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Die Sahara und das Kameel

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Sahara und das Kameel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 301–304
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[301]
Wüsten-Bilder.
I.
Die Sahara und das Kameel.

Hegel nannte das Meer die „Brücke der Völker.“ Die Wüste, der versengte, verbrannte Ocean, gähnt und glüht als deren Kluft. Auf dem lebendigen, wogenden Meere sind die Verbindungsmittel hölzerne und eiserne, todte Mechanismen, auf dem glühenden todten Meere der Wüste ist das „Schiff“ derselben lebendig und der Urquell und die Bedingungen alles Lebens, aller Verbindungen, aller Kultur der Wüstenvölker seit Jahrtausenden. Das Kameel ist nicht nur bildlich „das Schiff der Wüste“, sondern auch wirklich. Es [302] ist noch viel mehr nicht nur das Schiff, sondern auch Wasser und Wind und Dampfmaschine und Schaufelrad dazu. Das Kameel, auf den Universitäten deutscher Länder ein Schimpfwort, trägt unter Völkern, welche die Bewohnerzahl Deutschlands auf mehr als fünfzehn Mal größeren Strecken übertreffen, die süßesten, geachtetsten Namen. Es ist in der Andacht der Wüstenvölker nach dem großen Allah und seinem Propheten die heiligste Größe. „Es ist uns ein Kind geboren!“ rufen der wilde Tuarik und die Ziegen weidende Tibbuserin, wenn eine Kameelmutter ein Junges geworfen. Es ist nicht blos Schiff und Segel auf den glühenden Stein- und Sand-Oceanen, nicht blos das Lebenswasser der „Hügel und Tiefen und Ebenen des Durstes,“ nicht blos Familienmitglied des Wüstenbe- und Anwohners, sondern auch zugleich Pferd und Wagen, Armee, Haus und Hof, Dach und Fach, Factotum unter Menschen, die in ungezählten Millionen über unbewohnbare und bewohnte Strecken und Ausdehnungen von mindestens der doppelten Größe Europa’s, von Timbuctu bis Mecca, von den Kawaramündungen des Golfes von Guinea bis Darfur und dem heiligen Nilthale ziehen. Es ist das Rennthier der Tropen und eins der genialsten Meisterstücke der Natur. Sein geographischer Wirkungskreis geht weit über die Wüste hinaus, aber der eigentliche Schau- und Kampfplatz seines heroischen Lebens ist die Sahara, die wir uns deshalb als Grund und Boden des Bildes näher ansehen müssen.

Die Sahara (von Humboldt aus der Urbezeichnung „das Zaharah“ genannt), die Königin aller Wüsten, breitet sich unter dem Wendekreis des Krebses vom atlantischen Meere über die ganze breite Seite von Nordafrika bis zum Nil und dem lachenden Hügel- und Oasenlande Sudan zwischen 161/2 und 321/2 der Breitengrade über mehr als 118,000 geographische Geviertmeilen aus, übertrifft also Deutschland an Größe beinahe zehn-, und das ganze mittelländische Meer dreimal, ohne sich damit zu begnügen, denn sie dehnt sich hier und da noch verrätherisch in Sandbänken und Untiefen unter dem Wasser hin weit in das Weltmeer aus, und unterhält so noch mit dem, was sie war, Verbindungen. Sie war einst Meeresbett und senkt sich in seinen tiefen Ebenen noch heute unter den Spiegel des lebendigen Meeres, nur hier und da unbedeutend und gegen die Mitte Afrika’s hin, dem Tsadsee, bis zu 1500 Fuß ansteigend.

Die Sahara ist dem Araber im Allgemeinen „Zahara bila ma“ d. h. „der Ocean ohne Wasser.“ Die Sandebenen nennt er Sahel, und mit „Zabarah“ allein bezeichnet er den glühenden, fest gebrannten Steinboden, die entsetzlichste Qual der Karavanen.

