Die Gartenlaube (1888)/Heft 2

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1888
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt.
Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Vor alten Zeiten waren die liegenden Gründe des weiten Paulinenthales und die von da bergaufkletternden mächtigen Waldungen in einer Hand vereint gewesen. Die Gerold von Altenstein hatten unumschränkt geherrscht über Leben und Tod jeglicher Kreatur, die in meilenweiter Runde sich rührte und regte, über das Bäuerlein hinter dem Pfluge, das Wild im Walde, das schuppige Leben in Fluß und Teich. Später, vor mehr als zweihundert Jahren, hatte ein aus langer, blutiger Fehde glücklich heimgekehrter Herr Benno von Gerold um eines nachgeborenen Spätlings seines Stammes willen das Gut Altenstein zwischen diesem und seinem Erstgeborenen getheilt – so war die Linie Gerold-Neuhaus entstanden. – Lange Zeit hindurch war sie die weniger begüterte und in geringerem Ansehen stehende verblieben; dann aber hatten verschiedene Male reiche Erbinnen in das Haus geheirathet, und einzelne Träger des Namens hatten sich im Kriege hervorgethan. Ihre Nachkommen fußten auf den Verdiensten der tapferen Haudegen; sie rückten, Stufe um Stufe, allmählich in die höchsten Hofämter ein, und schließlich gipfelte dieses Emporklimmen in der Vermählung des Jüngsten und Schönsten mit einer Prinzessin des regierenden Hauses.

Fräulein Beate von Gerold hatte mithin Recht, so sicher und zuversichtlich in ihrer schönen Equipage heimzufahren; denn sie war die einzige Schwester jenes „Jüngsten und Schönsten“ und verwaltete, so jung sie auch noch war, in seiner Abwesenheit als bevollmächtigte Herrin das alte Stammgut. Und das Verwalten, das Wirthschaften verstand sie aus dem Grunde, wie alle ihre Vorgängerinnen es verstanden hatten. Selbst Hand und Fuß rühren, den Morgenschlaf bekämpfen und mit hellem, scharfem Blick bis in den dunkelsten Winkel des Hauses hinein scheinbar allgegenwärtig zu sein: das war zu allen Zeiten der Wahlspruch in der Hausfrauenstube zu Neuhaus gewesen. Die Leute im Dorfe sagten, es sei noch gar nicht so lange her, daß das alte Erbspinnrad mit seinem hohl ausgetretenen Trittbrett und dem „flinkernden Wockenband“ Tag für Tag im Winter am Stubenfenster geschnurrt und draußen vor dem Hause das selbstgesponnene Leinen zur Sommerzeit auf dem


Blick in den Lichthof des Zeughauses in Berlin.
Originalzeichnung von L. Dettmann.

[22] Bleichrasen gelegen habe. Dieser Bienenfleiß und das scharfe Regiment in Milchkeller und Vorrathskammern sollten denn auch hauptsächlich den Reichthum „zusammengescharrt“ haben; das ließen sich die Leute im Dorfe nicht nehmen. Nun, so ganz unfehlbar war dieses Spinnstubenurtheil wohl nicht.

Die Altensteiner, von denen, just in diesem Moment, die Letzten im Miethwagen das Erbe ihrer Väter auf Nimmerwiederkehr verließen, konnten auch auf eine lange, ununterbrochene Reihe braver, fleißiger Hausmütter zurückblicken – es war auch in Altenstein zu allen Zeiten rüstig geschafft und gesorgt worden. Aber das Gut lag tiefer als Neuhaus, und in den letzten Jahrzehnten hatte ein unglücklicher Zufall es wiederholt gefügt, daß gerade über dem Paulinenthal wolkenbruchartige Gewitter niedergegangen waren. Binnen wenigen Minuten hatten die stürzenden Wassermassen und der überschäumende Fluß die niedriger gelegenen Gründe überfluthet; die Ernteaussichten waren vernichtet und der Grund und Boden auf Jahre hinaus verwüstet und verdorben gewesen – damit hatte bei allem Fleiß das verhängnißvolle „Rückwärts“ begonnen.

Und diese Schicksalsschläge waren just in das Leben eines Mannes gefallen, der alle Tugenden seines alten Geschlechts, die Tüchtigkeit des Landwirthes, den Soldatenmuth, die Treue und Hingebung für das angestammte Herrscherhaus, und wie sie sonst heißen mögen, diese Tugenden, in sich vereinigt; der Oberst von Gerold war ein echter Sohn seines Stammes gewesen. Nur auf einem Wege, einem unheimlichen, den alle seine Vorfahren streng gemieden, war er abseits gegangen – die Leidenschaft des Spieles hatte eine furchtbare Gewalt über ihn gehabt. Er hatte ganze Nächte hindurch gespielt und Unsummen geopfert, und wie die Gewitterniederstürze am Grund und Boden gewühlt und seinen Besitz schwer geschädigt hatten, so war jenes Laster verheerend in den alten Familienschrein eingedrungen, der seit Jahrhunderten die klingenden Schätze, die Werthpapiere und Dokumente in sich geschlossen. – Dieses unheilvolle Leben hatte einen jähen Abschluß gefunden durch die Pistolenkugel eines Kameraden, den der Oberst in Folge eines Wortwechsels am Spieltisch gefordert; wie eine ausgeblasene Flamme war es urplötzlich verlöscht und der Welt entrückt worden – „just noch zur rechten Zeit“, hatten die Leute gemeint; aber sie hatten geirrt; es war schon nicht viel mehr zu verlieren gewesen. –

Die umflorten Augen der schönen Hofdame streiften das von Studium und Stubenluft blaß angehauchte Gesicht des neben ihr sitzenden Bruders, über welches sich allmählich, gleichsam mit jedem Umrollen der Räder mehr, ein Glanz von stiller Freudigkeit verbreitete. Ja dieser, „der Träumer und Sterngucker“, wie er sich selbst anklagend nannte, der von seinem Aufenthalt in Spanien nach jener furchtbaren Katastrophe schleunigst Heimberufene, hatte retten sollen, was noch zu retten möglich. Er hatte es nicht gekonnt, um so weniger, als das junge Weib an seiner Seite, die zarte Andalusierin, ihre schönen Augen konsequent mit stillem Entsetzen von dem Beruf einer deutschen Hausfrau abgewendet. Er hatte schließlich nur noch ihr, der Dahinsiechenden, gelebt und die letzten Geldmittel erschöpft, um ihr gegenüber die Täuschung des Ueberflusses im Hause aufrecht zu erhalten, bis „der Engel der Erlösung sie von ihrem Schmerzenspfühl hinweggenommen“; dann hatte er resignirt das Trümmerwerk des ehemaligen Wohlstandes über sich zusammenbrechen lassen.

Claudine sah, wie in diesem Augenblick ein tiefes, erleichterndes Aufathmen seine Brust hob. Sie folgte der Richtung seines Blickes – ach ja, dort hob sich das grauschwarze Zinnenviereck des Thurmes über die Waldwipfel! Dort lag das Eulenhaus, das schützende Dach, das sie beherbergen sollte! – Wie hatte man bei Hofe gelächelt, wenn Claudine alle ihre Ersparnisse hingegeben, um das alte Gemäuer, das Vermächtniß ihrer Großmutter, in Bau und Besserung zu erhalten! Nun kam der Segen.

Sie konnte heimgehen von dem heißen Boden des Hofes in die Kühle und Stille unter grünen Bäumen – und da war sie zu Hause! „Zu Hause!“ wie das doch erlösend und beruhigend klang nach all dem Zwiespalt, den Aufregungen der letzten Monate! – Und der neben ihr saß, er brauchte nicht in eine Miethwohnung zu ziehen; er blieb auf Gerold’schem Grund und Boden, wenn auch nur in einem Waldwinkel, dem äußersten Zipfelchen des ehemaligen großen Besitzthums. Da hatte einst das Kloster Walpurgiszella gestanden, hart an der Scheide, welche die beiden Geroldshöfe trennte. Das Kloster wurde von einer frommen, schwergeprüften Ahnenmutter des alten Geschlechts erbaut, aber im Bauernkrieg zum Theil wieder zerstört; dann hatten die Gerolds den von ihnen an die Stifterin geschenkten Baugrund wieder zurück erworben, und der kleinere Theil, das Grundstück mit den Ueberresten der Baulichkeiten, war Denen von Neuhaus zugefallen. Sie hatten den Trümmern nie Beachtung geschenkt; was stürzen wollte, das ließen sie stürzen, und Zeitenlauf und Wetter hatten nagen und abbröckeln dürfen, so viel sie gewollt. Nur ein Seitenbau, das ehemalige sogenannte Sprachhaus der Nonnen, welches vom Feuer ziemlich verschont geblieben, war nothdürftig im Stand erhalten worden – man hatte einen Waldhüter hineingesetzt. Im Ganzen aber war der entlegene wüste Besitz den Eigenthümern mehr eine Last gewesen, und sie hatten sich deßhalb nicht lange besonnen, dasselbe später einem Altensteiner, dem Großvater des letzten Gerold-Altenstein, gegen ein ihnen bequemer gelegnes Stück Ackerland zu überlassen. „Eine lächerlich romantische Grille!“ hatten sie im Stillen gemeint, als ihnen der Altensteiner mitgetheilt, daß seine Frau sich das malerische Fleckchen Erde wünsche. Und er hatte es dem geliebten Weibe als alleiniges Eigenthum verbrieft und besiegelt geschenkt – so war das Eulenhaus an Claudinens Großmama gekommen.

Nun kam auch schon das hoch in die Lüfte ragende, freistehende südliche Portal der einstigen Klosterkirche in Sicht. Das mächtige Fensterrund droben in dem schwarz angerauchten Gemäuer füllte eine durchbrochene Steinrosette. Wie ein Spinnennetz, so zart verschlungen hoben sich die steinernen Fäden von dem dahinter leuchtenden jungen Maigrün der Wipfel. Ja, die Großmama hatte einst ihre ganze Sparbüchse geleert, um ihr geliebtes „malerisches Fleckchen Erde“ vor weiterem Verfall zu schützen. Von der Kirchenruine löste sich seit Jahren kein Stein mehr, und das ehemalige Sprachhaus war mit der Zeit ein ganz wohnliches Asyl, der Wittwensitz der alten Frau geworden. Da hatte sie gelebt, seitdem ihr Mann die Augen für immer geschlossen, und die schönsten Blumen gezogen auf dem ehemals wüsten, vermoosten Grunde neben der Kirche, dem Gräberfeld der Nonnen, dem Walpurgiskirchhof, wie ihn das Volk nannte.

Der alte Heinemann, der langjährige Gärtner des Geroldshofes, war ihr Faktotum gewesen. Er hatte unter unsäglichen Mühen das verwahrloste Grundstück wieder ertragsfähig gemacht; ein wohlgerathenes Kind hätte ihn nicht mehr beglücken können, als dieser dankbare Erdenfleck. Der alte Mann war deßhalb auch mit seiner Herrin gegangen, als sie sich in das Eulenhaus zurückgezogen, und bewohnte heute noch sein Stübchen im Erdgeschoß, als eine Art Kastellan, wie es die alte Dame testamentarisch angeordnet. Und er wachte über jeden Mauerstein, der loszubröckeln drohte, über jeden Unkrautkeim, den der Wind von Wald und Wiesen herüberwehte – „wie ein Cerberus – er zählt die Grasspitzen!“ sagte Fräulein Lindenmeyer, die ehemalige Kammerfrau der verstorbenen Herrin. Auch ihr war ein Asyl im Eulenhaus für Lebenszeit zugesichert worden. Sie bewohnte das vornehmste Zimmer im Erdgeschoß, die freundliche Eckstube, wo sie mit ihrem Strickzeug und einem Leihbibliothekenroman Tag für Tag am Fenster sitzen und die drüben vorbeilaufende Chaussee überblicken konnte.

Diese zwei alten Menschen hausten einträchtig neben einander. Sie kochten auf einem Herd und zankten sich nie, wenn auch Fräulein Lindenmeyer oft genug heimlich indignirt ihre Chokoladen- und Weinsuppentöpfchen von dem aufdringlich duftenden Sauerkraut- oder Lauchgericht des Gärtners weit wegrückte.

Claudine hatte den beiden Alten ihre und ihres Bruders Ankunft mitgetheilt und sah nun mit Genugthuung dort über den Baumwipfeln ein dünnes Rauchsäulchen aufsteigen und langsam zerfließen. Fräulein Lindenmeyer kochte jedenfalls einen guten Nachmittagskaffee und machte den „armen Hiob“ die letzte Kartoffelsuppe auf dem unheimisch gewordenen Geroldshofe vergessen … Fernherüber krähte der Haushahn, der mit seinen sechs Hennen in einem Mauerwinkel des zerstörten Kreuzganges residirte, und hoch über dem Rauchschleier des Schornsteins kreisten Heinemann’s weiße Tauben, winzig und glänzend wie Silberflitter am blauen Frühlingshimmel.

[23] Nunmehr machte die Chausseelinie eine weite Schwenkung nach rechts, und da trat allmählich das ruinengeschmückte, kleine Wiesen- und Garteneiland aus dem Waldschatten hervor. – Dort lag das aus Bruchsteinen erbaute enge Haus, das einst der Brandfackel der rebellischen Bauern tapfer widerstanden, das Gemäuer rauh und rauchgeschwärzt und von einem Netz frischer Mörteladern förmlich übersponnen. Ein Adelssitz war das freilich nicht, und die grauen Röcke der in die Kirchenruinen zurückgedrängten Eulenbrut hatten jedenfalls immer besser hineingepaßt als lange Hofdamenschleppen. Immerhin! Es war trotz alledem ein gemüthliches Nest für genügsame Menschenkinder; es lag mitten im schwellenden Grün, und seine neuen Fenster mit ihren sauberen Rollgardinen saßen in der uralten Physiognomie wie junge, blanke Augen.

„Just in der allerschönsten Zeit, gnädiges Fräulein!“ sagte Heinemann, den Wagenschlag öffnend. „Die Beete noch dick voll Narcissen und Tulipanen und die Bauernrosen mit Köpfen zum Aufplatzen; und dazu laufen die Kinder schon mit Maiblumensträußchen im Walde ’rum!“

Er war bei Herankommen des Wagens bis auf die Chaussee herausgelaufen. Barhäuptig, den vollen, heißen Nachmittagssonnenschein auf seinem starren, graugelben Haarwust, half er den Ankommenden beim Aussteigen.

„Ja gelt, da riecht’s gut, kleines Fräulein?“ lachte er, indem er die kleine Elisabeth aus dem Wagen hob und für einen Moment auf dem Arm behielt. Das Kind sog mit sichtlichem Wohlbehagen die herüberwehende Luft ein. „Alles eitel Duft, Alles ein Blühen, wohin der Mensch guckt, Kindchen! Ja, der liebe Herrgott meint es gar gut mit dem alten Heinemann!“

Er hatte Recht. Ein wahres Gewoge von Narcissendüften und dem berauschenden Odem aus tausendfältigen Kelchen des persischen Flieders erfüllte die Luft.

„Wollen wir nun zu Fräulein Lindenmeyer gehen?“ fragte er die Kleine mit lustigem Augenzwinkern und einem breiten Schmunzeln um den dicken, strohernen Schnurrbart. „Dort steht sie mit ihrem allerschönsten Bandwerk auf dem Kopfe! Hat den ganzen Morgen Kuchen eingemengt und kein einziges Ei im Hause heil und ganz gelassen.“

Claudine ging lächelnd an ihm vorüber nach der Thür im Stacketenzaun, wo zwischen zwei den Eingang flankirenden Eibenbäumchen der altmodische Kopfputz von granatrothen Bändern auf Fräulein Lindenmeyer’s grauen Scheitelpuffen sichtbar wurde.

Dieses gute, alte Mädchen hatte bei dergleichen Gelegenheiten stets ein feierliches Citat aus Schiller oder Goethe in Bereitschaft. Heute aber zitterten ihre eingefallenen Lippen im Ringen mit der inneren Bewegung – kam doch der schöne, edle Mann da, ihr Stolz, der ehemalige Herr auf dem schönsten Gute weit und breit, und suchte Zuflucht – im Eulenhaus!

Aber er nahm heiter gelassen ihre bebende kleine Rechte, die eben das Batisttüchelchen an die geängstigten nassen Augen drücken wollte, mit warmem Druck zwischen seine Hände.

