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Die Gartenlaube (1888)/Heft 22

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1888
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[357]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Beate begriff überhaupt heute noch nicht alles, was sich bei der Verlobung Lothars ereignet hatte; ihr war von der geräuschvollen Abreise der Durchlauchtigsten Damen ganz wirbelig zu Sinne; sie hatte auch in der vergangenen Nacht kein Auge zugethan. Als gestern Abend spät Lothar mit der Prinzessin allein angefahren kam, stand ihr vor Schreck das Herz einen Augenblick still; ihre Blicke hatten zwar nur flüchtig des Bruders Gesicht gestreift, aber sie hatte es doch gleich gewußt: der ist Bräutigam! Es lag so ein eigener Glanz darauf. – Und die Prinzessin lief so eilends die Stufen empor.

„Die beichtet der Frau Mama jetzt ihr Glück,“ hatte sie sich gedacht. – Und richtig, da rief Lothar sie in sein Zimmer, und als sie hereinkam, lehnte er an seinem Gewehrschrank; das war seine Lieblingsstellung, wenn er ihr Wichtiges mitzutheilen hatte. „Schwester Beate,“ sagte er ihr entgegenkommend, „ich habe mich verlobt.“

Sie hatte ihm die Hand gedrückt und ihn herzlich auf den Mund geküßt. „Ich gratulire Dir, Lothar.“

„Und Du freust Dich gar nicht, Beate?“

„Lothar,“ hatte sie gesagt, „man denkt immer, wenn ein Bruder heirathet, man müsse eine Schwester bekommen; aber –“ und sie hatte gutmüthig gelächelt, „Du kannst Dir doch unmöglich Deine Beate neben der Prinzessin als Schwester vorstellen? Wir würden neben einander sein wie so ein gutes braves Haushuhn und ein Goldfasan – gelt? – Aber das ist Nebensache, wenn Du nur glücklich wirst.“

„Ich habe die Absicht, es zu werden. Und wenn auch ein Schwan nicht besser passen mag zum Haushuhn als ein Goldfasan, so hoffe ich doch, daß sich diese beiden, ins Menschliche übertragen, ganz leidlich für einander schicken werden. Ich habe mich nämlich mit Claudine verlobt, Du kluge Schwester.“

Mit Claudine! Nun, da ließ sich ihrer Klugheit doch wahrlich nicht spotten, wenn man’s so heimlich anfing! „Gott sei gedankt!“ hatte sie gesagt, als sie sich von dieser Ueberraschung allmählich erholte, und sie hatte ihren Bruder herzhaft am Rockärmel genommen: „Da setze Dich hin und erzähle!“


P. K. Rosegger.

[358] Er hatte auch erzählt, alles Mögliche – von der Operation und der Gefahr der Kranken, von Claudinens Muth und Opferwilligkeit – alles, nur nicht das, was sie wissen wollte. Und sie war diskret geblieben, sie hatte nicht weiter geforscht. Er war eine verschlossene Natur und hätte um alles in der Welt nicht einen Menschen in sein Herz sehen lassen; das war ein Geroldscher Familienzug, eine berechtigte Eigenthümlichkeit.

Während dieser Reminiscenzen holte sie ihren allermodernsten Hut hervor, den sie sich für das gestrige Fest neu angeschafft hatte, und dachte, indem sie ihn aufsetzte, an die Abreise heute früh und an die schreckliche Scene in der Kinderstube. Die kleine Leonie lag nach dem Bade schlafend im Bettchen. Da war Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla erschienen, fix und fertig zur Abreise, hinter ihr Frau von Berg, und hatte nichts mehr und nichts weniger verlangt, als – das Kind! Die alte Dörte hatte sich darauf mit ausgebreiteten Armen vor das Bettchen gestellt und in ihrem plattdeutschen Dialekt erklärt: das müßte der Herr ihr erst selber sagen, daß die Kleine mit der Großmutter abreisen solle! Durchlaucht vergaßen sich aber in diesem Augenblicke so weit, daß sie die alte Bäuerin höchsteigenhändig an die Seite zu schieben versuchten; allein so ein derbes Weib steht fest an seinem Platz, wie eine der Riesentannen im Walde draußen.

„Das mag mir Gott verzeihen,“ hatte die Alte gesprochen, indem sie den fürstlichen Händen energisch wehrte, „daß ich so den Respekt vergesse gegen eine, die zu unserm Durchlauchtigen Herzogshause gehört! Aber Er wird mir verzeihen; ich thue meine Pflicht, ich lasse meinem Herrn nichts stehlen.“

„Einfältige Person,“ hatte Frau von Berg gescholten, „wer will denn stehlen? Ihre Durchlaucht ist die Großmutter des Kindes.“

„Mein Herr mag’s mir selber sagen!“ war die Gegenrede gewesen.

„Ihr Herr ist ja nicht zu Hause; nehmen Sie Vernunft an!“

Aber auch das half nichts; Dörte hatte die Ellbogen in die Seite gestemmt und war schlagfertig auf ihrem Posten geblieben, und plötzlich war es ihr gelungen, den altmodischen Glockenzug zu erwischen; manch ungeduldiges Läuten mochte von dort schon erklungen sein, aber so wie heute wohl noch nie.

Die Kinderstubenklingel war im ganzen Hause bekannt; in diesem Zimmer hatten der alte Herr und die Frau krank gelegen und waren hier gestorben – kein Wunder, daß alle Welt gedacht, es so ein Unglück geschehen, und daß Lothar, der eben von seinem morgendlichen Ritt in die Felder zurückgekommen, allen voran den Korridor entlang gejagt war, Beate hinter ihm drein, und daß von allen Seiten die Dienerschaft hinzustürzte. Er hatte den Leuten gewehrt und hinter ihm und Beate hatte sich die Thür der Kinderstube geschlossen.

„Was geht hier vor?“ war seine erste Frage gewesen. Er schien seinen Augen nicht zu trauen, als er Ihre Durchlaucht erblickte, die sich beim Frühstück hatte entschuldigen lassen wegen ihrer Migräne und die nun dort stand mit hochrothem Gesicht und mit gebieterischer Stimme sprach:

„Ich wünsche meine Enkelin mit mir zu nehmen, und diese Person – –“

„Ah! Durchlaucht glaubten, ich sei so versunken in mein Bräutigamsglück, daß ich die Stunde der Abreise vergessen würde? Oder vielmehr, Durchlaucht wollten mein Nachhausekommen nicht abwarten und mit einem früheren Zug abreisen? Deshalb die Wagen vor der Auffahrt? Und Durchlaucht wünschen die Enkelin mitzunehmen“ – und seine Stimme hatte geklungen wie fernes Wettergrollen – „ohne meine Erlaubniß vorher einzuholen? Mit welchem Recht, wenn ich fragen darf?“

„Sie ist das Kind meiner Tochter!“

„Und das meine! Das Recht des Vaters dürfte doch wohl etwas über dem Rechte der Großmutter stehen, Durchlaucht.“

„Nur auf wenige Monate, Gerold,“ hatte die Prinzessin eingelenkt, die jetzt wohl zu der Einsicht kam, daß sie eine Thorheit in ihrem Groll begangen.

„Nicht auf eine Stunde!“ rief er mit energischer Betonung, und eine auffallende Blässe hatte sich auf sein Gesicht gelegt. „Dies Kind will ich bewahren vor dem Gifthauch, der da draußen weht und die reinsten Blüthen aussucht, um sie zu verderben; ihm will ich es ersparen, so früh schon Menschenverachtung lernen zu müssen. Meine Tochter soll erzogen werden, wie es einst Sitte war in dem Hause meiner Vorfahren, einfach, natürlich und – vornehm denkend; und hier wird es geschehen, hier in Neuhaus, Durchlaucht, unter meiner und meiner künftigen Gattin spezieller Aufsicht!“ Und er hatte rasch die Vorhänge des Bettchens zurückgeschlagen, in dem die Kleine mit erschrockenen Augen lag. „Wenn Durchlaucht Abschied nehmen wollen?“ – hatte er kühl hinzugesetzt.

Die Prinzessin war einen Augenblick zu der Wiege getreten, die Stirn des Kindes mit ihren Lippen berührend, und dann, ohne ein weiteres Wort, hinausgerauscht durch den Korridor nach der Halle, wo Prinzeß Helene, mit der Hofdame und dem Kavalier, der Mutter harrte. Die alte Durchlaucht war eingestiegen mit dem verbindlichsten Lächeln aus den Lippen; Beate, die sich tief verbeugte, hatte aber doch kaum ein herablassendes Kopfneigen für ihre wochenlange Gastlichkeit bekommen; Lothar saß den Durchlauchten gegenüber, wie damals, als er sie geholt. Als die Pferde anzogen, war aus zwei dunklen Mädchenaugen ein langer Blick über das alte Haus geglitten, so voll bitterer Enttäuschung, so voll schmerzlicher Reue, daß Beate trotz aller Erleichterung vor Mitleid das Herz geschwollen war. Arme, kleine, trotzige Prinzessin! – – –

Beate ertappte sich darüber, daß sie da noch immer vor dem Spiegel stand und an den Hutbändern knüpfte. Sie seufzte tief auf. Gottlob, gottlob, es war Friede im Hause! Dort oben wehte die kräftige Waldluft den letzten Hauch von dem durchdringenden Patchouligeruch aus dem Zimmer der Frau von Berg, und die Hausmädchen hatten längst die Scherben eines kostbaren Krystallglases fortgeräumt, das die alte Prinzessin gegen den Kachelofen geschleudert hatte in ihrem Jähzorn. In den Aesten der Linde flatterte ein Stückchen blaßblaues Band, das der Zugwind von dem Toilettentisch der Prinzessin Helene geweht, und auf dem Rasenplatze wurden Möbel und Betten gelüftet. Morgen würde wieder alles sein wie früher – gottlob!

„Verzeiht mir,“ sprach sie mit heller Stimme, als sie an paar Minuten später in das Wohnzimmer trat, wo Claudine auf der Estrade saß und durch das Fenster blickte, während Lothar gedankenvoll vor dem Bilde seines Vaters stand, um die ganze Zimmerlänge entfernt von seiner Braut. „Verzeiht, ich komme etwas spät; man hat Euch doch Kaffee servirt? Schön, ich sehe schon – nun ich wäre bereit zur Fahrt!“

Sie war etwas betroffen, als sie das sagte; sie hatte gemeint, das Brautpaar neben einander zu sehen, so recht zärtlich und liebevoll. Statt dessen ging Lothar erst jetzt gemessen aus seine Braut zu und bot ihr den Arm, wie auf einem Hofball: „Eine Fahrt in der schönen Luft wird Ihnen gut thun, Claudine.“

Wie? Sie nannten sich nicht einmal „Du!“ – Beate fing an, sich wirklich zu ärgern über diese formellen Menschen.

„Bitte, Lothar,“ erwiderte Claudine, „geben Sie Befehl, nach der Fahrt am Eulenhause zu halten; ich sehne mich nach Ruhe – ich fühle mich noch matt.“

„Ja natürlich! Wir müssen doch auch Joachim eine Brautvisite machen,“ war die Antwort.

Es war eine recht stille Fahrt. Als der Wagen den Abhang hinunter rollte dem Thale zu, aus dem die rothen Dächer des kleinen Badeortes schimmerten, lehnte sich Claudine seufzend zurück. Auch das noch! Sie hatte es geahnt, er wollte sie zeigen – als rehabilitirt.

Von dem Kurhause schallten die Klänge eines Walzers herüber, als sie ist die Allee einbogen. Auf dem freien Platze, in dessen Mitte der Musiktempel sich erhob, standen zahlreiche Tischchen mit roth und weißen Decken belegt. Die ganze vornehme Kurgesellschaft saß dort plaudernd an einer riesigen Tafel, die der schmachtende Oberkellner mit Argusaugen hütete, damit ja kein Unwürdiger sich an ihr niederlasse. Er pflegte zu diesem Zweck schon drei Stunden vor Beginn des Konzertes ein paar primitive Zettel hinzulegen, auf denen „Besetzt!“ zu lesen war, und die Stühle umzukippen. Und wenn nur zwei von der Gesellschaft kamen und wenn gewöhnliche Sterbliche auch nicht einen Stuhl zu erlangen vermochten, er zuckte doch die Achseln: „Bedaure, meine Herrschaften, jene Plätze sind bestellt.“

Heute aber war keiner der Sitze leer, und die Unterhaltung betraf, so lebhaft wie lange nicht, die gestrige Affaire in Altenstein. Die Mär von der Ungnade der Herzogin-Mutter gegen ihren früheren Liebling war auf aller Lippen, natürlich entstellt, [359] nicht zum Wiedererkennen vergrößert und verschlimmert. Nach der einen Lesart sollte die alte Herzogin Claudine geboten haben, sofort das Schloß zu verlassen, die andere wußte von zurückgezogener Pension; ein dritter behauptete, die schöne Gerold habe es zu erzwingen gewußt, daß sie noch bei Tafel erscheinen durfte, und betont, daß der Herzog der Regierende und der allein Befehlende sei.

O unglaublich! Und was noch alles! Und dazu der Blutsturz der Herzogin! – Die arme Frau, die arme Frau! Vor Kummer und Aufregung natürlich!

Dem Herzog konnte man ja schließlich die Aventüre nicht einmal übelnehmen, wenn Claudine so leichtsinnig war. Man zuckte die Achseln und lächelte über die arme betrogene Frau, die geglaubt, eine Freundin an ihr zu besitzen.

„O, schauderhaft!“ klagte eine ältere Baronin; „na, das hatte der Gerold gerade gepaßt; – wie es wohl herausgekommen ist?“ –

„Wie nur Baron Gerold diese Sache auffaßt? Er sah aus wie eine Leiche, als die alte Herzogin die Gerold so abfallen ließ.“

Ein wahres Gewirr von Stimmen erhob sich auf diese Worte; aber auf einmal ward es still; irgend wer hatte gesagt. „Das ist ja die Neuhäuser Equipage!“

„Richtig! Und zwar in nächster Nähe!“

Man hatte soviel Geistesgegenwart, sich den Anschein zu geben, als ob man über irgend etwas anderes angelegentlich spreche. Die Damen wandten sich zu einander und bewegten die Fächer, aber die sämmtlichen alten und jungen Augen an diesem Tische waren dorthin gerichtet, wo das Gefährt sich näherte. Die schönen Rappen vor dem Wagen tänzelten unter den Klängen des Walzers daher; Kutscher und Diener auf dem Bock leuchteten in tadellosen blaugelben Livreen, und da im Fond? –

An der langen Tafel flogen plötzlich sämmtliche Hüte von den Köpfen; die Herren waren aufgesprungen, die Damen grüßten und nickten liebenswürdig.

