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Die Pogge-Wißmann’sche Expedition quer durch Südafrika

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Titel: Die Pogge-Wißmann’sche Expedition quer durch Südafrika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 112–116
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Pogge-Wißmann’sche Expedition quer durch Südafrika.

Was in letzter Zeit durch muthige Forscher auf dem Gebiete der Afrikaforschung erreicht wurde, das hat die „Gartenlaube“ schon früher ihren Lesern berichtet. Wir brauchen heute nur an die Namen Livingstone, Stanley, Cameron und Savorgnan de Brazza zu erinnern, und das Bild der Afrikaforschung lebt wieder auf in dem Gedächtnisse Aller, welche die Culturfortschritte der Neuzeit mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt haben.

Heute sei es uns gestattet, unsern Lesern von der jüngsten Großthat auf diesem schwierigen Plane menschlichen Ringens und Strebens zu erzählen! Wenn Stanley und Cameron vor Jahren den dunklen Welttheil in der Richtung von Ost nach West durchquert haben, so ist es ein Deutscher, welcher jetzt das kühne Wagstück zum dritten Male vollbracht, Lieutenaut Wißmann, der Erste, der mit vielen Mühsalen die ungeheuren Landstrecken von Südafrika in umgekehrter Richtung von der Westküste bis zu den östlichen Gestaden durchreiste.

Schon seit Jahren waren deutsche Forscher thätig, das von Engländern, Amerikanern und Franzosen begonnene Werk zu vollenden, aber ihre Expeditionen scheiterten zum Theil an dem Widerstande, welchen ihnen das mörderische Klima und die Feindseligkeit der wilden Stämme entgegensetzte. So blieb die Lösung der Hauptaufgabe, welche sich die deutsche Forschung im südlichen Congobecken gestellt hatte, einem Manne vorbehalten, der schon unter den Sendlingen der ersten deutschen Afrikanischen Gesellschaft einen bahnbrechenden Erfolg davongetragen.

Dr. Paul Pogge (geboren am 24. December 1838 zu Ziersdorf in Mecklenburg-Schwerin) widmete sich anfangs nach Beendigung seiner Studien in Heidelberg der Landwirthschaft. Als Afrikaforscher zeichnete er sich im Jahre 1878 durch die Ueberschreitung des Kuangostromes, eines Nebenflusses des Congo, und durch seine Streifzüge in dem Reiche des Negerfürsten Muata Yamwo aus.

[113] Ende 1879 hatte sich Dr. Pogge erboten, die Führung einer neuen Expedition zu übernehmen, und der Afrikanischen Gesellschaft einen diesbezüglichen Plan unterbreitet. Er wollte abermals nach der Mussumba gehen, dort eine Station in der Reihe der vonder „Internationalen Association“ geplanten Kette von Stationen quer durch Afrika begründen und hoffte bestimmt, alsdann dem ihm beizuordnenden Begleiter die Erlaubniß zur Fortsetzung der Reise nach Norden erwirken zu können. Gern ging die Gesellschaft auf diese Vorschläge des erfahrenen Reisenden ein und wählte zum Begleiter desselben den hierfür wohl vorbereiteten Lieutenant Wißmann, dem die wissenschaftlichen, vor allem die topographischen Arbeiten obliegen sollten. Ende 1880 verließ die Expedition die Heimath und begab sich von Loanda sofort nach dem letzten portugiesischen Orte Malange, um dort die Vorbereitungen für die Reise in’s Innere zu treffen.

Dr. Paul Pogge.  Lieutenant Wißmann.
Nach Photographien auf Holz übertragen von Adolf Neumann.