„Ich möchte wissen, ob Fräulein Lindenmeyer mich immer noch so gut versteht und vertritt wie einst, wenn es galt, dem blöden Jungen etwas Gutes bei der Großmama zu erwirken?“ sagte er in sanft scherzendem Ton, wobei er sich tief bückte, um in ihr Gesicht zu sehen.

Da strahlten ihre Augen auf. „Ei, nun ja, ich denke doch!“ antwortete sie wie verschämt und doch mit triumphirender Bestimmtheit. „Die Glockenstube ist hergerichtet! – Ach ja, himmlisch schön ist’s da oben! Ein richtiges Poetenwinkelchen! Welche fühlende Seele sollte das nicht verstehen?“

Er lächelte und drückte nochmals ihre Hand, während sein aufleuchtender Blick über den Garten hinflog. Dem südlichen Portal der Kirchenruine entgegengesetzt und in gleicher Frontstellung mit dem ehemaligen Sprachhaus, wenn auch ziemlich weit abgerückt, erhob sich der Glockenthurm der Klosterkirche. Brand, Sturm und Wetter hatten den einst hoch und spitz in den Himmel hineinragenden, stolzen Bau allmählich zum stumpfen Thurm degradirt. Bis zur Glockenstube herab war er zerfallen gewesen, bis die aufbessernde Hand des Maurers der Verwüstung Einhalt geboten. Die verstorbene Besitzerin hatte Thurm und Wohnhaus durch einen kleinen Zwischenbau verbunden, der im Erdgeschoß zu einem Winteraufenthalt der Pflanzen eingerichtet war, im oberen Stock aber eine auf beiden freien Seiten von einem Geländer eingefaßte Plattform bildete, zu welcher sowohl von den Zimmern des Wohnhauses wie der gegenüberliegenden unteren Thurmstube Glasthüren führten. Ueber Alles hinweg aber blinkten hoch oben die Fenster der Glockenstube, die ihren Namen behalten hatte.

Und nun hinein in den letzten Zufluchtsort der Verarmten!

Während Heinemann Koffer und Korb vom Wagen hob, schritten die Anderen dem Hause zu. Einen Moment blieb Claudine allein vor der Hausthür stehen; sie bog sich zur Seite, anscheinend um den Duft einer ihre Schulter streifenden Syringenblüthe einzuathmen, aber ihre Gedanken irrten weit ab … Ueber diese Schwelle war sie vor drei Jahren hinausgegangen in eine Welt voll Glanz und rauschender Freuden. Sie war auf Großmamas Wunsch und Fürbitte hin Hofdame bei der Herzogin-Wittwe geworden. Leicht war es ihr nicht geworden, diese Stellung, die vielbeneidete, wieder aufzugeben – nein, wahrlich nicht! – Ihr abwesender Blick umschleierte sich und die Lippen zuckten. Sie war der ausgesprochene Liebling ihrer hohen Herrin gewesen und die edle Frau hatte sie insgeheim vor ihren Neidern und stillen Feinden zu schützen gewußt; so hatte sie fast nur die strahlende Seite des Hoflebens kennen gelernt. Nun lag das hinter ihr auf Nimmerwiederkehr, und ein tiefes Sehnsuchtsweh nach der milden, sanften Greisin, der sie gedient, brannte ihr jetzt schon im Herzen … Und leicht war es wohl auch nicht, das neue Leben, das sie sich vorgeschrieben. Dem Kinde ihres Bruders eine treue Mutter zu sein, für ihn die Lebenssorgen auf die Schultern zu nehmen und mit jedem Pfennig ängstlich zu rechnen, auf daß nicht doch die Noth durch das Eulenhaus schleiche – das wollte sie wagen, sie, die Unwissende, die Unerfahrene in alle dem, was des Lebens Nahrung und Nothdurft erheischte? – Aber mußte es nicht sein, wie ja auch ihr rasches Scheiden vom Hof hatte sein müssen?

Sie legte die Hand auf das ängstlich klopfende Herz und schritt langsam über die Schwelle und die enge, aber blüthenweiß gescheuerte Holztreppe hinauf. Als sie aber in das zunächst liegende ehemalige Wohnzimmer der Großmama trat, da athmete sie tief und erleichtert auf und sagte sich, daß es sündhafte Charakterschwäche sei, hier den Muth sinken zu lassen, hier, wo die stille genügsame Lebensführung einer milden und doch energischen Frauenseele aus jedem Stück der Einrichtung sprach, wo die lieben, alten Bilder guter Menschen traulich von den Wänden grüßten … Am Hofe hatten freilich deckenhohe Spiegel und Seidentapeten die Wände ihres Salons geschmückt; ihr Fuß war tief in den sammetweichen Teppich eingesunken, und ein reichgeschnitzter Baldachin mit niederrauschenden Seidenvorhängen hatte ihre Lagerstätte im anstoßenden Zimmer beschirmt. Aber dieselben venetianischen Glasflächen hatten schon die Gestalt ihrer Vorgängerin zurückgeworfen, derselbe Baldachin ihren Schlaf behütet und in den nächsten Tagen zog schon eine Nachfolgerin in dieselben schönen Räume – sie waren ja nur geliehen. Das aber, wo sie jetzt stand und Hut und Reisemantel ablegte, um dazubleiben, das war ihr Eigenthum, ihr Heim mit den einfachen, bequemen Möbeln, dem altväterischen Bücherschrein und dem unmodernen Geschirrschrank, der das Zinn und Porcellan der Großmama enthielt. Die kleine Elisabeth kam ihr mit einem Stück Kuchen in der Hand freudestrahlend entgegen; auf dem Sofatisch dampfte Großmamas messingene Kaffeemaschine; die Thür nach der Plattform des Zwischenbaues stand weit offen und ließ die Blumendüfte des Gartens hereinströmen, und jenseit dieser nur wenige Schritte langen Plattform sah man durch die schmale Glasthür in das untere Thurmzimmer, ihr ehemaliges Logirstübchen während der Institutsferien, die sie stets bei der Großmama verlebt hatte. Mehr aber noch als dieses traute Wiedersehen beruhigte und ermuthigte sie ein Blick auf ihren Bruder. Er hatte sich so elastisch aufgerichtet, als habe er eine Centnerlast von sich geworfen, und als sie später mit ihm hinaufging in die Glockenstube und er sein Manuskript auf die Wachstuchdecke eines einfachen Tisches am Fenster legte, da sagte er: „Es ist ein abgebrauchtes Bild, aber sein zutreffender Sinn bewegt mich tief in diesem Augenblick – mir ist zu Muthe wie Einem, der nach stürmischer Meerfahrt den Heimathboden betritt und niedersinken möchte, um ihn dankbar zu küssen!“



[24] Zwei Wochen waren seitdem verstrichen, Tage voll Mühe und Arbeit, aber auch voll befriedigenden Lohnes. – Ja, es ging, wenn auch da und dort ein Brandfleck die neuangeschafften Kochschürzen verunzierte, einige Geschirrscherben den Spruch vom Lehrgeld bewahrheiteten und die weichen Hände der neugebackenen Köchin immer noch recht empfindlich waren gegen rauhe Berührung. Fräulein Lindenmeyer’s gutmüthig angebotene Hilfe hatte Claudine schon am ersten Tage entschieden abgelehnt. Das schmächtige, kränkliche Geschöpfchen stand auf sehr schwachen Füßen und bedurfte oft selbst der Pflege. Dafür aber war Heinemann eine tüchtige Stütze, er ließ es sich durchaus nicht nehmen, alle gröberen Arbeiten zu besorgen.

So war allmählich die neue Haushaltung ins Geleise gekommen, und heute zum ersten Mal fand Claudine einen freien Augenblick, um auf die Zinne des Thurmes hinaufzusteigen. Die Morgensonne lag auf dem Scheitel des alten Burschen, dessen eherne Zungen, die mächtig über den Wald hintönenden Glocken, einst von gewaltthätigen Bauernfäusten zerberstend in die Tiefe hinabgeschleudert worden waren. Heute hatte er sich mit gelben Mauerblümchen besteckt, die aus allen Ritzen und Fugen dem Tageslicht zustrebten und so altersmürrisch er auch sonst aussah, er beherbergte doch noch gern und willig junges, aufwachsendes Leben – das Vogelvolk brütete unter seinen Simsen und Mauervorsprüngen und fand des Piepsens und Zwitscherns kein Ende. Und vom Garten herauf und von den harztriefenden Fichten her, die ihre schaukelnden dunklen Bärte wie Trauerfahnen in die Ruinen des Kirchenschiffes hineinhängen ließen, kam ein traumhaftes Summen – schier unersättlich umtaumelten Heinemann’s Bienen und das wilde Hummelgesindel des Waldes den süßen Saft, den Prinz Mai aus Blüthenbechern schänkt.

Ueber ihr stand der blaue Aether, den nur dann und wann noch ein kühner Vogelflügel durchschnitt, wie zu Krystall erstarrt, hoch wie der Gottesgedanke über menschlichem Dichten und Trachten, unnahbar hoch über der Erde mit ihrem blühenden Werden und modernden Welken – dort drüben aber, am fernen Horizonte, troff sein Blau doch wieder auf den welligen Bergrücken und schmolz mit ihm zusammen … Dort weitete sich das Paulinenthal zur ebenen Fläche, die erst in weiter Ferne wieder jener blaubehauchte Höhenzug abschloß. Auf dem flachen Lande lag es wie feine, durchgoldete Nebelschleier. Sie deckten das Herzogsschloß; Nichts war zu sehen von seinem stolzen hochgelegenen Bau, seinen purpurbeflaggten Thürmen und marmornen Freitreppen, zu deren Füßen die Schwäne segelten und silberglitzernde Furchen durch den Teichspiegel zogen, Nichts von dem Magnolien- und Orangendickicht der überglasten Zaubergärten, die mit ihrem düfteschweren Odem das Blut in den Schläfen pochen machten und das Herz angstvoll beklemmten, Nichts von den thürhohen, spiegelnden Fenstern, hinter denen eine junge Frau, ein Königskind, schlank und schneebleich, hüstelnd auf- und abschwankte und nach einem Blick aus den dunkelschönen Augen strebte, die mit heißem Flehen – eine Andere suchten. …

Claudine trat hastig von der Brustwehr zurück, sie war erblaßt bis in die Lippen. War sie deßhalb heraufgestiegen in den kühlen blauen Himmel, um sich von dem schwülen, ängstlich geflohenen Odem dort drüben her anwehen zu lassen? Ja, wie dort am Horizonte machten sich auch Himmel und Erde in der Menschenbrust! – –

Sie wandte den Blick weg von jener sonnenbeschienenen Weite und ließ ihn nordwärts in die Runde schweifen. – Wald, nichts als grüner Wald, wohin sie sah! Nur dort, wo der breite Fahrweg die Wipfel aus einander drängte, lag in äußerster Perspektive wie ein kleines Bild das Neuhäuser Gutshaus; seine fensterreiche Façade trat hell aus dem dämmernden Lindenkreise. Dort wehte eine rauhe, strenge, aber reine Luft unter Beatens Regiment. … Seit lange herrschte Spannung zwischen den beiden Geroldshöfen. Der Neuhäuser hatte öffentlich scharf über die „gottheillose“ Spielwuth des Obersten geurtheilt, und damit war das Tischtuch zwischen den beiden Familien, die verschiedenemal wieder in einander hineingeheiratet hatten, zerschnitten gewesen. Nicht die geringste Beziehung hatte mehr zwischen ihnen bestanden; Lothar und Joachim, die beiden gleichaltrigen Söhne der entzweiten Familien, waren sich geflissentlich aus dem Wege gegangen, und nur Claudine und Beate, die Zöglinge ein und desselben Institutes, waren sich näher getreten.

Da war es nun allerdings nicht aufgefallen, als sich plötzlich bei Hofe zwei Gerold’s gegenüber standen, die sich gegenseitig fremd und kühl gemustert hatten, Lothar, der elegante, schneidige Officier, und Claudine, die neue Hofdame … Uebermüthig, im stolzen Bewußtsein seines errungenen hohen Zieles, eine glänzende Erscheinung, umschmeichelt und verwöhnt von der gesammten Hofgesellschaft, hatte er ihr sehr imponirt und sie eingeschüchtert. Es war kurz vor seiner Vermählung mit der Prinzessin Katharina, der Kousine des regierenden Herzogs, gewesen. Sie hatte es ihm nicht verargt, daß er auf seiner schwindelnden Höhe über die Tochter der verarmten Hauptlinie seines Geschlechts achtlos hinweggesehen. Diese Linie hatte ja den Glanz des Namens nahezu erlöschen gemacht, während er jetzt den ihm vom Herzog verliehenen Barontitel hinzufügen durfte. Ihr Erscheinen hatte somit gleichsam einen Schatten auf den Weg dieses glänzenden Hofgestirnes geworfen, und dieser Gedanke hatte für sie genügt, mit mimosenhafter Scheu jegliche Berührung mit dem Hochgestiegenen zu vermeiden …

Wie unglaublich schlicht und einfach erschien ihr in diesem Augenblick sein Geburtshaus da drüben neben dem Glanz des Ereignisses, welches der Höhepunkt seines beispiellosen Siegeslaufes gewesen war, neben seiner Vermählungsfeier. Sie sah ihn noch vor sich, wie er zur Seite der Prinzessin, umleuchtet von dem ganzen Glanz des Hofgepränges, an den Altarstufen gestanden. Das schmale Figürchen der Braut, in Spitzen und Atlasbauschen völlig versinkend, hatte sich an seine hohe Gestalt so fest angeschmiegt, als könne er ihr, dessen Besitz sie sich energisch erkämpft, auch hier noch entrissen werden, und mit ihren funkelnden, schwarzen Beerenaugen hatte sie unverwandt, in leidenschaftlicher Zärtlichkeit zu ihm aufgesehen. Und Er? Er war todtenblaß gewesen, und sein bindendes „Ja“ hatte rauh, fast heftig geklungen … Hatte ihn ein Schwindel auf dem Gipfel seines Glücks ergriffen, oder war ihm plötzlich ein Ahnen gekommen, daß er dieses Glück nicht lange besitzen werde, daß sich die liebestrahlenden, schwarzen Augen schon nach einem Jahre für immer schließen würden unter den Pinien und Palmen der Riviera, wohin der Reisewagen die Neuvermählten sofort nach der Trauung entführen sollte? … Ja, dort in ihrer prächtigen Villa war die Prinzessin gestorben, nachdem sie einem Töchterchen das Leben gegeben, und dort lebte der verlassene Mann noch, um das sehr schwächliche Kind in dem milden Klima zu belassen, bis es erstarkt sein würde, wie man sagte; wohl aber auch, weil es ihm schwer werden mochte, den Schauplatz seines kurzen Glückes zu verlassen. In der Heimath war er nicht wieder gewesen, und das stille, einsame Haus dort drüben mochte er schwerlich wieder bewohnen, wenn er auch wieder zurückkam – und das war nur gut und wünschenswerth für die Einsiedler im Eulenhaus und für den süßwohlthuenden Frieden der kleinen Waldoase! –

(Fortsetzung folgt.)




Orientalische Sprüche.


Hast Du ein Wort ausgesprochen, so beherrscht es Dich, vorher beherrschest Du das Wort.
Arabisch.
Der Narr kennt keinen Ernst, ihm ist Alles nur Spiel.
Hebräisch (Talmud).
Eines Thoren Freundschaft ist wie die Umarmung eines Bären.
Persisch.
Wer selbst keinen Verstand hat, was hilft dem die Lehre? Wer keine Augen hat, was hilft dem ein Spiegel?
Arabisch.
Wer immer ausgiebt, ohne zu rechnen was, kommt zuletzt an den Bettelstab, ohne zu wissen wie.
Arabisch.
Weise fallen in Unwissenheit, wenn sie mit Unwissenden streiten.
Türkisch.
Lebe auf der Welt, aber mit Hoffnungen verzehre Dein Herz nicht.
Tatarisch-Türkisch.
Fünf Jahre soll man den Sohn als Herrn, zehn Jahre als Knecht, vom sechzehnten Jahre an als Freund behandeln.
Indisch.

[25]

Eine Liebesbotschaft.
Nach dem Oelgemälde von H. Coomans.
Photographie im Verlage der Ad. Braun u. Komp. in Dornach (Vertreter Hugo Grosser in Leipzig).

