Die Gartenlaube (1880)/Heft 24

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1880
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[381]

No. 24.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Du hast uns eine eigenthümliche Ueberraschung bereitet,“ wandte sich Baron Heideck an Oswald. „Vor allen Dingen mir, der ich schon im Begriffe stand, Schritte für Deine nächste Zukunft zu thun. Was sind das für unsinnige Ideen, mit denen Du auf einmal zum Vorschein kommst! Die Militärcarrière hast Du verweigert; jetzt machst Du es ebenso mit der Staatscarrière, und gerade Dir – in Deiner abhängigen Lebensstellung – ist ein solches Schwanken zwischen allen möglichen Laufbahnen am wenigsten gestattet.“

„Ich selbst habe wohl nie geschwankt; denn ich habe nie eine eigene Wahl gehabt,“ entgegnete Oswald ruhig. „Ich wurde für den Staatsdienst bestimmt, wie anfangs für die Armee, ohne daß meine Neigung dabei befragt wurde.“

„Und warum äußertest Du nie ein Wort darüber, daß es Dir schließlich belieben würde, Dich auch dieser Bestimmung zu widersetzen?“ fragte die Gräfin.

„Das ist leicht zu errathen,“ fiel Heideck ein. „Er scheute einen längeren Kampf mit Dir und mir, in dem er doch wohl zu unterliegen fürchtete, und dachte durch Ueberraschung unseren Widerstand zu brechen. Aber da bist Du im Irrthum, Oswald. Meine Schwester hat Dir bereits erklärt, daß wir den Namen und Rang der Grafen von Ettersberg für unvereinbar mit einer Advocatenpraxis halten, und ich wiederhole Dir, daß Du dazu nie unsere Einwilligung erhalten wirst.“

„Das thut mir leid,“ war die feste Antwort. „Dann bin ich eben gezwungen, den Weg, den ich mir vorgezeichnet habe, ohne die Einwilligung meiner Verwandten zu gehen.“

Die Gräfin wollte auffahren, aber ihr Bruder winkte beschwichtigend mit der Hand.

„Laß ihn, Constanze! Es wird sich zeigen, ob er das kann. Ich begreife Dich wirklich nicht, Oswald,“ fuhr er mit vernichtendem Spotte fort. „Du bist doch lange genug auf der Universität und auf Reisen gewesen, um wenigstens einigermaßen die Anforderungen der Welt zu kennen. Hast Du Dir denn nie gesagt, daß Du ohne Existenzmittel weder Dein Examen in der Residenz machen, noch Jahre lang leben kannst, bis sich irgend ein Einkommen für Dich findet, und daß Dir diese Mittel entzogen werden, wenn Du es bis zum Bruche mit Deiner Familie treibst? Du rechnest wahrscheinlich auf Edmund's Gutmüthigkeit und seine Zuneigung zu Dir, in diesem Falle aber wird meine Schwester dafür sorgen, daß er Deinen Eigenwillen nicht unterstützt.“

„Ich rechne auf Niemand als auf mich selbst,“ erklärte Oswald. „Edmund weiß es bereits, daß ich seine Hülfe nie in Anspruch nehmen werde.“

„Nun, dann erlaubst Du vielleicht mir, als Deinem ehemaligen Vormund, die Frage, wie Du Dir eigentlich die nächste Zukunft denkst,“ sagte Heideck in dem früheren hohnvollen Ton.

„Ich gehe zunächst nach der Residenz zu dem Justizrath Braun. Der Name ist Ihnen vermuthlich bekannt?“

„Allerdings. Er hat einen bedeutenden Ruf als Vertheidiger.“

„Er war der Rechtsfreund meines verstorbenen Vaters und verkehrte damals viel in unserem Hause. Ich habe ihn jedesmal aufgesucht, wenn ich mit Edmund in der Residenz war, und er hat die alte Freundschaft für den Vater auf den Sohn übertragen. Schon während meiner Universitätszeit gab er mir die nöthigen Winke, wie ich meine Studien für die schon damals erwählte Laufbahn einzurichten hatte, und seitdem sind wir regelmäßig in Verkehr geblieben. Jetzt wünscht er einen Gehülfen und späteren Nachfolger in seiner allzu großen Praxis und hält mir diese Stellung bis nach vollendetem Examen offen. Für die Zeit des Examens selbst hat er mir den Aufenthalt in seinem Hause angeboten, und ich habe das dankend angenommen.“

Oswald setzte das Alles mit unerschütterlicher Ruhe auseinander, um so erregter aber waren seine beiden Zuhörer, denen das im höchste Grade unerwartet kam. Sie hatten geglaubt, mit einem bloßen Machtworte die „unsinnigen Ideen“ des widerspänstigen Neffen zu brechen, der durch seine Abhängigkeit ja vollständig in ihren Händen war, und stießen nun auf einmal auf einen fest und sicher gegründeten Lebensplan, in dem alles bestimmt, alles vorhergesehen war, und der den jungen Mann vollständig ihrer Macht entzog. Die unliebsame Ueberraschung verrieth sich deutlich in dem Blicke, den sie miteinander wechselten.

„Das sind ja merkwürdige Neuigkeiten,“ brach die Gräfin aus, die ihre Gereiztheit nicht länger zu beherrschen vermochte. „Du hast also hinter unserem Rücken mit einem Fremden ein förmliches Complot gegen uns geschmiedet? Und dieses Complot hat schon seit Jahren bestanden.“

„Und zu welchem Zwecke!“ ergänzte Heideck. „Während Dir in der Armee wie im Staatsdienst Dein altadliger Name die Carrière sichert, stößt Du das Alles zurück um einer Advocatenpraxis willen. Ich glaubte denn doch, daß Dein Ehrgeiz einen höheren Flug nähme. Hast Du wirklich eine so unglaubliche Schwärmerei für diesen Stand?“

[382] „Nein,“ sagte Oswald kalt, „nicht die mindeste! Aber in jeder anderen Laufbahn bin ich gezwungen, noch Jahre lang die bisherigen – Wohlthaten anzunehmen, und das will ich nicht. Jener Weg ist der einzige, der mich zur Unabhängigkeit und Freiheit führt, und diesem einen Ziele opfere ich Alles.“

Es sprach ein unbeugsamer Entschluß aus diesen Worten, zugleich aber auch ein herber Vorwurf, den die Gräfin nur zu gut verstand.

„Du hast allerdings diese Wohlthaten so lange angenommen, daß Du sie füglich jetzt entbehren kannst,“ warf sie hin.

Der Ton der Bemerkung war noch verletzender als ihr Inhalt, aber auch Oswald verlor jetzt seine Ruhe. Seine kurzen heftigen Athemzüge verriethen, wie erregt er war, als er ebenso verletzend antwortete:

„Wenn man mich bisher an der Kette meiner Abhängigkeit festhielt, so ist das sicher nicht meine Schuld gewesen. Einem Ettersberg war es ja nicht erlaubt, sein Fortkommen in der Welt auf eigene Hand zu suchen, wie das in bürgerlichen Verhältnissen geschieht. Ich hatte mich der Tradition meiner Familie zu fügen. Ich habe warten müssen bis zu dieser Stunde, wo ich endlich meine Zukunft selbst in die Hand nehme.“

„Und Du thust das in der rücksichtslosesten Weise,“ sagte die Gräfin mit steigender Heftigkeit. „In vollster Gleichgültigkeit gegen diese Traditionen, in offener Empörung gegen die Familie, der Du Alles verdankst. Hätte mein Gemahl das vorhergesehen, er hätte nie die Bestimmung getroffen, daß Du mit seinem eigenen Sohne erzogen und wie ein Kind des Hauses gehalten werden solltest, dem Du jetzt in einer solchen Art dankst. Freilich, Dankbarkeit ist ein Wort, das Du überhaupt nicht zu kennen scheinst.“

Oswald's Blick flammte auf, und ein drohender, unheilverkündender Strahl brach daraus hervor.

„Ich weiß es, Tante, welch eine schwere Last Dir der Onkel mit dieser Bestimmung auferlegte, aber glaube mir, ich habe daran noch schwerer getragen als Du! Wäre ich als Waise in die Welt hinausgestoßen, wäre ich von Fremden auferzogen worden, ich hätte es leichter ertragen, als das Leben in diesen glänzenden Umgebungen, wo ich täglich und stündlich an meine Nichtigkeit erinnert wurde, wo die stolze Ettersberg'sche Ader in mir sich nicht regen durfte, ohne sofort unterdrückt zu werden. Der Onkel hat meine Aufnahme in seinem Hause durchgesetzt, mich zu schützen hat er nie versucht, und Dir war ich ja von jeher nur das Vermächtniß eines feindseligen und gehaßten Schwagers. Ich bin mit Abneigung empfangen, mit Widerwillen geduldet worden, und dieses Bewußtsein hat mich oft genug zur Verzweiflung getrieben. Wäre nicht Edmund gewesen, der Einzige, der mir Liebe entgegenbrachte, der Einzige, der fest zu mir hielt, trotz Allem, was geschah, ihn mir zu entfremden, ich hätte dieses Leben nicht ausgehalten. Du verlangst Dankbarkeit von mir? Ich habe sie nie gegen Dich gefühlt, werde sie nie fühlen; denn tief in meinem Innern regt sich oft eine Stimme, die mir zuruft, daß ich hier nicht zu danken habe, sondern – anzuklagen.“

Er schleuderte das letzte Wort voll und drohend heraus; die Schranke war gebrochen, und all der Haß, all die Bitterkeit, die er Jahre lang verborgen in sich getragen, flutheten jetzt in wilder Empörung der Frau entgegen, die, äußerlich wenigstens, Mutterstelle bei ihm vertreten hatte. Auch sie hatte sich erhoben und stand ihm jetzt Auge in Auge gegenüber. Sie maßen sich, wie zwei Todfeinde vor dem beginnenden Kampfe, und die nächsten Worte hätten vielleicht zu einem unheilvollen Bruche geführt, wenn sich nicht Baron Heideck rasch in's Mittel gelegt hätte.

„Oswald, Du vergißt Dich,“ rief er. „Was ist das für eine Sprache, die Du Deiner Tante gegenüber zu führen wagst!“

Die kalte scharfe Stimme brachte die Beiden gleichzeitig zur Besinnung. Die Gräfin ließ sich langsam wieder auf ihren Sitz nieder, und ihr Neffe trat einen Schritt zurück. Einige Secunden hindurch herrschte ein peinliches Schweigen; dann nahm Oswald in völlig verändertem, eiskaltem Tone das Wort:

„Es ist wahr – ich habe um Verzeihung zu bitten. Zugleich bitte ich aber auch, mich meinen Weg fortan ungehindert gehen zu lassen. Er entfernt mich voraussichtlich für immer von Ettersberg und hebt jede fernere Beziehung zwischen uns auf. Ich glaube, das liegt in unseren beiderseitigen Wünschen, und jedenfalls ist es das Beste für uns.“

Und ohne irgend eine Antwort oder Entlassung abzuwarten, wandte er sich und verließ das Zimmer.

„Was war das?“ fragte die Gräfin tonlos, als die Thür sich geschlossen hatte.

„Eine Drohung!“ sagte Heideck. „Hast Du sie nicht verstanden, Constanze? Ich denke, sie war deutlich genug.“

Er sprang auf und ging einige Male rasch und unruhig auf und nieder. Selbst die kühle Gemessenheit des Bureaukraten hielt vor dieser Scene nicht Stand; endlich blieb er vor seiner Schwester stehen.

„Wir werden nachgeben müssen. Die Sache liegt jetzt anders, ganz anders. Ein energischer Widerstand unsererseits könnte bedenklich werden – das haben mir die letzten Minuten gezeigt.“

„Meinst Du?“

Die Worte fielen fast mechanisch von den Lippen der Gräfin; sie blickte noch immer starr auf die Thür, hinter der Oswald verschwunden war.

„Unbedingt!“ sagte Heideck rasch und bestimmt. „Der Bursche ahnt mehr als gut ist; es ist gefährlich ihn zu reizen. Wenn er es durchaus will, so mag er gehen. Wir haben ohnehin keine Macht mehr, ihn zu halten; er hat sich ja völlig unangreifbar gemacht mit diesem meisterhaft ausgearbeiteten Zukunftsplane. Darauf war ich allerdings nicht gefaßt, aber wir wissen jetzt wenigstens, was hinter seiner scheinbare Ruhe und Gleichgültigkeit verborgen ist.“

„Ich habe das längst gewußt,“ erklärte die Gräfin, die jetzt erst wieder zur klaren Besinnung zu kommen schien. „Ich habe nicht umsonst diese kalten, spürenden Augen gefürchtet. Schon als sie mir das erste Mal aus dem Antlitz des Knaben entgegenblickten, wehte es mich an wie eine Ahnung, daß sie einst Verderben über mich und meinen Sohn bringen würden.“

„Thorheit!“ sagte Heideck. „Was sich Oswald auch einbilden mag, es kann und wird nie mehr als eine Ahnung bleiben, und er wird sich hüten, ihr je wieder Worte zu leihen. Es war nur die äußerste Aufregung, die ihm jene Andeutung entriß, aber gleichviel – derartige Scenen dürfen nicht wiederkehren. Darin wenigstens hat er Recht, daß es das Beste ist, wenn er Ettersberg für immer meidet. Dann hören schließlich auch seine Beziehungen zu Edmund auf. Wir müssen in unserem eigenen Interesse ihn jener Laufbahn überlassen.“

Oswald hatte inzwischen rasch die Gemächer der Gräfin durchschritten und war eben im Begriff, sie zu verlassen, als er Edmund begegnete, der auf dem Wege zu seiner Mutter war. Heiter, sorglos und übermüthig wie gewöhnlich bemächtigte sich der junge Graf sofort seines Vetters und hielt ihn fest.

„Nun, Oswald, wie ist die Gerichtsscene da drinnen ausgefallen? Wir müssen jetzt fest zusammenhalten; wir sind ja in dem gleichen Falle, nur daß der meinige romantisch und der Deinige juristisch ist. Ich hatte schon vorhin im Wagen eine kleine Voruntersuchung auszuhalten, und jetzt kommt die hochnothpeinliche Verhandlung selbst. Ist der Onkel sehr ungnädig?“

„Gegen Dich wird er es schwerlich sein,“ war die einsilbige Antwort.

„O, ich fürchte mich auch nicht im Mindesten!“ rief Edmund lachend. „Die Mama allein hätte ich längst auf meine Seite gebracht; leider weiß sie das und hat sich den Onkel zur Hülfe kommen lassen. Mit dem ist nun allerdings schwerer fertig zu werden, doch allzu arg verfährt er auch nicht mit mir. Aber Du, Oswald,“ er trat dicht vor seinen Vetter hin und sah ihm forschend in die Augen. „Du siehst wieder so finster, so verbittert aus. Dich haben sie wohl recht gequält?“

„Du weißt ja, daß es bei solchen Dingen nicht ohne heftige Debatten abgeht,“ versetzte Oswald ausweichend. „Ich habe aber trotzdem meinen Willen durchgesetzt. Doch noch Eines, Edmund! Ich werde Ettersberg wahrscheinlich früher verlassen, als es anfangs bestimmt war, vielleicht schon in den nächsten Tagen.“

„Weshalb?“ fuhr der junge Graf auf. „Was ist vorgefallen? Du warst ja entschlossen, bis zum Herbste zu bleiben. Hat Dich der Onkel beleidigt, daß Du fort willst? Das dulde ich nicht; ich werde auf der Stelle –“

„Ich sage Dir ja, daß Alles geordnet und ausgeglichen ist,“ unterbrach ihn Oswald. „Es ist durchaus nichts vorgefallen. Die Tante und ihr Bruder sind natürlich etwas gereizt gegen [383] mich, aber sie werden mir kein Hinderniß mehr in den Weg legen.“

„Ist das Dein Ernst?“ fragte Edmund überrascht. Er konnte sich offenbar diese plötzliche Nachgiebigkeit nicht erklären.