Ende Mai 1881 waren endlich die erforderlichen Tauschwaaren angekauft, eine Trägerkarawane von gegen 100 Mann und 6 Reitstiere zusammengebracht, ein erfahrener Dolmetsch in der Person desselben Germano engagirt, der Pogge schon auf seiner ersten Reise und dann auch Schütt begleitet hatte. So erfolgte am 2. Juni der Aufbruch. Bis Kimbundo, welches am 20. Juli erreicht wurde, bot die Reise auf oft zuvor begangenen Wegen nichts Bemerkenswerthes. Hier aber erfuhren die Reisenden, daß kriegerische Verwickelungen zwischen den umwohnenden Kioko und ihrem nominellen Oberhaupt, dem Muata Yamwo, ausgebrochen und daß beide Wege zur Mussumba dadurch schwierig, wenn nicht ganz unpassirbar seien. Dieser Umstand in Verbindung mit Buchner’s ungünstigen Erfahrungen, endlich aber höchst verführerische Nachrichten über den von Kimbundo nach Norden führenden Weg bewogen Pogge unter freudiger Zustimmung seines Begleiters zu einer wesentlichen Umänderung des Reiseplanes, zu einem Versuche, eben auf diesem nördlichen Wege, auf dem Schütt gescheitert war, direct einzudringen in das Centrum der unerforschten Südhälfte des Congobeckens.

Diese nördliche Straße wird von Händlerkarawanen seit einer Reihe von Jahren häufig begangen, nachdem Lunda an den Hauptgegenständen des dortigen Handels, Sclaven, Elfenbein und Kautschuk, immer weniger ergiebig geworden. Sie führt in die noch unerschöpften Gebiete zwischen Kassai und Lulua, besonders in das Land der Tussilange, deren Häuptlinge in angenehmem Gegensatz zu dem gewaltthätigen Wesen des erwähnten Muata Yamwo den fremden Händlern die günstigste Behandlung zu Theil werden lassen. Anfangs soll das Entgegenkommen der Tussilange soweit gegangen sein, daß die Händler während ihres Aufenthalts durchaus unentgeltlich verpflegt wurden, in Folge wovon diesem gelobten Lande der Name „Lubuku“ (das heißt in der Sprache der Tussilange „Freundschaft“) beigelegt wurde.

Entscheidend für Pogge’s Entschluß war die zuverlässige Nachricht, daß der angesehenste der Tussilangehäuptlinge, Mukenge, der nahe am Lulua seinen Sitz hat, den bei ihm weilenden Fremden keinerlei Freiheitsbeschränkungen nach Art des Muata Yamwo auferlegt, sondern ihnen gestattet, Excursionen in beliebiger Richtung zu machen.

So brachen denn Pogge und Wißmann, nachdem sich die Mehrzahl ihrer Träger mit dem veränderten Ziel einverstanden erklärt hatte, am 31. Juli nach Norden auf; einige Tagereisen weiter fanden sie Gelegenheit, einen schwarzen Händler, Namens Biserra, als Führer zu engagiren, der bereits einmal zwei Jahre beim Mukenge zugebracht hatte und mit Sprache und Sitten des Landes durchaus vertraut war. Trotz des Widerstrebens der Kioko, die das von ihnen beanspruchte Monopol im Handel mit den Tussilange bedroht glaubten, wußte Pogge die Expedition ungefährdet durch ihr Gebiet zu führen, ebenso durch den nördlichen Theil von Lunda, wo ernste Schwierigkeiten zu gewärtigen waren, da die Unterhäuptlinge des Muata Yamwo strenge Weisung haben, alle zu ihnen kommenden Händler an der Ueberschreitung der Reichsgrenzen zu hindern und sie an den Hof des Oberhäuptlings zu dirigiren.

Nach vierundvierzig Marschtagen wurde am 2. October der Kassai bei Kikassa im Lande der Pende bereits unterhalb der großen Fälle erreicht. In acht Canoes wurde am folgenden Tage die Ueberfahrt der Karawane über den hier in beträchtlicher Tiefe [114] und einer Breite von gegen 350 Meter dahinströmenden Fluß bewerkstelligt und damit das ersehnte Ziel, das Land der Tussilange, erreicht. Gleich am anderen Ufer trafen die Reisenden einen zufällig in Handelsgeschäften anwesenden Häuptling, den Kingenge, der sie sofort zu sich einlud und versprach, sie zu dem im äußersten Osten des Landes gelegenen See Mukamba zu geleiten.

