Die Retterin und der Stolz von Orleans
Die Retterin und der Stolz von Orleans.
Der heldenhafte Widerstand, den die Stadt Orleans im fünfzehnten Jahrhundert den Engländern geleistet hat, hat die französische Nationalität gerettet. Am 12. October 1428 erschien Graf Salisbury auf dem linken (südlichen) Ufer der Loire vor der Stadt; am 24. October bemächtigten sich die Engländer des befestigten Brückenkopfes, le fort des Tourelles genannt, und brachen sofort zwei Joche der Brücke ab, um sich den Besitz der Veste zu sichern. Am selben Abend untersuchte Salisbury das erstürmte Fort und trat an ein Fenster, um Brücke und Stadt zu überschauen; im selben Augenblicke krachte eine Steinkugel gegen das Fenster an, und der Graf stürzt tödtlich verletzt zusammen; man trug ihn noch bis zum Städtchen Meun unterhalb Orleans, wo er bald starb. Niemand in der Stadt wußte, wer das Geschütz auf dem zur Ringmauer gehörigen Thurme Notre-Dame abgebrannt hatte; der dazu bestellte Kanonier hatte sich entfernt gehabt; als er auf den Donner herbeieilte, sah er ein Kind davonlaufen, man hat es indessen nicht auffinden können. Die Bürger aber sahen darin ein Zeichen des Himmels; es war offenbar der Schutzheilige der Stadt, der ehemalige Bischof Aignan († 453), der ihnen beigestanden hatte.
Der wunderbare Vorfall war nur das Vorzeichen eines anderen größeren Wunders; eine kaum der Kindheit entwachsene Jungfrau, das achtzehnjährige Mädchen Jeanne d’Arc aus dem Dorfe Domremy in der Champagne, sollte die Stadt wirklich retten, die eben begonnene Belagerung aufheben. Aber diese Belagerung dauerte sieben tödtlich lange Monate, von allen Seiten umringte das feindliche Heer die Stadt und setzte sich in Bastillen fest. Großartig ist, was die Bürger von Orleans an Heldenmuth, Aufopferung und Ausdauer bei ihrer Vertheidigung bewiesen; aber die Macht der Feinde war zuletzt stärker als die sinkende Kraft der eingeschlossenen Stadt, die vom Könige keine Hülfe zu erwarten hatte; sie mußte unterliegen. Da geschah das in der Geschichte wohl einzige Wunder, daß ein Mädchen, das bisher einfach und fromm nur bei ihren Eltern in gehorsam fleißiger Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten aufgewachsen war, plötzlich durch den festen Glauben an ihre göttliche Sendung, durch den unerschütterlichen Glauben an den Sieg der gerechten Sache das entmuthigte Volk aufrichtet, den verzagenden König und seine frivole Umgebung mit fortreißt, sich mit ihrer heiligen Fahne in der einen Hand und dem durch wunderbare Eingebung aufgefundenen Schwerte Karl Martell’s in der andern an die Spitze des ganzen Heeres Frankreichs stellt und den entscheidenden Sieg über die Engländer gewinnt, der dem einheimischen Könige, dem Vertreter des französischen Volksthums, die Thore seiner Krönungsstadt öffnet.
Die Geschichte der Befreiung der Stadt setzen wir als bekannt voraus. Am 7. Mai 1429 ward der entscheidende Schlag gegen die Engländer gerichtet und das Fort der Tourelles von der Jungfrau eingenommen. Vierzehn Stunden hatte der blutige Kampf gedauert. Von den sechs- bis achthundert Engländern der Besatzung waren kaum zweihundert übrig geblieben, gering war der Verlust auf Seiten der Franzosen. Siegreich zog nun das Heer über die Brücke heim in die Stadt, Fackeln leuchteten zum Zuge, die Trompeten schmetterten, das Volk jauchzte und segnete die Jungfrau, die das Heldenwerk vollbracht hatte, als den Schutzengel des Landes. Zu ihrem Wirth heimgekehrt, legte sie die Rüstung ab und ließ sich ihre Wunde verbinden; statt der Mahlzeit nahm sie nur einige Schnitten Brod in etwas Wein mit Wasser vermischt. Dann theilte sie das Lager der Tochter des Hauses und schlummerte ein, ein kindliches Mädchen in den Armen der Freundin.