Aber es lachen auch Inseln aus diesem ausgebrannten Meere, die bekannten Oasen, welche, wenn sie Glut und Tod, Sand und Gestein so weit überwunden haben, daß sie ganzen Stämmen und ihren Heerden von Schafen, Ziegen, Hühnern u. s. w. hinreichende Nahrung geben, „Wadi“heißen. Man kennt bis jetzt achtzehn solcher vollkommenen Wadi’s und noch sechzehn andere in der Bildung begriffene, die allmälig immer mehr Humus, Feuchtigkeit anziehende Vegetation, und so mit Glut und Tod kämpfend immer mehr Lebensfähigkeit um sich herum bilden und so wirklich einen stillen, mächtigen Heldenkampf der Naturlebenskraft gegen das Meer des Todes darstellen. Wer weiß, wie viele Jahrtausende lang die glühende Sonne einst die Meereswogen der Sahara kochte, um sie zu verdampfen! Wer weiß, wie lange sie jetzt kämpfen muß, um diesen dem Meere abgerungenen Boden mit Leben und blühender Erdrinde zu überziehen! Aber so lange dauert’s nicht, als ersterer Krieg. Die Kultur und Nothwendigkeit kommt der Natur zu Hülfe. Man hat schon natürliche artesische Brunnen unter der heißen Stein- und Sandglut entdeckt und die fünf künstlichen, welche Mehemet Ali in dem libyschen Theile der Sahara und die Franzosen zwischen Biscara und Turgurt graben ließen, werden seitdem durch Natur und Kunst allmälig vermehrt. Kann man aber erst mit Sicherheit auf dem Dampfschiff der Wüste, dem Kameele, von einer Quelle zur andern kommen, wie wir von einem Hotel in’s andere, dann hat auch die Wüste ihre größten Schrecken verloren. Die quellenden Oasen und Wadi’s dehnen sich desto schneller aus, je größer sie werden, und so wird sich einst das Wort des Propheten erfüllen:

„Die Wüste wird jubeln und blühen wie die Rose.“

Jetzt spiegeln sich freilich diese Bilder der Zukunft vorläufig noch in Tantalusqualen schärfenden Truggestalten der Fata Morgana, von dem Araber und Berber „Durst der Gazelle“ genannt. Und wirkliche Höhen der Furcht und des Entsetzens (da bergauf die Hoffnung auf Wasser immer mehr schwindet) bezeichnet er als „Hügel des Durstes“. Für die Felsen der nubischen Wüste hat er blos den Namen „Mut“ (Tod). Wie alle Schrecknisse der Wüste aus dem Mangel an Wasser entspringen, bezeichnet man auch unendlich viel Dinge darin durch das Verhältniß zum Durst, zum Mangel oder der Quelle des Wassers. Nach den Namen für das Kameel klingt dem Sahara-Schiffer nichts so süß als die grüne, lachende, quellende „Wadi.“ Aber wenn er statt einer Wadi plötzlich ein offenes Thal des Todes, einen unbedeckten Kirchhof in unzähligen Gerippen von Menschen und Kameelen vor sich grinzen sieht? Man fand schon solche offene Kirchhöfe von mehr als hundert Skeletten neben einander. Und im Jahre 1805 kam eine ganze Karavane von 1800 Kameelen und 2000 Menschen auf dem Zuge von Tafilet nach Timbuktu vor Durst um. Ueber hundert Meilen dehnten sich die ausgedörrten Skelette aus, die immer dichter wurden und endlich einen entsetzlichen, dichten Schluß mit den ausgetrockneten Mumien und abgemagerten Gebeinen der Tüchtigsten und Tapfersten bildeten. Gegen eine solche Tragödie auf dem Meere ohne Wasser werden selbst die Scenen des Menschenschlachtens auf dem Wassermeere, das eine Zahl aus dem Schiffbruch geretteter Matrosen Wochen lang ohne Wasser auf dem Wasser umhertreibt, welche daher das Blut des Opfers trinken, das vom Loose getroffen ward, werden selbst solche Scenen, deren Wirklichkeit die furchtbarste Fieberphantasie übertrifft, blaß und klein.

Es giebt viele mit Leben bedeckte Oasen in der Wüste, aber noch mehr unbedeckte Kirchhöfe, obgleich die tödtlichen Wogen und Fluthen des Sandes manche solche Leichenfelder einhüllten oder auch Kameele und Reiter lebendig begruben. Aber die ungeheuere Ausdehnung der Wüste ist sich durchaus nicht gleich in ihrem Tode und ihrer Tödtlichkeit. Im Gegentheil leben in ihr die schärfsten Gegensätze von malerischer, quellender Fülle und formloser, dürrer Verdurstung. Sie zerfällt in zwei, durch einen fruchtbaren Gürtel geschiedene Theile, den östlichen oder die libysche Wüste, und den westlichen, der auch im Ganzen und Großen Sahel genannt wird.