Um auch diese Chance des Gelingens wahrzunehmen, wurde eine vorläufige Trennung beschlossen: Wißmann sollte den Kingenge begleiten, der nur drei Meilen südöstlich vom großen Häuptling Mukenge wohnt, während Pogge, dem ursprünglichen Plane treu, diesen aufsuchen sollte. So geschah es, und am 30. October, nach zweiundsechszig Marschtagen von Kimbundo aus, traf Pogge beim Mukenge ein, der ihn mit vieler Freude empfing und noch an demselben Tage erklärte, daß er schon von dem Anerbieten des Kingenge gehört habe. „Dieser sei aber nur ein abtrünniger Vasall; er sei der mächtigere und legitime Häuptling (Kalamba) und werde selbst seine Gäste, wenn sie wollten, nach dem Mukamba und wohin sie sonst verlangten, bringen.“

Auch im Uebrigen gestalteten sich die Verhältnisse bei den liebenswürdigen, übrigens noch über und über tätowirten Tussilange und die Aussichten für die Weiterreise überaus günstig. Der Häuptling und sein Volk überboten sich, den fremden Gästen Freundschaft (Lubuku) zu erweisen; vor Allem aber erklärte sich auch ein ausreichender Theil der nur bis Mukenge engagirten Malange-Träger, einige dreißig, bereit, die Weiterreise mitzumachen, die nach Pogge’s letztem, vom 27. November 1881 datirten (und am 28. Juli 1882 in Berlin eingetroffenen) Schreiben am 29. November angetreten werden sollte.

Ueber den Weg zum Lualaba, wie der obere Lauf des Congo von den Eingeborenen genannt wird, wußten die Tussilange selbst nur etwa zwanzig Tagereisen weit Bescheid. Gleich östlich von Mukenge sollte der Lulua überschritten werden und am andern Ufer die Wiedervereinigung mit Wißmann stattfinden. Weiter sollte der Weg zehn Tage in nordöstlicher Richtung durch Tussilangeland führen bis zum Mukamba, der entgegen den Erkundigungen Schütt’s nur ein unbeträchtliches Seebecken zu sein scheint; dann sollte im Gebiete der bisher nicht einmal dem Namen nach bekannten Mobondi der Lubilaschfluß überschritten werden. Mukenge selbst wollte die deutsche Expedition begleiten und hatte ursprünglich die Absicht, unter Anderem seine sämmtlichen vierzig bis fünfzig Weiber mit auf die Reise zu nehmen, wogegen Pogge indessen entschieden protestirte; höchstens wolle er zwei bis vier zugestehen, und auch das männliche Gefolge dürfe nicht über vierzig bis fünfzig Köpfe zählen. Der Häuptling gab denn auch nach und ließ sagen, nur so lange die Reise durch sein eigenes Gebiet gehe (wo nämlich die Verpflegung requirirt wird!), werde er ein größeres Gefolge haben.

Nach glücklicher Erreichung des Lualaba und der damit erfolgten Beendigung der eigentlichen Entdeckungsreise beabsichtigte Pogge die Weiterreise zur Ostküste Wißmann allein zu überlassen, selbst aber mit der Karawane zum Mukenge zurückzukehren, um bis Ende 1882 in dem nach seinem Urtheile zu einer Stationsanlage vorzüglich geeigneten, fruchtbaren und von den Tussilange, geschickten Ackerbauern, wohl cultivirten Lande zu verweilen, dann aber die Rückreise zur Westküste anzutreten.

„Ob die Reise zum Lualaba gelingen wird, können wir mit Sicherheit natürlich nicht wissen, aber wenn wir nicht wagen, können wir auch nicht gewinnen –“ das war das einfache Urtheil, welches Pogge über seine Aussichten in dem letzten Briefe abgab.

