Die Nekropolis der spanischen Könige

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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Die Nekropolis der spanischen Könige
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 837, 838–840
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Escorial.
Nach dem Gemälde von Ernst Koerner.

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Die Nekropolis der spanischen Könige.

Von Schmidt-Weißenfels.

Seit einem halben Jahrhundert wurde kein Sarg über die Schwelle der unterirdischen Gruft getragen, in welcher die Herrscher Spaniens im ewigen Schlafe ruhen. Nun wird sich wiederum die Pforte des düsteren Grabgewölbes öffnen, um den jugendlichen Monarchen Alfons XII., der in der Blüthe seiner Jahre dahinsank, aufzunehmen. Die Hoffnungen, die sich für Spanien an seine Regierung knüpften, sind mit ihm geschwunden nur der Ruhm eines edlen Strebens überlebt ihn, nur die Sympathien, die weit über den Grenzen seines Vaterlandes für ihn gehegt wurden und denen auch wir seinerzeit Ausdruck gaben[1], lassen uns sein Schicksal betrauern und drängen uns zu einer Wanderung an seine letzte Ruhestätte.

*  *  *

Im 16. Jahrhundert war die „sehr edle, rechtliche und berühmte“ Stadt Madrid, wie sie in den spanischen Chroniken bezeichnet wird, noch eine kleine Festung auf einem Hügel am Manzanares. An Stelle des jetzigen prächtigen Königsschlosses am steilen Abhang dieses Hügels nach dem Flusse ragte der alte, plumpe Burgbau empor, gegen den noch die maurischen Heerscharen ihre Angriffe gerichtet. Statt der öden, wüstenartig kahlen Hochebene, die sich heute von da ringsnm den Blicken bietet, dehnte sich nach dem zackigen Walle des Guadarramagebirges hinauf wenigstens noch weiter, wilder Wald.

In dieser Waldwildniß hoch am Gebirge, zehn Stunden von Madrid, hatte Karl V. eine Stelle bezeichnet, wo er ein Kloster für seine letzten Tage und das Grab für sich und seine Nachkommen aus dem spanischen Throne haben wollte. Er war lebensmüde und sehnte sich, aller Herrlichkeit seiner Weltherrschaft satt, nach stiller, beschaulicher Abgeschiedenheit. Dort sollte sie ihm, wünschte er, werden und el Escorial, die Einöde, sollte die Endstation seines thaten- und lärmvollen Lebens hetzen. Im Jahre 1556 dankte er als König von Spanien und auch als Kaiser von Deutschland ab, und nachdem er seinem Sohn und Nachfolger Philipp II. den Bau der Klostergruft von Escorial ans Herz gelegt, zog er sich zunächst nach San Yuste in Estremadura zurück. Schon nach zwei Jahren starb er daselbst, erst 58 Jahre alt, eben, als man die Baustelle für den Escorial herrichtete.

Philipp hatte in dem ungemessenen Hochmuth und Ehrgeiz, die ihn beseelten, einen großartigen Bau beschlossen. Er sollte seine Residenz bilden, von wo er in unnahbarer Verborgenheit seine Länder regierte; wo er in einsamer, düsterer Majestät, menschenfeindlich und scheu, unsichtbar allen seinen Böllern, ihnen desto furchtbarer erschiene. Inmitten einer Todtenruhe sein Thron, das war ihm das Ideal seiner Herrschaft. Der finstere Tyrann mit dem Sinne eines fanatischen Mönchs hatte den Plan zu diesem Herrschersitze entworfen. Am 10. August 1557 hatten seine Truppen über die Franzosen bei St. Quentin gesiegt. Es war am Festtage des heiligen Laurentius gewesen. So gelobte er, diesem zu Ehren ein Kloster zu bauen, um so mehr, als die spanischen Kanonen eine diesem Heiligen in St. Quentin geweihte Kirche bombardirt hatten. Mit diesem Kloster beschloß er seine Residenz zu verbinden. Der Bau sollte Burg und Kirche, Kloster und Königsgruft werden und in kolossaler Massigkeit und unzerstörbarer Starrheit für Mit- und Nachwelt zum Ausdruck bringen, wie die habsburgisch-spanische Macht und Majestät sich auf dem Fels der Religion erhoben. Das Gebäude sollte seines Gleichen in der Christenheit nicht haben, nicht einmal in der Form. Philipp befahl, ihm die eines Rostes zu geben, weil der Sage nach der fromme Diakonus Laurentius auf einem solchen seinen Märtyrertod in Feuersgluth gefunden.

