schauderte vor sich selbst. Mit fliegender Hand riß sie ein Paket Briefe an sich, löste das Band und streute die engbeschriebenen Blätter vor sich hin; ihr Auge irrte von einer Seite auf die andere. Bilder der Vergangenheit stiegen aus den Zeilen auf, waren um sie ausgestreut, gleich den weißen Bogen – Alles kalt und farblos. Sie blickte auf das Gewesene, wie ein Gestorbener auf sein Leben zurückblicken mag – es war todt, es war kein Leben mehr. Nur die Widersprüche zwischen ihrem stürmenden Temperamente und diesem fest in sich geschlossenen Charakter, nur diese traten lebendig vor sie hin. Und wo ihr Auge auf Liebesworte traf, da tönte eine andere Stimme auf und fragte drängend: „Kannst Du mich lieben?“ Die Sterne zuckten vor ihren geschlossenen Augen, und der Duft des Jasmins drang auf sie ein, ein Hauch der Leidenschaft. So ging die Nacht hin.

Am Morgen ließ Thea ihr Nichterscheinen durch Unwohlsein entschuldigen, empfing aber Graf Hugo, der wiederholt nach ihr gefragt, ein paar Stunden später in ihrem Zimmer. Sein Besuch war ihr lieb. Das Alleinsein wurde unerträglich, und doch mochte sie nicht daran denken, unter Menschen zu gehen. Der Graf ward von ihrem Anblicke frappirt. Er hatte eine Laune vermuthet und sah nun in dem gleichsam zerwühlten, gealterten Gesichte die Spuren wirklichen Leidens.

„Doch nicht ernstlich unwohl, Thea?“ fragte er besorgt, indem er sich neben ihr niederließ. „Ich kam, über Wichtiges mit Dir zu sprechen – vielleicht ist es Dir jedoch lieber, wenn das aufgeschoben bleibt?“

Jähe Glut flammte in ihrem Gesichte auf. Sie schüttelte stumm den Kopf und sah ihn erwartend an.

Mattern nahm Position. „Was wir heute zu besprechen haben, liebes Kind,“ sagte er mit einiger Emphase, „das zähle ich zu den größten Freuden meines Lebens. Sandor hat mir diesen Morgen mitgetheilt, daß er Dir seine Hand angeboten, Du aber seiner Werbung noch keine Zusage gegeben. Ich konnte ihn hierüber beruhigen – er schien sich nämlich Dein heutiges Zurückziehen zum Nachtheil auszulegen –, solche Scrupel macht sich nur die Leidenschaft. Für mich, wie für Jeden, der Dich in Stephan’s Gesellschaft gesehen, bleibt über Deine Entscheidung kein Zweifel möglich. Laß mich also der Erste sein, liebste Thea, Dir zu einer Zukunft Glück zu wünschen, welche meine kühnsten Hoffnungen für Dich überflügelt.“

Thea’s Wange wurde fahl. Sie schüttelte heftig den Kopf und versuchte zu antworten, doch erstarb der Laut an dem wilden Schlage ihres Herzens. Endlich sprach sie mühsam:

„Sie wissen, daß ich nicht frei bin.“

Der Graf machte mit eigenthümlichem Lächeln eine leichte Handbewegung. „Was soll uns diese Kinderei!“ sagte er nachlässig. „Nachdem Du selbst die Sache hattest fallen lassen, glaubte ich sie abgethan.“

„Abgetan? Ich sagte Ihnen damals, daß Ernst Wernick mein Wort hat, und Sie kennen mich nicht erst von heute.“

Mattern kannte Thea in der That und lenkte ein. „Gut,“ sagte er kühl, „dieser junge Mann hatte Dein Wort, Du aber hattest auch das meinige, und Eines hob das Andere auf. Kraft des Rechtes, das mir von meiner seligen Frau überkommen und das ich selbst mir auf Dich erworben habe, versagte ich meine Zustimmung zu dieser für Dich ganz ungeeigneten Verbindung schon vor zwei Jahren und werde sie stets versagen. Allerdings habe ich keine anderen Rechte auf Dich, als moralische, und verharrst Du eigensinnig bei dieser Thorheit, so kann ich Dich nicht verhindern, Deinem Unheil zu folgen. Nie aber werde ich die Hand dazu bieten, es Dir erreichbar zu machen. Ich kenne Dich besser, Thea, als Du Dich selbst kennst. Der Mann, dem Du zu jener Zeit, als Du noch unfähig warst, zu wählen und zu urtheilen, Dein Kinderwort gegeben, paßt in keiner Weise für Dich. Anlage, Erziehung, Lebensgewohnheiten – Alles trennt Euch.“