[26]
Das öffentlichste Elend.
Ein Beitrag zur Vagabundenfrage von Friedrich Hofmann.

Ja, das öffentlichste: es läuft am hellen Tage auf Straßen und Gassen herum, und Jedermann kennt es, aber nur von außen und unter einer Firma, die nach und nach einen ganzen, an sich ehrenwerthen Stand verdächtigt hat, den der ehemaligen wandernden Handwerksbursche. Wenn ehedem ein solcher Wandergeselle, mit dem Wachstuch überm Hut, dem festen Knotenstock in der Hand und dem Felleisen auf dem Rücken die Straße daher kam und als „armer Reisender“ um einen Zehrpfennig bat, so ward ihm selten die Gabe versagt, auch wenn sein Aeußeres verrieth, daß die landübliche dreijährige Wanderzeit schon längst von ihm überschritten sein müsse. Man wußte, daß die damals noch herrschenden Zunfteinrichtungen, um den „goldenen Boden“ des Handwerks nach Möglichkeit zu schützen, oft an Bestimmungen fest hielten, die man nicht anders als sehr hartherzig und selbstsüchtig nennen konnte. Da von jeher die Zahl der arbeitsuchenden Wandergesellen in den meisten Gewerben größer war als die der arbeitgebenden Meister, so mußte bei lange vergeblicher Wanderung selbst für den ordentlichsten Handwerksburschen die Zeit kommen, wo der letzte Mutterpfennig aus dem ledernen Geldbeutelchen verschwand und der Mangel den Burschen zum „Fechten“ zwang. Das konnte auch dem Sohne wohlhabender Eltern widerfahren, um wie viel eher dem Armen! Nun gab es aber auch Städte, in welchen die Zunft gewisser Handwerke nur eine bestimmte Anzahl von Meistern duldete, oder wo der junge Handwerker gezwungen war, wenn er das Meisterrecht erwerben wollte, eines der bestehenden Geschäfte einem alten Meister oder einer Wittwe um möglichst theuren Preis abzukaufen. Wer nun nicht am Orte als Geselle weiter arbeiten mochte oder konnte, dem blieb nichts Anderes übrig, als wieder „in die Fremde“, das heißt auf die Wanderschaft zu gehen. Noch Schlimmeres erzählt man von einer Kammmacherzunft: wenn einer ihrer Heimathgesellen aus der Fremde zurückkam und binnen vierzehn Tagen am Orte keine Arbeit bekam, so gebot das Zunftgesetz, daß derselbe entweder sofort dem Handwerk entsage oder wieder auf die Wanderschaft gehe. Es lag also ganz in der Willkür der Meister, welches Schicksal sie über den Gesellen verhängen wollten. Nimmt man dazu, daß trotz dieser Zunfthärten doch jeder Geselle mit Stolz an seinem Handwerk hing und daß in jener Zeit das „Umsatteln“ ein Wagstück war, dem immer etwas Anrüchigkeit anhaftete, so war’s natürlich, daß junge Handwerker, namentlich wenn ihnen auch zum Auswandern die Mittel nicht zu Gebote standen, die Wanderschaft eben weiter fortsetzten und daß man dann leicht Handwerksburschen auf der Landstraße begegnen konnte, die das Mannesalter längst erreicht hatten.

Langandauernde Arbeitslosigkeit konnte jedoch auch einen von Haus braven Gesellen erst äußerlich und dann innerlich herunterbringen; die Noth drückt in die Tiefe; aus der verschmähten Arbeitslust erwächst die Arbeitsunlust, und es bedarf wohl kaum noch besonderer Verführung, um den ehrlichen Wandergesellen von Stufe zu Stufe sinken zu lassen, erst zu dem arbeitsscheuen, das Fechten als Gewerbe treibenden Stromer und Landstreicher und, wenn die Verlockung auf empfänglichen Boden fällt, zur wüsten Sorte der Gauner und Verbrecher, die aus allen Ständen ihre Rekruten ziehen; – und diese alle gebrauchen nur den einen Bettlergruß auf der Landstraße wie vor der Wohnungsthür: „Ein armer Reisender!“

Das Gaunerwesen ist älter als das Zunftwesen, das zuerst den Handwerksgesellen auf die Wanderschaft sandte, und eben so hat die Gaunersprache sicherlich nicht in den Zunftherbergen ihren Ursprung zu suchen. Daß aber in unserem Vaterlande Stromer und Gauner sich förmlich organisiren, mit einem besonderen Kastengeist ausrüsten und sogar einen eigenen Jargon als Gesellschaftssprache ausbilden konnten, das hängt mit dem deutschen Schicksal von den ältesten Zeiten her zusammen. Nicht bloß für die Kämpfe der deutschen Stämme unter sich, sondern für die größten europäische Kriege ist Deutschland das Schlachtfeld gewesen, und jeder fremde Heereszug ließ einen Bodensatz von verlottertem Volke zurück, das die Scharen der an sich schon zahlreichen „fahrenden Leute“ vermehrte. Letztere sind von den Gaunern und Strolchen wohl zu unterscheiden, denn die „Fahrenden“ suchten durch Leistungen aller Art ihr Brot zu verdienen. Ihr erstes Auftreten führt uns bis zur Völkerwanderung zurück, wo römische Fechter, Taschenspieler, Tänzerinnen und dergleichen vagirende Künstler in Deutschland eindrangen. Einen starken Zuwachs erhielt sowohl das fahrende wie das Gaunervolk durch die Kreuzzüge, und sie alle hatten während des ganzen Mittelalters, wo von Staatswegen für die öffentliche Sicherheit noch so wenig oder gar nicht gesorgt war, die beste Zeit zur üppigsten Entwickelung. Zu den Sängern, Schauspielern, Spielleuten und Gauklern, die an den Höfen der Fürsten und Herren, in Schlössern und Burgen, gleichwie bei den Lustbarkeiten des Volks in Städten und Dörfern willkommene Freudenspender waren, gesellten sich nun noch neben Quacksalbern, Geheimmittelkrämern und Raritätenbesitzern Scharen von Bettelmönchen, fahrenden Schülern und Frauen, dazu kamen bald auch die Zigeuner und die zerstreuten Haufen entlassener Söldner und Landsknechte, und sie alle lieferten für die Grundmasse der bettelnden und stehlenden Stromer und Strolche ihre Abfälle. Unter diesen günstigen Verhältnissen hatte das Gaunerwesen sich so fest geordnet, daß es schon am Ende des Mittelalters seine besondere Sprache besaß.

Im Jahre 1520 erschien in Frankfurt am Main ein Büchlein: „Liber Vagatorum, der Bettlerorden“, welches in zwei Abschnitten das damalige Unwesen der Bettler schildert und in einem dritten Abschnitt eine Sammlung von zweihundert Diebsausdrücken mittheilt. Dieses erste Wörterbuch der deutschen Gaunersprache war zugleich ein erschreckendes Zeichen für die ausgebildete Organisation des Vagabundenthums. Die Reformation ging demselben scharf zu Leibe, schrieb doch Dr. Martin Luther selbst zu einer neuen Auflage des Liber Vagatorum von 1527 eine geharnischte Vorrede. In der That wurde in den folgenden Jahren eine Verringerung des fahrenden Volks bemerkbar. Aber der Friede in und um Deutschland dauerte ja nie lange, und Alles, was die aufstrebende Reformationszeit Gutes geschaffen, warf das fürchterlichste Schicksal unseres Vaterlandes, der Dreißigjährige Krieg, über den Haufen. In welchem Zustand die deutsche Nation aus diesem Völkergemetzel und den Mord- und Raubzügen aller Nachbarn hervorging, ist bekannt; Ruinen und „Wüstungen“ zeugen noch heute davon.

Die Gaunerschaft war zur Landplage angewachsen, das fahrende Volk aber hauptsächlich von Italien her vermehrt worden. Da kamen einzeln und in Gruppen die Goldsucher und Goldmacher, die Schatzgräber und Geisterbanner, Wunderdoktoren und Komödianten, Kameel-, Affen- und Bärenführer und deßgleichen, und alle bettelten und gaunerten sich von Ort zu Ort bis hoch in den Norden hinauf. Ein Bild jener Zustände schildert uns die „Wunderliche und wahrhaftige Geschichte Phylanders von Sittenwald, das ist Straff-Schriften Hans Michael Moscherosch von Wilstädt etc.“, Straßburg 1650. Die neue vermehrte Auflage eines „Spitzbuben-Lexikons“ wurde 1753 in Hildburghausen gedruckt, und 1755 erschien in Frankfurt am Main eine „Rothwälsche Grammatic oder Sprachkunst, das ist Anweisung, wie man diese Sprache in wenig Stunden reden und verstehen möge“; vieler anderer Flugschriften und Beiträge zur Kenntniß des Bettel- und Gaunerwesens in einzelnen deutschen Landstrichen nicht zu gedenken.

Die höchste Ausbildung erlangten Gaunerwesen und Gaunersprache in unserem Jahrhundert, und zwar durch die enge Verbindung des jüdischen Elements mit demselben. Und abermals war es ein Kriegszug, der diesen Zuwachs brachte. Als nämlich in Folge des „zweiten Bündnisses“ von Oesterreich und Rußland gegen Frankreich, im Jahre 1799, Suworow ein russisches Heer gegen die Franzosen in Italien durch Deutschland führte, schlossen sich demselben Schwärme von israelitischem Volke als Marketender an. Auch unter ihnen befanden sich geriebene Gauner, und diese gerade blieben überall hängen, wo sie für ihr Treiben Boden fanden. Durch sie wurde das deutsche Diebsgesindel nicht bloß vermehrt, sondern noch fester verbündet und die Gaunersprache außerordentlich bereichert. An die französischen Revolutionskriege schlossen sich die Napoleonischen unmittelbar an und [27] leisteten für Verarmung, Verödung und Entsittlichung mancher Landstriche fast nicht weniger als der Dreißigjährige Krieg. So weit und so lange die französische Herrschaft in Deutschland dauerte, war von einer Sorge für öffentliche Sicherheit kaum die Rede. Kam es doch vor, daß französische Generale die Insassen von Zuchthäusern und Festungsgefängnissen frei laufen ließen, wenn ihrer Habsucht ein Gewinn daraus erwuchs. Es war in jeder Beziehung ein „Befreiungskrieg“, welcher die deutschen Länder wieder in den Stand setzte, im eigenen Hause Herr zu sein und reine Wirthschaft zu machen, wo es Noth that. Und wo that es damals nicht Noth? Vor Allem aber galt es, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, namentlich waren Räuber- und Diebsgesellschaften überall in Deutschland zur Landplage geworden. Damals lernten die Polizei- und Kriminalbehörden den eigentlichen Organismus des Gaunerwesens erst gründlich kennen; jetzt erst vermochte man die Gefahr zu ermessen, welche der öffentlichen Sicherheit und Sittlichkeit durch dieselbe drohte. Was war der Einzelne, welcher auf eigene Faust Bettelei, Diebstahl und Raub trieb, gegen diese feste innere Verbindung, das gegenseitige Schutzbündniß, durch welches Bettelei und Dieberei zum Lebensberuf umgewandelt und den Genossen dieses öffentlichsten Bundes ihre Geheimsprache zur zweiten Muttersprache werden konnte!

Die Nothwendigkeit für Polizei- und Justizbeamte, mit dieser Sprache vertraut zu sein, rief eine ganze Litteratur derselben ins Leben. Sie zerfällt in zwei Arten, das Rothwälsch, das in Buchstaben- oder Silbenversetzung besteht, und die eigentliche Gauner-, jenische oder Kochemer Sprache oder Loschen, die wieder in die jüdische und die christliche sich scheidet. Eine der jüngsten Bearbeitungen derselben lieferte der Lübecker Polizeibeamte F. C. B. Avé-Lallemant in seinem Werke „Das deutsche Gaunerthum, 1858 bis 1862, 4 Bände, mit Nachtrag 1879“. Jedenfalls höchst charakteristisch für diese Sprache ist es, daß sie mit einem Worte mit „wittisch“ die Doppelbedeutung von dumm und ehrlich bezeichnet.

Jetzt heißt diese Sprache im Munde Aller, die sie gebrauchen, die Kunden-Sprache, und Kunde ist Jeder, auch der Handwerksbursch, der zum Vagabundenthum hinabgesunken ist. Ueber das Wesen und die Mittel zur Abwehr desselben hat im Jahrgang 1883 unseres Blattes Fr. Helbig in dem Artikel „Der arme Reisende“ (S. 459 und 471) Belehrung und Anregung gegeben. Wenn wir heute diesen Gegenstand noch einmal aufnehmen, so geschieht es, weil ein neuestes Werk uns mitten in das entsetzliche Leben und Treiben dieser verlorenen Söhne des Vaterlandes in einer Weise einführt, welche bis in die höchsten Kreise hinauf den Wunsch und den Willen anregen muß, einem solchen Elend mit allen Mitteln gemeinsamer That ein Ende zu machen.

„Dunkle Bilder aus dem Wanderleben. Aufzeichnungen eines Handwerkers. Von D. Rocholl. 2. Auflage, Bremen, Verlag von F. A. Wiegand.“ Das ist der vollständige Titel dieses Buches.

Wenn wir namentlich in der winterlichen Jahreszeit, die aller Armuth schlimmster Feind ist, die Gestalten beobachten, wie sie in der großen Mehrzahl jetzt als „arme Reisende“ an die Thüren pochen; diese in Kleidung und Fußwerk herabgekommenen Menschen, deren Wäschefetzen oft noch die bessere Herkunft verrathen und die nun arbeits- und obdachlos von Ort zu Ort sich durchbetteln, – so fragt man sich wohl: wie müssen solche „arme Reisende“ die Tage verleben und die Nächte hinbringen? – Das obige Buch versetzt uns mitten in diese Gesellschaft hinein. Wir lesen keine bloße Schilderung von tiefster menschlicher Versunkenheit, sondern wir leben das Elend mit, in das wir mit dem ersten Aufschlagen des Buchs eingetreten sind, und folgen jedem Einzelnen und jeder Gruppe auf den Bettel- und Gaunerzügen.

Dies geschieht zunächst, indem wir das Erwachen des Tages in der geräumigen Gaststube einer „Centralpenne auf dem Lande“ erleben, einer einsam gelegenen Herberge „für Fechtbrüder, Gaukler mit und ohne Roß und Wagen, für Besenbinder, Hausirer, Regenschirmmacher, Topf- und Kesselflicker, Slovaken, Zigeuner, Spitzbuben und alles fahrende, heimath- und arbeitslose männliche und weibliche Volk überhaupt“. – „Der junge Tag wirft seinen matten Schein durch die dick angelaufenen Fenster. – – Welch ein Anblick! Schwarz geräucherte Wände, alte Tische und Bänke, ein umfangreicher Kachelofen und eine an der Decke hängende, im Erlöschen begriffene, dickqualmende Oellampe bilden die ganze Einrichtung. Der Fußboden ist dicht mit Stroh bedeckt, darauf liegen sie reihenweise Mann an Mann gedrängt. Die Tische sind in einer Ecke zusammengeschoben und wie die rings an den Wänden hinlaufenden Bänke belegt mit echt Bassermann’schen Gestalten jeden Lebensalters. Zerlumpt sind sie alle zusammen, der Eine mehr, der Andere weniger. Der in der einen Ecke stehende, besonders dicht umlagerte Ofen ist von oben bis unten mit Fußlappen, einigen Strümpfen, Tüchern und etlichen Röcken zum Trocknen behangen. Der Fuseldunst, die Ausdünstung von 50 bis 60 Menschen, der Geruch der trocknenden Kleider, die qualmende Lampe – welch eine grauenhafte Atmosphäre! Die Schläfer liegen sämmtlich ohne Schuhwerk, die Füße meist wund gerieben und mit Lappen und Binden umwickelt; mit dem ausgezogenen Rock haben sie sich meist bis über den Kopf zugedeckt; das Schuhwerk (und was nennt sich alles noch Schuhwerk!) liegt unterm Kopf. In demselben wird Abends als in dem verhältnißmäßig sichersten Platz für die Dauer der Nacht erstens die vor dem Schlafengehen, wenn irgend möglich, noch einmal gefüllte Schnapsflasche und dann, wenn noch vorhanden, Messer, Kamm, Geldbeutel und Schnupftuch aufgehoben. Noch liegen die Meisten im schweren Schlaf des Fuselrausches.“

Da öffnet der Hausknecht die während der Nacht verschlossenen Fensterläden und kommandirt zum Aufstehen. Und nun fahren die Köpfe über den Röcken hervor und stieren sich gegenseitig mit unbeschreiblichen Jammermienen an: Katzenjammer und Oedigkeit in Leib und Seele! Beim ersten Blick auf das Schneewirbeln draußen am Fenster schleunigste Untersuchung der Taschen und Flaschen – bei der Mehrzahl vergebliches Bemühen, gestern Abend ist der ganze schöne „Draht“ (das erbettelte Geld) in „Saroff“ (nicht „Sauf“, Schnaps) „verschmort“ (vertrunken) worden. Es hilft nichts, sie müssen sich, trotz des Unwetters, zur Fahrt rüsten. Kredit giebt’s nicht in der Penne. Mit Fluchen und Jammern werden die wunden Füße in das hartgewordene Schuhwerk gezwängt; ein Reisebündel („Berliner“) besitzen die Wenigsten; den Meisten genügt der Vagabundenbeutel oder ein unterm Rock am festen Strick getragener Leinwandsack für Brot und etwaige „Fettigkeiten“ (Wurst, Fleisch oder Speck). Den „Stenz“ (Stock) in der zitternden Hand, den sie so notwendig gegen die Dorfhunde brauchen, die geschworenen Feinde des Stromers (ob dieser Widerwille durch den Pennenfuselgeruch erzeugt wird? –): so stehen sie einzeln und in Gruppen, nach anderer Hilfe durch etwa besser situirte Kunden lungernd, bis sie endlich doch, nichts Wärmendes in und auf dem Leibe, in das Sturmwetter hinaus müssen.