Jm Jahre 1563 begann der eigentliche Bau, und eifrig wurde er nun betrieben. Ungeheure Summen gab der König dafür her; von den eroberten Ländern in Amerika flossen ja noch die Goldmassen nach Spanien; freilich, um hier in maßloser Verschwendung schnell zu zerrinnen und dann wie eine erstarrende Lava im ganzen Lande nur Wüstenei, Armuth und Noth hervorzubringen. Je höher die Riesenmauern des Escorial sich aus dem Fundamente erhoben, desto lebhafter verfolgte Philipp die Arbeiten daran. Man zeigt noch einen Felsensitz auf dem Gebirge unter dem Schatten von Kastanien, eine Stunde ab vom Gebäude, von wo der König stundenlang auf dasselbe niederschaute. Er wohnte schon darin, ehe es noch im Rohen fertig war. Einundzwanzig Jahre brauchte man dazu; acht Millionen Dukaten waren hier in Granit und Marmor, Bronze und Holz verwandelt worden, und gerade als man die Arbeit für vorläufig beendigt hielt, schlug der Blitz in die Kuppel, schmolz die Glocken und Bleidächer und zerstörte einen Theil der Kirche. Es wurde als die Feuertaufe des Himmels gedeutet, gleichwie Laurentius im Feuer für seinen Glauben gezeugt.

Der Escorial ist ein mächtiges Rechteck, jede Seite 250 Schritte lang; 811 Meter im Umfang, mit 15 Thoren. Auf jeder Ecke erhebt sich ein [839] großer viereckiger Thurm mit spitzem Dache, und diese stellen die vier Füße des umgekehrten Rostes vor. Die Kirche und der königliche Palast bilden auf einer Seite den Griff; die inneren Gebäude, welche in 17 Abtheilungen die beiden längeren Seiten verbinden, sollen die Querstangen der Zarge sein. Davor liegen hier ein paar große Höfe zwischen den hohen Mauern, dort die Gärten.

Der Haupteingang führt unter einer imposanten Vorhalle in die Kirche; die Decke dieser Halle ist flach und ungemein ausgedehnt; man meint, sie müsse ohne Mittelstütze einstürzen. Als man nach ihrer Vollendung den König dahin geleitete, war er erstaunt, hier einen Pfeiler mitten darin zu finden. Er störe den Eindruck, schalt er. Sofort stieß der Baumeister Herrera, der nach Juan Batists von Toledo das Riesenwerk beendigt hatte, mit seinem Fuß den Pfeiler um, der nur als eine Täuschung hingestellt worden war und aus Pappe bestand. Jetzt bewunderte Philipp die frei schwebende Decke über den sechs riesigen dorischen Säulen aus Granit, an deren Sockeln die übergroßen Figuren angebracht sind, die Josaphat, Ezechiel, David, Salomon, Josua und Manasse bedeuten.

Ein hohes, schweres Eisengitter trennt die Halle von der Kirche, welche nach dem ursprünglichen Bramante’schen Plan der Peterskirche in Rom in Form eines griechischen Kreuzes mit einer Mittelkuppel gebaut ist. Die ungeheuren Verhältnisse machen einen feierlichen Eindruck; das Halbdunkel in den drei Flügeln stimmt schwermüthig. Die Fresken Luca Giordano’s an der Decke sind so hoch angebracht, daß man sie nicht betrachten kann. Alles in diesem Raum von fünfzig Metern im Geviert ist schwerfällig, starr, kalt und fröstelt Einen an. Vier Granitpfeiler, schmucklos viereckig, gewaltige Massen, von acht Meter Ausdehnung jede Seite, tragen die Kuppel, die allein hier Licht hinein wirft. Es ist nur ein trübes Licht, ein unheimlich bleiches, welches um diesen grauen Granit schimmert, über die großen grauen und weißen Marmorfelder des Fußbodens schleicht. Todtenstille dabei, durch welche das Flüstern der Besucher wie Geisterrufen hallt, und winzig klein die Menschen, die sich in dieser Riesenhalle bewegen, als sollten sie ihrer irdischen Nichtigkeit sich hier so recht bewußt werden.