„Mir graut,“ fuhr er nach einer Pause fort, „wenn ich mir Deine Zukunft ausmale, wie Du sie Dir aufzubauen dachtest – enge, bürgerliche Verhältnisse im beschränktesten Sinne, und, um solches Ziel überhaupt zu erreichen, noch Jahre des Wartens, an denen Deine Jugend verblüht und die von Deiner augenblicklichen Romantik nichts, gar nichts übrig lassen werden. Willst Du behaupten, daß Du Stephan gegenüber kalt geblieben? Behauptest Du’s, Thea, so wäre ich stark versucht, der Kokette den Rücken zu wenden. Der edle Mann aber, den Du in volle Leidenschaft hineingetäuscht, empfinge das Recht, Dich zu verachten. Aber dem ist nicht also. Nieder mit kleinlichen Bedenken – ich gebe Dir Alles zu, allein über Einen von Beiden mußt Du hinwegschreiten, wie die Dinge heute stehen. Denke der Zukunft, welche Dich an Stephan’s Seite erwartet! Als Gattin dieses Mannes kannst Du sein, was ich in Dir erzogen. Seine großen Güter bieten überdies Deinem energischen Thätigkeitsbedürfniß weiten Spielraum. Er selbst ist einer der ausgezeichnetsten Männer; der Platz an seiner Seite wird Dir von den Besten Deines Geschlechts beneidet werden. Wirf muthig hinter Dich, was doch nur noch ein abgestorbener Zweig ist! Das Gegentheil wäre klägliche Feigheit, denn glücklich machst Du den Andern – jetzt wahrlich nicht mehr.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Messenhandel. In der St. Lorenzkirche zu Rom befindet sich ein Altar, mit ganz besonderm Vorrecht ausgestattet. Durch jede an diesem Altar auf gläubige Bestellung hin gelesene Messe wird nämlich nach päpstlicher Bestimmung irgend eine „arme Seele“, die der Meßspender nennen mag, schnurstracks von den zeitlichen Qualen des Fegefeuers erlöst und in die ewigen Freuden des Himmels hinübergeführt. Für den Fall, daß benannte Seele durch glücklichen Zufall, was man nicht wissen kann, den Reinigungsort schon verlassen hätte, wäre der „liebe Herrgott“ genöthigt, eine andere Seele für das Paradies auszuwählen; denn die Messe ist zu packend, zu kräftig: eine Erlösung muß stattfinden. Eine so außerordentliche Messe kann natürlich für gewöhnlichen Preis nicht gelesen werden. Sie gilt und kostet auch mehr. Fester Preis: 1 Ducaten, gleich 5 Franken oder 1 Thaler 10 Silbergroschen.

Unter so lockenden Umständen mag es nicht auffallen, daß der Messenhandel am bevorzugten Altar in der St. Lorenzkirche zu Rom kein geringer ist. Daher ist auch der Andrang des Publicums zum Besten „lieber Abgeschiedener“ so groß, daß oft Restanzen in Messen bleiben, die außerordentliche Deckungsmittel erfordern.

Eine solche Restanz war es, als in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts eines schönen Morgens achttausend Ducaten glänzend im Sparhafen der St. Lorenzkirche lagen für achttausend Messen, die für achttausend arme Seelen gelesen sein sollten und noch nicht gelesen waren. Die Mönche nämlich, denen hier das Meßgeschäft oblag, waren an Zahl zu gering, um den massenhaften Bestellungen entsprechen zu können, und an Geiz zu schwer, um so gut bezahlte Messen auch nur aushilfsweise anderen Priestern gegen entsprechenden Rabatt abzutreten. Aus solcher Bedrängniß konnte nur der Papst als „Herr aller Seelen im Fegefeuer“ retten. Daher veranlassten die armen Mönche ihren Prior, zum Papste zu gehen und um die Ermächtigung zu bitten, die achttausend Messen in einer abfertigen, beziehungsweise achttausend Seelen gegebenen Falls durch eine Messe vom Fegefeuer befreien zu dürfen.

