Die Gartenlaube (1876)/Heft 11
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No. 11. | 1876. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.
Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten. |
„Ich geize mit meiner Zeit und habe mir deshalb ein wenig Flinkheit angewöhnt,“ sagte die Frau Diakonus lächelnd. „So werde ich ziemlich rasch mit meinen Hauspflichten fertig. Ich habe über sehr viel Mußestunden zu verfügen und bin so glücklich – was viele andere stark beschäftigte Hausfrauen nicht können, nicht dürfen – an meiner geistigen Fortbildung nach Kräften arbeiten zu können. Im vergangenen Winter z. B. habe ich mir die Aufgabe gestellt, die Bibel vom ersten bis zum letzten Worte, in der Reihenfolge, durchzulesen –“
„Um des geistigen Trostes willen?“ fragte Flora.
„Deshalb nicht – ich bin bibelfest genug, um die Stellen auswendig zu wissen, an die ich mich im Leben zu halten pflege, aber der heiße politisch-religiöse Streit, der jetzt die Welt bewegt, geht auch die Frau an, und wenn man auch nicht zu den Waffen greifen kann, so gilt es doch, sich aufrichtig bekennend einer der Phalangen einzureihen, die hinter den Vorkämpfern stehen, und das kann man nur, wenn man einmal von Allem, was Schule und Predigt überliefern, absieht und möglichst vorurtheilslos an die heilige Schrift herantritt.“
Flora sah ihr mit grenzenlosem Erstaunen, weit offenen Auges in das Gesicht. Die ganze Bibel durchlesen, um der Ueberzeugung willen! Wie entsetzlich trocken und uninteressant! Dazu fehlte ihr, der Poesiereichen, die Geduld. Daß sie sich selbst mit Vorliebe der Welt gegenüber als den ernst grübelnden, forschenden Geist aufspielte, vergaß sie vollständig in diesem Momente, wo sie sich über die unvermuthete geistige Beschäftigung „der strümpfestopfenden, unermüdlich backenden und scheuernden Frau“ gründlich ärgerte. Wie kam denn die dazu, die Pfarrerswittwe, sich auch um die Welthändel zu kümmern? Ah, nun wußte man auch, wer den Doctor verdarb, wer ihm das lächerliche Ideal aufstellte, nach welchem die Frau Köchin und „geistige Gehülfin“ zugleich sein konnte.
Käthe war längst hinzugetreten und hatte der Tante das Präsentirbrett abgenommen. Mit klugem Blicke verfolgte sie die steigende Bewegung in den schönen Zügen der Schwester – sie wußte, daß sie sich zu irgend einer rücksichtslosen Aeußerung hinreißen lassen würde; deshalb bot sie ihr schleunigst den Thee an.
Flora pflückte ungeduldig mit ihren zarten Fingerspitzen an dem Taschentuche auf ihrem Schooße und dankte sichtlich verstimmt, „weil sie noch sehr alterirt sei, um etwas über die Lippen bringen zu können“, wenige Minuten darauf aber sah das junge Mädchen, wie sie eine Bonbonnière aus der Tasche zog und sich mit Eisbonbons erquickte; sie vermied es geflissentlich, in diesem Hause etwas anzunehmen. Sie wollte absolut keine Gemeinschaft mehr mit ihm. Käthe erkannte sehr wohl, daß die treulose Braut mit dem Eintritte in das alte Haus, in die einfach bürgerliche Fremdenstube den letzten Rest von Selbstbeherrschung und erkünstelter Ruhe verloren hatte; sie las in den großen, graublauen, vor verzehrender Ungeduld funkelnden Augen, daß sie dem Momente nahe gekommen sei, wo sie „endlich das Joch abschütteln wolle, abschütteln um jeden Preis“. Durch die Seele der jungen Schwester zog es wie ein inbrünstiges, angstvolles Gebet, daß nur hier, im eigenen Heim des unglücklichen Mannes, die furchtbare Entscheidung nicht erfolgen möge. Zum Glück bemerkte die alte Frau Flora’s häßliches Gebahren nicht; sie trug, ahnungslos, daß über ihrem hellen friedlichen Stillleben eine schwarze, unglückbringende Wolke hing, das Geschirr wieder hinaus, nachdem Käthe eine Tasse Thee dankbar angenommen hatte.
Das glühende Abendlicht verblaßte allmählich. Alle Purpurfarbe zog sich aus dem Krankenzimmer zurück und blieb zuletzt nur noch auf der schönen Dame im Fenster liegen – wie ein von dämonischem Feuer umzüngelter böser Engel saß Flora dort.
Die Kranke wurde unruhiger. Sie zupfte und zerrte an der grünseidenen Bettdecke und war sichtlich bemüht, sie fortzuwerfen. „Im Grün ist Arsenik – fort damit!“ flüsterte sie mit der ganzen unheimlichen Hast und Angst des Fiebers vor sich hin.
Käthe vertauschte sogleich die seidene Decke mit der kühlen, weißleinenen des Gastbettes und glättete sie über dem armen hageren Körper, den sie heute im Walde „den Zwerg“ genannt hatten. In den wunderschönen Augen der Kranken lag in diesem Augenblicke keine Spur von Verständniß. Sie rollten wild und wirr unter den halb zugesunkenen Lidern.
„Das thut gut,“ sagte sie, sich unter der Decke streckend. „Und nun lasset sie nicht wieder herein, wenn sie mich mit der vergifteten, heißen Seide ersticken will! Die Großmama ist falsch, wie Alle, die sich im Salon anlügen – sie und der alte Giftmischer, die große Autorität. Ich werde nach ihm schlagen, wenn er seine abscheulichen Finger auf meine Brust drückt,“ zischte sie erbittert durch die Zähne. Sie setzte sich plötzlich auf und ergriff Käthe’s Hand. „Nimm Dich vor ihm in Acht, Bruck!“ warnte sie mit aufgehobenem Finger, „und vor der [174] Großmama auch! Und sie – Du weißt schon, wen ich meine; sie raucht Cigarren und fährt wie toll mit den neuen wilden Pferden, weil Du es verboten hast – sie ist die Falscheste von Allen.“
„Sehr verbunden!“ flüsterte Flora halblaut mit einem bösen Lächeln und schmiegte sich noch enger in den Polsterlehnen zusammen.
Eine unbeschreibliche Bangigkeit überschlich Käthe, deren Hand mit so innigem Drucke festgehalten wurde. Sie vermied es, den Doctor anzusehen, für den die Fiebernde sie hielt, und welcher, von dem chinesischen Schirme halb verdeckt, am Kopfende des Bettes stand.
„Weißt Du noch, wie es früher war, Doctor?“ fuhr Henriette fort. „Weißt Du noch, wie sie die Lakaien durch Wind und Wetter jagte, Dir nach, mit Briefen, vier, fünf an einem Tage? – Weißt Du noch, wie sie, fast toll vor Sehnsucht, Dir entgegenlief, wenn Du nicht zur versprochenen Minute gekommen warst? Und wie sie dann draußen die Arme um Deinen Hals schlang, wild und stark, als wollte sie Dich nie wieder lassen?“
Jetzt fuhr Flora jäh empor; ihre seidenen Gewänder rauschten und zischelten, und sie war so roth im Gesicht, als breite sich noch einmal das ebenversunkene grelle Abendlicht über ihre weißen Wangen. „Gieb ihr Morphium!“ rief sie herüber. „Das ist schon mehr Verrücktheit, als fieberhafte Aufregung, sie muß schlafen.“
Der Doctor hatte der Kranken kaum erst einen Löffel voll Medicin gereicht; er beantwortete Flora’s Aufforderung nur mit jenem halben, flüchtigen Lächeln, mit welchem man über ein thörichtes Verlangen der Unwissenheit hinweggeht, und veränderte seine Stellung nicht im Geringsten; auch die Gluth, die bei Henriettens letzten Worten über sein braunes Gesicht hinflammte, erlosch rasch wieder; er sah ruhig und kalt aus, wie vorher.
Flora sank zornig in ihren Stuhl zurück, wandte sich ab und ließ ihre Augen funkelnd und rastlos über die Gegend draußen hinschweifen.
„Hättest Du damals gedacht, daß sich das ändern würde, Bruck? Daß sie je sagen könnte, es sei ein schwerer Irrthum gewesen?“ hob Henriette von Neuem an und umklammerte nun auch mit der anderen brennend heißen Hand Käthe’s Rechte. Dem jungen Mädchen stockte fast der Herzschlag; auf den Lippen der Kranken schwebte es, woran bis jetzt Niemand, selbst die Schuldige nicht, mit dem lauten, klaren Wort zu rühren gewagt hatte. Sie bog sich rasch über die Fiebernde und legte ihr instinctmäßig die kühlen Finger auf die Stirn, als könne sie damit den unheilvollen Gedankengang in eine andere Bahn leiten.
„Ah, das kühlt!“ seufzte Henriette auf. „Aber weißt Du noch, wie Flora damals Deine Hand von meiner schmerzenden Stirn stieß? Sie war tödtlich eifersüchtig.“
Ein halb unterdrücktes höhnisches Auflachen klang aus der Fensterecke herüber. Henriette hörte es nicht. Sie war der Außenwelt völlig entrückt.
„Mich läßt der Schmerz über das, was kommen wird, nicht schlafen,“ klagte sie und schlang jetzt ihre Finger in einander und drückte sie leidenschaftlich gegen die kranke Brust. „Dann wirst Du unser Haus meiden und ein unglücklicher Mann sein, der nicht einmal unseren Namen mehr auf die Lippen nimmt. Ach, Bruck, was fragt sie danach in ihrer bodenlosen Eitelkeit, die sie Ehrgeiz nennt! Sie wird sich losreißen um jeden Preis.“
Käthe hob unwillkürlich die Arme und streckte sie in namenloser Angst über die Kranke hin. Henriette schrie auf. „Nicht die Hand auf den Mund legen, wie der schreckliche Junge im Walde!“ stöhnte sie abwehrend.
In diesem Augenblick stand Flora neben der jungen Schwester und schob sie vom Bett weg; in ihren Zügen, in allen Geberden lag ein wilder Entschluß. „Lasse sie ausreden!“ sagte sie gebieterisch.
„Ja, ausreden lassen!“ wiederholte Henriette halb lallend vor Erschöpfung, aber doch befriedigt wie ein Kind, dem man den Willen thut. „Wer soll Dir’s sonst sagen, Bruck, wenn nicht ich – ich? Wer soll Dich warnen, damit Du auf Deiner Hut bist? Halte die Augen offen! Sie fliegt Dir davon, wie die Taube vom Baum, die weiße Kokette; sie will frei sein –“
„Was sie auch faseln mag, eine Wahrheit ist darin,“ sagte Flora entschlossen dazwischen und trat dem Doctor um einen Schritt näher. „Sie hat Recht, ich kann Dir das nicht sein, was ich versprochen habe; gieb mich frei, Bruck!“ setzte sie flehend hinzu und hob die verschlungenen Hände; zum ersten Mal hörte Käthe, wie unwiderstehlich und süß ihre Stimme klingen konnte, wenn sie weich wurde.
Da war das entscheidende Wort gefallen, um das sich monatelang die abscheulichsten Intriguen gedreht hatten. Käthe hatte gemeint, es müsse mit dem ersten Laute den Verrathenen zu Boden schmettern, allein der vernichtende Blitz zündete nicht sichtbar; für das junge Mädchen war die unerschütterte Haltung des Doctors so räthselhaft, wie wenn nach einem mörderischen Schuß der scheinbar Getroffene unversehrt aus dem Pulverdampfe hervorgeht. Ernst und schweigend sah er auf die Bittende nieder, nur blaß war er, blaß wie der Tod. Er verweigerte ihr die Hand, die sie ergreifen wollte. „Zu einer solchen Auseinandersetzung ist hier nicht der Ort –“
„Aber der richtige Augenblick. Ein anderer Mund spricht für mich das aus, was ich seit Monaten auf den Lippen hatte und doch nicht in Worte kleiden konnte –“
„Weil es ein notorischer Treubruch ist.“
Sie biß sich auf die Lippen. „Die Bezeichnung ist hart und nicht zutreffend; so fest war unser Bund noch nicht geschlossen; auch bin ich mir bewußt, daß kein anderes Bild das Deine aus meinem Herzen verdrängt hat. Lächle nicht so geringschätzend, Bruck! Bei Gott, ich denke an keinen anderen Mann,“ rief sie leidenschaftlich betheuernd. „Aber ich will den Vorwurf auf mich nehmen,“ setzte sie ruhiger hinzu, „um den Preis, daß wir Beide nicht unglücklich werden.“
„Mein Glück oder Unglück lasse dabei aus dem Spiele! Du kannst nicht wissen, was ich darunter verstehe, allein so viel wirst Du Dir wohl selbst sagen, daß sie beide nicht in’s Gewicht fallen dürfen, wenn es sich um die innere Ehre und Selbstachtung des Mannes handelt. Und nun möchte ich Dich um Deiner kranken Schwester willen bitten, für jetzt zu schweigen.“ Er wandte sich ab und trat in das nächste Fenster.
Sie ging ihm nach. „Henriette hört uns nicht,“ sagte sie. Die Kranke war todesmatt in die Kissen zurückgesunken und flüsterte unaufhörlich vor sich hin, wie ein Kind, das sich selbst ein Märchen erzählt; ihr Ohr war allerdings der Außenwelt verschlossen. „Das ist ja keine Entscheidung,“ fuhr Flora in traurigem, niedergeschlagenem Tone fort. „Ich muß aber ein festes, klar bezeichnendes Wort haben. Warum hinausschieben, was mit einem raschen Entschlusse festgestellt werden kann?“ Es war abscheulich anzusehen, wie sie mit Daumen und Zeigefinger am Ringfinger der linken Hand spielend drehte.
Doctor Bruck sah über seine Schulter auf sie nieder. Es fiel Käthe abermals auf, wie er bei aller Kraft und Männlichkeit seiner Gestalt dennoch merkwürdig jung neben ihr erschien. Unter dem vollen Barte sah man beim Sprechen fast mädchenhaft keusch geformte, zartrothe Lippen, und die Ausbiegung an den Schläfen verlief so jugendlich weich, wie bei einem Jüngling; dazu die schlichten anspruchslosen Geberden und die Augen, die so leicht in befremdender Scheu schmolzen und sich seelisch gleichsam tief zurückziehen konnten vor einem anderen Blicke. Jetzt aber ruhten sie fest auf der schönen Dame, die mit ihrem lockigen Scheitel kaum seine Schulter erreichte.
„Was gedenkst Du einzutauschen für das Leben an meiner Seite?“ fragte er so plötzlich, so scharf, daß sie unwillkürlich zusammenfuhr.
„Brauche ich Dir das zu sagen, Bruck?“ rief sie und strich sich tief aufathmend, wie von einem Alp befreit, die Locken aus der Stirn. „Siehst Du nicht, wie meine ganze Seele danach dürstet, aufzugehen im Schriftstellerberufe? Kann ich das aber in dem Umfange, wie es meine Beanlagung, mein mit heißem Streben gepaartes Talent gebieterisch verlangen, wenn ich die Pflichten einer Frau übernehme? Nun und nimmermehr!“
„Wunderbar, daß Dir dies stürmische Verlangen erst jetzt, erst in den letztvergangenen Monaten gekommen ist, nachdem Du –“
„Nachdem ich neunundzwanzig Jahre lang ohne den [175] Ruhm leben konnte, willst Du sagen,“ ergänzte sie schneidend mit dunkel überflammtem Gesicht. „Lege Dir das zurecht, wie Du willst, bringe es auf die Rechnung der Frauennatur, die schwankt und fehlgreift, bis sie das Rechte findet –“
„Weißt Du so gewiß, daß es das Rechte ist?“
„So gewiß, wie die Magnetnadel nach dem Pole zeigen muß.“
Er ging schweigend an ihr vorüber, nahm die Medicin vom Tische und trat an das Bett. Die Kranke mußte wieder einnehmen, aber sie war eingeschlummert und hielt mit beiden Händen Käthe’s Rechte fest. Es war dem jungen Mädchen, als bewege er sich automatenhaft, als sei der innere Kampf so gewaltig, daß er ihn der Herrschaft über Hand und Fuß und Auge beraube. Sie sah er nicht an; es mochte ihn wohl tief demüthigen, daß diese empörende Scene einen Zeugen hatte, aber litt sie nicht selbst qualvoll durch ihr Bleiben? Sie hatte mehrmals versucht, ihre Hand vorsichtig zurückzuziehen, um zu entfliehen, so weit sie ihre Füße tragen mochten, allein bei der geringsten Bewegung fuhr die Kranke in erschütterndem Schrecken empor.