Auch eine Bettlerfamilie rüstet sich zur Fahrt. Der Mann bleibt da, um den Platz am Ofen zu hüten, die Frau mit dem Korb auf dem Rücken und zwei Kinder, die Mitleidserreger, zur Seite, wandert ab. Sie bettelt natürlich als Wittwe, deren Mann verunglückt ist.

Aber auch andere, noch nicht so herabgekommene Gestalten beleben das Bild. „Drei gesunde Jungen“ nennt sie unser Buch, die nicht auf Bettel ausgehen, sondern durch Singen, Deklamiren und allerlei Schnurrpfeifereien die Dorfbewohner erfreuen und sich die Säcke und Säckel füllen. Ein Berliner, ehedem Musiker, spielt den Kapellmeister dieser „Brandenburgschen Gebirgskapelle“ und singt zweiten, ein Kölner ersten Tenor und ein königlicher Sachse und Schuster den Baß. Mit Brummstimmen einen lustigen Marsch blasend, ziehen die lustigen Brüder davon. Diese Art Kunden weckt immer noch heitere Erinnerungen in alten Handwerksmeistern auf, die auch in ihrer Jugend erfahren haben, was „tippeln“ (wandern), „talfen“ (betteln) ist und auch aus dem „Dalles“ (Herabgekommenheit) sich glücklich wieder herausarbeiteten.

Ganz leer wird die Penne nicht, aber was von der Kundschaft zurückbleibt, gewährt nur einen trüben Anblick. Es sind theils solche Kunden, welche von der gestrigen Bettelbeute noch genug übrig haben, um heute feiern zu können, theils Marode und Faule, die auf frische Ankömmlinge lauern, bei denen sie ihre Erfahrungen verwerten, theils auch noch Schlimmere, welche die Sicherheit des Ortes benutzen, um sich durch Anfertigung von falschen Legitimationspapieren („Flebben“, nicht „Flappen“) ihren Taglohn zu erwerben. [28]

Karten spielen oder Erlebnisse erzählen, Bettel- und Gaunerpläne schmieden, der Flasche zusprechen oder schlafen, – damit verstreicht den Pennegästen die Zeit; es geht Mittag vorüber und kommt der Abend herbei, – der Hausknecht (als rechte Hand des Boos, Herbergvaters, auch Viceboos titulirt) schließt die Fensterläden und zündet die Hängelampe an, die den ganzen Raum erleuchten muß, – „und jetzt, jetzt strömt es langsam heran, das Heer der Vagabunden, der Bejammernswerthesten des ganzen Volks. – Stundenweit sind sie heute den ganzen Tag durchs Land unmhergestrichen, um ihren Lebensbedarf sich ‚bischenweise‘ zusammenzuholen. Alle ohne Ausnahme sind fast steifgefroren – und ihre Füße? Daß Gott erbarm! Unempfindliche Eisklumpen! – – Der einzige Trost ist dem Kunden, wenn der Brotbeutel gefüllt ist mit allerhand Eßwaaren. Diese lassen sich, wenn Etwas übrig bleibt, verkaufen und für das Geld giebt’s so wieder einen festen Schluck in die Flasche.“

Wie nun der Abend in der Penne die Nacht einleitet, wie die Einzelnen, die Paare, die Gruppen der früh Ausgezogenen, so weit sie nicht von der Polizei eingesteckt oder durch die Flucht vor derselben anderswohin verstreut worden sind, sich an den Tischen, in den Winkeln und um den Ofen herum wieder einrichten, wie der Hunger gestillt und die Bulle gefüllt und in der bunten, entsetzlich gemischten Gesellschaft getrunken und gesungen, getanzt und geprügelt wird, bis Boos und Viceboos die nächtliche Ordnung durch Zusammenrücken der Tische und Auslegung der Schlafstreu herstellen: dieses scenenreiche Stück des Pennetreibens muß der Leser in Rocholl’s Buch sich selbst vor Augen führen. Selbstverständlich beherbergt die Penne in ihren anderweitigen Räumen noch eine „besser situirte Minderheit“ von „armen Reisenden“, deren Fechtgewinn täglich zum Betrage von mehreren Mark aufsteigt und die Nachts in Betten schlafen, früh Kaffee trinken und dann sich auch am Abend etwas Besseres gestatten dürfen, als Pellkartoffeln und „Schwimmlinge“ (Heringe), den höchsten Luxus der auf dem „Rauscher“ (Stroh oder Heu) oder dem „Knacker“ (Tisch oder Bank) nächtigenden armen Kunden. Nur die Schnapsflasche ist Allen gemeinsam das höchste Gut.

Endlich ist die Nachtordnung hergestellt. „Nun ist’s still in dem großen Gebäude, welches so viel Jammer und Elend in sich schließt. Da liegen sie reihenweis – meist vom Fusel übermannt, von der Lampe trüb beleuchtet, die ‚Sklaven des Branntweins‘. – Wie viel hoffnungsvolle Blüthen sind in ihnen auf immer geknickt! Wie viele Mütter haben jahrelang auf ein paar Zeilen von ihrem Liebling geharrt, bis ihr Haar grau, ja – weiß wurde und sie ohne Nachricht, ohne Trost hinübergingen! Oder war’s vielleicht besser, daß sie nicht erfuhren, ob ihr Sohn todt sei, als wenn sie ihn hier gewußt hätten? Arme Menschen, Ihr selbst könnt Euch nicht mehr helfen, Ihr Tausende von Genossen, Ihr selbst nicht! Mögen es denn Andere versuchen, Euch zu helfen!“

Zenab, eine arabische Sängerin in Kairo.
Originalzeichnung von Alfred Schüler.

Wer das Buch zu Ende gelesen, hat in der That „eine Welt des Mangels, eine Fülle von Kummer und Elend“ kennen gelernt, deren Größe in erschreckenden Zahlen vor uns steht:

„Welche Branntweinfluthen,“ sagt Rocholl, „werden von den etwa 200 000 Wanderbettlern, die sich im Deutschen Reiche umhertreiben, täglich, jährlich – durch die Kehle gejagt! Ein einfaches Rechenexempel! Der Wanderbettler verbraucht im Durchschnitt, wie von Seiten einer Autorität auf diesem socialpolitischen Gebiete neuerdings angegeben wurde, täglich etwa zwei Mark. Gering angeschlagen werden davon täglich 50 Pfennig für Schnaps ausgegeben; also legen 200 000 Vaganten zusammen täglich 100 000 Mark in Branntwein an. Das macht im Jahr, zu 360 Tagen gerechnet, für die 200 000 Menschen – 36 Millionen Mark für Branntwein!

Und wäre diese Rechnung auch zu hoch gesteigert, betrüge sie die Hälfte oder weniger – daß es gerade der Branntwein ist, an welchem so Viele zu Grunde gehen, macht die Rettung derselben um so schwerer, weil der „Branntweingenuß nicht die Ursache, sondern eine Folge der Noth“ ist, wie Liebig uns belehrt. In seinen „Chemischen Briefen“ sagt er:

„Es ist eine Ausnahme von der Regel, wenn ein gutgenährter Mann zum Branntweintrinker wird. Wenn hingegen ein Mensch durch seine Arbeit weniger verdient, als er zur Erwerbung der ihm nothwendigen Menge von Speise bedarf, durch welche seine Arbeitskraft völlig wieder hergestellt wird, so zwingt ihn eine starre unerbittliche Naturnothwendigkeit, seine Zuflucht zum Branntwein zu nehmen. Der Branntwein, durch seine Wirkung auf die Nerven, gestattet ihm, die fehlende Kraft auf Kosten seines Körpers zu ergänzen; es ist ein Wechsel, ausgestellt auf die Gesundheit, welcher immer prolongirt werden muß, weil er aus Mangel an Mitteln nicht eingelöst werden kann. Der Branntweintrinker verzehrt das Kapital anstatt der Zinsen, daher denn der unvermeidliche Bankerott seines Körpers.“

Wie aber die Unglücklichen von dem sie ruinirenden Genusse abhalten, zu welchem sie „eine unerbittliche Naturnothwendigkeit zwingt“? Es muß ein Ersatz für den Verlust gesichert werden. Viele Versuche sind gemacht und Anstalten gegründet worden, welche darauf hinzielen und zu deren Darlegung uns wohl eine andere Gelegenheit geboten wird. Wenn trotz dieser edelsten und eifrigsten Bemühungen es noch nicht gelungen ist, die Zahl der bettelnden „Kunden“ wesentlich zu verringern, so liegt wohl die Hauptschuld an der Zersplitterung derselben. Ein Zusammenfassen dieser Kräfte ist zunächst zu erstreben. Wenn ferner unsere Kolonien erst einmal dem Fleiße ein sicheres Heim gewähren, so wird es auch leichter werden, diese verlorenen Söhne des Vaterlandes für dieses und für sich selber zu retten.


[29]

Kleine Bilder aus der Gegenwart.
Hamburgs neue Elbbrücke.

Wir haben vor 16 Jahren (vgl. S. 274 der „Gartenlaube“ von 1872) die damals soeben im Bau vollendeten Elbbrücken der Eisenbahn Hamburg-Harburg in Bild und Wort unsern Lesern geschildert. Dieselben, so großartig angelegt sie an sich auch sein mochten, litten an einem wesentlichen Mangel; sie dienten nur dem Eisenbahn- und dem Fußgängerverkehr, für die Wagenpassage waren sie weder bestimmt noch eingerichtet.

Seitdem hat bekanntlich Hamburg eine gewaltige Umwälzung beschlossen und ist noch gegenwärtig im Begriffe, sie zu vollziehen: die Vorbereitungen zu dem 1888 stattfindenden Anschlusse Hamburgs an das deutsche Zollgebiet veranlaßten den Abbruch ganzer Stadttheile und die Errichtung eines umfangreichen Freihafenviertels. Da letzteres auch einen großen Theil der Elbinseln Steinwärder, Kleiner Grasbrook und Veddel in sich schließt, so wurde eine bessere Verbindung mit denselben unbedingt nothwendig. Eine

Die neue Elbbrücke in Hamburg.

solche herzustellen, ist die dritte Hamburger Elbbrücke bestimmt, deren Abbildung wir jetzt unsern Lesern vorführen.

Ueber die Norder-Elbe, den bei Hamburg vorbeiströmenden Elbarm, geschlagen, schließt sich die Brücke der in Folge des Zollanschlusses etwas verlegten Hamburg-Harburger Chaussee an; letztere ist selbstverständlich eine Zollinlandstraße und liegt diesseit der Grenze des neuen Freihafengebiets. Die geniale Konstruktion der beiden älteren Elbbrücken, eiserne Doppelbogen nach dem System des Oberbaurathes Lohse, hatte sich so ausgezeichnet bewährt, daß man sie auch bei dem dritten Bauwerk dieser Art anzuwenden beschloß. Die einzelnen Bogen sind je 102 Meter lang; einschließlich der sich an die Ufer zunächst anschließenden Steinbogen hat die Brücke eine Gesammtlänge von 400 Metern. Die Fahrbahn, auf Betonunterlage gepflastert und mit zwei Pferdebahngeleisen zu künftiger Verwendung versehen, ist 7 Meter breit, die Fußgängerwege an beiden Seiten, außerhalb der Brückenträger, also gewissermaßen balkonartig angebracht, sind asphaltirt und haben eine Breite von je 2 Metern. Die einschließlich der Träger sich ergebende Gesammtbreite von 13 Metern wurde ursprünglich so projektirt, als man (1882) den Brückenbau beschloß; indessen sind vorsichtshalber die Brückenpfeiler so lang gebaut, daß sie bei etwa eintretendem größeren Verkehrsbedürfniß eine fast doppelt so breite Fahrbahn zu tragen im Stande wären.

Der Erbauer der Brücke ist der hamburgische Ingenieur C. O. Gleim, eine in Technikerkreisen als hervorragend geschätzte Kraft, durch mehrere bedeutende Veröffentlichungen speciell über amerikanische Brückenbauten vorteilhaft bekannt und als vorzüglicher Kenner des Brückenwesens bewährt. Mit der Ausführung der Elbbrücke hat der Genannte nach einstimmigem Urtheil in jeder Beziehung Ehre eingelegt. Im Herbst 1882 begannen die Projektirungsarbeiten; Anfang Juni 1883 konnte die Fundirung des ersten Pfeilers stattfinden; zum Frühjahr 1885 wurde der erste Pfeiler und in kurzen Zwischenräumen die übrigen vollendet; zum Baumaterial war Granit gewählt worden.

Daß die Entfernung zwischen den einzelnen Pfeilern je 102 Meter und die Länge der steinernen Brückenbögen an den Ufern, je zwei an der Zahl, rund 27 Meter beträgt, geht aus dem oben Gesagten schon hervor. Eine ziemlich schwierige Aufgabe hatte auch die Zimmergewerkskunst bei Herstellung des Baugerüstes zu lösen; dies ist seitens der Zimmermeister Hintzpeter und von der Sahl geschehen. Die Maurerarbeit übernahm Maurermeister Hevers. Den eisernen Überbau lieferte die bekannte Firma Harkort in Duisburg. Endlich erhielt die Brücke noch einen sehr ansprechenden künstlerischen Schmuck: der Hamburger Architekt Hauers schuf den Entwurf zu einem monumentalen Portal. Was die glückliche Verwerthung des Materials anbelangt, so darf das Werk den berühmtesten Thorportalen im Backsteinstil der mittelalterlichen Architektur als ebenbürtig angereiht werden. Aus Granit und Basaltlava besteht der Unterbau. Zur Ausgestaltung der gotischen Fenster, Nischen und Thürmchen sind gebrannte Formsteine von verschiedener Farbe und Glasur verwendet worden, und aus westfälischem Sandstein sind die himmelanragenden Zinnen geformt – der Gesammtcharakter entspricht den stolzen Bauten mehrerer im Mittelalter ihre höchste Machtstufe einnehmenden Städte der Hansa.

Die Gesammtkosten für die Herstellung der Brücke haben rund zweieinhalb Millionen Mark betragen; die Eröffnung für den Verkehr fand am Sonnabend den 16. Juli vorigen Jahres ohne besondere officielle Feierlichkeit statt.