Was, um Gotteswillen, Claudine von Gerold – den Arm in der Binde, neben Fräulein Beate? Und ihr gegenüber der Baron? – Langsam, sehr langsam passirte jetzt der Wagen den bevorzugten Tisch, dann hielt er vor der Thür des Kurhauses.

Zwei Herren der Gesellschaft stürzten athemlos herbei, ein junger Husarenoffizier und der schwermüthige Gesandtschaftsattaché. Der Lieutenant wollte sich nach dem Befinden der Herzogin erkundigen, seiner hohen Tischnachbarin von dem Neuhäuser Feste; und da er „wohl annehmen dürfe, Fräulein von Gerold sei am besten unterrichtet, so“ u. s. w. Der Gesandtschaftsattaché hatte andere Absichten, er kam auf den geflüsterten Wunsch Ihrer Excellenz: „Man müsse doch wissen, was das zu bedeuten habe –“

„Die Herzogin befindet sich besser,“ erwiderte Claudine freundlich dem Offizier.

„Aber gnädiges Fräulein scheinen verletzt?“ fragte der Attaché und drehte den Schnurrbart, „gewiß haben gnädiges Fräulein –?“

„Eine kleine unbedeutende Verletzung, Herr von Sanders,“ nahm Lothar das Wort. „Ich denke, meine Braut wird den Arm bald wieder – O pardon! Ich vergaß zu sagen, daß Sie hier ein nagelneues Brautpaar vor sich sehen – wir verlobten uns gestern Abend. Eine Ueberaschung, nicht wahr, meine Herren? Aber, Claudine, da kommt das Wasser, hoffentlich ist es frisch und kühl.“

Er drückte sich mit den Herren die Hände, und Gratulationen und Dankesworte flogen hin und her. Claudine trank indeß und gab das Glas zurück.

„Weiter fahren!“ befahl jetzt Lothar, zog den Hut vom Kopf und verbeugte sich tief und ernsthaft gegen die Herrschaften um den Tisch; in den nächsten Minuten hatte der jetzt rasch dahinrollende Wagen den einsamen Waldweg erreicht; nur noch die Schlußaccorde des Walzers zitterten durch die sonnendurchleuchtete tannenwürzige Luft.

Dort an dem Tische vor dem Kurhause schwiegen plötzlich sämmtliche Zungen, genau so, wie eben die Töne schwiegen nach dem mächtigen Paukenschlag, der das Musikstück schloß. Erst ganz allmählich faßte man sich. O, wie das jetzt anders klang!

„Nun,“ erklärte die alte Excellenz würdevoll, „ich habe es ja gleich gesagt, an all dem Gerede war nichts!“

„Ach Gott, es wird so viel gesprochen,“ seufzte die gefühlvolle Baronin. „Wer hat es denn eigentlich aufgebracht?“

„Antonie von Böhlen hat es mir heute geschrieben,“ sagte eine der hübschen Komtessen Pausewitz, „doch ich sollte nicht darüber sprechen.“

„Aber so erzähle doch!“ rief die Gräfin-Mutter, ärgerlich über diese Diskretion.

„Claudine Gerold hat sich die Pulsader aufschneiden lassen, weil die Herzogin dem Verbluten nahe war, und da ist ihr Blut in die Adern der Herzogin geleitet worden,“ berichtete die Komtesse. „Antonie schreibt, ohne das wäre die Herzogin gestorben. O Gott, o Gott, es ist schauderhaft; ich hätte es nicht gekonnt.“

„Himmel, wie schrecklich!“ riefen sämmtliche Damen.

„Wie muthvoll! Das ist Rasse!“ sagte der kleine Offizier mit funkelnden Augen.

„Tausend Wetter, das ist zum Verlieben!“ rief Se. Excellenz und bekam dafür einen verweisenden Blick von Frau Gemahlin.

„Sie sah wunderbar schön eben aus,“ flüsterte der Schwermüthige, noch melancholischer als gewöhnlich. „Der Tausend, warum hat man nicht auch zwei Güter! Dieser beneidenswerthe Gerold!“

„Er hat übrigens seinen Abschied eingereicht,“ erzählte der Husarenoffizier, „er will seine Güter selbst bewirthschaften.“

„Was weißt Du noch, Lolo?“ ermunterte die Gräfin ihre Tochter.

„O, sie hat so viele Brillanten bekommen,“ erzählte eifrig die Komtesse, „und die alte Hoheit hat sie gepflegt wie eine Tochter und sie geherzt und geküßt.“

„Ah, charmant!“

„Wann sie wohl heirathen werden?“

„Sie leben jedenfalls im Winter in der Residenz.“

So ging es weiter. Im innersten Herzen gönnte keiner dieser Claudine das Glück, aber keiner wagte, mit einem Wörtchen den Ruf von Baron Gerolds Braut anzutasten. Es rauschte so ganz anders jetzt in den Bäumen der Waldfrische, und die Damen beschlossen einmüthig, der jungen Braut einen prachtvollen Blumenkorb zu spenden als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit für die Rettung der geliebten Herzogin.

Indessen war das Brautpaar vor dem Eulenhause angelangt. Gärtchen und Gebäude lagen friedlich im Abendsonnenschein, und die durchbrochenen Rosetten der Klosterruine schimmerten rosig angehaucht. Claudinens schönes Gesicht ward plötzlich von einer peinvollen Angst belebt; dort war ja die alte rundbogige Hausthür bekränzt mit Guirlanden aus Spargelkraut und Rosen!

„Lothar,“ flüsterte sie und berührte leicht seinen Arm beim Aussteigen „ich bitte, nein ich verlange von Ihnen – kehren Sie heim mit Beate, ich will Joachim erst vorbereiten. Sie werden Nachricht bekommen, wann ich Sie sehen will; ich kann hier nicht Komödie spielen, es geht über meine Kräfte.“

Er kämpfte sichtlich mit einem Entschluß, aber ein Blick in die halb verzweifelten blauen Augen hieß ihn nachgeben; sie mußte sich in der That noch leidend fühlen. Er erwiderte kein Wort; er wandte sich nur und bat Beate, sitzen zu bleiben. Bis zur Hausthür, wo die kleine Elisabeth ihr jubelnd entgegen lief, begleitete er sie und küßte ihr die widerstrebende Hand.

„Wann wünschen Sie den Wagen nach Altenstein, heute Abend?“ fragte er. „Sie gestatten selbstredend, daß ich Sie hinüber begleite?“

Sie drehte sich eben in der Hausthür um und nickte Beate abschiednehmend zu; sie hatte in ihrer Erregung die Gute völlig vergessen. Aber die sah es nicht, sie blickte zum Thurmfenster empor.

„Ich danke Ihnen, Lothar,“ klang es nun leise, aber bestimmt, „ich kehre nicht nach Altenstein zurück; ich bleibe hier. Ich werde die Herzogin hiervon benachrichtigen. Sie glauben es nicht?“ fuhr sie müde lächelnd fort, „ich versichere Sie, ich habe tatsächlich nicht die Kräfte zu diesem Spiel. Ich versuchte ja heute tapfer meine Pflicht zu thun, nicht wahr? Haben Sie Mitleid mit mir!“

Sie neigte ernst den Kopf und ging ins Haus.

Fräulein Lindenmeyer kam ihr entgegen. Die Alte fiel in freudiger Hast beinahe über ihre Stubenschwelle; sie hatte die rothbebänderte Haube auf und breitete beide Arme aus.

[360] „Ach, gnädiges Fräulein, welch ein Glück!“ weinte sie. „O, wir wissen’s schon, wir wissen’s! Was meinen Sie, von wem? Des alten Heinemann Enkelin war da; sie hat’s brühwarm hergebracht – aber warum kommt der Herr Bräutigam nicht mit?“

Claudine mußte sich umarmen und küssen lassen, dem herbeigeeilten Heinemann die Hände schütteln und Idas Glückwünsche entgegennehmen. Ganz betäubt stieg sie endlich die Treppe empor. Wie schwer war doch dies Alles!

Joachim sah von seinem Hefte auf, als sie eintrat; er brauchte erst ein paar Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzukehren. Dann sprang er auf, trat rasch zu ihr und hob ihren Kopf in die Höhe. „Meine tapfere kleine Schwester – und als Braut? Sieh mich an, mein Liebling,“ bat er.

Aber sie hob die Wimpern nicht, von denen jetzt große Tropfen fielen. „Ach, Joachim, Joachim!“ schluchzte sie leise.

Er streichelte ihr über das weiche seidige Haar.

„Weine nicht,“ sagte er ernst, „sprich lieber, was haben sie Dir gethan da draußen?“

Und da brach er los, der Sturm der Verzweiflung, schrankenlos, unaufhaltsam. Sie schonte sich nicht, sie verhehlte, bemäntelte nichts von der Demüthigung, die erbarmungslos über sie gekommen war, gegen die ihr Stolz sich ohnmächtig auflehnte. „Und, Joachim,“ schluchzte sie wild auf, „das Schrecklichste ist, daß ich ihn liebe, liebe, wie nur ein Mädchen lieben kann, seit Jahren schon! An dem Tage, da er neben Prinzeß Katharina[WS 1] am Altar stand, habe ich gemeint, ich könne nicht weiter leben; und jetzt wirft mir das Schicksal hohnlachend das ersehnte Glück in den Schoß und sagt: ‚Da – aber behutsam! Es ist nur Goldschaum, der darauf klebt, es ist nicht echt. Da hast Du es, um was Du gebetet und geweint jahrelang!‘ – Glaube mir, er hat mich an sich genommen, so etwa wie er das Silbergeschirr auf der Auktion erstand, um jeden Preis, weil er lieber sterben würde, ehe er duldete, daß an dem Namen Gerold ein Makel haftet; er hat mich an sich gezogen – der Familienehre halber, um weiter nichts, nichts!“

Sie schwieg erschöpft, aber das bittere leidenschaftliche Schluchzen dauerte fort.

Joachim antwortete nicht; es lag noch immer seine Hand auf ihrem blonden Haar. Endlich sagte er mild: „Und wenn er Dich doch liebte?“

Sie stand plötzlich auf den Füßen.

„O mein Gott!“ sprach sie, und aus ihrem verweinten Gesicht drückte sich etwas wie Mitleid aus mit der Gläubigkeit des Bruders. „Nein, Du argloser guter Mensch, er liebt mich nicht!

„Aber wenn er es doch thäte! Er ist niemals einer von denen gewesen, die Gefühle zu heucheln verstanden. Du weißt, er hätte sich von je lieber die Zunge abgebissen, ehe er ein unwahres Wort geredet. Immer war er so, Claudine.“

„Ja, Gottlob,“ rief sie flammend und richtete sich hoch auf, „das hat er auch nicht gewagt! Du denkst, Lothar hätte um mich geworben mit Liebesheucheln? O nein, unwahr ist er nicht. Und als ich ihm die Komödie vorschlug, da fiel es ihm nicht ein, zu betheuern, daß er etwa sehr betrübt sein werde, wenn wir uns später trennen. Nein, ehrlich ist er – bis zum Verletzen ehrlich!“ Sie schien sich plötzlich zu fassen. „Du Armer,“ sagte sie weich, indem sie des Bruders Hand ergriff, „so störe ich Deine Arbeit mit meinen bösen, bösen Nachrichten. Ertrage mich, Joachim; ich werde ruhiger werden, ich will nun wieder Dein Hausmütterchen sein, Dein guter Kamerad. Daß ich doch nie hinausgegangen wäre! Und allmählich werde ich alles, alles überwinden, Joachim!“

Sie küßte ihn auf die Stirn und ging in ihr Stübchen, dessen Thür sie hinter sich verriegelte.

Wie frisches kühles Quellwasser wirkte die Ruhe dieses eigenen kleinen Heims auf ihre Seele. Sie ging von Möbel zu Möbel, als müsse sie jedes einzelne begrüßen, und stand endlich still vor dem Bilde der Großmutter.

„Du warst eine so kluge alte Frau“, flüsterte sie, „und welch törichte Enkelin hast Du erzogen! Sie bezahlt die zu spät erworbene Klugheit mit ihrem Lebensglück!“

Dann legte sie mühsam die Spitzenrobe ab, hüllte sich in ein einfaches graues Hauskleid, setzte sich still ans Fenster in den alten Lehnstuhl und schaute in den dämmerigen Abend hinaus.

* *
*

Unten in der Wohnstube schlich inzwischen die kleine Elisabeth betrübt um den freundlich gedeckten Tisch; er sah doch schön aus mit der rosengefüllten Porzellanschale in der Mitte, den kunstvoll gebrochenen Servietten, mit denen Fräulein Lindenmeyer sich so geplagt, und den rosenumkränzten Stühlen für das Brautpaar. Und gar der schöne Kuchen von Ida selbst gebacken! Der dicken Wachspuppe hatte die Kleine ein neues blaues Kleid angezogen. Wo blieben sie denn nur alle so lange?

Sie lief hinunter in Fräulein Lindenmeyers Stube. „Wann ist denn endlich Hochzeit?“ fragte sie ungeduldig. Sie hatte gemeint, die festliche Vorbereitung bedeute schon die Hochzeit.

„Ach, mein Liebling“, seufzte das alte Fräulein und sah kopfschüttelnd zu Ida hinüber. „Wer weiß“, fügte sie mit Schiller hinzu, „was in der Zeiten Hintergrunde schlummert!“ Es klang freilich anders, als das, was vorhin die gute Seele dem Brautpaare hatte sagen wollen. „Denn wo das Strenge mit dem Zarten –“

War das auch ein Brautpaar, das am ersten Verlobungstage nicht einmal zusammenblieb? Oder sollte die eine neue Mode sein? Zu ihrer Zeit war das anders gewesen, da mochte man sich gar nicht trennen und saß bei einander und sah sich in die Augen. Sie seufzte.

„Räume ab, Ida,“ flüsterte sie, „die Wespen kommen in die Stube nach dem Kuchen, er wird nur trocken. Ach, unsere duftigen Kränze! Das ist das Los des Schönen auf der Erde! Ida, Ida, mir ist ganz unheimlich zu Muthe!“

„Elisabeth möchte Kuchen haben,“ sagte die Kleine und trippelte hinter dem Mädchen hinaus.