Er versuchte, der Schlummernden den Puls zu fühlen. Käthe bemühte sich, ihm zu helfen, indem sie die Linke unter Henriettens Armgelenk schob; dabei ruhete ihre innere Handfläche einen Augenblick auf seinen Fingern. Er zuckte zusammen und wechselte so jäh die Farbe, daß sie erschrocken die Hand zurückzog. Was war das gewesen? Machte ihn der innere Aufruhr so nervös, daß ihn jede äußere Berührung entsetzte und mit zornigem Schrecken erfüllte? Sie sah seitwärts scheu zu ihm auf. Ein tiefer Athemzug hob seine Brust, während er sich wegdrehte, um die Medicin auf den Tisch zurückzustellen.
Flora hatte inzwischen unbeschreiblich erregt und ungeduldig einige Male das Zimmer durchmessen. Jetzt trat sie wieder neben den Doctor an den Tisch. „Es war unklug von mir, meine Gefühle so freimüthig zu bekennen,“ sagte sie mit zornfunkelnden Augen. Sein Schweigen und die Erfüllung seiner Berufspflicht, mit welcher er unbeirrt einen solchen Entscheidungskampf unterbrach, hatten sie furchtbar gereizt. „Du bist ein Verächter des Frauengeistes und gehörst zu den Tausenden von unverbesserlichen Egoisten, welche die Frau um keinen Preis auf eigenen Füßen sehen wollen –“
„Wenn sie nicht stehen kann, allerdings.“
Sie legte die kleine, krampfhaft zu einer Faust geballte Hand auf den Tisch und sah dem Sprechenden einen Augenblick mit festgeschlossenen, fast weißgewordenen Lippen in das Gesicht. „Was willst Du damit sagen, Bruck?“ stieß sie scharf heraus.
Ein Hauch von Röthe ging ihm über Stirn und Wangen hin, und seine Brauen zogen sich leicht zusammen; er war offenbar eine jener sensitiven Naturen, die ein scharfzugespitzter, auf gegenseitige Verletzung ausgehender Wortwechsel geradezu auf die Folter legt. „Ich will damit sagen,“ entgegnete er gleichwohl fest und mit anscheinender Gelassenheit, „daß zu diesem ‚Auf-eigenen-Füßen-stehen‘, zu welchem die strebende Frau vollkommen berechtigt ist, wenn sie damit nicht bereits übernommene ältere Pflichten und das edle deutsche Familienleben schädigt, daß zu diesem ‚Auf-eigenen-Füßen-stehen‘ ein starker, zäher Wille, ein consequentes Ausschließen der reizbaren weiblichen Eitelkeit und vor Allem wirkliche Begabung, wirkliches Talent erforderlich sind.“
„Und die letzteren Eigenschaften bestreitest Du mir?“
„Ich habe Deine Artikel über die Arbeiterbewegung und die Frauenemancipation gelesen.“ – Jetzt allerdings hatte die sonst so sanft moderirte Stimme des Arztes etwas durchdringend Schneidendes.
Flora fuhr zurück, als sei ein blitzendes Messer auf sie gezückt worden. „Wie willst Du wissen, daß ich die Verfasserin derjenigen Artikel bin, die Du gelesen?“ fragte sie unsicher, schwankend, dabei aber seine Züge in fieberhafter Spannung fixirend. „Ich schreibe unter Chiffern.“
„Aber die Chiffern circulirten bereits in Deinem großen Bekanntenkreise lange vorher, ehe die Aufsätze das Licht der Oeffentlichkeit erblickten.“
Sie wandte einen Augenblick beschämt und verlegen die Augen weg. „Gut, Du hast sie gelesen,“ sagte sie gleich darauf. „Was soll ich aber von Dir denken, daß Du dieses Streben nie mit einer Silbe berührt, daß Du nicht einmal Dein ungnädiges Mißfallen darüber ausgesprochen hast?“
„Würdest Du darauf hin Deine Feder niedergelegt haben?“
„Nein, und abermals nein.“
„Das wußte ich; deshalb ließ ich Dich gewähren bis zu unserer Vereinigung. Es versteht sich ja von selbst, daß die verständige Frau mit dem Manne geht und sich nicht isolirt in Sonderbestrebungen, es sei denn, daß sie bei starkem Pflichtbewußtsein, hochbegabt, ein hervorragendes Talent –“
„Was ich selbstverständlich nicht bin,“ unterbrach sie ihn mit nicht zu beschreibender Erbitterung.
„Nein, Flora, Du hast Geist, Esprit, aber schöpferisch bist Du nicht,“ versetzte er ernst den Kopf schüttelnd und in seine gewohnte milde Sprechweise einlenkend.
Secundenlang stand sie wie erstarrt vor diesem unumwundenen Urtheile, das sich unverkennbar auf die festeste Ueberzeugung stützte, dann aber hob sie in einem halbwahnwitzigen Gemisch von gemachtem Jubel und ausbrechendem Grimme die Arme hoch empor. „Gott sei Dank, nun fällt auch die letzte Rücksicht, das letzte Bedenken. Eine Sclavin wäre ich geworden, ein armes, niedergetretenes Weib, dem man den göttlichen Funken der Poesie aus der Seele gerissen hätte, um – das Küchenfeuer damit anzuzünden.“
Sie hatte überlaut gesprochen. Die Kranke, die vorhin der gleichmäßige Wechsel der zwei Stimmen allmählich eingeschläfert hatte, fuhr empor und blickte mit weit aufgerissenen Augen um sich. Besorgt eilte der Doctor an das Bett; er reichte ihr die Medicin und legte sanft die Hand auf ihre Stirn. Unter dieser Berührung sanken die erschreckten Augen wieder zu. Hätte sie ahnen können, die arme Leidende, welchen Sturm sie über den unglücklichen Mann heraufbeschworen, sie, die bis dahin Alles aufgeboten hatte, um den unheilvollen Bruch zu verhindern!
„Ich muß Dich ernstlich bitten, die Kranke nicht mehr zu stören,“ sagte der Doctor, den Kopf in das Zimmer zurückwendend; noch beugte er sich über das Bett und seine Hand lag auf Henriettens Stirn.
„Ich wüßte auch nichts mehr zu sagen,“ versetzte Flora mit einem mißlungenen Spottlächeln und zog die Handschuhe aus der Tasche. „Wir sind zu Ende, wie Du nach Deinen verletzenden Aussprüchen selbst wissen wirst – ich bin frei –“
„Weil ich Dir ein Talent abspreche, auf welches Du Dich capricirst?“ fragte er, mit äußerster Ueberwindung die Stimme dämpfend. Jetzt gewann die Entrüstung die Oberhand in ihm; er stand plötzlich in seiner ganzen imposanten Größe da. Alles, was ihn zuweilen so jünglingshaft erscheinen ließ, der sanfte, treue Blick, die von edler Bescheidenheit und Geduld zeugenden Geberden – Alles war verschwunden; er war ein zürnender, empörter Mann. „Ich frage Dich, um wen ich geworben habe, um die Schriftstellerin, oder um Flora Mangold? Als diese Letztere, und nur als diese hast Du damals Deine Hand in die meine gelegt, recht wohl wissend, daß ich zu denen gehöre, die ihre Frau einzig und allein für sich und ein stillbeglücktes Familienleben, nicht aber als ein in der Welt herumflackerndes Irrlicht haben wollen. Du hast das gewußt; Du hast Dich damals befleißigt, mir das zu werden; Du bist in Deiner sanguinischen Art weit darüber hinausgegangen – denn daß Du selbst die rußigen Töpfe in die Hand nehmen solltest, wie Du in übertriebenem Eifer gethan, würde ich ja nie von Derjenigen verlangen, die das geistig belebende Element, mein Stolz, meine mitfühlende, mitringende Gefährtin in meinem Daheim werden soll.“
Er schöpfte tief Athem; nicht ein einziges Mal wichen die strafenden Augen von dem schönen Mädchen, das jetzt so klein und erbärmlich, so unscheinbar vor ihm stand und sich vergebens abmühte, die kühne, trotzig herausfordernde Haltung standhaft zu behaupten.
„Ich habe die Wandlung in Dir vom ersten mißmuthigen Zuge auf Deiner Stirn an bis zu Deiner eben erfolgten Erklärung Schritt für Schritt verfolgt,“ hub er von Neuem an. „Du bist so unsäglich schwach Deinen eigenen weiblichen Schwächen gegenüber, als da sind Hochmuth, Eitelkeit, Launenhaftigkeit – und doch willst Du die Starkgeistige spielen, willst in Sachen der Frauenemancipation das große Wort reden und für Dein Geschlecht die Urtheilskraft, die Consequenz, das feste [176] Wollen und deshalb auch die Vorrechte des Mannes in Anspruch nehmen? … Wie ich über Dein ganzes Verhalten denke, was meine eigene Seele dabei durchmacht, ob ich glücklich oder namenlos unglücklich werde, darauf kommt es hier nicht an. Wir haben uns feierlich für das ganze Leben verlobt, und dabei bleibt es. – Man sagt Dir nach, daß Du oft genug grausam mit Männerherzen gespielt und die Betrogenen schließlich dem öffentlichen Spott und Mitleid preisgegeben hast – mich stellst Du nicht an diesen Pranger – darauf verlasse Dich! Du bist nicht frei – ich gebe Dich nicht los. Ob Du eidbrüchig werden willst oder nicht – gleichviel. Ich will mein Wort halten.“
„Schande über Dich!“ rief sie außer sich. „Wirst Du mich auch zum Altar schleppen, wenn ich Dir versichere, daß ich längst aufgehört habe, Dich zu lieben? Daß ich in diesem Augenblicke, wie ich hier vor Dir stehe, nur mit Mühe den bittersten Haß gegen Dich niederkämpfe?“
Bei diesem furchtbaren Ausbruche erhob sich Käthe; es war ihr allmählich gelungen, ihre Hand zu befreien. Sie eilte mit weggewandten Augen hinaus; sie konnte unmöglich in das Antlitz dessen sehen, der eben eine Art Todesstreich empfangen hatte.
Im Flur, dessen Fenster nach Norden gingen, herrschte schon leichte Dämmerung; nur von der Küche her, in welcher noch der letzte röthliche Abendschein an den Wänden hinspielte, fiel es hell über den rothen Ziegelfußboden.
Die Tante Diakonus stand drinnen am Fenster und wusch das gebrauchte Theegeschirr. Die zurückberufene Köchin sollte erst morgen eintreffen; sie war krank geworden – deshalb lagen die kleinen Hausgeschäfte noch auf den Schultern der alten Frau. Sie nickte Käthe vertraulich mit freundlichem Lächeln zu; nicht die leiseste Ahnung von dem, was sich dort hinter der breiten Flügelthür zutrug, beunruhigte das stillfriedliche, sanfte Frauengemüth. Das junge Mädchen schauerte in sich zusammen und eilte vorüber, hinaus in den Garten.
Es war sehr kühl geworden. Ein starker Zugwind blies scharf und kältend vom Flusse her über ihr Gesicht und die nur von dem Seidenkleide bedeckten Schultern. Mit tiefathmender Brust stürmte sie ihm entgegen. Sie war ein Mädchen mit starkem Empfinden, mit heißem, kräftig kreisendem Jugendblute in den Adern; die Flammen der inneren Empörung brannten auch auf ihren Wangen, in den trockenheißen Augen und züngelten bis in die nervös klopfenden Fingerspitzen.
Sie hatte eben Schreckliches erlebt – welch ein entsetzliches Ringen zwischen zwei Menschenseelen! Und die Schuldige, die es heraufbeschworen, war ihre Schwester – dieser treulose, frivole Frauencharakter, der spielend das ernste Band zwischen Mann und Weib knüpfte, um es bei dem ersten Mißfallen, wie das Gespinnst haltloser Sommerfäden, zu zerreißen und in alle Lüfte hinausflattern zu lassen! Wohl hatte Flora sich diesmal in ihrem Opfer gründlich verrechnet; sie traf auf Stahl, wo sie ein durch die Verurtheilung des Publicums und ihr eigenes systematisch durchgeführtes, allmähliches Erkalten bereits tiefgedemüthigtes Herz leichten Spieles niederzutreten meinte, aber was halfen ihm die Festigkeit und Energie, mit denen er ihr die Stirn bot? Er war doch der Unterliegende. …
Käthe trat auf die Brücke, und die Hände auf das leicht erzitternde, schwanke Holzgeländer stützend, sah sie hinab. Die Wasser stürzten und rauschten unter ihren Füßen hin; mit jedem Steinblock, der seinen Platz im Flußbette behauptete, mit jeder starken Baumwurzel, die sich aus der Ufererde zwängte, rangen und stritten sie, daß der Gischt hochauf spritzte, und doch schwebte dort, fern, die bleiche Mondsichel inmitten der spiegelnden Fluth, und es war, als stehe sie unverrückbar still für alle Zeiten. Stand so die Liebe im Menschenherzen? Umstürmten sie vergebens die wildesten Kämpfe, und erblich sie nicht, wo sie verachten mußte, wo ihr Ideal in Trümmer ging? Nein, sie hatte das eben mit angesehen.
Wunderbare Leidenschaft! Schon einmal hatte sie unter dem Dache dort eine Menschenseele durch alle Stadien des Jammers, der Verzweiflung gehetzt. Wie die Tante dem jungen Mädchen neulich auf dem Heimgange erzählte, hatte in dem Hause am Flusse die schöne, junge Wittwe eines Herrn von Baumgarten gelebt. Der Nachfolger ihres Gemahls, der Sproß einer Seitenlinie und ein wunderschöner Cavalier, war täglich vom alten Herrenhause herübergekommen, um in das liebliche Frauenantlitz zu sehen, das sich, von Wittwenschleier und Schneppenhaube umrahmt, aus dem Fenster bog. In das Haus durfte er nicht, denn sie war sehr sittsam. Er war auch oft hoch auf seinem schwarzen Roß über die schmale Holzbrücke geritten und hatte das schnaubende, ungeberdige Thier dicht an die Hauswand gedrängt, um den Athem des schönen Frauenmundes zu spüren und ihre weiße Hand mit heißer Inbrunst zu küssen, und die das mit angesehen, hatten geschworen, daß er nach Ablauf der Trauerzeit die junge Wittwe wiederum als Herrin in das Schloß Baumgarten zurückführen werde.
Aber da war er einmal auf längere Zeit fortgewesen, an einem fremden Hofe, und die Leute hatten der Edelfrau im Hause am Flusse hinterbracht, daß er sich ein junges Ehegemahl aus hochgräflichem Geschlechte mit heimbringen werde. Die schöne Wittwe hatte nur gelächelt und desto emsiger an ihrem Fenster nach ihm ausgeschaut – sie hat an so viel Falschheit nicht geglaubt, bis das Zinken- und Trompetengeschmetter vom Schlosse herüber verkündigt hat, daß der eben zurückgekehrte Herr den Einzug seines jungen, stolzen Weibes mit einem üppigen Banket feiere.
Und Tags darauf war er mit der neuen Schloßherrin über die Holzbrücke geschritten, um sie im Hause am Flusse vorzustellen – die bunten Tulipanen auf ihrem schweren Brokatrock, den sie über den Boden hinschleppte, hatten weithin geleuchtet, und auf dem breiten Fächer in ihrer Hand hatte das hochgräfliche Wappen in Edelsteinen gefunkelt, und das rehfarbene Windspiel, das früher immer vor dem Rosse hergelaufen, war auch mitgekommen, aber diesmal lief es nicht nach dem Fenster, von wo ihm einst die weißen Hände Zucker und Kuchenbrocken herabgeworfen; es rannte ein Stückchen am Flußufer hin und deckte und winselte kläglich – und da schwamm ein schneeweißes Gewand, an dem die Wellen rissen und zerrten, um es mitzunehmen, aber die langen, blonden Flechten an dem blassen Frauenkopfe hatten sich im Wurzelgeflechte der Uferbäume verschlungen und hielten die Todte fest, für ihn, auf daß er noch einmal in die starren, weitoffenen Augen blicken sollte.
Das Fenster, an welchem sie mit der ganzen Zuversicht treuer Liebe gehofft, daß er wieder zu Roß über die Brücke kommen werde, war wohl das dort gewesen, wo Abends die Lampe des Doctors brannte. Dort hatte sie wohl auch gestanden und in bitterer Verzweiflung die Wellen vorbeirauschen sehen, die von dem lustigen Hochzeitshause daher kamen, und das heiße Verlangen hatte sie überwältigt, den schönen Leib in das brausende Gewässer zu stürzen, daß es ihn forttrage weit, weit weg von der Stätte ihres ehemaligen Glückes. Und nun, nach langen, langen Jahren wurde an derselben Stelle der gleiche Herzenskampf durchlitten – nein, nicht der gleiche! War er nicht ein Mann mit starkem Geiste? Ein Mann, den schon sein hoher Beruf auf Erden festhalten und allmählich über das nagende Leid hinwegheben mußte? Und wenn auch das unglückliche Weib, das sich durch einen raschen Sprung aus all dem Jammer in die Grabestiefe rettete, die weißen Arme aus dem Wasser hob, um ihn zu locken – er folgte ihr nicht. … Ein Schrecken durchfuhr sie. Hatte Henriette nicht gesagt: „Wer Flora einmal Liebe gebend gesehen, der begreift, daß ein Mann eher den Tod sucht, als daß er sie aufgiebt“? Und mußte er sie nicht aufgeben, nachdem sie ihm erklärt, daß sie ihn hasse?