Gegenüber dem Eingangsgitter ist der Hochaltar voller Schnitzwerk und Goldzier um das Mittelgemälde und Statuen an den Seiten. Rechts und links von ihm prangen hoch oben zwischen den Säulen der königlichen Oratorien zwei knieende Menschengruppen von Erz in funkelnder Goldhülle. Die eine stellt Karl V. mit der Kaiserin Isabella, seinen Schwestern und Töchtern dar; die andere Philipp II. mit drei seiner Frauen, deren er vier gehabt. Ueber dem Thor der Kirche erhebt sich der Chor mit zwei Reihen schwerer, einfacher Stühle, 124 zusammen, mit einem Betpult in der Mitte des Hintergrundes und zwei der größten Orgeln, die in Spanien existiren. In einer Ecke, ganz abseits, steht der Stuhl Philipp’s II. neben einer Thür, durch welche er wichtige Nachrichten und Briefe empfing, ohne daß die im Chor singenden Priester es bemerkten. Von hier aus konnte er den Kirchenraum mit seinen 24 Altären übersehen. Unweit davon ist ein weißes Marmorkreuz von der Hand Cellini’s. Auf Gestellen liegen die mächtigen, schweren Meßbücher, die den Text der Gesänge enthalten, Folianten von drei Fuß Höhe, deren Pergamentblätter mit großer und bunter Schrift bedeckt sind. Es existiren 218 solcher Bücher hier. Alles ist großartig, in gigantischen Verhältnissen; aber zwischen diesen Granitmassen, in dieser Grabesstille, mischt sich die Bewunderung mit Unbehagen und bedrückt das Gemüth. Es giebt nur eine Stelle in der Kirche, wo die Erkältung des Herzens aufhört und ein wärmerer Pulsschlag es wieder bewegt: in jener Nische nahe dem Hochaltar, wo der junge König, um den jetzt Spanien trauert, sein geliebtes Weib Mercedes in weiß marmornen Sarkophag gebettet hat. Auch hier Grab und Tod; aber sie haben nichts Düsteres. Zeichen der Liebe sind der in ihrer Jugendfülle hinweggerafften Königin geweiht; ein prächtiger Kranz der Königin Victoria von England hängt vor ihrer Gruft unter Glas und Rahmen. In schönem, verklärtem Andenken lebt sie noch fort.

In Verbindung mit der Kirche steht die Sakristei. Sie ist das Prächtigste derselben, ein langer, gewölbter Saal, dessen eine Wand mit feingeschnitzten Holzschränken bekleidet ist, welche die Masse der Meßgewänder und heiligen golddurchwirkten Ornate enthalten. Die andere Wand schmücken Gemälde von Ribera, Giordano, Zurbaran, Tintoretto und anderen bedeutenden Künstlern. Im Hintergrunde erhebt sich der berühmte Santa-Forma-Altar mit dem Wunderwerk von Coello’s Pinsel. Das Bild stellt in lebensgroßen Figuren die Procession dar, welche die Santa-Forma genannte Hostie in diese Sakristei brachte. Man meint, diese Personen leben und werden im Augenblick sich bewegen; dieser Prior, der mit dem Kelche kniet, werde aufstehen, dieser Mönch davon schreiten; der geistesschwache König Karl II., der an der Feierlichkeit theilnahm, das gesenkte Haupt aufrichten. Das Innere der Sakristei ist dabei in so täuschender Weise gemalt, als setze sie sich noch einmal in ihrer ganzen Länge fort. An Jubiläumstagen wird diese kostbare Leinwand aufgehoben und die dahinter befindliche Kapelle mit dem Bronzetempel und der herrlichen Monstranz gezeigt, die übersät ist von zehntausend in Strahlen geordneten Edelsteinen und die heilige Hostie enthält.

