Die Tierzucht (1914)

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Textdaten
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Autor: Simon von Nathusius
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Titel: Die landwirtschaftlichen Wissenschaften / Die Tierzucht
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Zehntes Buch, S. 322–327
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1466]
III. Die Tierzucht
Von Professor Dr. S. von Nathusius †, Halle a. S.


Die Tierzucht hat im allgemeinen Aufschwunge der deutschen Landwirtschaft durchaus mit den übrigen Betriebszweigen Schritt gehalten, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die Entwickelung der neuzeitlichen Wirtschaft in vieler Beziehung nicht nur fördernd, sondern häufig geradezu hindernd für sie gewesen ist. Es darf da nur erinnert werden an die riesige Zunahme des künstlichen Düngemittel-Verbrauchs, sowie des Gründüngungsanbaues, ferner an die Massenerzeugung von wasserhaltigen Futtermitteln (Rübenschnitzel, Rübenblätter, Schlempe), die unzweifelhaft ungünstig auf die Widerstandsfähigkeit des tierischen Körpers wirken.

Die Pferdezucht.

Wenn von diesen und ähnlichen Einflüssen die Pferdezucht am wenigsten berührt werden konnte, so hat sie wieder mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Sie hat sich in ihrer Zuchtrichtung in überwiegendem Maße nach den Bedürfnissen der Landwirtschaft zu richten, da nur die Pferdezucht dauernd erfolgreich arbeiten kann, in der die Zuchtstute voll den Anforderungen der Wirtschaft an ein Arbeitspferd gerecht wird. In den vergangenen 25 Jahren hat nun die Intensivierung unserer Betriebe weitere große Fortschritte gemacht, und damit ist ein stark vermehrter Gebrauch von schweren sog. Schrittpferden eingetreten. Dadurch hat vielfach eine ganz neue Zuchtrichtung einsetzen müssen.

Leider wird die unabänderliche Folgerichtigkeit dieser Entwickelung nicht allgemein anerkannt und noch immer werden Versuche gemacht, die natürliche Entwickelung der Pferdezucht zu beeinflussen und die Edelzucht künstlich zu erhalten. Es ist selbstverständlich, daß es gerade für ein Land wie Deutschland von größter Bedeutung ist, im Interesse der Wehrfähigkeit eine blühende Laufpferdezucht zu erhalten. Daß hierfür bedeutende Mittel aufgebracht werden müssen, ist klar und das einzig wirklich wirksame Mittel liegt auf diesem Gebiete. Ganz besonders müssen die Remontepreise weiter steigen. Denn auf die Dauer ist die Rentabilität der einzig maßgebende Wertmesser eines landwirtschaftlichen Betriebszweiges, auch der Pferdezucht. Man kann wohl eine Schrittpferdezucht in der Landespferdezucht verhindern, eine Laufpferdezucht erhalten kann man aber nur, wenn man sie rentabel macht.

So darf es nicht verwunderlich erscheinen, wenn die Kaltblutzucht mit verschwindenden Ausnahmen in alle Landesteile Deutschlands Eingang gefunden hat und, daß sie mit der weiteren Intensivierung der Landwirtschaft immer weiter sich ausdehnen wird. Man soll die Größe dieser Gefahr für die Remontierung nicht unterschätzen, aber auch nicht ihre Unabwendbarkeit. Sie kann nur durch Aufwendung großer Summen gemildert werden.

In einer Zeit, die das deutsche Volk so opferfreudig sieht, sollte man sich nicht scheuen, für 20 000 Remonten jährlich eine nicht zu unbedeutende Preiserhöhung als selbstverständlich anzusehen. Ein erstklassiges schweres Arbeitspferd kostete vor 25 Jahren [1467] etwa 1500 M., jetzt 2400 M., die Remontepreise sind in derselben Zeit von zirka 700 auf zirka 1100 M. gestiegen.