Ersterer ist der minder furchtbare, weil er mindestens nicht mit lebendiger Begrabung unter Samum- und Sandfluthen droht. Aber die unendlichen Ausdehnungen des harten, nackten Kalksteins, ohne Erhebung und Senkung auf viele Hunderte von Meilen, wo die armseligste Spur eines Mooses ein Ereigniß ist, von dem man Tage lang spricht, wo man eine „von Sonnenglut lebende Eidechse“, die helläugig über den heißen Estrichboden gleitet, mit dem herzlichsten „Mash - Allah!“ betend begrüßt, und dem binnen Jahren einmal entdeckten, vereinsamt im vereinsamten „Baum des Wassers“ (der Dattelpalme) auszirpenden Vogel selbst von dem mitleidlosen Beduinen eine Hand voll Körner zum Dank für die Herzensfreude seines Tones gestreut wird, diese furchtbaren Schrecken des ewigen Einerlei in rothglühend herab- und rothglühend heraufzitternder Luft, gegen welche man sich dicht in Wolle packt, sind nur im Vergleich zu den Tod und Verderben wälzenden, lebendig begrabenden Sand- und Samumstürmen des „Sahel“ mit einem „Minder“ zu bezeichnen, und dies auch nur für den ausgetrockneten, sehnigen Beduinen und Berber mit einem Herzen von Stein, wie der Boden unter ihm, und mit einer Haut, die durch Gewohnheit gleichsam feuerfest geworden, und vor allen Dingen mit dem – Kameele.

Je näher man in westlicher Richtung dem Sahel kommt, desto kleiner werden die ebenen Kalktafeln. Der Reiter oder die Karavane begrüßt hoch auf dem Rücken seines eiliger zuschreitenden Thieres schon aus der Ferne kleinere, über den Boden verstreute, runde Steinchen. Denn bald kommen nun Klüfte und Ritzen, in welchen verkümmerte Gesträuche sich angstvoll gegen die Sonnenglut verkriechen. Aber auch blendende, heiße Eisflächen sind manchmal ganze Tagereisen lang aus den Klüften hervorgequollen, das aus dem ehemaligen Oceane abgedampfte Seesalz, das in krystallinischer, durchsichtiger Unendlichkeit den Boden bedeckt. Doch endlich werden die Klüfte tiefer und tiefer und plötzlich hört man unsichtbare Quellen süßen Wassers durch die geborstene Erde sickern. Die Quellen werden endlich sichtbar in Grashalmen, Reis- und Durrafeldern, Datteln und Zwergpalmen und lustig umherspringenden Ziegenheerden. Die scheue graziöse Gazelle flieht flink in die Weite, nachdem sie den nahenden Wanderer mit klugen, klaren [303] Augen angestaunt, und Strauße, die seltsamen Schnellläufer der Wüste, durchkreuzen ihren Pfad. Oben schwebt wieder der Adler, und unten im Dickicht der Kluft lauert der Löwe, um des Nachts einer Gazelle am Wasser aufzulauern oder unter Schafen und Ziegen seine Wahl zu treffen, während die im Schlafe gestörten Hühner mit dem Hahne einen Lärm krähen und krächzen, den Niemand weniger vertragen kann, als der sogenannte „Wüstenkönig“, obgleich er sich nie in die eigentliche Wüste verliert, sondern in den Verstecken der Oasen und Wadi’s hübsch häuslich hält.