Heinemann saß auf der Bank vor der Hausthür und pfiff ein melancholisches Lied, Ida sang beim Abräumen in der Stube die Worte dazu; wunderlich traurig klangen sie durch die offenen Fenster in den Garten hinaus:

„Saßen einst zwei Turteltauben,
Saßen beid’ auf einem Ast.
Wenn sich zwei Verliebte scheiden,
Dann verwelket Laub und Gras –“

Sie hatten beide keine Ahnung, wie tief das Fräulein Lindenmeyer verwundete. Die alte Dame bog sich aus dem Fenster.

„Seid doch ruhig,“ flehte sie halblaut; „es ist doch, weiß Gott, kein Lied, wenn sich grad eines verlobt hat; das klingt ja wie Unkenruf!“

Auch Claudine hatte den Gesang gehört. „Wenn sie sich scheiden,“ nickte sie; „wenigstens hatten sie sich doch dann schon einmal gefunden. Aber wir –?!“

(Fortsetzung folgt.)




Das Yosémitethal in Kalifornien.

Von Rudolf Cronau.
(Mit Illustrationen S. 361 und S. 364.

Jedem Theile des gewaltigen nordamerikanischen Staatenbundes hat die allgütige Natur seine besonderen Reize, seine besonderen Naturwunder und Eigenthümlichkeiten verliehen. Die Oststaaten rühmen sich ihrer Alleghany-, Adirondack- und Catskillgebirge, des königlichen Hudson, des Niagara; die Mittelstaaten sind stolz auf den „Vater der Gewässer“, auf das Naturwunder der Mammuthhöhle; Colorado hat seine bestrickenden Hochgebirgslandschaften; Arizona und Neu-Mexiko weisen furchtbare, sechstausend Fuß tiefe Cañons und Schluchten auf; Wyoming entzückt den Forscher mit seinen himmelanstürmenden Geisern, Schlammvulkanen und Feenwässern; Kalifornien aber, das goldene Kalifornien preist sein Wunderthal Yosémite und seine Riesenbäume.

Wie eine wunderbare Vision, so steht noch heute frisch und farbenprächtig das Bild vor meiner Seele, welches sich bot, als ich nach harter tagelanger Fahrt über die sonnendurchglühten kalifornischen Steppen, über die Vorberge der Sierra Nevada endlich aus dunklem Urwaldgrün auf ein freien Ausblick

[361]

Cathedral-Rock.     El Capitan.      Brautschleierfall.      Nevadafälle.
Das Yosémitethal in Kalifornien.
Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

[362] gewährendes Plateau hinaustrat und eine ganze Welt von landschaftlicher Schönheit zu meinen Füßen sah.

„Inspiration Point“ so haben die Entdecker des Thales die Stelle getauft, wo dem von fernher Kommenden die ganze Herrlichkeit des Yosémitethales unverhofft, mit einem Schlage sich erschließt. Da lag es zweitausend Fuß unter uns, von dem Feuerschein der sinkenden Sonne goldig übergossen, und überspannt von einem zauberisch schönen kalifornischen Abendhimmel. Nackte Granitkolosse von wahrhaft monumentaler Erhabenheit glänzten uns in mächtiger Doppelreihe entgegen; von ihren drei bis viertausend Fuß hohen Firnen wehten silberweiße Wasserfälle in den tiefen Thalgrund hinab, um, zu einem rauschenden Flusse vereint, in weiten Schlangenwindungen durch das dunkle Grün der Pinien-, Cedern-, Eichen-, Lorbeer- und Manzanillohaine dahinzueilen.

Gleich am Eingange der viertausend und sechzig Fuß über dem Meeresspiegel gelegenen, sechs Meilen langen und nur eine halbe Meile breiten Schlucht erhebt sich als Wächter in scheitelrechter Steilheit, bar jeder Vegetation, die helle Granitwand des El Capitan (auf dem Mittelbilde S. 361 der Felsen links im Vordergrund), 3300 Fuß über die Thalsohle hinwegragend und einen Flächenraum von nahezu einer Quadratmeile bedeckend. To-to-cho-nula, „der große Häuptling“, ist der indianische Name dieser gewaltigen Felsenbastion, welcher die originellen Felshörner der „Three brothers“ gerade gegenüber stehen. Weiter im Mittelgrunde dräut der Cathedral-Rock (aus unserem Bilde, S. 361, noch in einer besonderen Skizze dargestellt) mit seinen beiden himmelanstrebenden Granitthürmen, während im Hintergrunde der einer riesigen Warte ähnliche Sentinel-Rock und die kolossale Halbkuppe des Süddoms die hervorragendste Punkte der scharf gezackten Felslinie bilden.

Der Süddom sowie der schräg gegenüber liegende Norddom bilden in ihrem Aufbau und in ihrer Form eine der größten Eigenthümlichkeiten des Yosémitethales. Aus reinem Granit bestehend, erhebt sich der erstere 4737 Fuß über das Thal, demselben eine für 1500 Fuß durchaus senkrecht abfallende Wand zukehrend, während die vollständig abgerundete und nur äußerst schwierig zu ersteigende Halbkuppel mit den Gebirgsriesen der Sierra Nevada in Verbindung steht. Erscheint dieser Granitkoloß, als sei er vor Zeiten mit einem gewaltigen Schwerthiebe jäh aus einander gespalten worden und als sei die eine Hälfte ins Thal gesunken, so ist der gegenüber liegende 3725 Fuß hohe Norddom nicht minder interessant durch seine Struktur. Wie die Häute einer Zwiebel, so lagern hier die gewaltigen Schichten Granit über einander. Hier und da sind Bruchstücke dieser Massen herabgeglitten und eine Ersteigung des Norddoms ist gleichfalls nur unter größten Gefahren möglich. Bis zu 5000 Fuß ragen allenthalben derartige massive Granitmauern empor, eine gewaltige Sackgasse bildend. Damit diesem majestätischen steinernen Bilde aber auch nicht das Leben fehle, wallen von den Kämmen dieser Klippenmassen entzückende Wasserfälle herab.

Neben dem El Capitan schäumt das über 1000 Fuß lange Silberband des Virgin-Tears-Falles; an den Wänden der gegenüber liegenden Klippen weht wie ein leichtes Spitzengewebe der 900 Fuß herabstürzende Pohono, der Brautschleierfall (vergl. das Bild S. 361), von der 6450 Fuß über der Thalsohle, 10 500 Fuß über dem Meeresspiegel erhabenen Clouds Rest kommt der Illilouette; im Hintergrunde der beiden Seitencañons des Thales donnern die Vernal- und die Nevadafälle. Weiter wären zu nennen der Tocoy-ô, der Loya, der Lungu-tu-kuya, welch letzterer sich in einem 3300 Fuß tiefen Sturze ergeht.

Der Preis aber unter all diesen rauschenden Majestäten gebührt dem Yosémitefall (vergl. Illustration S. 364), mit dem sich, was Schönheit und Höhe betrifft, wohl kaum an zweiter Wasserfall des Erdballs vergleichen läßt. In drei Absätzen schießt er aus seiner schwindelnden Höhe zu Thal. Da wo sich die Wasser zum ersten, 1600 Fuß tiefen Salto mortale anschicken, ist der Fluß kaum einige dreißig Fuß breit, erweitert sich aber während seines Sturzes bis auf 300 Fuß. Gleich nach diesem Falle folgt der zweite von 600 Fuß, der eher einer rasenden Stromschnelle als einem Falle ähnlich ist. Zum dritten Male endlich machen die Wasser einen Riesensprung von 450 Fuß in den Abgrund. Von einem Punkte des Thales aus gesehen, erscheint die ganze Wassermasse als ein Katarakt von nahezu 3000 Fuß Höhe.

Wie leuchtende, einander jagende Raketen, so sausen die Wasserbündel in die Tiefe hernieder, dem nimmer ermüdenden Auge stets neues bietend. Besonders reizvoll gestaltet sich das Bild, wenn heftige Windstöße um die lothrechte Felswand schnauben, die fallenden Wassermassen weit zur Seite treiben und zu einer Wolke feinen Sprühregens zerstäuben. Dasselbe Phänomen, welches sich auch beim Brautschleierfall zeigt und welchem derselbe seinen treffenden Namen verdankt, wiederholt sich hier in noch überraschenderer Weise. Geisterhaft wehen die Wasser her und hin; bald sind sie weit zur Rechten, bald ebenso weit zur Linken getrieben, um beim Nachlassen des Windstoßes in den graziösesten Schwingungen in die natürliche senkrechte Falllinie zurückzukehren. Ebenso wechselt das Getöse des wundervollen Katarakts; bald ist es schwellend, bald sinkend, bald gleichmäßig forthallend, bald fast ersterbend, und dann wieder gewaltig brausend, als ob ein Sturmwind in den Urwaldbäumen heule.

An dem Punkte, wo der Norddom sich erhebt, die 1800 Fuß hohe Steinsäule der Washington Column in die Lüfte ragt, verzweigt sich das Yosémitethal in drei schmalere Schluchten oder Cañons, die wie riesige Stufen zum Hochgebirge hinaufführen, um sich daselbst zu verlieren. In einer dieser Schluchten, dem Tenaya-Cañon, breitet sich das herabrinnende Schneewasser zu einem kleinen wundervollen See aus, dem berühmten Mirror-Lake (Spiegelsee). Mehrere Acker groß, spiegelt seine nur selten von einem Lufthauch bewegte Fläche die ganze Umgebung in geradezu verblüffender Deutlichkeit und Klarheit wieder. Die kalten, ernst und schweigsam aufragenden Felswände reichen ebenso tief nach unten hinab, und zu unseren Füßen lockt ein Himmel ebenso blau und unermeßlich fern, wie er über uns sich spannt.

Besonders in Erinnerung steht mir das Bild, welches sich in den Abendstunden des letzten Tages unseres Aufenthaltes im Yosémitethale bot. Ein Gewitter war im Anzuge. Mißfarbige Wolkengebilde wälzten sich vom Hochgebirge hernieder, hingen in die enge Thalschlucht herein, verfingen sich in den Felsnadeln und Klippen, flatterten von Wand zu Wand und überwölbten schließlich das ganze Cañon wie mit einem Sturmdache. Unheimlich dunkel wurde es in der Schlucht; phantastischer noch erschienen die abenteuerlichen Umrisse der Gesteinmassen; rothe Blitze zerrissen das Wolkendach und heftige Regengüsse stürzten hernieder. Allenthalben rieselten und schäumten an den Felswänden Bäche und Katarakte; dort aber, wo die Wolken in schweren Massen um die Klippenmauern hingen und unheimlich kreisten und brauten, brach aus diesem grauschwarzen Schleier ein heller silberner Strahl, der Yosémitefall, einen Eindruck hervorrufend, als ob er tatsächlich wie ein Strahl der Erleuchtung vom Himmel herniederschwebe.




Die Haushaltungsschule des Lette-Vereins in Berlin.

Förderung höherer Bildung des weiblichen Geschlechts und Erwerbsfähigkeit der auf eigenen Unterhalt angewiesenen Frauen und Jungfrauen“ ist die Aufgabe, an deren Lösung der Berliner Lette-Verein seit mehr als zwei Jahrzehnten mit großem Erfolg arbeitet. Es ist ein hohes Verdienst der Vorsitzenden des Vereins, Frau Schepeler-Lette, durch Beseitigung eines beengenden Paragraphen die segensreiche Tätigkeit des Instituts auch auf die vorher ausgeschlossenen „in Fabriken und Landbau beschäftigten Arbeiterinnen, Dienstboten, Wäscherinnen etc.“ ausgedehnt zu haben; die Schranke fiel und aus dem kräftigen und festgewurzelten Baum des Lette Vereins entsproß ein neues Reis – die Haushaltungsschule.

Sie arbeitet unter Leitung der Frau Schepeler-Lette nach dem Goetheschen Wort:

„Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach seiner Bestimmung.“

Schon Salomo sagt in seinen Sprüchen (14,1): „Durch weise Weiber wird das Haus erbauet“; der Sinn des treffenden Wortes läßt sich heute dahin erweitern, daß es ein Glück für die [363] häusliche Sphäre ist, gute dienende Kräfte zu haben. Was das Gegentheil bedeutet, davon wissen unsere Hausfrauen und in vielen Fällen auch die Familienoberhäupter ein recht „garstiges Lied“ zu singen.

„Ich diene“ – mit dem inhaltschweren Motto verlassen Tausende weiblicher Personen das Elternhaus, um draußen in der Welt ihr Fortkommen zu suchen. Ueber das „Wie“ der zukünftigen Thätigkeit haben sich aber die wenigsten der jungen Mädchen Sorge gemacht; niemand gab ihnen Unterweisung; sie ziehen rastlos hin und her, allenthalben als „ nicht passend für den Dienst“ und „wegen Unfähigkeit“ entlassen. Die Miethskomptoire sehen an jedem Quartale, wenn nicht etwa schon früher, dieselben Gesichter – Hausfrauen und Dienstboten sind in gleicher Nothlage. Hier setzt die Haushaltungsschule den Hebel an; sie bezweckt Unterweisung und praktische Uebung in hauswirthschaftlichen Arbeiten, Fortbildung der Zöglinge in weiblichen Handarbeiten und Elementarkenntnissen. Nach dem Lehrplane der Anstalt werden die Schülerinnen in drei Gruppen getheilt. Gruppe I bilden die im Hause (Raupachstraße 1) wohnenden und allen Unterricht besuchenden; Gruppe II diejenigen, welche in der Anstalt während der Tagesstunden von 8 Uhr früh bis 8 Uhr Abends beschäftigt und unterwiesen werden; Gruppe III Schülerinnen, die entweder an allem technischen und Elementarunterricht oder nur an einzelnen Kursen theilnehmen. Der Lehrplan ist mit seinem Verständniß für die später an die Zöglinge gestellten Ansprüche ausgearbeitet und umfaßt. Kochen, Waschen, Plätten, Zimmerreinigen, Handnähen, Ausbessern, Stopfen, Flicken, Maschinennähen, Wäschezuschneiden, Schneidern, Nachhilfe im Lesen, Rechnen, Deutsch, sowie Uebung im Gesang.

In der Haushaltungsschule des Lette-Vereins in Berlin.
Originalzeichnung von E. Thiel.