Einen Ueberblick über den Verlauf des zweiten, wichtigeren Theils der Reise geben wir auf Grund des ersten, ausführlicheren Berichts, welcher soeben der „Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland“ von Seiten Wißmann’s zugegangen ist. Freilich deutet dieser erste Bericht manchen wichtigen Punkt nur flüchtig an, da sich der Reisende, der zwei Jahre lang in dem tückischen Klima Südafrikas seine Gesundheit bewahrt hatte, auf der Fahrt im Rothen Meer eine Erkältung zugezogen, die ihn in Kairo an’s Bett fesselte und ihn zwang, seinen Bericht sehr knapp zu fassen.

Mit dem Verlassen des Tussilangelandes nimmt die Reise einen ganz neuen Charakter an.

Hier hat noch nicht der länderverbindende Handel vorgearbeitet; die Kenntniß der Tussilange selbst von den Völkern im Osten reichte nur wenige Tagereisen über die eigenen Grenzen hinaus; weiterhin ersetzten allerlei fabelhafte Schreckensgeschichten von den dort hausenden Menschenfressern und wunderbare Märchen von wilden Zwergvölkern die fehlenden Kenntnisse und wirken nicht gerade belebend auf den Muth und die Reiselust der Begleiter unserer deutschen Forscher. Von dem Ziele selbst, welches diese sich gesteckt hatten, von dem großen Strom und den Niederlassungen arabischer Händler an seinen Ufern war keine Kunde zu den Tussilange gelangt, und – was erfahrungsmäßig immer am meisten erschwerend bei größeren afrikanischen Entdeckungsreisen gewirkt hat – es fehlte hier naturgemäß allen Betheiligten, den Trägern wie den Tussilange, an jedem Verständniß für den eigentlichen Zweck eines solchen Zuges in’s Blaue. Unter diesen Umständen ist es in hohem Grade merkwürdig und bewundernswerth, daß es Pogge gelang, den Mukenge zu dem für einen Negerfürsten ganz außerordentlichen Wagstück zu bestimmen, ihm mit den eigenen Leuten zu diesen unbekannten Ländern das Geleit zu geben. Und diese Begleitung war, wie wir gleich sehen werden, entscheidend für das Gelingen des ganzen Werkes, da die eigenen von Malange mitgebrachten Träger um so viel früher den Muth verloren, wie ihre Heimath weiter zurücklag als die der Tussilange.

Anfang December brachen beide Reisende, die sich, wie wir erwähnt haben, im Tussilangeland getrennt hatten, auf Verabredung gleichzeitig von den Sitzen ihrer respectiven Gastfreunde, der Häuptlinge Mukenge und Kingenge, auf, überschritten den nahen Lulua und vereinigten sich am rechten Ufer dieses Flusses. Die Zahl der von Mukenge als Bedeckung mitgenommenen Tussilange betrug gegen 200.

Gleich mit Ueberschreitung des Lulua nahm die Landschaft einen ganz veränderten Charakter an: während bis dahin der für Westafrika typische lichte Savannenwald auf den Landrücken zwischen den Flußthälern vorgeherrscht hatte, begannen nun weite, über alle Erwartung stark bevölkerte Prairien. Zunächst, Mitte December, wurde der Mukambasee erreicht, ein verhältnißmäßig unbedeutendes Seebecken, welches den durch Schütt’s Erkundigungen sehr hochgespannten Erwartungen nicht entspricht. Schon hier, noch im Machtbereich der Tussilange, sank den Malange-Trägern der Muth, sodaß nichts übrig blieb, als den größten Theil dieser unzuverlässigen Genossen auszumustern. Hätte man nicht ihre Lasten auf die Tussilange vertheilen können, so wäre schon hier ein vorzeitiges Ende der Expedition kaum zu vermeiden gewesen.