„Mein voller Ernst; Du wirst es ja von ihnen selbst hören. Und nun geh zu Deiner Gerichtsscene! Dir wird sie nicht allzu schwer gemacht werden; Du hast ja nur an die Liebe Deiner Mutter zu appelliren, wo ich die – Furcht zu Hülfe rufen mußte.“

Edmund sah ihn verwundert an. „Furcht? Vor wem? Du bist manchmal ganz räthselhaft in Deinen Ausdrücken.“

„Geh’ nur!“ drängte Oswald. „Ich kann Dir ja später den Verlauf der Unterredung erzählen.“

„Nun gut!“ Edmund wandte sich nach der Thür, blieb aber noch einmal stehen. „Aber Eines sage ich Dir, Oswald, aus Deiner frühen Abreise wird nichts. Du hast mir versprochen, bis zum Herbste zu bleiben, und eher lasse ich Dich unter keiner Bedingung fort. Schlimm genug, daß ich Dich dann monatelang entbehren muß; denn vor Beendigung des Examens kommst Du schwerlich zum Besuche nach Ettersberg – das weiß ich im Voraus.“

Er ging. Oswald blickte ihm düster nach. „Monatelang? Wir werden es wohl lernen müssen, uns für immer zu entbehren,“ und mit sinkender Stimme setzte er hinzu: „Ich habe nicht geglaubt, daß mir das so schwer werden würde.“




Mehr als zwei Monate waren vergangen. Man befand sich schon mitten im Sommer, aber Ettersberg und Brunneck spielten immer noch, wie Graf Edmund sich ausdrückte, Montecchi und Capuletti. Weder die Gräfin noch Rüstow hatten den Widerstand gegen die Verbindung ihrer Kinder aufgegeben; desto hartnäckiger hielten diese selbst daran fest. Trotz des Verbotes sahen sie sich sehr oft und schrieben sich noch öfter. Um das Erstere zu ermöglichen, hatte man Fräulein Lina Rüstow in das Complot gezogen, und diese hielt es für besser, die Zusammenkünfte, die doch jedenfalls stattgefunden hätten, unter ihren Schutz zu nehmen; sie stand überhaupt gänzlich auf Seiten des jungen Paares, das sein Schicksal ziemlich leicht trug. Weder Edmund noch Hedwig waren danach geartet, die vorläufige Trennung sentimental oder gar tragisch zu nehmen. Eine Verbindung ohne jedes Hinderniß wäre ihnen wahrscheinlich langweilig erschienen, der elterliche Widerstand gab der Sache in ihren Augen erst die nöthige Romantik. Sie vertieften sich darin mit dem ganzen Eifer ihrer achtzehn und vierundzwanzig Jahre und fanden sich und ihre treue Liebe über alle Maßen interessant und poetisch. Ueber den Ausgang des Romans machten sich Beide im Grunde wenig Sorge; sie wußten zu gut, daß sie die verwöhnten und verzogenen Lieblinge ihrer Eltern waren und ihren Willen schließlich doch durchsetzen würden. Einstweilen zeigte sich die Gräfin zwar noch als unerbittliche Mutter, und der Oberamtsrath war wüthender als je, aber es fehlte doch nicht an Anzeichen, daß die Festungen nicht so unüberwindlich waren, wie sie sich stellten, und daß sie dem fast täglich wiederholten Ansturme doch endlich erliegen würden.

Die Entscheidung kam schneller, als alle Betheiligten es ahnten. Fräulein Lina Rüstow war auf einige Tage nach der Stadt gefahren, um Einkäufe zu machen, und kehrte nun ganz harmlos nach Brunneck zurück, das sie noch in voller Feindschaft mit Ettersberg verlassen hatte. Etwas befremdet darüber, daß ihr Cousin sie allein empfing und Hedwig sich nirgends blicken ließ, fragte sie nach derselben.

„Hedwig?“ fragte Rüstow mit einer Miene, die zur Hälfte Verlegenheit und zur Hälfte Ingrimm ausdrückte. „Sie ist augenblicklich nicht hier; sie wird später kommen.“

Die Cousine forschte nicht weiter. Es hatte vermuthlich wieder eine Debatte hinsichtlich der Heirathsangelegenheit gegeben, und das war nie erfreulich für die Umgebung des Oberamtsraths, denn dieser pflegte seinen Aerger an aller Welt auszulassen, nur nicht an seiner Tochter. Diesmal aber wußte sich Fräulein Lina im Besitze einer Nachricht, die jede Mißstimmung verscheuchen mußte, und kaum waren sie Beide in das Zimmer getreten, so kam sie damit zum Vorschein.

„Ich bringe Ihnen eine Neuigkeit mit, Erich. Der Rechtsanwalt wollte Ihnen ein Telegramm schicken, ich bat es mir aber aus, die Ueberbringerin der frohen Botschaft zu sein. Sie haben den Proceß in erster Instanz gewonnen; Dornau ist Hedwig zugesprochen worden.“

Merkwürdiger Weise hatte diese so sehr ersehnte und ganz unerwartete Nachricht gar keine besondere Wirkung. Das finstere Gesicht Rüstow’s hellte sich zwar auf, aber aus seiner Stimme klang noch immer ein unverkennbarer Aerger, als er ausrief:

„Das freut mich. Das freut mich trotz alledem. Wenn die Sache nur ein paar Wochen früher gekommen wäre; jetzt ist mir das ganze Vergnügen daran verdorben. Der Proceß ist also gewonnen?“

„In der ersten Instanz. Unser Anwalt hegt jedoch die zuversichtlichste Hoffnung auch für die endgültige Entscheidung. Allerdings wird die Gegenpartei appelliren und Alles aufbieten, Ihnen den Sieg streitig zu machen.“

„Nein, das wird sie nicht!“ brummte Rüstow, in dessen Gesicht wieder jener seltsam verlegene Ausdruck erschien.

„Doch! Daran ist gar kein Zweifel. Der Anwalt hat sich schon auf die sämmtlichen Instanzen vorbereitet.“

„Er soll sich gefälligst die Mühe sparen,“ brach Rüstow los. „Kein Mensch wird appelliren. Der Proceß ist aus, rein aus, und das Ende vom Liede ist, daß Dornau nun doch an Ettersberg fällt.“

„An Ettersberg? Ich sage Ihnen ja aber – mein Gott, Erich, was soll diese finstere Miene bedeuten, und warum ist Hedwig nirgends zu erblicken? Was ist vorgefallen? Ist sie krank oder gar –“

„Echauffiren Sie sich nicht!“ unterbrach Rüstow die angstvollen Fragen. „Hedwig ist ganz wohl und munter, und im Uebrigen ist sie drüben in Ettersberg bei ihrer künftigen Frau Schwiegermutter. – Ja, setzen Sie sich nur, Lina! Ich nehme es Ihnen gar nicht übel, wenn Sie auf’s Höchste überrascht sind; mir ist es ebenso gegangen.“

Fräulein Lina war in der That auf einen Stuhl gesunken und starrte völlig sprachlos vor Ueberraschung ihren Cousin an, der jetzt fortfuhr:

„Dies junge Volk hat ein ganz unerhörtes Glück. Um ein Haar hätten Sie Keinen von uns mehr am Leben getroffen, Lina. Die Gräfin war am Ertrinken; wir Anderen hätten beinahe Hals und Beine gebrochen.“

„Um des Himmelswillen! Und das nennen Sie ein unerhörtes Glück?“ rief das Fräulein entsetzt.

„Ich sage ja nur 'beinahe'. Schließlich ist eine Verlobung daraus geworden, und Hals über Kopf ist die Geschichte gegangen. Todesgefahr, Rührung, Umarmung – wir waren auf einmal mitten darin und konnten uns erst als segnende Eltern wieder herausfinden: O, diese verwünschten Ettersberg’schen Rappen! Ich wollte ihnen das Durchgehen abgewöhnen! Warum gehen denn meine Pferde niemals durch?“

„Aber was gehen mich denn Ihre Pferde an?“ unterbrach ihn die Cousine in halber Verzweiflung. „Auf diese Weise erfahre ich gar nicht, was eigentlich passirt ist. So erzählen Sie doch vernünftig!“

„Ja richtig, ich muß Ihnen das in Ruhe erzählen,“ sagte der Oberamtsrath und leitete diese Ruhe damit ein, daß er heftig im Zimmer auf und nieder zu schreiten begann, wie es seine Art war, wenn er sich in Aufregung befand.

„Also, ich fahre vorgestern mit Hedwig zum Besuch nach Neuenfeld. Sie wissen ja, wir müssen dabei den steilen Hirschberg passiren, und oben auf der Höhe ist der Weg so schmal, daß zwei Wagen nur mit Vorsicht an einander vorüber fahren können. Gerade an der Stelle begegnet uns die Ettersberg’sche Equipage mit der Gräfin. Wir ignoriren uns natürlich, unsere Herren Kutscher aber ignoriren sich nicht, sondern fahren wie toll auf einander los. Auf meinen Zuruf bringt Anton zwar die Pferde zum Stehen, aber die anderen drängen vorwärts, und so gerathen die Thiere an einander. Die wilden Ettersberg’schen Rappen nehmen das übel; sie bäumen sich hoch auf, rasen an uns vorbei, so dicht, daß sie uns fast die Räder zerschmettern, und als der Kutscher nun noch allerlei unsinnige Manöver macht, fangen sie in aller Gemüthlichkeit an durchzugehen. Als ich aus dem Wagen springe, ist es bereits zu spät; das geht wie die wilde Jagd den Berg hinunter. Der Kutscher fliegt vom Bock; der [384] Diener, anstatt die Zügel zu fassen, klammert sich an den Sitz fest; die Gräfin ruft um Hülfe, und so geht es geradewegs dem Weiher zu, der so recht hübsch bequem zum Ertrinken unten am Berge liegt.

Das Fräulein hörte in athemloser Erwartung zu. „Schrecklich! War denn keine Hülfe da?“

„Nun ich war da,“ sagte Rüstow trocken. „Und ich kann zur Noth auch einmal den Rettungsengel spielen, wenn das auch nicht gerade meine gewöhnliche Beschäftigung ist. Langes Besinnen galt hier nicht und das Nachlaufen hätte ich bleiben lassen sollen. Zum Glück hielten wir gerade an dem steilen Fußwege, der die gewundene Fahrstraße um die Hälfte abkürzt. Wie ich hinunter gekommen bin, weiß ich nicht – genug, ich war unten, gleichzeitig mit dem Wagen, und brachte ihn dicht vor dem Weiher zum Stehen.“

„Gott sei Dank!“ rief das Fräulein aufathmend.

„Ja, das sagte ich auch, aber erst später, vorläufig war ich wüthend; denn ich stand da mit der ohnmächtigen Gräfin im Arme, und der Diener war vor Schreck und Angst fast ebenso besinnungslos, wie seine Herrin. Ein paar wilde Pferde kann ich zur Noth bändigen, aber mit ohnmächtigen Damen weiß ich nichts anzufangen. Jetzt aber flog auch Hedwig den Fußweg herab, und dann kam Anton und dann der Kutscher, hinkend zwar und mit einer tüchtigen Beule an der Stirn, aber das geschah ihm recht – er hatte durch sein unsinniges Fahren das ganze Unglück verschuldet.“

„Und die Gräfin?“ warf die Zuhörerin ein.

„Nun, die Gräfin war zum Glück unverletzt. Wir brachten sie in das nahegelegene Haus des Feldhüters, wo sie sich denn auch einigermaßen erholte. Von Fortkommen aber war vorläufig keine Rede. Die liebenswürdige Rappen hatten sich neben dem Durchgehen noch das Specialvergnügen gemacht, die Deichsel ihres Wagens zu zerbrechen und den unserigen beim Vorbeijagen so zu beschädigen, daß er nicht von der Stelle konnte. Ich schickte also den Diener nach Ettersberg, um ein anderes Fuhrwerk zu holen, den Anton und den Feldhüter nach der Unglücksstätte, um womöglich den Wagen herab zu schaffen, und den Kutscher zu seinen schwarzen Ungethümen, die er denn auch glücklich nach Hause gebracht hat. Wir drei blieben allein – es war ein recht gemüthliches Zusammensein.“

„Ich will doch nicht hoffen, Erich, daß Sie selbst da grob gewesen sind,“ sagte das Fräulein in vorwurfsvollem Tone.

„Nein, das ging leider nicht,“ versicherte Rüstow mit aufrichtigem Bedauern. „Die Gräfin war noch immer todtenblaß und halb ohnmächtig. Ich hatte auch einen kleinen Denkzettel erhalten, eine bloße Schramme am Arme, aber sie blutete doch, und das arme Kind, die Hedwig, lief angstvoll von Einem zum Anderen und wußte nicht, wem sie zuerst helfen sollte – in solcher Situation kommt die Höflichkeit ganz von selbst. Wir waren denn auch ungeheuer höflich mit einander und ungeheuer besorgt um einander, aber ich hoffte doch, die Sache würde mit einem schönen Danke und einer Empfehlung abgemacht sein, und wartete sehnlich auf den Wagen von Ettersberg. Statt dessen kam Graf Edmund angestürzt. Er hatte nach dem confusen Berichte des Dieners geglaubt, seine Mutter sei verletzt oder halb todt, und da hatte er gar nicht auf das Anspannen gewartet, sondern sich auf das erste beste Pferd geworfen und war hergejagt, als gelte es sein eigenes Leben. Ich hätte dem leichtsinnigen Springinsfeld gar nicht so viel Herz zugetraut. Er stürzte wie ein Verzweifelter in das Haus und in die Arme seiner Mutter, und im ersten Augenblick sah und hörte er überhaupt nichts weiter als sie allein. Das hat mir bei alledem gefallen, sehr gefallen. Er scheint die Mutter leidenschaftlich zu lieben.

Die Stimme des Erzählenden hatte einen weichen Klang angenommen. Unglücklicher Weise ließ sich die Cousine beikommen, ihr Taschentuch hervorzuziehen und an die Augen zu drücken, was den Oberamtsrath sofort in die entgegengesetzte Stimmung warf.

„Ich glaube gar, Sie wollen weinen!“ fuhr er auf. „Die Rührung verbitte ich mir; wir haben genug davon gehabt. Jetzt kam es natürlich“ – nahm er den Faden seiner Erzählung auf – „zu Fragen und Erklärungen, bei denen ich trotz all meines Sträubens als Retter und Held figurirte. Die Gräfin floß über von Dankbarkeit, und urplötzlich fällt mir dieser Edmund um den Hals und behauptet, ich hätte seiner Mutter das Leben gerettet, und er verdanke das Niemandem auf der Welt lieber, als dem Vater seiner Hedwig.“ Hier wurden die Schritte Rüstow's immer größer und sein Antlitz immer grimmiger. „Ja, das sagte er ganz ungenirt: dem Vater seiner Hedwig! Ich will mich losmachen – da faßt mich Hedwig von der anderen Seite und erzählt mir genau dieselbe Geschichte von der Mutter ihres Edmund; jetzt tritt auch noch die Gräfin auf mich zu, bietet mir die Hand und – nun, das Uebrige können Sie sich denken. Wie gesagt, wir waren auf einmal mitten in der allgemeinen Umarmung und Versöhnung und kamen erst wieder zur Besinnung, als der Wagen, der dem Grafen nachgekommen war, draußen vorfuhr. Da es sich nun ergab, daß der unserige vorläufig nicht zu brauchen war, so blieb nichts übrig, als daß wir sämmtlich einstiegen und zunächst nach Ettersberg fuhren. Schließlich ist Hedwig dort geblieben bei der Gräfin, die wirklich recht elend und angegriffen war von dem Schrecken, und ich – ich sitze hier mutterseelenallein in Brunneck ohne irgend einen Menschen.“

„Bitte, ich bin ein Mensch,“ sagte Fräulein Lina etwas pikirt. „Rechnen Sie mich etwa nicht dazu?“

Rüstow brummte irgend etwas Unverständliches; in diesem Augenblicke trat der Diener ein und meldete den Herrn Pfarrer von Brunneck, der mit dem Gutsherrn befreudet war.

„Da habe wir es,“ rief dieser verzweiflungsvoll. „Der Pastor kommt sicher, um zu der Verlobung zu gratuliren. Die Geschichte ist ja schon in der ganzen Umgegend bekannt. Seit heute Morgen darf ich mich nicht aus der Thür wagen, ohne daß alle Welt mich anlächelt und mir Andeutungen über das 'erfreuliche Ereignis' macht. Aber das halte ich nicht aus. Ich muß mich erst fassen; ich muß mich erst daran gewöhnen. Lina, thun Sie mir den Gefallen: empfangen Sie den geistlichen Herrn; denn ich werfe in meiner jetzigen Stimmung alle Gratulationsbesuche zum Fenster hinaus.“

Damit lief der Oberamtsrath zu der einen Thür hinaus, während der Herr Pfarrer durch die andere eintrat und dem Fräulein nun in der That feierlich und salbungsvoll zu dem „erfreulichen Ereigniß“ gratulirte.




Der Tag, an welchem der junge Majoratsherr von Ettersberg seine Mündigkeit erreichte, war herangekommen und wurde mit einer glänzenden Festlichkeit begangen. Die Gräfin hielt gerade diesen Zeitpunkt für geeignet, all die Pracht zu entfalten, deren Ettersberg nur fähig war, und das geschah denn auch im vollsten Maße. Die weiten, im hellsten Lichtglanz strahlenden Räume des Schlosses sahen an diesem Tage eine äußerst zahlreiche Gesellschaft, für welche das Fest neben seinem eigentlichen Anlaß noch ein besonderes Interesse hatte. Das junge Brautpaar, dessen Verlobung vor einigen Wochen in Brunneck im Familienkreise gefeiert worden war, erschien zum ersten Male in einem größeren gesellschaftlichen Cirkel und nahm dessen Glückwünsche entgegen.