Gesagt, gethan. Der Prior begab sich eines Tages zum Papste, erzählte den Nothfall, bat um besagte Ermächtigung und betonte namentlich, daß es ihm schrecklich sei, die achttausend armen Seelen, die schon erlöst sein sollten, noch immer in dem Qualme des Fegefeuers zu wissen, wenn sie nicht durch glücklichen Zufall schon erlöst wären; aber auch dann hätten andere achttausend Seelen ein Anrecht auf Erlösung. …

Der Papst ließ ihn ausreden. Dann tadelte er scharf die fahrlässige Gleichgültigkeit der Mönche, besonders weil es sich hier nicht um ihre eigenen, sondern um die Interessen gläubiger Söhne der Kirche und armer Seelen handle. Doch ließ sich der Papst die Bittschrift überreichen, las und unterzeichnete die Ermächtigung. Der Prior, außer sich fast vor [802] Freude, so wohlfeilen Kaufs wegzukommen und achttausend Dukaten einstecken zu dürfen, wußte nicht, wie er dem Papste danken sollte; doch zog er sich endlich unter den üblichen Kniebeugungen zurück und wollte schon die Thür öffnen, als Gregor der Sechszehnte ihn plötzlich zurückrief.

„Wir haben vergessen,“ sprach der Papst, „Ihnen zu sagen, daß die achttausend Ducaten als Almosen für den Papst zu betrachten sind; ich werde die Messe selbst lesen,“ nahm, ohne sich weiter um den Prior zu kümmern, ein Buch vom nächsten Tische und las. Der Prior stand wie vernichtet; die Pille war bitter, doch er mußte sie schlucken. Daher war es kein Wunder, ihn, als er die Treppe hinabging, Worte murmeln zu hören, die Alles eher, als Segenswünsche waren.

Andern Tags begab sich Gregor wirklich an besagten Altar in der St. Lorenzkirche, las die Messe und ließ sich die achttausend Ducaten ausbezahlen. Einen großen Theil dieser Summe verschenkte er an seinen jungen Freund Gaëtanino; den Rest aber behielt er für sich. –

Ein anderes Mal kam ein Bauer in die St. Lorenzkirche und verlangte eine Messe, die sogleich gelesen werden sollte und die er selbst bedienen wollte. Seinem Wunsch willfahrend, steckte sich denn auch ein Mönch in’s priesterliche Gewand und begab sich mit dem demüthigen Landmanne an den bevorzugten Altar. Nachdem die Messe gelesen, verlangte der Sacristan den Ducaten.

„Bin ich aber auch gewiß,“ entgegnete der Bauer, „daß die Seele meines Vaters im Himmel ist?“

„Zweifeln wäre Sünde,“ sagte der Sacristan voll gläubigen Ernstes, „oder glaubst Du vielleicht nicht an die Wirksamkeit des Sündennachlasses in dem Augenblicke, wo ihn der meßlesende Priester ertheilt? Seufzte die betreffende Seele wirklich noch im Fegefeuer, so haben die Engel sie bereits geholt und in die ewigen Freuden des Paradieses getragen.“

„Um so besser,“ antwortete schnell gefaßt der Landmann, „denn ist die Seele meines Vaters einmal im Paradies, so wäre es ungeschickt von ihr es wieder zu verlassen, und dumm von mir, einen Ducaten zu zahlen.“

„Wie!“ rief der Bruder, welcher die Messe gelesen hatte, „Ihr unterstündet Euch …“

Doch die Worte des erzürnten Bruders verhallten ungehört; denn der Bauer war längst flüchtigen Fußes davon geeilt. Wenn wir auch das unredliche Gebahren des Bauern nicht billigen, so beweißt es doch die Mißachtung mit der selbst Leute dieses Schlages den schmählichen Meßhandel betrachten.