Am andern Morgen – es war ein Sonntag – zogen die Engländer ab, stromabwärts nach Meun zu. Angesichts des Feindes ließ die Jungfrau vor dem Stadtthor einen Altar errichten und zweimal die Messe lesen. Gegen Mittag zog die Geistlichkeit in feierlicher Procession aus der Kathedrale, es gingen darin der Bastard von Orleans, die Feldherren und Hauptleute, die Schöffen und Bürger, unter ihnen, begleitet von Bürgerfrauen, Jeanne, ihrer Wunde wegen in leichtem Panzerkleid, ihre Fahne in der Hand. Der Zug ging die Rue des Hôtelleries hinunter über die Brücke unter der Wölbung des Forts der Tourelles hindurch auf den Kampfplatz, von hier nach gesprochenem Gebete wieder zurück.
Diese Procession hat nun seit jener Zeit mit seltenen Ausnahmen alljährlich in Orleans stattgefunden, ihr geht stets eine sinnbildliche Feier des Kampfes und eine Gedächtnißrede zu Ehren der Jungfrau voraus. Betrachten wir vor der Hand noch einmal den Schauplatz; unsere Abbildung, obgleich aus einem späteren Jahrhundert, giebt noch immer das alte befestigte Orleans mit der Brücke wieder, wie sie zur Zeit der Belagerung war. Die eigentliche Stadt nahm 1429 jedoch nur ein starkes Drittel von dem hier abgebildeten ein, die Brücke bezeichnete etwa die Mitte, die Theile links und rechts (westlich und östlich) bestanden zwar in der Hauptsache schon, befanden sich aber noch außer der Ringmauer. Die viereckige Form der letztern, die mit fünfunddreißig Thürmen versehen war, deutete noch den römischen Ursprung an. Trat man aus der Rue des Hôtelleries (der Name besteht noch) heraus, so kam man auf die Brücke, welche neunzehn ungleiche, meist enge [290] Bogen zählte; an einigen der letztern waren Mühlen angebracht, auf den Pfeilern standen hier und da Thürme oder Häuser; der erste und letzte Bogen war eine Zugbrücke, Die Widerlage des fünften Bogens ruhte auf einer (nun längst verschwundenen) Insel, die mit Häusern bebaut und mit Bäumen bepflanzt war; auf der Hälfte stromaufwärts, Motte-Saint-Antoine genannt, stand eine Capelle, zu welcher ein Hospiz gehörte, das fremde Bettler nur vierundzwanzig Stunden beherbergte, bei Strafe des Stranges, wenn sie nicht weiter zögen; das Hospiz stand auf der andern Seite der Chaussee und war mit der Capelle durch ein befestigtes Thor, die Bastille Saint Antoine, verbunden; die untere Hälfte der Insel hieß Motte-des-Poissonniers und war von Fischern bewohnt. Zwischen dem elften und zwölften Bogen erhob sich auf der östlichen Seite ein Kreuz von vergoldeter Bronze, la Belle-Croix genannt, mit vier Basreliefs, das ein Bürger 1407 auf seine Kosten hatte errichten lassen. Auf dem Platze, wo hier die Brücke ausmündete und den 1429 das von Jeanne erstürmte Bollwerk einnahm, wurde am 8. Mai 1817 ein monumentales Kreuz, la Croix des Tourelles, errichtet; es ist die vorzugsweise heilige Stätte, denn hier war es, wo die Jungfrau im Kampfe verwundet worden war. Bis hierher geht noch alljährlich die Procession.
Von diesem Tage an, wo Jeanne Orleans befreit und den übermüthigen Feind zum ersten Mal so tief gedemüthigt hatte, erhielt sie durch den Mund des Volkes, der die Kunde ihres Sieges von Ort zu Ort trug, den Namen, der ihr seitdem in der Geschichte geblieben ist: die Jungfrau von Orleans, la Pucelle d’Orléans nach mittelalterlicher Redeweise (die Jungfer), wie auch die Stadt seitdem oft la ville de la Pucelle genannt wird; in der Poesie erhielt sie zuweilen nach ihrem Geburtsort den idealeren, unserem „Jungfrau“ entsprechenden Namen la Vierge de Domremy.