Die Verlobung selbst hatte in der Umgegend begreiflicher Weise viel Aufsehen erregt, aber mit jener Thatsache erfuhr man auch zugleich, was sie herbeigeführt hatte, und das erklärte Manches, das sonst unbegreiflich erschienen wäre. Es war erklärlich, daß die Gräfin dem Manne, dessen muthiger Entschlossenheit sie ihr Leben verdankte, die Hand zur Versöhnung bot und ihre aristokratischen Bedenken gegen eine Verbindung fallen ließ, die sie, wie es hieß, im Anfange sehr heftig bekämpft hatte. Es war ebenso begreiflich, daß der Oberamtsrath nach jener Lebensrettung seinen Groll gegen die Ettersberg'sche Familie nicht länger festhielt, um so mehr, als der Proceß um Dornau jetzt zu seinen Gunsten entschieden und seinem Starrsinn damit eine Genugthuung bereitet worden war. Im Ganzen wurde die Wahl des Grafen Edmund mehr beneidet als angefochten, besonders von seinen jüngeren Standesgenossen. Die Erbin von Brunneck und Dornau war keine unangemessene Partie, selbst für einen Grafen Ettersberg. Es wurden oft ähnliche Verbindungen geschlossen, bei denen keine so romantische Neigung vorwaltete, bei denen die reiche Erbin nicht zugleich auch ein schönes und liebenswürdiges Mädchen war. Wie man aber auch die Sache beurtheilen mochte, das Brautpaar selbst bekam natürlich nur Liebenswürdigkeiten und Artigkeiten zu hören.

(Fortsetzung folgt.)
[385]

Königstiger. Von Paul Meyerheim.
Nach einer Photographie aus dem Verlage der „Photographischen Gesellschaft in Berlin“.

[386]

Die Eucalyptus-Oasis der Trappisten in der Campagna Romana.

Etwa eine Stunde weit von der Porta S. Paolo und der Pyramide des Cestius liegt südwestlich von Rom, abseits von der Via Ostiensis, welche den Tiber entlang zum Meere führt, in einer unfreundlichen Niederung der römischen Campagna die uralte Abtei der Tre Fontane (drei Quellen). Die Traditionen des einsamen Orts sind ebenso schwermüthig, wie seine äußere Erscheinung. Bis in die ältesten Zeiten seiner Geschichte war es stets der gewaltsame und unfreiwillige Tod, welcher in dem kleinen düsteren Thale mit roher Gewalt die Herrschaft führte. Die Menschen und die Natur wetteiferten und überboten sich auf dieser Spanne Erde in Grausamkeiten.

Die Legende erzählt, daß hier der heilige Paulus den Märtyrertod erduldete und daß zehntausend Christen, welche am Bau der diocletianischen Thermen in Rom Frohndienst geleistet hatten, hier niedergemacht wurden. Auf dem Friedhofe dieser Märtyrer entstand die Abtei. An der Stelle, wo Paulus enthauptet wurde, erbaute man dem Heiligen eine Votivkirche, in welcher drei Quellen aus prächtigen Tabernakeln rieseln; diese Quellen sind dem Boden, wie es heißt, an den drei Punkten entsprungen, die von dem Haupte des Märtyrers berührt wurden, als es, vom Rumpfe getrennt; dreimal in den letzten Zuckungen emporschnellte.

Ueber den Gebeinen der zehntausend Christen errichtete man schon im neunten Jahrhundert einen Tempel, den der Cardinal Aldobrandini im Beginn des siebenzehnten Jahrhunderts durch den Architekten della Porta zu dem jetzigen Kuppelbau umgestalten ließ. Er trägt den Namen der Santa Maria della Scala.

Eine uralte Basilika, den Heiligen Anastasius und Vincenz gewidmet, überragt die beiden anderen Kirchen an Alter um mehrere hundert Jahre. Sie reicht hinauf in das sechste Jahrhundert; in einem geräumigen Kloster, welches sich an das alterthümliche Gotteshaus lehnt, hausten nach einander Benedictinermönche, Cistercienser und Franziskaner.

Ihn Jahre 1868 waren Kloster und Kirchen verlassen. Nur zwei Franziskaner pilgerten noch jeden Tag frühmorgens bei Sonnenaufgang von Rom nach der Einsiedelei, um Messe zu lesen und den Andächtigen das heilige Wasser zu reichen, welches den drei Paulus-Quellen entsprudelt und in der ewigen Stadt in großem Rufe steht. Niemand läutete gewöhnlich den Tag über an dem Eingange des verlassenen Klosters; nur an Sonn- und Feiertagen verloren sich einige fromme Seelen in die unwirthsame Gegend.

Das Fieber hatte die Mönche zu Dutzenden niedergemäht und schließlich ganz vertrieben. Selbst die eiserne Klosterzucht hatte vergebens gegen die Verheerung der Sumpfluft angekämpft; ebenso grausam, wie die Römer einst mit den Christen umgesprungen waren, verfuhr das Fieber nachher mit den Mönchen. Sobald die Sonne ihre letzten Strahlen mit goldenem Glanze auf die Dächer der drei Gotteshäuser legte, sah man die beiden Franziskaner das gewaltige eiserne Gitter des großen Thorbogens aus dunkelrothen Backsteinen in das Schloß werfen und den Heimweg nach Rom einschlagen.

Der Weg, der diese Flüchtlinge allabendlich dem Fieber entführte, steigt zwischen mannshohen Disteln hügelauf. Kein Baum gab ihnen Schatten bis zu der einsamen in der flachen Campagna liegenden weltberühmten Riesenkirche des heiligen Paulus. Die Sonne beschien im Sinken mit dem sanften vollen Goldlicht des Abschieds die bärtigen ausgemergelten Gesichter der zwei Mönche, welche keinen Abend sicher waren, daß sie nicht den Todeskeim mit sich heim trugen.

Die Abtei Tre Fontane ist eingepfercht zwischen eine dreiwinklige Hügelwand aus dunkelrother Pozzolanerde, die weit melancholischer wirkt als die rothe Erde Westfalens. Die langen Linien ihrer drei Dächer, welche sich im Halbdunkel der hereinbrechenden Dämmerung phantastisch durchschneiden und für den Wanderer, der gen Rom zieht, allmählich in den Umrissen der Hügelwellen der Via Ardeatina versinken, erwecken keinerlei Sehnsucht, noch einmal zu ihr zurückzukehren. Das Gepräge des Todes liegt auf der Abtei wie auf ihrer Umgebung. Schwermüthige Bäche tragen langsam den Keim des Verderbens an ihr vorüber; die wenigen Häuser, welche einen Flintenschuß weit von ihr hier und dort emporragen, sind fest verschlossen, ihre Fenster vergittert, ihre Einwohner nach der nahen Stadt entflohen, woher sie nur zurückkehren, um die nöthigsten Arbeiten der Heu-Ernte zu verrichten oder um am Tage bei glühender Sonne in den Pozzolanerdbrüchen eine überaus harte Arbeit zu verrichten und die Pozzolana an den verlassenen Ufern des Tibers zu verladen, wo früher die Schätze des Orients stromaufwärts vorbei fuhren nach der üppigen Kaiserstadt. Das malerische Bild derselben, mit den zahllosen Kuppeln und den Pinien des Janiculus, bietet sich plötzlich am fernen Horizonte jenseits San Paolo dem Wanderer dar, sobald er die Anhöhe erreicht hat, von der er einen letzten Blick rückwärts auf Tre Fontane werfen kann.

So stand es um die Gegend bis vor zwölf Jahren noch.

Seit zwölf Jahren begegnet man den beiden Franziskanern nicht mehr. Niemand weiß mehr etwas von ihnen; sie sind verschollen. Die einst so öde Straße hat neues Leben gewonnen; bei der hochgelegenen Osteria del Ponticello an der Via Ostiensis, wo das Hügelland beginnt, biegen täglich Wagen und Reiter ein: Arbeiter mit Sensen und Heugabeln ziehen den staubigen Weg empor. Von der Höhe aber, wo früher der Wanderer nur mit dem Vorgefühl unheimlichen Fieberschauers hinunterschaute, weidet sich das Auge an dem saftigen üppigen Grün, aus dem heute die hohe Kuppel von Santa Maria und die Giebel der Pauls- und Athanasius-Kirche mit dem Grunde von Tre Fontane freundlich hervorwinken.

Neue Insassen haben die alte Abtei bezogen. Es ist Alles in ihr wie im Traume umgewandelt. Der kahle, sonnverbrannte, steinige Vorhof, um den sich hart an einander die drei Kirchen gruppiren, ist zu einem duftenden Garten mit sprudelnden Springbrunnen geworden; Rosenstöcke und Nelken verschwenden dort ihre Gerüche; Weinlauben laden zur behaglichen Ruhe ein; kleine geschmackvolle Anlagen ziehen sich, sauber gehalten, die Rampe der Kirche von Santa Maria della Scala empor, während prachtvoller Epheu die Ringmauer erklettert und ernste Trauerweiden von majestätischer Größe das feierliche Gepräge dieser einsamen Ruhestätte in weit anmuthigerer Weise zur Geltung bringen, als der frühere baum- und blätterlose Klosterhof in seiner finstern und schroffen Erhabenheit. Eine hohe schattige Allee schließt sich an die jungen Anlagen; an ihrem Ende tritt man jetzt, gegen die Sonne geschützt, in die Pauls-Kirche, wo die drei Quellen sprudeln.

In der Kirche ist Alles sauber und reinlich gehalten; an den drei Sprudeln liegen Becher, damit gläubige Seelen das Wunderwasser schöpfen können; Fläschchen voll Wasser stehen auf dem Tabernakel. Jeder kann davon nehmen. Bet- und Beichtstühle giebt es nicht in der Kirche; nirgends überhaupt ein Anzeichen, daß Gottesdienst darin gehalten wird. Mit besonderer Pietät scheinen die Hüter eine prachtvolle große Mosaik aus Ostia zu bewahren, welche als Fußboden eines Theiles der hohen luftigen Kirche dient. Ein hölzernes Brettchen bittet, die Mosaik nicht zu betreten. Eine solche Besorgniß für die Kunst ist in den Klöstern nicht eben gewöhnlich.

Auch die andere zwischen Rosenbeeten und grünem Gelände aufsteigende Kuppelkirche entbehrt jeden Kirchengeräths. Einen besonders einladenden Charakter hat die ehrwürdige Basilika der heiligen Männer Vincenz und Athanasius gewonnen, wie dieselbe ihm wohl nie zuvor während ihres jahrhundertelangen Bestehens besessen hat. Diese uralte Kirche selbst ist innen und außen neu aufgeputzt. Die vier im dreizehnten Jahrhundert zu einem Vorbau, der eine Art Porticus bildet, verwandelten Säulen mit ionischen Capitälen, umstellt von Blumen, die an ihnen emporranken, umrauscht von dem nie aufhörenden Geplätscher der Springbrunnen, lassen in keiner Weise auf den schweigsamen, großartigen Ernst der dreischiffigen, mächtigen Pfeilerflucht im Innern schließen, welche mit ihrem einfachen, gelblich-grünen Ton; mit ihrer gewaltigen Bogenwölbung ein durch nichts gestörtes Gefühl erhabenster Ruhe um sich verbreitet. Ein mattes Licht bricht durch die eigroß durchlöcherten und so als Fenster dienenden Marmorplatten oberhalb der Mittelschiff-Pfeiler der alten Basilika, auf der, dem Styl ihrer Gründungszeit entsprechend, ein flaches Giebeldach ruht. Unter dem wundervoll wirksamen Rundbogen der Chorkapelle schimmern die Farbenbrechungen eines bunten Fensters hervor. In den [387] Nebencapellen des Hochaltars erzeugen die bläulich übertünchten Wände der Wölbung einen zarten Gegensatz zu dem gelblichen Dämmerschein, welcher die ganze Kirche füllt.

Ein scharfer Theergeruch beherrscht die Luft des großen Tempels. Kein Prunk auf dem einfachen Altartische, kein Kronleuchter, keine Sammetdecken, keine goldenen Gefäße, keine Edelsteine, keine Bank, kein Betschemel in den weiten Räumen! Nichts als die nackten, kahlen Wände in großartiger Einfachheit; nur im Mittelschiffe hat man die lebensgroßen, Raphael roh nachgebildeten zwölf Apostelbilder al fresco an den Pfeilern nicht übertüncht.

Was ist hier vorgegangen? Wer hat es vermocht, dem Tode das Feld streitig zu machen, auf dem seit Jahrhunderten Jeder hinsiechte, der es wagte, darauf auch nur vorübergehend sein Lager aufzuschlagen? Die Lösung dieser großen Aufgabe hat die Willenskraft und Selbstverleugnung eigenartiger Menschen gereizt: weit aus Frankreich hergewanderte Mönche, welche sich das Gelübde ewigen Schweigens auferlegen und dabei rüstig den Spaten führen, unternahmen es auf eigene Faust, die Urbarmachung der römischen Campagna zu versuchen. Sie brachten dazu einen Bundesgenossen mit, in den sie ein unbegrenztes Vertrauen setzten – den Eucalyptusbaum[1].

An die Geschichte dieses Bundesgenossen im Thale der Tre Fontane knüpft sich eine wahre Epopöe. Die Streiter in der weißen Kutte mit dem schwarzen Ueberwurf waren ihrer sechsundzwanzig, rüstig und jung, als sie 1868 voller Zuversicht und männlichen Trotzes die verrufene Abtei bezogen. Ihre Ordensregel verbot ihnen die Wohlthat des menschlichen Wortes; nicht einmal ihr Leid durften sich die Trappisten unter einander klagen. Man führte den Spaten, den Pflug; man pflanzte und pflegte den Eucalyptus; man baute Wein und Oel. Aber auch eine andere Wohlthat mußte man hier in Folge des Fiebers entbehren lernen: die Wohlthat des Schlafens nach dem mühsamen Tagewerke.

Oft genug durchzitterte plötzliches Frösteln die müden Glieder; glühende Hitze überströmte dann das Antlitz, und ehe die Sonne das nächste Mal zur Neige ging, hatte nicht selten das Fieber seinen Tribut gefordert. Die Ueberlebenden schritten umher wie Skelete. Im Laufe weniger Jahre waren achtzehn von den Einwanderern dahingestorben; fünfunddreißig, welche in die gelichteten Reihen der Ordensbrüder nach und nach einrückten, mußten das Kloster wieder verlassen, weil sie dem Fieber nicht zu widerstehen vermochten.

Seitdem sind zwölf Jahre verflossen; das Papstthum hat seine weltliche Macht verloren; die italienische Regierung löste 1870 die Klöster auf und confiscirte ihre Güter, die dann unter den Hammer kamen. Auf die vierhundert Hektare der Abtei der Tre Fontane speculirte Niemand. Der rasche Umschwung in den politischen Verhältnissen Roms konnte die als Körperschaften aufgelösten Trappisten nicht ermuthigen, ihre Thätigkeit auszudehnen angesichts der Möglichkeit, eines schönen Tages vertrieben zu werden. Das war eine schlimme Zeit für die rüstigen, opferwilligen Ackerbauer im Mönchsrocke. Erst allmählich wagte man es, die Stimmung in Rom auszuforschen, und da man als religiöse Corporation keine juridische Person mehr war und als solche keine Contracte mehr schließen konnte, so that man sich zusammen zu einer „Ackerbaugesellschaft“ und pachtete als solche von der Regierung vorläufig nur sechsunddreißig Hektare, für die sich kein Bewerber, selbst nicht zu Spottpreisen, gefunden hatte. Mit rastlosem Fleiße wurden neue Pflanzungen angelegt, und die Riesenschnelle, mit der sich der Eucalyptusbaum entwickelt, begünstigte das Unternehmen. Im Vorhofe des Klosters, den die Mönche zu einem lieblichen Garten umschufen, überragt er bereits die Dächer der Kirchen. Die Sterblichkeit im Kloster hat fast ganz aufgehört. Seit zwei Jahren starb keiner der Insassen mehr am Fieber, obgleich dieselben ein Leben voll Entbehrung und Mühsal führen.