Der verhältnißmäßig fruchtbare Gürtel, welcher den ungeheuern Continent der Sahara durchzieht, allerdings mit leb-, baum- und wasserlosen Lücken, in denen zwanzig deutsche Fürstenthümer auf einmal verdursten und versengen könnten, aus einem urbaren Thon bestehend, hier und da mit Quellen, Oasen, Menschen, Vieh, Feldern und Dattelwäldern, läuft, so weit man bis jetzt etwas Bestimmteres darüber sagen kann, jenseits Tripolis, des Golfs von Sidra und des ausgedehnten steinigen Tafellandes von 1400 bis 2000 Fuß Höhe, der Hamada, durch das Land Fezzan zwischen den Routen, auf welchen Barth und Vogel das blühende Innere Afrika’s mit dem Auge des Tsadsees erreichten, und gewissermaßen als Grenze zwischen den beiden Hauptvölkern der Wüste, den weidenden, gutmüthigen Tibbu’s und den wilden, räuberischen Tuariks mit einem blühenden Oasenlande auf der Westseite: Air oder Asben mit verschiedenen üppigen Wadi’s, hier voller Löwen und Strauße, dort voller graziösen Giraffen und zahmen Heerden. Dann folgen nach der Richtung der Tsadseestaaten hin wieder kleine Specialwüsten, hin und wieder mit einer schmachtenden Distel im glühenden Boden, einer verdorrten, aber noch duftenden Thymianstaude, einer dornigen Mimosa, halb begraben, halb geschützt durch Sandkegel, die hier im sprühenden Laufe aufgehalten wurden, willkommene Futter für die ausgedörrten, matt schwankenden Kamrele, die oft gierig zuschreitend vor der Labung den Kopf traurig und wehmüthig zur Seite wenden. Das einladende Grün erwies sich als Senna oder Koloquinte, vor denen selbst der ausgetrocknete Gaumen des anspruchlosesten Thieres zurückschreckt. Der große, weite, leichte, flinke Schritt des edlen Thieres wird schwankender und matter. Die Zunge hängt verdorrt, wie geräuchert. Der fette Höker ist zu einem kleinen, schlappen Säckchen ausgezehrt. Es wird niedersinken und mit leisem Stöhnen und wehmüthigem Blick auf den sonst steinernen mitleidenden Herrn verschmachten, wie Tausende vor ihm. Doch nein! Plötzlich erheben sie den niederhängenden Kopf freudig hoch in die Luft. Sie wittern zuerst das Paradies von Central Afrika, die Tsadseeländer. Erst zeigen sich einzelne duftige Gräser. Der todtmüde Schritt des Kameels wird lebendig. Es folgen Gebüsche, vor der Sonne hinter Felsen und Steinblöcke versteckt. Am Horizonte winkt die ätherische Palme auf. Die glühende Luft duftet. Das Wasser und die Wiesen und die Bäume senden den Verschmachtenden kühlende, feuchte Lüftchen entgegen. Endlich, endlich, nach Wochen, nach Monaten, nach fünf bis sechs Monaten der Glut und Oede, des Steines und Sandes quillt und strahlt dicht vor ihnen, wie vom Zauberstabe aus dem Sande geschlagen, die üppigste tropische Pflanzenwelt in ihrem gloriosesten, paradiesischen Glanze. Dazwischen hindurch lacht das leuchtende Auge des Tsadsees, besäet mit den grünen Inseln der schönen, ritterlichen, räuberischen Bidduma’s. Ringsherum nisten weidende Völker und dehnen sich die Reiche stolzer Sultans von Bornu, der Fellatah’s, von Kanem, Bagirmi, Adamaua und wie sie sonst heißen mögen, mit stolzer Streitsucht und lebhafter Betheiligung an der Schifffahrt der Wüste. Ihre Flotten sind Kameele, die in unzähligen Richtungen über tödtliche Strecken hinweg Völker verbinden und so das lebendige Pulsadersystem Afrika’s bilden.

Die Kameel-Handelsflotte Afrika’s karavant auf drei großen Hauptstraßen, an welche sich eine Menge kleinere anzweigen, 1) zwischen Marokko, Tunis und Tripolis und der geheimnißvollen Perle der westlichen Sahara: Timbuktu; 2) zwischen Fezzan (Murzuk) und den Tsadseestaaten, besonders Sudan; 3) zwischen Sudan, Darfur und Egypten. Die erste mit fünf verschiedenen Routen ist die weiteste, großartigste und kühnste, die je menschlicher Heroismus über Erde oder Wasser zog. Sie kämpft jedesmal mit durchschnittlich 2000 Kameelen und entsprechender Zahl von Menschen, etwa ein halbes Jahr lang mit dem Tode des Verdurstens und Ertrinkens in wüthenden, giftsturmgepeitschten Sandwogen. Die Handelsartikel sind besonders Salz und Datteln, deren süße Säfte die brennende Wüste erquicken, sodann Alles, was Egypten, Abyssinien, Syrien, Persien, Arabien, die nordafrikanischen und centralafrikanischen Völker brauchen und zum Austausch bringen. Die genannten Länder liegen als große Inseln auf und an den Wasser-Oceanen Afrika’s und Asiens, und sind durch kein Verbindungsmittel mit einander in Berührung zu bringen, als durch das Kameel. Dieses ist daher nicht nur Träger aller Lasten und Güter des Lebens der Wüstenvölker, sondern auch aller Kultur von den ältesten, vorgeschichtlichen Zeiten bis zu dem neuesten Ausfluge, den Vogel vielleicht jetzt eben unternehmen mag.