Käthe lief angstvoll in den Garten zurück, als tauche dort am dunkelnden Ufer die ertrunkene Edelfrau mit den blonden Flechten empor und greife mit den Händen auch nach ihr.
Es dunkelte. Der Wald, der heute Zeuge eines beispiellos rohen Auftrittes gewesen, breitete sich einförmig schwarz wie ein Sargtuch über den niedrig gewölbten Hügelrücken, und das durchfurchte Ackerland lag glatt und verschlossen da und ließ nicht ahnen, daß Milliarden lebendiger Keime mit kleinen kräftigen Armen unter der Kruste wühlten und drängten, um eine wogende Halmenwelt an das goldene Licht der Sonne zu heben. Droben auf dem Dache knarrten die Wetterfahnen in dem fauchenden Abendwinde, der sich allmählich aufblies, um in der Nacht als brausender Frühlingssturm über die Erde hinzufahren. Das Gezweig der Silberpappeln am Staket schwankte,
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und die noch losen Fichtenäste der halbfertigen Laube knisterten unter seinem wilden Odem. Durchsichtig wie ein Schemen stieg ihr Astgeflecht empor – wenn einst das schattige Grün voll und dicht über dem Holzgerippe hing, wie stand es dann wohl um Alles, was in diesem Augenblick unentwirrt unter der gestaltenden Hand des Schicksals lag? Saß die Tante je dort in dem heißgewünschten grünen Sommerasyl, stillbeglückt, frohen Gemüthes, wie einst im kleinen Pfarrgarten? Wenn ihr Liebling unglücklich wurde, wenn sie ihn verlor, niemals!
Mit scheuem Blick bog Käthe um die westliche Hausecke. Der gedämpfte Schein einer Nachtlampe fiel aus den Fenstern des Krankenzimmers. Noch war der Kampf nicht zu Ende. In der einen Fensternische stand der Doctor, den Rücken dem jungen Mädchen zugewandt, ungebeugt, aber den rechten Arm gehoben, als fordere er Schweigen. Was mochte sie eben gesagt haben, die im dunklen Hintergrund stand, nicht so hoch von Gestalt, daß man mehr hätte sehen können, als die trotzig schüttelnde Bewegung der weißen Spitzenkante über dem goldblonden Schein [178] der Stirnlöckchen – hatte sie wieder mit Impertinenz an seinen Beruf gerührt?
Käthe fühlte in nervöser Aufregung ihre Zähne zusammenschlagen, aber es kam auch ein Zorn, eine Erbitterung über sie, als müsse sie dazwischen springen und die Treulose mit Gewalt auf ihre Pflicht zurückführen. Sollte sie nicht doch hineingehen, an seine Seite treten und der wortbrüchigen Schwester die ganze Empörung, die ganze Verachtung ihres Mädchenherzens in das Gesicht schleudern? Welch ein Gedanke! Was würde er zu dieser Einmischung einer Dritten sagen? Und wenn er diese Dritte nur mit einem kühlen, befremdeten Blicke maß, wenn er sie schweigend bei Seite schob, wie er neulich mit den „aufdringlichen“ kleinen blauen Blumen gethan – in die Erde müßte sie sinken vor Beschämung.
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Wie ging es derweil außerhalb der „intellektuellen Centralsonne des Weltalls“ her? Fand das „hehre“ Beispiel, welches Paris gegeben, in den Provinzen Zustimmung und Nachahmung? Was machten die Blauen und was that Monsieur Thiers?
Es ging in den Provinzen nicht so, wie es die Herren vom pariser Stadthause wollten und wünschten. Das „hehre“ Beispiel war so ziemlich umsonst gegeben. Die Pulverisirung Frankreichs zu einem Chaos von Kommunen entsprach mit nichten dem Nationalgeschmack. Die internationale Verschwörung hatte zwar in verschiedenen Städten tüchtig vorgearbeitet, und es gingen dann auch auf die Kunde vom 18. März hin da und dort, in Lyon, in Saint-Etienne, in Marseille, in Toulouse, in Rouen, rothe Flatterminen los. Aber eben doch nur Flatterminen oder sogar nur „Feuerteufel“, ein bißchen prasselnd und stinkend, aber ohnmächtig, zu zünden und zu sprengen. Diese Krawalle schlug die blaue Regierung unschwer nieder, und der ganze Rummel in den Provinzen hatte ein Ende, nachdem es gelungen war, den Hauptminirer Blanqui zu Castelnau festzumachen. Die fünfzig oder sechzig Tyrannen logen zwar sich selber und ihren Unterthanen bis zuletzt vor, ihre „Brüder“ in den Provinzen würden ihnen zur Hülfe heranziehen, massenhaft, unwiderstehlich, Thatsache aber war, und zwar sehr bald, daß die pariser Kommune vom Lande nichts zu erwarten hatte. Die Provinz emancipirte sich diesmal von der Hauptstadt und trieb in ihrer eigenen Manier, welche eine ganz gescheide war, Decentralisation.
Der kleine Thiers draußen in Versailles war unterdessen auch nicht müssig. Im Gegentheil, thätig bis zum Fieber. Er hatte mehr als eine begangene Dummheit gutzumachen, und er machte sie gut. Vorderhand freilich nur theilweise; denn maßen er schon am 25. März eine Streitmacht von 40,000 Mann mit 520 Geschützen zur Hand hatte, so ist wohl die Frage erlaubt, warum Thiers die ganz kopflosen, wahrhaft rührend einfältigen Machenschaften des Admirals Saisset zugelassen und nicht vielmehr einen Angriff auf Paris unternommen habe, der ja am genannten Tage noch unendlich viel leichter gewesen wäre als eine Woche später, wo die Rothen die ganze Umwallung von Paris in ihrer Gewalt und ihre Streitkräfte organisirt hatten. Auch der Forts auf der Südseite der Stadt waren sie leicht Meister geworden, dagegen in dem Versuch, auch der riesigen Citadelle des Mont Valerien sich zu bemächtigen, gescheitert. Ein noch rechtzeitig auf den Mont geschickter zuverlässiger Kommandant hielt an der Spitze einer pflichttreuen Besatzung diese wichtige, die Westfront von Paris deckende Festung für die Blauen, – ein für die Rothen, wie sich bald zeigen sollte, höchst widerwärtiger Umstand. Ein höchst eigenthümlicher, ja in seiner Art einziger war es dagegen, daß die Anwesenheit der deutschen Truppen in den Nord- und Ostforts nicht weniger den Rothen als den Blauen zum Vortheile gereichte. Den Rothen, weil sie demzufolge nur die West- und Südseite der Stadt zu vertheidigen hatten, den Blauen, weil sie nicht die ganze Stadt zu umschließen brauchten und die Kraft ihres Angriffs auf die südliche und westliche Front koncentriren konnten. Aber der Mensch ist eine undankbare Bestie. Nachmals haben Blaue und Rothe brüderlichst mitsammen über die Deutschen geschimpft wie Rohrspatzen und unser oben citirter hochwürdiger Abbé Lamazou hat, vom heiligen römischen Geiste inspirirt, sogar die sublime Entdeckung gemacht, die Kommune sei nichts anderes gewesen als eine „preußische Intrike“, item die Kommunisten und Petroleurs seien „beim Bismarck und beim Moltke in die Schule gegangen“.
Daß die Rothen über bedeutende Streitkräfte und über ausreichendes Kriegszeug aller Art zu gebieten hatten, ist schon früher dargethan worden. Auch an Generalen fehlte es der Kommune nicht. Freilich waren die Generale von der Sorte der Flourens, Eudes, Brunel, Duval, Bergeret und Lullier, welche an den obersten Stellen befehligen sollten, bis zur Uebernahme des allerobersten Befehls der damit betraute und eilends herbeigerufene Garibaldi eingetroffen wäre. Diesmal war aber der Alte von Kaprera klüger als anno 1870. Eingedenk der Erfahrungen, welche er neulich mit den Franzosen und die Franzosen mit ihm gemacht hatten, blieb er ruhig auf seiner Geißeninsel sitzen.
Es war aber auch kein Spaß, General der Kommune zu sein. Der Revolutionsmythus, der Konvent habe seine Generale so lange zur Guillotine geschickt, bis sich welche gefunden hätten, die zu siegen verstanden, hatte ja im Stadthause bedenklich viel Gläubige und Bekenner. Das Messer der Guillotine zwar machte man vor der Hand nicht zum Kritiker der Strategen und Taktiker, aber man verhaftete sich mehr oder weniger gemüthlich untereinander. Der zweifelsohne mehr als halbtolle weiland Marinelieutenant Lullier wurde schon am 26. März von seinem Bürgerwehrkommando abgesetzt, verhaftet und eingesteckt. Es hieß, von wegen eines Stuhles, welchen er im Feuer der Debatte seinem ehrenwerthen Kollegen Assi an den Kopf geworfen hätte. Am 2. April brach aber der ehrenwerthe Lullier aus und erklärte in Rocheforts „Mot d’ordre“, er werde fortan nur mit zwölf Revolvern in der Tasche herumgehen. An demselben Tage ließ die Kommune ihr ehrenwerthes Mitglied Assi verhaften und an den Schatten thun unter der Anschuldigung, ein Weibler und Werber für den Bonapartismus zu sein. Ja, ja, diese ehrenwerthen Bürger von der Kommune hatten der großen Mehrzahl nach vollauf Ursache, einander für verdächtig zu halten.
Am 1. April ernannte die Kommune den verbummelten Mediciner Eudes zum Quasikriegsminister (zum „Delegirten beim Kriegswesen“) und den gewesenen Buchdruckereifactor Bergeret, bislang Sergeant in der Bürgerwehr, zum Generalstabschef. Am folgenden Tage hatte dann der Krieg zwischen den Blauen und den Rothen ernstlich angehoben in Folge der Vorschiebung einer Truppenschaar von St. Cloud her bis an die Seine durch den General Vinoy, obzwar Monsieur Thiers der Meinung war, erst dann zum Angriff auf Paris zu verschreiten, wann er über mindestens 130,000 Mann zu verfügen hätte. Eine solche oder noch größere Truppenzahl unter der Tricolore zu versammeln, wurde aber dem Regierer Frankreichs erst möglich mittels Unterhandlungen mit dem deutschen Reiche. Diese Unterhandlungen haben dann auch, wie bekannt, zum Ziele, d. h. viele tausende und abermals viele tausende französischer Officiere und Soldaten aus der deutschen Kriegsgefangenschaft heim und unter die dreifarbige Fahne geführt.
Am 2. April also ging der blutige Tanz los. Eine über die Seinebrücke von Neuilly und bis Courbevoie vorgegangene Erkundungsschar der Rothen stieß dort mit den Vortruppen Vinoy’s zusammen und schoß sich mit denselben herum. Die [179] Rothen sagten, die Blauen, und die Blauen sagten die Rothen hätten angefangen – natürlich „verrätherisch“. Da sich auch die Feuermäuler des Mont Valerien in den Zank mischten, hatten die Rothen bewegliche Gründe, nicht nur über die Seinebrücke, sondern auch hinter die Porte Maillot, d. h. hinter die schützende Umwallung von Paris zurückzugehen. Die Blauen füsilirten in ihren Händen gebliebene Gefangene „sans phrase“. Zur Antwort auf die Mordschüsse vom 18. März, sagten sie später. Man sieht, in diesem französischen Bürgerkriege begann es tüchtig zu spaniolen.
Nun braus’te, was roth in der Stadt, gewaltiglich auf. Was, wir sollten uns von dem Nußknacker Thiers und seiner Krautjunker- und Bauernversammlung also mitspielen lassen? Kanonen auf den westlichen Wall! Aux armes, citoyens! Nach Versailles! Nach Versailles! Laßt unsere Generale ihre Schuldigkeit thun, damit wir das vermaledeite Nest des Royalismus und Klerikalismus da draußen ausnehmen und mit einem Schlage unserer hochgelobten Kommune Bahn brechen im schönen Frankreich!
„Unsere Generale“ Eudes, Bergeret, Duval und Flourens thaten denn auch richtig ihre Schuldigkeit, hielten Kriegsrath und setzten einen Plan auf, wozu die Vollziehungskommission im Stadthause Ja und Amen sagte. Abends heizte ein Maueranschlag, worin mit Charette’s „Chouans“, „päpstlichen Zuaven“, Trochu’s „bretonischen Läusekerlen“, „royalistischen Verschwörern“ und ähnlichem Zornfutter nicht sparsam umgegangen wurde, den mehr oder weniger heldischen Bürgern tüchtig ein.
Am folgenden Morgen geschah der Ausfall, der aber nicht glänzend ausfiel. Um 4 Uhr in Marsch gesetzt, brachen die Rothen in drei Kolonnen aus der Umwallung hervor. Zur Linken sollte der „General“ Eudes über Montrouge auf der Straße von Clermont gegen Villacoublay vorgehen. In der Mitte der „General“ Duval über Issy und Meudon gegen Viroflay. Auf der Rechten sollten die „Generale“ Bergeret und Flourens Rueil und Bougival zu erreichen suchen. Als Gesammtwirkung dieser drei Ausfallsstöße war ein Vorstoß auf Versailles geplant, „um die Schlange in ihrem Neste zu zertreten“. Nun aber gehören zur Ausführung eines Planes bekanntlich immer zwei. Einer, welcher denselben ausführt, und ein anderer, welcher die Ausführung zuläßt. Im vorliegenden Falle versagte der andere den Dienst, d. h. die Blauen schickten die Rothen mit blutigen Köpfen heim, nachdem wiederum insbesondere das mörderische Feuer des Mont Valerien das ganze Unternehmen von vornherein dem Scheitern nahegebracht hatte. Die sämmtlichen „Generale“ der Kommune wurden auf allen Punkten geschlagen und der ganze Ausfall schließlich am folgenden Tage hinter die Wälle zurückgeworfen. Zwei der rothen Häuptlinge kehrten nicht wieder in die Stadt zurück. Der phantastische, aber ehrlich-fanatische und tapfere Flourens wurde, mit seinen Truppen von Paris abgeschnitten, am 4. April in einem Hause unweit Rueil, wo er genächtigt hatte, von versailler Gensdarmen, welche von Bauern auf ihn gehetzt waren, überfallen und fiel, den Säbel in der Hand, unter dem Säbel eines Gegners. Den gefangenen Duval ließ der General Vinoy erschießen. Als diesem der Gefangene vorgeführt worden, fragte er ihn: „Was würden Sie mit mir machen, so ich Ihr Gefangener wäre?“ worauf Duval als aufrichtiger Mann antwortete: „Sie erschießen lassen.“ Man that ihm, wie er gethan haben würde. Wie du mir, so ich dir.