Achtzig verschiedene Sorten von Eucalyptus weist die Pflanzung auf, von denen die meisten auch der Winterkälte widerstanden haben. Welche der vielen Arten die Fieberluft am wirksamsten absorbirt, ist noch nicht erwiesen; auch die Heilkraft des Elixirs, das die Mönche aus den Blättern und den Rinden gewinnen, scheint nicht festzustehen. Sie selbst machen allerdings täglich Gebrauch davon, als Präservativmittel gegen das Fieber, und wer die Leute vor einigen Jahren im Anfange ihrer Thätigkeit in Tre Fontane gesehen hat, wie sie sich elend und leichenfarben durch’s Leben schleppten, der erkennt sie heute nicht wieder; so bedeutend hat sich ihr Aussehen gebessert. Die römischen Aerzte zucken dagegen die Achseln, wenn die Rede auf das Eucalyptuselixir als Heilmittel gegen das Fieber kommt. Mehr als die Eigenschaft, die Fieberluft aufzusaugen und unschädlich zu machen, erkennen sie dem Eucalyptus nicht zu. Die Hoffnung der Trappisten, einst das theuere Chinin durch den Extract aus Eucalyptus verdrängen zu können und auf diese Weise ein wohlfeiles Heilmittel gegen das Fieber für die arme Landbevölkerung herzustellen, gilt unter den Aerzten lediglich als frommer Wunsch.

Die Regierung hat der „Ackerbaugesellschaft“ jetzt vierhundert Hektare in Erbpacht gegeben unter der Bedingung, sie urbar zu machen und mit Eucalyptus zu bepflanzen.

Das hat die Thätigkeit der Mönche verdreifacht; und wem sie es gestatten, einen Blick in das Innere des Klosters und auf seine Liegenschaften, zu denen Frauen keinen Zutritt haben, zu werfen, der ist erstaunt über die landwirthschaftliche Thätigkeit, welche sich dort im Stillen entwickelt hat. Große Gemüsegärten reihen sich an Weinberge, die sich an den Hügeln hinaufziehen; viele Tausende von Blumentöpfen mit jungen Eucalyptuspflanzen füllen die innern Höfe und Wege des Besitzthums. Alle Sorten von Fruchtbäumen sind vertreten; überall ragen dazwischen, je nach den Bedürfnissen des Feldes, hohe oder niedere Eucalyptus hervor. Ein Saal des Klosters ist umgestaltet zu einem vortrefflich gehaltenen Kuhstall für fünfzig Kühe; auf der nahen Weide fehlt es nicht an Ziegen und Schafen, noch an Pferden und Eseln, welche die Erzeugnisse des Jahrhunderte lang als unfruchtbar verrufenen Bodens theils auf dem Rücken, theils auf zweiräderigen Wägelchen nach Rom zu Markt bringen.

Die meisten der Mönche in Tre Fontane sind Franzosen, zu denen sich neuerdings einige Piemontesen und drei Deutsche gesellten. Italiener findet man überhaupt fast nie in den Trappistenklöstern, weil sie nur selten die harte Probezeit bestehen. Die Ordensregeln sind streng und gebieten eine seltene Selbstverleugnung. Kein Klosterbruder kennt den Namen und die Familienabkunft des andern. Arbeit und Schweigsamkeit sind für jeden Mönch eine erste Pflicht; nur der Prior ist berechtigt zu sprechen.

Um zwei Uhr Morgens läutet die Glocke zur Frühmesse und rüttelt die Schläfer wach auf dem harten Lager des großen Dormitoriums, wo die Trappisten gemeinsam auf einer langen hölzernen Pritsche ohne jegliches Kissen ihre Nachtruhe halten. Niemals entkleiden sie sich; keiner hat eine Zelle für sich; kein Sterbenswörtchen wird jemals laut in dem großen Saale, weder bei Tag noch bei Nacht. Nach einem kurzen Aufenthalt im Chor geht es, sobald der Tag graut, zur Feldarbeit, wobei etwa vierzig Laienbrüder den Mönchen hülfreiche Hand leisten. Erst um sechs Uhr Morgens wird der Frühimbiß geboten. Nie giebt es dabei einen Schnitt Fleisch, ein Huhn oder ein Ei. Die Trappisten sind strenge Vegetarianer; ein Glas kräftigen Landweines ersetzt alle übrigen Genüsse. Die kirchlichen Uebungen und Ceremonien sind auf das Nothwendigste beschränkt, um der Arbeit die kostbare Zeit nicht zu rauben. Außer den Ackerbaustudien, welche mit Eifer und Umsicht betrieben werden, hat sonst die Wissenschaft keinen Zutritt in das Kloster der Tre Fontane. Bis gegen Mittag sieht man die Mönche in großen breiträndrigen Strohhüten der Sonne trotzen; jeder hat sein Amt, der eine als Gärtner, der andere als Maurer, der fleißig Hand anlegt bei der Errichtung der Wirthschaftsgebäude, welche durch die zehnfache Vergrößerung der Pflanzung jetzt nothwendig werden. Ein frugales Mittagsmahl, eine kurze Nachmittagsruhe, eine noch kürzere Andacht in der Basilika unterbrechen die harte Arbeit etwa auf zwei Stunden bis zum Ave Maria, welches die stummen bärtigen Figuren wieder im Refectorium versammelt.

[388] Um acht Uhr Abends ist jedes Leben in der Abtei erstorben; nur von Zeit zu Zeit hört man die Kühe brüllen und die Hunde kläffen, welche die Nachtwache halten.

In weiteren zehn Jahren wird das kleine blühende Gut hinunterreichen bis an die Ufer des Tiber; Schritt für Schritt werden die fleißigen Mönche der stiefmütterlichen Natur den Boden abtrotzen und zahlreiches Landvolk herbeiziehen. Sie werden dadurch den Beweis liefern, daß es keine Unmöglichkeit ist, das Weideland der großen Wüste, welche die ewige Stadt meilenweit umgiebt, zu fruchtbaren Feldern umzuwandeln, ohne die Menschen dem Fiebertod preiszugeben.

Wird aber das Beispiel der Trappisten Nachahmer finden? Werden die großen Grundbesitzer und Züchter der Campagna Romana auf die bequemen Einkünfte des Weidelands und ihrer Schaf- und Büffelheerden verzichten, um sich den Mühen und den Gefahren einer langwierigen Urbarmachung zu unterziehen, obgleich dieselbe doppelten und dreifachen Gewinn verspricht? Wir zweifeln daran, denn wo wird man die Opferbereitwilligkeit finden, welche die Arbeiter zehn Jahre hindurch in den sicheren Tod treibt, wie sie es bei den Trappisten that?

Das Aufblühen der Trappistencolonie hat allerdings schon jetzt die nicht ungerechtfertigte Besorgniß hervorgerufen, die seit wenigen Jahren erst aufgelösten geistlichen Orden auf diese Weise um so schöner und um so gefährlicher auferstehen zu sehen, weil sie gleichzeitig als Träger des Wohlstandes und der Arbeit auftreten würden, aber gerade dieser Besorgniß verdankt der Gedanke, große Arbeitercolonien in der Campagna zu gründen, seinen Ursprung. Die italienische Regierung sollte ein großes Interesse daran haben, denselben zu fördern; einen Theil der süditalienischen Auswanderung nach Südamerika künftig nach der römische Campagna zu lenken, müßte z. B. ihre Aufgabe sein. Es müßte dies der italienischen Regierung um so leichter und lieber sein, als der Vatican merkwürdiger und unverständiger Weise die Pflanzung in Tre Fontane mit scheelen Augen betrachtet und ihre Entwickelung durch Auferlegung von Tributen wenn nicht zu verhindern, so doch zu erschweren sucht.

Den Schutz, welchen die italienische Regierung deshalb den todesmuthigen Mönchen gewährt, wird daher Niemand tadeln, gewiß aber darf sie dabei nicht vergessen, daß das Unternehmen der Trappisten nur als eine Versuchsstation betrachtet werden kann, deren Gelingen sie sich zum Beispiel und zum Sporn dienen lassen muß, um die römische Campagna nicht etwa wieder für die vaterlandslose Ordensclerisei, sondern für das fleißige, arbeitslustige Volk des neuen Italiens zu erobern und zugleich damit die große sociale Lebensfrage für die ewige Stadt, welche in der Urbar- und Gesundmachung ihrer Umgebung liegt, einer ernsten Lösung entgegen zu führen.

Die Trappisten von Tre Fontane haben das Verdienst, diese Lösung zuerst angeregt und todesmuthig mit Erfolg versucht zu haben. Ehre daher, wem Ehre gebührt! Aber dem raschlebenden, thatkräftigen Geist unserer Zeit, den so viele sociale Sorgen beunruhigen, darf es nicht entgehen, daß hier ein Wettkampf bevorsteht, in welchem er siegen muß.

An ihm ist es, zu beweisen, daß die freie Vereinigung, daß das Genossenschaftswesen unserer Tage ebenso opferwillig handeln könne, wie die mittelalterliche sclavische Disciplin der Trappisten, und daß sie Erfolge zu erringen vermögen, welche für die wirthschaftliche, moralische und sociale Entwickelung eines Volkes stets weit bedeutsamer und wohlthuender sein werden, als alle noch so gut gemeinten Anstrengungen religiöser Brüderschaften, welche dadurch selbst am deutlichsten beweisen, wie sie keine Berechtigung mehr in der heutigen Gesellschaft haben, daß sie den Schwerpunkt ihres klösterlichen Gemeinschaftslebens hinausverlegten auf das Gebiet bürgerlicher und bäuerlicher Werkthätigkeit.




Beethoven's „Schaffnerin Eurykleia“.

„Gott gebe es, daß ich nur nichts, gar nichts darüber schreiben, reden noch denken müßte; denn Sumpf und Schlamm sind im Kunstboden noch mehr als all das Teufelszeug für einen Mann!“ So schrieb im Jahre 1817 der „unbehülfliche Sohn Apollo’s“, wie sich Beethoven einmal selbst nennt, über seine häuslichen Angelegenheiten an eine Freundin, welche die letzteren für den alternden Junggesellen in Ordnung halten half. Er hatte mit so vielen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten in seiner Berufssphäre, mit dem, was er „Sumpf und Schlamm im Kunstboden nennt, zu kämpfen, daß er sich gern frei gesehen hätte von kleinen wirthschaftlichen Sorgen, die für „einen Mann“ in der That ein wahres „Teufelszeug“ sind – und wem bedeutete eine weibliche Fürsorge in diesen Dingen wohl mehr als dem schaffenden Geiste, und gar wenn er in solchem Maße in die „Götterlust“ künstlerischen Bildens versunken ist, wie Beethoven es war?

Wir wollen nach den authentischen Quellen ein Bild der erwähnten Freundin Beethoven’s zu skizziren suchen: es wird die durch Klugheit und Feinheit anmuthenden Züge, wie sie ihr beigegebenes Portrait zeigt, nicht verleugnen.

Sogleich ihr Nekrolog vom Januar 1833 kennzeichnet die Eigenschaften, durch welche Beethoven sich an diese Frau gefesselt fühlte: ihren musikalischen Sinn, ihre Weiblichkeit und Häuslichkeit.

Wie hätte irgend Jemand dauernd in Beethoven’s Nähe weilen können, der nicht musikalisch war! Er stellt selbst, als er im Jahre 1809 seinem Freund Gleichenstein wegen einer für ihn aufzusuchenden Frau Instructionen giebt, nächst der Schönheit vor allem die Bedingung an seine Zukünftige, daß sie „seinen Harmonien einen Seufzer schenke“. Unsere „Eurykleia“, wie wir die wackere Frau nach der weiland treuen Schaffnerin im Hause des Odysseus taufen möchten, war sogar ausübende Künstlerin von Bedeutung. „Das Seltene ihres schönen Spieles bestand in der Ruhe und Deutlichkeit, in dem richtigen Ausdrucke, in dem Interesse, welches sie ihrem Vortrage zu geben und wodurch sie ihre Zuhörer immer in Spannung zu erhalten wußte,“ sagt der Nekrolog. „Nicht die Eitelkeit, als Spielerin glänzen zu wollen, störte den aufmerksamen Zuhörer – ein gänzliches Hingeben, das genaueste Anschließen an die Tondichtung beseelte ihre Darstellung und erweckte Entzücken, Rührung oder Wohlgefallen.“ Und diesem Glanze des Talents stellten sich die häuslichen Tugenden unserer Eurykleia gleich glänzend an die Seite – in der That Eigenschaften, die sie besonders befähigten, thätige Liebesdienste einem Manne zu erweisen, von dem ein genauester Kenner in diesem Punkte, der Baron von Zmeskall sagt: „Er bediente sich abwechselnd solcher Freunde, die zugleich Beförderer seiner einfachen Geschäfte sein konnten. Diese mußten sich sein Zutrauen in einem hohen Grade zu erwerben suchen, sollte er sich ihnen vertrauensvoll nähern, welches äußerst selten und bei Wenigen geschah.

Doch wir dürfen den Leser nicht allzu ungeduldig machen – sagen wir endlich, wer diese Pflegerin des großen Meisters gewesen! Sie hieß: Nannette Streicher geborene Stein.

„Nannette Stein war geboren zu Augsburg am 2. Januar 1769. Ihr Vater war Andreas Stein, berühmt als Erbauer der herrlichsten Orgeln, als Erfinder einer Mechanik, die den rohen Pantalon in das jetzt überall eingeführte Pianoforte umwandelte,“ beginnt der Nekrolog, und wenn dieses Letztere auch nur soweit richtig ist, als Stein einer derjenigen war, die das verbesserte Hackbrett (Cymbal), das nach seinem Erfinder Pantaleon Hebenstreit Pantalon benannt war, durch bessere Mechanik zu unserem jetzigen Clavier machten, so besitzen wir doch über diese Sache das zuständigste Urtheil in dem Schreiben Mozart’s vom 17. October 1777, das in „Mozart’s Briefen“ zu finden ist, und hören von Beethoven, daß er schon in der Jugendzeit zu Bonn gewohnt war, „nur auf einem Stein’schen Flügel zu spielen“.

„Da keine der älteren Schwestern so viel Anlage zur Musik verrieth, wie die kleine Nannette, sie auch die zarteste Anhänglichkeit für ihre Vater bewies, so wurde diesem das Kind so werth, daß es seine immerwährende Gesellschafterin sein mußte und er sie in ihrem zehnten Jahre erst zur Verfertigung einzelner Theile, dann zur gänzlichen Vollendung seiner Pianoforte anhielt.“

Und dies bedeutete ihre und ihrer Geschwister fernere Existenz und begründete ihre Zukunft. Denn als nach einigen Jahren der Vater starb, trat sie, die erst dreiundzwanzigjährige Tochter, an seine Stelle. Mit männlichem Muthe übernahm sie es, mit ihrem sechszehnjährigen Bruder das Geschäft fortzuführen, [389] und so ihre sechs unversorgten Geschwister vor Noth zu schützen. Mittlerweile hatte sie jenen jungen Mann kennen gelernt, der eine Rolle in Schiller’s Flucht aus Stuttgart spielt, Andreas Streicher, der sich im nahen München als Clavierspieler und Componist hervorgethan hatte. Er wurde ihr Gatte, und mit ihm und ihrem ältesten Bruder begab sie sich im Jahre 1794 nach Wien und begründete unter ihrem Vaternamen Stein ein neues Geschäft, das sich bald zu der noch heute blühenden berühmten Streicher’schen Clavierfabrik entwickelte.

Hier begegnete sie nun dem fast gleichaltrigen Beethoven, der schon 1787, nach dem ersten Aufenthalte in Wien, wo er Mozart’s Anleitung genossen hatte, bei ihrem Vater in Augsburg gewesen war, und er, der die volle Erbschaft des jüngst gestorbenen Mozart übernommen hatte, ist es auch gewesen, der die Grundlage zu der Vollendung der Instrumente legte, auf denen die moderne Kunst des Clavierspiels in Liszt, Thalberg, Chopin ihre Wunder zu verrichten vermochte.


Nannette Streicher, geb. Stein.
Nach einem alten Portrait.


Wie erst die Vollendung des Geigenbaues durch die Meister Amati, Guarneri, Stradivari im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert auch das erste künstlerisch vollendete Violinspiel in Meistern wie Corelli, Vivaldi und Tartini erzeugte, das dann in Paganini gipfelte, so bereiteten die Fähigkeiten der Stein’schen Instrumente den Meistern Mozart und Beethoven, zumal in ihren freien Phantasien, ganz neue Möglichkeiten der Ausführung. Dies spiegelte sich vor allem sogleich in den ersten Sonaten Beethoven’s wieder, und Streicher, der zunächst auch in Wien als Clavierlehrer weiter fungirte, war es, der, wie wir aus dem Buche „Beethoven nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen“ ausdrücklich erfahren, diese neuen Compositionen nach Kräften bei seinen Schülern zu verbreiten trachtete.

Ja, zuletzt sollten es diese steten Neuproductionen Beethoven’s auf solchen Stein’schen Instrumenten sein, die Streicher selbst zu immer weiterer Verbesserung derselben führten. „Streicher hat das Weiche, zu leicht Nachgebende der anderen Wiener Instrumente verlassen und auf Beethoven’s Rath und Begehren seinen Instrumenten mehr Gegenhaltendes, Elastisches gegeben, damit der Virtuose, der mit Kraft und Bedeutung vorträgt, das Instrument mehr in seiner Gewalt hat,“ meldet Goethe’s „Spitz von Giebichenstein“, der Capellmeister J. F. Reichardt, von seinem Aufenthalte in Wien im Jahre 1809.

