Die Madonna des heiligen Sixtus (Gemälde der Dresdener Gallerie)

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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Madonna des heiligen Sixtus
Untertitel: Von Raphael Sanzio von Urbino
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848−1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Die Madonna des heiligen Sixtus.

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Die Madonna des heiligen Sixtus.
Von Raphael Sanzio von Urbino.

Von einem Stralenmeer umflossen, mit tausenden von Engeln im Gefolge, schwebt die Himmelskönigin, mit dem Sohn des Weltenvaters in den Armen, aus den hehren Räumen der seligen Geister hernieder zu den anbetenden Heiligen. Der Papst Sanct Sixtus kniet, von Wolken getragen, zu ihrer Rechten, und in stummer Anbetung fleht er den Segen der göttlichen Jungfrau und des Heilandes der Menschheit herab auf die armen Gläubigen der Erde, indeß Sancta Barbara ihm gegenüber mit seligem Lächeln dem harrenden Volke die Erhörung des Gebetes des herrlichen Greises verkündigt. Das Gemälde zeigt an beiden Seiten einen zurückgeschlagenen grünseidnen Vorhang, unten steht die dreifache Krone des Hirten der Christenheit und zwei geflügelte Engelknaben, nur zum Theil sichtbar, stützen sich auf die Brustlehne und blicken vertrauensvoll und entzückt zu der überirdischen Scene oben empor.

Die beredteste Sprache erschöpft nicht den bis in die Tiefen der Seele dringenden Eindruck dieser Offenbarung des begeisterten Genies auf den Beschauer. Diese sixtinische Madonna Raphael’s, mit der vollendetsten Schönheit geschmückt, in hehrem Liebreiz strahlend, ist ein überirdisches Wesen, dem nur die Anbetung nahen darf. Unendliche Liebe und Gnade thront auf ihrem Antlitze, aber die Hoheit in ihren Zügen verkündigt, daß das Wehen dieser Liebe aus dem ewigen Genügen göttlicher Vollkommenheit quillt. Der Blick ist rein, klar, leuchtend; die Erde fesselt ihn nicht; er ist groß und ruhig in den unendlichen Raum gerichtet, und der Beschauer vermag es nicht, nur einen Stral dieser geradeaus ihm entgegenblickenden Augen als ihn treffend aufzufangen. Der „Menschensohn“ in den Armen der Himmelskönigin blickt seitwärts. Die göttliche Weisheit, welche die Welt erleuchtete, blitzt aus seinen kindlichen Zügen, die von dem Lächeln „menschlicher“ Liebe sanft verklärt erscheinen. Mit dieser sixtinischen Madonna in ihrer Apotheose verglichen, sind die Madonnen aller anderen Maler nur Erdentöchter, und Raphael selbst hat diese höchste Auffassung in seinen übrigen Madonnen nicht erreicht. Das Gemälde war ursprünglich für eine der bekannten Processionsfahnen der katholischen Kirche bestimmt und scheint, ungeachtet seiner unübertroffenen Ausführung, rasch zur Vollendung gediehen zu sein. Die beiden Engel unten sind später auf die Wolkenschicht gemalt, um den zu großen leeren Raum auszufüllen.

Raphael, der größte Maler der neueren Zeit, welcher, gleich dem unsterblichen William Shakespear, die tiefsten, erhabensten Geheimnisse der Menschenbrust enthüllt, und mit einer [334] wunderbaren Universalität in der Darstellung jedes Stoffes, den er erfaßte, unvergleichlich groß war, Raphael ward als der Sohn des Malers Giovanni di Santi am stillen Freitage, den zweiundzwanzigsten März 1483 zu Urbino geboren. Als der Knabe anfing, seine beispiellose Begabung für die Kunst zu entfalten, wagte sein Vater es nicht mehr, ihn weiter zu bilden, sondern übergab Raphael dem Pietro Perugino, den er sehr bald täuschend nachahmen, aber auch nicht weniger rasch weit übertreffen lernte. Fortan waren seine eifrigen Studien nach der Antike, nach des herrlichen Leonardo da Vinci’s und Michelangelo’s Werken seine Führer auf dem glänzenden Pfade zur Unsterblichkeit, die er durch die Schöpfung seiner ungemein zahlreichen Werke sich erringen sollte. Bedenkt man, daß der „göttliche Meister“ schon im siebenunddreißigsten Jahre seines Lebens von der Erde abberufen wurde, so kann man einen Schluß auf die Leichtigkeit und Schnelligkeit machen, womit Raphael entwarf und malte, zumal da er nie der Industrie des Meisters Rubens huldigte, Bilder durch seine zahlreichen Schüler ausführen zu lassen, um sie als seine eigenen Werke zu verkaufen.