„Alles, was ist, ist vernünftig,“ sagt Hegel, obgleich wir mit unserer gelehrten und rohen Unvernunft dies in den wenigsten Fällen einsehen, vor Allem zunächst nicht in dem Ausspruche Hegel’s selbst, da sich nicht so leicht Jemand die Mühe giebt, das scharfe, philosophische „ist“ zu begreifen. Aber wenn ein Beweis überzeugend ist, so findet man ihn in dem Wunderthiere, das den Wüstenbewohnern Flotte, Eisenbahn, Dampfschiff, Omnibus, Haus und Hof, Kleider und Schuh, getreuer Nachbar, melkende Kuh und alles Andere, was wir aus tausend Quellen beziehen, in einem Gusse, in einer einzigen, der großartigsten und genialsten Naturcomposition ist.

Welch’ ein häßliches Thier. Aber lerne es nur kennen. Studire seine Seele von den Sohlen an. Sieh’ diese breiten, sehnigen Knollen und Bälle, versichert gegen Feuersgefahr des Bodens durch hornige Schwielen und durch ihre Spaltung und Breite gegen das Versinken in den Sandmeeren. Diese können sich zu grundlosen Bergen aufthürmen, mit seinen langen, sehnigen, weitausschreitenden Stelzbeinen schreitet es, schwer belastet, eben so leicht über diese Sandwogen, wie über die mit hochgerichtetem Kopfe und herrschendem Auge lange vorher erkannte Gefahr von Rissen und Klüften in dem fest gebrannten Boden von Steingut. Auf diesen Stelzen, Rudern und Schaufelrädern wird ein Körper, ein Schiffsrumpf getrieben, der in einem untern und einem obern Raume sich doppelt gegen Hunger und Durst und Hitze verproviantirt, für den gewöhnlichen Gebrauch in einem ungeheuern, mit einem Wunder von Schwanenmagen wasserreich versehenen Wanste, und für Nothfälle mit einer oder doppelten Speisekammer, dem fetten Höker, von dem besonders die „Respirationsmittel“ geliefert werden. Damit der innere Vorrath nicht zu sehr angegriffen werde, nimmt es beiläufig mit seinem für Tiefe und Höhe elastischem Giraffen- und Straußenhalse, seinem kleinen Kopfe, seinen guttaperchaharten Klappen von Lippen, seiner mit hornigen Schmielen gehärteten Zunge die stacheligsten Disteln und die holzigsten, schuhsohlenartigen Wüstenkräuter mit und zerschrotet und zermalmt sie und wiederkäut sie mit breiten, mächtigen Backzähnen so klein, daß sie jedes Atom Nahrungsstoff herausgeben müssen. Der spitze Keil der Unterlippe schiebt sich mächtig in die kleinste Ritze hinein, in welcher sich ein armseliger Versuch von Kraut und Pflanze gegen die Sonne versteckt, und hebt ihn heraus, wie der Zahnarzt den quälenden Backzahn aus der Kinnlade. Dies geschieht Alles beiläufig. Der große, kräftige, gedrungene Schiffsrumpf von Körper trägt dabei die ganze Familie des Nomaden, seine ganze Wirthschaft und sein Haus und seine Handelsartikel leicht und schnell, kaltblütig in Glut, lammfromm und gutmüthig weiter und immer weiter in die endlose Leere hinein, die Tage, Wochen, Monate lang in immer größere Oeden und Qualen führt, aber den schlanken, klugen, kleinen Kopf des Kameeles nicht in Hoffnungslosigkeit sinken läßt. Es hofft und harrt mit einem Heroismus, einer Ausdauer in die Unendlichkeit glühender Trostlosigkeit hinein, die selbst den ausgedörrten, gefühllosen Sohn der Wüste zur herzlichsten Zärtlichkeit erweicht und seine Andacht von dem großen Allah auf dieses Heldenthier überträgt.