Aber auch innerhalb der Edelzucht bestehen erhebliche Schwierigkeiten, die Wünsche des züchtenden Landwirts mit denen der Militärverwaltung zu vereinigen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse drängen immer mehr auf ein recht ruhiges, massiges Halbblutpferd, während für Schnelligkeit, Ausdauer und Widerstandsfähigkeit das edlere, leichte Pferd vorzuziehen ist. Auch hier muß schließlich dem Züchter durch hohe Bezahlung der edlen Remonte vergütet werden, was er auf anderem Gebiete nachgibt.

Hohe Anerkennung verdient die starke Förderung der Pferdezucht durch staatliche Hengsthaltung, die ganz besonders für die Edelzucht von allerhöchster Bedeutung ist. Aber auch hier erscheint es nicht ganz unbedenklich, sie gewissermaßen für den Staat zu monopolisieren. Dagegen wird erfreulicherweise für die Schrittpferdezucht die Bedeutung der Privat-Hengsthaltung neuerdings immer mehr in den Vordergrund geschoben. Die begonnene, verständnisvolle Zusammenarbeit von staatlicher und privater Hengsthaltung ist eine besonders erfreuliche und verheißungsvolle Erscheinung der allerneusten Zeit.

Der Rennbetrieb hat einen ganz ungeahnten Aufschwung genommen; leider stehen in gar keinem Verhältnis dazu die Fortschritte in der Vollblutzucht, was zu sehr ernsten Bedenken Veranlassung gibt.

Dagegen ist Traberzucht und Trabrennen ohne staatliche Unterstützung sehr stark vorwärtsgekommen, und in absehbarer Zeit dürften korrekte Traberhengste von guter Form und Leistung auch mehr wie bisher in der Landeszucht Verwendung finden.

Die Reit- und Fahrturniere versprechen bei weiterem sachverständigen Ausbau der Inländerrichtung, einen recht befruchtenden Einfluß auf unsere heimischen Edelzuchten auszuüben.

Die Befürchtungen, die man schließlich für alle Zuchtrichtungen aus der vermehrten Benutzung von Elektrizität, Automobilen usw. glaubt herleiten zu sollen, haben sich vorläufig nur wenig oder gar nicht nachweisen lassen.

Die Rinderzucht.

Land- wie volkswirtschaftlich die größte Bedeutung unter den Tierzuchtzweigen kommt der Rinderzucht zu. Ihre Entwicklung hat eine entschieden einförmige, aber großzügige Entwicklung genommen. Die Freude am Besonderen, speziell am unwesentlichen Besonderen, tritt immer mehr zurück. Zahlreiche Rassen und Räßchen sind verschwunden, und im wesentlichen sind es nur noch einige wenige Typen, die nebeneinander stehen.

In fast beispielloser Weise haben die verschiedenen Kulturformen des schwarzweißen Niederungsrindes sich weiter verbreitet, weil sie einerseits unübertroffen sind in ihrer Anpassungsfähigkeit, andererseits je nach Haltung und Zuchtziel unerreicht in Milchleistung und hervorragend in Fleisch. In vielen Landesteilen trifft man nur vereinzelt noch Enklaven anderen Viehs, die aber naturgemäß auch allmählich verschwinden. Der Fortschritt aber im allgemeinen wird durch diese Vereinheitlichung wesentlich gefördert. Je breiter die Grundlage, um so sicherer und um so [1468] größer ist der Erfolg. Darum sollte auch in Zukunft alle Eigenbrödelei wegfallen, und nur ganz besondere Verhältnisse berechtigen im eigenen wie im allgemeinen Interesse den Einzelnen oder einzelne Gegenden, sich von den Bestrebungen der Landeszucht auszuschließen.