So verbanden gegenseitiges Interesse, Kunst und persönliche Freundschaft den Künstler und die Clavierbauerfamilie, und jener hatte den Hauptvortheil davon; denn das größere Bedürfniß nach thätiger Freundeshülfe lag auf seiner Seite.

Sein Gehörleiden hatte in einer Weise zugenommen, die einen unbeschreiblich quälenden Eindruck auf ihn machte; seine Geltung als Componist wollte noch immer nicht durchdringen, da seine Spielart zu schwierig und vor allem sein Ideenflug zu hoch war, und dies wirkte auf den Absatz seiner Werke und damit auch auf seine materielle Existenz zurück. Die Hochthat dreier österreichischer Großen, welche dem nahezu Vierziger zum ersten Male das Gefühl behaglich gesicherter Existenz geboten, war ebenfalls durch das unselige Finanzpatent von 1811, das den Werth Geldes auf ein Fünftel verringerte, zunächst fast unwirksam geworden. Dazu hatte eine tiefgehende Herzensleidenschaft, die Liebe zu Amalie Sebald, jener jungen Berlinerin, die ihm unter allen weiblichen Wesen, welche er je gekannt, die „Eine“ blieb, die er gefunden, sein Gemüth ebenso zerrüttet, wie die lange Reihe von Jahren voller Anstrengung ohne Rast und Ruhe seine Gesundheit untergraben hatte. Er befand sich in einer gänzlichen Erschöpfung, von der er selbst sagt, „daß so viele auf einander gefolgte Begebenheiten ihn beinahe in einen verwirrten Zustand gesetzt,“ und das „kostbarste Geschenk des Himmels“, seine Muse, schien ihm sogar nicht mehr so hold und fruchtbringend wie sonst sein zu wollen.

Jetzt konnte sich also zeigen, was thätige Freundschaft war.

Das Jahr 1813 war für Beethoven ein überaus leidvolles. Auf ärztlichen Rath ging er nach dem schönen Curort Baden bei Wien. Auch Frau Streicher weilte dort. Sie mußte sehen, daß ihr großer Freund „auch in Hinsicht auf Körperbedürfnisse aller Art sich in verwahrlostem Zustande befand“. Sogleich nach ihrer Rückkunft in die Stadt war sie daher mit Hülfe ihres Gatten für umfassende Herbeischaffung des Nöthigsten besorgt, und dieses ersten, bestens ausgeführten Auftretens als Schaffnerin erinnerte sich fortan unser zumal in Betreff der Wohnungen viel wandernder Odysseus, sobald er irgend in seinem Haushalte praktischen Beistands bedurfte.

Man kennt Beethoven’s Mißgeschick mit dem vielgenannten Neffen, dem Sohne seines im Jahre 1815 in Wien gestorbenen Bruders Karl. Er betrachtete das Kind als das seinige, sich selbst als dessen Vater und nahm daher jede Pflicht und Mühe der Pflege und Erziehung des Knaben auf sich. Für die ersten Jahre hindurch hatte er ihn in einem Institute untergebracht. Bald aber wähnt er das Kind hier nicht gut aufgehoben und will selbst einen Haushalt einrichten. Hier muß nun seine bewährte Freundin Frau Streicher einspringen, und die Billets an sie enthüllen sowohl den ganzen Charakter dieser Freundschaft, wie ein gutes Stück von Beethoven’s Leiden und Lebenswirrwarr.

Eine Weile – im Jahre 1816 – war der Verkehr mit Streicher unterbrochen gewesen: Beethoven brachte seine freie Zeit in dem Institute des Knaben zu, und das kleine Buch „Eine stille Liebe zu Beethoven“ sagt uns, wie sehr sich hier sein Gemüth nach seiner vollen Tiefe und Kindlichkeit enthüllte. Dann erinnert ihn ein Billet vom Januar 1817 an „seine werthe Streicher“, und er hat sich jetzt auch sogleich mit ihr über etwas zu „besprechen“. Er ist in seiner häuslichen Existenz die „Beute elender Menschen“, und wieder hat also die Freundin eine ganze Reihe ökonomischer Pflichten zu übernehmen, vom Suchen einer ordentlichen Wohnung und der Regelung verwirrtester Bedientenverhältnisse bis zur „gütigsten Besorgung der Wäsche“ und der vielfachen Krankenbedürfnisse, zu denen gar ein zinnerner Löffel zum Medicinnehmen gehört.

„Liebe Frau von Streicher! Ich bin voller Verdrießlichkeiten heute; Ihnen sie aufzuzählen, ist unmöglich,“ schreibt er das eine Mal. „Leben Sie wohl, Gott waltet über uns Alle!!“ Das andere Mal aber heißt es: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie vielleicht durch meine heutige Mission beleidigt – meine Kränklichkeit und meine so traurige Lage in dieser Hinsicht lassen mich nicht wie sonst alles abwägen. Ich bitte Sie um das Bettzeug – verzeihen Sie einem Erschöpften.“

Er hatte die „Lungenkrankheit“ und wollte auf ihren Rath wegen besserer Kost und Pflege eine eigene Haushaltung beginnen.

[390] „Wäre man bei dieser gänzlichen moralischen Verderbtheit des österreichischen Staates nur einigermaßen überzeugt, eine rechtschaffene Person erwarten zu können, so wäre alles leicht gemacht, aber – aber!!“ Der Wiener Congreß hatte durch seine Verschwendung und seine Laster die dienenden Classen bis auf den Grund verderbt, und so war allerdings die Hülfe einer verständigen Frau hier sehr nothwendig. Wir werden bald von dem tragikomischen Wirrwarr hören, der in diesem Punkte in das Dasein des gänzlich arbeitsversunkenen und obendrein alternden tauben Junggesellen drang und den auch Frau Streicher nicht gänzlich zu bannen vermochte. Zunächst kommt der Sommer und mit ihm geistige wie körperliche Erfrischung.

„Ich konnte wegen dem schlechten Wetter nicht eher hereinkommen und Sie waren schon fort,“ schreibt er im Juli 1817, als er vom nahen Nußdorf einmal in die Stadt gefahren war, und der Humor bricht in den Wortspielen hervor: „Welcher Streich von der Frau von Streicher!!! nach Baden???!!! Uebrigens lassen Sie sich durch Ihren Mann nicht zu gewissen Ehestreichen verführen. Halten Sie Ihre Tochter fleißig an, daß sie eine Frau werde. Heute ist eben Sonntag – soll ich Ihnen noch etwas aus dem Evangelium vorlesen: Liebet Euch unter einander etc.“ Und was ihn neu beglückt, ist, daß die freie Natur seine Geister neu beflügelt. „Kommen Sie an die alten Ruinen, so denken Sie, daß dort Beethoven oft verweilt – durchirren Sie die heimlichen Tannenwälder, so denken Sie, daß da Beethoven oft gedichtet oder, wie man sagt, componirt.“

„Im Walde Entzücken, wer kann alles ausdrücken,“ schrieb er ein anderes Mal; in Baden sind allerdings viele seine eigensten Tongedichte entstanden. Noch eine „Inlage“ fügt er später hinzu, die auf die frühere Geschäftsfirma der Freundin anspielt: „Was die Frau von Stein anbelangt, so bitte ich selbe, daß sie den Herrn von Steiner nicht versteinern soll lassen, damit er mir noch dienen könne, oder die Frau von Stein möchte nicht zu sehr von Stein sein in Ansehung des Herrn von Steiner.“ Steiner hieß nämlich sein damaliger Wiener Verleger. Der Schluß lautet: „Beste Frau von Streicher, spielen Sie Ihrem Männchen keine Streiche, sondern heißen Sie lieber gegen Jedermann Frau von Stein!!“ Man sieht, die Freundin mußte sich von seinem zeitweiligen Uebermuthe auch manches gefallen lassen. Als Nachschrift aber steht noch vertrauensvoll da: „Wo sind meine Bettdecken?


Wo? Wo?


„Heute habe ich ein neues Pflaster auf den Nacken gelegt erhalten – o Noth! Noten sind besser als Nöthe und Noth,“ heißt es jedoch bald wieder. „Ich bitte Sie, zuweilen an einen armen österreichischen Musikanten zu denken.“ Sein Bedienter stiehlt und bringt das ganze Haus durch einander. Da thut er denn den Ausruf, mit dem wir die Skizze oben einleiteten. Er will endlich wirklich einen eigenen Haushalt einrichten, da er für sein Dasein einer besseren Pflege und Aufwartung bedürfe und Karl ganz zu sich nehmen wolle. „Was es für ein Gefühl ist, ohne Pflege, ohne Freunde, ohne alles, sich selbst überlassen leidend zubringen zu müssen, das kann man nur selbst erfahren,“ schreibt er. Jetzt hat die Freundin alle Hände voll zu besorgen. „Eine Portion Abwischfetzen brauchten wir als Präliminarien zur künftigen Haushaltung, denn der Teufel hat meine zwei-, dreimalige Einrichtung schon immer geholt – verfluchen Sie mich nicht wegen so vieler Beschwerlichkeiten,“ heißt es – fast eine ganz neue Hauseinrichtung war herzustellen. Dabei galt es aber auch noch, Sorgen um die gesteigerten Ausgaben zu zerstreuen. Es hatte ihm beim Rechnen darüber Einer „alles gräßlich geschildert“. „Gott erbarme sich unser!“ rief er aus. „Was gibt man zwei Dienstleuten Mittags und Abends zu essen? Wieviel Pfund Fleisch rechnet man für drei Personen?“ solche Fragzettel fabricirt, offenbar für die „werthe Freundin“, der Künstler, der innen an der „Neunten Symphonie“ arbeitet. Aber schlimmer als die großen Ausgaben ist die Pein, die jetzt erst auf allen Seiten für ihn beginnt und die uns zum Schluß wahrhaft Shakespeare’sche Scenen bringt.

Schon nach wenig Wochen hält er eine „vernünftigere Person“ für nöthig: „denn beide sind stumpfsinnig“, nämlich Nanni, die „busige Betriegerin“, und Baberl, das „schlechte Schönheitsgesicht“, und daher „hinkt alles“, namentlich die „Kocherei“, was wieder nachtheilig auf seinen leidenden Körper wirkt und ihn „sehr verdrießlich und übel auf“ macht. Da hat denn die Freundin durch kräftiges Dreinreden Ordnung zu schaffen. Aber: „Ihre letzte Unterredung mußte ich theuer bezahlen; die Nanni hat sich darnach so gegen mich betragen, daß ich wüthend geworden bin, darnach hat sie freilich wieder getaugt“, schreibt er, der bekanntlich selbst von sehr großem Jähzorn und andrerseits „altniederländischer Starrköpfigkeit“ war – Eigenschaften, die gerade den Dienenden am leichtesten zum Widerstand reizen.

Eines Abends brauchten die „sauberen Bedienten“ die Zeit von sieben bis zehn Uhr, ehe er Feuer im Ofen hatte. Das machte ihn bei der grimmigen Kälte des Winters 1817 „zu sehr erkühlen“. Husten und die fürchterlichsten Kopfschmerzen, die er je gehabt, waren die begreiflichen Folgen. Der Baberl hatte er schon aufgesagt; die Niedrigkeit von beiden sei ihm unausstehlich; die Nanni stehe „trotz ihrem Gesicht“ noch unter dem Vieh. Er wünscht der Freundin Gutachten und Oberaufsicht, da er bei seinen Gebrechen sonst mit allen dergleichen Leuten dasselbe Schicksal haben werde. „Die Undankbarkeit gegen Sie ist es, was mir beide Menschen auf das tiefste heruntergesetzt hat,“ schreibt er. Er hatte der Nanni aber auch „zu Neujahr ein halb Duzend Bücher an den Kopf geworfen“ und ruft verzweifelnd aus: „Die Blätter rotten wir aus, indem wir die Baberl fortschaffen, oder die Aeste, aber wir werden wohl selbst bis an die Wurzel kommen müssen, sodaß nichts mehr übrig bleibt als der Grund.“ Doch konnte er zum Trost melden, die „Fräulein Nanni“ sei ganz umgeändert, seit er ihr das halbe Dutzend Bücher an den Kopf geworfen habe: „es ist wahrscheinlich durch Zufall etwas davon in ihr Gehirn oder schlechtes Herz gerathen.“

Außerordentlich erschwerte er selbst seiner getreuen Schaffnerin die erfolgreiche Mitwirkung durch sein unausrottbares Mißtrauen. Liegt ein solches schon in der Natur des hülflos gewordenen Tauben, so war die Lebensfügung dieses einsamen großen Mannes darnach geartet, dasselbe immer mehr auszubilden. Dazu die hochgesteigerte und fast einseitige „moralische Denkungsweise“.

Sein unbesonnenes Dreinfahren in der Freundin wohlüberlegtes Thun konnte nicht verfehlen, das Verhältniß etwas zu alteriren. Und kam nun das in solchen Dingen nie mangelnde Geschwätz dazu, so war die „Entzündung“ da. Die Freundin darf im Interesse der Sache ihre Bemerkungen darüber nicht zurückhalten. Beethoven, empfindlich und leicht gereizt, wie der in seiner idealen Welt lebende Künstler ist, kann darauf „leider nicht mehr das Vergnügen haben, zu ihr zu kommen,“ hofft aber, daß sie sich nicht gänzlich seinem Haushalte entziehen werde, was denn auch in Erfüllung geht – ein klarer Beweis dafür, daß seine Größe und innere Hoheit auch bei ihr stets nur die besten Eigenschaften wiedererweckte.

Die sicherste Probe der Theilnahme und des Vertrauens hat diese Freundschaft aber abgelegt, als nun Beethoven’s schönster Wunsch, den Neffen Karl ganz bei sich zu haben, in Erfüllung geht und die „Immoralität“ der Dienstboten ihm hier den allerärgsten Streich spielt, den Jungen ihm zu entfremden und hinter seinem Rücken zu üblen Dingen zu verleiten. Hierüber zum Abschluß des Ganzen noch einige erläuternde Worte.

Als Beethoven’s Bruder Karl starb, hinterließ er diesen Knaben und eine Wittwe. Dieselbe war von dem unverwüstlichen Leichtsinn des damaligen Wien und wurde daher durch das Gericht von der Vormundschaft völlig ausgeschlossen. Darüber ebenso gereizt wie in ihrer natürliche Empfindung verletzt, suchte sie nun mit allen Mitteln zu dem Knaben zu gelangen und ihn zugleich gegen seinen Oheim mißtrauisch zu machen. Schon war sie als Mann verkleidet unter die Knaben des Instituts auf den Spielplatz gedrungen, aber die Strenge dieses Instituts machte ihre ferneren Versuche vergeblich. Mit der Aufnahme in das eigene Haus hatte nun aber der Oheim selbst alle Schranken für ihre „Intriguen“ geöffnet. Rührend ist die fast eifersüchtige Liebe, die er dem Knaben schenkt.

„Er ist frohen Muthes und viel aufgeweckter, als sonst, und zeigt mir jeden Augenblick seine Liebe und Anhänglichkeit,“ vernimmt die Freundin. Er hält ihm einen Hofmeister und ladet, er, der alte Junggeselle, seine Professoren zu Tische. Aber schon nach kurzer Zeit heißt es: „Gott helfe mir! Ich appellire an ihn als letzte Instanz.“ Die Mutter hatte die Dienstboten [391] zu bestechen gewußt, so daß sie den Knaben heimlich zu ihr ließen.

Wir wissen heute, wohin die Verirrungen, die auf solche Art in dieses junge Leben kamen, führten, und daß Karl’s späterer Selbstmordversuch den zu frühen Tod des großen Mannes selbst herbeiführen half. Also begreifen wir den langen schmerzerfüllten und innerlich empörten Brief, den, als einen der letzten uns erhaltenen, Beethoven jetzt an seine „beste Frau von Streicher“ schreibt. Man findet ihn in den „Neuen Briefen Beethoven’s“; er enthält die ganze Empfindungsgewalt wie die tief sittliche und doch immer humane Anschauung unseres Künstlers.