Die arme Mutter von Gustav Flourens holte den todten Sohn von Versailles, wohin man ihn gebracht hatte, nach Paris herein. Man hatte ihr den Leichnam ausgeliefert, aber unter der Bedingung, daß die Bestattung ohne Pomp und Demonstration vor sich ginge. So folgten nur die trostlose Mutter mit ihren zwei übrigen Söhnen und ein Priester dem Sarge zum Père Lachaise. Am Tage darauf stand in einem rothen Blatt: „Ein Priester hat Flourens in geweihter Erde begraben. Das ist ein Unglücksschlag über das Grab hinaus.“ Der Schlag that aber nicht mehr weh Einem, welcher eingegangen war in das große Schweigen, worein ja dereinst der verglühte Erdball selbst versinken wird, mit allen seinen Scheinfreuden und Peinleiden still versinken wird, wie eine verblühte Wasserlilie in die Tiefe sinkt. … Aus dem Begräbniß von anderen 31 Gefallenen machte man ein großes Spektakel. Denn wie alle Despoten wußten auch die Stadthausherren, daß man der Menge „panem et circenses“ verschaffen müßte. Zugleich wurde eine Proklamation ausgegeben, worin es lapidarisch hieß: „Die Banditen von Versailles erwürgen oder erschießen unsere Brüder, die in ihre Hände gefallen. Wenn sie noch einen einzigen unserer Wehrleute ermorden, so werden wir das mit der Hinrichtung einer gleichen oder doppelten Anzahl von Gefangenen beantworten.“ Ein Vorwink, aber ein Vorwink mit der Mordkeule auf das Scheusälige hin, was später in La Roquette und anderwärts geschehen sollte. …
Am Tage des mißlungenen großen Ausfalls war der Bürger Cluseret von der Kommune zum Delegirten beim Kriegswesen ernannt worden. Dieser neue Kriegsminister durfte sich kecklich General schelten lassen. Vor Zeiten, im Krimkrieg, Kapitain in einem Jägerbataillon, hatte er – man weiß nicht recht warum – den französischen Dienst verlassen, das sicilische Abenteuer Garibaldi’s mitgemacht, dann den großen amerikanischen Bürgerkrieg. Ein richtiger Condottiere unseres Jahrhunderts, hatte er die Witterung der Revolution und lief überallhin, wo „etwas los war“. Im übrigen war er ein muthiger Soldat und kein ungeschickter Offizier. Seinem organisatorischen Talent und seiner kriegsministerlichen Thätigkeit ist es hauptsächlich auf Rechnung zu schreiben, daß die Rothen Paris so lange gegen die Blauen zu halten vermochten. Er brachte Ordnung und Straffheit in den militärischen Dienst. Mit den aus Buchdruckern und Buchbindern zu „Generalen“ gewordenen Nullen machte er wenig Federlesens. Den Hohlkopf Bergeret, welchen die Kommune nach seiner kläglichen Feldherrnprobe vom 3. April zum Stadtkommandanten ernannt hatte, ließ er absetzen und verhaften, um den tüchtigen Polen Dombrowski auf diesen wichtigen Posten zu stellen. In einer unglücklichen Stunde ernannte Cluseret zum Generalstabschef den jungen, begabten, aber vom Ehrgeiz verzehrten und ränkesüchtigen Geniekapitän Rossel, welcher nach dem Falle von Metz sein den Deutschen gegebenes Ehrenwort gebrochen hatte und später von der dreifarbigen Fahne seines Landes zur rothen übergelaufen war, – ein Mensch, welcher den ihm später zutheil gewordenen Tod an dem rothen Pfahl auf der Ebene von Satory wohlverdient hat. Sofort nach seiner Bestallung fing er gegen Cluseret zu ränkeln und zu zetteln an und seinen Machenschaften ist es zweifelsohne in erster Linie zuzuschreiben, daß die Kommune am 30. April ihren Kriegsminister absetzen und verhaften ließ. An seine Stelle trat Rossel als provisorischer Kriegsminister. Weil er aber merkte, daß die übernommene Würde nur eine für seine Schultern viel zu schwere Bürde sei, warf er sein Ministerium schon am 9. Mai der Kommune vor die Füße. Darauf obligate Verhaftung des auflüpfischen Menschen, der aber mitsammt seinem Wächter, dem Kommunarden Gérardin, aus seinem provisorischen Arrest im Stadthause verduftete und spurlos verschwunden blieb bis zum 8. Juni, wo ihn die blaue Polizei in seinem pariser Versteck abfaßte.
Nach der mit Rossel gemachten Erfahrung wollte die Kommune von keinem Offizier mehr als Kriegsminister wissen und ernannte zum Delegirten beim Kriegswesen den Bürger Delescluze, genannt „der Alte vom Berge“, welcher dann die letzten Kämpfe und Krämpfe der Kommune im strengjakobinischen Stile von 1793 diktatorisch geleitet hat. Von jugendauf Verschwörer, hatte er gegen das Julikönigthum, gegen die Pseudorepublik von 1848, gegen das zweite Empire gekämpft und schwere Verfolgungen erlitten. Was er in französischen Gefängnissen und unter der Glutsonne von Cayenne ausgestanden, hatte seinen Leib ausgetrocknet und sein Herz zu Stein gemacht. Dieser lange, hagere, bleiche Graubart sah aus wie der verkörperte Gedanke von Robespierre. Zudem, was hatte er zu verlieren? Nichts. Am 18. März begegnete ein Bekannter dem Bürger Delescluze auf der Straße und äußerte besorgnißvoll: Und wenn nun die Preußen sich dreinmischen und Paris in Brand schießen?“ – „Mir ganz egal,“ gab der Alte vom Berge zur Antwort; „ich bin nicht Hausbesitzer.“
Die alte Jungfer.
Von Hermann Semmig.
Sie sitzt am Fenster, still ihr Haupt,
Das bleiche, drückend in die Hand;
Ihr Auge, kalt und glanzberaubt,
Blickt vor sich hin starr, unverwandt.
Ihr scheint im fröhlichsten Gewimmel
Die Welt ein schweigend wüstes Meer
Mit farblos nebelödem Himmel,
Gleich ihrem Herzen einsam, leer.
Verborgen wuchs sie, Allen fern;
Sie floh den Tanz, ein scheues Reh;
Sie liebte nie; stets einsam gern,
That Keinem sie, ihr Keiner weh.
Nie hing beglückt an liebem Munde
Beglückend sie in holder Scham;
Nie hat verschwiegne süße Wunde
Ihr Herz gepflegt in stillem Gram.
Zwar als ihr Kindertraum zerrann,
Als bei der Nachtigallen Schlag,
Im Glanz der Jugendsonne dann
Der Erde Garten vor ihr lag,
Da hat’s in nächtlich süßen Schauern
Gar oft gewogt in ihrer Brust
Von einem sehnsuchtsbangen Trauern,
Von heißer unerklärter Lust.
Dann schlief es unverstanden ein,
Und nur ein tiefes krankes Weh
Schlich sich in ihren Busen ein,
Jungfräulich kalt wie frischer Schnee.
So ohne Thränen, ohne Klage,
So ohne Lächeln, ohne Lust
Verblühten ihre Jugendtage,
Und still und leer blieb ihre Brust.
Zuletzt, als der Verkümm’rung Pein
Sich schon um ihre Lippen zog,
Da war’s, als ob ein Sonnenschein
Hell über ihre Züge flog,
Als löste sich nach langen Zeiten
Ihr Herz von einem schweren Bann,
Als müßte sie die Arme breiten
In Hast um den geliebten Mann.
Zu spät! Sie war ihm überreif;
Er sah sie schmerzlich an und ging.
Es war kein Thau, es war wie Reif,
Was da an ihrer Wimper hing.
Dann schloß, daß sie sich selbst betrüge,
Sie lächelnd zu ihr müdes Herz;
O Weib! Durch Deines Lächelns Lüge
Weint doch ein namenloser Schmerz.
So fliegt im Spätherbst noch einmal,
Gleich einem milden Frühlingskuß,
Ein letzter warmer Sonnenstrahl –
Ein Willkomm-, ach, und Scheidegruß –
Hin über die erstarrte Welt,
Die er im Frühling nicht verklärte,
Bis dann der Schnee des Winters fällt
Leis auf die todesmüde Erde.
So lächelte ihr Angesicht,
Auf dem die Rosen schon verblüht,
Indeß ihr mildes Augenlicht
Vom letzten Strahle zuckend glüht.
Die Tage fliehn; es kommt die Zeit,
Wo wie des Schnees erste Flocke
Das erste Silberhaar geschneit
In ihre mädchenbraune Locke.
Dann fliegt vielleicht es noch einmal
Durch ihre Seele zitternd bang,
Wie seines Auges süßer Strahl,
Wie seiner Stimme lieber Klang,
Wie auf beschneitem Rosenzweige
Vom Frühling singt ein Vögelein;
Dann neigt sie still ihr Haupt, das bleiche,
Und lächelnd, lauschend schläft sie ein.
An einem schönen Septembertage des vorigen Jahres saß das schwedische Königspaar unter der Veranda des reizenden Lustschlosses Drottningholm bei Stockholm. Die Königin, von ihrer letzten Krankheit her noch leidend, hatte zu ihrer völligen Wiederherstellung dieses Schloß gewählt, für das sie von jeher eine Vorliebe gehabt und wo sie lieber weilte, als in Ulriksdal oder Rosersberg, und wohl mit Recht, denn Drottningholm ist mehr zur Einsamkeit und Zurückgezogenheit geschaffen. Ein prächtiger Park und freundliche Gärten dehnen sich weithin und schließen es gewissermaßen von der Außenwelt ab. Freilich braucht man jene Anhöhen nur zu besteigen, um sofort ein wundervolles Panorama vor sich zu haben: Die inselreiche Bucht des Mälarsees und das von vielen großen und kleinen Segeln belebte Meer, und nach der anderen Seite hin Stockholm selbst, mit seinen Thürmen und Palästen, dem Mastenwalde seines Hafens und den dunkelgrünen Bergen im Hintergrunde. –
Ein Kammerherr erschien und meldete einen Besuch, der vermuthlich erwartet wurde, denn die Königin, die zu jener Zeit weder Audienzen ertheilte, noch sonst empfing, machte hier eine Ausnahme.
Der Eintretende war ein hochgewachsener, schlanker Mann von kräftiger Statur, wenn auch bereits in vorgerückten Jahren, was wenigstens sein langes, fast schneeweißes Haar bezeugte, obwohl der Ausdruck seines freundlichen, sympathischen Gesichts ein überaus jugendlicher war. Die Majestäten begrüßten ihn wie einen alten Bekannten und namentlich der König kam ihm mit großer Herzlichkeit entgegen. Dieser Mann war Ole Bull, der berühmte Violinspieler, der vor dreißig und vierzig Jahren zu den bedeutendsten Virtuosen seiner Zeit gehörte und den man damals vielfach, und mit Recht, den zweiten Paganini nannte. In den letzten Decennien fast vergessen (er hatte lange in Nordamerika ein vielbewegtes Leben geführt und sich endlich in seiner Heimath Norwegen dauernd niedergelassen), beabsichtigte nun der alternde, aber noch immer erstaunlich rüstige Mann eine neue Kunstreise durch Europa „und weiter“, wie er scherzend hinzusetzte, und kam, um sich bei den Majestäten, die ihm von jeher große Theilnahme bezeigt hatten, zu empfehlen.
Im Laufe des Gesprächs erkundigte sich die Königin bei dem Künstler nach einer neuen Composition, von welcher derselbe schon oft gesprochen und die, wie sie vernommen, jetzt vollendet sei.[1] Ole Bull erbot sich sogleich, sie vorzutragen, aber der Leibarzt widersetzte sich, weil der Zustand der hohen Frau noch Schonung verlangte. Jene Composition ist ein größeres Tonstück mit Orchesterbegleitung, das unter dem Titel „Saeterbesöget“ (Sennhüttenbesuch auf den norwegischen Alpen) unstreitig zu den besten Arbeiten Ole Bull’s gehört. Wir werden weiter unten noch darauf zurückkommen.
„Wenn es uns also vor der Hand noch nicht vergönnt ist, Ihre neue Composition zu hören,“ sagte der König, dem plötzlich eine originelle Idee kam, „so möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen. Sie treten eine neue Kunstreise an und wollen sogar über Europa hinaus. So kommen Sie vielleicht auch nach Aegypten. Wie wär’s, wenn Sie Ihr Stück auf der Spitze der Cheopspyramide spielten? So etwas,“ setzte der König, der dadurch bewies, daß er den Künstler nur zu gut kannte, lächelnd hinzu, „so etwas ist noch nicht dagewesen und scheint mir für einen Virtuosen sehr verführerisch.“
Ole Bull stimmte nicht allein lebhaft bei, sondern nahm sofort den Vorschlag an. Er hatte ohnehin bereits an Alexandrien und Kairo gedacht und faßte nun den festen Entschluß, auch diese beiden Städte zu besuchen und in letzterer den echt königlichen Gedanken, wie er sagte, zur Ausführung zu bringen. Nun ging der König noch weiter und schlug den 5. Februar, den Geburtstag des Künstlers, und zwar seinen Sechsundsechszigsten, als den Tag des Pyramidenconcerts vor, was gleichfalls angenommen wurde. Hierauf beurlaubte sich Ole Bull und wurde von den Majestäten mit den besten Wünschen entlassen.
Der Künstler begab sich nun auf die Reise und spielte zuerst in Kopenhagen, dann in Berlin und Stettin, in Hamburg, Lübeck und Bremen, also in allen jenen Städten, wo er vor drei und vier Jahrzehnten einen so enthusiastischen Erfolg gehabt. Die Zeiten, auch in der musikalischen Welt, waren freilich anders geworden; die moderne classische Schule, namentlich in Berlin, empfing ihn anfangs kühl, und sogar manches herbe Urtheil wurde laut, aber nach und nach gewann er sich die Herzen, und je häufiger er sich hören ließ, um so ungetheilter kehrte der Beifall früherer Zeiten zurück. Es war doch immer der vielbewunderte Virtuose von ehemals, dessen unerreichte Technik Staunen erregte und nach wie vor an sein dämonisches italienisches Vorbild erinnerte. Und doch auch nicht mehr wie früher, denn [181] der einst dem Jünglinge gemachte Vorwurf des Mangels an Tiefe und Innigkeit traf den bejahrten Mann, der schon an der Schwelle des Greisenalters stand, nicht mehr, und manchen Gegner bekehrte er durch diese neue Seite seines Spiels. Dies gehört indeß nur indirect zum Gegenstande unseres heutigen Berichtes, der ja die Pyramidenfahrt des Künstlers schildern will. Am letzten Januar dieses Jahres schiffte sich Ole Bull in Brindisi nach Aegypten ein. In seiner Begleitung befand sich, außer seinem Impressario, dem Director Hermann, der Hofpianist Emil Bach aus Berlin, ein noch sehr junger Künstler, dem aber die Musikkenner eine glänzende Zukunft prophezeien. Die Reise ging glücklich von Statten und für viele Passagiere, vorzüglich für die Engländerinnen, war Ole Bull, dessen Name bald bekannt geworden, ein Gegenstand unausgesetzter Aufmerksamkeit und Neugier. Aber was Alle hofften und wünschten, wurde nicht erfüllt: der Künstler, der sich von jeher, außer seinem öffentlichen Auftreten, nur in ganz intimen Freundeskreisen hören ließ, blieb auch am Bord seiner Gewohnheit getreu und spielte nicht. Nur in der zweiten Nacht und ohne Wissen Aller, sogar seiner beiden Reisegefährten, begab er sich auf’s Verdeck und spielte in die mondverklärte Meeresstille hinaus eine seiner schwermüthigen Phantasieen, die er selten oder nie dem großen Publicum vorträgt. Als der wachthabende Officier und seine wenigen Genossen, die ihren Posten auf der Brücke des Mitteldeckes nicht verlassen durften, die Klänge vernahmen, waren sie auch schon wieder verstummt: so wenigstens erzählte er am nächsten Morgen.
Am Abende des 3. Februar war bereits der Dampfer auf der Rhede von Alexandrien angekommen, mußte aber die Nacht auf offener See bleiben, weil bei der gefährlichen Einfahrt nach Sonnenuntergang keine größeren Schiffe mehr in den Hafen einlaufen dürfen. Am Morgen des 4. Februar stieg endlich Ole Bull wohlbehalten in Alexandrien an’s Land.
Um sein dem König gegebenes Versprechen zu halten – denn Kairo liegt noch über dreißig deutsche Meilen südlicher als Alexandrien, und man braucht mit der Eisenbahn sechs Stunden, um diese Strecke zurückzulegen – durfte unser Künstler nicht zaudern, wollte er anders, einmal glücklich so weit gekommen, nun auch den festgesetzten Tag nicht versäumen. Schon am Abend desselben Tages traf er mit seinen beiden Begleitern in Kairo ein, wo der schwedische Consul, der schnell durch ein Telegramm benachrichtigt worden war, den berühmten Landsmann am Bahnhofe empfing und in sein gastliches Haus geleitete. In der Morgenfrühe des nächsten Tages, also am 5. Februar, hielten bereits mehrere Wagen vor der Villa des Consuls, der noch in aller Eile einige Einladungen an verschiedene Freunde hatte ergehen lassen, und gegen zehn Uhr traf die Gesellschaft bei den Pyramiden, dem eigentlichen Reiseziele Ole Bull’s, ein.
Eine Pyramidenfahrt an sich ist schon so oft geschildert worden (von uns selbst noch vor anderthalb Jahren in diesem Blatte, bei Gelegenheit einer famosen Bowle im Mondschein), daß wir heute füglich ganz davon absehen können, und sie nur in soweit berücksichtigen, als sie sich auf unseren Künstler bezieht. Die Gesellschaft theilte sich in zwei Parteien: in Diejenigen, die mit hinaufsteigen, und in Diejenigen, die unten bleiben wollten. Die letzteren waren indeß in der Minderzahl, einige Damen und einige ältere Herren; der älteste von allen war übrigens jedenfalls Ole Bull selbst, und dieser hatte bereits die zehn ersten meterhohen Blöcke des ungeheuren Kolosses allein bestiegen und wollte anfangs gar nichts von der Beihülfe der Beduinen wissen, die bekanntlich jeden Hinaufsteigenden zur Unterstützung begleiten. Der kräftige Sohn der norwegischen Berge, dem schon im Knabenalter keine Felskuppe und keine Bergspitze zu hoch oder gar unerreichbar gewesen, fühlte sich trotz seiner sechsundsechszig Jahre, die er gerade an diesem Tage vollendete, so verjüngt, daß er behauptete, sich schämen zu müssen, wenn ihm noch vier oder sechs fremde Arme Beistand leisteten, um auf die Spitze zu gelangen. Weit wichtiger und zugleich Besorgniß erregender war ihm das Hinaufschaffen seiner Geige, und er selbst suchte sich zwei der kräftigsten Beduinen aus, die den Kasten mit seinem kostbaren Inhalte stets vor ihm hertragen mußten. In kaum einer Viertelstunde stand Ole Bull, und zwar der Erste von allen, bereits oben auf dem kleinen welthistorischen Plateau und begrüßte die vaterländische Flagge, die der aufmerksame Consul an dem dortigen Flaggenstock hatte aufziehen lassen. Nach und nach langten auch die übrigen Gäste an, aber von allen Seiten klimmten und kletterten noch die Beduinen hinauf, denn es war unten schnell bekannt geworden, daß ein europäischer König aus dem fernen Norden einen „Spielmann“ hergesandt habe, um auf der Pyramide eine große „Fantasia“ aufzuführen. Hätte man es in Kairo selbst gewußt, so wäre gewiß die halbe, wo nicht die ganze dort anwesende Touristenwelt hinausgepilgert, in erster Reihe die Engländer und Amerikaner, wenn auch nur, um später daheim erzählen zu können, „mit dabei gewesen zu sein“.