Ihre Hauptbedeutung wird die Brücke erst in späteren Tagen erhalten, denn vorläufig dient sie in erster Linie nur dem höchst bescheidenen Bedürfnisse der ländlichen Elbinselbewohner, welche die Großstadt mit Milch, Gemüse und Früchten versorgen, während die Eisenbahnzüge auf der etwa 250 Meter elbabwärts gelegenen älteren Brücke stolz dahinsausen. Noch in diesem Jahr beginnt der Verkehr zwischen der „zollangeschlossenen“ Wohnstadt Hamburg und dem künftigen Freihafengebiet, dessen größte Häfen, Docks, Niederlagen etc. auf dem jenseitigen Elbufer angelegt werden. Es bedarf keiner besonderen prophetischen Begabung, um voraus zu sagen, daß auch die benachbarten Elbinseln des Zollinlandes alsdann bald eine ganz andere Physiognomie annehmen werden; unschwer durch Kanäle zu durchschneiden, sind sie zu industriellen Anlagen wie geschaffen, und auch Wohnungen werden daselbst massenhaft und rasch schon aus dem Grunde entstehen, weil im künftigen Freihafengebiet selbst Niemand wohnen darf. Dort also, wo jetzt auf dem eingedeichten Marschboden friedlich Kühe grasen und Kirschen reifen, erschließt sich Ende 1888 dem alsdann in den Zollverein getretenen Hamburg durch seine neue Elbbrücke auch eine neue Welt.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Die Todteninsel.
Von Richard Voß.
(Fortsetzung.)


Daunus befand sich auf einer seiner gewöhnlichen Ausfahrten nach Antium, mußte indessen jede Stunde zurückkehren. Es war Abend geworden, das Meer bewegt, der Himmel bewölkt; aber der Wind erwies sich dem Heimkehrenden günstig, so daß die Seinen sich um den einsamen Schiffer nicht zu sorgen brauchten. Da der Herbstabend kühl war, hatten sie sich in der Kammer des Atinas versammelt. Die dreiarmige Lampe brannte; auf dem Herde knisterte das Feuer; vor dem Fenster hing der bunte Teppich herab. Man hörte von fern das Rauschen des Windes in den Cypressen und das Meer an die Felsen rollen.


[30] Atinas erzählte von den Göttern, in deren urewiges Sein und Wesen sich der Priester mit immer mehr sich steigernder Inbrunst versenkte, eifrig bestrebt, in seinem Sohn den Göttern einen wahrhaft frommen Diener zu erziehen. Und das schien dem Vater zu gelingen, denn so wenig der junge Tullus von der Welt und dem Leben kannte, so gut Bescheid wußte er mit den Himmlischen, die er liebte, ehrte und fürchtete und die ihm überaus hehr und herrlich zu sein schienen.

Dann vernahmen sie den lauten Ruf des heimgekehrten Daunus. Larina und Tullus standen auf und gingen hinaus; der Nachen mußte ans Land gezogen und die Ladung in den Kammern geborgen werden. Das war bald geschehen. Nach einer Stunde saßen Alle beim Herdfeuer; Daunus labte sich am Wein und sprach kräftig den warmen Oelkuchen und den gebratenen Fischen zu, die seine Hausfrau ihm bereitet hatte. Gegen alle Gewohnheit war der Gute, der sich sonst seiner Rettung aus den Gefahren der Welt und der Bergung im sicheren Hafen mit lautem Behagen erfreute, dieses Mal seltsam verdüstert und in sich gekehrt.

Man bestürmte ihn mit Fragen: Wie war es in Antium gewesen? Was hatte er vom Kaiser gehört? Welche Neuigkeiten über den Brand von Rom, der immer noch in den Gemüthern lebte? Hat es sich bestätigt, daß der Kaiser, purpurbekleidet, lorbeergekrönt, in einem von zwölf weißen Rossen gezogenen goldenen Wagen nach seiner Vaterstadt gekommen war, um im Theater vor dem Volk der Antiaten zu singen und sich am nächsten Tag auf dem Forum als höchsten Gott ausrufen und anbeten zu lassen?

Nun ja, bestätigt hatte sich die Kunde. Atinas fuhr wild in die Höhe: aber Daunus blieb wortkarg. Endlich schmeichelte es Acca aus ihrem Vater heraus.

„Was soll mir geschehen sein? Geärgert habe ich mich! Denkt Euch: da giebt es jetzt Menschen, die behaupten, unsere Götter wären nicht Götter, es gebe überhaupt keine Götter, es habe niemals Götter gegeben. Solche Bestien! Sie verkünden einen andern Gott, den sie Jesus nennen und der aus der asiatischen Stadt Nazareth ist. Kann man sich Solches vorstellen? Diesen Jesus von Nazareth haben die Juden, als Tiberius Kaiser war, unter dem Statthalter Pilatus in unserer Provinz Judäa gekreuzigt. Der soll nun ein Gott sein.“

Atinas war aufgesprungen. Mit heiserer Stimme stieß er hervor:

„Wie sagtest Du, Daunus? Unsere Götter wären nicht Götter? Es giebt Leute, die Solches auf der Straße ausrufen und die von dem Grimm der Götter nicht zermalmt werden? Sie leugnen Jupiter und predigen von einem Gott Jesus, der unter Kaiser Tiberius gekreuzigt ward? Ei, Daunus, ein Todter soll ein Gott sein und unsere Unsterblichen sollen niemals gelebt haben? Mein wackerer Daunus, welcher laurentinische Aesop hat Dir in Antium Fabeln erzählt?“

Auch Larina schüttelte den Kopf über ihren Hausherrn, der solche Geschichten mitbrachte. Die Götter wären nicht Götter! Hatte man jemals so Etwas gehört? Besorgt beobachtete die verständige Frau den Gatten, ob nicht etwa der Trank des Bacchus aus ihm rede. Doch schien jener gütige Himmlische dem wackern Mann gänzlich fern geblieben zu sein.

Mit stummem Schrecken blickten Acca und Tullus einander an; es sollte keine Götter geben! Der Jüngling war erblaßt; er mußte an den neuen Gott denken, der wie ein Mensch gestorben war. Die Götter Roms starben nicht!

Nun erzählte Daunus. Und wenn er Nichts mehr wußte, wiederholte er das Gesagte. Athemlos lauschten sie auf seine verworrenen Reden, Atinas mit einem Ausdruck in seinem mächtigen Antlitz, daß sein Sohn voller Scheu zu ihm hinübersah. Daunus berichtete, wie die Nazarener – so nannten sie sich nach ihrem Herrn – den neuen Gott begeistert verkündeten, wie sie die älten Götter lästerten, wie sie von den ergrimmten Römern sich tödten ließen, wie sie sterbend voller Glückseligkeit waren; denn ihr Tod vereinigte sie mit ihrem gestorbenen Unsterblichen. Mit eigenen Augen hatte Daunus in Antium solche Nazarener erblickt. Sie sahen ganz aus wie andere Menschen, kleideten sich auch so, hielten sich still und grüßten sich mit einem besonderen feierlichen Gruße.

Daunus schloß seine Rede:

„Und das Aergste ist, daß dieser Gott Jesus eines Zimmerers Sohn gewesen sein soll. Wäre er noch Kaiser gewesen!“

Aber da stieß Atinas, der in düsterem Schweigen und halber Entgeisterung dagesessen hatte, einen Seufzer aus, so laut und schmerzlich, daß es wie ein Stöhnen klang. Und der Priester gedachte des Kaisers, der, nachdem er öffentlich vor allem Volke als Schauspieler, Sänger und Rosselenker aufgetreten war, sich als höchste Gottheit hatte ausrufen lassen. Und auch das hatten die Götter geduldet! Dies bedenkend, schämte sich Atinas über die Schmach, welche die Unsterblichen sich selber zugefügt hatten.

Bis spät in die Nacht hinein blieben die Freunde beisammen. Der Wind legte sich, die Wolken verzogen sich, der Insel gegenüber stand am Himmel ein kleiner leuchtender Streifen: der junge Mond. Es war, als wäre das Firmament aufgeritzt und Glanz quölle hervor.

Atinas erhob sich und sprach feierlich:

„Laßt uns den Göttern ein Opfer bringen.“

Er verließ die Kammer. Acca füllte die Opferschale. Tullus hoste die Specereien und Alle begaben sich zum Altar. Als die Flammen stiegen, hob Atinas die Schale.

„Euch, die Ihr ewig seid!“

Und er sprengte den heiligen Wein.

Trübe Tage folgten jener Nacht. Das Gemüth des Atinas blieb verdüstert und es stürmte in der Seele des festen und sicheren Mannes. Er trug sich mit schweren Gedanken, verbrachte die Tage in der Tiefe des Haines, sogar den geliebten Sohn meidend, dessen Geist er nach seinem Geist gebildet und mit dessen Leben sich dereinst das seines Vaters erfüllen sollte. So oft er jetzt seines priesterlichen Amtes waltete, spendete er das Opfer den „ewigen“ Göttern, jenen Herrlichen und Hehren, die da waren, die da sind, die da sein werden.

Wochen verstrichen. Der Herbst brachte die Regenzeit. Unaufhörlich strömte es hernieder, dichte, graue Wolkenschleier umhüllten das Eiland, weder Sonne noch Mond waren zu erblicken; die ganze Welt schien in Dunst und Geriesel sich auflösen zu wöllen.

In den Cypressen stöhnte der Wind; er beugte die Wipfel, brach die Blüthenzweige der Büsche und trieb Schwärme bunter Blätter in die Luft. Die aufgewühlten Wogen peitschten die Klippen, der Fels erbebte vom Anprall der wilden Fluth, die Brandung stritt mit dem Sturm, wessen Stimme am grimmigsten zu tosen vermöchte.

Auf den Seelen der Inselbewohner lastete der graue Himmel, als wäre er der Deckel eines Sarges, der über ihnen, den Lebendigen und Athmenden, geschlossen würde. Tullus schlich blaß und stumm umher, als wandle er im Schlafe, aus dem selbst Acca’s Zauberstimme ihn nicht zu wecken vermochte. Zuweilen konnte man ihn starr vor sich hinschauen sehen und dabei die Worte murmeln hören. „Euch, Ihr ewigen Götter!“

Eines Abends trat Atinas in die Kammer der Freunde. Indem er es vermied, seinen Sohn, der sich gerade bei Daunus und Larina befand, anzusehen, sprach der Priester mit rauher Stimme zu dem Gefährten:

„Morgen giebt es einen freundlichen Tag. Der Regen hat aufgehört und der Wind ist umgeschlagen; das Meer beruhigt sich über Nacht. Getrautest Du Dir wohl, morgen nach Antium hinüber zu schiffen?“

„Wir haben noch Mehl genug; Wein und Oel reichen auch wohl für eine Woche.“

„Es ist dieses Mal nicht, um Mehl und Wein zu holen, daß Du nach Antium sollst.“

Verwundert blickte Daunus auf.

„Weßhalb sonst?“

„Du sollst mich hinüberbringen.“

„Dich, Atinas? Du willst nach Antium?“

„So sagt’ ich.“

„Aber was willst Du dort?“

Tullus stand leise auf und trat zu seinem Vater.

„Ja, was willst Du eigentlich in der Stadt?“ fragte mit besorgtem Gesicht jetzt auch Larina. „Du gehst ja niemals hinüber. Es werden zehn Jahre und länger her sein, daß Du zuletzt in Antium gewesen bist. Was willst Du dort?“

„In Antium Nichts.“

[31] „Wie?“

„Ich will nach Rom.“

„Nach Rom!“

Alle Vier riefen es. Die beiden Alten erschraken; Acca that einen leisen Schrei; denn Tullus’ schwermütiges Gesicht erhellte sich und er hatte den Ausruf mit ersticktem Jubel gethan.

Atinas runzelte die Stirn.

„Nun ja, ich will nach Rom. Was ist da weiter? Ich muß selbst sehen, selbst hören – das von den Nazarenern. Es läßt mir keine Ruhe; ich halte es hier nicht länger aus. Genug, ich gehe morgen fort. Bis zum Frühling bin ich wieder zurück. – Was willst Du, Tullus?“

Atinas wußte sehr wohl, was der Jüngling wollte. Bevor dieser indessen seine Bitte stammeln konnte, vernichtete er ihm jede Hoffnung auf Erfüllung derselben.

„Du bleibst hier,“ gebot Atinas. „Was wolltest Du in Rom? Das ist Nichts für einen Knaben wie Du. Das ist eine Stadt, die den Menschen vergiftet und verdirbt an Leib und Seele. Still! Bitte mich nicht! Genug, Du bleibst bei Daunus und Larina und – und bei Acca.“

Atinas sah sie an. Sie stand da, immer noch zitternd von dem gewaltigen Schrecken, aber mit einem Antlitz, das von der holdesten Freude verklärt ward: Tullus mußte dableiben, bei ihr! Atinas nickte ihr zu und lächelte; bei den ewigen Göttern: der finstere Atinas lächelte! Da erglühte Acca über und über.

Am nächsten Morgen vor Aufgang der Sonne war der Nachen zur Abfahrt gerüstet. In tiefer Bewegung schloß Atinas seinen Sohn in die Arme, den Jüngling mit feierlichem Segen unter den Schutz der Ewigen stellend, denen er vorher zum letzten Male am Altare geopfert hatte. Noch lange sahen die Zurückbleibenden die hohe Gestalt im Nachen aufrecht stehen und ihnen zuwinken. Dann tauchte das Fahrzeug in den Glanz des jungen Tages, in dessen Strahlen es ihren Blicken entschwand.

Tullus war zu Muthe, als konnte keine Woge ihm den Vater zurückbringen.




Keine Kunde drang von Atinas nach dem Eilande hin. Aber obgleich der opfernde Priester fehlte, wurde nach gewohnter Weise jeden Morgen und jeden Abend am Altar den Himmlischen gespendet.

„Euch, Ihr ewigen Götter!“

Es war Tullus, der, während Daunus das Opfer darbrachte, diese feierlichen Worte sprach.

Auf der Insel befand sich eine Bildsäule des Jupiter. Die herrliche Marmorgestalt, von einem griechischen Künstler gebildet, stand unweit des Altars, an einem Ort, wo das ganze Jahr über Rosen in solcher Fülle blühten, daß es aussah, als lägen zwischen den dunklen Cypressen scharlachrote Teppiche gebreitet und rosige Schleier gehäuft. Die schönste Ranke, daran vor Blüthen keine Blätter zu sehen waren, hatte sich um den Sockel der Bildsäule geschlungen und höher um den in unsterblicher Schönheit strahlenden Leib, bis zum Haupte des Donnerers empor, im einen Kranz von Rosen auf die Stirn drückend.

Der heimliche Winkel war von Kinderzeiten an der Lieblingsaufenthalt des jungen Paares gewesen; zu Füßen des Gottes hatten die Beiden ihre ersten Spiele gespielt und es war dabei das schöne Marmorbild, das mit göttlichem Lächeln auf die Kleinen niederblickte, der Dritte im Bunde gewesen. In späteren Zeiten hatte Tullus manchen halben Tag vor der Jupiterstatue verträumt, glühende Sehnsucht nach einem zukünftigen Leben voll großer Thaten in der Seele. Jetzt nun, nach der Abreise des Atinas, brachte er von Neuem die Stunden unter dem Bildwerk zu; während er in den Anblick des hellenischen Gottes versunken war, kam dem Jüngling die Absicht jener Nazarener, so viel Majestät und Größe zu leugnen, mehr und mehr als ein Frevel vor, für den alle Qualen des Todes nicht Strafe genug waren. Pochenden Herzens gedachte er in solchen Stunden seines herrlichen Vaters, der sich in Rom sicher an der Verfolgung der Nazarener betheiligte, für die alten, die unsterblichen und ewigen Götter Großes vollbringend. Mit Thränen heißen Schmerzes in den Augen fühlte er seine Nichtigkeit und daß er hatte zurückbleiben müssen, anstatt an seines Vaters Seite dessen glorreiche Thaten zu theilen. Als der Jüngling das hehre Bild des höchsten Gottes anschaute, stieg in seiner Seele eine andere Gestalt auf, die eines Menschen, dessen gemarterter Leib an einem Kreuze hing. Jesus von Nazareth, der neue Gott. Ein gekreuzigter Mensch ein Gott – ein Todter ein Unsterblicher!

Tullus haßte und verabscheute den Leichnam, der ewig sein sollte.

Wieder einmal war Daunus nach Antium hinübergeschifft. Tullus hatte ihn durchaus begleiten wollen, hatte beinahe mit Gewalt verhindert werden müssen; denn Daunus hatte dem Atinas gelobt, seinen Sohn der Küste fern zu halten. Die Nachrichten, welche er über die Nazarener zurückbrachte, waren nicht darnach angethan, die Gemüther zu beruhigen: laut und lauter erhoben die Jünger des neuen Gottes ihre Stimmen; offen schmähten sie die Ewigen als ungöttlich und gar nicht seiend; triumphirend erlitten sie Verfolgung, Marter und Tod. Ihre Zahl wuchs und wuchs.