Die auf ein Jahr berechnete Ausbildung ruht in den Händen des umsichtigen und bewährten Fräulein Pötz, die das schöne Prädikat „Hausmutter“ führt, und einiger technischer und wissenschaftlicher Lehrerinnen. Dem Besucher bietet die Anstalt ein Bild gesunden und frisch pulsirenden Lebens dar, das in den Mittagsstunden seinen Höhepunkt erreicht. In der geräumigen, praktisch eingerichteten Küche hantiren die jungen Mädchen mit einer Emsigkeit, daß es eine Freude ist; jede Schülerin weiß genau Rechenschaft zu geben über die Herstellung der Speisen, Einkaufsquellen und Preis derselben; durch die Führung eines praktisch angelegten Wirthschaftsbuches wird unter Annahme wechselnder Etats Sparsamkeit, richtige Vertheilung der Ausgaben und vor allen Dingen das Haushalten und Auskommen mit einer festgesetzten Summe gelernt: eine Tugend, die, in größeren und kleineren Gemeindewesen ebenso wie in Haus und Familie, erfahrungsmäßig nicht immer zu finden ist. Die Küchenerzeugnisse werden sofort in der mit dem Institut verbundenen Speiseanstalt verwerthet, wo den jungen Mädchen täglich Gelegenheit geboten wird, einfache und gediegene Formen des Bedienens bei Tische zu lernen. Nach einer gleich praktischen, die Schülerinnen zur Selbstthätigkeit, Umsicht und Geschicklichkeit erziehenden Methode werden auch die andern Fächer gelehrt und so lange geübt, bis das Ziel erreicht ist. In allen verfügbaren Räumen der Anstalt herrscht deshalb von früh bis spät je nach den Ausgaben und Abtheilungen reges Schaffen und Mühen, daß wir überall den Eindruck gewinnen: hier arbeitet man nach dem besten aller pädagogischen Grundsätze: non scholae, sed vitae – nicht für die Schule, sondern für das Leben. Selbst die Uebungen in den Elementarfächern: Lesen, Schreiben, Rechnen, Deutsch und Gesang lassen den Endzweck, „für Haus und Familie“, nicht aus dem Auge. Daß die Anstalt außerordentlich geeignet ist, auch künftige Hausfrauen des Volkes für ihren wichtigen Beruf vorzubereiten, braucht wohl kaum gesagt zu werden; unter den Zöglingen befinden sich mehrere Bräute, Töchter ländlicher Grundbesitzer, und andere Schülerinnen, die das Gelernte in dem eigenen oder elterlichen Heim zu verwerthen gedenken. Selbstverständlich sind die jungen Mädchen einer strengen, aber wohldurchdachten Hausordnung unterworfen. Dieselbe läßt aber noch hinreichend Raum, um auch der Herzens- und Gemüthsbildung Rechnung zu tragen. Auf eine eingehende Beschreibung der in musterhafter Ordnung gehaltenen sauberen freundlichen Räume, wo überall das Walten weiblicher Hände sich bemerkbar macht, müssen wir verzichten. Einen Einblick in das Treiben desselben bietet uns die beigegebene Abbildung. Wir werden auf derselben in die Küche und in die Nähstube geführt. Von der letzteren blickt man durch die offene Thür in den Speisesaal der Anstalt.

Freunden der Anstalt ist jederzeit Gelegenheit geboten, derselben unter liebenswürdiger Führung der Hausmutter einen Besuch abzustatten. Wer sich nähere Auskunft über die Aufnahmebedingungen u. dergl. verschaffen möchte, der kann sich an die Vorsitzende Frau Schepeler-Lette in Berlin (Königgrätzerstraße 90) oder an die Hausmutter der Anstalt Fräulein Pötz ebendaselbst (Raupachstraße 1) wenden.

Obgleich die rasch aufstrebende Haushaltungsschule wegen der wachsenden Schülerinnenzahl ihre Unterrichts- und Wohnräume wiederholt vergrößerte, so konnte doch nicht allen Anforderungen entsprochen werden; viele Anmeldungen mußten unberücksichtigt bleiben. Das Ziel der Leiterin ist daher, für die so segensreiche Anstalt ein eigenes geräumiges Haus zu erwerben.

Wir wünschen dem jungen Unternehmen das tatkräftige Interesse aller derer, die für das Wohl des Volkes, beziehentlich der deutschen Familie Herz und Verständniß haben; in der Haushaltungsschule liegt ein gesundes Samenkorn, das bald zum kräftigen Baum emporwachsen wird. Die Berliner Anstalt ist nicht die einzige dieser Art in Deutschland; es regt sich auf diesem Gebiete in Nord und Süd, und die „ Gartenlaube“ wird in nächster Zeit über ähnliche Bestrebungen an anderen Orten ihren Leserinnen berichten. Hoffentlich werden aber unsere Mittheilungen zur Nachahmung des guten Beispiels Veranlassung geben, so daß auch dort Haushaltungsschulen entstehen, wo ihr Segen bis jetzt noch nicht bekannt ist.
Gustav Schubert.     
[364]

Die Yosémitefälle in Kalifornien.
Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

[365]
Von der Nadel zur Feder.
Eine Porträtskizze P. K. Roseggers von G. Ramberg.

Den Lesern der „Gartenlaube“ ist der Dichter, dessen Bild wir denselben heute vorführen, längst kein Fremder mehr. Und beim Lesen seiner Schriften wird mancher wohl die Frage aufgeworfen haben: Wie konnte aus dem Waldbauernburschen und Schneidergesellen von ehedem ein Dichter werden? Rosegger selbst hat die Frage in seinen Werken theilweise beantwortet. Wer seine Dichtungen gelesen, kennt auch seine Lebensgeschichte. Nicht ganz genau vielleicht und nicht mit historischen Daten, denn vieles, was der Dichter erzählt, ist thatsächlich anders geschehen. Seine Erzählungen sind aber trotzdem wahr; sie gehören jener Wahrheit an, die allgemein ist und im Munde des Poeten bedeutsamer wird. So wollen auch wir diese Skizze, welche die Bekanntschaft mit dem Menschen Rosegger vermitteln soll, freihalten von Jahreszahlen und kleinlich historischem Beiwerk und sein Leben, seine Entwickelung so betrachten, wie er selbst, wie der Dichter sie betrachtet.

In der grünen Steiermark ist seine Heimath. Unweit von Krieglach liegt ein kleines Dörfchen, Alpel genannt. Dort stand Roseggers Elternhaus. Der Vater war ein armer Waldbauer, arm und verarmt. Peter war ein schwächlicher Bursche und den Anstrengungen, die der Bauernstand fordert, kaum gewachsen. Darüber war der Familienrath bald einig. Aber man schwankte, ob der Bursche Pfarrer oder – Schneider werden müsse. Man entschied für das erstere; der Bub sollte studiren. Die Mutter ging zu den Geistlichen, sie um Rath und Hilfe zu bitten. Aber sie erhielt wenig Aufmunterung. Der alte Dechant von Birkfeld sagte:

„Wenn der Bub sonst keine Anzeichen für den Priester hat, als just, daß er schwach ist, so soll er was anderes werden. Schwache Priester haben wir eh’ genug. Er soll ein Handwerk lernen.“

Rosegger selbst hatte Lust und Neigung zum Priesterstand. Aber sein erster Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen; es ist anders gekommen, er sollte in eine andere Bahn gelenkt werden. Der kleine Rosegger hatte sich einmal auf dem Thomasmarkte im nahen Krieglach einen Volkskalender gekauft. Er las das Buch von Anfang bis Ende, studirte jeden Heiligen, jede Finsterniß, jede Bauernregel und jede muthmaßliche Witterung. Die Erzählungen des Kalenders las er nicht, er sog sie auf, wie Blüthenduft und Honig. Die Freude an dem vorhandenen Genuß wurde noch gesteigert durch die Hoffnung auf kommenden: am nächsten Thomasfeste sollte ein neuer Kalender gekauft werden. Als aber der Thomastag herankam, war nicht genug Geld da, um einen solchen Schatz zu erstehen. Wohl Stunden lang mag der Knabe sehnsüchtigen Blickes vor den Büchern gestanden haben, von weitem die Titel lesend. Aber die Thatsache stand unumstößlich fest: „Hast kein Geld, so kannst keinen kaufen.“

Da erwachte in ihm der Nachahmungstrieb, und er sagte zu sich. „Wenn Du keinen kaufen kannst, so mach’ Dir selber einen.“

Zur Erwerbung von Feder, Tinte und Papier reichte die kleine Baarschaft aus, und der Grundstein zu seiner dichterischen Thätigkeit war gelegt. Er versuchte es, seinen Volkskalender genau nach dem Muster des gedruckten Exemplares zu schreiben, verfaßte Erzählungen, Gedichte und Aufsätze, zeichnete selbst die Illustrationen dazu, stellte das Kalendarium auf und traf mit den Wetterprophezeiungen ebenso oft oder ebenso selten das Richtige, wie der Berufsprophet. Ein „weitläufiger Vetter“ sah ihm öfters bei seiner dichterischen Thätigkeit zu, und als einmal der Kleine ein neues Buch aus weißem Papier zusammenheftete, um es frischweg wieder vollzuschreiben, meinte der Vetter:

„Ich seh’s, Bub, Du bist kein Bauer nicht, Du bist zu was anderem geboren. Was Du findig bist und flink mit der Nadel! Du mußt ein Schneider werden!“

„So ist es eigentlich der weitläufige Vetter gewesen, der mein Talent zuerst entdeckt hat,“ fügt Rosegger dieser Anekdote schelmisch bei.

Er ist denn auch wirklich Schneider geworden. Durch das lange Hin- und Herschwanken war ihm selbst die Lust zum Bauernstande abhandengekommen, und da das „Geistlichwerden“ nicht so leicht war, ging die Mutter vom Pfarrer zum Schneider.

„Sie hätte einen Buben, der gern Schneider werden möchte,“ hub die Waldbäuerin an.

Aber der Meister frug, was ihn auf diesen Gedanken brächte. Und als die Bäuerin erklärte, weil er halt gar so schwächlich sei, brauste der Alte auf:

„Jeder Mist will heutzutage Schneider sein. Ich will der Bäuerin nur sagen, daß der richtige Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß!“

Nun, gesund war er ja, der Waldbauernbursche. Der Meister hatte ein Einsehen, und nach einigen Tagen trat Rosegger bei ihm in die Lehre. Hier erst eröffnete sich ihm ganz die Bauernwelt. Rosegger erzählt, daß er im Laufe seiner Schneiderjahre in 67 verschiedenen Bauernhäusern gearbeitet hat. Die Bauernhandwerker, wie Schuhmacher, Schneider und Weber, sind nämlich in vielen Alpengegenden eine Art von Nomadenvolk. Sie haben wohl irgend eine bestimmte Wohnung, entweder im eigenen Häuschen oder in der gemietheten Stube eines Bauernhofes, wo ihre Familie lebt, wo sie ihre Habseligkeiten bergen und wo sie den Sonntag zubringen. Am Montag aber gehen sie auf Arbeit aus und richten sich im Bauernhause, wo sie bestellt sind, für so lange ein, bis sie ihre Arbeit vollendet haben. Der Handwerker wird von den Bauern wie zur Familie gehörig betrachtet und ist in wenig Tagen eingeweiht in die Verhältnisse, Eigenarten und Geheimnisse des Hauses. Während einer vierjährigen Thätigkeit kann also da ein offener Kopf gar mannigfache Beobachtungen machen. Und damit läßt sich auch die schon häufig aufgeworfene Frage beantworten: woher denn Rosegger in seiner Waldeinsamkeit alle die verschiedenen Zustände und Sitten und die vielen wunderlichen Kerle kennen gelernt habe, und ob denn alles so bei der Hand gewesen oder von allen Seiten herbeigekommen sei, um sich von ihm beschreiben zu lassen? Die Schneiderzeit war eben seine Hochschule, wo er den Charakter des Bauernlebens im Großen wie im Kleinen von Grund auf kennen lernte.

Seine schriftstellerische Thätigkeit nahm während der Lehrjahre schon größere Formen an. Er schrieb ein religiöses Werk „Weg in die Ewigkeit“ und eine weltliche Schrift „Freue Dich des Lebens“. Später verfaßte er zahlreiche Gedichte, gab eine Zeitschrift heraus „Meine Gedanken“ und verfertigte noch überdies ein illustrirtes Prachtwerk „Museum“.

Jahrelang hatte er auf solche Weise genügsam für sich selbst gedichtet, als ihn auf einmal die Sehnsucht nach der Druckerschwärze überkam. „Wie mag sich wohl so etwas Selbstgeschriebenes in der Zeitung ausnehmen?“ war sein Gedanke. Nach langem

„Mein Geburtshaus.“ Originalskizze von P. K. Rosegger

[366] Ueberlegen faßte er den kühnen Entschluß, einzelne seiner Gedichte der Grazer „Tagespost“ einzusenden. Der Redakteur, Dr. Svoboda, brachte auch wirklich einzelnes zum Abdruck und verlangte die Zusendung der übrigen Dichtungen. Das aber war eine schwierige Sache. Wo das Porto für diesen Berg von Schriften auftreiben, wenn schon der einzelne Brief fünf Kreuzer kostete? Glücklicherweise hatte just sein Firmpathe in Graz ein Geschäft. Der nahm die Dichtungen in einem großen Tragkorbe mit, indem er meinte, wenn der Peter den ganzen Kram im Kopfe hätte tragen können, werd’ er ihn doch leicht auf dem Buckel tragen. „Und jeder, dem heute meine Schriften zur Last werden,“ sagt Rosegger mit liebenswürdiger Bescheidenheit, „möge Geduld haben und bedenken, wie oft damals der Firmpathe unterwegs nach Graz hat rasten müssen.“

Dr. Svoboda fand Wohlgefallen an den Dichtungen dieses urkräftigen Talentes und veröffentlichte in der „Tagespost“ einen warm geschriebenen Aufsatz, der das Interesse für den steirischen Naturdichter erweckte und ihm zahlreiche Freunde erwarb.

Es war gerade zur Weihnachtszeit, als dies sich ereignete. Rosegger kam zu seinen Eltern nach Alpel, um dort die Feiertage zu verbringen. Die Mutter trat in die Stube und sagte: „Du Bub’, weißt es schon? – Auf der Post in Krieglach sollen allerhand Briefe und Sachen für Dich da sein. Und in der Zeitung sollst auch stehen. In Krieglach thäten die Leut’ seit etlichen Tagen nichts reden als von Dir.“

Sofort ging der Peter nach Krieglach, wartete dort bis zum frühen Morgen, bis der Postschalter geöffnet wurde, und verlangte dann seine „Briefe und Sachen“. Da erhielt er die „Tagespost“ mit seinen Gedichten und dem Aufsatze Svobodas, erhielt Glückwünsche, Bücher und Geldspenden von unbekannten Gönnern, und überdies noch das Anerbieten eines Buchhändlers in Laibach, den jungen Dichter unentgeltlich aufzunehmen.