„Karl hat gefehlt – aber Mutter – Mutter! – selbst eine schlechte bleibt doch immer Mutter,“ ruft er aus. „Insofern ist er zu entschuldigen, besonders von mir, da ich seine ränkevolle leidenschaftliche Mutter zu gut kenne. Mein Herz wird schrecklich bei dieser Geschichte angegriffen, und noch kann ich mich kaum erholen. Ich lade Sie auch nicht ein hierher, denn alles ist in Verwirrung, jedoch wird man nicht nöthig haben, mich in den Narrenthurm zu führen.“

Seinem Zorn über „die Verrätherei der verstockten Sünderinnen“ hatte er mit „Marsch, zum Hause hinaus, zum abschreckenden Beispiel aller künftigen!“ genügt. Und den Donner der elementaren Kraft des Heroen vernimmt man aus den Worten über den Pfarrer, bei dem Karl in die Schule ging: „Der Pfaff hier weiß schon, daß ich von ihm weiß, denn Karl hatte es mir schon gesagt. Es ist zu vermuthen, daß er nicht ganz unterrichtet war und daß er sich hüten werde. Allein damit Karl nicht übel von ihm behandelt werde, da er überhaupt etwas roh scheint, so ist es für jetzt genug. Da aber Karl’s Tugend auf die Probe gesetzt – denn ohne Versuchungen giebt es keine Tugend – so lasse ich es mit Fleiß hingehen, bis es noch einmal, was ich zwar nicht vermuthe, geschieht, wo ich dann Seiner Hochwürden Ihre Geistlichkeit mit solchen geistigen Prügeln und Amuletten und mit meiner ausschließlichen Vormundschaft und daher rührenden Privilegien so erbärmlich zurichten werde, daß die ganze Pfarrei davon erbeben soll.“ – – „Machen Sie nichts bekannt, da man auf Karl nachtheilig schließen konnte. Nur ich, da ich alle Triebräder hier kenne, kann für ihn zeugen, daß er auf das Schrecklichste verführt ward,“ sagt er der Freundin zum Schlusse.

„Ich bitte, uns bald etwas Tröstliches wegen der Koch-, Wasch-, Nähkunst zu schreiben!“ damit gemahnt er dieselbe zuletzt auch noch an ihre näheren Pflichten. Die tiefe Vertrauensäußerung aber, die in diesem vollen Herzenserguß, einem der längsten Briefe Beethoven’s liegt, mochte ihr selbst erst zeigen, was sie dem Meister überhaupt war, und bestätigt uns den Werth und die Würde dieses Freundschaftsverhältnisses völlig.

Welch geradezu fürchterlichen Eindruck aber das Vorgehen der „bösen Frau“ selbst auf ihn gemacht, erfahren wir vor Allem aus dem Tagebuche der Tochter des Institutsvorstehers. Jene hatte den Knaben schließlich dahin gebracht, daß er dem Oheim entfloh und zu ihr lief, und dieser, der männlichste der Männer, mußte den Vorgang selbst unter heftigem Weinen berichten. Denn: „Er schämt sich meiner,“ lautete die Ursache von Karl’s Flucht.

In den Haushalt aber kam doch nach und nach soviel Gang, daß die jähen Explosionen seltener wurden. Den großen Triumph des Künstlers in dem Concerte vom Mai 1824, wo der neunten Symphonie stürmischer Empfang bereitet wurde, erlebte die Freundin mit. Wie sie jetzt zu dem Manne emporschauten, den seine Lebensleiden noch größer gemacht hatten als sein angeborenes Genie, sagt uns das Wort, womit im Herbste 1824 Streicher den Instrumentenmacher Stumpff aus London empfiehlt: „Die Ursache, warum er nach Baden kommt, ist, Sie, werthester Beethoven, den Mann zu sehen, auf den Deutschland stolz ist. Nehmen Sie ihn gütig und freundlich auf, sowie es dem Heiligen geziemt, zu welchem der andächtige Pilger aus der Ferne eine Wallfahrt macht!“

Die Sorge der Freunde erstreckt sich jetzt vorwiegend auf seine allerdings nicht glänzende äußere Subsistenz: Streicher will im Jahre 1824 mit Concert-Arrangements und verlegerischen Unternehmungen nachhelfen. Allein schon im nächsten Jahre bekommt durch den Selbstmordversuch des Neffen des Meisters Dasein jenen innern Stoß, dem es erlag. - Unter den Freunden, die ihn auf dem letzten Krankenbette mit Compot, Wein und Champagner erfrischen, befindet sich auch der Name Streicher. Der letzte Dienst der getreuen „Schaffnerin“ war, wie der erste, ein Liebesdienst. Sie starb sechs Jahre nach Beethoven. Sein Name hob den ihren mit zur Unvergessenheit empor.

Ludwig Nohl.


Die Wolga und ihre Schifffahrt.

Die Wolga, unter dem Namen „Matuschka Wolga“ (Mütterchen Wolga) von den Russen geradezu göttlich verehrt, hat von Rybinsk bis hinunter zur Mündung in’s Kaspische Meer beim niedrigsten Wasserstande eine durchschnittliche Breite von circa 1/5 deutsche Meile. Im Frühjahr und Herbst, wenn dieselbe um 10 bis 15 Meter über den normalen Wasserstand hinaussteigt, erreicht sie eine circa dreimal so breite Ausdehnung, die an vielen Stellen sogar mehr als eine deutsche Meile beträgt.

Wie groß der Schade ist, der durch diese furchtbaren Wassermassen den in der Nähe des Flusses wohnenden Menschen zugefügt wird, kann man sich denken. Es ist Thatsache, daß viele Einwohner ihr Hab und Gut im Frühjahr und Herbst verlassen, um sich den stets drohenden Gefahren der Ueberschwemmung zu entziehen. Jedoch trifft das bis auf wenige Ausnahmen nur das linke Wolga-Ufer, welches durchweg flach zu nennen ist; nur an einigen Stellen, besonders in den Gegenden zwischen Simbirsk und Samara, befinden sich enge, von hohen Felsenbergen gebildete Durchgänge, die den Strom des Wassers bedeutend hemmen und so ein furchtbares Steigen des Flusses verursachen. Die Stromschnellen dieser Gegend bieten der Schifffahrt eine stets gefährliche Passage, und im Frühjahr wird die Gefahr noch durch die vom starken Strom ausgerissenen Bäume und durch zerstückelte Flöße, welche diese Stellen verstopfen, in bedeutendem Maße vergrößert. An dem rechten Ufer zwischen Simbirsk und Samara, der schönsten Gegend an der Wolga, erheben sich kolossale Felsmassen, ja es giebt dort Schluchten, Thäler und Berge, wie man sie wohl am alten deutschen Rhein nicht schöner zu finden vermag. Jeder Reisende, der dort vorbeifährt, wird mit Bewunderung auf die stellenweise geradezu romantisch gelegenen Dörfer schauen, die, auf drei Seiten von hohen und steilen Felsmassen umgeben, an der vierten von der Wolga umspült, wie in einem natürlichen Gefängniß eingeschlossen liegen. Hier findet man auch hohe Kalksteinbrüche, die in ihren Formen zuweilen lebhaft an die zerfallenen Burgruinen des Rheins erinnern. Als besonders schön ist ein hoher Bergrücken bei dem Dorfe Schiguli zu erwähnen. Eine Anzahl ganz steil nach der Wolga abfallender Berge bildet hier eine lange Bergwand, die abwechselnd bald mit Bäumen bedeckt ist, bald unerschöpfliche Steinbrüche bietet. Von diesen Bergen aus hat man bei Hochwasser einen geradezu imposanten Anblick. Wie ein endloses Meer breitet sich von dem Fuße der Berge eine Wassermenge aus, deren Grenzen dem Auge kaum erreichbar sind. Auf einem der höchsten Berge in dieser Gegend, den einst Peter der Große bestiegen, erblickt man noch heutigen Tages die Trümmer einer zerfallenen Burg. Dieser Berg wird seither unter dem Namen „Kaiserberg“ von den Russen sehr hoch geehrt.

Beim Beginn des Sommers, wenn die starre Eisdecke geschwunden ist, die fünf bis sechs Monate die Landschaft verödet und fast jeden Verkehr abgeschnitten hat, gewährt diese Gegend dem Auge andere Reize. Dann beginnt der Handel. Dampfschiffe jeder Gattung und Transportschiffe, das heißt Barken, der größten Dimensionen nehmen hauptsächlich das im Winter aufgespeicherte Getreide ein, welches von Tausenden von Menschen eingeladen wird. Endlos scheinende Holzflöße ziehen sich gleich Schlangen den Strom entlang, und die Fischereien beginnen jetzt ihre hauptsächlichste Thätigkeit. Das frische, dem Auge wohlthuende Grün, die unabsehbaren Schaaren wilden Wassergeflügels rufen Bewunderung und Staunen hervor; mit einem Worte: um diese Zeit, wo die Wolga sich sozusagen im Hochzeitsschmucke befindet, ist es geradezu paradiesisch hier.

Von dem Verkehr auf der Wolga kann sich nur der einen Begriff machen, der ihn mit Augen gesehen hat. Man kann wohl

[392] mit Recht behaupten, daß in ganz Europa kein Fluß so viel befahren wird, wie gerade die Wolga. Mehr als siebenhundert, theils Passagier-, theils Bugsirdampfer unterhalten den für Europa so wichtigen Handel und Verkehr zwischen Rybinsk und Astrachan. Viele dieser Schiffe gehen sogar hinauf bis nach Twer, von wo aus der Fluß eigentlich erst schiffbar genannt werden kann. Und der ungeheure Handel auf der Wolga vermehrt sich von Jahr zu Jahr um ein Bedeutendes. Noch gar nicht sehr lange, vielleicht seit vierzig Jahren, benutzt man zum Fortschaffen der Frachten und Passagiere die Dampfkraft. Wie schwierig und kostspielig früher der Transport bewerkstelligt wurde, kann man schon daraus schließen, daß man Monate dazu brauchte, um eine Ladung von Astrachan bis Nischni-Nowgorod oder Rybinsk heraufzuschaffen. Es wurden in erster Linie Segelboote verwandt, die jedoch bei den sehr verschiedenen Biegungen des Stromes nur mangelhaft

Die neue Riesenbrücke über die Wolga zwischen Sysran und Samara während des Baues. Nach einer photographischen Aufnahme auf Holz übertragen.

fahren konnten. Bei widrigen Winden oder bei Windstille benutzte man das alte Treidelsystem. Mehr als 150 Menschen zogen dann an einer einzigen solchen Barke.

Nachdem man endlich solcher kostspieligen Beförderung von Frachtgütern müde war, versuchte man ein anderes System, das dem ebengenannten gerade nicht um Vieles voransteht. Man brachte nämlich auf dem Schiffe große Winden an, mit denen man sich durch das Aufwickeln eines Taues bis zu einem in einiger Entfernung vor dem Schiffe ausgeworfenen Anker hinwand. Ehe man damit zu Ende war, wurde ein zweiter Anker ausgeworfen, und auf diese Weise quälte[WS 1] man sich monatelang, bevor man das festgesetzte Ziel erreichte. Die erwähnten Anker wurden anfangs von Menschen immer weiter getragen; später wandte man zu ihrem Transport Ruderboote an.

Auch diese Beförderungsart konnte bei weitem dem sich immer rascher mehrenden Handel nicht genügen. Man wagte es endlich mit der Dampfkraft. Im Jahre 1842 fand sich eine Gesellschaft von Kaufleuten zusammen, die es unternahm, einige Bugsirdampfer anzuschaffen. Mit fast abergläubischer Bewunderung wurden diese Schiffe bei ihren ersten Fahrten von den Uferbewohnern betrachtet, von denen Mancher sich hierdurch seines bisherigen Erwerbes für künftige Zeiten beraubt sah. Der Nutzen jedoch, den die Dampfer in kurzer Zeit einbrachten, wurde bald allgemein bekannt, und in größter Eile entstanden darauf immer mehr und mehr derartige Unternehmungen. So bildeten sich die Gesellschaften: Polsa im Jahre 1842, Wolga 1843, Kama-Wolga 1854, Kawkas und Merkurij 1855, Samolott 1856, Neptun 1859, Lebed 1868 und noch mehrere andere. Unter diesen sind natürlich auch viele, die den Passagiertransport in ihren Geschäftsbereich ziehen.

Von nun an begann eine ganz neue Periode im Handel und Verkehr auf der Wolga, und bald wandte sich auch der Handel vom südlichen und östlichen Rußland dorthin, was zur Folge hatte, daß viele bisher nur wenig bekannte Städte zu den blühendsten Handelspunkten heranwuchsen. Dieses ging so bis zum Jahre 1870.

Da sollte die Schifffahrt durch Anschaffung ganz neuer, kolossaler Passagier- und Frachtschiffe einen großen Umschwung erleiden. Ein gewisser Alphons Seveke, in Riga geboren, früher Schiffscapitain und darauf Verwalter der Kama-Wolga-Gesellschaft, überhaupt ein mit den ganzen Verhältnissen der Wolgaschifffahrt sowie der Schiffsbaukunst vertrauter Mann, gewann einige sehr reiche Kaufleute, darunter Russen und Engländer, zur Ausführung seiner Ideen und leitete selbst in der Benardacki’schen Fabrik in Sormowa die Erbauung eines gewaltigen Dampfers. Nach langer und mühevoller Arbeit und einem Kostenaufwand von 200,000 Rubel wurde im Juli 1871 dieses erste Riesenschiff, benannt „Pereworod“, das heißt Umwälzung, vom Stapel gelassen. Es war ganz nach amerikanischem System, mit mehreren Etagen und in kolossalen Dimensionen erbaut.

[393] Die Theilnehmer, auf deren Kosten der Bau vor sich gegangen war, nannten sich: „Gesellschaft der Dampfschiffe amerikanischen Systems“.

Mit großem Jubel wurde der Koloß auf seiner ersten Fahrt von den Wolga-Anwohnern begrüßt; er trug seinem Erbauer von Seiten der handeltreibenden sowie der technischen Welt die allgemeinste Verehrung ein, und sein Name wird noch lange im Volksmunde leben.

Bald nach dem Stapellaufe des ersten Schiffes ging man, nachdem man sich von der Vorzüglichkeit desselben überzeugt hatte, daran, ein zweites ähnliches zu erbauen. So entstanden nach und nach bis zum Jahre 1875 fünf solcher Schiffe, und zwar „Colorado“ (früher „Pereworod“), „Mississippi“, „Missouri“, „Benardacki“ und „Niagara“, deren ungeheuere Einnahmen die Gesellschaft für ihr gewagtes Unternehmen reichlich entschädigten. Der Erbauer der Schiffe, Herr Seveke, übernahm dieselben in Pacht und ist auch im Augenblick noch Pächter derselben.

Versuchen wir es, uns ein Bild von der Größe und der Einrichtung dieser Kolosse zu machen!

Der eigentliche Schiffskörper hat eine Länge von fünfundachtzig, eine Breite von zwölf Meter. Ueber demselben erhebt sich der kolossale dreistöckige Oberbau, der jedoch eine Breite von einundzwanzig Meter hat, während seine Länge um acht bis neun Meter geringer, als die des unteren Schiffskörpers ist. Die Gesammthöhe des Schiffes beträgt achtzehn Meter. Der untere Schiffskörper, der zur Aufnahme der Frachten bestimmt ist, enthält außerdem die sechs großen Dampfkessel. Ueber diesen, in der unteren Etage des Oberbaues, befinden sich die zwei resp. vier riesenhaften Dampfmaschinen, deren Leistungsfähigkeit 450 bis 500 Pferdekraft beträgt und welche Schaufelräder von sieben bis acht Meter Durchmesser bewegen. In derselben Etage mit den Dampfmaschinen liegen am Vorder- und Hintertheile große Räumlichkeiten, die besonders zur Aufnahme sehr großer Frachtstücke, auch von Wagen, Pferden etc. bestimmt sind. Jeder dieser beiden Räume enthält zugleich eine Dampfwinde, vermittelst deren das Ein- und Ausladen von den großen unteren Räumen schnell und bequem bewerkstelligt werden kann. Endlich birgt diese Etage die vielen Cabinen für die Passagiere vierter Classe.

Zwei sehr breite Treppen führen in das obere Stockwerk, in welchem sich die Kajüten erster, zweiter und dritter Classe (bis 300!) nebst luxuriös ausgestatteten Speise- und Gesellschaftssalons befinden. Um diese ganze Etage läuft ein drittehalb Meter breiter Balkonvorbau.

Als drittes Stockwerk mag man das mächtige, mit einem Geländer umgebene Verdeck über dem Ganzen betrachten; es ist fast immer von Spaziergängern gefüllt, welche die freie Aussicht auf die Wolga und ihre Umgebung genießen. Hier oben befindet sich auch das Steuerhäuschen, von dem aus der Capitain seine Befehle nach allen Richtungen auf dem Schiffe mit Hilfe von Sprachrohren ertheilen kann. Die beiden Steuerräder selbst werden von vier Steuerleuten gehandhabt, welche bei heftigen Stürmen oder sehr scharfen Biegungen noch durch Hülfsmannschaften verstärkt werden müssen. Ueber die obere Fläche ragen noch die beiden kolossalen Schornsteine von fast 2 Meter Durchmesser empor, die den Eindruck kleiner schwarzer Thürme machen.