Als Jeanne auf dem Scheiterhaufen zu Rouen am 31. Mai 1431 ihr reines dem Vaterlande geweihtes Leben geendet hatte und die Kunde von ihrem Tode nach Orleans gedrungen war, ergriff Entsetzen die Bürger; am Jahrestage desselben ließ die Stadt ein feierliches Todtenamt für die Ruhe ihrer Seele halten. Dieser Gottesdienst wurde bis zum Jahre 1439 alljährlich erneuert. Im Jahre 1440 kam Jeannens Mutter, Isabelle Romée (ihr Vater war bald nach ihrer Hinrichtung vor Gram gestorben), nach Orleans, wo sie bis zu ihrem Tode (28. November 1458) verblieb; sie erhielt von der Stadt eine Pension. Jeanne war als Zauberin und Ketzerin verurtheilt worden; im Jahre 1450 richteten daher ihre Mutter und Brüder an den Papst das Gesuch, eine Revision des Processes zu verordnen. Dies geschah; unter den Zeugen, die zur Vertheidigung der Märtyrerin aussagten, war auch Charlotte, die Tochter des Schatzmeisters, Jeannens Bettgenossin, jetzt sechsunddreißig Jahre alt und mit Guillaume Havet verheirathet; 1456 wurde endlich die Rehabilitation der Jungfrau in Rouen und am 28. Juli auch in Orleans verkündet.
Mit der Ehre ihrer Retterin erkannten die Bürger die Ehre ihrer eigenen Stadt gerechtfertigt, und sie beschlossen voll dankbarer Begeisterung der Märtyrerin in ihrer Stadt ein Denkmal zu errichten. Frauen und Jungfrauen von Orleans beraubten sich zur Bestreitung der Kosten all ihrer Kleinodien und Ersparnisse, um das Gedächtniß des verehrten Mädchens zu verherrlichen, und so erhob sich denn im Jahre 1458 auf dem dritten Brückenpfeiler von der Stadt aus auf der linken Seite das erste Monument der Jungfrau. Wir geben eine Abbildung davon. Es war für jene Zeit nichts Geringes, auf einem Sockel vier Personen in fast Lebensgröße in Bronzeguß herzustellen; auch ist dies Denkmal eines der ersten dieser Art in Frankreich. Die Figuren hatten in künstlerischer Hinsicht etwas Steifes, Unbeholfenes, aber der naive Sinn der gläubigen Menschen dieser Epoche begnügte sich mit dem symbolischen Ausdruck. Da die Jungfrau als Gotteslästerin verbrannt worden war, so mußte auch das Denkmal zu Ehren der Rehabilitirten einen religiösen Charakter tragen; in der Mitte ragte das Kreuz mit dem Erlöser empor, bei ihm weint seine Mutter Maria, zu seiner Rechten kniet König Karl der Siebente, zu seiner Linken die Jungfrau.
Aber gerade dieser religiöse Charakter war dem Denkmal im folgenden Jahrhundert gefährlich. Die Hugenotten, die in allen kirchlichen Kunstgebilden nur Götzendienerei sahen, stürzten im October 1567 das Crucifix um und verstümmelten die Figuren, von der Jungfrau blieben nur die Beine, Arme und Hände übrig. Im Jahre 1571 beauftragten die Schöffen von Orleans einen Gießer der Stadt, Hector Lescot, mit der Restauration des Monuments, das jetzt insofern eine Veränderung erlitt, als Maria, am Fuße des Kreuzes sitzend, den Leib ihres Sohnes auf dem Schooße haltend dargestellt wurde. Erst jetzt wurde auf dem Kreuze der Pelikan angebracht, den das mitgetheilte Bild schon auf dem ursprünglichen Denkmal darstellt.