Durch das Land der prachtvoll wild bemalten Baschilange, die übrigens wie alle Völker vom Kassaï an bis weit östlich vom Sankuru zu dem großen Stamme der Luba gehören, gelangten die Reisenden am 5. Januar 1882 an den im Schmucke herrlichster Tropenvegetation dahinfließenden Lubi, einen Nebenfluß des Lubilasch. Mit der Ueberschreitung des Lubi hörte jede sichtbare Spur einer durch den Handel vermittelten Einwirkung der Cultur auf; die Reisenden hatten die heute auf der ganzen Erde nur noch so überaus selten gebotene Gelegenheit, durchaus ursprünglich entwickelte Zustände kennen zu lernen; sie fanden die dortigen Stämme, zunächst die Bassonge, obgleich sie wirklich großentheils Cannibalen sind, in einem ganz überraschend hohen Culturzustande, ganz ebenso wie seiner Zeit Georg Schweinfurth die damals noch fast unberührten, übrigens gleichfalls cannibalischen Monbuttu, südlich von Welle. In schönen, reinlichen Dörfern, deren geräumige, nette Häuser, von eingezäunten Gärtchen umgeben, sich in schnurgeraden Straßen an einander reihen, überschattet von Oelpalmen und Bananen, leben die Bassonge, ein zahlreicher, schöner und kräftiger Menschenschlag, reich an allen Bedürfnissen des Lebens, nicht nur durch den üppigen, natürlichen Reichthum ihres Landes, sondern auch durch eigene Kunstfertigkeit. Sie sind gewandt in Bearbeitung des Eisens, Kupfers, Thones, Holzes, in Herstellung eigenthümlicher Kleiderstoffe und hübscher Korbflechtereien.

Schon dieser Stamm gehört, wenigstens nominell, zu dem Reiche Kotto, welches von dem uralten, blinden, geheimnißvollen König Katschitsch beherrscht wird. Ehe seine unter 5° 7’ südlicher Breite am Lubilasch gelegene Residenz am 14. Januar erreicht wurde, hatten die Reisenden in zwei Gewaltmärschen einen unbewohnten, nur von Elephanten, Büffeln und Warzenschweinen belebten Urwald zu passiren.

Es fehlte nicht viel, so wäre bei Katschitsch die deutsche Expedition zum Scheitern gekommen. Der alte Häuptling wollte nämlich die mächtigen Fremdlinge gar zu gern seinen politischen Zwecken dienstbar machen und sie zur Theilnahme an einem Rachezug [115] gegen seine Nachbarn im Norden, die dem Fürsten Lukengo gehorchenden Bakuba, bewegen. Er verweigerte daher die Erlaubniß zum Passiren seines Flusses, des Lubilasch. Zugleich ließ er im Lager der Reisenden die entsetzlichsten Menschenfressergeschichten verbreiten, sodaß nicht nur der Rest der Träger, sondern auch die Tussilange muthlos wurden. Bis auf fünf Getreue verweigerten alle Träger die Weiterreise; die Tussilange verlangten ebenfalls zurück, und selbst Mukenge wurde schwankend. Bei so schlimmer Lage der Dinge gingen die Reisenden gegen die eigenen Begleiter mit der größten Strenge vor: den Trägern wurden die Waffen abgenommen und alle Existenzmittel für die Rückreise verweigert; Mukenge wurde bedroht, daß, falls er seinem Versprechen zuwider jetzt schmachvoll umkehren wolle, die Reisenden sich unter den Schutz seines gefürchteten Rivalen, des jungen Königs Kingenge stellen würden, von dem er ja wisse, wie sehr derselbe für sich die Ehre gewünscht habe, die deutschen Reisenden zu geleiten. Als auch dies noch nicht zu wirken schien, wurde ihm bestimmt erklärt, daß, falls er auf der Rückkehr bestehe, die Deutschen ihn allein ziehen lassen würden; Wißmann werde dann versuchen, allein die Reise fortzusetzen, Pogge aber werde mit allen Waaren beim Katschitsch[WS 1] verbleiben.

Diese Drohung schlug durch. Noch schwieriger aber war die Behandlung des alten Katschitsch. Durch einen Gewaltstreich sich seinem Machtbereich zu entziehen, war ganz unmöglich. Alle Leute, die Träger sowohl wie die Tussilange, würden dann sofort entflohen sein, da der Alte im Rufe eines großen Zauberers stand. So verfielen die Reisenden auf den Gedanken, dem Fürsten ihre Gegenwart möglichst unheimlich zu machen, und erreichten wirklich durch häufiges nächtliches Schießen, Abbrennen von Feuerwerk und dergleichen, daß der Alte in dem Wunsche, so gefährliche Nachbarn los zu werden, endlich in ihre Abreise willigte.