Alle Einrichtungen, welche aus diesen Schiffen den Passagieren geboten werden, sind so bequem wie sauber, für die höheren Kajüten von äußerster Eleganz. Eine reichhaltige Bibliothek aus russischen, deutschen, französischen und englischen Büchern, eine kleine Bade-Anstalt mit Douchen etc., Wäscherei und noch andere Bequemlichkeiten stehen jederzeit zur Verfügung. Eine Besonderheit dieser Schiffe ist, daß sie nicht an allen, sondern nur den größeren Stationen anlegen und hier einige Stunden liegen bleiben, sodaß es den Mitreisenden vergönnt ist, die betreffenden Orte, sei es zum Vergnügen, sei es Geschäfte halber, zu besuchen.

[394] Zum Schluß bleibt noch zu erwähnen, daß jedes dieser fünf Schiffe, deren vollständige Bemannung etwa siebenzig Mann erfordert, circa 2000 Passagiere und 465,000 Kilogramm Lasten aufnehmen kann. Ihre Fahrgeschwindigkeit beträgt stromaufwärts zwölf, dagegen stromabwärts zwanzig Werst oder circa drei deutsche Meilen pro Stunde; dabei verbrauchen die Dampfkessel zu ihrer Heizung pro Tag circa 145 Kubikmeter Holz.

Außer diesen Dampfern amerikanischen Systems verdienen die der Gesellschaft „Wolga“ erwähnt zu werden. Durch die auf diesen Schiffen herrschende Ordnung und Sauberkeit stehen sie denen der Gesellschaften „Samolott“, „Kawkas“ und „Merkurij“ etc. um Vieles voran.

Die Anzahl der auf dem Wolgagebiete existirenden Dampfer beträgt über siebenhundert, zu annähernd 87,500 Pferdekraft und mit einem Holzbedarf – bei einer jährlichen Fahrzeit von sechs Monaten – von circa 7,300,000 Cubikmeter im Werthe von 13,000,000 Rubel, ein Bedarf, wie ihn die für unerschöpflich geltenden russischen Wälder wohl nicht mehr sehr lange aushalten werden. Die Gesellschaft „Kawkas und Merkurij“ hat bereits damit den Anfang gemacht, ihre Schiffe mit den hier so wohlfeilen Naphtharückständen zu heizen. Auf dem Wolgagebiete existiren außerdem noch circa 5000 Barken, welche, der Länge nach hinter einander gestellt, eine Gesammtlänge von mehr als fünfzig deutschen Meilen und mit den Dampfern zusammen eine solche von über sechszig deutschen Meilen ergeben. Wenn man annimmt, daß mindestens drei Viertel dieser Schiffe immer unterwegs sind, so wird man sich einen annähernden Begriff von dem einzig dastehenden Handel und dem belebten Passagierverkehre auf der Wolga machen können.

Zu diesen gewaltigen Mitteln des Verkehrs flußauf- und flußabwärts standen seither diejenigen, welche die Verbindung von Ufer zu Ufer vermittelten, nicht entfernt im Verhältniß. Es ist unglaublich, aber wahr, daß auf der ganzen Strecke von 385 deutschen Meilen eine kleine bei der Stadt Twer befindliche Brücke die einzige feste Verbindung der beiden Wolga-Ufer bildete.

Ende vorigen Jahres ist nun aber eine zweite Wolga-Brücke dem Verkehr übergeben worden, und die kolossalen Dimensionen dieses Baues lassen sie als würdiges Seitenstück zu den geschilderten Riesendampfern erscheinen. Dieselbe ist auf der Sysran-Orenburger Eisenbahn zwischen den zwei bedeutenden Städten Sysran und Samara gelegen und verbindet mithin das Gouvernement Simbirsk mit dem Gouvernement Samara.

Durch zwölf Strom- und zwei Uferpfeiler getragen, hat diese Brücke eine Länge von circa 1/5 deutsche Meile, sodaß also die Entfernung von Pfeiler zu Pfeiler über hundert Meter beträgt. Wegen des im Frühjahre sehr hohen Steigens der Wolga war man gezwungen, den Pfeilern eine solche Höhe zu geben, daß selbst beim höchsten Wasserstande zum Passiren der Schiffe noch ungefähr siebenzehn Meter Raum zwischen Wasserniveau und Brücke blieb. Trotzdem müssen noch, im Falle eines sehr hohen Steigens der Wolga, die größten Dampfer ihre Schornsteine herunterlassen, um diese Stelle passiren zu können. Die Höhe der Pfeiler über dem Wasserniveau beträgt bei gewöhnlichem Wasserstande etwa dreißig Meter, neben siebenzehn Meter unter dem Wasser.

Der Bau der Pfeiler unter Wasser wurde, wie schon früher bei derartigen Brückenbanten, mittelst Caissons bewerkstelligt. Das Princip dieser Art Pfeilerbau kennen die Leser aus einem frühern Artikel („Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?“ vergl. Nr. 18 d. Jahrg.).

Ein Caisson ist ein aus Tafelblech von drei bis zehn Millimeter Stärke zusammengenieteter unten offener Cylinder, dessen Länge, Breite und Form ganz den Dimensionen des zu erbauenden Pfeilers, dessen Höhe jedoch der auf der bestimmten Stelle vorhandenen Tiefe des Wassers angemessen sein muß. Oben auf diesem Cylinder, also in dem Deckel desselben, befinden sich mehrere Oeffnungen mit Doppelthüren, die zum Hinein- und Herausschaffen von Baumaterialen etc. sowie zum Ein- und Ausgang für die darin beschäftigten Arbeiter bestimmt sind.

Hat man nun die Stelle für den zu erbauenden Pfeiler festgesetzt, so versenkt man den Caisson auf der betreffenden Stelle bis auf den Grund und pumpt dann mittelst Luftpumpen soviel Luft hinein, daß das darin befindliche Wasser nach unten herausgedrängt wird. Erst dann, wenn letzteres vollkommen geschehen, kann die Arbeit in dem Caisson beginnen. Der Pfeiler wird nun darin in der Weise aufgemauert, daß noch ein kleiner Raum zwischen Caisson und Pfeiler rund herum bleibt, um später das Herausnehmen des Caissons besser bewerkstelligen zu können. Die Leistungfähigkeit der fortwährend arbeitenden Luftpumpen muß natürlich sehr genau regulirt werden, damit nicht etwa zeitweise zu wenig oder auch wieder zu viel Luft hineinkommt. Im ersteren Falle würde das Wasser bei einem geschwächten Gegendrucke von unten hereinfließen, im letzteren die zu stark comprimirte Luft auf die Gesundheit der darin beschäftigten Arbeiter schädlich einwirken. Diese Arbeiter müssen vollkommen gesund und kräftig sein und werden zudem der anstrengenden Arbeit halber öfters während des Tages gewechselt. Trotzdem kommen Todesfälle in Folge dieser Arbeit nicht selten vor.

Was bei diesem Brückenbau ganz besonders neu war, das war die Heraufschaffung der einzelnen schmiedeeisernen, vorher fix und fertig genieteten Gitterwerke, von welcher das beigegebene Bild der im Entstehen begriffenen Brücke eine Anschauung giebt. Man stellte nämlich sieben große Barken neben einander, verband dieselben sehr fest und erbaute auf der so gebildeten Fläche ein hohes Gestell von Balken. Alsdann wurde das erste der dreizehn fertigen Gitterwerke, welche auf dem sehr hohen rechten Ufer der Wolga des Transports harrten, auf das Gestell geschafft und der ganze Koloß durch drei starke Bugsirdampfer stromaufwärts zwischen zwei fertige Pfeiler gezogen. Dort angelangt, regulirte man genau den Stand mittelst ausgeworfener Anker, ließ dann gleichmäßig in alle Barken Wasser hinein und senkte so das Ganze, bis das Gitterwerk fest an Ort und Stelle auf den Pfeilern lag. Für den Fall jedoch, daß etwa durch irgend welchen Zufall die Lage des bereits niedergelassenen Gitters eine nicht ganz erwünschte sei, war auf jeder der Barken eine Pumpe angebracht worden, mittelst deren eine große Locomobile das in die Barken hineingelassene Wasser wieder gleichmäßig herauszupumpen im Stande war. Es würde sich in Folge dessen der ganze Koloß langsam wieder gehoben haben. Erfreulicher Weise ist der Verwerthungsfall für die Vorsichtsmaßregel nicht eingetreten. Diese ganze Erleichterung einer sonst so schwierigen Arbeit durch eine höchst einfache Vorrichtung ist der glückliche Gedanke des Ober-Ingenieurs Beresin, welcher den Bau der Brücke leitete.

Nebenher sei noch bemerkt, daß der ganze Bau von einem Bau-Unternehmer aus St. Petersburg, Michailow, für die Summe von sieben Millionen Rubel Silber übernommen wurde. Das Totalgewicht des ganzen Eisenwerks stellt sich auf 6,930,000 Kilogramm.

O. Behring.



Ueber die Grausamkeiten beim Fang der Thiere.
Auch eine Thierschutzfrage.

Es liegt ein eigenthümlicher Reiz in der Ueberlistung und Verfolgung der Thiere, und je höher der Werth der letzteren ist, mit desto leidenschaftlicherem Eifer wird die Nachstellung betrieben, mit desto größerem Fleiß geben sich Verstand und Phantasie Entwürfen der Erfindung hin, um nach Möglichkeit einen Erfolg zu sichern. Wie manchem Verbannten in Sibirien hat der Zobelfang Lichtstrahlen in sein dumpfes Dasein geworfen! Aber gerade die entzündete Leidenschaft trübt das Auge für die Gesetze der Menschlichkeit und läßt die Mahnungen, welche aus dem qualvollen Gebahren mißhandelter Thiere sprechen, höchstes nur flüchtig an eine Saite des Gemüthes anschlagen.

Wie komme ich in den Besitz des schönen Pelzes, welchen dieses oder jenes Raubthier trägt? Wie schütze ich mit raschem Erfolg meinen Hasen- und Rehstand vor den Frevelthaten vierfüßiger oder beflügelter Räuber? Welche ist die beste Art, der schädlichen Nager los zu werden, die mir Haus und Hof unterwühlen und die aufbewahrten Vorräthe gefährden?

Alle diese Fragen sind wohlberechtigt, und es wäre widersinnig, wollte man dem Menschen nicht das Recht zugestehen, sowohl Maßregeln gegen die Thiere zum Schutze seines Eigenthums zu ergreifen, wie auch sich der Hingabe an den geheimnißvollen Reiz der Verfolgung gewisser Thiere zu erfreuen. Aber

[395] die Ansprüche der mit Empfindung ausgestatteten Geschöpfe fordern Rücksichtnahme in der Wahl der Mittel, welche zum Besitz derselben führen sollen, und einer diesen Ansprüchen gegenüber theilnahmlosen Industrie sollte durch Abnahme grausamer Fangmittel nicht Unterstützung geboten werden. Nur in einem Falle könnte auch die Wahl qualvoller Werkzeuge zum Vertilgen von in großem Maßstabe schädlichen Thieren gerechtfertigt erscheinen, wenn nämlich keine andere Art der Nachstellung genügen würde. Aber gewöhnlich führen die rasch tödtenden Fallen auch am sichersten zum Ziele. Betrachten wir uns die verschiedenen Fuchs-, Marder- und Iltisfallen! Für den Fuchsfang ist es der „Schwanenhals“, mit welchem man Erfolge erzielt, und wenn derselbe mit kräftig wirkender Feder versehen ist und die Bügel weit genug sind, um den Vorderkörper der Beute richtig zu packen, so tödtet er in den meisten Fällen ziemlich schnell. Aber auf ewig verbannt sollten längst die grausamen Haken sein, an welchen der Köder den lüsternen Fuchs zum Sprung verlockt, in Folge dessen er sich selbst am Unterkiefer anspießt und jammervoll langsam zu Tode zappelt. Für den Edel- oder Baummarderfang ergiebt sich die allerwärts bekannte und eingeführte Prügelfalle nicht nur als die erfolgreichste, sondern auch als die am schnellsten tödtende Fanganstalt. Was die Hausmarder und Iltisse betrifft, so ist ihr Fang in Tellerfallen auf dem „Sprung“ darum grausam, weil sich die Thiere an den Pfoten fangen und in solche Verzweiflung gerathen, daß die Rasenden – wie wir dies bei Iltissen gesehen haben – sich über den Bügeln der Falle den gepreßten „Lauf“ (Fuß) durchbeißen, sich also selbst zerfleischen, um der Gefangenschaft zu entgehen. Auch die Hohlfalle bereitet den Gefangenen Qual, weil diese lange im Zustande der verzweiflungsvollen Wuth verharren, wiewohl eine solche Falle immerhin der Tellerfalle vorzuziehen ist. Unstreitig die beste Fangmethode in Bezug auf Erfolg und schnelle Tödtung ist hier diejenige, welche der „Studentenfalle“ in großem Maßstabe gleichkommt. Die erdrückende Belastung besteht dabei aus einer schweren alten Thür, welche, wo nöthig, noch durch platte Steine in ihrem Gewichte vermehrt werden kann. Wenn ein Ei am weißen Faden als Köder benutzt und die Thür nicht höher gelüftet wird, als es zum Zweck des Zutritts der Marder an den Köder nöthig ist, so riskirt man auch nicht, daß Katzen oder kleine Hunde in die Falle gehen.

Liegen in diesen Andeutungen wohlgemeinte Winke für Jagdliebhaber und Raubthierfänger, denen Handlungen auf den Preiscouranten neben empfehlenswerthen Fangapparaten stets auch die grausamsten Werkzeuge anpreisen, so beschäftigen sich die nachfolgenden Betrachtungen mit den fast in jeder Haushaltung gebräuchlichen Fanganstalten zur Vertilgung schädlicher Nager.

Wenn wir die Fallen der umherziehenden Mausfallenkrämer durchmustern, so finden wir darunter selten eine, welche darauf berechnet wäre, dem verhaßten Nagethier wenigstens einen möglichst schmerzlosen Tod zu bereiten oder Quälerei zu verhüten. Die Berufung auf die unzähligen Unbilden aber, die von diesen Thieren zur Plage und Belästigung der Menschen verursacht werden, kann die Gleichgültigkeit gegen die Todesart der Gefangenen ebensowenig rechtfertigen, wie der Abscheu und Ekel, den diese Thiere etwa erregen.

Auf den ersten Blick scheinen jene Fallen vielleicht harmloser, als sie es in Wirklichkeit sind. Es wird beim Fange kein Glied verletzt. Hinter der Maus oder Ratte schlägt die Fallthür zu, und die Verhaßte sitzt gefangen in einem Drahtkäfig bis zum Morgen, wo ihr dann schnell genug vom Leben zum Tode verholfen wird. Aber man besehe sich doch einmal eines Morgens das abgehetzte Thier näher! Wir finden es in einem traurigen Zustande: vom Toben ermattet und schweißgebadet, oft an Schnauze und Füßen vom Einschnitt der Drähte oder vom Riß spitzer Enden derselben blutend.

Anders liegt die Sache, wenn man sich jener eisernen Fallen bedient, deren Bügel mit scharfen Zacken versehen sind und deren Federn ein wirksames kräftiges Zuschnellen veranlassen. Sie packen die Ratte, welche man in schwierigen Fällen erst mit Speckbröckchen kirre machen kann, am Kopf oder Hals und zermalmen edle Theile. Noch mehr zu empfehlen sind die sogenannten Studentenfallen, sowie die im Princip ähnlichen Klotzfallen, bestehend aus einem hölzernen Kästchen, auf dessen Boden der Köder hingestreut ist, und einem Galgen, der einen entsprechend schweren Würfelklotz zum Niederfallen trägt. Für Mäuse ist indessen die beste Falle ein etwa drei Finger dicker, länglich viereckiger Holzklotz mit rund eingebohrten Schlupflöchern auf der Frontfläche, über dessen Oberfläche sich ein hinten mit gewundener Feder befestigter, vorn in einer runden Schlinge endigender Draht erhebt. Dieser Draht wird niedergedrückt, wobei die Schlinge in einen von der Oberfläche bis auf den Grund des Schlupflochs führenden Einschnitt sich senkt, und wird dann mit einem Faden, der hinter dem Einschnitt abwärts und aufwärts so durch den ganzen Klotz geführt wird, daß er doppelsträngig das Schlupfloch passirt, festgebunden. Hinter den Fäden im Inneren des Schlupflochs ist Mehl oder gestoßener Hafer etc. angebracht. Die Maus beißt, um zu dem Köder zu gelangen, die Fäden durch und wird sofort strangulirt.