Nach und nach drohte die alte Brücke den Einsturz, so brach man denn 1755 das Denkmal ab und legte es in einem Winkel des Stadthauses nieder. Erst sechszehn Jahre später, 1771, wurde es wieder aufgerichtet, diesmal aber nicht auf der neuen, 1760 vollendeten Brücke, sondern auf einem kleinen Platze der von der Brücke auslaufenden Rue Royale oder Nationale, ungefähr der Kathedrale gegenüber.
Da brach die große Revolution aus, die alle Denkmäler und Sinnbilder der Kirche und des Königthums vom französischen Boden wegfegen wollte. Auch das Denkmal der Jungfrau fiel dem Hasse des Volkes gegen alles Königliche zum Opfer, denn „le monument des Charles VII“ wurde es genannt; umsonst machte der Gemeinderath geltend, daß es „kein Sinnbild der Feudalität, sondern ein Zeichen der Dankbarkeit gegen das höchste Wesen, ein Zeugniß der Tapferkeit der Vorfahren wäre, welche die französische Nation von dem Joche befreit hatten, das die Engländer ihnen auferlegen wollten“; ein Gesetz vom 14. August 1792 hatte vorgeschrieben, daß alle Denkmäler und Inschriften aus Bronze zum Guß von Geschützen verwandt werden sollten, und so mußte auch der Gemeinderath am 21. September verordnen, daß die Figuren des Denkmals der Jungfrau von Orleans in Kanonen umgeschmolzen werden sollten, daß aber, „um das Andenken zu wahren“, eine dieser Kanonen den Namen „Jeanne d’Arc, zubenannt die Jungfrau von Orleans“ tragen sollte. Die Eisenstäbe des Gitters wurden zu Piken umgewandelt.
Im Jahre 1824 hatten die Missionäre, die in Orleans predigten, den Gedanken, eine Subscription zu eröffnen, um das alte Denkmal wieder aufzubauen, er kam aber nicht zur Ausführung.
In dieser Zeit der Umwälzung, wo die Retterin der französischen Nationalität in Frankreich selbst vergessen war, schuf Schiller in Deutschland sein Drama, um das Bild des heiligen Mädchens von dem Schimpfe zu reinigen, den der witzigste Geist Frankreichs, Voltaire, ihm angethan hatte. Nur in Orleans selbst war die Jungfrau nie vergessen, und so beschloß denn der Gemeinderath 1803, das alte Denkmal durch ein neues auf einem öffentlichen Platze der Stadt zu ersetzen. Der General Bonaparte als erster Consul genehmigte das ihm vorgelegte Gesuch, der Kampf zwischen England und Frankreich war ja damals auf’s Neue entbrannt, und der Bildhauer Gois wurde mit der Ausführung beauftragt.
Aber konnte jene Epoche den mittelalterlichen Geist begreifen? Von der religiösen Begeisterung der Jungfrau erkennt man in dem Denkmal, das 1804 im Hintergrunde des Hauptplatzes der Stadt errichtet wurde, keine Spur; auch das Costüm entspricht nicht der geschichtlichen Wahrheit. Die vier Basreliefs des Piedestals sind einfach, doch nicht ohne künstlerischen Werth.
Am getreuesten von allen Künstlern hat eine Prinzessin von Orleans, Maria, Tochter Ludwig Philipp’s, die mit einem Prinzen von Württemberg sich vermählte, das Bild der Jungfrau getroffen, es ist, als ob nur ein weibliches Herz dies weibliche Heldenthum voll religiöser Innigkeit hätte verstehen und wiedergeben können. Das Original dieser Statue in Marmor steht in Versailles, Ludwig Philipp schickte 1841 eine Copie in Bronze an die Stadt Orleans; nach der Restauration des Stadthauses wurde sie hier 1851 zwischen dem Geländer der Ehrentreppe aufgestellt.
Das Werk des Bildhauers Gois genügte zuletzt der geschichtlichen Erkenntniß eines späteren Geschlechtes nicht mehr. Als 1840 die neue effectvolle Straße eröffnet ward, die den vollen Anblick der Façade der Kathedrale gewährt und die den Ehrennamen Jeanne d’Arc erhielt, wurde im Gemeinderath der Wunsch laut, das Gedächtniß der Jungfrau durch ein Denkmal geehrt zu sehen, das der Dankbarkeit der Bürgerschaft einen würdigen Ausdruck leihe.