Rosegger konnte das über ihn hereinströmende Glück kaum erfassen. Im Jubelrausche eilte er nach Hause und las den Seinen alles vor, doch sie verstanden noch weniger davon als er selbst. Die Mutter aber sagte: „Du Bub, gieb Acht, daß sie Dich nicht zum Narren machen.“

Noch standen ihm schwere Stunden des Abschieds bevor beim Meister und bei den Eltern. Dann aber flog er jauchzend hinaus in die Welt, voll von kühnen Hoffnungen und glühender Sehnsucht.

Doch der Bücherstaub in Laibach konnte dem Knaben das geträumte Glück nicht bieten. Er trug still die Schmerzen bitterer Enttäuschung, weinte des Nachts heiße Thränen und litt tiefstes Heimweh.

Eines Tages ermannte er sich; er dankte seinem Wohlthäter, schnürte das Bündel und trat die Reise an nach seiner Waldheimath. – In Graz aber hielten ihn seine Freunde zurück. Er fand Aufnahme in einer Schule; durch weitere Veröffentlichung einzelner Gedichte wurde das Interesse des Publikums für ihn wach gehalten. Und der stetige Verkehr mit seinem ersten Kritiker, Dr. Svoboda, regte ihn zu immer neuem Schaffen an, obgleich ihm dessen hoher, ästhetischer Standpunkt lange Zeit unverständlich blieb. Als er eines Tages sagte, Rosegger müsse ein in ganz Deutschland gelesener Schriftsteller werden, lachte ihm dieser dreist ins Gesicht, so wenig glaubte er – selbst damals noch – an seine eigene Kraft.

Er hatte die Schule kaum hinter sich, als sein erstes Büchlein erschien: eine Sammlung von Dialektgedichten unter dem Titel „Cither und Hackbrett“. Der Verleger hatte die Bedingung gestellt, daß Robert Hamerling ein Vorwort zu dem Buche schreibe, und Hamerling hat diese Bedingung redlich erfüllt. Es entwickelte sich ein herzliches Verhältnis zwischen den beiden Dichtern, das auf Rosegger einen starken und wohltätigen Einfluß übte.

„Cither und Hackbrett“ fand beim Publikum Beifall, und Rosegger, der eben im Begriffe stand, eine Stelle zu suchen, bekannte sich nun als zünftigen Schriftsteller. Er zog in seine Waldheimath zurück und schrieb ein neues Werk in steirischer Mundart „Tannenharz und Fichtennadeln“, und zudem noch „Sittenbilder aus dem steirischen Oberland“. Im Winter lebte er in Graz, hörte Vorlesungen an der Universität und suchte seine Kenntnisse auf jede Weise zu ergänzen. Später bereiste er ganz Oesterreich, Deutschland, die Schweiz und Italien, wodurch seine Weltanschauung geklärt, sein Gesichtskreis erweitert wurde.

Roseggers materielle Existenz als Schriftsteller hat der verstorbene Buchhändler Heckenast in Budapest begründet, in dessen Verlage vierzehn Bände seiner Werke und sechs Jahrgänge eines von ihm redigirten Volkskalenders „Das neue Jahr“ erschienen sind. Später gründete unser Dichter in Graz die Monatsschrift „Heimgarten“, welche die Tendenz erfüllt, den Sinn für Häuslichkeit, die Liebe zur Natur, das Interesse an dem Ursprünglichen und Volksthümlichen zu wecken und zu verbreiten. Hier veröffentlichte er eine unendlich große Zahl von Novellen, Erzählungen, ernsten wie heiteren Bildern aus dem Bauernleben und selbständigen Aufsätzen. In den zweiundzwanzig Bänden „Ausgewählte Schriften“, die kürzlich bei A. Hartleben in Wien, Pest und Leipzig erschienen sind, hat Rosegger so ziemlich das Beste, was er bis jetzt geschrieben, zusammengestellt.

Am meisten kennzeichnend für die dichterische und menschliche Eigenart Roseggers sind die Erzählungen aus der Waldheimath. Er schildert die Verhältnisse, die dort bestanden, mit liebevoller Sorgfalt und bringt dieselben mit den zufälligen Ereignissen, die in sein Leben hineinspielten, in sinnige Beziehung.

Rosegger versteht die seltene Kunst, seine eigene Person zum Mittelpunkt der Erzählung zu machen, ohne sie in den Vordergrund zu drängen. Das Böse, das man ihm zugefügt, die Unbill, die er erlitten, hat er vergessen oder doch zu vergessen gesucht. Dem Guten aber, das er empfangen, dem Schönen, das er durchlebt, ist seine Erinnerung treu geblieben. Und so ist es ein lieber, freundlicher Eindruck, den man beim Lesen dieser Erzählungen empfängt. Wahrhaft rührend wirkt die tiefe Verehrung für seine Mutter und die bittere Reue über jede Kränkung, welche er der nun Verstorbenen einstmals zugefügt. „Daß die Kinder nur immer so ins Weite und ins Fremde streben,“ ruft er aus, „nach Liebe hungern und nach Liebe haschen, die sie doch so rein und reich und unendlich nimmer finden, als daheim an der ewigen Liebe Quell – am Mutterherzen!“

Mit wohltuender Ehrlichkeit erzählt er auch die dummen Streiche seiner Knabenzeit und verschweigt sogar das nicht, was er selbst heute als schlecht und unrecht bezeichnen muß. So enthüllt er sich dem Leser ganz und gar und zeigt seine Seele in „ihrer schönen Nacktheit“, wenngleich er selbst einmal in scheinbarem Widerspruch hiermit geschrieben hat. „Das Gute und Beste will ich schon sagen, aber das Allerbeste, das ist ganz mein eigen, das gebe ich nicht aus, es sei denn, daß hier und da zwischen den Zeilen etwelches davon zerstreut werde, wie bisweilen Körner zwischen den Furchen liegen, die dann von den leckern Vögeln aufgepickt werden mögen.“

Wenn wir bei Rosegger etwas bedauern, so ist es, daß er sich noch nicht ernsthaft als Dramatiker versucht hat. Gar häufig kam uns beim Lesen seiner Dichtungen der Gedanke. „Welch prächtiger Stoff für ein Volksschauspiel!“ – So erzählt er einmal in einem Beitrag zur Charakteristik der Aelpler vom Arsenikessen. „In vielen Alpengegenden nehmen die Leute Arsenik zuerst in geringen, dann in größeren Dosen zu sich und schwören darauf, daß es stark und munter mache, das jugendliche Aussehen und den Glanz des Auges erhalte. Wer einmal begonnen hat, Arsenik zu essen, der darf, heißt es, nicht mehr aufhören; denn sobald die einmal daran gewöhnte Natur des Mittels entbehren muß, hebt sie an zu welken, und es ist keine Rettung. So soll es vorkommen,“ fügt Rosegger diesen trockenen Thatsachen bei, „daß eifersüchtige Dirnen ihren Liebsten täglich Arsenik beizubringen wissen. Manche ist der That fähig, ohne daß der Geliebte es merkt. Bleibt der Bursche bei ihr, so kommt das Gift ihm und ihr zu statten; verläßt er sie aber und hält es mit einer Andern, dann entbehrt er eben des Elixirs, welkt hin und stirbt.“ Ist das nicht der Vorwurf für eine Bauerntragödie? Dieses dämonische Weib, das die Rache vorbereitet, noch ehe es beleidigt wurde, wäre eines Anzengruberschen Schauspiels würdig. Rosegger hat noch gar manche Typen geschildert (den „Elendstifter“, den „Langen Toni“), die sich für die Bühne verwerthen ließen. An seinen ersten dramatischen Versuch, eine einaktige Skizze in steirischer Mundart, knüpft sich freilich eine trübe Erinnerung: Josefine Gallmeyer nahm mit der Vorlesung derselben auf ewig von uns Abschied.

Beim Worte „Vorlesung“ fällt mir Roseggers eigenes Recitationstalent ein, das hier nicht übergangen werden soll. Er bekundet als Vorleser nicht nur bedeutende Begabung, sondern [367] auch auffallende Geschicklichkeit. Seine Ton- und Wortbildung ist so korrekt, daß er selbst in großen Räumen trotz seiner schwachen Stimme nicht unverständlich wird, und er versteht mit solcher Feinheit, mit solcher Treffsicherheit vorzutragen, daß niemals eine Pointe verloren geht.

Rosegger zählt unzweifelhaft zu den Schriftstellern, deren Persönlichkeit sich am deutlichsten in ihren Schriften ausprägt; von ihm selbst gilt, was er in den „Schriften des Waldschulmeisters“ diesen sagen läßt:

„All das Seltsame und Bewegende, das ich erlebe, müßt’ mir das Herz zersprengen, dürft ich es nicht ausplaudern. Ich erzähl’ es dem Blatt Papier.“ Und weiter:

„Ein Blättchen Papier kann älter werden,
Wie das frischeste Maiblatt aus Gottes Erden
Wie das flinkeste Gemslein am Felsenwall,
Wie das lockige Kind im lieblichen Thal.
Ein Blättchen Papier weiß und mild
Ist oft das treueste einzige Bild,
Das der Mensch zurückläßt künftigen Zeiten,
Da über seinen Staub die Urenkel schreiten.
Das Gebein ist zerstreut, der Grabstein verwittert,
Das Haus zerfallen, die Werke zersplittert;
Wer weiß in der ewigen großen Natur,
In der wir gewaltet, unsere Spur?
Neue Menschen ringen mit neuem Geschick,
Keiner denkt an die alten zurück.
Da ist ein Blatt mit seinen bleichen
Tintenstrichen oft das einzige Zeichen
Von dem Wesen, das einst gelebt und gelitten,
Gelacht, geweint, genossen, gestritten,
Und der Gedanke, dem Herzen entsprossen
In Schmerz oder Lust und tollen Possen,
Sinkt hier nieder, und der Ewigkeit Kuß
Verhärtet ihn zu einem ewigen Guß.
O mög’ er geläutert in fernen Zeiten
Wieder in die Herzen der Menschen gleiten!“


* *
*

Wir haben nur noch einige Worte über die Illustrationen zu sagen, welche aus Anlaß dieses Lebensbildes die heutige Nummer der „Gartenlaube“ schmücken. Das Initial zu dem Artikel rührt von dem Wiener Maler Ferry Bératon her; die kleine Skizze „Mein Geburtshaus“ hat Rosegger selbst gezeichnet und dem Verfasser verehrt. Roseggers Werke wirken auch auf andere Zweige der Kunst. Unter „Blätter und Blüthen“ (S. 371) kann der Leser erfahren, wie ein anderer Künstler Roseggers „Waldlilie“ zu verherrlichen wußte.







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Im Taifun.
Seenovelle von Helene Pichler.

Es kam nicht gerade häufig vor, daß das Staatspostboot, welches den Verkehr zwischen der Stadt Bangkok und den vor der Flußmündung ankernden Schiffen vermittelte, Passagiere zu befördern hatte, es sei denn, daß irgend ein Kapitän persönlich sich in die Stadt begab oder von dort an Bord zurückkehrte; oder auch, daß ein Steuermann leichtsinnigerweise den Versuch wagte, in der fieberschwülen siamesischen Großstadt unter der „leichten“ Hafenbevölkerung einen genußreichen Tag zu suchen.

Daß aber jene Fahrt mit dem kleinen Postboot gar von einer Dame gemacht wurde, noch dazu von einer europäischen mit vornehmen Aeußeren, die nicht unter männlichem Schutz reiste, sonderst von zwei Dienerinnen begleitet war, das gehörte zu den außergewöhnlichen Ereignissen, und darum erlaubte sich das Dienstpersonal des offiziellen Fahrzeugs Sr. Majestät des Königs von Siam unverhohlenes Staunen.

Die Dame lag in einem niedrigen Bambussessel, wie sie, so recht zur Faulheit geschaffen, nur in Indien zu haben sind. Ihre großen Augen glitten mit unsäglich müdem Ausdruck über das seltsame, durch üppige Vegetation ausgezeichnete, doch drückend eintönige Panorama, das während der Flußfahrt vorüberzog. Bangkok, mit seinen aus kostbarem Teakholz erbauten Häusern, seinen bunten Dächern und vergoldeten Tempeln, lag bereits im Rücken und dem kräftigen Zug der abströmenden Ebbe folgend, schwamm das Boot auf dem ist den wunderlichsten Schnörkeln sich durch die indische Landschaft schlängelnden Menamfluß dahin. Wälder, Dickichte, Bambusröhricht und Dschungeln zogen vorüber, unterbrochen von Dörfern und Ortschaften, deren Häuser, weit in den Fluß hineingebaut, auf Pfählen ruhten. Unter oder neben jeder Hütte schaukelte ein Boot auf der trüben Fluth und unzählige dieser leichten Fahrzeuge mit oder ohne Segel trieben umher. Leben genug – und doch wieder ist es nur ein Scheinleben, nichts von dem kräftigen Treiben, der frischen Bewegung, die in anderen großen Häfen Indiens auf und nieder wogt. Träge schwingt sich ein langbeiniger Sumpfvogel aus dem Röhricht auf; ein Kahn voll nackter Malayenbuben hat ihn emporgescheucht. Ernsthaft schauen die gelben Gesichter der Kinder, und die eingeborenen Fischer mit ihren Weibern, die dem Fischfang obliegen, gebärden sich müde und verdrossen. Der Wind streicht mit feuchtheißem Hauche über das Land; es ist Februar, also Sommer ist Siam; da droht selbst dem Eingeborenen das Fieber.