Der Trompeter von Mars-la-Tour. Unsere Bitte ist erhört. Der brustkranke Invalid von 1870 hat für den Rest seines Lebens eine auskömmliche und für seinen Zustand passende Stellung bei dem Rittergutsbesitzer Herrn Dietze auf Pomßen bei Grimma gefunden, der denselben vom 1. December an in seinem Schlosse aufnehmen wird. Die übrigen Offerten erledigen sich damit und danken wir nachträglich noch freundlichst für die große Theilnahme, mit der unsere kurze Mittheilung aufgenommen wurde.

Obwohl wir für den kränkelnden Invaliden nur eine passende Stellung suchten und keine besondere Aufforderung zu Geldsammlungen erließen, so sind uns doch freiwillig von verschiedenen Seiten, namentlich aber auf einen von dem Redacteur des „Halleschen Courier“, Herrn Dr. Schwetschke, erlassenen Aufruf so mancherlei Gaben zugegangen, daß wir uns, da wir nicht jedes einzelne Schreiben beantworten können, zu einer öffentlichen Quittung genöthigt sehen. Es gingen ein:

Eine fröhliche Gesellschaft in Göttingen 3 Thlr. 21 Ngr. 7 Pf.; Barkley in Danzig 10 Thlr.; Sammlung der Redaction des Hoyaer Wochenblattes 10 Thlr. 25 Ngr. 3 Pf.; bei Gelegenheit einer Geburtstagsfeier in Dortmund 2 Thlr. 8 Ngr.; kleine Gesellschaft gemüthlicher Freunde und Cameraden in Berlin 4 Thlr.; bei der Mutter Gottschalk in Aschersleben 2 Thlr.; von den Stammgästen der „Bavaria“ in Offenbach 3 Thlr.; ges. bei der Wahlversammlung am 4. November in Preusnitz 6 Thlr. 10 Ngr.; Scatgesellschaft in Lichtenau 1 Thlr. 11 Ngr.; durch Frl. Münch in Friedberg 3 Thlr.; von liberalen Wahlmännern von Bunzlau etc. etc. 16 Thlr. 15 Ngr.; Tischgesellschaft der liberalen Wahlmänner von Neuhaldensleben-Wolmirstedt 14 Thlr.; W. u. L. B. A. 8 Thlr. 15 Ngr.; Sammlung durch Robert Herzfeld in Leipzig 9 Thlr.; bei der Wahl des Abgeordneten für den Kreis Lehe 8 Thlr. 11 Ngr.; bei der Wahlversammlung in Solingen, ges. unter der Devise: „Einig für Kaiser und Reich“, durch Landrath Melbeck 29 Thlr. 15 Ngr.; von Patrioten aus Dinslaken 6 Thlr.; Einer, der bei Mars-la-Tour mitgestritten hat 1 Thlr.; C. Br. in Bremerhaven (40 Mark) 13 Thlr. 10 Ngr.; Sammlung nationaler Wahlmänner des Wahlkreises Duisburg-Essen 146 Thlr.; Ertrag einer Wette zwischen G. S. und J. Z. in Berlin 6 Thlr. 20 Ngr.; liberale Wahlmänner des Bezirkes Halle-Saalkreis 33 Thlr. 18 Ngr.; im Kreise reichsfreundlicher siegreicher Wahlmänner des Kreises Ratibor ges. am 4. November 50 Thlr.; am Wahltage in Dortmund ges. 13 Thlr. 10 Ngr.; Kreissecretär Hempe in Münsterberg 1 Thlr.; Wahlmänner des 70. Stadtbezirkes in Berlin 6 Thlr. 22½ Ngr.; dem braven Trompeter von Mars-la-Tour mit cameradschaftlichem Gruß von einem alten Kriegsfreiwilligen vom 3. sächsischen Reiterregiment 5 Thlr.; nationalliberale Wahlmänner des 20. hannoverschen Wahlkreises 21 Thlr. 5 Ngr.; Dr. Abegg in Danzig 2 Thlr.; Resultat eines Kartenspiels, durch C. Richter in Mühlheim 16 Thlr. 22½ Ngr.; S. in Weimar 1 Thlr.; achtzehn Gemeindeschüler in Berlin 2 Thlr. 2½ Ngr.; aus Dessau 12 Ngr.; Gld. in Frankfurt am Main 1 fl. rh.; ges. unter den Stammgästen der Restauration von Hölsch in Barmen, übersandt durch Berkenkamp 33 Thlr.; C. aus Barmen, mit einem hübschen Gedicht 25 Thlr.; E. S. in Frankfurt am Main 3 fl.: bei einer silbernen Hochzeitsfeier in Vahrenwald 2 Thlr. 12½ Ngr.; Expedition der Elberfelder Zeitung 10 Thlr.