Es ist gewiß nicht nöthig, auf alle grausamen Fangapparate aufmerksam zu machen, welche die menschliche Erfindungskraft ersonnen hat. Unser Zweck wird schon erreicht, wenn wir es vermögen, unsere Leser zu einer von humaner Rücksicht geleiteten Ueberlegung beim Ankauf oder Anfertigen von Thierfallen zu bewegen.

Es ist viel, sehr viel über die Vogelliebhaberei geschrieben und raisonnirt worden, und wir wollen hier die Feinde dieser Liebhaberei nicht widerlegen. Nur das sei als das Resultat unserer Erfahrungen und Beobachtungen in kurzen Zügen hingestellt: das verständige, auf wissenschaftlichem und erfahrungsmäßigem Studium beruhende Halten der Vögel in der Gefangenschaft bereitet ihnen keine Einbuße ihres Wohlbehagens oder gar ihrer Lebensdauer; letztere wird vielmehr unter günstigen Verhältnissen bedeutend verlängert, und die Thiere treten unter liebevoller Pflege und Behandlung in ein wahrhaft intimes Verhältniß zu ihrem Besitzer. Dagegen werden so unzählige Mißgriffe in der Eingewöhnung, Wartung und Unterbringung der Gefangenen begangen, daß sie in den Händen Unverständiger der Quälerei vielfach ausgesetzt erscheinen.

Und da wir wohl wissen, daß trotz aller Aufsicht und Strafandrohung der Vogelfang doch nicht ganz aufhören wird, so wollen wir den Vogelfängern, die unter den Tausenden und aber Tausenden von Rothkehlchen alljährlich sich das eine oder andere zur Reinigung der Stube vom Ungeziefer und zur Belebung der Winterstille fangen, die Warnung zugehen lassen, das allbeliebte Fangwerkzeug „Sprenkel“ nicht zu hart und eng zu spannen, und das Ende des Schlingfadens mit weichem Zunder zu versehen, damit die dünnen Beinchen der zarten Vögel nicht zerbrochen werden.

Den Fischern aber sei in Bezug auf den Fischfang auch ein freundschaftlicher Wink gegeben. Wenngleich es richtig ist, daß die Empfindung der höheren Thiere weit feiner ist, als diejenige der niederen, so haben doch die Fische als Rückgratthiere sicherlich noch immer Empfindung in genügendem Maße, um vor Mißhandlung beschützt werden zu müssen. Nie lasse man den zu Lande gebrachten Fisch auf dem Trocknen langsam sterben, sondern ein Schnitt in das Genick oder ein Schlag auf den Hinterkopf beschleunige seinen Tod. Grausam ist der Fang mit der Nachtangel. Die Angel mit dem Widerhaken bohrt sich in's Fleisch und verursacht im Innern sicherlich große Schmerzen. So zagt und zappelt das arme Thier die Nacht hindurch, reißt oder beißt vielleicht, wie wir es beim starken Aal beobachtet haben, die Schnur durch und schleppt den schmerzenden und die Aufnahme von Nahrung hindernden Haken mit sich herum, nach und nach dem Tode verfallend. Auch auf dem Gebiete des Fischfangs sollte man über Erfindungen zur Milderung oder Beseitigung der Qualen, die den Thieren bereitet werden, nachsinnen.

Wenn wir endlich noch der Mißhandlung der Schmetterlinge und Käfer durch Sammler gedenken, so richten wir ein Mahnwort vorzugsweise an die Jugend. Ein Druck mit dem Daumen und Zeigefinger auf die Seiten des Vorderleibes und der durchbohrende Stich der Nadel genügen nicht einmal bei den Tagfaltern, um den alsbaldigen Tod herbeizuführen, wie viel weniger bei den dickleibigen und zählebigen Abend- und Nachtfaltern. Schmetterlinge wie Käfer bedürfen zum raschen Sterben wirksamer Mittel, jene des Aethers, diese des Spiritus.

Eine nie ermüdende Sorge um Erhaltung des menschlichen Gefühls lenke das wachsame Auge der Eltern und Erzieher auf die Kinder, die mit Netzen und Schachteln ausziehen, um Insecten zu sammeln! Wie mancher Bube hat an solchen Thierchen die ersten Probestücke eines Zuges zur Grausamkeit versucht und es darin [396] nach und nach zur Meisterschaft gebracht, die er dann an höher organisirten Thieren und schließlich auch an Menschen probirte.

Leider steht der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts noch immer, trotz aller Humanitätsbestrebungen, in gar mancher Beziehung auf dem Boden der Verirrung menschlichen Gefühls. Denn eine beklagenswerthe Verirrung muß es genannt werden, wenn der Mensch, der sich selbst mit so natürlichem Triebe grausamer Behandlung zu entziehen sucht, anderen Geschöpfen dieselbe zufügt. Der Thierquäler glaubt sich wohl mit der Behauptung entschuldigen zu können, die Thiere hätten solche feine Empfindung nicht, wie der Mensch, es sei mehr ein Scheinschmerz, den wir an ihnen wahrnähmen, als ein wirklicher oder mit dem äußeren Gebahren übereinstimmender. Einen großen Theil dieser gänzlich falschen Anschauungen hat eine starre Orthodoxie zu verantworten, welche in dem Thiere ein seelenloses Wesen, gleichsam eine lebendige Maschine erblickt, die blind arbeite nach dem Willen des verborgenen Lenkers und nur zum Dienste des von der thierischen Schöpfung isolirt dastehenden Menschen geschaffen sei. Unter dem Eindrucke der Voraussetzung eines solchen Verhältnisses zwischen Mensch und Thier ist ersterer zur Geringschätzung und harten Behandlung der letzteren hingeführt worden.

Wir gehören nicht zu den empfindsamen Naturen und theilen in keiner Weise die Ueberschwänglichkeit sentimentaler Thierschutzvereinler. Aber wie wir, mit unter den Ersten, dem Seelenleben der Thiere das Wort redeten, so wollen wir auch nicht aufhören, unsere Forderungen an Vernunft und Herz des Volkes zu richten, um dem Thiere ein besseres Loos im Dienste der es benutzenden Menschheit und ein besseres Ende in der Gewalt seiner Verfolger zu sichern.

Karl Müller.




Blätter und Blüthen.


Tiger im Lager. (Vergl. die Abbildung auf S. 385.) Heutzutage dem Publicum eine Belehrung über die Naturgeschichte des Tigers geben, hieße Eulen nach Athen tragen. Gute Naturgeschichtswerke sind in Aller Händen, und der schrecklichste, gewaltigste aller vierfüßigen Räuber fehlt sicher auch in dem kleinsten nicht. In den großen Städten braucht man nicht einmal auf die Jahrmärkte mit ihren Menagerien zu warten, um ihn zu Gesicht zu bekommen: eine große Zahl dieser Städte hat bereits stehende Thiergärten, und auch hier gehört der Besitz eines Tigers zu den ersten Erfordernissen. Selbst die Schilderungen von Tigerjagden, einst das Entzücken gruselbedürftiger Leser, sind aus der Mode: man ist davon übersättigt; auch die kühnste Phantasie vermag diesem Stoffe kaum neue Seiten abzugewinnen.

Und doch: ob ich den so riesenstarken wie geschmeidigen „König der Wälder“ im schmalen Käfig tausendmal auf- und abschleichen sehe, ob ich die Zahl seiner Knochen und Zähne an den Fingern herzählen kann – ich kenne den Tiger erst, wenn mir einmal irgendwie das ganze herzlähmende Grauen im Gefühl vermittelt worden ist, welches über dem Jagdrevier des königlichen Thieres in freier Wildniß liegt, jene Atmosphäre von Tod und Verderben, von lauschender Einsamkeit, welche jeden Augenblick aufschrecken kann durch ein erschütterndes Gebrüll, das doch zugleich katzenhaft widrig in dem kaltfeuchten Laubdunkel erdröhnt, durch wilde, unheimlich lautlose, in hundert Muskeln spielende Tigersprünge, von deren Federkraft die matten, vorsichtig gewordenen Bewegungen im Käfig kaum etwas ahnen lassen.

Dieses Gefühl vermag nur die Reise in die Tigerreviere, oder aber der Künstler zu vermitteln, dem ein Anschauungsvermögen gegeben ist, wie es der menschlichen Durchschnittsphantasie versagt bleibt – der echte Künstler; und ein solcher echter Künstler von Gottes Gnaden ist Paul Meyerheim. Ein Blick auf die düstere Scenerie unseres Bildes, auf diese Bestien, welche sich offenbar so völlig zu Hause fühlen und so ganz geben, wie sie sind, auf die ganze Unheimlichkeit dieser mit abgenagtem Gebein bestreuten Waldstelle im tiefsten Dickicht, genügt, um zu fühlen: das sind wahre und wahrhaftige Tiger. –

Die Meyerheims sind eine ganze Künstlerfamilie. Man kennt längst den Großvater Karl Friedrich Meyerheim und seine Söhne und Schüler: Friedrich Eduard, den vor kurzer Zeit verstorbenen Meister in der Darstellung idyllisch gemüthlichen Volkslebens, und Wilhelm Alexander, welcher in Pferde-, Lager- und Schlachtenscenen excellirte. Von den Söhnen Friedrich Eduard’s hat sich der ältere, Eduard Franz, der Art des Vaters angeschlossen, indem er liebenswürdige Genrebilder von zarter Ausführung und guter Färbung malte; er folgte dem Vater vor Wochen im Tode nach. Der jüngere Sohn Paul ist zweifelsohne der Bedeutendste unter den Fünfen und wohl der genialste Thiermaler der Gegenwart. Im Jahre 1842 zu Berlin geboren, auf der Akademie daselbst unter Holbein, mehr noch unter seinem Vater ausgebildet, kehrte er nach mannigfachen Wanderungen, die ihn besonders in England bedeutsame Anregungen finden ließen, in die Heimath zurück, wo er seit 1869 auch als Mitglied der Akademie wirkt.

Seinen Ruf begründete eine Reihe origineller Bilder, in welchen er Thiere Genrescenen aus dem modernen Menschenleben darstellen ließ; zeigten schon diese Bilder eine ungewöhnliche Herrschaft über Farbe und Form, ein fast photographisches Auffassungsvermögen für die Natur, so wurden die späteren Arbeiten Meyerheim’s immer freier, realistischer und durchgeistigter: Aquarellen, Illustrationen, Fresken und Oelgemälde folgten einander, deren Aufzählung im Einzelnen hier zu weit führen würde. Am meisten gesehen dürften die Malereien des Antilopenhauses im Berliner zoologischen Garten sein. Einem prächtigen Löwenbilde ließ er vor Kurzem unser Tigerbild folgen, das Letzte, was von ihm, allgemein bewundert, die Runde durch die deutschen Ausstellungen gemacht hat.




Ein unglückliches Grafenkind. Aus Oldenburg im Großherzogthum schreibt uns ein Eisenbahnbeamter, sein Bruder, ein Matrose, sei jüngst von einer Reise aus Laguna (auf einer gleichnamigen Insel in der Campeche-Bai) zurückgekehrt und habe dort einen „Grafen von L.“, den Sohn eines ehemaligen hannöver’schen Hofbeamten, kennen gelernt, und zwar in einem wahrhaft jammervollen Zustande. Der junge Mensch habe ihm erzählt, er sei in Deutschland Zögling einer Cadettenanstalt gewesen und habe in der Abgangsprüfung nicht bestanden, worauf er seine Eltern um die nöthigen Mittel für die Wiederaufnahme des Studiums gebeten habe. Diese seien ihm gewährt worden, er aber habe in der Angst, daß er das Ziel doch nicht erreichen werde, und aus Furcht, mit diesem Geständniß vor seine Eltern zu treten, es vorgezogen, sich als Schiffsjunge auf einem deutschen Schiffe zu vermiethen. Schwächlich, wie er war, und den Strapazen nicht gewachsen, sei er unterwegs erkrankt und in Laguna, wo das Schiff Anker warf, in’s Hospital gelegt worden. Nach langer Krankheit genesen, blieb er, zu körperlicher Arbeit unfähig, als eine Art Krankenpfleger im Spital und erhält für seine Dienste wenigstens das tägliche Brod. Um sich aber nothdürftig wieder kleiden zu können, sei er gezwungen, beim Beladen der Schiffe ab und zu mit thätig zu sein. Der Bruder unseres Gewährsmanns war selbst Zeuge davon und erzählte, es habe ihn gejammert, wie der arme Mensch mit schlotternden Beinen herangewankt sei, die schweren Blauholzblöcke auf der Schulter. Nach jeder solchen Anstrengung liege er wieder krank darnieder. Warum er nicht heimkehre? Auf diese Frage erwiderte er, es nehme ihn seiner Schwäche und seines Kleidermangels wegen kein Schiff mit; die Hauptursache seines Bleibens in der Fremde schien aber auch jetzt noch dieselbe zu sein, die ihn in die Ferne trieb.

Wir geben den direct nicht zu ermittelnden Angehörigen des in Laguna Darbenden mit der Angabe des Ortes die Möglichkeit an die Hand, den Halbverlorenen und Schwergeprüften zu retten. Aber auch der Brief unseres Correspondenten steht, mit dessen ausdrücklicher Erlaubniß, auf Meldung der Betreffenden zur Verfügung.




Anfrage. Wer giebt uns eine Anstalt an, in welche gebrechliche (z. B. lahme) Personen sich auf Lebenszeit einkaufen können? Und wie hoch stellen sich die Kosten einer solchen Einkaufung?




Gefunden. Es freut uns, mittheilen zu können, daß der vermißte Friedrich Edlinger uns seine Adresse angegeben hat; die Verwandten Edlinger’s können dieselbe jederzeit von uns erhalten.



Kleiner Briefkasten.

A. Z. Br … Sie sehen in unserm Schweigen eine Sie „verletzende Mißachtung“? Wenn die Versenkung Ihres Manuscripts in den Papierkorb von Ihnen selbst, wie Sie zugeben, befürwortet war, wozu dann noch eine besondere Mittheilung über die feierlich stattgehabte Execution? Unsere Correspondenz, respective unser „Kleiner Briefkasten“, würde eine ganz unverhältnißmäßige Ausdehnung annehmen, wenn wir alle Erzeuger solcher todeswürdigen geistigen Kinder auch noch mittelst Feder oder Druckerschwärze von der vollzogenen Ueberführung derselben vom Leben zum Tode benachrichtigen wollten.

Nürnberg 27/4. Nicht geeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript.

E. Z. in Fulda. Sie finden die gewünschte Auskunft in unserer Nr. 49 vom Jahre 1879 unter „Blätter und Blüthen“.

K. H. in Prag. Die zwei Strophen im Artikel „Erwachendes Leben“ (Nr. 16 der „Gartenlaube“) gehören ursprünglich dem in österreichischer Mundart gedichteten Volksliede „’s Mailüfterl“ von Anton Freiherrn von Klesheim an. In die hochdeutsche Form sind jene beiden Strophen aus einer Umdichtung in Coburger Mundart von Fritz Hofmann übertragen worden.

Alter Abonnent aus G. Das von Ihnen angeführte Buch gehört durchaus in das Gebiet der Schwindelliteratur.

E. Marold in München. Das Eingesandte ist zum Druck leider nicht geeignet und steht zu Ihrer Verfügung.

E. E. in Riga. Vergleichen Sie unsern Artikel „Coca und Pentsao“ in Nr. 47 von 1878!

L. Z. in L. Nein, das Borckmann’sche Bild „Eine Festtafel zu Ehren Mozart’s bei Schikaneder“ (in Nr. 18) ist nach einer Photographie im Verlage der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin angefertigt.

P. G. in Sch. Wiederholen Sie Ihr Gesuch unter voller Angabe Ihrer Adresse!

R. V. in Naumburg. Wenden Sie sich an die Expedition der „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Leipzig, Peterskirchhof Nr 4, I! Wir haben oft genug erklärt, daß wir mit der Verwaltung jener „Anzeigen“ und der Verantwortlichkeit für dieselben nichts zu thun haben.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Eine ausführliche Mittheilung über Gestalt und Charakter, wie über die Verpflanzungen und wunderbaren Wirkungen dieses riesigen australischen Gummibaumes ist von der „Gartenlaube“ bereits in Nr. 5 des Jahrgangs 1876 aus der geschätzten Feder ihres naturwissenschaftlichen Berichterstatters gegeben worden. Es gereicht uns zur Freude, in den obigen Schilderungen aus Rom die Angaben jenes früheren Artikels an einem so hochinteressanten Beispiel bis auf den letzten Punkt bestätigt zu sehen. Bedauerlich ist nur, daß man noch nicht allgemeiner Sorge getragen hat, das große Wasserbedürfniß dieses majestätischen Baumes zur Austrocknung morastigen Bodens und die aromatischen Ausdünstungen seiner Blätter zur Verbesserung der verheerenden Sumpfluft zu benutzen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: qäulte