Ganze Bände würden nothwendig werden, sollten auch nur die Hauptwerke Raphael’s beschrieben und erklärt werden. Hier können nur einige Andeutungen des bewundernswerthen Fleißes und des unerschöpflich fruchtbaren Genies Raphaels Raum finden. Die erste selbständige Arbeit Raphael’s ward von ihm in Citta di Castello, in der Kirche zu San Domenico vollendet: ein Christus am Kreuze, mit welchem Gegenstande er sich, characteristisch genug, nur mit Mühe befreunden konnte. Während Michel Angelo Buonaroti den von Qualen zermarterten Heiland am Kreuze als sein „hohes Ideal“ betrachtete, und durch das unsäglichste Studium die Bewegung und Form jeder Muskel des Sterbenden am Kreuze zu ergründen strebte, hat Raphael diese blutige, grausame Scene später nicht wieder mit Vorliebe zu behandeln vermocht. Gleich vom Anfang seiner glorreichen Laufbahn an trat das Ideale von Raphael’s Genie in helles Licht, und eine heilige Familie, wo der kleine Christus den Täufer Johannes begrüßt, den die heilige Elisabeth führt, zeigt schon den herrlichen Ton seiner späteren Gemälde sammt der wundervollen Zartheit und Größe der Auffassung, die ihm von Natur eigen war. Ebenfalls aus seiner ersten Periode sind zwei Madonnen und Christus mit den Aposteln am Oelberg, für den herzoglichen Palast zu Urbino, Stücke, welche wegen der ungemein fleißigen Ausführung sowohl als wegen ihres edlen Charakters große Bewunderung erregten.

Während Pietro Perugino begann, die Manier des Masaccio im Malen anzunehmen, schwang sich Raphael, anstatt niederwärts zu blicken, gleich einem Adler kühn zur Sonnenhöhe der Kunst empor. In der Kapelle zu San Francesco zu Perugia bewies Raphael in seiner Grablegung Christi, wie mächtig er bereits den charakteristischen Ausdruck seiner Figuren hervorzubringen wußte. Von dieser Zeit an folgte er seinem eigenen Genius, und als er nach Rom gekommen war, begannen seine geistreichen Studien nach der Antike, wobei der Meister einen Fleiß entfaltete, dem nur derjenige seines mächtigen Nebenbuhlers Michel Angelo gleichkommt. Leonardo da Vinci’s und Michel Angelo’s Werke machten auf den jugendlichen Künstler einen tiefen Eindruck, aber schon seine erste Arbeit in Rom bewies, daß er sich vor den Schöpfungen dieser großen Genies groß gefühlt hatte; denn die ideale und formenschöne Wahrheit Leonardo’s und die dämonische Kraft Michel Angelo’s ward von dem universalen Geiste Raphaels, durch seine eigene Auffassung verklärt, gleichsam vereinigt zur Anschauung gebracht.