So durften sie am 20. Januar den Lubilasch überschreiten, der, hier 150 Meter breit, ruhig strömend seine hellgelben Gewässer zwischen senkrechten Sandsteinwänden oder, wo sich das Thal erweitert, zwischen undurchdringlichen Urwäldern nach Norden zum Congo wälzt. Hier erst erfuhren sie, daß sie damit zugleich den bisher nur dem Namen nach bekannten Sankuru überschritten hatten, denn dies ist der nur im Osten übliche Name des im Westen Lubilasch genannten großen Nebenflusses des Congo.

Den ganzen Februar hindurch ging es nun weiter durch reich bewässerte Prairien, dicht bewohnt von verschiedenen, zum Theil kriegerischen Stämmen, unter Anderen den durch die Länge ihrer Dörfer (bis zu 17 Kilometer!) merkwürdigen Benecki. Bei dem nächsten Volke, den Kalebue, war leider schon wieder die Berührung mit Culturvölkern wahrnehmbar, noch dazu in ihrer allertraurigsten Form; denn bis hierher dehnen die am Lualaba angesiedelten arabischen Händler ihre grausamen und schmachvollen Raubzüge und Menschenjagden aus. So war es denn nicht zu verwundern, daß die armen Leute beim Eintreffen der friedlichen deutschen Reisenden in ihren Dörfern, gleiches von ihnen befürchtend wie von den arabischen Sclavenhändlern, meist sofort die Flucht ergriffen. Hierdurch und durch die vielen internen Feindseligkeiten der Dörfer unter einander, durch den Mangel an zuverlässigen Führern, wurde dieser Theil der Reise äußerst beschwerlich.

Höchst bemerkenswerth ist die Entdeckung eines Volksstammes, dessen eigenartige Existenz offenbar zur Entstehung der zahlreichen Märchen von Zwergvölkern Innerafrikas das meiste beigetragen hat: Vom Lubi bis zum Tanganika fanden sich überall, eingesprengt in die herrschende Bevölkerung, Ueberreste des Volkes der Batua, muthmaßlich der Urbewohner dieser reichen Landschaften. Klein und häßlich gewachsen, mager und schmutzig und von wildem Aussehen, wohnen diese auf niedrigster Culturstufe stehenden Leute in einzelnen Gehöften oder Dörfern in kleinen liederlichen Strohhütten, zerstreut und verachtet, eine eigene Sprache sprechend, unter den überlegenen Lubavölkern. Ackerbau betreiben sie gar nicht; an Hausthieren haben sie außer Hühnern nur eine gute Rasse windhundähnlicher Jagdhunde, keine Ziegen, keine Schweine; so leben sie nur von dem Ertrage der Jagd und wildwachsenden Früchten. Ihre Waffen und Werkzeuge stehen auf niedrigster Stufe; nur eiserne Pfeilspitzen sieht man hier und da.

Am 8. März wurde der durch Cameron bekannte Lomamifluß erreicht und unter 5° 42’ südlicher Breite überschritten, Es war die höchste Zeit, daß man eine arabische Niederlassung erreichte; denn die Tauschartikel waren völlig zu Ende. War, was ja nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit lag, die arabische Station in Njangwe nicht mehr vorhanden, so konnten die Reisenden hier, gerade im Centrum Südafrikas, abgeschnitten von aller Verbindung mit der civilisirten Welt, in die bitterste Verlegenheit gerathen. So wurde denn die directe Richtung auf Njangwe eingeschlagen. Doch gerade dieser letzte Abschnitt der eigentlichen Entdeckungsreise war noch eine schwere Geduldsprobe, da fürchterliche Regengüsse die ganze Gegend überschwemmt und versumpft hatten. Der Grasbestand (man muß an die von Stanley in Manjema beschriebenen 8’ hohen und zolldicken Grasstengel denken!) war in Folge dessen so verfilzt, daß oft Schritt für Schritt der Weg erst passirbar gemacht werden mußte. Noch führte der am 2. April erreichte, weithin ausgetretene Lufubufluß einen längeren Aufenthalt herbei, da die Expedition sich erst selbst zwei Canoes bauen mußte, mit denen endlich am 11. April die Karawane übergesetzt werden konnte. Endlich, am 16. April, hatten die Reisenden die Genugthuung, den mächtigen Lualaba, als die ersten vom Westen kommenden Europäer zu begrüßen, und am folgenden Tage trafen sie in Njangwe ein, wo sie bei dem alten arabischen Scheich Abed-bin-Salim, der auch Stanley beherbergt hatte, gastfreundliche Aufnahme, manchen langentbehrten Genuß, vor Allem aber den zur Fortsetzung der Reise erforderlichen Credit fanden.