Dann war lange Zeit der Verkehr mit dem Festlande unterbrochen. Winterstürme umbrausten die Insel. Endlich kam der Frühling: es war, als ob die Schwingen einer Gottheit im Vorüberrauschen den Felsen im Meere berührt hätten. Unter den Cypressen erblühte über Nacht ein Teppich von weißen und gelben Crocus; in den Gebüschen dufteten die Veilchen; die öden Klippen bedeckten sich mit Anemonen und Tazetten, und neben den Myrthensträuchern öffneten die Blumen des schönen Narcissus ihre duftenden Kelche.

In Schwärmen kamen Amseln und Nachtigallen und erfüllten den Hain mit Gesang. Es war ein Getön, als hätten die Zweige Stimmen und Wohllaut empfangen. Gleich Strahlen durchschossen die Blaudrosseln die sonnigen Lüfte; in den von Schmetterlingen umschwärmten Blumendickichten nisteten zahllose Ringeltauben und um die Wipfel der Cypressen schwirrten die Turteltauben.

Halbe Tage lang lag Tullus am Strande, hörte die Wogen rauschen, sah die Wolken über sich ziehen und starrte in die glanzvolle Meeresweite hinaus, hinüber zu dem langen leuchtenden Streifen der lateinischen Küste. Es war in diesen Tagen, daß der Jüngling sich wie sterbend fühlte vor Sehnsucht.

Acca saß am mütterlichen Webstuhl, das Schifflein weniger eifrig als sonst durch die Fäden werfend. Sorgend gedachte sie des dunklen Wesens ihres lieben Freundes und fühlte sich so kummerbelastet, daß ihr häufig beide Arme wie in tiefer Ermattung am Leibe herabsanken. Die Sonne ging unter in den purpurnen Fluthen, und die Glorie des Abendrothes verklärte den Webstuhl, die junge Gestalt des einsam in Trauer dasitzenden reizenden Kindes.

Was war’s nur mit ihm?

Er wollte fort!

Und fort mußte er, sonst verkam er. Sie kannte ihn! Lange ertrug er’s nicht mehr, dann ging er fort: in aller Heimlichkeit, ohne ihr Lebewohl zu sagen. Er folgte seinem Vater; er ging nach Rom, in die ungeheure Stadt, wo Gefahren ihm drohten, wo Niemand bei ihm war, ihn vor dem Verderben zu schützen.

Denn sie kannte ihn!

Was wollte er in Rom?

Seinem Vater helfen, die Nazarener zu verfolgen. Er haßte sie.

Acca verstand nicht, wie der Mensch hassen konnte.

Leise trat Tullus in die Kammer und sah zu der verklärten lieben Gestalt hinüber, lange und unverwandt. Aufschauend begegneten sich ihre Blicke. Da wußte sie es; sie wußte es gleich.

Er ging fort, diese Nacht noch – ohne von ihr Abschied zu nehmen.

Sie erhob sich, ging langsam auf ihn zu, stand und sah ihm tief in die Augen.

„Ich gehe mit Dir.“

Tullus erbebte.

„Ich gehe nicht fort.“

„Du gehst nach Antium und weiter: bis nach Rom – diese Nacht noch.“

„Acca!“

„Es wird meine Eltern sehr bekümmern, aber ich kann ihnen nicht helfen.“

[32] Noch einmal versicherte Tullus:

„Was fällt Dir ein? Ich bleibe hier.“

Ihren leuchtenden Blick von seinem bleichen Gesicht nicht abwendend, lächelte sie ihn an, ohne ein Wort zu sagen; da stürzten ihm die Thränen aus den Augen, laut schluchzte er auf.

„Ich weiß ja auch nicht, was es ist,“ stammelte er. „aber ich sehne mich so – – ach, Acca, Acca, wie ich mich sehne!“

Sie umschlang ihn mit beiden Armen, drückte sein Haupt an ihre Brust und flüsterte ihm zu:

„Wo Du bist, muß ich sein. Kannst Du Dir denken, daß es anders geschehen könnte?“

Er konnte es sich nicht denken; so gestand er ihr denn Alles und sie tröstete ihn. Darauf küßten sie sich, unschuldig wie Kinder, die sich gezankt haben und sich wieder versöhnen.

(Fortsetzung folgt.)




Aus den Geheimnissen der Puppentoilette.

Jetzt, da das Christkind überall die neuen Puppen gebracht hat, ist es gewiß zeitgemäß, von diesem uralten Spielzeug zu sprechen. Und dieses Thema ist interessanter, als Viele meinen möchten; denn die Puppe hat wie die Menschen eine Geschichte; sie ist in allen Erdzonen verbreitet wie unser Geschlecht und in alten Gräbern, unter den Trümmern längst verlassener Burgen hat man Puppen gefunden. In unseren Museen sehen wir Puppen, mit welchen im Alterthum griechische und römische Mädchen gespielt, und es fehlen sogar nicht selten überseeische Exemplare, die einst die Augen der Indianerkinder erfreuten und nach Jahrhunderten von deutschen Forschern in den Incagräbern in Peru gefunden wurden. Ja, man könnte sogar von einer Ethnographie der Puppe sprechen; ich denke dabei an das rauhhaarige Spielzeug der Tschuktschenkinder, welches der Nordpolfahrer Nordenskiöld abgebildet und beschrieben hat.

Ich will jedoch nicht von den alten Docken, sondern von den eleganten modernen Puppen erzählen und einige nicht uninteressante Geheimnisse ihrer Toilettenkünste verrathen. Unsere Frauen geben so viel auf den Teint ihrer Haut; von dem trefflichen frischen Quellwasser bis zur Schminke, zum Puder und zu allerlei fraglichen Schönheitswässern greifen viele der Reihe nach. Eben so ist der Fabrikant um den frischen Teint der Gesichtchen seiner Puppen besorgt und wendet seinen ganzen Scharfsinn an, um ihn im Aussehen der menschlichen Haut möglichst ähnlich zu gestalten.

Seit alten Zeiten hat man für feine Puppenköpfe in dem Wachs einen trefflichen Rohstoff erkannt, und unzweifelhaft zählen die „Wachspuppen“ zu dem schönsten Spielzeug unserer Kleinen. Ein Korallenmündchen, rosig angehauchte Wangen, die zierlichsten Augenbrauen – alle diese Schönheitsmerkmale kann der „Künstler“ mit gut gewählten Farben der Wachspuppe auftragen. Täuschend ähnlich einem menschlichen Wesen steht dann das kleine Kunsterzeugniß; wer jemals ein Panoptikum besucht hat, der weiß, wie gefügig sich das Wachs unter geschickten Händen erweist.

Aber das zarte Material ist auch mit Mängeln aller Art behaftet. Die Wachspuppen gelangen ja in die Hände von Kindern, und wie zartfühlend und sorgsam auch die kleinen Mütter sein mögen, geschickt sind sie gewiß nicht; sie lassen ihre Pfleglinge fallen, stoßen mit ihnen gegen harte Gegenstände an, streicheln ihnen die Wangen mit dem eigenen, nicht immer reinlichen Händchen. So sieht die Wachspuppe nach wenigen Tagen wie ein kleiner Struwwelpeter aus: zerschunden und beschmutzt ist ihr Gesicht, welches leider nicht gewaschen werden kann.

Aber noch andere bedenkliche Schwächen sind der Wachspuppe angeboren. Sie ist eigentlich ein Kind der gemäßigten Zone und kann weite Reisen nach dem Süden und Norden nicht vertragen. Ja selbst in unserer Heimath darf sie nicht, wie die kleinen Kinder, auf Reisen geschickt werden, wenn ein starker Frost herrscht. Sinkt die Temperatur unter –5°R., so erhält die Wachspuppe Risse und Sprünge. Man hat zwar durch verschiedene Beimengungen das Wachs gegen die Einflüsse der Kälte widerstandsfähiger zu machen gewußt, aber die Natur hat auch hier der menschlichen Erfindungskraft eine Grenze gezogen; bei einer Kälte von –10°R. ist jede Wachspuppe rettungslos verloren. Und gerade um Weihnachten, wo so viel Puppen von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt geschickt werden, greift so oft der Winter mit voller Strenge ein, dann versucht man die verdorbenen Puppen wieder herzustellen, und es gelingt dies auch in vielen Fällen, wenn man die Puppe vorsichtig an einen warmen Ofen hält, die Sprünge gehen dann in „leichten Fällen“ von selbst zusammen. „Narben“, welche das Gesicht entstellen, sind aber leider unausbleibliche Folgen auch bei vielen dieser „Puppenwunden“. Tiefere Risse sind vollends unheilbar.

Gleich empfindlich ist die Wachspuppe gegen die Wärme. In die Tropenländer darf sie sich gar nicht wagen; niemals wird sie eine Afrikareisende werden! Wir wissen ja, daß Briefe, welche den Aequator passiren sollen, mit Siegellack nicht geschlossen werden dürfen, weil dieses in jenen südlichen Ländern schmilzt. Der Wachspuppe, die aus einem noch schmelzbareren Stoff geformt ist, würde es auf einer solchen Fahrt recht schlimm ergehen. Das ist ein betrübender Umstand; denn die Kinder der südlichen Länder freuen sich eben so über schöne Puppen wie die unsrigen, und der deutsche Spielwaarenfabrikant ist darauf angewiesen, seinen Erzeugnissen die weitesten Absatzgebiete zu erschließen.

Die Noth ist die Mutter der Erfindungen, auch in der Puppenfabrikation behält das alte Sprichwort Recht.

Gegen Kälte und Wärme ist eine Wachspuppe nicht zu schützen, wohl aber kann man sie widerstandsfähiger gegen die thätlichen Angriffe der Pflegemutter machen, indem man sie mit einem Ueberzug von Kollodium versieht; dann ist die Puppe auch waschbar, aber immerhin noch ein sehr zartes Geschöpf. Es scheint aber, daß es unsrer Zeit vorbehalten ist, ein unverwüstliches Puppengeschlecht zu zeitigen, und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird Thüringen dessen Wiege sein.

Schon seit Jahren gelangen von dort Biscuitporcellanköpfe in Handel, die sehr beliebt sind. Das Biscuitporcellan besitzt keine Glasur; seine Oberfläche ist matt und kann durch Bemalen mit geeigneten Schmelzfarben der menschlichen Haut außerordentlich ähnlich gemacht werden. Aber diese Köpfe sind noch keineswegs das Ideal der Fabrikation; sie sind leicht zerbrechlich und schwer.

Dem Wachs ist ein anderer und viel gefährlicherer Rival erstanden: das Papiermaché. Wir machen alles Mögliche aus Papier: „Ziegelsteine“ zum Hausbau und Eisenbahnräder, und es taugt auch für Puppenköpfe.

In der That sind die Papiermachépuppen weniger zerbrechlich, leichter und vor Allem billiger als die Biscuitporcellanköpfe. Sie lassen sich bemalen und lackiren, mit einem Ueberzug versehen, und gerade die Ueberzüge für Puppenköpfe bilden jetzt eine der brennendsten Fragen in den eigenartigen Toilettengeheimnissen der Puppenwelt.

Vor etwa zehn Jahren nahm ein Sonneberger das Patent auf eine Lösung, die er „Kautschukmasse“ nannte. In diese Masse tauchte er die Puppenköpfe ein, und als der Farbüberzug getrocknet war, bildete derselbe eine feste elastische Haut, die selbst dann noch ganz blieb, wenn der Papiermachékopf unter ihr längst in Brüche gegangen war. Wie verlockend auch die Aussicht auf „unzerreißbare Puppenköpfe“ als Pendant zu den „unzerreißbaren“ Bilderbüchern sein mochte, man setzte an der Kautschukmasse doch Einiges aus; ihre Farben verblichen zu rasch und die Haut zerfloß in feuchter Wärme. Die „Unzerreißbare“ war nicht exportfähig nach Kamerun oder Brasilien.

Da erfand ein Sonneberger Chemiker um dieselbe Zeit einen Lack, der nach dem Eintrocknen nicht glänzte, sondern matt erschien wie der menschliche Teint. Anfangs wurde er mit seiner Erfindung von den Fabrikanten abgewiesen, als aber einer von ihnen dennoch das Patent von ihm erwarb und mit seinen Puppenköpfen Aufsehen erregte, da wurde der „tunkbare Mattlack“ sehr begehrt, und heute giebt es eine ganze Anzahl von ähnlichen Lacken, die im Grunde genommen doch Nachahmungen des ursprünglichen sind. Die mit diesem Ueberzug versehenen Papiermachépuppen nennt man „waschbare matte“, und sie bilden in der That einen der gangbarsten Handelsartikel. Durch die Konkurrenz sind sie außerdem äußerst billig geworden „Ein Dutzend Puppenköpfe von 10 Centimetern Höhe, mit Glasaugen

[33]

Die Strähne verwickeln sich. Nach dem Oelgemälde von G. del Torre.
Photographie im Verlag von B. Angerer in Wien.

[34] versehen und mit langhaariger Frisur, schön gemalt und matt lackirt, muß der Fabrikant für 2 Mark 30 Pfennig liefern können, sonst bekommt er Nichts zu thun,“ schreibt unser Gewährsmann. (Vgl. „Archiv für Spielwaaren-Industrie“. Koburg, Th. Herm. Wechsung, 1887.)

Aber die Tage, wo die „Waschbare Matte“ die Herrscherinnenrolle spielte, scheinen schon gezählt zu sein. Der Erfindersinn ruht nicht im Thüringerlande. Vor einiger Zeit hat wiederum ein Sonneberger einen Ueberzug hergestellt, der den Mattlack weit übertrifft. Das neue „Matt“ besitzt das Aussehen einer frischen jugendlichen Haut oder einer hauchartig angelaufenen Obstfrucht. Außergewöhnlich schön sind die jüngsten Kinder der betreffenden Fabrik, und dabei unverwüstlich; der neue Teint läßt sich kaum noch durch Waschen und Reiben, selbst bei der größten Anstrengung, beseitigen; Seifenwasser, Spiritus, Schwefeläther und Terpentinöl können ihn nicht auflösen. Chemiker und Lackfabrikanten möchten gern das neue Geheimniß der Puppentoilette ergründen; aber gewitzigt durch die Erfahrungen Anderer, hat der Fabrikant es treu zu hüten gewußt. Seine wunderbare Mischung hat bis jetzt nur noch ein zweiter Sonneberger „nacherfunden“; aber auch dieser schweigt über seinen Schatz.

„Puppenteint!“ Wie komisch und geringfügig klingt das Wort, und welche Rolle spielt es doch in dem volkswirthschaftlichen Leben! Es beschäftigt viele Köpfe; es setzt chemische Wagen und Retorten in Bewegung; es bedeutet Gewinn und Verlust. Sie sind auch Toilettenkünstler, unsere deutschen Puppenfabrikanten, und sogar größere als die berühmte Emailleuse Rachel, von welcher Hans Wachenhusen vor Kurzem unseren Lesern erzählt hat. Die armen gefallsüchtigen Damen, welche mit dem Rachel’schen Email glänzen wollten, mußten auf die Wohlthaten des Waschens verzichten – die „Matten Waschbaren“ aber können getrost alltäglich von Gretchen und Kätchen nach Belieben mit Schwamm und Seifenwasser beglückt werden.

Unsere Zeit schreitet auf allen Gebieten vorwärts; aber nicht Jedem bringt sie damit Freuden. Ich kannte eine Frau, die viel mit Puppen zu thun hatte und der gerade die neuen Erfindungen viel Kopfzerbrechen bereiteten. Es war die berühmte Leipziger Puppendoktorin, deren Bild einst eine Nummer der „Gartenlaube“ schmückte. (Vergl. Jahrg. 1874, S. 787.) Sie hatte im Laufe der Jahre viele Tausende von Puppen kurirt und die verzweifeltsten Fälle wie Schädelbrüche, Verluste der Glieder etc. mit sicherer Hand wieder gut gemacht. Sie war eine Langenbeck auf diesem eigenartigen Gebiete und auch eine Toilettenkünstlerin sonder Gleichen. Bleichsüchtig gewordene Püppchen erhielten bei ihr in wenigen Tagen die blühendsten Rosenwangen. Während ich diese Zeilen niederschreibe, liegt das „Leipziger Tageblatt“ vom 2. December vor mir. Es enthält die Anzeige von dem Tode der Puppendoktorin Frau Emma Friederike Schneider.