Der Bildhauer Foyatier erbot sich 1845 dasselbe auszuführen, aber sein Modell ward zu einfach befunden; nicht zu Fuß, sondern zu Pferd sollte die Befreierin dargestellt werden. Demgemäß wurde auch ein Beschluß gefaßt; da aber die Kosten die Mittel der Stadt überstiegen und „in Erwägung, daß ein solches [291] Denkmal zugleich ein städtisches und ein nationales ist“, schlug man vor, die nöthige Summe durch eine Nationalsubsciption zu beschaffen.
Die Regierung gab ihre Genehmigung, der Kriegsminister gab die Bronze zum Guß der Statue, wobei die Hälfte von Kanonen herrührte, die den Engländern abgenommen worden waren. Die Kosten des Piedestals und der Basreliefs wurden durch eine Lotterie bestritten. Auf diese Weise erhielt die Reiterstatue, die von Foyatier ausgeführt wurde, gewissermaßen auch den Ausdruck des nationalen Dankes; sie stellt die Jungfrau dar, wie sie nach dem Siege die Augen gen Himmel erhebt, um Gott zu dauken.
Man hat die zehn Basreliefs mit Kupferstichen verglichen, es soll diese Kritik ein Tadel sein; sie machen indessen auf den Beschauer einen tieferen Eindruck als die Statue, und verdienen, statt photographirt, wirklich in Kupfer gestochen zu werden.
Die Einweihung dieses letzten Denkmals der Jungfrau von Orleans fand am 8. Mai 1855 statt und war, besonders durch den Festzug in der malerischen Tracht der Zeit, von großartiger Wirkung. An diesem Tage hielt der Bischof Dupanloup die Festrede, er hatte sich gewiß vorher an der Gluth des anticlericalen Historikers Michelet begeistert, aber seine Rede war nur um so ergreifender, erschütternder; als er nach der Schilderung der Siegeslaufbahn nach einer Pause die vier Worte sprach: „Nous sommes à Rouen“ („Wir sind zu Rouen!“), da durchlief ein eisiger Schauer die ganze Versammlung.
Eines Denkmals müssen wir noch gedenken, eines Vermächtnisses desselben Bischofs; auf seine Veranlassung wird das Leben der Jungfrau in der Kathedrale in Glasmalereien dargestellt.
Neben den Denkmälern aus Stein und Erz hat die Jungfrau ein lebendes Denkmal in der Gedächtnißfeier, die alljährlich am 7. und 8. Mai in Orleans abgehalten wird. Die Feier des 7. hat einen halb militärischen Charakter und versinnbildlicht die Erstürmung des Forts der Tourelles. Zu Mittag wird das Fest eingeläutet. Abends sechs Uhr schmettern kriegerische Fanfaren vom Thurme des ehemaligen Stadthauses herab, um acht Uhr wird auf dem alten Kampfplatze ein Feuerwerk abgebrannt, alle Glocken läuten, und aus der Caserne auf dem linken Loire-Ufer, in die das 1429 von den Engländern befestigte Augustinerkloster umgewandelt ist, zieht ein kriegerischer Zug mit Fackeln über die Brücke vor die Kathedrale. Hier wartet der Bischof mit seinem Clerus, um ihn die Banner der Heiligen der Stadt und die der heiligen Katharina und Margarethe, deren Stimme einst Jeanne in ihrer frommen Begeisterung vernahm. Dann tritt der Maire mit dem Stadtrath aus dem nahen Stadthause und überreicht dem Bischof das Banner der Jungfrau, das die Nacht in der Kirche zubringen soll. Darauf Segensspruch des Bischofs, Erleuchtung der Kathedrale (Schiff und Thürme) durch bengalische Flammen, Musikfanfaren, Volksjauchzen; es ist eine erhebende Feier.