[335] Papst Julius, durch den Verwandten Raphaels, den Architekten Bramante, bewogen, berief den schon berühmten Künstler zu seinen ewig unvergänglichen Schöpfungen im Vatican. Die Loggia, „la Segnatura“ genannt, ward von Raphael gemalt; die Theologie, Philosophie, Astronomie und Poesie ward in der wunderschönen Composition zur Darstellung gebracht. Die Menge der Figuren und schönen Stellungen sind stets Gegenstände der Bewunderung gewesen und die vortrefflichen Köpfe dienten von jeher als Studien und Muster für die Maler. Auf diesem Gemälde hat Raphael sein eigenes jugendliches Bildniß und den ausdrucksvollen Kopf des jungen Herzogs von Mantua verewigt. Nach Vollendung dieses Werks ward die Malerei der drei übrigen Zimmerseiten bis auf wenige Verzierungen von Antonio Vercelli abgerissen, damit der neue Meister Raum für neue Werke gewinnen möge. Auf der anderen Zimmerseite malte er den Streit der Kirchenlehrer über das Abendmahl, auf der dritten den Parnaß und die letzte ward mit dem Bilde der Mäßigkeit, Stärke, der Klugheit und der Gerechtigkeit geziert. Letztere stellt der Kaiser Justinianus dar. Die vier Rundungen der Gewölbe enthalten die geistreichsten Allegorien. Während einer kurzen Rast von diesen Arbeiten malte Raphael das Bildniß des Pabstes und eine heilige Familie, welche zu St. Maria del Popolo aufgestellt und ihres hohen Werthes so wie ihrer Schönheit wegen nur an hohen Festtagen entschleiert wurden.

Dies war die erste Periode von Raphaels Thätigkeit; seine Werke sind bis hierher geistreich, von den gefälligsten Formen, und tragen fast alle den Ausdruck der sanften, schönen Ruhe. Es weht aus ihnen das Genügen des Genies, welches in sich vollkommene Harmonie seiner Kräfte fühlt. Ein sehr bemerkenswerther Umstand diente dazu, diesen Styl Raphaels zur vollen kräftigen, weihevollen Größe zu erheben.

Michel Angelo, der Gewaltige, malte im Vatican; Niemand aber von den Malern konnte sich rühmen, die entstehenden Schöpfungen dieses Titanen gesehen zu haben. Buonaroti aber verließ Rom für einige Zeit und ein Freund Raphaels verschaffte ihm die Gelegenheit, die Wunder seines Nebenbuhlers anzuschauen. Seit diesem Augenblick verschwand das blos Weiche aus Raphaels Werken, um sich graziös mit edler Kraft zu vermählen. In dem großartigen Esaias in der Kirche zu St. Agostino, welchen Raphael unmittelbar darauf vollendete, zeigte sich indeß unwiderleglich, daß ein Raphael nie zum Nachahmer werden könne, denn seine ganzen großen Vorzüge waren dieselben geblieben und hatten sich nur ihren eigenen Gesetzen gemäß zum großen, kraftvollen Styl erhoben. Dann folgte eine seiner bekanntesten Arbeiten von entzückender Composition und einer klassischen Heiterkeit des Ausdruckes: die von Delphinen auf dem Meer gezogene Venus Anadyomene, bekannt unter der nicht treffenden Bezeichnung „die Galathea“ im Palast Farnese.

Eine durch die Neuheit ihrer Composition auffallende Arbeit war das hohe Altarblatt, mit Maria und Christus in den Wolken, während unten Johannes der Täufer, der heilige Franciscus von Assissi und Sanct Hieronymus adoriren. Dann ward die zweite Loggia vollendet; die Transsubstantiation, die Befreiung des Petrus, die Tempelentweihung durch Heliodorus und Attila’s Abwehr von Rom durch Sanct Leo, letzteres zu Ehren des Papstes Leo X. gemalt. Weiter folgte der Brand Roms, durch Leo’s IV. Benediction gelöscht, eine herrliche, reiche Composition und im Palast Chigi (Farnese) alla Lungara, die Hochzeit der Psyche, ein unübertroffenes [336] Werk. Unzählige Gemälde in Oel waren die Frucht der glänzenden Productionskraft des jungen Meisters, herrliche Cartons zu Tapeten, die jetzt in Hamptoncourt bewundert werden, bezeugen nebst vielen Zeichnungen die unendliche Begabung des Meisters, der in allen Fächern seiner Kunst ausgezeichnet zu sein verstand.

Der Liebling des Kirchenfürsten, der Stolz Roms und die Freude der ganzen Welt liegt im früheren Pantheon, jetzt die Kirche von Santa Maria’s Rotunda, in Rom begraben.