Wir schließen hiermit dankend auch diese Sammlung und werden den Gesammtbetrag von 531 Thlr. 5 Ngr. dem Trompeter als Weihnachtsgabe übersenden.
Die Red.

Janus. Friedens- und Kriegsgedichte von Rudolf Gottschall. Es sind nicht leichtwiegende Gaben, welche dem Leser in diesem eleganten Bande geboten werden. Dem durch seine dramatischen, literarhistorischen und kritischen Leistungen längst ehrenvoll bekannten Verfasser steht der Ernst des Lebens und Schaffens so nahe, daß auch seine Lyrik Zeugniß davon ablegt. Besonders willkommen wird diese Sammlung den nicht wenigen unserer Zeitgenossen sein, welche, von der Hand des ungeheuren Schicksals unserer Tage mitgetroffen, in der Poesie Erhebung suchen und diese nur in der ernsten Schönheit des Gedankens und der Form finden.


Kleiner Briefkasten.

Herrn W. F. in B. Ihr Wunsch wird erfüllt werden, sobald genügendes Material vorhanden. Das bis jetzt über Hall’s Expedition bekannt Gewordene beruht auf den Angaben nur eines Theiles der Mitglieder und ist vielfach unklar, in Einzelheiten sogar widersprechend, jedenfalls aber unvollständig. Erst wenn der bald zu erwartende Bericht der letzten Geretteten, namentlich unseres tüchtigen Landsmannes, Dr. Emil Bessels, des Chefs der wissenschaftlichen Abtheilung der Expedition, erschienen, wird es uns möglich sein, eine klare Gesammtübersicht des Verlaufes und der Erfolge dieser wichtigen Nordfahrt zu bringen; bis dahin bitten wir um freundliche Geduld.




Als Weihnachtsgeschenke empfohlen!

Bechstein, Naturgeschichte der Hof- und Stubenvögel. 5. Auflage. Mit 59 prachtvollen Vogelportraits in Farbendruck. Eleg. brosch. 2 Thlr.

Bock, Buch vom gesunden und kranken Menschen. 9. Auflage. Eleg. brosch. 2 Thlr. 15 Ngr., eleg. geb. 2 Thlr. 25 Ngr.

Gottschall, Janus. Friedens- und Kriegsgedichte. Eleg. geb. mit Goldschnitt 1 Thlr. 15 Ngr.

v. Hillern, Aus eigener Kraft. 3 Bände. 3 Thlr.

Marlitt, Gold-Else. Illustrirte Salon-Ausgabe. Eleg. geb. mit Goldschnitt 3 Thlr. 15 Ngr.

Marlitt, Gold-Else. 9. Volks-Ausgabe. Eleg. brosch. 1 Thlr., eleg. geb. 1 Thlr. 8 Ngr.

Marlitt, Das Geheimniß der alten Mamsell. 6. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch. 2 Thlr.

Marlitt, Reichsgräfin Gisela. 4. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch. 2 Thlr. 20 Ngr.

Marlitt, Haideprinzeßchen. 2 Bände. Eleg. brosch. 3 Thlr.

Marlitt, Thüringer Erzählungen. 2. Auflage. Eleg. brosch. 1 Thlr. 15 Ngr.

Traeger, Gedichte. 10. Auflage. Prachtvoll geb. mit Goldschnitt 1 Thlr. 22½ Ngr.

Weber, Max Maria von, Carl Maria von Weber, Ein Lebensbild. 3 Bände. Eleg. brosch. 6 Thlr. 25 Ngr.

Werner, E., Gartenlaubenblüthen. 2 Bände. Inhalt: Ein Held der Feder. – Hermann. 2 Thlr.

Werner, E., Am Altar. 2 Bände. 2 Thlr.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.