Nun kommt Packnam am linken Ufer ist Sicht, die Küste zur Rechten dehnt sich in ansehnlicher Erhebung. Vorüber geht’s an den Hütten von Packnam, diesem wichtigen Hafenthor zu dem Innern Hinterindiens. Jetzt dehnt und weitet der mächtige Strom sich immer mehr, sein Leben wächst. Die zahlreichen Fischerboote tummeln sich frischer, kleine und größere Schiffe bewegen sich auf- oder abwärts. Von dem tönt ein amerikanischer Ruf herüber, von jenem schallt ein deutsches Kommando. Die Ufer weichen immer mehr zurück, die Luft wird reiner, den Lungen wohlthätiger, die See ist nahe. Da ist die sogenannte Barre, jener Querriegel, der vor solchen Flüssen sich bildet, welche viele seine Schlammtheilchen mit sich führen, die dort abgesetzt werden. Der Seemann bemerkt die Barre auch bei ruhigem Wetter an der auf ihr stehenden „See“: der Wellengang wird durch den Riegel unterbrochen und verursacht unruhige Bewegung. Größere Schiffe haben die Barre zu fürchten; denn der Wasserstand auf ihr wechselt mit der Jahreszeit, ja mit den Fluthen, von neun bis vierzehn Fuß. Innerhalb der Barre liegen einige Schiffe vor Anker, da eins, dort eins; sie warten auf Hochwasser, um alsdann die gefährliche Stelle zu passiren. Und wie gut sie thun mit solcher Vorsicht, das wird durch jene beiden schräg aus der athmenden Fluth hervorragenden Bäume bewiesen: die Masten eines auf der Barre leck gewordenen und gesunkenen Schiffes.

Dem siamesischen Postboot konnte die Barre nichts anhaben; das Fahrzeug hatte nur geringen Tiefgang und konnte über das gefürchtete Terrain hinwegtanzen. Nun thut sich die Außenrhede von Bangkok auf, der weite Ocean; in fernem blauen Dunst verschwimmen die Küsten. Kräftig athmet der Wind, ruhig und mächtig liegt das Meer. Da schießt ein kleines Fahrzeug mit einem einzigen, grotesk gestalteten Segel durch die Meerfluth; es trägt auf seiner Mastspitze einen blauen Wimpel: das ist der Lootsenkutter von Bangkok. Einige Punkte am schwankenden Horizonte werden kleiner und verschwinden oder wachsen mit dem Näherkommen: das sind ein- oder ausgehende Schiffe. Und da – richtig, da liegt der „Wotan“ vor Anker, ein elegantes, stolzes Segelschiff; dem gilt der Besuch des siamesischen offiziellen Fahrzeuges. Langseits des „Wotan“ liegt ein kleineres Schiff, ein „Lichter“, schwer beladen mit Reissäcken, welche durch die Mannschaft des großen Seglers mittelst der Schiffwinde aufgeholt und in den Raum des „Wotan“ befördert werden.

Weder die Landschaft, noch das große Seebild vermochten bei der Dame auf dem Postboot eine Regung der Theilname hervorzurufen. Freilich, wer fünf Jahre in Bangkok vegetiren mußte, verliert die Fähigkeit zum Naturgenuß, vielleicht auch für jeden andern Genuß – Mistreß Ellen Howard machte keine Ausnahme. Sie hatte fünf ihrer werthvollsten Lebensjahre, vom zwanzigsten bis zum fünfundzwanzigsten, unter Indiens erschlaffender Sonne zugebracht. Und das kam so:

Mr. Howard, der englische Konsul ist Bangkok, schrieb vor fünf Jahren an seinen alten Jugendfreund in London: „Ich bin einsam in diesem warmen Lande; Deine Ellen muß jetzt herangewachsen sein; gieb mir Ellen zur Frau!“ Der Jugendfreund entsetzte sich bei dem Gedanken, seine einzige Tochter so weit [368] fortzugeben; aber er war von jeher ein schwacher Vater gewesen, dessen Ueberzeugungen leider oft genug den Wünschen seiner schönen und verwöhnten Tochter hatten weichen müssen. Diesmal wollte durchaus das Töchterlein verheirathet werden. Nur ein wenig scharfsichtiger hätte er sein müssen, und der gute Papa hätte gar leicht sein Töchterlein festhalten können. Die ruhige Zustimmung allein: „Reise glücklich und grüße mir den trefflichen Mr. Howard,“ würde das Wunder zu stande gebracht haben. Das geschah indeß nicht und so gab es eine erregte Scene, in welcher der alternde Vater mit feuchten Augen seine Tochter beschwor, den Boden von Alt- England nicht zu verlassen, Miß Ellen aber, durch den Widerspruch gereizt, erklärte, Mr. Howard in Bangkok werde ihr Gatte oder kein männliches Wesen auf dem Erdenrund werde je ihr Antlitz wieder schauen. Sie hatte ihren Willen durchgesetzt, war nach Indien gereist und Mr. Howards Frau geworden.

Nun war der Vater gestorben und kurz darauf auch ihr Gatte, Mr. Howard, der verdienstvolle, humane und gerechte Förderer europäischer Kultur in Hinterindien, plötzlich dahingerafft worden.

Frau Ellen war Witwe; und da das indische Leben, aus dem raffinirtesten Luxus und der erschütterndsten Dürftigkeit zusammensetzt, ihren im Grunde gesunden Sinnen nicht behagte, wollte sie nach Europa zurückkehren. Der nächste Dampfer von Singapore nach London ging erst in zwei Monaten; die eigenwillige Frau wollte aber sofort die Reise antreten und so wählte sie den „Wotan“, ein deutsches Segelschiff erster Klasse, welches auf der Außenrhede seine Reisladung empfing, zur Reise nach London.

Der gesunden Schönheit von Frau Ellen Howard hatten die Fieberdünste Indiens nichts anhaben können. Wohl war das röthliche Kolorit ihrer Wangen einem durchsichtigen, plastisch wirkenden Blaßgelb gewichen und das köstliche goldblonde Haar hatte um ein weniges von seinem Glanz verloren – sonst blieb sie ganz die alte Ellen. Ja, vielleicht war die Dame im leichten weißen Batistkleide, die da im bequemen Bambusstuhl ruhte, noch selbstbewußter als die ehemalige Ellen von Alt-England; denn ein hoher Name und ein großes Vermögen stärken das Bewußtsein.

„Ho hoi! Vorsichtig! Fangt das Tau! Da fliegt es über die Reeling! Ho hoi! Habt Ihr etwas für den ‚Wotan‘?“

„Yes, da sind Briefe, Zeitungen und ein Packet Schiffspapiere; überdies ein Passagier; nein drei! He, Madam, wollen Sie gefälligst hier die Strickleiter hinansteigen?“

Die gelbbraunen Gestalten der malayischen Mannschaft bemächtigten sich des Gepäcks der Engländerin; einige Matrosen halfen ihr das Füßchen auf die erste Sprosse der Strickleiter bringen.

Die beiden braunen Dienerinnen, welche Frau Howard mitgebracht hatte, schauten melancholisch auf den schwachen dunklen Streif zurück, der nördlich den Horizont kränzte, ihr Heimathland. Als Frau Ellen Howard einige Sprossen der steilen Strickleiter erklommen, ward sie durch ein Rauschen und Wellenschlagen veranlaßt, den Kopf rückwärts zu wenden. Ein kleiner Schleppdampfer, in dessen Schlepptau drei der fruchtbeladenen Lichterfahrzeuge sich befanden, fuhr heran und wartete nur auf den Abgang des Postbootes, um bei dem „Wotan“ anzulegen. Auf dem Deck des Schleppers aber – und das war es, was Frau Ellen mit gerechtem Ingrimm erfüllte – stand ein schwarzbärtiger Herr in hellem Seidenanzug, den breitrandigen Palmenhut auf dem Haupte, offenbar im Begriff, ebenfalls den „Wotan“ als Reisekutsche zu benutzen. Mit leichter Lüftung des Hutes grüßte er sogar die am „Wotan“ emporklimmende weibliche Gestalt.

Ellen drückte das Haupt in den Nacken; sie fand es unverschämt, daß noch ein Mensch den Einfall hatte, mit dem „Wotan“ reisen zu wollen, und – „meine Kajüte!“ herrschte sie dem Mann zu, der, in würdiger Ruhe Befehle gebend, der Führer des „Wotan“ sein mußte.

„Steward, führe Madame zu ihrer Kabine, Nummer Zwei,“ befahl der Seemann einem vorübergehenden Schiffsjungen und schaute danach wieder in die Papiere, welche er in der Hand trug.

„Mein Name ist Mistreß Howard, Gattin des jüngst verstorbenen Konsuls Ihrer Majestät der Königin von England und Kaiserin von Indien,“ sagte die Dame mit einiger Schärfe.

„Bin mir der Ehre bewußt,“ antwortete der Kapitän, ohne mehr als flüchtig sich zu verneigen.

Frau Ellen verschwand in Nummer Zwei und die beiden dunklen Mädchen in Nummer Drei der längs der stattlichen Kajüte hergerichteten Passagierkabinen.

Das Postboot stieß ab, der Schlepper legte an und gleich danach schaute ein bärtiger Manneskopf über den Bord des „Wotan“.

„Walter Iversen“ begrüßte der Kapitän den neuen Ankömmling. Zwei Männerhände lagen für einen Moment kräftig in einander.

„Kabine Nummer Eins, Steuerbord,“ rief der Kapitän, und mit einem verständnißvollen Kopfnicken verschwand der neue Reisende unter Deck; er wußte offenbar auf Schiffen Bescheid.

Hoi ho, der letzte Sack Reis ist im Schiff, die Luken dicht! Die Anker auf, die Segel herunter!

Mit stolzer Wendung dreht das Schiff nach Südwesten; der Wind faßt die schräg gestellten Leinwandflächen, und dahin rauscht der „Wotan“ in freier Fahrt. Ade, du wunderbare indische Erde; ade, du ewiger Sonnenschein, ihr immergrünen Cedern und Palmen; ade, du entnervendes Schlaraffenthum und du altewige Sklaverei! Der Kiel folgt dem Zuge nach Westen, nach dem alten Europa. Sie jauchzen schon jetzt der Atlantik entgegen, die deutschen Seeleute des „Wotan“, obwohl kein anderer Laut an die freie Luft dringt, als das Kommando des befehlenden Kapitäns oder der eintönig rhythmische Gesang, mit welchem abendländische Seeleute schwere



Die Waldlilie. Statue von Hans Brandstetter.
Nach einer Photographie von M. Frankenstein u. Comp. in Wien.

[369]

Nach der Taufe.
Nach dem Oelgemälde von Ad. Lüben.

[370] Arbeiten sich zu erleichtern pflegen. Flott geht die Arbeit von statten; ein guter Geist beseelt die Mannschaft, und je mehr das Becken des Meerbusens von Siam sich öffnet, je länger und gleichmäßiger die Dünungen der südlichen Chinasee heranrollen, um so freudiger blicken die Gesichter: es geht der Heimath zu.

Ein kleines Intermezzo drohte freilich am zweiten Tage, den Frieden zu unterbrechen. Frau Howard, welche es nicht hatte erreichen können, daß Diner und Souper ihr allein servirt wurden, und die also gezwungen war, an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten der Kajütentafel theilzunehmen, hielt sich streng abgesondert. Mit höflich kalter Frage erkundigte sie sich bei dem Kapitän nach einem Platze auf Deck, wo ihr Ruhestuhl vor jeder Annäherung der Schiffsleute gesichert sei.

„Madame, einen solchen Platz giebt’s nicht auf den Planken des ,Wotan‘, es sei denn Ihre eigene Kabine,“ antwortete der Kapitän. Darnach hielt sich Frau Howard vierundzwanzig Stunden in der Kabine. Aber das Bedürfniß nach frischer Luft nöthigte die Dame doch wieder hinaus an Deck. Die malayischen Dienerinnen lagen an der Seekrankheit darnieder.

„Befehlen Sie jemand zu meiner Bedienung!“ forderte Mistreß Howard. Doch ehe der Kapitän irgend einem Schiffsjungen winken konnte, kroch hinter den Fässern, die den „Wassergang“ entlang lagen, ein halbwüchsiger Bursche hervor; der form- und farblose Kittel des chinesischen Arbeiters umschlotterte seine Glieder. Dieser Mensch, von dem niemand wußte, wie er aufs Schiff gekommen, sank vor Frau Ellen in die Kniee und hob bittend die Arme zu ihr auf.

Eine unbeschreibliche Scene folgte. Die Dame fuhr mit einem lauten Schrei der Entrüstung und des Abscheus einige Schritte zurück; der Kapitän trat näher, packte den fremden Burschen derb an der Schulter und rief: „Ho, holla, Eindringlinge an Bord!“ und im Nu war die gesammte Mannschaft in höchster Aufregung auf den Beinen. Das kann nicht Wunder nehmen in den indischen Gewässern, wo jedes nicht aufs Schiff gehörige Individuum als mit Piraten im Bunde betrachtet werden muß. Das hastete durch einander und stieß leise Verwünschungen aus. Der bezopfte Uebelthäter aber stand zitternd wie Espenlaub in der Mitte und blickte nur immer nach der zürnenden Frau, welche das vom Kapitän begonnene Verhör mit dem energischen Ruf unterbrach: „Ich fordere Strafe für den frechen Uebelthäter, harte Strafe!“

„Das ist mein Amt, Madame,“ sagte nachdrücklich der Kapitän, und auf der braunen Stirn schwollen die Adern. Diese Frau würde ihm während der weiten Reise noch zu schaffen machen!

„Ich fordere harte Strafe!“ Ellen Howard war einige Schritte vorgetreten; sie schien es jetzt nicht zu beachten, daß ihr weißes Kleid von ganz gemeinen Matrosen gestreift wurde. „Ich fordere harte Strafe, denn der Bursche ist mein.“

„Ihr Sklave?“ fragte der Kapitän.

„Pfui, nein! aber einer meiner Gartenarbeiter, den ich wegen Diebstahls fortjagen ließ und der mir nun nachgelaufen ist. Die Peitsche dem frechen Burschen! Ich fordere es.“

Die Situation begann ernstlich zu werden. Die Mannschaft, von der Entrüstung der schönen Frau angesteckt, murrte unverhohlen, und es ward sogar die Bemerkung laut. „Ueber Bord mit ihm, über Bord!“

„Ein Wort, Kapitän!“

Das sagte alte tiefe Mannesstimme; Walter Iversen, der zweite Passagier des „Wotan“, legte seine Hand auf die Schulter des Chinesen.