Kirche, Sakristei und alle die weitläufigen Nebenräume und Gänge, die dazu gehören, bilden nur ein kleines Mittelstück des grenzenlosen Baues. Er hat Platz für alles Mögliche außerdem. Da ist eine weithin laufende Bildergallerie mit Gemälden aller Schulen; da ist eine der prächtigsten Bibliotheken, deren Schränke mit den seltensten hebräischen, arabischen, lateinischen und griechischen Handschriften, mit den bewunderungswürdigsten Luxuseinbänden alter Folianten, mit fünfzigtausend Büchern der Wissenschaft gefüllt sind und deren Wände den Schmuck von Bildern und Allegorien tragen. Philipp II. gründete sie und schenkte selber ihr viertausend Schriften. Sein Portrait hängt in der Mitte der einen Saalwand in Lebensgröße, eine kleine, feine Gestalt mit einem bleichen Gesicht, aus dem es scheu und krankhaft, finster und brütend, hartsinnig und mißtrauisch blickt. Man steht nachsinnend davor. Man denkt an seinen Don Carlos, den er im Gefängniß sich zu Tode toben ließ; an seinen Henkergeneral Alba, der sich rühmte, 18000 Ketzer in den Niederlanden hingerichtet zu haben; an das Autodafe von Valladolid, dem er selber beiwohnte und wo er den um Gnade Bittenden abweisend antwortete: er trüge eigenhändig Holz herbei, um seinen Sohn zu verbrennen, wäre dieser ein Ketzer. – Diese Steine, diese Mauern, diese endlosen Gemächer des Escorial sprechen immerfort zu dem Besucher von ihm und von seinem Geist, und diese Sprache erregt Grauen.

Dann das Hieronymitenkloster mit seinen vier langen Gewölbehallen wie unterirdische Gänge, leer wie Alles, mit ein paar hundert Zellen, die einst von Mönchen belebt waren und in denen jetzt Todesschweigen wie überall herrscht. Die Schritte widerhallen auf dem Fußboden von Stein. Diese Klosterräume stoßen auf einen der vier Thürme, in dem eine pompöse Treppe mit Fresken an den Wänden und der Decke hinunter in die feuchten, kalten Höfe führt. Immer wieder dieses Großartige einer hochmüthigen Schöpfung, deren Berechtigung sich frohstimmend nicht geltend macht. Je mehr man in sie vordringt, desto mehr verwirren die labyrinthischen Wege durch Korridore, Säle, Gewölbe, Höfe die Uebersicht. Man durchschreitet die Gemächer des Schloßtheils, der ein Viertel des ganzen Escorial bildet. Die Könige haben hier manche Herbstzeit zugebracht und man sieht noch in verschiedenen Zimmern die schöne und reiche Ausstattung, die sie ihnen gegeben. Die Wände sind mit Malereien versehen, welche spanisches Volksleben in allerlei Aeußerungen behandeln: die Stierkämpfe, Tänze, Ferias, Feste, oder Schlachten aus der Araberzeit. Es sieht aus, als habe man die ermüdende Ausdehnung dieser Zimmer- und Säleflucht durch Bemalung der Wände erträglicher, freundlicher und anmuthender gestalten wollen.

Was am meisten Interesse in diesem Theil des Gebäudes erweckt, ist wieder der Raum, in dem Philipp II. gewohnt hat. Im unteren Geschoß liegt ein viereckiges Gemach von geringer Ausdehnung mit nur einem der 1110 Fenster, die der Escorial hat. Die Wände sind weiß, ohne jeglichen Schmuck; einige Holzsessel, die der König benutzt hat; ein Schemel, worauf er sein gichtkrankes Bein legte; ein alter Schreibtisch, ein Krucifix, ein Globus, ein Gebetbuch befinden sich darin, und ein Stück von dem Teppich, mit dem der Fußboden von rothem Ziegelstein belegt war. Es ist eine kahle, ärmliche Mönchszelle, und in ihr hat Philipp zumeist die letzten Jahre seines Lebens zugebracht, einsam, betend und brütend. Er hatte keinen Freund; er wollte und konnte keinen haben, da er in seiner Anmaßung nur gefürchtet zu sein verlangte.