Schon hatte Ole Bull Geige und Bogen aus dem Kasten herausgenommen und ein paar kräftige Striche gethan, wie wenn er sich versichern wollte, daß sie unversehrt den gefährlichen Weg zurückgelegt, dann richtete er sich in seiner ganzen Gestalt hoch auf und ließ den klaren Blick einige Minuten lang umherschweifen, um die wunderbare Welt unter ihm zu betrachten. Zu seiner Rechten das Nilthal, bis in die verlorensten Fernen unermeßliche lichtgrüne Gefilde, und zwischen ihnen der breite, majestätische Strom, dessen Wellen wie flüssiges Silber heraufblitzten – zur Linken, gleich unermeßlich und unabsehbar, die lichtgelbe Wüste, von den sanftansteigenden Höhenzügen des libyschen Gebirges begrenzt, und vor ihm zu seinen Füßen die weitgedehnte Khalifenstadt mit ihren Minarets, Kuppeln und Palmengärten, und Alles, Alles im blendendsten Sonnenglanze. Es war wie ein freudiges Aufjauchzen, als er nun plötzlich zu spielen anfing, wie Dankesruf an sein Geschick, das ihm vergönnte, hier oben zu stehen und dies großartig schöne Bild, das Ziel so vieler tausend Wünsche, mit eigenen Augen zu schauen … dann richtete er sich nach Norden, nach der Himmelsgegend seiner Heimath, und begann seine eigentliche Composition.
Musik beschreibt und schildert sich nicht, vollends nicht in einer kurzen, anspruchslosen Erzählung, wie die unserige ist, so daß wir, wie groß und ergreifend auch der Eindruck war, nur wenige Worte darüber sagen können. In der reinen, windstillen Luft dieser Höhe – der höchsten unter allen Werken von Menschenhand auf der ganzen Erde, – klangen die Töne so durchsichtig und klar und auch wieder so kraftvoll und gewaltig, daß man sich wie von einer magischen Gewalt fortgerissen und in der innersten Seele erschüttert fühlte … dann klagte es wieder wie zarte Mädchenstimmen; es war die Sehnsucht nach den heimischen Bergen, und dann rauschte es von Neuem wie Triumphgesang eines Helden, der stolz ist auf sein schönes Vaterland.
Wie Uhland den Münsterthurm erzittern läßt, als der junge Goethe oben seinen Namen einmeißelte:
„… den Thurm durchfährt ein Zittern,
Vom Grundstein bis zum Knauf;
Von seinem Schlage knittern
Die hellen Funken auf …“
so liegt hier ein ähnlicher Vergleich nahe, und in dem sechstausendjährigen Königsgrabe im Innern der Pyramide mag gleichfalls von diesen Tönen ein Echo nachgeklungen haben. Und damit dieser schönen poetischen Stunde nichts fehle, stiegen, gerade als der Künstler den letzten Saitenstrich gethan, zwei gewaltige Pelikane aus dem Nilthale auf und zogen mit silbernem Flügelschlage nach Norden, wie wenn sie die Kunde von dem glücklichen Gelingen des Unternehmens überbringen wollten. Die Beduinen, diese Naturkinder, die während des Spiels unbeweglich wie Steinbilder im Kreise herumlagerten, sprangen, als der Künstler geendigt hatte, wie elektrisirt auf und riefen ein lautes, wiederholtes „Allah! Allah!“ als höchsten Ausdruck ihrer Bewunderung.
So hatte denn Ole Bull sein gegebenes Wort gelöst; kaum nach Kairo zurückgekommen, schickte er ein Telegramm an den König von Schweden, um denselben davon zu benachrichtigen, und schon am Vormittage des nächsten Tages traf die königliche Antwort ein.[2] Die seltsame Pyramidenfahrt des Künstlers wurde [182] natürlich schnell in Kairo bekannt, und der Khedive selbst machte ihm in der Audienz ein Compliment über seinen Muth und seine jugendliche Kraft. Ole Bull gab daraufhin Concert im Opernhause und erntete reiche Lorbeeren, Blumen Kränze und sogar Gedichte, vorzüglich durch den „Carneval von Venedig“, in welchem er seine unglaubliche Virtuosität auf das Glänzendste documentirte. Aber sein norwegisches Alpenlied spielte er nicht wieder.
Er blieb noch einige Tage in der stillen, gastlichen Häuslichkeit des schwedischen Consuls, um dann in Alexandrien ein Concert zu geben und schließlich nach Europa zurückzukehren. Wer aber das Glück hatte, in der schönen schwedischen Villa den Meister im vertraulichen Freundeskreise spielen zu hören, vollends an einem duftigen, lauen Mondscheinabend (der Februar ist Kairos Blüthenmonat) und überdies den liebenswürdigen, gemüthreichen Menschen näher kennen lernte, der bewahrt gewiß dem nordischen Künstler auf lange hin ein sympathisches Andenken, und das um so herzlicher und dauernder, je seltener hier zu Lande derartige Begegnungen und Genüsse sind.
In den ersten Tagen des März erscheint von Victor Tissot, dem Autor des bekannten Buches „Reise in’s Milliardenland“, ein zweiter Theil dieses Werkes: „Die Preußen in Deutschland“.
Man wird sich wohl noch erinnern, wie viel Staub dieses „Voyage au pays des Milliards“ dies- und jenseits der Vogesen aufwirbelte. In Frankreich machte sich der nationale Chauvinismus über das stark gepfefferte publicistische Gericht her, und in Deutschland war man begreiflicher Weise neugierig, das Bild kennen zu lernen, welches ein so erklärter Feind des neuen Reiches von deutschen Zuständen entworfen hatte. Die vielleicht nicht immer kluge wohlüberlegte Neugierde wirkte magnetartig und dies um so mehr, da die bittere Pille ganz artig gezuckert präsentirt wurde, denn abgesehen von dem etwaigen Werthe seines Buches, abgesehen von dem Grade der Gründlichkeit seiner Studien schreibt Tissot sehr genießbar. Man ärgert sich, ist entrüstet, wünscht den Autor zum Kukuk – aber man lacht. …
Man begreift, daß der zweite Theil des „Voyage“ bei dem zweifelhaften Rufe, den der Verfasser so rasch erwarb, im Publicum nicht ohne Spannung erwartet wird, und da die menschliche Neugierde nie ihre Rechte aufgiebt, so wird man auch diesmal sich über den Inhalt dieses Buches zu orientiren suchen. Für’s Erste ist der Titel „Die Preußen in Deutschland“ ein Schlagwort. Die Titel müssen heutzutage sensationell sein, sonst ist mit dem Verleger kein Geschäft zu machen. „Die Preußen in Deutschland“ – das sollte eine Skizzirung der Zustände bedeuten, wie die Ereignisse von 1866 und 1871 zu Gunsten von Preußen sie geschaffen haben. Obwohl die verhaßten Prussiens auch in diesem Buche arg mitgenommen werden, ist der Zweck kein exclusiv politischer. Herr Tissot wirft mit seinen Steinen nach jedem Zweige deutscher Cultur.
Als er sich im vorigen Juli eines schönen Abends auf den Weg machte, um das Material für diesen Band zu sammeln, konnte er nicht einmal die Ueberschreitung der germanischen Grenze abwarten, um seinem gepreßten, nach deutschem Blute lechzenden Herzen Erleichterung zu verschaffen. Schon in Namur, im neutralen Belgien, beginnt die Deutschenhetze. Im Verfolg seiner Reise führt die Bahn ihn an Saarbrücken vorüber; natürlich geht es hier ohne eine Suade über den auch deutscherseits anerkannten Heldenmuth der Franzosen nicht ab; die Beschießung Saarbrückens bei der famosen Affaire, wo Lulu die Kugel aufhob, nimmt der Autor auf die leichte Achsel; er findet die ganze Sache „unverfänglich“; er begreift nicht, daß die antifranzösische Presse in Deutschland über die „Asche von Saarbrücken“ Krokodilthränen vergossen.
In Coblenz hält Herr Tissot zum ersten Male einen Rasttag. Auch hier – welch ein Glück! – findet sich eine geläufige Zunge – ein Unterofficier – um ihm haarklein Auskunft über den Stand der deutschen Rüstungen zu ertheilen, und in der festen Ueberzeugung, daß „vierzig Armeecorps zu achtzehntausend Mann jedes auf ein Zeichen mobil dastehen können“, verfügt sich der Autor in einen Waggon dritter Classe, um das deutsche Reisepublicum im gewöhnlichen Sinne so recht zu beobachten. Diese billige Fahrt ist höchst lehrreich. Erstens entdeckt der Verfasser das wirkliche deutsche Familienleben. Es besteht darin, „daß die guten Familienväter, die Geheim- und Hofräthe sich allein im kleinen Gasthofe ihrer Stadt gütlich thun, während die Weiber und Kinder besagter Hof-, Geheime- und Legationsräthe zu Hause bleiben und Eichelkaffee und Erdäpfel genießen. Die deutsche Frau, namentlich im Süden, ist eine Sclavin, eine Magd. Ihre erniedrigende und grausame Lage erzeugt Entrüstung und flößt Mitleid ein. Das Weib hat die härtesten Arbeiten zu verrichten. Es steht zuerst auf und geht zuletzt in’s Bett. Es ist das Lastvieh, eine Maschine im Stricken, Nähen und der Reproduction des Geschlechts, sonst Nichts. In der Familie ist der Vater zugleich Oberhaupt und Richter. Wie unterwürfig (hm, hm!), wie folgsam (hm, hm!), wie zitternd (hm, hm!) sind diese armen und süßen Geschöpfe! Die Tyrannei des Papas ist der Anfang der Erlernung des Respects; bei dieser Race thut ein Bischen Schlagen immer Noth, denn Macht geht vor Recht.“
Die schwermüthigen Betrachtungen über das Pariaschicksal deutscher Frauen unterbricht der Eintritt neuer Reisender. Ein Mitglied des Bonner Kriegsvereins erzählt die Enthüllung des Arminius-Denkmals und ein Tiroler Schütze, der von Stuttgart kommt, hat einen Papagei als Preis davongetragen. Das Thier schreit die ganze Fahrt: „Bismarck, Bismarck – Hahnemann, Hahnemann!“ Mit diesem letzten Namen ruft der Papagei nach einem Redacteur der Moskauer deutschen Zeitung, welcher auf der Rednerbühne die Drei-Kaiser-Allianz feierte, und den Namen dieses Moskauer Schriftstellers merkte sich unser Papagei auf einmal – sonderbarer Kauz! Was die Schilderung des Mitglieds des Bonner Kriegsvereins anbelangt, so lautet diese gerade wie sie Herr Tissot braucht, um den Franzosen ein deutsches Nationalfest von der lächerlichen abfälligen Seite zu zeigen. Zum Schlusse legt der Bonner seinen Reisegefährten eine mit dem Bildnisse des Arminius geschmückte Denkmünze vor. Das Angesicht des Siegers vom Teutoburger Walde findet in den Augen des Verfassers wenig Gefallen. „Dieser Tropmann de la forêt de Teutoburg,“ schreibt er, „trägt auf dem Kopfe ein Bärenfell mit zwei Rabenflügeln, die sich wie Eselsohren ausnehmen. Die Lippen sind grausam, wie bei dem Tiger; der Bart ist kraus und struppig. Man erkennt den wahren deutschen Spion, den Verräther, der seine ehemaligen Waffenbrüder in einen Hinterhalt gelockt hat.“ Bekanntlich wurde in Frankreich zur Zeit des Arminius-Festes diese These von dem Verrathe des Cheruskerfürsten an seinen Alliirten zuerst von den Gelehrten des „Journal des Debats“ verfochten und fand natürlich Anklang.
Worms, die Lutherstadt, bietet wenig Anlaß für die Kritik; hier regt sich in dem Verfasser das, wie uns dünkt, ziemlich lebhafte künstlerische Gefühl. Er zollt dem Denkmale des Reformators aufrichtige Bewunderung und scheint von der Synagoge entzückt. Die Erscheinung eines semitischen Fräuleins von idealer Schönheit versetzt ihn förmlich in Ekstase.
Auch Frankfurt hat Herr Tissot ziemlich liebgewonnen, und der Palmengarten, von dem die Bürger der ehemaligen Freistadt mit gerechtem Stolze sprechen, übt auf den französischen Kritikus einen mächtigen Zauber aus. „Die Citoyennes de Francfort – ich kenne keine weiblichen Geschöpfe, die soviel Zauber besitzen und so verführerisch sind. Rubens hätte bei ihnen im Großen und im Kleinen die Najaden und Nymphen seines ‚Gouvernement du Rhin‘ gefunden. Sie (die Frankfurterinnen) sind zugleich nachlässig, lebhaft, lärmend und dahinschmelzend; ihr Gang ist einer Göttin würdig und erinnert doch zugleich an die Bajaderen; ihr Fleisch ist aus Nectar und Ambrosia geknetet. Ihr blonder und schwarzer Haarwuchs rieselt in wohlriechenden Katarakten auf die marmornen Schultern etc.“
Das eigentliche Reiseziel Tissot’s ist München, aber da er gerade mitten in der bewegten Wahlperiode reist, macht er unterwegs Halt. Seine erste Station ist Würzburg; man erinnert sich, wie lebhaft hier der Kampf zwischen Ultramontanen und Nationalen tobte. Tissot widmet nun ein ganzes Capitel [183] der Uebersetzung der verschiedenen Manifeste, die um diese Zeit in den Tagesblättern der Perle Frankens zu lesen waren. Er spricht sich allerdings nicht für die Ultramontanen aus, aber der Ton, den die Nationalen gegen die Priester führen, erinnert den Verfasser „an die rhetorischen Blumen des Père Duchêne, zur Zeit, wo Raoul Rigault die Priester als Geiseln erschießen ließ“. Am Abend der für den Ultramontanismus verlorenen Schlacht holt sich Tissot wie gewöhnlich Paroli – im Wirthshause. In einem solchen findet er „zwei Capläne, die ihre langen Pfeifen rauchen mitten in einer Gruppe von dickbäuchigen Specereihändlern und Bäckermeistern, die dem Generalstabe der katholischen Partei angehören. Die Leute redeten leise, und meine Anwesenheit schien sie zu geniren. Der älteste Caplan allein – wahrscheinlich war er taub – sagte, indem er mit seinem halbgefüllten Bierglase auf den Tisch stieß: Malefiz Preußen!“ Von Würzburg geht es nach Nürnberg, und hier ist es das Zellengefängniß, welches auf Tissot eine mächtige Anziehungskraft ausübt. Warum gerade diese besondere Bevorzugung? Ist es, weil es sehr schwer sein soll, die Strafanstalt anders als in erzwungener Weise zu besuchen, oder gilt die Neugierde dem in diesem Gefängnisse eingesperrten Dr. Sigl? Kurz und gut, um sein Begehren zu stillen, miethet Tissot einen zweispännigen Wagen, zieht sich einen neuen Rock an und hofft auf die Wirkungen seiner goldenen Uhr, um dem Dienstpersonale zu imponiren. Es gelingt ihm auch wirklich, den „deutschen Veuillot“ durch das Gitterloch seiner Zelle die verschiedenen Majestätsbeleidigungen absitzen zu sehen. Das Schicksal des Redacteurs des „Vaterland“ rührt tief die wehmüthige Seele des Verfassers; er ist in dieser Angelegenheit auch mit Andrassy nicht zufrieden und erinnert ihn, daß die Regierungen, in deren Lande der ungarische Graf nach 1849 Schutz suchte, nicht so rasch mit Auslieferungen bei der Hand waren.