Ich muß gestehen, daß die Gedanken an unsere „alten Beziehungen“ mir Veranlassung gaben, diesen Artikel über einige Fortschritte und Erfindungen in der Puppenfabrikation zu schreiben.

C. Falkenhorst.     




Sie wird keine Hausfrau.


Sie wird aber keine Hausfrau! Dieser Stoßseufzer folgt sehr oft der Freude unserer modernen Mütter über eine gute Censur, die das Töchterchen heimbringt und die den ernsten, sonst ziemlich kritisch veranlagten Vater veranlaßt, in die rosige Wange des kleinen Mädchens zu kneifen und seine mündliche Anerkennung der schriftlichen des Lehrers beizufügen. Sie wird keine Hausfrau! Sie hat zu Allem Lust und Geschick, nur nicht zu kleinen Handreichungen in der Wirthschaft, und was man ihr in dieser Richtung mit unsäglicher Mühe beigebracht, das vergißt sie über andere Dinge in kürzester Zeit wieder. Besonders Großmütterchen schüttelt über die verschiedenen Unterrichtsfächer der Enkelin bedenklich das graue Haupt. Zu ihrer Zeit wußte man in den Mädchenschulen noch Nichts von Formenlehre und Chemie; aber damals verstanden die Frauen zu kochen und zu wirthschaften, einen Haushalt zu führen und zu – sparen.

„Das sollte man lehren in unseren höheren Töchterschulen!“ so meint das Mütterchen. „Was nützt den Mädchen Formenlehre und Chemie? Das sind doch alles Dinge, mit denen sie nach der Konfirmation nichts Besseres anzufangen wissen, als sie so bald als nur irgend möglich zu vergessen.“

Und wenn das kleine Mädchen die höhere Töchterschule verläßt und in die Pension eintritt, wenn sie Klavier spielt und Opernarien singt, daß eine Sängerin von Fach auf widerrechtliche Geschäftskonkurrenz klagen könnte, wenn die englischen und französischen Konversationsstunden kein Ende nehmen und jede Woche ein ausländisches Lesekränzchen tagt, so ist das erst recht nicht nach Großmütterchens Geschmack und sie blickt mit trüben Augen in die Zukunft. Ihr einziger Trost ist dann der, daß das Kind doch endlich einmal Schule und Pensionszeit hinter sich hat, und dann – ja, dann will Großmutter ihren Einfluß schon geltend machen, dann soll das junge Mädchen zur praktischen Hausfrau ausgebildet werden, Schlüsselbund und Pantöffelchen mit Würde tragen und als schaltendes und waltendes Hausgeistchen in Küche und Keller regieren.

Ach, Großmütterchen sieht leider, auch wenn dieser heiß ersehnte Zeitpunkt endlich herangekommen ist, daß ihr Traum ein schöner Traum war. Es giebt so viel Anderes zu thun! Die Romanlektüre, die Visiten, die Pflege der verschiedenen Talente, die Ausfahrten, die Einkäufe, der Besuch von Vorlesungen, Koncert und Oper, im Winter die Bälle und das Schlittschuhlaufen – ach, es bleibt dem armen jungen Mädchen wahrlich keine Zeit, sich zur praktischen Hausfrau auszubilden. Großmütterchen ist in Folge dessen trostlos, und ihr stehender Refrain bei Absingen ihres Klageliedes über die moderne Frauenerziehung ist. „Wie soll das zuletzt werden?“

Es ist so viel schon über dieses Thema geschrieben worden, und man sucht so viele unglückliche Zustände unserer Zeit in dem Umstande, daß die Mädchen eine verkehrte Erziehung genössen – weit über ihren Stand hinaus – aber es ist damit nicht so schlimm. Es nützt vielleicht manches nicht viel, was man mit viel gutem Willen und einigem Geschick, der „Mode“ zu Liebe, in unserer Zeit lernt, aber – es schadet auch nicht so viel, wie man annimmt.

Glaube mir, besorgtes Großmütterchen, jedes Weib ist gleich von Geburt an zur praktischen Hausfrau beanlagt, und wenn der rechte Lehrmeister kommt, wird das von dir so sehr gewünschte Studium praktischer Dinge beginnen, und zwar mit gewaltigem Eifer und Interesse. Dieser Lehrmeister ist die Liebe.

Eine Freundin von mir, ein wenig emancipirt, wollte absolut nicht heirathen, und es war ihr auch Ernst damit; denn sie hätte leicht einen Mann haben können: war sie doch jung, schön und reich.

„Ich lobe mir meine schöne, goldene Freiheit!“ sagte sie, und sie lebte auch wirklich ein herrliches, beneidenswerthes Leben der Selbständigkeit. „Werde ich kein Narr sein und im Schweiße meines Angesichtes kochen, waschen – kleine Kinder warten, Strümpfe stopfen und Oberhemden plätten – ich danke! In Deutschland ist doch nun einmal die Frau die erste Magd ihres Mannes, und ich thue absolut keine Mägdearbeit. Wer will mich dazu zwingen!“

Sie malte und hatte schon mehrere Bilder auf Ausstellungen gehabt, und diese Bilder fanden nicht nur eine sehr günstige Kritik, sondern auch Käufer. So kopirte sie einst eine Madonna, die einem städtischen Museum eigenthümlich angehörte. Sie fuhr zu diesem Zwecke täglich nach der großen Stadt, die nahe bei unserer Heimath liegt, und ich fuhr oft mit. Wir speisten dann in einem der besseren Restaurants und immer sehr gut. Auch meine Freundin gab zu, daß sie noch nirgends so ausgezeichnet gegessen habe. Der Wirth dieses Etablissements, das an Eleganz seines Gleichen suchte, sah aus wie ein englischer Lord und pflegte unter seinen befrackten Kellnern und zwischen den Tischen der Speisenden hindurch zu gehen wie ein General, der seine Truppen befehligt. Nie rührte er eine Hand an und – er sprach sieben Sprachen. Es amüsirte uns oft, wie er mit distinguirten Ausländern so gewandt konversirte und wie er diesen an Noblesse des Auftretens Nichts nachgab.

Damen gegenüber trat er sehr galant auf. Er war ihnen behilflich, die Mäntel ab- und anzulegen und sorgte ganz besonders für ihre Bedienung; auch überwachte er das ihnen Vorgesetzte mit Argusaugen – es mußte tadellos sein. Aber auch dabei sah er aus, als ob er der Dame damit eine Ehre erweise. Alice gab zu, daß er „ein interessanter Mensch“ sei.

Dagegen hingen seine Augen so nachdenklich an meiner schönen Freundin, er hielt sich so krampfhaft in ihrer unmittelbaren Nähe, musterte so wohlgefällig ihre stets gewählte, hochelegante Toilette, daß mir seine Werbung Beängstigungen eingeflößt hätte, wenn ich meiner Sache in Bezug auf Alice nicht gar so sicher gewesen wäre. Aber Alice, und heirathen – und nun gar einen Restaurateur – tausendmal nein!

„Männchen“ – dachte ich oft still bei mir, „gieb Dir keine Mühe, der Vogel läßt sich nicht fangen!“.

Bisweilen that mir der von so heißer Leidenschaft Erfüllte aber auch wieder leid.

Wer kann für seine Gefühle? Das Herz geht nun einmal ohne Paß über die Grenze.

Dann machte ich eine Badereise, und noch im Bade weilend, erhielt ich die Verlobungsanzeige meiner malenden Freundin mit dem blonden Restaurateur.

„Ja, mir ist nicht zu helfen!“ schrieb ich ihr. „Du willst heirathen? Und nun gar einen Restaurateur? Da muß doch gleich die Welt untergehen! Das Etablissement müßt Ihr natürlich schließen! Selbstverständlich wird ‚er‘ Farben reiben, während Du malst! Nein, ich bitte Dich, Du, die schwärmerische Jüngerin der heiligen Kunst!“

„Gott bewahre!“ antwortete sie, „werden wir doch nicht Narren sein und das Etablissement schließen! Malen werde ich vielleicht nur selten, aber mahlen desto mehr. Kaffee und Pfeffer –. Und was die schwärmerische Jüngerin der heiligen Kunst anlangt – so zu kochen, wie man bei meinem Schatz ißt, ist auch eine Kunst.“

Und sie heirathete – einen Restaurateur – und sie kochte selbst. Alle Gourmands der Großstadt wurden ihre Stammgäste.

Natalie Guth.     
[35]
Blätter und Blüthen.


Das königliche Zeughaus („Ruhmeshalle“) in Berlin. (Mit Illustration S. 21.) Unter den Bauten Berlins gilt das königliche Zeughaus als eine der schönsten. Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, legte im Jahre 1695 den Grund, die Ausführung wurde dem Baumeister Nering übertragen, nach dessen Tode Martin Krüger und Schlüter die großartigen Pläne zu weiterer Entwicklung brachten; 1705 wurde das Haus theilweise seiner Bestimmung übergeben, die volle Belegung mit Waffen fand dagegen erst im Jahre 1730 statt. Nach den Befreiungskriegen wurden die Innenräume gelegentlich noch anderweitig verwendet; sie wurden zur Anlage von Geschirrkammern gebraucht und durch Einbauten, Zwischenböden und Scheidewände nicht wenig verunziert.

Da befahl Kaiser Wilhelm am 22. März 1875, dem Landtage eine Gesetzvorlage zur Gewährung von Mitteln zu unterbreiten, um mit diesen das Zeughaus vollständig umzugestalten. Nachdem diese Vorlage am 22. März 1877 Gesetz geworden, unternahm Baurath Hitzig die Neugestaltung des Hauses, das dem Kaiser im Januar 1881 übergeben werden konnte. Jene Vorlage bestimmt in knappen Worten als Zweck des Bauwerkes: „Aufnahme einer Waffensammlung in Verbindung mit einem Schmuckraum, bestimmt zur Ausstellung von Standbildern der Herrscher Preußens, der Standbrustbilder preußischer Feldherrn und zur Herstellung von Wandgemälden, darstellend die bedeutsamsten Vorgänge aus der preußisch-brandenburgischen Geschichte“.

Der Werth der im Zeughause ausgestellten Sammlungen und Kunstwerke aller Art ist ein nach jeder Richtung hin unschätzbarer, hier entrollt die Muse der Geschichte ihre Blätter dem deutschen Volke. Geschütze, Waffen aller Art, Fahnen, Standarten und andere Kriegszeichen erzählen den Lebenden von blutigen Schlachten und Heldenthaten tapferer Kämpfer. Stolzen Blickes schaut die lorbeergekrönte Borussia von R. Begas aus der Mitte des herrlichen überdachten Lichthofes hinüber nach all den Trophäen, die meistens von braven Streitern feindlichen Händen im Gewühl des Kampfes entrissen wurden.

Das Berliner Zeughaus ist schon einmal (vergl. Jahrgang 1881, S. 244) in der „Gartenlaube“ von L. Pietsch geschildert worden; unsere heutige Abbildung versetzt uns in die den Sammlungen des Ingenieurwesens gewidmeten Räume, sie enthalten Pionierhandwerksgeräth, Nachbildungen von Artilleriefuhrwerken, Schlüssel von Festungen, darunter die am 29. Oktober 1870 an König Wilhelm nach Versailles übersandten Schlüssel der eroberten Festung Metz, und zahlreiche Nachbildungen französischer und deutscher Festungswerke und Kampfplätze. Die Besucher auf unserer Zeichnung besichtigen das Schlachtfeld von Königgrätz, auf welchem zwischen Preußen und Oesterreichern soeben der letzte entscheidende Zusammenstoß stattfindet. Von diesem Saale richtet sich der Blick nach dem Lichthofe, in welchem eins von den im letzten Feldzuge eroberten französischen Geschützen sichtbar ist. Ueber der Pforte im Hintergrunde hängt das mit französischen Fahnen umrahmte Oelbild des Anfangs erwähnten Baumeisters Nering.

Der Reiz der Korrespondenz. Unter die bezeichnendsten Merkmale unserer Zeit gehört die große Scheu vor dem Briefschreiben, welche fast allen hervorragenden Geistern gemeinsam ist. Ein bekannter Autor, der zu seinem Vergnügen korrespondirt, dürfte heut zu Tage eine große Seltenheit sein. Wie anders war dies im vorigen Jahrhundert! Rousseau erzählt zur Illustration seiner ungemessenen Schreibelust, daß, als er eines Tages von einem Menschen las, welcher sich manchmal absichtlich von seiner Geliebten entfernte, nur um ihr schreiben zu können, er selbst bei dieser Lektüre, im Innersten getroffen, ausrief. Aber das bin ja ich!

Noch viel komischer für uns klingt aber eine Erzählung der Frau v. Staël, welche von einem Landaufenthalt im Freundeskreise unmittelbar vor ihrer Verbannung 1804 Folgendes berichtet:

„Wir hatten die Erfindung gemacht, uns nach dem Diner an einen grünen Tisch zu setzen und, statt zu plaudern, uns gegenseitig Briefe zu schreiben. Diese vielfachen, veränderlichen tête-à-tête amüsirten uns so herrlich, daß wir kaum das Aufstehen vom Tisch erwarten konnten, wo wir mit einander sprachen, nur um uns wieder schreiben zu können.

Kamen zufällig Fremde, so standen wir deßhalb von der liebgewordenen Gewohnheit nicht ab, sie mußten mitthun, und unsere „kleine Post“, wie wir sie nannten, ging unaufhaltsam ihren Gang weiter.“

Sie erzählt dann, wie sich die geistreiche Gesellschaft an einem zufällig herein gekommenen dicken Landjunker ergötzte, der zu ihrem Treiben große Augen machte und darauf hin von der liebenswürdigen Madame Recamier sofort mit einem graziösen Billett bedacht wurde, dasselbe aber zurückschob, indem er sich verlegen entschuldigte, „bei Licht nichts Geschriebenes lesen zu können“. Die Billetts der so berühmt schönen und bezaubernden Frau standen freilich anderwärts höher im Preise, und die Gesellschaft hatte wohl Ursache, über eine solche Abweisung Thränen zu lachen.

Bekanntlich hat Frau von Staël ihr „Exil“ an den Ufern des Genfer Sees, im Genuß eines großen Vermögens, nur deßhalb so unerträglich gefunden, weil es sie von dem Reiz jener unermüdlichen Pariser Konversation ausschloß, die heute auch den Geistreichsten mehr Last als Vergnügen sein würde. Diese sitzen heute erholungsbedürftig und voll seliger Andacht im Anschauen derselben wundervollen Seeufer verloren, über welche Frau von Staël unmuthig ausrief: „Ach, wie viel schöner war doch der Rinnstein in der Rue du Bac!“ So ändern sich die Zeiten und Menschen in hundert Jahren. –


Eine Liebesbotschaft. (Mit Illustration S. 25) Zu allen Zeiten haben sich solche Botschaften, wenn sie nicht insgeheim überbracht wurden, sondern den ernsten Zweck der Ehe ins Auge faßten, in irgend ein festliches Gewand gekleidet. So war’s wohl auch in den Zeiten des alten Rom. Unser Bild zeigt uns, wie eine schöne Römerin die Huldigungen entgegennimmt, die ein Aegypter, den man im Hintergrunde des Bildes auf seinem Wagen steht, ihr durch seine Sklavin darbringen läßt. Die stolze, schöngeschmückte Patricierin, umgeben von anmuthigen Gefährtinnen, von denen die eine mit größter Spannung der Entscheidung der Freundin entgegensteht, blickt mit vornehmer Ruhe auf die symbolische Botschaft, einen Korb mit Blumen gefüllt, von denen jede eine bestimmte Bedeutung hat. Doch irren wir nicht, wenn wir annehmen, daß sie zur Erwiederung für diesen Korb keinen andern in Bereitschaft hat.