Die eigentliche Entdeckungsreise war mit dem Eintreffen in Njangwe beendet, und nach dem schon beim Mukenge festgestellten Plan sollten sich hier die Gefährten trennen. Nach dreiwöchentlichem gemeinsamem Aufenthalte auf dieser Insel arabischer Halbcivilisation inmitten der Wildniß schieden denn am 5. Mai die treuen Reisegenossen von einander, beide in bester Gesundheit. Pogge mit Mukenge, seinen Tussilange und dem Gros der treugebliebenen Träger tauchte wieder unter in die Nacht der centralafrikanischen Barbarei, um zunächst zu den Tussilange zurückzukehren und ihr Land, das als Ausgangspunkt weiterer Forschung in der Südhälfte des Congobeckens wichtig ist, durch längeren Aufenthalt genauer kennen zu lernen, namentlich auch im Hinblicke auf eine dort etwa zu begründende deutsche Station.

Hoffen wir, daß dem hochverdienten Reisenden, dem die deutsche Afrikaforschung der letzten Jahre ihre glänzendsten Erfolge verdankt, vergönnt sein möge, gesund und wohlbehalten in’s Vaterland zurückzukehren und den wohlverdienten Dank für seine vorzüglichen Leistungen entgegenzunehmen, die um so größeres Lob verdienen, als sie stets auf friedlichem Wege erreicht wurden.

Wißmann blieb mit nur vier Leuten von der Westküste und mit im Ganzen fünf Gewehren bei den Arabern unter recht schwierigen Verhältnissen zurück, da er sich weder mit diesen selbst noch mit den Eingeborenen der Gegend verständigen konnte. Nachdem er den ganzen Mai hindurch vergeblich auf den Abgang einer Karawane nach der Ostküste gewartet hatte, der er sich hätte anschließen können, riß ihm die Geduld, und er wagte es, am 1. Juni mit seiner Handvoll Leute und zwanzig Sclaven die weite Reise anzutreten. Seine Bewaffnung bestand aus zehn Gewehren, die ihm sein Gastfreund Abed-bin-Salim geliehen hatte. Obgleich er schon in den ersten Tagen an seiner zügellosen, überall plündernden neuen Gefolgschaft die übelsten Erfahrungen machen mußte und ihn erfahrene Araber auf der nächsten Station, Kasongo, dringend warnten, nicht mit so geringer und unzuverlässiger Mannschaft die Reise fortzusetzen, konnte er sich doch nicht zu längerem Warten entschließen. Nachdem ihn Abed-bin-Salim nachträglich autorisirt hatte, jeden Ungehorsamen unter seinen Sclaven sofort niederzuschießen, gelang es Wißmann durch spartanische Strenge, einige Ordnung und Disciplin herzustellen. Er wich auf dem Wege zum Tanganika verschiedentlich beträchtlich von den Wegen seiner drei Vorgänger ab, hatte kurz vor dem Erreichen des Sees noch eine ernsthafte Differenz mit räuberischen Eingeborenen, die ihm ein Gewehr entwendet hatten, und wurde, am See angelangt, in der englischen Missionsstation Ruanda von dem dort stationirten Reverend Griffith auf das liebenswürdigste aufgenommen und vierzehn Tage hindurch verpflegt.