Ein häßliches Thier! Aber blickt einmal in sein treuherziges, kluges Auge. Erleb’ alle Tage durch alle Qualen der Hölle hindurch diesen Heroismus, diese Anspruchslosigkeit, diese Sanftmuth, diese Zärtlichkeit für seine und seines Herrn Familie, wie es jämmerlich klagt und den klugen, kleinen Kopf nach allen Seiten suchend dreht, wenn es seinen Herrn vermißt, wie es sich nach dem Verluste seines Jungen trostlos in die Wüste hineinstürzt, um das Verlorene zu suchen, und dann erschöpft in Schmerz und Entbehrung traurig und treuherzig zu seinem Herrn zurückkehrt, und man wird die alte Poesie des patriarchalischen Lebens, die Bibel, die Sitten und Gebräuche [304] der Wüstenvölker, ihre herrlichen Tugenden und ihre feurig aufwüthenden Leidenschaften in dem Träger und Musterbilde alles dieses Lebens begreifen lernen.

Das Kameel und der Wüstensohn sind alttestamentlich biblisch fromm, sanft, gutmüthig, häuslich, familienzärtlich, geduldige Schafe ihrer Despoten; aber das Kameel und der Wüstensohn sind furchtbar, wenn man ihrer Demuth und Anspruchslosigkeit unter der harten Schale mehr aufbürdet als sie wirklich ertragen können. Das Kameel kreischt und brüllt dann mit großen, glühenden Augen auf, peitscht seinen Peiniger mit den Vorderfüßen nieder und stampft ihn mit seinen großen, hornigen Klauen entzwei, oder es packt ihn mit den zorngeschwollenen Lippen und reißt ihm mit einem Ruck ein Glied seines Leibes aus. Bild des geknechteten, anspruchslosen, der größten Erniedrigung und Bebürdung fähigen Unterthanen, dem man doch am Ende zu viel zumuthet, und der nun die Ketten bricht und in wüthendster Zerstörungswuth Eigenthum und Leben gefährdet und Gewerbe und Handel stört. Freilich kommen solche Kameel-Revolutionen nur äußerst selten vor, denn es kann wirklich beinahe eben so viel vertragen, wie das Kameel auf unsern Universitäten und Bürgerresourcen. Wie es, kniend und seine Last empfangend, genau weiß, wie viel es tragen kann und jeden Zuviel sogleich durch deutliche Pantomimen andeutet, ist auch der Wüstensohn verständig und familienväterlich genug, ihm nicht zuviel zuzumuthen. Der Herr, in Einsamkeit und Gefahren, stets auf seine Familie und sein Kameel verwiesen, ist gegen das Kameel eben so zärtlich, wie gegen Frau und Kind.

Ein treues Bild dieser Familiarität schickte Kretschmer auf die pariser Ausstellung, wo es allgemein bewundert und in illustrirten Blättern verkleinert, allgemein zugänglich gemacht ward. Die Treue und Wahrheit in diesem Bilde veranlaßte auch uns, diese Wüstenbilder damit zu schmücken. Es veranschaulicht die gemüthlichste Situation im Leben des Arabers und Beduinen, sein Mittagsmahl in Sonnenbrüderschaft mit dem Kameele, das auch in der Regel zu allen Leckerbissen zugelassen wird. Es frißt dem Herrn gar delicat und vorsichtig aus der Hand, um ihn mit seinen hornigen Lippen nicht zu verletzen. Was ist es? Nichts Geringeres als Weizenbrot, das man theils mitnimmt, theils unterwegs bäckt. Das reguläre Mittagsbrot des Wüstenreisenden besteht aus Kameelsmilch, vier Mal Datteln, zwei Mal Weizenbrot, Rôtis, Dessert und einer Pfeife Tabak. Brennt diese, ruft er: „Kerri! Kerri! Mein Kind, mein Sohn! Mein Liebchen!“ und das Kameel kniet nieder, der Beduine kauert sich oben in dem Teller des Sattels zusammen und die Reise geht weiter ohne Weg und Steg, ohne Compaß und Richtung. Wenigstens vertraut man sehr häufig dem klugen, die Unendlichkeit der Wüste durch witternden Kameele ganz allein das Steuerruder an, in allen Fällen, wo der Herr selbst weder Rath noch Richtung weiß. Und dieses geniale Factotum und Meisterwerk der Wüste macht dieser Würde durchweg Ehre.

Von dem wirtschaftlichen, Natur-, Völker- und Menschenleben der Wüste in einer folgenden Mittheilung, in der wir besonders den wilden Tuariks einen vorsichtigen, und der braunen, schönen Ziegenhirtin bei den Tibbu’s einen zärtlichen Besuch abstatten werden.