Am anderen Tage findet die religiöse Feier in der Kathedrale statt, wobei ein Priester, meist Bischof, von hervorragendem Rednertalent die Lobrede auf die Jungfrau hält; darauf folgt die feierliche Procession zum Kreuze auf dem Platze, wo Jeanne ihr Blut vergossen und den Sieg errungen hat.
Ausgenommen die Zeit der Religionskriege im sechszehnten Jahrhundert ist dieses Fest seit 1430 ununterbrochen gefeiert worden, erst 1793 wurde es, zum Schmerz der Stadt, aufgehoben, und im Jahre 1803 genehmigte der erste Consul auf Gesuch des Gemeinderathes die Wiederherstellung. Ursprünglich indessen war die Feier nicht sowohl zu Ehren der Jungfrau, als überhaupt zur Erinnerung an die Befreiung der Stadt eingesetzt worden. Eine Bulle des Cardinals d’Estouteville vom 9. Juni 1452, sowie die Hirtenbriefe der Bischöfe von 1453 und 1474 schrieben das Verdienst der Befreiung nächst Gott nicht der Jungfrau, sondern den Schutzheiligen der Stadt, den Bischöfen Euvert und Aignan zu.
Erst im Jahre 1772 sprach eine bischöfliche Verordnung von „der Befreiung der Stadt durch die Vermittlung von Jeanne d’Arc“, 1803 aber gaben Maire und Bischof dem Feste den Namen: „Fest der Befreiung von Orleans durch Jeanne d’Arc.“
Es war herkömmlich in Orleans, daß bei jeder Procession eine Predigt gehalten wurde. Dies war also auch bei dieser Feier der Fall, anfangs nach der Procession, erst später hielt man sie, wie noch jetzt, vor derselben. Man dankte darin Gott für die Rettung. Selbstverständlich mußte man dabei die Jungfrau erwähnen und ihr Lob verkünden. Allmählich wurde dies Lob nun der Hauptgegenstand der Predigt und so gestaltete sich dieselbe zu einer Lobrede auf die Jungfrau, weshalb sie heute „der Panegyrikus auf Jeanne d’Arc“ genannt wird. Sie erscheint stets in Druck, die älteste aufbewahrte stammt aus dem Jahre 1759, mit der von 1760 zusammen gedruckt.
Seit der Revolutionszeit nahm diese Lobrede gewöhnlich einen politischen Charakter an, das Fest selbst erlitt zuweilen ein politisches Gepräge; zum Beispiel nahm nach der Julirevolution 1830 bis 1840 die Geistlichkeit nicht Theil an der Procession, ebenso nicht von 1848 bis 1852, die bürgerlichen und militärischen Behörden hielten allein den feierlichen Umzug ab. So gab mir denn, dem Schreiber dieses, das Studium der Geschichte und des Charakters dieser Feier den Gedanken ein, in meiner noch zu Lebzeiten Dupanloup’s erschienenen Biographie dieses Bischofs der Bürgerschaft von Orleans vorzuschlagen, den Panegyrikus, statt nur von Priestern, auch von Laien (Historikern, Aerzten, Advocaten, Officieren) abwechselnd halten und so das edle Bild der Märtyrerin von den verschiedensten Standpunkten aus beleuchten zu lassen. Der Kaufmann Eugen Fousset in Orleans, radikaler Deputirter und Protestant, sowie der aufgeklärte, freisinnige Maire, Sanglier, nahmen meinen Vorschlag auf und beauftragten den Archivar der Stadt, Herrn Doinel, den von einem Deutschen gefaßten Gedanken zur Ausführung zu bringen. Herr Doinel that dies am 7. Mai 1882 und pries sich glücklich, zuerst in Orleans die „bürgerliche“ Lobrede, le Panégyrique civique, auf Jeanne d’Arc gesprochen zu haben.
Es war ein deutscher Gedanke, der hier zu Ehren der Jungfrau verwirklicht wurde. Hat doch auch ein deutscher Dichter die Retterin Frankreichs verherrlicht, als sie in Frankreich vergessen war! Ist doch seitdem die Jungfrau dem deutschen Volke so theuer geworden, wie außerhalb Orleans nicht überall dem französischen!