Niemand war um ihn, durfte es sein; wenn Jemand die Erlaubniß erhielt ihm zu nahen, so mußte er auf den Knien zu ihm sprechen; er selber aber ließ nur abgerissene Worte aus seinem Munde fallen, aus denen man seine Befehle errathen mochte Hier zwischen diesen schlichten vier Wänden vertiefte er sich in den Wahn, der größte Monarch der Welt zu sein und bei seinen Völkern in blinder Unterwürfigkeit das freche Denken zum Stillstand gebracht zu haben, während er in ungeheure Schulden gerathen war, von seinen Feinden verachtet wurde und nach zweiundvierzigjähriger Regierung nichts als Fehlschläge und Niederlagen aufzuweisen hatte – ein elender, fluchwürdiger König, der sein Vaterland auf Jahrhunderte in finstere Nacht, in Armuth und Verwilderung gestoßen. Und bei dieser Zelle sind zwei dunkle Alkoven, in deren einem sein Bett stand. Von ihm aus konnte er auf den Hochaltar blicken, welcher dicht nebenan sich befand und wohin eine Thür führte, die beim Messelesen geöffnet wurde. Hier lag er an der Gicht darnieder, und in der furchtbaren Krankheit, die ihn mit unheilbaren Geschwüren voller Würmer heimsuchte; hier, in diesem finsteren Loch, brach endlich am 13. September 1598 das blöde Auge des Siebzigjährigen, der diesen Escorial als ein Wunderwerk der Welt für sich und sein Geschlecht erbaut hatte.

Unten, in den unterirdischen Gewölben ruhen sie Alle, die von diesem Geschlecht gelebt, und ebenso die Mitglieder der nachgefolgten bourbonischen Dynastie, der auch Alfons XII., der jüngst verstorbene König, entstammte. Eine lange Reihe von Kammern, in welche hell das Licht des Tages hineinfällt, birgt in den riesigen Mauern die Gebeine von Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen der zwei Königshäuser, die seit Karl V. auf dem spanischen Thron gesessen, und ihre weißmarmornen Sarkophage, zuweilen mit bildnerischem Schmuck versehen, stehen leer vor ihren Grüften. Eine Granittreppe führt in die Tiefe voller Finsterniß zu einer ehernen Pforte, über welcher in goldener Schrift spanisch zu lesen ist:

 „Allmächtiger, großer Gott!
Dieser Ort ist von der Frömmigkeit der österreichischen Dynastie bestimmt worden, die sterblichen Hüllen der katholischen Könige aufzunehmen, die den ersehnten Tag unter dem Hochaltar erwarten, welcher dem Erlöser der Menschheit geweiht wurde.

Karl V., der durchlauchtigste Kaiser, bezeichnete diesen Platz als letzte Ruhestätte für sich und sein Geschlecht; Philipp II., der weiseste der Könige, erwählte ihn; Philipp III., jener wahrhaft mildthätige Monarch, begann die Arbeiten; der durch seine Herzensgüte, Ausdauer und Gottseligkeit große Philipp IV. erweiterte, verschönerte und beendete das Werk im Jahre des Herrn 1654.“

Es ist das Pantheon, die Königsgruft im Escorial, die wie ein gigantisches Mausoleum nach Art der ägyptischen Pharaonenpyramiden erscheint. Sie befindet sich genau unter dem Hochaltar der Kirche und macht den Eindruck eines unterirdischen Tempels. Der achteckige Raum ist aus dunklem Marmor, in der Mitte der hinteren Wand ist ein Altar mit einer ewigen Lampe; kein Strahl des Lichts dringt sonst dahinein. Wen man dort hingeleitet, dem trägt man eine Fackel voran. Sie wirft ihren Schein auf die goldverzierte Decke, auf die Bronze und Reliefs an den glatten Wänden, auf die Särge von schwarzem Porphyr, die in niedrigen Nischen, vier Reihen über einander, sechs Seiten dieser feierlichen Halle füllen. An jedem dieser Särge steht auf goldener Platte der Name dessen, der darin ruht. Wie sie sich auf dem Thron in der Ordnung gefolgt sind, so sind sie nach einander von oben nach unten in jeder Nischenreihe gebettet. Sie liegen vom Eingang aus zur Linken, während zur Rechten sich die Särge mit denjenigen Königinnen befinden, die Mütter [840] von Thronerben gewesen sind. Zusammen sind hier 26 Särge wie in den Fächern eines mächtigen Schreines aufgestellt, aber rechts wie links giebt es noch einige, die ihres Inhalts warten. – Gewiß war es ein denkwürdiger Moment, als am 4. Dezember 1883 in dieser Gruft der junge König Alfons mit seinem Freunde Fritz von Hohenzollern, dem Kronprinzen des Deutschen Reiches und Preußens, stand. Umgeben von seinem Gefolge ließen sie lange schweigend ihre Blicke über diese Särge mit den Inschriften der spanischen Könige schweifen. Ihr Erbe würdigte es wohl, welche traurige Bedeutung die meisten seiner dort ruhenden Vorfahren für Spanien gehabt und daß ihm die schwierige Aufgabe zugefallen, ihre Sünden wieder gut zu machen. Und wie hätte der deutsche Fürstensohn nicht daran denken sollen, daß einst der Ahnherr dieser Todten, Karl V., auch über Deutschland als dessen Kaiser geherrscht, und daß dieses das Glück seiner Zukunft von ihm, dem Erben der neuen Kaiserwürde, erwarte?