„Widerspricht es der Disciplin oder der Etikette dieses Schiffes, wenn ich diesen Menschen als meinen Diener annehme?“

„Nein, dadurch wäre die Frage sofort gelöst.“

„Gut, so gehört er zu mir, und ich mache mich verantwortlich für seine Aufführung.“

Diese ruhigen Worte wirkten sichtlich wohltuend; die Wellen der Erregung legten sich und nach einer Viertelstunde kümmerte sich niemand mehr um den Chinesen. Der bezopfte Bursch lag in seines neuen Herrn Kabine auf den Knieen und putzte eifrig an einem Paar Pistolen herum, deren Ladung vorher entfernt worden war. Im Reiben und Wischen hielt der Mensch oft inne und drückte das kalte Eisen an seine Stirn, an seinen Mund; er streichelte auch die alten rothangelaufenen Stiefel, die neben der Koje standen – ein chinesischer Kuli hat eben auch an Herz.

Dieses Intermezzo hatte zur Folge, daß bei der Mittagstafel Frau Ellen sich zum ersten Male am Gespräche betheiligte.

Die Herren sprachen über Völkertypen und charakteristische Eigenschaften der asiatischen Völker. Walter Iversen, der schwarzbärtige Deutsche, welcher, um von einem schweren Schicksal sich zu erholen, einen „Spaziergang um die Erde“ machte, erwähnte, diese Eigenthümlichkeiten seien eine jedesmalige Wirkung der Natur, des Klimas, der Nahrung und so weiter. Das feine ironische Lächeln auf Frau Howards Gesicht veranlaßte ihn zu der Frage: „Sie scheinen anderer Ansicht, Frau Konsul?“

Sie winkte der braunen Nina, daß sie ihr einen Fächer bringe; denn drückend schwer lastete die tropische Temperatur auf allen Lebewesen, und dann mit unbeschreiblich stolzer, doch anmuthiger Bewegung des Kopfes erwiderte sie: „Natur, Natur! Sie werden doch diese braunen, gelben, schwarzen Geschöpfe mit zwei Armen und zwei Füßen nicht zu den ‚Menschen‘ im engeren Sinne zählen? Kultur, Gesittung, Bildung machen den Menschen.“

Halb betroffen, halb unwillig hielt die Dame inne; eben hatte sie Geschmack gefunden an der Unterhaltung mit diesen Männern – besonders der Deutsche mit seiner breiten Stirn über den blauen Augen und dem lächerlichen Idealismus gefiel ihr – da mußte derselbe Deutsche bei dem ersten längeren Satze, welcher von ihren Lippen kam, so fest und tief seine Augen in die ihren senken, als wolle er den letzten Grund ihrer Seele finden. Energisch wehte ihr Fächer. Nun kam es langsam von den Lippen Walter Iversens:

„Sie haben die Welt gesehen, Frau Konsul; kam Ihnen nie das Bedürfniß oder bester die Neugier bei, den tausendfältigen Lebenserscheinungen in der Natur – Verzeihung, da ist sie schon wieder – und im Menschendasein auf die Spur zu kommen? Kümmerten Sie sich nie um die Seelenregungen Ihrer Untergebenen, z. B. was den armen Schelm, der da drinnen“ – er deutete nach der Kabine Nr. 1 – „jetzt einen wahren Kultus mit todten Gegenständen treibt, zu dem ‚strafwürdigen‘ Benehmen von heut Morgen veranlaßte?“

„In der That, mein Herr, eine starke Zumuthung, die sie mir da stellen,“ lächelte die Engländerin abwehrend; „haben Sie vielleicht diese interessante Menschenseele schon ergründet?“

Unbeirrt durch den spöttischen Ton nickte der Deutsche vor sich hin und erwiderte gelassen:

„Ja, und ich fand auch in diesem Einzelfalle bestätigt, daß Furcht und Liebe die stärksten Triebfedern im Menschen sind.“

„Mein Herr –!“ Mit funkelnden Augen erhob sich die englische Dame, um sich zu entfernen. Doch Iversen deutete auf den Sessel zurück, den sie, wie von einem Bann gefangen, sogleich wieder einnahm. Er fuhr fort:

„Muß einer weichen, so bin ich’s, welcher die Kajüte räumt. Furcht und Liebe! Jawohl! Sie regierten auch die Handlungen Ihres ehemaligen Dieners! Die Furcht vor einer unbegreiflichen Macht führte den armen Jim zu einem Zauberdoktor. Sein alter Vater war wahnsinnig geworden, jener Zauberer hatte ihm aber gesagt, der Alte sei von einem bösen Geiste besessen, welcher nur dann von ihm weichen würde, wenn der dünne graue Zopf desselben mit dem Kamme der schönsten Frau von Bangkok gestreichelt werde. Die schönste Frau aber hatte der gute Junge ganz in der Nähe. Er glaubte auch, sie würde es nicht merken, wenn der kostbare Kamm aus ihrem Schlafgemach einen kleinen Spaziergang in die dunkle Chinesenhütte unternähme. Leider wurde der Schelm abgefaßt, als er, das eine Bein über die niedrige Fensterbrüstung geschwungen, mit langgestrecktem Leibe das Corpus delicti auf seinen alten Platz zurückbringen wollte. Der Rest ist Ihnen besser bekannt als mir, Frau Konsul. Der böse Geist wich in der That von dem Alten, denn dieser starb noch selbigen Tages. Wenn nun der dumme Jim, trotzdem er mit Schlägen fortgejagt wurde, immer wieder sich Ihnen zu nahen suchte und sogar die Gefahr, in Ihrer Gegenwart über Bord gesetzt zu werden, nicht scheute, so handelte er wieder getrieben von Liebe. Er liebte die schöne Frau, von welcher Hilfe für seinen Vater kommen sollte, wie man eine Gottheit liebt; er wollte sie anbetend verehren und sich rechtfertigen –“

„Mein Herr, Sie werden beleidigend,“ und nun stand die Engländerin wirklich, einer zürnenden Königin gleich, im niedrigen Schiffsgemach; „ich bin nicht gesonnen, Ihren Expektorationen [371] über Furcht und Liebe zum Mittelpunkt zu dienen. Furcht und Liebe sind mir ebenso fremde wie verächtliche Begriffe. Nina, Fächer und Sonnenschirm!“

Dahin ging sie, um in der freien Luft ihren Zorn verrauschen zu lassen. Dieser unerträgliche Deutsche verbitterte ihr die ganze Reise! Was sein Mund auch sprach, es waren Ueberspanntheiten oder Widerspruch. Und mit dem Menschen sollte sie noch während 16 000 Meilen Seefahrt zusammen sein? Unmöglich! Lieber wollte sie ganz das Feld räumen! Lieber den Bären von Kapitän bestimmen, sie in irgend einem vorderindischen Hafen zu landen oder einem vorübersegelnden Schiff zu übergeben. Für blankes Gold konnte alles erreicht werden. Indem Ellen Howard diesen Gedanken ausspann, überfiel sie plötzlich ein heftiges Herzklopfen; sie sah sich im Geiste am fremden Bord und hörte Walter Iversen sagen: auf Nimmerwiedersehen! Nein, nein sie mußte bleiben.

Während der Steward unten die Tafel abräumte, Kapitän und Obersteuermann wiederholt das schwebende Barometer prüften – um ein winziges Härchen breit zeigte sich das Köpfchen der Quecksilbersäule niedergedrückt – zündete sich Walter Iversen eine Manila an und brummte vor sich hin. „Schade, schade; sie kennt nicht Furcht noch Liebe und ist doch ein Weib! O Natur, warum schaffst du Meisterwerke und versagst ihnen die Seele? Wer diese Seele wecken könnte!“

„Mr. Iversen, dazu reicht keine Menschenkraft, das könnte nur die Natur; dieser Charakter biegt sich nicht, er müßte gebrochen werden.“

So sprach der Kapitän und deutete auf das Barometer. „Was ist’s damit? Gefallen?“

Der Seemann nickte stumm, setzte die Mütze auf und ging an Deck


(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.



Die „Waldlilie“. (Mit Illustration S.368.) Mitten im Grün einer prächtigen Nadelholzgruppe, am Abhange der altehrwürdigen Dammallee des Grazer Stadtparks steht auf einem zwei Meter hohen einfach gegliederten Granitsockel das freundliche Denkmal, welches ein steierischer Bildner dem gefeierten steierischen Poeten zu Ehren geschaffen hat. Wem die sinnige Mädchengestalt aus dem vielleicht poesiereichsten Werke Roseggers „Die Schriften des Waldschulmeisters“, wem die von echtem Waldduft umwehte kindlich jungfräuliche Erscheinung bekannt ist, die der Dichter „Waldlilie“nennt, der wird ist dem ideal durchgeführten Gebilde des jungen Künstlers den ganzen Zauber des weihevollen Urwaldfriedens und den unbewußten Liebreiz des echten Naturkindes wiederfinden, den der gemüthsreiche Poet in die liebliche Schöpfung seiner Phantasie zu legen verstand. In loser schlichter Kleidung, mit ungefesselter wallender Haarfluth, streift die „Waldlilie“ barfuß über die Alpenmatten dahin und sammelt die Kräuter und Blumen für die Thiere des Forstes. Das ganze ergreifende, von Rosegger so lebendig und treu geschilderte Kulturbild jener kleinen weltverlorenen Waldgemeinde lebt im Geiste des Beschauers dieser sympathischen Gestalt wieder auf und jede einzelne Figur aus dem herrlichen Buche tritt in plastischer Kraft hervor. Aber das Werk Hans Brandstetters, dessen schöne Begabung ihn auf das lyrisch-romantische Gebiet seiner Kunst verweist, ist nicht etwa eine einfache Verkörperung der vom Dichter nur flüchtig gezeichneten Mädchengestalt, es ist vielmehr die freie originelle Schöpfung des jungen Meisters, dessen Geist und Gemüth in dem dichterischen Gebilde nur den belebenden Hauch gefunden. Brandstetter ist ja ist gewissem Sinne selbst so eine Art „Waldlilie“, ein echtes und rechtes Naturkind, in dem sich schon in frühesten Tagen das Talent zu zeichnen und zu schnitzeln regte. In dem kleinen Walddörfchen Michelbach, wenige Stunden von Graz entfernt, wurde Hans am 25. Januar 1854 als Sohn eines armen Nagelschmieds geboren. Seinem Vater lernte er früh die Kunst ab, Baßgeige, Violine und Guitarre zu spielen, zu zeichnen und zu schnitzeln. Er kam dann bei einem Onkel, einem Nagelschmied, ist die Lehre. Ein Felsblock, der ihm die Hand zerquetschte, endigte diese für ihn traurige Lehrzeit. Er kehrte heim, wurde geheilt, und nun ergab er sich der „Schnitzelkunst“ mit Passion. Im September 1870 kam er bei dem Holzbildhauer Gschiel in Graz in die Lehre. Zeichnen, komponiren, modelliren, schnitzeln war seine Tagesarbeit; er fand rasch den Beifall hochherziger Kunstfreunde, auch ein Stipendium des Kaisers wurde ihm zu Theil. Jedes Jahr brachte dem Jünger der Akademie einen ersten Preis. Seine Statuetten und Skulpturen fanden lohnende Abnahme. Viele seiner von idealem Geist durchdrungenen Arbeiten finden sich heute schon in den Wiener Salons. Die „Waldlilie“ im Grazer Stadtpark bezeugt besonders das schöne und reiche Talent des jungen Meisters, der sich im Herbste dieses Jahres mit einem Staatsstipendium nach Rom begeben wird, um seine Studien zu künstlerischer Vollendung zu führen.
Ernst Keiter.     






Anekdoten von Theodor Döring. Die ehrwürdige Veteranin unter unseren Romanschriftstellerinnen, Fanny Lewald, hat unter dem Titel „Zwölf Bilder nach dem Leben“ (Berlin, Otto Janke) Erinnerungen herausgegeben, in denen sie uns mehrere Berühmtheiten vorführt, mit welchen sie in nähere Berührung gekommen. Alle diese Porträts sind mit pietätvoller Hingebung gezeichnet; die Johanna Kinkel, die Schröder-Devrient, Liszt, Heine, Fürst Pückler, die weniger bekannte Hortense Cornü, eine Jugendfreundin Louis Napoleons, die sich aber nach dem Staatsstreiche auf das entschiedenste von ihm lossagte, Gustav Richter, der menschenfreundliche Arzt Wilms und einige andere namhafte Zeitgenossen lösen sich in bunter Folge ab. Jede schärfere kritische Beleuchtung ist in diesem der Erinnerung geweihten Freundschaftsalbum ausgeschlossen: eine milde Unparteilichkeit wahrt der Eigenart jeder Persönlichkeit ihr volles Recht.

Warm empfunden ist besonders der Nachruf, der dem liebenswürdigen Künstler Theodor Döring geweiht ist, dessen Herzensgüte Fanny Lewald nicht genug rühmen kann. Auch sei er ein geborener Schauspieler gewesen, der die Gestalten der Dichtung wie das Wesen der lebenden Menschen mit blitzschnellem Erkennen erfaßt habe, und das Erkennen hieß für ihn, sofort lebendig machen, gestalten, zur Erscheinung bringen; er mußte immer darstellen und spielen, er kopirte alle Persönlichkeiten sogleich mit frappanter Wahrheit. Seine Beobachtungskraft und seine Nachahmungsfähigkeit waren wunderbar. Ohne daß er ein Wort englisch sprechen konnte, vermachte er durch einen Mischmasch sinnloser Silben und den Tonfall, mit welchem er sie an einander reihte, das Ohr so vollständig zu täuschen, daß man meinen konnte, englisch sprechen zu hören.

Einmal war ein kleiner sächsisch sprechender Mensch, der sich für einen Schneider aus der Theatergarderobe ausgegeben, zu Döring gekommen, ihn um ein Almosen anzusprechen, da seine Frau in der Nacht von Zwillingen entbunden worden sei. Dörings stets offene Hand hatte ihm sofort 2 Thaler gegeben. Als er sich aber am folgenden Tage bei dem Garderobier nach dem Schneider erkundigte, stellte es sich heraus, daß ein solcher kleiner Sachse gar nicht existirte und daß er betrogen worden sei. Alle lachten, man bedauerte die unnütze Gabe.

