Die Pyramiden von Meroe
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Genius der Gräber und Ruinen! wie oft schon warst du mir der Engel, der die von den Qualen der Brüder gebeugte Seele aus dem Gewühl des Alltaglebens rettete, aus den Schlössern, wo Dunkel und Tyrannei, mit Bediententhum und Niedertracht im Bunde, den Völkern Leiden bereiten; aus den Palästen, wo Uebersättigung und Unnatur die Seele entadeln; aus den Gerichtshöfen und Collegien, wo so oft die verpflichteten Hüter der Gesetze und der guten Sitte sittliche Verruchtheit aussäen und schamlos das mit Füßen treten, was sie pflegen sollen; aus den Städten, wo der Bürger Mehrzahl, allem Höheren und Edleren fremd und zugeschlossen, sich zwischen der Sucht nach Gelderwerb und rohem Sinnengenuß theilt; aus den Dörfern und Hütten, wo mit Unwissenheit der Unglaube, mit Lüderlichkeit die Abstreifung des Ehrgefühls und aller Ehrfurcht für das wahrhaft Große, Rechte und Gute so oft Hand in Hand gehen und wo unter dem Einfluß des schlechten Beispiels von Oben und dem Drucke der Ungerechtigkeit das Elend wuchert: – O Genius! wie oft habe ich bei dir die Ruhe wieder gefunden, die mir das Getümmel des Lebens nahm, und Blumen gepflückt an deinen Gräbern, die ich in dem Strom des Lebens vergeblich suchte. Aus deinen Aschenhügeln entsteigt vor dem Auge ruhiger Betrachtung die Versöhnung mit der Wirklichkeit wie ein Phönix, und du lehrst mich urtheilen ohne Leidenschaft, ohne Zorn und ohne Furcht über Menschen und Dinge.
Das Bild hieneben führt zum ältesten Todtenacker der Erde, zur Necropolis der Könige jenes Reichs, das aus dem Gebiete der Sage zuerst in die Geschichte tritt. Tief in Afrika’s Innerm, wo jetzt Nubien und Kordofan an einander grenzen, wo der unglückliche Fellah für den Aegypter, seinen Herrn, am sumpfigen Ufer des Nils Baumwolle und Reis baut und arabische Nomadenstämme auf den verbrannten Höhen spärliche Weide suchen – dort lag Meroe. Meroe ist das Land, von dem die Kulturgeschichte der Menschheit anhebt; denn von dort aus drangen Bevölkerung, Anbau und Gesittung den Nil hinab nach Aegypten, und wie ägyptische Kultur die Mutter der europäischen ist, so hat diese wieder in Meroe ihre Ahnfrau zu [18] suchen. Jenseits dieser Grenze herrscht Ungewißheit und finstere Nacht, und wenn es auch wahrscheinlich ist, daß Meroe selbst seine Bildung durch Einwanderung von Osten her empfangen, so ermangelt dieser Vermuthung doch jeder historische Beweis.
Priester-Könige zügelten das Volk von Meroe, – eins waren hier Religion und Herrschaft. Der König selbst war der Priesterkaste, die ihn wählte, als willenloses Werkzeug unterthänig, so sehr, daß sie ihm den Tag voraus bestimmte, wann er sterben sollte; und selbst mußte er sich dann den Tod geben. Die staatlichen Verpflichtungen der Bürger flossen mit denen der Religion zusammen; sie waren daher unverbrüchlich. In einem Lande, wie das Uferland des Nils, wo die Wohlfahrt mehr als irgendwo auf Erden von einer strenggeregelten Leitung abhängt, wo der Boden an sich nichts, die Bewässerung Alles gibt, da war eine solche Regierungsform ganz an ihrem Orte, und sie konnte Wunder der materiellen Wohlfahrt schaffen, deren Zeugen noch gegenwärtig das Staunen der Welt erregen. – Mit dem Augenblicke, wo, nach fast 3000jährigem Bestehen, unter veränderten Weltverhältnissen, unter dem Andrang der griechischen Kultur und den Streichen fremder Eroberer, die alte Religion und die alte Verfassung fielen, mußten auch die weitläufigen, durch strenge Vorschriften mit vieler Anstrengung erhaltenen großartigen Anstalten zu weitausgedehnter Bewässerung verfallen und Armuth und Verödung ihre lange und traurige Bahn beginnen. Der gewaltige Nilstrom, nicht mehr durch das gleichzeitige Zusammengreifen von Hunderttausenden beherrscht und zu dem Dienste des Staates und Volkes gezwungen, sondern fortan mehr und mehr sich selbst überlassen, wirkte verheerend, riß den fruchtbaren Boden mit fort, während der Wind der Wüste das übrige Land mit Sand bedeckte. Der Fluch ewiger Unfruchtbarkeit, welchen die gewürgten Priester in der Agonie des Todes über das Land ausgerufen, wurde buchstäblich wahr. Darum verlor, seit der Vertilgung der Theokratie, Meroe schnell seine Wichtigkeit; – sein Name hallte, wie ein vielstimmiges Echo, durch die nachfolgenden Jahrhunderte leiser und immer leiser; nur noch einmal dringt schwache Kunde von Kriegsleid und Elend in spätere Zeit, bis endlich durch den Sturm arabischer Horden Alles in Staub und Vergessenheit versinkt.