Von Nürnberg verfügt sich Tissot nach Bayreuth, und hier muß selbstverständlich das Wagner’sche Theater Materie für einige Seiten Beschreibung und Wagneriana liefern. Der Name des „Tannhäuser“-Componisten hat in Frankreich jene Popularität, die denjenigen anhaftet, welche Heroen eines artigen Scandals gewesen und als solche das tout Paris, wenn auch nur achtundvierzig Stunden, beschäftigten. Der eclatante Sturz des „Tannhäuser“, der im Jahre 1861 in Gegenwart des Kaisers und der Kaiserin niedergezischt und niedergebrüllt wurde, der von den Edelleuten des Jockey-Club eingefädelte Krawall lebt heute noch im Andenken jedes Dilettanten fort, und Wagner’s Physiognomie taucht dämonenhaft inmitten der heraufbeschworenen Tumultscenen des Gezisches und Gejohles auf; so sind denn auch Anekdötchen über den Chef der Zukunftsmusik sehr gesucht. Tissot analysirt unter Anderen eine ungespielt gebliebene Komödie Wagner’s „Eine Capitulation“. Es ist ein Potpourri über die Vertheidigung von Paris, worin die verschiedensten Persönlichkeiten in barockster Weise besungen werden. Die Analyse dieser Komödie wurde vom „Figaro“ gebracht; sie verursachte hier solchen Aerger, daß Herr Pasdeloup, der Dirigent der volksthümlichen, sehr beliebten Sonntagsconcerte sich nicht mehr traut, den „Tannhäusermarsch“ auf sein Programm zu setzen, der sonst fast allwöchentlich einen Bestandtheil des harmonischen Küchenzettels bildete. Von Richard Wagner zu dessen königlichem Gönner giebt es keinen weiten Sprung.[3]
Die Museen und Sehenswürdigkeiten Münchens werden von Herrn Tissot nach Gebühr gewürdigt. Man mag sich wundern, daß bei all dem Deutschenhasse das künstlerische Gefühl unseres Autors nicht stumpf geworden ist und daß er auf deutschem Boden etwas Verdienstvolles bewundern und der Bewunderung empfehlen kann. Zwar kommt man auch hier nicht ohne einige witzig sein sollende Pointen weg, und nachdem der Verfasser z. B. Kaulbach’s Nachlaß, die „Sündfluth“, genau und eingehend beschrieben hat, zieht er gegen die politische Tendenz des großen deutschen Malers vom Leder.
„Kaulbach,“ schreibt Herr Tissot anläßlich des ‚deutschen Erzengels Michel‘, „hat mit seiner Malerei, wie Wagner mit seiner Musik, eine Culturaufgabe lösen wollen. So meinen heute die Deutschen in ihrem Kampfe gegen Frankreich eine civilisatorische Sendung zu erfüllen. Wenn ein Franzose jenseits der Vogesen ermordet wird, was übrigens bereits geschehen ist, hört man den Mörder gewiß zu seinen Richtern sagen: ‚Ich habe meine Pflicht als guter Bürger erfüllt – habe ich meinem Lande nicht geholfen, seine Culturaufgabe zu erfüllen?‘ Dahin (zum Raubmorde aus politischen Rücksichten) führt dieser schreckliche Haß, den man von Geburt an dem Kinde einimpft und den später die Schulbücher, die Zeitungen, die Dichtkunst, das Theater, die Schlachtgedenkfeste als patriotische Flamme schüren werden. Mit dieser Auffassung wäre der Patriotismus nur Kannibalismus.“
Ehe wir das vor uns liegende Buch schließen, folgen wir noch eine Weile dem Autor bis zu den Gestaden der Nordsee hinauf. Das Hamburger Wohlleben läßt ihn nicht kalt. Er singt ein Loblied auf die Küchen der Elbstadt, feiert die Tingeltangel in Sanct Pauli, und seine angeborene Prüderie leidet nicht zu stark unter den etwas leichtfertigen Schauspielen des Hamburger Berges. Er erzählt mit unverwüstlichem Ernste, daß der Besitzer einer Hamburger Kellerrestauration so dick geworden ist, daß er durch die eigene Thür nicht hinauskam, und daß seit zwei Jahren über die Demolirung dieser zur Gefängnißthür gewordenen Pforte berathen wird. Nicht weniger erfreut zeigt sich Herr Tissot über die Herzensergießungen eines Börsianers in Bremen, der die Zukunft des deutschen Reiches schwarz und düster malt. Dieser Jünger Merkur’s, der Herrn Tissot „durch seine gesunde Auffassung der Dinge und durch seine Kenntnisse in Staunen versetzte,“ versichert, daß „in Varzin Jener zu suchen ist, der die Unordnungen in der Herzegowina geschaffen hat. England“ – immer wenn man Herrn Tissot und seinem Jobber glauben soll – „handelte in der ägyptischen Frage auf Antrieb Preußens. Oesterreich ist in Gefahr; seit zehn Jahren wartet Preußen, daß die habsburgische Birne vom Stamme falle. In Wien wird die ganze deutsche Presse vom Reptilienfond besoldet. Die Dreikaiserallianz ist eitler Trug. Oesterreich wird bedroht, und für Rußland ist Sedan, was für Frankreich Sadowa gewesen ist.“
Lachet nicht! In vier Wochen wird die gesammte französische Presse den Herzensergüssen des Bremer Börsianers als maßgebendes Stimmungsbild Verbreitung und Autorität verschaffen.
Zum Schlusse unserer Abhandlung über den zweiten Theil des „Voyage au pays des Milliards“ erlauben wir uns, den Autor selbst vorzustellen, von dem seit einem Jahre so viel die Rede war. Victor Tissot ist ein geborener Schweizer, ungefähr zweiunddreißig Jahre alt. Kurz nach dem Kriege heirathete er ein Fräulein aus einer angesehenen Straßburger Familie. Für den, der Tissot vor dem Krieg gekannt hat, gewinnt es den Anschein, als hätte er mit seiner Frau auch den glühenden Deutschenhaß der Straßburger erheirathet. Wenigstens war nicht das geringste Merkmal von solchen Empfindungen wahrzunehmen, als Schreiber dieser Zeilen in Genf Tissot kennen lernte. Damals leitete Tissot in Lausanne die conservativ-liberale „Gazette de Lausanne“ und erzählte gern Manches aus seinen Studienjahren in Freiburg im Breisgau, Tübingen und Wien. Obwohl er in Lausanne eine angenehme und unabhängige Stellung hatte, zog ihn der Polarstern jedes Aufstrebenden, das leuchtende Paris, mächtig an. Er war der erste französisch schreibende Autor, der Deutschland nach dem Krieg bereiste und sofort entdeckte, was für’s französische Publicum paßte. Seine Vorgänger hatten den Stoff als sentimentale Heulmeier, wie z. B. Claretie, oder als Producenten centnerschwerer Leitartikel aufgefaßt. Tissot behandelte Alles anekdotisch; er schnüffelte überall wie ein echter Reporter, besah sich die Dinge von der kleinen Seite und bewegte sich überall mit jenem Aplomb, welcher der Menge imponirt. Als er merkte, daß seine Façon zu arbeiten in fast unverhoffter Weise Anklang fand, forcirte er natürlich die Note und trieb es immer bunter. Nach den sechs ersten Briefen war Tissot recht populär, und die Citate aus seinen Artikeln waren von nun an von obligaten Complimenten über den Scharfsinn, den Geist und die stilistischen Eigenschaften des Verfassers begleitet. So Manche, die Deutschland ebenso gut, vielleicht besser kennen als Herr Tissot, riefen beim Erscheinen des Buches: „Das hätte ich auch getroffen.“ Nein – versucht ja, getroffen nicht. Tissot hat sein Pariser [184] Publicum in der Westentasche; er weiß es, wie Keiner, bei seiner schwachen Seite zu fassen; er weiß die Possenreißerei, die Uebertreibung, die Caricatur genau abzuwägen; er versteht es besonders, die Fiber des Nationalhasses in Schwingung zu setzen, wozu selbst ein geborener patriotischer Franzose nicht immer im Stande wäre. Außerdem ist Tissot ungemein belesen. Will er einen Stoff behandeln, so scheut er weder Kosten noch Mühe, um sich alle Bücher, Broschüren, ja selbst Kalender zu verschaffen, die über den Gegenstand Aufschluß enthalten. Ein Freund, der ihn diesen Sommer auf seiner deutschen Reise begleitete, erzählte mir, daß Tissot in jeder Stadt, wo die Beiden hinkamen, zuerst die Buchhandlungen aufgesucht und dort oft stundenlang die staubigen Fächer des Magazins zur Verwunderung des Sortimenters durchstöbert habe, der jede Hoffnung aufgegeben hatte, die schimmeligen Bände noch an den Mann zu bringen. Diese Bibliomanie verhalf Tissot zu manchem Schatz, den er im ersten wie im zweiten Theil seines Buches verwendet.
24. Februar 1876.
Es ist eine eigene Erscheinung für den Deutschen, der nach langer Abwesenheit von „Drüben“ wieder nach Deutschland zurückkehrt, zu bemerken, daß bei uns die Begriffe über Amerika fast noch so verworren und falsch sind, wie sie es waren, als er Deutschland verließ. Es sind drüben so viele Millionen Deutsche, auch Viele, die wirklich im Stande sind, den Ihrigen in der alten Heimath brieflich mitzutheilen, worin die Begriffe, welche man in Deutschland über Amerika hat, unrichtig sind. Es gehen also alljährlich gewiß Tausende von Briefen hinüber und herüber mit Frage und Antwort; diese vertheilen sich nach allen Gegenden Deutschlands, und man sollte denken, sie würden im Laufe der Jahre wesentlich dazu beitragen, falschen Ideen über „das Land der Freiheit“, in denen man hier befangen ist, den Garaus zu machen. Aber nein! die vielen Deutsch-Amerikaner, die hierher zu Besuch kommen, die deutsch-amerikanische Presse, die doch auch herüber kommt, die vielen Tausende von Briefen haben scheinbar gar nichts bewirkt. Amerika wurde einmal vor Jahren als das Land, als die eigentliche Heimath aller Hallunken dargestellt, und wirklich noch jetzt trifft man diese Vorstellung bei einem großen Theile des Publicums verbreitet. Die Ursachen für das noch heute vorhandene Vorurtheil sind wohl mit darin zu suchen, daß es noch vor wenigen Jahren von den Kleinstaaten Deutschlands gewagt wurde, schwere Verbrecher nach Amerika zu „begnadigen“. Als ob dieses Land eine deutsche Strafcolonie sei! Die der „Begnadigung“ folgenden Proteste der amerikanischen Staaten, die darauf wieder folgende Zurücksendung des Begnadigten und die Entschuldigungen der beleidigenden Regierungen hier werden wohl, vielleicht in Folge absichtlicher Verheimlichung, in nicht so weiten Kreisen bekannt geworden sein, wie der Act der „Begnadigung“ selbst. Ferner mag noch ein Grund wohl der sein, daß Darsteller wie Ruppius, Gerstäcker und Andere die crassesten Scenen des amerikanischen Lebens den Lesern deutscher Zeitschriften als Alltägliches beschrieben und so die Meinung entstehen mußte, in Amerika sei das Extreme, das Wüste und Außerordentliche an der Tagesordnung.
Es ist etwas entmuthigend, sich sagen zu müssen: „Was Du auch darstellst, es ist bald wieder vergessen, und in kurzer Zeit werden die Vorstellungen, welche durch das Gelesene angeregt wurden, sich wieder verwirren, bald sogar ganz dem Gedächtniß entschwinden, weil eben die vielleicht unbewußte, vorgefaßte Meinung besteht, es sei doch nicht so.“ Trotzdem will ich versuchen, nach und nach den Lesern der Gartenlaube einige Cultur- und Sittenbilder aus dem Leben des in der Bildung begriffenen Volkes der Vereinigten Staaten vorzuführen, und so ein Scherflein dazu beitragen, irrthümliche Ansichten zu berichtigen.
Nichts macht auf den neu Eingewanderten drüben einen imponirenderen Eindruck, als der fast unbegreiflich rege Geschäftsverkehr in der Stadt der Ankunft, New-York. Alle benachbarten Orte, alle Verkehrsstraßen, welche nach der großen Weltstadt führen, werden mit hineingezogen in den Strudel des Geschäfts der Riesenstadt. Eine solche Verkehrsstraße mit all ihrem Handel und auch mit ihrem landschaftlichen Umgebungen und geschichtlichen Erinnerungen zu schildern, sei heute mein Thema.
Die Flüsse Amerikas sind so recht die Hauptadern für die Ansiedelung des Landes gewesen und sind es noch. Am Laufe derselben entstehen nach einander stromaufwärts Ansiedelungen, aus diesen dann Ortschaften, Städte. – Eine der ältesten dieser Adern des großen Reichs ist der Hudson.
Die in früheren Zeiten schwierige, ja wegen der großen Kosten oft unmögliche Aufgabe, von den Stromansiedelungen an den Mündungen der Flüsse nach den neuen Niederlassungen am oberen Laufe derselben Straßen zu bauen, zwang die Ansiedler, die Flüsse selbst als Verbindungsstraßen zu benutzen. Die Folge davon war, daß die Ansiedelungen sich anfangs nur den Flüssen, und zwar hauptsächlich den schiffbaren entlang entwickelten. So erklärt sich die Erscheinung, daß die Flußthäler meist dicht bevölkert sind, während rechts und links nur wenige Meilen vom Flußufer landeinwärts noch jetzt die Bevölkerung spärlich vertheilt ist. – Wie sehr das gerade bei dem Hudson der Fall ist, beweist die Thatsache, daß die Städte und Ortschaften, welche unmittelbar an seinen Ufern liegen, ein Drittel der Gesammtbevölkerung des Staates New-York[4] bilden, während die Bewohner der sogenannten River-Counties, der dreizehn Grafschaften, welche an den Strom stoßen, gar die Hälfte der Gesammtbevölkerung der sechszig Grafschaften des Staates ausmachen. –
Vom geographischen und physikalischen Standpunkte aus betrachtet, ist der Hudson eine Curiosität, wie sie wohl kaum auf der Erde außer am St. Lorenz- und Amazonenstrome wieder gefunden wird. Das Gefälle des Stromes ist ein so geringes, daß die Ebbe und Fluth sich noch hundertfünfzig englische Meilen[5] stromaufwärts bei der Stadt Troy fühlbar macht. Diese Erscheinung wäre nicht auffallend, wenn das Land, durch welches der Strom fließt, flach wäre. Aber, im Gegentheile, sind gerade die Ufer des unteren Laufes des Hudson hoch und gebirgig.
Eine fernere Eigenthümlichkeit des Stromes ist seine gewaltige Breite und Tiefe, welche letztere es den tiefst gehenden Schiffen erlaubt, hundertzwanzig englische Meilen stromaufwärts zu fahren. Mit Ausnahme des Durchflusses des Hudson durch die Hochlande von Westpoint hat derselbe von New-York bis zur Stadt Hudson eine Breite, welche nie unter eine englische Meile sinkt. Auch in der engen Passage durch die bewaldeten, steilen Höhen von Westpoint ist seine Breite nirgends geringer als zweitausend Fuß, während er zwischen Yonkers und dem zwanzig Meilen oberhalb gelegenen Sing-Sing über eine geographische Meile breit ist. Die Tiefe des Stromes ist ebenfalls eine ziemlich gleichmäßige.
Auch von der Stadt Hudson an aufwärts, zwischen den Sandbänken und Inseln, zeigt das Hauptfahrwasser des Stromes immerhin noch eine achtunggebietende Breite. Denn sie ist nirgends geringer als fünfhundert Fuß, nur seine Tiefe nimmt bedenklich ab, da sie allmählich bis auf fünfzehn Fuß herabsinkt; bei der gefährlichen „Bank von Castleton“ hat der Strom sogar nur eine Tiefe von acht Fuß.
In den Atlanten und Geographien wird der Hudson gegenüber dem Mississippi, St. Lorenz und anderen Strömen, wie natürlich, zurückgesetzt, so daß vielleicht daher in Deutschland die Ansicht Platz gegriffen hat, er sei, als etwas Unbedeutendes, zu übersehen. Und doch, nähme man den Rhein, die Donau, die
[185][186] Weser, die Elbe und die Seine und leitete sie in ein einziges Flußbett zusammen, so erhielte man noch lange keinen solchen Strom, wie den Hudson. Der Rhein bei Köln ist vierzehnhundert Fuß breit und kaum tiefer als zwanzig Fuß; die Seine, Weser und Elbe sind aber sehr viel wasserärmer, als der Rhein; die Donau ist um ein Geringes größer als derselbe. Rechnen wir aber für die fünf Ströme zusammen sogar fünfmal die Dimensionen des Rheines, so erhielten wir einen Strom von siebentausend Fuß Breite und zwanzig Fuß Tiefe oder einen Wasserquerschnitt von hundertvierzigtausend Quadratfuß. Der Hudson, bei einer Durchschnittsbreite von wenigstens fünftausend Fuß, hat eine Tiefe, welche die des Rheines mehr als zweimal übertrifft, das heißt von mindestens vierzig Fuß, was einen Wasserquerschnitt von zweihunderttausend Quadratfuß ergiebt.