Die Steine sprechen, und die Gräber reden.

Aber was in diesem Escorial spricht und redet, ruft Beklemmung und Unruhe hervor. Ein berühmter Reisender sagte einmal: Wer je einen Tag im Escorial zugebracht hat, muß sich allein bei dem Gedanken, daß er noch zwischen jenen Mauern sein könnte, es aber nicht mehr ist, für das ganze Leben glücklich fühlen. Es ist ein furchtbarer Bau, wie ein Gefängniß für den Geist. Nutzlos steht er da in seiner Massigkeit, welche für die Ewigkeit bestimmt war. Der Blitz hat ihn schon sechs- oder siebenmal als Beute gepackt, Wenn er an der kahlen Gebirgslehne und über die Wüste davor gierig umherzüngelte; immer wieder hat man neu gemacht, was er in Schlag und Flammen zerstörte. Der Könnig Amadeo hat seine Millionen dafür hingegeben; der König Alfons mußte dem Blitz auch seinen Tribut entrichten. Für die Spanier ist der Escorial einmal ein Nationalheiligthum; sie sind stolz auf dieses Werk, das sie das achte Wunder der Welt getauft haben und das ihnen ein König hinterlassen hat, den sie groß nennen, weil er in seiner Zeit dem fanatischen und stolzen Geist des spanischen Volkes einen imposanten Ausdruck verlieh. In seiner Einsamkeit ist der Escorial ein Denkmal dafür.

Gruft Karl’s V. im Escorial.

Die kleine Stadt, die sich im Laufe der Zeit zu seinen Füßen aufgebaut und nach ihm den Namen hat, ist ohne Leben und eine stille Eisenbahnstation. Sie fristet ihr Dasein durch die Versorgung, deren die Besucher des Klosters bedürfen, und durch die Beamten, Geistlichen und Schüler, die dort leben. Denn König Alfons XII. hat dort aus Dankbarkeit für die Erziehung, die er im Wiener Theresianum während der Jahre des Exils seiner Dynastie genossen, eine Anstalt ähnlicher Art auf seine Kosten gegründet. Ihre Zöglinge werden Karabiniers, die Zollwächter Spaniens, Leute, auf deren Treue und Rechtlichkeit man sich besonders will verlassen können. Der Escorial hat einige Lehrsäle für sie hergegeben, während sie in einem besonderen Hause dabei ihre Wohnung haben. Auch von der Gärtnerei für das öde Klosterschloß leben die Bewohner des Orts. Die Gärten desselben sind sehr einfach und durch ihren vornehmen Charakter in Uebereinstimmung mit dem Gebäude. Die umhegten Vierecke stellen in der feinen Zeichnung ihrer Buchsanlagen königliche Wappen vor und gleichenn bestickten Sammtteppichen, auf weißen Sand gelegt. Springbrunnen stehen mitten zwischenn ihnen. Sonst keine Bäume, keine Blumen, keine Lauben darin. Aber wenn man sie nach der stundenlangen Wanderung durch das Labyrinth des Grannitkolosses betritt, begrüßt man sie, wie der Gefangene nach langer Kerkernacht die Freiheit. Gottes Sonne scheint doch vom reinen Himmelsblau hernieder, und ist es auch nichts als kahle Wüstenei, was der Blick weithin über die kastilische Hochebene umfaßt, so fliegt er doch in die Ferne, um sich zu sättigen in seinem Heißhunger nach Licht und Leben, und über die schneebedeckten Höhen des Guadarramagebirgs, um an der träumerischen Einsamkeit der Natur sich zu erquicken.



  1. Vergl. den Artikels „Der Gastgeber unseres Kronprinzen und sein Heim“ (Jahrg. 1883, S. 779), in dem eine ausführliche Biographie des verstorbenen Königs gegeben wird.