In dem Winkel, den die Vereinigung des von ostwärts zuströmenden Atbara mit dem Nil bildet, 1000 Schritte von letzterem entfernt, ragt aus haustiefem Schutt und Sand ein unförmlicher Hügel von gebrannten Backsteinen und Mauertrümmern – und in diesem wüsten, von Gestrüpp und Schlingpflanzen überwachsenen Haufen will man die Stelle erkennen, wo das Königshaus der Hauptstadt Meroe gestanden, welche so völlig verheert wurde von der Zeit, den Elementen und den Menschen, daß man selbst ihre Lage nicht mit Gewißheit angeben konnte, wenn nicht die Grabmonumente von dem Orte ihres Daseyns unverwerfliches Zeugniß ablegten. Diese, die Pyramiden von Meroe, liegen am rechten Nilufer, oberhalb der alten Stadt. Sie kommen [19] zwar jenen Mausoleen an Größe nicht bei, in welchen des alten Memphis Könige begraben liegen und die wir in einem früheren Bande dieses Werkes beschrieben; aber an malerischem Effekt und an Zierlichkeit der Bauart übertreffen sie diese. Im Ganzen zählt man ihrer achtzig und sie sind in drei Hauptgruppen vertheilt, von denen eine, auf einer Anhöhe gelegen, eine weite Aussicht auf die Ebene beherrscht. Alle haben einen Eingang mit Vorhalle auf der Ostseite, ein Beweis, daß eine religiöse Idee zu Grunde lag; viele sind indeß zum Theil zusammengestürzt und bilden unförmliche Steinhaufen. Die Skulpturen im Innern lassen keinen Zweifel übrig, daß sie Alle Grabmäler von Königen sind. Viele sind wohl bis zur Hälfte in Schutt versunken; die größte ragt etwa 70 Fuß hoch empor. Das Material ist bei Allen das nämliche: Sandstein. Merkwürdig ist bei einer die regelmäßige Wölbung der Decke des Portikus, denn es ist das früheste Beispiel des Gewölbebaus. Wenn man jedem Könige im Durchschnitt eine Regierungszeit von 20 Jahren zutheilt, so umfaßt die Errichtung dieser Monumente einen Zeitraum von 1600 Jahren, und da Meroe als Reich schon 800 Jahre v. Chr. aus der Geschichte verschwunden ist, so kann man das hohe Alter dieser Denkmäler bemessen.
Auf den ehemaligen Umfang des alten Meroe scheinen noch einige, 2 bis 3 Meilen entfernt liegende Ruinen hinzudeuten, deren Masse selbst von den thebaischen nicht übertroffen wird. Im sogenannten Wady Oretaib sieht man Trümmer eines Gebäudes, dessen Umfang 3000 Fuß war. Es hatte die Form eines Vierecks von 700 bis 800 Fuß, und Heeren hält es für das große Ammonium selbst, den gefeierten Ort, von welchem Civilisation, Künste und Wissenschaften in das untere Nilthal und von da in die übrige Welt wanderten, und wo Alexander nach seinem persischen Zuge dem Jupiter Dankopfer brachte. Vielleicht irrt Heeren; wenigstens gibt der Mangel an hieroglyphischen Inschriften und plastischen Monumenten dem Zweifel ein um so geräumigeres Feld, da man voraussetzen darf, daß die Priester, im Besitze der Macht und als Herren aller Hülfsquellen des reichen Landes, das Heiligthum des großen Gottes mit angemessener Kunst und Pracht ausgeschmückt haben würden. Aber keine Spur deutet darauf hin, vielmehr läßt die Bauart eine Zeit erkennen, wo der alte Kultus mit seiner Kunst und Wissenschaft auf dem Wege des Verfalls schon weit vorgeschritten war.