Ueber Teppichgärtnerei. Die zahlreichen Freunde der schönen Gartenkunst machen wir auf ein treffliches, mit zweckentsprechenden und anmuthenden Illustrationen versehenes Werk aufmerksam. „Die Gartenkunst und Gärten sonst und jetzt“ von H. Jäger (Berlin, Paul Parey). Da kann man das Nähere nachlesen über die Geschichte der Gartenkunst, über chinesische und römische Gärten, über Gärten im französischen und englischen Stil. Der letzte Hauptabschnitt ist den europäischen Gärten der Neuzeit gewidmet und enthält eine Menge durch Bilder erläuterte Schilderungen und treffende Bemerkungen. Ueber die Teppichgärten, die neuerdings so beliebt sind, sagt der Verfasser: „Leider hat das Bestreben nach gärtnerischem Schmuck der Umgebung der Wohnung vielfach zu Geschmacksverirrungen geführt, welche sich besonders als künstliche Teppichgärten darstellen. Nicht daß dieselben an sich selbst unschön genannt werden könnten, denn das sind sie nicht, und vor ansehnlichen Gebäuden sind sie meistens sehr wohl angebracht; es ist nur die Art der Ausführung zu tadeln. Man wendet oft allzu künstliche Figuren an, Blumenstücke mit zahllosen Abtheilungen, eigentliche Mosaikblumenbeete, welche nie zur rechten Geltung kommen können, weil das Material der Blumen nicht dazu geeignet ist. Viele jetzige Gärtner wollen aber aus Blumen und Pflanzen unmögliche Formen darstellen. Einfache, symmetrisch geformte und angeordnete Blumenstücke verfehlen nie einen günstigen Eindruck und wirken mehr als künstliche Mosaikblumenbeete. Die Abtheilungen dürfen nie zu klein und in einander geschoben und verschlungen sein, damit die Farben kräftig wirken können. Diese Einfachheit erleichtert auch die Arbeit des Gärtners und wirkt kräftig in der Ferne. Ein Fortschritt in der Teppichgärtnerei ist die Erfindung der plastischen oder Hügelbeete. Aus einem gewöhnlich runden ebenen Beete erheben sich mehr oder weniger die Flügel als schmale abgerundete Stücke so hoch, daß sie das Gefäß der die Mitte bildenden Pflanze decken. Hierbei kommt Alles darauf an, daß die geeigneten niedrigen Pflanzen in harmonirenden Farben gewählt werden. Blühende Pflanzen sind kaum dabei brauchbar. Solche erhabene Beete, in Teppichgärten vertheilt, vermehren die Abwechslung und verhindern die Eintönigkeit. Leider hat die Einführung dieser plastischen Blumenbeete schon zu schlimmen Geschmacklosigkeiten geführt, am meisten in Nordamerika. Im Southpark in Chicago haben die Gärtner Beete angelegt, welche die Köpfe zweier verstorbener Präsidenten darstellen, ferner Pyramiden von zwei Metern Höhe und ähnliche Dinge. Auch die Italiener haben sich arg vergangen. So sieht man in einer Villa am Comosee eine Gruppe von Teppichbeeten, welche einen Vulkan darstellen sollen, dessen Lavaströme von feuerrothen Pflanzen gebildet werden.“

Zenab. (Mit Illustration S. 28.) Eine arabische Primadonna! Sie kann freilich nicht ihren Ruhm in den Zeitungen lesen, wie die europäischen; aber einem Münchener Maler, Alfred Schüler, der eine Studienreise durch Aegypten macht, ist es gelangen, sie in seinem Atelier zu malen, und so kann auch unser deutsches Publikum diese ägyptische Jenny Lind von Angesicht sehen.

Sie heißt eigentlich Senab Hanim, stammt aus Bulak, einer Vorstadt Kairos, und ist die Tochter eines Pantoffelhändlers. Schon als Kind besaß sie eine schöne Silberstimme und wurde zu allen Feierlichkeiten, Festen und Hochzeiten geladen, um die Gäste durch ihren Gesang zu erfreuen. Als sie eines Tages bei einem solchen Feste ihre Lieder sang, hörte sie die Gemahlin des großen Hassanùn Pascha, die schöne und kunstsinnige Faia Hanim, welche in ihrer Equipage an dem Hause vorüberfuhr, in dem die junge Sängerin sang. Sie ließ die damals noch sehr jugendliche Künstlerin durch ihren Eunuchen ins Harem bringen, beschenkte sie reichlich und sandte sie zu der ehemals berühmten, auch in Europa nicht unbekannten Sängerin Almas, damit diese die Stimme des jungen Mädchens kunstgerecht ausbilde. Bald übertraf sie nach dem Urtheil aller Kenner ihre Lehrerin, und damit sie dem Hofe nahe stehe, wurde sie einem Bey, Amin Bey, vermählt; sie mußte eine Jugendliebe dieser Auszeichnung opfern. Oeffentlich singen darf die hochgestellte Dame jetzt nicht mehr und es geht ihr darin wie manchen europäischen Künstlerinnen, doch sie wird mit Ehren überhäuft, bewohnt ein kleines Palais und erhält die kostbarsten Geschenke aus allen Harems. Sie darf selbst den Titel der hohen arabischen Frauen „Hanim“ führen, den Zusatz das Perlenband verdankt sie ihrer Stimme, deren Töne gleichsam ein Band von Perlen bilden. Die Stimme ist nicht stark, aber überaus lieblich und gut geschult.

Der Gesichtssinn eines Hypnotisirten. Als die Wunder des thierischen Magnetismus gegen das Ende des vorigen und im Anfang dieses Jahrhunderts alle Gemüther in Frankreich beschäftigten, setzte bekanntlich die Pariser Akademie einen hohen Preis für denjenigen aus, welcher durch ein Brett sehen könnte. Das Kunststück hat bis auf den heutigen Tag Niemand fertig gebracht. Aber jetzt, wo der Magnetismus unter der neuen Benennung als Hypnotismus seine Auferstehung feiert, entstand das Gerücht, daß einige junge Leute nahe daran wären, den Preis einzustreichen. In Clermont, so hieß es, gebe es einen Magnetiseur, der mit der sogenannten Gedankenübertragung überraschende Wunder vollbringe. Der Mann pflegte sich vor einige hypnotisirte junge Leute zu setzen, nahm ein Buch zur Hand, schlug es derart auf, daß dem Hypnotisirten nur der Rücken des Buches zugewendet war, dachte sich alsdann einige Zahlen oder Worte, und siehe da! die jungen Leute konnten dieselben lesen. Zwei französische Gelehrte, Bergson und Robinet, machten sich in Folge dessen auf den Weg nach Clermont, und es gelang

[36] ihnen, das Wunder auf natürliche Weise zu erklären. Nur einer von den Hypnotisirten vermochte in der Regel das Kunststück zu vollbringen. Er las aber keineswegs in den Gedanken des Magnetiseurs, sondern so zu sagen in dessen Augen. Auf der Hornhaut des Mannes spiegelten sich die aufgeschlagenen Seiten des Buches wieder und der Hypnotisirte vermochte die Zahlen oder Ueberschriften der Kapitel zu entziffern. Wenn dem Magnetiseur befohlen wurde, die Augen zu schließen, anstatt wie früher sein Gegenüber anzusehen, hörte die ganze Gedankenseherei mit einem Schlage auf. Die Beobachtung war aber für die Wissenschaft äußerst werthvoll: denn wir erfuhren dabei, bis zu welcher Feinheit der Gesichtssinn gesteigert werden kann. Die Größe des Spiegelbildes der Buchstaben und Zahlen auf der menschlichen Hornhaut beträgt etwa 1/10 Millimeter. Ein gesundes Auge würde dieses winzige Spiegelbild niemals entziffern können; wohl aber vermag es ein krankes, dessen Empfindlichkeit so zu sagen krankhaft gesteigert, überreizt ist. Die Ärzte nennen es Hyperästhesie des Gesichtssinnes, und in der That war der vermeintliche Hellsehende damit behaftet. Man hatte dafür einen vollgültigen Beweis erbracht. Es wurden ihm Photographien vorgelegt, auf welchen Bildwerke etc. stark verkleinert waren, und der Hellsehende vermochte Umrisse zu erkennen und nachzuzeichnen, die nur 1/15 Millimeter groß waren und die wir gewöhnlichen Sterblichen nur mit Hilfe von Vergrößerungsgläsern würden wahrnehmen können. Der Fall ist verbürgt, wie unglaublich er auch klingt. Auch Ludwig Büchner führt ihn in seinem neuesten Werke „Thatsachen und Theorien“ an.
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Ein oberschlesischer Roman. So kann man wohl den neuen Roman von Moritz von Reichenbach (bekanntlich das Pseudonym für Gräfin Bethusy-Huc) „Die Lazinski“ (Berlin, Otto Janke) bezeichnen; denn das ganze Lokalkolorit und die geistige Atmosphäre des Romans versetzt uns nach Oberschlesien. Ist doch der alte Lazinsky selbst, der Vater der beiden Töchter, welche die Heldinnen des Romans sind, ein verkommener Edelmann und Beamter der industriellen Etablissements, eine echt oberschlesische Figur; er hat sich zuletzt dem Trunk ergeben und geht daran zu Grunde, wie hundert Andere in jenen verräucherten Industrieorten. Es schwebt über dem Ganzen ein ähnlicher Kohlendunst wie über Zola’s Roman „Germinal“, der, unter der Erde spielend, voll abschreckender, häßlicher Scenen, aber vielleicht nicht ganz so verwerflich ist wie der neueste auf der Erde spielende „La Terre“, der als ein Gräuel von Geschmacklosigkeit und widerwärtigster Rohheit bezeichnet werden muß. Moritz von Reichenbach ist kein solcher Virtuose der Detailmalerei wie der mit jeder Art von Schmutzfarben malende Zola; aber sie weiß lebendig zu schildern und stimmungsvolle Bilder zu entwerfen.

Es handelt sich in dem Roman um die Arbeiterfrage, und auch die Geschicke der beiden Fräulein Lazinsky sind mit derselben eng verwebt. Die älteste, Sophie, bewegt sich auf Irrwegen; von einem Officier verführt, später Mitglied der Operettengesellschaft, wird sie durch ihren Bruder, einen Anhänger der extremen Richtungen, der Anarchisten und Nihilisten, in die Bahnen derselben gelenkt, arbeitet zuletzt in „Dynamit“, soll die Explosion eines neuerrichteten Etablissements ins Werk setzen und dabei die Chefs, ihre nächsten Verwandten, dem Tode weihen, zieht es aber vor, sich selbst zu opfern, indem sie vor der festgesetzten Stunde der festlichen Eröffnung zwar das neue Maschinenhaus in die Luft sprengt, während aber nur sie allein darin verweilt.

Die Schwester, Anna, heirathet einen Direktor der Gruben und Hüttenwerke und nimmt sich der armen Arbeiter in humaner und vernünftiger Weise an; sie gründet Volksküchen, Häuser, wo die Kinder der Arbeiter unter verständiger Leitung außer der Schule beschäftigt und beköstigt werden. Bei einem Sommeraufenthalte an der Riviera fliegt ein Schatten über ihr häusliches Glück: sie sieht dort eine Jugendliebe, den Grafen Max Blessen, wieder; doch sie erkennt den höhern Werth ihres Gatten und lebt dann, heimgekehrt, in befestigtem Glück: durch ihren Einfluß wendet sich auch Graf Blessen ernster Thätigkeit zu; denn wie ihr Gatte sagte: „Der Max Blessen, der keine andere Aufgabe hatte, als die, sich zu amüsiren, war eine antiquirte Nippesfigur und gehörte in die Glasservante der Vorzeit.“ – Aus der Kohlenatmosphäre Oberschlesiens führt uns der Roman bisweilen in die Reichshauptstadt und an die italienische Küste: doch die Hauptbegebenheiten spielen sich in jener Scenerie ab, welche der Verfasserin durch eigene Anschauung wohlbekannt ist.
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Die Strähne verwickeln sich. (Mit Illustration S. 33.) Eine bescheidene Sennhütte im Wälsch-Tirol ist der Schauplatz der alten ewig neuen Geschichte. Wer möchte zweifeln, daß es Schicksalsfäden sind, die Strähne, die das jugendliche Paar hier an der traulichen Feuerstätte abwickelt? Unsere hübsche Sennerin hat, wenn wir ihr kokettes Lächeln recht verstehen, bisher die Taktik des berühmten Strategen befolgt, der durch sein Zaudern den großen Hannibal besiegte, und die treuherzigen Züge des Freiers erzählen von einer langen, aber hoffnungsvollen Probezeit, die nun glücklich abgelaufen ist. Heute holt er sich das beglückende Ja aus ihrem Munde, und das Garn, das ihm die listige Schöne zu halten gab, ist nur eine letzte schwache Schanze, die sie gegen den stattlichen Bewerber aufgeführt hat.

Soeben werden wir Zeugen des entscheidenden Augenblicks; die Strähnen haben sich schon so rettungslos verwickelt, daß die zuversichtliche Hand es wohl wagen darf, mit stummer Frage den Faden festzuhalten, und der schwache Versuch der Schönen, ihn wieder frei zu machen, ist nicht so ernstlich gemeint. Bald wird der lächelnde Mund wiederholen müssen, was die strahlenden Augen schon lange ausgesprochen haben, und es gehört wenig Prophetengabe dazu, um vorherzusagen, daß die fleißigen Finger ihr Garn heute nicht mehr zu Ende wickeln werden.





Bilder-Räthsel.


Skat-Aufgabe Nr. 1.
Vom. Geh. Jzrth. M. … in Kassel.
Die Mittelhand tournirt auf folgende Karte:
(tr. B.)
(p. B.)
(c. B.)
(car. 8.)
(car. 7.)
(tr. Z.)
(tr. 7.)
(p. As)
(p. 7.)
(c. As)
den
(car. B.)
sagt Schellen (car.) an und findet noch das
(tr. As)
verliert
      aber das Spiel, denn die Gegner erhalten 82 Augen – Wie saßen die Karten? Wie war der Gang des Spieles?*
*Abkürzungen: e., g., r., s. = Eicheln (tr.); Grün (p.); Roth (c.); Schellen (car.); W., D., Z., K., O., 9, 8, 7, = Wenzel (B.), Daus (As), Zehn, König, Ober (Dame) etc.



Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)


W. in S. R. (Siebenbürgen.) Zu dem von Ihnen angeführten Zwecke von Kostümbällen eignen sich wohl vor Allem die Volkstrachten der deutschen und österreichischen Alpenländer sowie der Schweiz, weil sie zugleich für ein stimmungsvolles Arrangement des Saales mit Tannen, Almhütten, Schützenständen u. dergl. sowie für einen Schützenfestzug, Schuhplattltanz u. s. w. Veranlassung bieten. Sie finden vollkommen getreue Abbildungen in den von Braun und Schneider in München herausgegebenen Kostümbilderbogen; dabei muß freilich bemerkt werden, daß alle diese Trachten verhältnißmäßig theuer kommen, wenn Sie auf vollständige Echtheit in Silberschmuck, Kopfbedeckungen etc. reflektiren. Indessen können hier geschickte Hände ziemlich zufriedenstellende Imitationen hervorbringen, welche nicht allzu hoch gespannten Erwartungen entsprechen. Spanische, griechische, orientalische Kostüme sind alle theuer, weil sie aus kostbaren Stoffen hergestellt werden müssen. Auch diese sowie die Trachten der alten Welt finden Sie in den angegebenen Bilderbogen, welche von tüchtigen Künstlern gezeichnet sind.

Braut. Sie fragen, ob man „ich gratulire Dir“ oder „ich gratulire Dich“ sagen soll. Man sagt allerdings Jemanden beglückwünschen, da aber die wörtliche Uebersetzung von „gratuliren“ gleich „einen Glückwunsch darbringen“ ist, so muß man sagen: „Ich gratulire Dir.“ Wie würde es klingen, wenn man Ihnen schreiben würde: „Ich gratulire Sie zu Ihrer Verlobung!“ Wozu brauchen wir aber das Fremdwort? Glückwünschen giebt denselben Gedanken wieder.

P. in Koblenz. Die äußersten bis jetzt bekannten Grenzen des menschlichen Wachsthums haben erreicht: der „schwedische Riese“ in der Garde Friedrich’s des Großen, dessen Höhe 252,3 Cm. betrug, und der von Buffon gemessene Zwerg, der nur 43,3 Cm. groß war.

R. B. in Wolgast.Ueber die Erlernung fremder Sprachen aus Büchern“ hat die „Gartenlaube“ im Jahrg. 1883, S. 346 einen Artikel aus der hochgeschätzten Feder von Prof. Dan. Sanders gebracht. – Auf gute Bücher über die Kanarienvögel haben wir erst vor Kurzem im Briefkasten (S. 304 vor. Jahrganges) hingewiesen.

M. G. in B. Ein derartiges Komité giebt es unseres Wissens nicht.