Die Bezeichnung des Hudson als „amerikanischer Rhein“ ist, wenn auch in einigen Einzelheiten zutreffend, doch im Ganzen nicht richtig. Dem Hudson fehlt gar viel, was der Rhein in hohem Maße bietet: für uns Deutsche vor Allem die geschichtliche und nationale Bedeutung jedes Ortes, jeder Höhe, welche sich in den Fluthen des deutschen Stromes spiegelt; ferner sind auf den Hudson keine Lieder, weder Liebes-, Schmerz-, Kriegs- noch Trinklieder gedichtet. Und doch hat auch der Hudson geschichtliche Bedeutung, nationales Interesse – für den Amerikaner.
Am Hudson fehlt einem deutschen Beobachter aber noch Etwas, das er allenthalben in Amerika vermißt – das ist das Singen der Menschen und Vögel. Keine Landschaft, es mag die herrlichste, reizendste sein, wird drüben belebt mit Sang und Lied der Menschen und Vögel. Sie wird auch belebt, aber nur durch das Schnauben der Dampfrosse und das Pusten der Dampfmaschinen der Fabriken – durch die Pulsschläge des geschäftlichen Lebens. Während am Rheine und in der Schweiz hauptsächlich das Gemüthsleben angeregt wird, durch alles Realistische aber unwillkürlich der Genuß des Schönen in der Natur gestört wird, trägt, möchte ich sagen, dieses Realistische in Amerika wesentlich dazu bei, den Hudson, den Mississippi, die großen Seen interessant zu machen.
Es kann den Lesern der Gartenlaube nicht damit gedient sein, sie mit dem landschaftlichen Bilde des Hudson, mit all seinen herrlichen Ufern, deren Villen, Dörfern und Städten bekannt zu machen, denn könnte ich die Schönheiten des herrlichen Stromthals noch so treffend, in noch so hellen Farben ausmalen, so wären sie eigentlich doch nur für Die interessant, welche selbst schon auf den hellen Fluthen des mächtigen Stromes gereist sind, oder an dessen schattigen und malerischen Ufern von der Hitze und dem Staube der Städte sich erholten.
Nein, ich will heute im Wesentlichen nur eine Darstellung des Handels, des Lebens dieses „amerikanischen Rheines“ geben, aber zugleich auch andeuten, warum dem Amerikaner dieser Fluß lieb und theuer ist. Wie der Rhein dem Deutschen freudige und traurige Erinnerungen aus der Geschichte seines Vaterlandes erweckt, so auch der Hudson dem Amerikaner, nur zählen „drüben“ die geschichtlichen Begebenheiten kaum nach soviel Jahrzehnten, wie hier in der alten Welt nach Jahrhunderten.
An den Ufern und in den Seitenthälern des Hudson ist während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges manches heiße Gefecht geschlagen worden; von New-York bis an die Quelle des Stromes hinauf ist kaum ein Fleckchen Erde, welches nicht vom Blute tapferer Patrioten oder verhaßter Feinde geröthet wurde. Gleich oberhalb New-York sind es zuerst die Palissaden, welche in die Geschichte des Landes mit verwoben sind, der steile, tausend Fuß hohe Höhenzug am rechten Ufer des Stromes, über dessen jähe Gipfel einst Washington seinen berühmten Schnellmarsch gegen General York ausführte, der mit der Uebergabe des feindlichen Heeres und mit dem Ende des Krieges, der Erlangung der lang erkämpften Unabhängigkeit endete. Den Palissaden gegenüber liegt das Dorf Dobbsferry, der ehemalige Sitz des großen Alexander Hamilton, der durch die Kugel des Aaron Burr seinem Lande nur allzu früh geraubt wurde. Nur wenige Meilen stromaufwärts hat ein anderer großer Mann gelebt und gedacht, Washington Irving – er hatte seine Villa Sunnyside dicht an das Ufer des Stromes gebaut, in eine idyllische Waldeslandschaft.
Um nun endlich einen Punkt zu nennen, dessen Erwähnung dem Amerikaner Erinnerungen der alten, aber auch neuesten Geschichte seines Landes erweckt, erwähne ich noch West-Point. Zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges ein amerikanisches Fort, sollte es durch Major André für schnödes Geld an den Feind verrathen werden, doch der Verräther wurde dafür mit dem Tode bestraft. Jetzt ist es die Militär-Akademie der Vereinigten Staaten, wo so viele brave Männer, aber auch so viele Verräther auf Kosten des Landes erzogen wurden, von Ersteren: Mc. Clellan, Meade, Sheridan, Thomas, Grant; von Letzteren: Beauregard, Jackson, Jefferson Davis, Lee. – West-Point ist herrlich gelegen auf dem schönsten Punkte des ganzen Thales. Von ihm aus genießt man stromauf und stromab einer herrlichen Aussicht. Unser Bild stellt den Blick nach Norden, gegen Newburgh zu, dar und spricht mehr für die Schönheit, die Wärme der Gegend, als ich mit meiner trockenen Prosa zu schildern vermöchte.
Doch dem Amerikaner ist der gewaltige Strom hauptsächlich lieb und theuer wegen seiner Wichtigkeit für Handel, Gewerbe und Industrie. Der Fremde kann die Großartigkeit des Handels, der Schifffahrt besonders von einem Punkte übersehen und erkennen, ohne daß er noch weiß, wie viele Tausende und aber Tausende von Tonnen Güter in den Schiffen vor seinen Augen geladen sind. Dieser Punkt ist Croton Point, eine Landzunge südlich der Mündung des Croton-Flüßchens in den Hudson gelegen. Der Beobachter richtet unwillkürlich seine Blicke gegen Süden, denn da fesselt ein eigenes Leben und Treiben die Sinne. Der Strom breitet sich hier bis Yonkers, also auf zwanzig Meilen Entfernung, in einer Breite von sechs englischen Meilen, in den schönen Rahmen der Haverstraw- und Tarrytownberge, zu einer seeartigen Erweiterung aus, welche Tappan Bay genannt wird. Die Haverstrawberge sind die südlichen Ausläufer der West-Point-Hochlande und schließen sich in der Ferne an die steilen Palissaden an. Das Leben, welches hier der Fluß bietet, ist wohl einzig in seiner Art, und vielleicht nur das der Themse großartiger. Im Sommer wird man wohl selten weniger als hundert weiße Segler zählen, vom stolzen Dreimaster bis hinunter zur zierlichen Segelyacht. Dazu alle die weißen schwangleichen Dampffährboote, welche von Ufer zu Ufer rasch den Verkehr vermitteln, zwischen Yonkers, Tarrytown, Irvington, Sing-Sing, Croton links und Hastings, Pyrmont, Nyack, Haverstraw rechts. Vorbei an den hundert Segelschiffen durchfurchen die mächtigen Passagierdampfer die Fluthen des Stromes, ihren fernen Zielen zueilend, und ziehen die großen Schleppdampfer, mit je dreißig bis vierzig Canalböten hinter sich, mit Lebensmitteln, Baumaterialien, Maschinen, Kohlen, Holz und anderen Landesproducten tief beladen, der großen Metropole zu, oder sie bringen von New-York stromaufwärts, nach den Landdistricten die Waaren südlicher ferner Zonen.
Ein solches Bild des Friedens und Gedeihens sieht man selten; der Anblick bewegt freudig das Gemüth; er erhebt unwillkürlich den Geist zu dem Gedanken, wie mächtig doch der freie Mensch, welche Wunder er schaffen kann mit seinen Waffen, der unbeschränkten Verkehrs-, Handels- und Gewerbefreiheit, daß er in der kurzen Spanne Zeit von zweihundert Jahren ein Land ohne irgend welche Industrie zu einem Gebiete voller arbeitsamer Menschen verwandeln konnte. Und der neu Eingewanderte fragt sich zweifelnd: „Ist denn das wirklich die Heimath aller Hallunken, wie man ‚zu Hause‘ sie bezeichnete, diese reiche, herrliche, rastlos producirende Landschaft!?“
Der Handel, welcher den Strom selber belebt, also die Schifffahrt – denn nur von der will ich sprechen – erhält die meisten Güter von den verschiedenen Canälen, welche vom Hudson aus nach allen Himmelsrichtungen des Staates New-York und Pennsylvaniens, Ohios und Canadas hin sich verzweigen. Da ist gleich an der Mündung des Stromes, der Stadt New-York gegenüber, der Anfangspunkt des Chesapeakecanals, der nach Philadelphia, aber auch nach dem kohlenreichen Schuylkillthal eine Wasserstraße über die Berge schafft. Bei Rondout mündet ein anderer großer Kohlencanal ein, der Hudson- und Delawarecanal, der in’s wirkliche Herz der Kohlenbezirke Pennsylvaniens eindringt und täglich drei- bis fünftausend Tonnen des kostbaren Brennmaterials herbeiführt. Von Rondout aus verschifft dann die Hudson- und Delawarecanal- und Coal-Company diese Producte nach allen Theilen des Landes und zwar Alles zu Wasser. In Troy, der Stadt, bei welcher der große Strom aufhört [187] schiffbar zu sein, münden zwei der wichtigsten Canäle der Vereinigten Staaten, ja der Erde, ein. Der Erie-Canal, auf dessen ebener Wasserstraße der Reichthum, die Ueberfülle des fernen Westens an Getreide und Bauholz, sowie landwirthschaftliche und andere Maschinen den östlichen Staaten und die Cerealien sogar der ganzen Welt zugeführt werden, während auf demselben nassen Wege dem ackerbautreibenden Westen, vom Süden, von New-York her, die Colonialwaaren, Baumwolle etc. zugeleitet werden. Der Champlain-Canal, welcher die Verbindung (zu Wasser) des Hudson, also New-Yorks, mit dem St. Lorenz, mit Quebec und Montreal herstellt.
Außer den Producten, die durch die Canäle der Schifffahrt des Hudson zugeführt werden, ist aber auch der Localschiffsverkehr ein ungemein reger. An den Ufern des Stromes sieht man gewaltige Ziegeleidistricte, die täglich mehr als vier Millionen Steine liefern, dann, von Rondout aufwärts bis Malden, große Thonschieferbrüche, welche die meisten Städte des Ostens der Vereinigten Staaten mit Trottoirplatten versehen; dieser Handelsartikel allein beschäftigt eine eigene kleine Flotte von Schaluppen und Schoonern, deren Hauptauslaufehäfen Rondout und Saugerties sind. Rondout ist außerdem noch ein Fabrikationsort von Cement und Kalk in ganz erheblichem Maße. Eine Fabrik allein fabricirt täglich über fünfzehnhundert Fässer dieses Artikels, und zusammen werden von Rondout aus zwischen zweitausendzweihundert bis zweitausenddreihundert Fässer Cement und Kalk täglich auf den Markt gebracht.
Auch die rein industriellen Producte des Menschengeistes haben an dem großen Strome manche Erzeugnißquelle gefunden; Friedens- und Kriegsmaschinen werden in vielen und großartigen Fabriken hergestellt. An große Maschinenfabriken sind Peekskill, Poughkeepsie, Newburgh, Albany und vor Allen Troy zu nennen; Cold Spring liefert die Parrot-Kanonen, welche im letzten Rebellionskriege eine so gewichtige Stimme führten. Jede Biegung des Flusses, jede Ortschaft, die seine malerischen Ufer belebt, zeigt neue Niederlassungen des menschlichen Fleißes, und sie alle tragen dazu bei, die Schifffahrt des Stromes zu nähren.
Um nun in kurzer statistischer Uebersicht den Lesern der Gartenlaube noch in Zahlen zeigen zu können, wie bedeutend der Handel auf dem Hudson ist, folge ich dem Berichte des Finanzministers S. P. Chase an den Congreß vom 24. Juni 1864. Ich wähle gerade diese Zeit, weil der Handel des Binnenlandes damals wegen des noch herrschenden Bürgerkrieges im Süden gegen den Importhandel, den transatlantischen Handel zurückstand gegen andere Jahre, andererseits aber seitdem der Importhandel durch Geschäftskrisen und Zollerhöhung bekanntlich so im Verhältnisse abgenommen hat, daß das Jahr 1862 bis 1863 für die Vergleichung des Handels auf dem Hudson mit dem überseeischen Handel recht eigentlich als Normaljahr gelten kann. Nach Chase war die gesammte Einfuhr von Handelsgütern in die Vereinigten Staaten im Jahre 1862 bis 1863 7,255,076 Tonnen (1 Tonne gleich 20 Centner), der Betrag der transatlantischen Einfuhr aber 3,931,072 Tonnen.
Der Handel auf dem Hudson River für dieses Jahr läßt sich ebenfalls theilweise aus Chase’s Bericht zusammenstellen. Chase berücksichtigt bei der Zusammenstellung der Zahlen, welche er angiebt, nur die Güter, die dreihundert Meilen oder mehr Weg zurücklegen müssen, um New-York zu erreichen. Somit hat er den Localverkehr von Albany, Troy und all den Ortschaften am Hudson selbst mit der großen Stadt an der Mündung mit keiner Zahl erwähnt. Ich werde also den Angaben von Chase noch den Betrag dieses Localverkehrs hinzufügen.
Im Jahre 1862 bis 1863 bewegten sich auf dem Hudson von und nach den Canälen an Tonnen | 3,400,057 |
Der Localflußverkehr und der Schiffshandel, der die Güter umfaßt, welche innerhalb einer Entfernung von 300 englischen Meilen von der Stadt New-York aus diesem Hafenplatz zuflossen, betrugen nach dem Bericht des New-Yorker Staatssecretärs für dasselbe Jahr an Tonnen | 4,130,433 |
Wir erhalten demnach als das Gesammtergebniß des Tonnengehalts der Schifffahrt des Hudson | 7,530,490 |
Das heißt mit anderen Worten: der Gesammtflußhandel des „amerikanischen Rheins“ ist bedeutender als der Importhandel aller Länder der Welt mit den Vereinigten Staaten.
Ja der Localverkehr, ohne den Handel des Westens, der auf den Canälen sich in den Hudson ergießt, überstieg die Tonnenzahl des transatlantischen Einfuhrhandels noch um ein Beträchtliches.
Von den Eisenbahnen, welche den Flußufern entlang führen, und welche vom Lande aus an dieselben herankommen, will ich heute nicht sprechen, denn sie gehören mehr zur Betrachtung des Handels des ganzen Flußthales, als des Stromes selber.
Sieht man die große, mächtige Fläche des Hudson in der tropischen Gluth des amerikanischen Sommers daliegen, bedeckt mit Hunderten von Schiffen und Dampfern, so kann man sich kaum denken, daß, nur wenige Monate später, dieses Bild ein so ganz anderes sein soll. Statt der glitzernden, belebten Wasserfläche breitet sich dann auch eine glitzernde oder weiße, auch belebte, aber starre, feste Eisdecke vor dem Blicke aus. Denn der Hudson friert jeden Winter so weit zu, wie derselbe frisches Wasser enthält – der salzige Theil desselben, unterhalb Croton, kommt nur selten dazu. Das Eis des Flusses, von Peekskill bis Albany, wird desto dicker, je weiter nördlich man dasselbe untersucht. Bei Peekskill wird es etwa zwölf Zoll, bei Poughkeepsie fünfzehn bis achtzehn Zoll, bei Hudson schon zwei Fuß dick. Diese Eisdecke bildet dann für den Verkehr eine sichere, feste Brücke, über welche die schwersten Lastwagen oder Schlitten ungefährdet von Ufer zu Ufer fahren können. Schreiber dieses hat in einem Schlitten von Rondout nach der gegenüberliegenden Eisenbahnstation Rhinebeck schon acht Tonnen oder hundertsechszig Centner fahren sehen.
Das Eis, sollte man denken, legt dann aber doch im Wesentlichen allen Handel brach, bis die Frühlingssonne das Flußbett wieder öffnet? Aber im Gegentheil! Mit dem Festwerden des Eises belebt sich ein ganz neuer, großer Industriezweig, den man, wenigstens in so großem Maße, hier in Europa gar nicht kennt. Es ist das Eisschneiden und ‑einhausen – der Eishandel. Er fängt am Hudson etwa am 1. Januar an, da das Eis ungefähr am 15. December fest wird, das heißt aufhört zu schieben und zu rollen. Dabei finden von Peekskill bis Troy etwa sechs Wochen lang über 5000 Menschen und 150 Pferde lohnende Beschäftigung. Am Hudson werden jede Winter zwischen zweiundeinhalb bis drei Millionen Tonnen Eis gewonnen.
Welchen Umfang der Eishandel Amerikas angenommen hat, beweist der Umstand, daß im Jahre 1870 eine Firma Bostons, welche mit tropischen Ländern Eishandel treibt, allein für Stroh, welches zur Verpackung diente, 60,000 Dollars ausgegeben hat.