„Was ist denn da zu lachen?“ rief Döring, „und wie könnt Ihr von unnützer Gabe sprechen? Der Mensch war ein großer Künstler. Stellt Euch vor,“ sagte er und begann nun die ganze Scene zu spielen, „wie ich dem Kerl die zwei Thaler gegeben habe, faltete er seine beiden Hände, hob sie an seinen Mund, küßte sie und wirft mir die Hände mit dem Kuß entgegen, statt mir die Hand zu küssen.“ Dabei machte er sofort die Bewegung nach. „Ich sage Euch,“ fuhr er dann fort, „es war ein Meisterzug! Zehn Thaler war er mir werth, nicht bloß die lumpigen zwei.“

Saß man einmal bei einer vorzugsweise gewählten Mahlzeit an seinem Tische, so liebte er es zu erzählen, wie er in der Zeit seiner Anfänge zwischen den kleinen herumziehenden Truppen in Bromberg, Thorn etc. seinen Weg gemacht, wie er einmal zur Winterszeit im Sommerrock und in leichtester Bekleidung sich einer Prinzipalin vorgestellt und, um ihr zu beweisen, daß er nicht völlig auf dem Trocknen sei, einen großen Rohrstock mit goldenem Knopfe immer vor ihren Augen habe spielen lassen. Und dann sich umwendend und auf seine mit vortrefflichen Kupferstichen, die eine seiner Liebhabereien waren, gezierten Wände blickend, setzte er mit zufriedenem Lächeln hinzu: „Ja, ja, ich habe nicht immer so gewohnt, nicht immer Hasen gegessen und Champagner getrunken! Aber mein Champagner ist gut, und wie ich in meinem Hause und dem Publikum auf der Bühne das Beste biete, so halte ich darauf, daß auch mir das Beste geboten werde.“

Einmal sagte die Crelinger, die eine excellente Hausfrau war: „Essen Sie morgen bei mir, Döring, ganz ohne Umstände!“

„Nein“ entgegnete er ihr, „machen Sie Umstände, liebe Crelinger; ich bin das so gewöhnt!“
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Nach der Taufe. (Mit Illustration S. 369.) Wir stehen vor der Kirche eines Dorfes im bayrischen Hochland nahe der Tiroler Grenze. Dort ist ja die malerische Tracht daheim, die uns der Künstler auf diesem Bilde vorführt. Wie hübsch kleidet nicht diese „Berglerinnen“ der grüne kleine Spitzhut, der ihnen so keck auf den üppigen Haarflechten sitzt, dazu das knappe Mieder mit silbernen Kettchen verschnürt, die werthvolle Halskette und das seidene Brusttuch; und die Reckengestalt des stämmigen Bauern, wird sie nicht durch die einfache Lodenjoppe und die kurzen Kniehosen äußerst vorteilhaft hervorgehoben?

So kommt die kleine Gesellschaft aus dem Kirchhof hervor, an dessen Eingang ein altes Madonnenbild von dem verwitterten Pfeiler herabschaut. Das neugeborene Kind, das die junge Pathin, die „Godel“, auf den Armen trägt, ist soeben da drinnen in der Kirche getauft worden. Sicherlich erhielt es den Namen seines Vaters oder Großvaters, wenn es nicht etwa dem angestammten Regentenhaus zu Ehren Max oder Ludwig heißen mußte; denn wir werden kaum irren, daß es ein „Bub“ sei. Dafür spricht ja die helle Freude, die dem Vater aus dem wetterharten Gesicht strahlt, indem er auf seinen Sprößling herabschaut und sich behaglich wieder das Pfeifchen stopft, das er nur ungern in der Kirche ausgehen ließ. Und wie er dabei auf die „Godel“ hineinredet, die, durchdrungen von ihrer heutigen Wichtigkeit, im Festtagsgewand neben ihm herschreitet und voll zärtlicher Sorgfalt die Blicke auf ihr „Godelkind“ niedersenkt! Hinter ihr folgen zwei junge Mädchen, die wahrscheinlich zur Verwandtschaft gehören. Ohne Zweifel haben auch sie mit einander gar wichtige Dinge zu reden, vielleicht von Brautstand und Hochzeit; aber während die eine munter zu plaudern scheint, steht die andere in Sinnen versunken und steckt sich tändelnd ein Blümlein hinter die Hutschnur. Was sie wohl bei sich denken mag?

Ganz zuletzt in diesem kleinen Zuge sehen wir noch ein altes Weib nachhumpeln; es hat nothwendigerweise auch bei der Taufe sein müssen; [372] denn wie könnte es sonst im Dorfe davon erzählen! So eine Kindstaufe ist ja immer ein Ereigniß! Darum mustert auch der frische Hirtenjunge, der im Vordergrunde auf einem Stein sitzt, die Gruppe so aufmerksam, und selbst der kluge Hund zu seinen Füßen hebt vorwitzig den zottigen Kopf in die Höhe.

Ueber der ganzen Scene, welche mit künstlerischem Blick dem Leben der Bergler abgelauscht ist, liegt die feierliche Ruhe eines klaren lichten Sommermorgens ausgebreitet. Hinter der alten Friedhofmauer schaut vom grünen Baumschlag halb versteckt das schlichte Kirchlein mit seinem Spitzthurm hervor; in der Ferne ragen, umflort von feuchtem Duft, die Berge des Hochlands, und darüber lacht der sonnige blaue Himmel. Möge er dem kleinen Erdenbürger eine sonnige Zukunft prophezeien!
J. C. Maurer.



Nothhilfskästchen im Hause. Die von Professor Dr. Friedrich Esmarch ins Leben gerufene Samariterbewegung hat bereits die erfreulichsten Früchte getragen und verdient auch fernerhin die wärmste Unterstützung. Die Wohlthaten der Samariterschulen, welche ihre freiwilligen Zöglinge in der ersten Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen unterrichten, kommen jedoch in erster Linie den größeren Städten zu gute; auf dem Lande bricht sich die Bewegung naturgemäß langsamer Bahn. Und doch ist gerade auf dem Lande der Arzt bei plötzlichen Unglücksfällen schwerer zu erreichen. Die deutschen Samariter haben diesem Umstand wohl Rechnung getragen und eine Reihe trefflicher Unterrichtsmittel herstellen lassen, welche den Laien auch ohne persönlichen Unterricht von seiten eines Arztes über das Nothwendigste bei der Leistung der ersten Hilfe belehren; aber auch andererseits sind Hilfsmittel zusammengestellt worden, welche Beachtung und Verbreitung verdienen. Zu diesen zählen die Nothhilfs- oder Verbandkästen von Franz Meusel in Chemnitz. Dieselben enthalten das für den Samariter nöthige Verbandzeug und werden in verschiedenen Größen hergestellt, um verschiedenen Bedürfnissen zu entsprechen. Es giebt große Kästen, für Werkstätten und Fabriken bestimmt, vor allem aber auch kleinere, welche gerade in dem gewöhnlichen Haushalte am Platze sind. Mit ihrer Hilfe läßt sich bei Verwundungen, Blutungen, Verbrennungen etc. ein richtiger Nothverband anlegen, die erste Hilfe bis zur Ankunft des Arztes ermöglichen. Die „Anleitung“, welche den Kästchen beigegeben ist, zeichnet sich durch Kürze aus; denn im Augenblick der Gefahr giebt es keine Zeit zum „Studiren“, man muß rasch nach der gegebenen Anweisung handeln. Unter der Voraussetzung, daß die Nothhilfskästen nur in wirklicher Noth, wenn der Arzt nicht zur Stelle ist, benutzt werden, kann man sie für jedes Haus empfehlen; denn sie sind im gegebenen Fall viel nützlicher als manche der sogenannten Hausapotheken mit ihren Pulvern, Essenzen und fragwürdigen Kräutern. Wer sich aber einen Verbandkasten anschafft, der sollte auch nicht unterlassen, sich im allgemeinen über die Grundzüge der Behandlung von Verletzungen zu unterrichten. Die nöthige Auskunft darüber findet man im zweiten Bande des weitverbreiteten „Buches vom gesunden und kranken Menschen“ von Dr. Bock (Leipzig, Ernst Keils Nachf.) oder in dem Esmarchschen Leitfaden für Samariterschulen „Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen“ (Leipzig, F. C. W. Vogel).
*     





Ein geprüfter Ehemann. In Washington machte eine siebzigjährige Dame in den Zeitungen bekannt, daß sie einen Lebensgefährten suche mit der ausdrücklichen Bedingung, derselbe müsse ein ausgezeichneter Whistspieler sein. Darauf hin stellte sich ihr ein Heirathskandidat vor, welcher in Bezug auf seine Leistungen im Whistspiel sorgfältig geprüft wurde und diese Prüfung glänzend bestand. Die Ehe wurde also abgeschlossen mit folgenden Bedingungen: der Mann hat die einzige Verpflichtung seiner Gattin gegenüber, an jedem Abend jahraus, jahrein Whist mit ihr en deux zu spielen, wofür sie ihm die Zinsen ihres 100 000 Dollars betragenden Vermögens zur Verfügung stellt und nach ihrem Tode ihm das ganze Kapital vermacht. Jedenfalls ist diesem Ehemann nicht die Rolle eines bloßen Strohmanns zugefallen.
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Skat-Aufgabe Nr. 7.
Von K. Buhle.

Die Mittelhand hat auf folgende Karten:

(tr. B.)
(p. B.)
(c. B.)
(tr. K.)
(p. As)
(p. K.)
(c. K.)
(c. D.)
(car. K.)
(car. D.)

tournirt und zwar: Drückt nun der Spieler r.K. r.O. , so wird er Schneider, obwohl die übrigen Trümpfe zu 2 und 3 vertheilt sind; drückt er dagegen s.K. s.O. (car. K. u. car. D.), so gewinnt er und die Gegner erhalten höchstens 46 Augen.
Wie sitzen und fallen die Karten?



Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 6 auf S. 308:

Der Spieler drückt cD, cZ (+21) und wird bei folgender Kartenvertheilung:

Vorhand: gW, rW, eK, eO, e9, g9, g8, rK, rO, sZ.
Hinterhand: eW, sW, e8, e/, gK, gO, r9, r8, sK, sO.

mit Schneider gewinnen und 101 Augen hereinbekommen, denn es folgt:

1. rK, rD, r8 (+15)   3. sD, sO. sZ. (+24)
2. gD, gO (+14) 4. gZ, gK, g9 (+14)
5. rZ, r9, rO (+13.)

Dasselbe Resultat wird erreicht, wenn die Vorhand irgend ein anderes Blatt anzieht. Dagegen würde der Spieler nicht nur verlieren, sondern sogar schwarz werden, wenn die Gegner rK, rO, mit sK, sO gegen einander vertauschen dürften, bei folhgender Spielführung:

1. sK, sD, e8   5. g9, gD, e7
2. rK, eK, r7 6. rO, eO, rZ
3. sZ, s7, gK 7. g8, gZ, eW
4. sO, s8, gO u. s. w.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)



H. L. in C. Die Freischießen entstanden aus dem Bestreben der Stadtobrigkeiten, die Wehrbereitschaft der Bürger zu heben, die in dem Bewußtsein, daß die Selbstständigkeit ihrer Vaterstadt einzig in der Kraft der Bürgerschaft beruht, mit Freude und Stolz an den kriegerischen Uebungen theilnahmen. Der Name Freischießen dürfte daher rühren, daß zur Aufmunterung den besten Schützen gewisse Freiheiten: Freibrauen, Freiheit in Zoll und Abgaben, auch Freiwiesen und Aecker frei abzuernten verliehen wurden. In früheren Zeiten fanden die Freischießen jedoch mindestens ebenso oft in anderen Monaten des Sommers als im Juni statt und es ist durchaus keine Bevorzugung gerade dieses Monats bemerkbar. Wenn dieselbe in der Gegenwart, wie Sie schreiben, hervortreten sollte, so läßt sich dies wohl nur dadurch erklären, daß die Zeit der Sommersonnenwende seit urdenklichen Zeiten festlich begangen wurde, aus welchem Grunde auch die christliche Kirche die Festtage Johannis des Täufers und Peter und Paul in dieselbe verlegte, denen sich noch Mariä Heimsuchung (2. Juli) anschließt. Nur diese heute noch anhaltende Festesstimmung dürfte die Bevorzugung des 29. Juni veranlaßt haben. Umfassende Werke über die Geschichte des Schützenwesens und der Schießen gibt es nicht, dagegen eine große Reihe von Geschichten einzelner Schützengesellschaften und hervorragender Schießen, so z. B. der Städte Danzig, Straßburg, Thorn, Wien, Worms etc. Da die meißten dieser Monographien aber nicht von Historikern, sondern von Schützenbrüdern abgefaßt wurden, so entsprechen sie, so dankenswerth diese Arbeiten auch sind, größtentheils doch nicht den Anforderungen, welche man heutzutage an historische Werke zu stellen gewohnt ist.

Karl H. in Bremen. Ueber den Einfluß des Mondlichtes auf den Schlaf ist in früheren Zeiten viel behauptet und noch mehr gefabelt worden. Die Wissenschaft vermag einen spezifischen Einfluß des Mondlichtes auf den Menschen nicht nachzuweisen.

O. S. in Wiesbaden. Wozu „steigern“ Sie sich einen Apparat, mit dem Sie nichts anzufangen wissen? Wenden Sie sich an einen Mechaniker mit der Bitte um Auskunft.

N. W. J. Wir danken Ihnen für Ihre freundliche Zuschrift. Hoffentlich wird sich uns bald Gelegenheit bieten, Ihren Wunsch zu erfüllen.

P. H. in Remscheid. Wir empfehlen Ihnen die Zeitschrift „Die gefiederte Welt“.




In unserem Verlage ist soeben erschienen und durch beinahe alle Buchhandlungen zu beziehen:
Kaiser Wilhelm I.
Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk.
Von Ernst Scherenberg.
Elegant in Leinwand gebunden (15 Bogen gr. Oktav) Preis 1 Mark.

Inhalt: I. Glückliche Kinderzeit (1797–1806). II. Frühe Leidensjahre (1806–1810). III. Die Tage der Vorbereitung und Erhebung (1810–1813). IV. Während der Befreiungskriege (1818–1815). V. Mannesjahre des Prinzen Wilhelm (1815–1840). VI. Prinz von Preußen (1840–1858). VII. Prinzregent (1858–1860). VIII. König von Preußen (1861–1871), IX. Oberhaupt des Norddeutschen Bundes (1867–1870). X. Deutscher Bundesfeldherr (1870–1871). XI. Deutscher Kaiser (1871–1888). XII. Kaiser Wilhelms Tod (9. März 1888).

Vorräthig in den meisten Buchhandlungen. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, wende man sich unter Beifügung des Betrags in Briefmarken direkt an die


Verlagshandlung von Ernst Keils Nachfolger in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Prinzeß Margarethe, vgl. Kleiner Briefkasten (Die Gartenlaube 1888)#Heft 27