Nachdem Wißmann an Stelle der nach Njangwe zurückgeschickten Sclaven Abed’s in Udjidji zwanzig Waniamnesi-Träger engagirt hatte, trat er die Weiterreise zur Ostküste an. Diese Reise ist in den letzten fünfundzwanzig Jahren so oft gemacht und beschrieben worden, daß wir uns ein näheres Eingehen auf dieselbe ersparen können. Bei der geringen Macht, über die Wißmann verfügte, [116] war freilich auch dieser letzte Abschnitt der Reise nicht ohne ernste Schwierigkeiten und Gefahren, zumal der Reisende bald von der gewöhnlichen Karawanenstraße nordwärts abbog, um noch dem mächtigsten Häuptling dieser Gegend, dem kriegerischen Mirambo, dem Napoleon der Waniammesi, wie ihn Stanley genannt hat, einen Besuch abzustatten.

Am 5. September traf er wohlbehalten in Tabora ein, dem Hauptsitz der Araber im Inneren Ostafrikas, machte in den nächsten Tagen noch einen Abstecher nach der benachbarten deutschen Station Gonda, wo er die Herren Dr. Böhm und Reichard in bester Gesundheit antraf, und beschloß hier, wo er den Anschluß an die von der Ostküste ausgehenden geographischen Arbeiten des Dr. Kaiser erreicht hatte, seine Aufnahmethätigkeit.

Am 15. November begrüßte er frohen Herzens, nach fast zweijährigem Aufenthalte im Inneren des Continents, den Indischen Ocean und traf am 17. dieses Monats in Zanzibar ein, wo er in dem Hamburger Hause Oswald die freundlichste Aufnahme fand.

Abgesehen von den hochbedeutenden geographischen Ergebnissen der Reise, versprechen auch die ethnologischen Beobachtungen und Sammlungen, die Wißmann mitbringt, eine ganz hervorragende Bereicherung der großen Berliner ethnographischen Sammlung zu werden, weil sie eben zum Theil aus Gebieten mit ganz ursprünglichen Zuständen stammen. Die Sammlungen werden durch ein Oswald’sches Segelschiff nach Europa gebracht, und auf demselben Wege werden auch die vier treu gebliebenen Träger von der Westküste in ihre Heimath zurückbefördert.

Möchte dieser schöne und ruhmvolle Erfolg der Pogge-Wißmann’schen Expedition der deutschen Afrikaforschung viel neue Freunde und Gönner zuführen! Trotz der in liberaler Weise Seitens des deutschen Reiches alljährlich bewilligten Unterstützung wird es der „Afrikanischen Gesellschaft“ nicht leicht, die mit der vermehrten Häufigkeit der Expeditionen immer höher sich stellenden Kosten ihrer verschiedenen jetzt durchweg in gutem Fortgang befindlichen Unternehmungen zu bestreiten. Im Vergleich mit den fast unbeschränkten Mitteln, die dem verdienstvollen Stanley, den belgischen Reisenden und neuerdings auch dem Franzosen Savorgnan de Brazza zu Gebote stehen, sind die Mittel, mit denen die deutschen Expeditionen arbeiten müssen, äußerst bescheiden.

Möchten daher recht zahlreiche Landsleute durch ihren Beitritt zur „Afrikanischen Gesellschaft“ die Mittel vermehren zu weiterer erfolgreicher Concurrenz der deutschen Forschung in der Erschließung und Zugänglichmachung des jetzt so viel umworbenen, gesegneten und zukunftsreichen Congobeckens![1]


  1. Die Mitgliedschaft der „Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland“ wird erworben durch einen Jahresbeitrag von mindestens 5 Mark, der an den Vorstand der Gesellschaft, Berlin W, Friedrichsstraße 181 einzusenden ist. Die lebenslängliche Mitgliedschaft erlangt man durch einen einmaligen sogenannten Stifterbeitrag von mindestens 300 Mark. Die Mitglieder erhalten die Zeitschrift der Gesellschaft, in der fortlaufend die Originalberichte über alle Expeditionen derselben erscheinen, kostenfrei zugesandt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kitschitsch