Entgegnung. In Nr. 5 der „Gartenlaube“ (Jahrgang 1876) ist der Lebensversicherungsbank für Deutschland zu Gotha in einer Nachschrift zu der von Herrn Dr. Gallus, Director der Leipziger Lebensversicherungsgesellschaft, verfaßten Mittheilung eines Beispieles von betrügerischem Mißbrauche der Lebensversicherung der Vorwurf gemacht, daß sie ihrerseits gegen solchen Mißbrauch zu ängstlich sei und in nicht angemessener Weise sich zu schützen suche. Das Schutzmittel, welches der Verfasser dieser Rüge mißbilligt, besteht darin, daß die Verwaltung dann, wenn weder der Agent, noch der untersuchende Arzt diejenige Person kennt, welche sich zur Versicherung meldet, über die Aufnahmefähigkeit derselben solche Mitglieder der Bank befragt, von denen angenommen werden kann, daß sie aus eigener Wissenschaft, oder nach gewissenhafter Erkundigung zuverlässig über gewisse, dem Laien überhaupt zugängliche, für die Aufnahme in Betracht kommende Momente werden sich äußern können und wollen. Das Recht, ja in gewissem Sinne die Pflicht, die Genossen bei der Erweiterung der Mitgliederzahl in irgend einer Weise mitwirken zu lassen, wird einer Genossenschaft im technischen Sinne des Wortes Niemand bestreiten. Ja man hält es für selbstverständlich, daß z. B. die Verwaltung eines Vorschußvereines, wenn eines seiner Mitglieder Credit verlangt, sich vor der Gewährung bei anderen Mitgliedern über die Creditwürdigkeit des betreffenden Genossen erkundigt. Warum in aller Welt soll es verwerflich sein, daß eine auf Gegenseitigkeit begründete Lebensversicherungsanstalt, welche doch, wenn nicht der Form, so dem Wesen nach einer modernen Genossenschaft durchaus ähnlich ist, sich bei Aufnahme neuer Mitglieder ebenfalls der Mitwirkung ihrer alten Mitglieder bedient? Der von Herrn Dr. Gallus erzählte Fall macht den erheblichen Werth, welchen eine derartige Mitwirkung geben kann, am besten deutlich. Sollte eine auf Gegenseitigkeit begründete Anstalt, welcher diese Mitwirkung ihrer Verfassung nach zur Verfügung steht, darauf verzichten dürfen? Wenn sie darauf verzichtete, würde man sie mit Recht des Leichtsinns zeihen.
[188] Es ist richtig, die Verwaltung kann mitunter fehlgreifen in der Wahl der zu befragenden Mitglieder. Aber auch die Verwaltung eines Vorschußvereins kann eine parteiische oder geradezu unwahre Antwort erhalten, wenn sie sich bei Genossen über die Creditwürdigkeit eines anderen Genossen erkundigt. Sollte sie um deswillen sich nicht erkundigen? Hier wie dort ist es die Aufgabe der Verwaltung, der ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Erhaltung und Vergrößerung eines soliden Geschäftes sich in verständiger Weise zu bedienen, und dies zu thun ist die Verwaltung der Lebensversicherungsbank für Deutschland zu Gotha wenigstens eifrig bestrebt. Wenn endlich die Form, deren sich diese Anstalt bei Einziehung der vertraulichen Gutachten bedient, bemängelt wird, so soll nicht geleugnet werden, daß diese Form, obwohl durch langjährige Erfahrung erprobt, verbesserungsfähig ist. Daß aber das benutzte Formular Anlaß gebe zu der Rüge, durch dasselbe werde documentirt, daß die Anstalt selbst ihren Vertrauensärzten nicht traue, kann in keiner Weise zugestanden werden. Denn über ihre Vertrauensärzte befragt die Anstalt bei Gelegenheit der Anmeldung neuer Mitglieder ihre Theilhaber niemals. Jene Rüge beruht auf einem Mißverständnisse, welches an dieser Stelle aufzuklären uns zu weit führen würde. Nur so viel sei bemerkt, daß die mehrgenannte Anstalt die Gutachten ihrer Vertrauensärzte nicht als „Gesundheitszeugnisse“ bezeichnet.
Gotha, den 2. Februar 1876.
Es ist uns vielfach die Vermuthung ausgesprochen worden, daß die oben erwähnte Nachschrift zu dem Artikel des Herrn Dr. Gallus in Nr. 5 unseres Blattes ebenfalls von diesem Herrn ausgegangen sei. Diese Annahme ist eine durchaus irrige, und erklären wir hiermit ausdrücklich, daß die erwähnte Nachschrift von uns selbst, und zwar ohne Wissen jenes Herrn, verfaßt und dem Artikel angehängt worden ist.
Zum hundertjährigen Geburtstage der Königin Louise von Preußen. Die edle Frau, welche in den schwersten Zeiten Deutschlands auf dem Throne der Hohenzollern saß, ist nicht nur unter den deutschen Königinnen aller Zeiten eine der leuchtendsten Erscheinungen, sie ist ohne Frage die am meisten geliebte unter den deutschen Frauen dieses Jahrhunderts. Ein ganzes Volk erblickt in ihr ein strahlendes, nimmer verblassendes Vorbild, und wenn wir unseren Töchtern auf der Bahn des Guten und Schönen einen Leitstern zeigen wollen, so nennen wir ihnen nur den einen Namen, der uns den Inbegriff echt weiblicher Seelengröße und königlichen Geistes bedeutet, den Namen der besten Fürstin, unserer Königin Louise.
Daß diese Empfindungen der Verehrung und Liebe, welche Deutschland schon in den von Fremdherrschaft und Krieg zerrissenen ersten Decennien dieses Jahrhunderts seiner Königin entgegentrug, noch heute bei uns in ungeschwächter Frische wach sind, das beweist die hingebende Wärme, mit der man im ganzen Reiche sich zur würdigen Feier des 10. März, des hundertjährigen Geburtstages der edlen Fürstin, rüstet. Ein Beispiel statt vieler: Der preußische Minister der geistlichen Angelegenheiten hat durch Circularrescript die Verordnung erlassen, daß in allen Schulen der Monarchie an dem Ehrentage der Königin erhebende Festlichkeiten zum Andenken derselben anberaumt und in den Mädchenschulen den besonders fleißigen Schülerinnen zur bleibenden Erinnerung an die Feier passende Prämien zuertheilt werden. Aber nicht nur schnell verrauschende Feste werden vorbereitet, mit jenem Jubeltage soll auch eine Reihe von dauernden Instituten der Menschen- und Vaterlandsliebe in’s Leben treten, von denen wir statt vieler nur das eine nennen, welches von einem Comité in Berlin unter Vorsitz des Director Marienfeld (Frobenstraße 33) angestrebt wird und dessen Aufgabe in der Bildung eines Louisenfonds besteht, aus dem begabte Kinder aus den Volksschulen bis zur Erreichung der Selbstständigkeit unterstützt werden sollen.
Die „Gartenlaube“ hat der Königin Louise in Nr. 1 bis 4 des laufenden Jahrgangs in Wort und Bild ein ehrendes Denkmal gesetzt, glaubte aber nicht ohne ein Wort pietätvoller Erwähnung den Tag dürfen verstreichen zu lassen, an welchem sich seit der Geburt der erlauchten Mutter unseres Kaisers ein Jahrhundert vollendet.
Königin Louise hat sich das beste Denkmal in dem Herzen ihres Volkes gesetzt – in ihm wird sie unvergänglich fortleben.
Literarisches Piratenthum und kein Ende! Die Publicistik von heute hat in mancher Herren Ländern ein weites Gewissen, und ein gesetzlicher Schutz, der die Beziehungen der Blätter zu einander, namentlich in Sachen des geistigen Eigenthums, endgültig regelt und ordnet, gehört leider noch immer zu den frommen Wünschen. Das ist schlimm – denn was ist Ehre, was ist Wohlanständigkeit, wenn es sich um die Sonderinteressen gewisser Herren von der Presse handelt? Das Merkbuch der „Gartenlaube“ könnte zur Geschichte der modernen literarischen Wegelagerei ein reichhaltiges Material liefern, wie mir denn unseren Lesern schon zahlreiche Belege für die wahrhaft haarsträubende Anarchie mitgetheilt haben, die heute in den niederen Schichten der Publicistik diesseits und jenseits des Oceans an der Tagesordnung ist.
Hierfür heute ein neues Beispiel.
Die in New-York erscheinenden „Nachrichten aus Deutschland und der Schweiz“ beginnen in ihrer Nummer vom 29. Januar dieses Jahres den Nachdruck der augenblicklich durch unser Blatt laufenden Erzählung „Im Hause des Commerzienrathes“ von E. Marlitt und weisen ihre Leser in einer Notiz an der Spitze jener Nummer noch ausdrücklich hierauf hin. Seitdem beliebt der Herr Herausgeber, C. Pfirsching, unsere Erzählung, Capitel für Capitel, auf das Ungenirteste abzudrucken, ohne uns darüber auch nur eine flüchtige Mittheilung, geschweige denn das in der gesammten anständigen Presse übliche Aequivalent für den Autor, zukommen zu lassen. Dieser Mangel an journalistischer Lebensweise tritt im Hinblicke auf die der Marlitt’schen Erzählung in jeder Gartenlaubennummer vorgedruckte Bemerkung: „Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten“ in ein um so grelleres Licht. Ohne hier auf einen Act so gemeiner Vergewaltigung weiter einzugehen, begnügen wir uns mit der Erwähnung der nackten Thatsache und überlassen unseren Lesern in der alten und neuen Welt die Beurtheilung dieser – um das Kind schließlich beim rechten Namen zu nennen – publicistischen Spitzbüberei.
Aus Paris. Wir erwähnten mehrmals der etwas willkürlichen Uebersetzung des Marlitt’schen Romans „Die zweite Frau“ in der in Paris erscheinenden „Mode illustrée“. Heute erhalten wir von der Redactrice des Blattes und der Uebersetzerin des Romans folgende Mittheilung:
„Ich halte mich zu der Erklärung verpflichtet, daß Aenderungen in der französischen Uebersetzung des Romans: ‚Die zweite Frau‘ von E. Marlitt, zu denen ich mich, um der in meinen Leserkreisen herrschenden confessionellen Richtung nicht entgegenzutreten, gemüßigt glaubte, ohne Wissen und Genehmigung der Verfasserin vorgenommen wurden.
Die Noth in Schönebeck, über welche alle Tageblätter mehr oder weniger eingehend berichtet haben, schreiet aus Trümmern und Wasserwogen zu den Herzen aller Menschenfreunde. Mehr als vierzig Häuser sind bereits eingestürzt, viele sind total verwüstet. Krankheit und Armuth nehmen unter den so furchtbar heimgesuchten Einwohnern des Städtchens immer größere Dimensionen an, und – schnelle Hülfe ist hier doppelte Hülfe. Wir können es daher nicht unterlassen, dem großen Kreise unserer Leser die Bitte vorzutragen, den zahlreichen Comités zur Unterstützung der Schönebecker – in Schönebeck selbst Buchhändler O. Senff – milde Gaben recht freigebig und möglichst beschleunigt zufließen zu lassen. Möge jede Spende ein Beispiel sein, welches deren viele nach sich zieht!
Die Kostspieligkeit der Leichenbegängnisse in Amerika. Auch in Deutschland kostet es in manchen Gegenden den Hinterbliebenen viel Geld, ihren Todten die letzte Ruhestätte zu bereiten, ja es sind oft die schreiendsten Mißstände, wie Leichenschmauserei, damit verbunden gewesen. Nirgend aber kommen Leichenbegängnisse so theuer zu stehen, wie in den größeren Städten Amerikas, wozu allerdings der Umstand Einiges beitragen mag, daß die Begräbnißplätze von den Städten und Dörfern ziemlich weit entfernt zu sein pflegen.
Ein Begräbniß erster Classe kostet in New-York eine Summe von mehr als zweitausend Dollars, wie nachstehend auseinandergesetzt:
der Sarg von Rosenholz, mit Sammt ausgelegt | 300 | Doll., |
die Sargplatte (der Name und Titel etc. wird gratis eingravirt) | 12 | „ |
acht silberplattirte Handhaben | 30 | „ |
ein Kasten, den Koffer vor Beschädigung zu schützen | 8 | „ |
eine (schon gebrauchte) Eiskiste | 15 | „ |
das Bahrtuch | 25 | „ |
die Bahre | 10 | „ |
zehn Kutschen nach Greenwood (dem Begräbnißplatze) | 70 | „ |
acht Paar Handschuhe den Bahrtuchhaltern | 20 | „ |
acht Trauerflöre und einen an die Hausthür | 10 | „ |
die Gebühr des Undertaker (des Mannes, der alles zum Begräbnisse Nothwendige, einschließlich der Fuhrwerke, herbeischafft und das Ganze leitet) für seine persönliche Anwesenheit | 25 | „ |
vier Träger, welche den Sarg aus dem Hause zu tragen haben | 6 | „ |
der Küster der betreffenden Kirche, zu welcher der Verstorbene gehörte | 15 | „ |
der Organist und das Chor | 40 | „ |
Blumen | 100 | „ |
Begräbnißplatz | 600 | „ |
Todtengräber | 5 | „ |
Grabmonument aus Quincygranit und von einem hiesigen Steinhauer angefertigt | 900 | „ |
Im Ganzen | 2191 | Doll. |
Selbst in gewöhnlichen Familien, bei Handwerkern z. B., kostet das Begräbniß dreihundert bis fünfhundert Dollars.
An alle Einsender von noch nicht reclamirten Manuscripten hiermit die höfliche Bitte, binnen vier Wochen nach Ausgabe dieser Nummer unseres Blattes über ihre Arbeiten zu verfügen. Alle Beiträge, welche bis zu diesem Termin nicht zurückgefordert worden, werden wir, um aufzuräumen, den Flammen übergeben müssen.
Abonnenten in Osterburg, Goldapp, Memel etc. Der in Nr. 8 erwähnte Torso, nach Anleitung des Prof. Bock modellirt, ist von Herren F. u. G. Steger, Bildhauer in Leipzig, zu beziehen. Preis 36 Mark. Die Verlagshandlung der „Gartenlaube“ kann sich dem Vertriebe der plastischen anthropologischen Lehrmittel nicht unterziehen und bittet, Bestellungen an die oben genannten Herren Verfertiger direct zu richten.
L. Napir in Cöln. Ungeeignet. Verfügen Sie gütigst über das Manuscript.
Ein Dichterling am Rhein. Wir bedauern, von Ihrer Offerte keinen Gebrauch machen zu können.
Einsender in Landeck (Schlesien). Unter dem Begleitschreiben des auf unseren Wunsch eingelieferten Artikels ist die Namensunterschrift nicht zu entziffern, weshalb wir das nicht zu verwendende Manuscript erst nach nochmaliger Angabe Ihrer Adresse retourniren können.
A. B. i. d. Lausitz. Nein. Die Arbeit liegt zu ihrer Disposition bereit.
- ↑ Streng genommen (wie Ole Bull uns selbst sagte) ist diese Composition nicht neu, sondern nur die Erweiterung und Ausarbeitung einer früheren, die der Künstler bereits vor fünfzehn Jahren überall in seinem Vaterlande mit großem Erfolge spielte, und auf die er, eben ihrer Popularität wegen, jetzt bei seinem neuen Auftreten zurückgekommen ist.
- ↑ Die Telegramme lauten:
„An den König Oscar in Christiania.
Meinem zu Drottningholm gegebenen Versprechen gemäß, spielte ich heute an meinem sechsundsechszigsten Geburtstage auf der Spitze der Cheopspyramide zu Ehren Norwegens und seines geliebten Königs mein Saeterbesöget.
Ole Bull.“
Und die Antwort des Königs:
„Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Telegramm und freue mich mit der Königin über alle Ihre Erfolge.
Oscar.“ - ↑ Diesen Sprung, mittelst dessen sich Herr Tissot in das Gebiet persönlicher Betrachtungen über König Ludwig versetzt, machen wir lieber nicht mit, sondern bringen die betreffende Stelle unseres Artikels in Wegfall, einerseits um die Leser nicht mit den albernen Expectorationen des französischen Autors zu behelligen, andererseits aber, weil uns die jüngsten redactionellen Erfahrungen gelehrt, wie selbst harmlose Schilderungen hoher Persönlichkeiten an maßgebender Stelle mißverstanden werden können.D. Red.
- ↑ Der Staat New-York ist an Flächenraum genau so groß wie die Staaten Württemberg, Baiern, Sachsen, Braunschweig, Altenburg und Weimar zusammen.
- ↑ Etwa dreißig geographische Meilen. Alle folgenden Maße für Entfernung sind in englischen Maßen gegeben. 459/100[WS 1] englische Landmeilen sind eine geographische Meile. Fünftausendzweihundertachtzig Fuß oder 160929/100[WS 1] Meter sind eine Meile englisch.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ a b Die Zähler der Brüche sind in der Vorlage nicht vollständig erkennbar, nur die Nenner können mit einiger Sicherheit als 100 gelesen werden. Unter Zuhilfenahme des Wikipedia-Artikels Meile, in dem die englische und die geographische Meile und ihr Umrechnungsfaktor in Meter genannt werden, sind die annähernd passenden Zähler hier eingesetzt.