Der Bedeutung der Schwarzbunten im Norden entsprechen annähernd die Gelbbunten sog. Simmentaler im Süden. Leider hat man sich aber verleiten lassen, dieses äußerst formvollendete und in mehrfacher Beziehung auch leistungsfähige, dabei sehr anspruchsvolle Vieh in verhältnismäßig ärmliche Gegenden zu bringen, um es hier zur Umzüchtung vorhandener Bestände oder zur Reinzucht zu benutzen. Dadurch sind z. B. die in ihrer Art sehr wertvollen mitteldeutschen roten Gebirgsschläge z. T. ganz verschwunden, z. T. in ihrem Bestehen arg gefährdet. Erfreulicherweise haben sich die Leitungen der noch vorhandenen Zuchten und Zuchtreste auf gemeinsamen Boden gestellt, und so ist zu hoffen, daß es gelingen wird, manches wieder zu retten.

Übrigens scheinen sich die Anzeichen dafür zu mehren, daß man auch sonst in der Versimmentalerung zu weit gegangen ist und man sollte, wo dies der Fall ist, lieber einlenken, als den Fehler durch Hartnäckigkeit zu vergrößern.

Wenn auch die Vielseitigkeit in der Leistung, die ungefähr gleichmäßig in Milch, Fleisch und Zucht angenommen wird, dem Simmentaler viele Freunde verschafft hat, so erscheint es doch erwägenswert, ob nicht etwas mehr Spezialisierung je nach den Verhältnissen am Platze wäre.

Daß alle, auch die nicht genannten Rassen, an Güte ganz bedeutend gewonnen haben, möge kurz betont werden. Mit verschwindenden Ausnahmen dürften das Gewicht, die Frühreife und die Milchleistung erheblich zugenommen haben und weitere Fortschritte angebahnt sein.

Die Schweinezucht.

In der Schweinezucht darf neben der geradezu ungeheuren Vermehrung noch mit besonderer Genugtuung darauf hingewiesen werden, daß Deutschland sich züchterisch völlig unabhängig vom Auslande gemacht hat. Ja noch mehr, die deutsche Schweinezucht darf ohne Überhebung für sich in Anspruch nehmen, die englische übertroffen zu haben.

Wenn auch das deutsche Edelschwein auf die englischen Yorkshires und ähnliche zurückgeht, so hat es sich jetzt zu einem besonderen Typ herausgebildet, der sich ausdrücklich frei von allen in die Überbildung hinüberreichenden Übertreibungen frei hält, dabei aber alle gerechten Ansprüche an Leistung bezüglich Frühreife und Mastfähigkeit erfüllt.

Die Verwendung ausländischer Rassen darf als notwendig nicht mehr hingestellt werden, so nützlich sich ja auch in Einzelfällen, besonders das Berkshire, noch macht.

Daß die alten Naturrassen der Landschweine allmählich immer mehr der Kultur weichen mußten, ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Andererseits gibt es noch immer Gegenden, wobei besonders an rauhe Gebirgslagen und ähnliche gedacht wird, in denen die Produktionsbedingungen unverändert geblieben sind, und in denen es deshalb grundfalsch sein würde, die unveredelten Schweine veredeln zu wollen.

[1469] Aber sonst hat eben die breite, sehr verschiedene Veredelungsgrade umfassende Menge der veredelten Landschweine eine ungeahnte Bedeutung gewonnen. Wenn auch noch eine ganze Reihe von besonderen Schlägen unterschieden werden, so ist doch eine sehr ausgesprochene Annäherung in Form und Leistung nicht zu verkennen und, schon jetzt könnte man unschwer innerhalb eines Schlages größere Verschiedenheiten feststellen, als zwischen ausgewählten Zuchten verschiedener Schläge oder Zuchtbezirke bestehen. Eine immer allgemeinere und selbstverständlichere Anerkennung der Bestrebungen, vielleicht sogar durch Zusammenfassung in einen großen Verband, dürfte erstrebenswert sein.

Wo sehr günstige wirtschaftliche Verhältnisse höchste Ansprüche an Frühreife und Mastfähigkeit zu befriedigen imstande sind, ist das Edelschwein unübertroffen.

Im ganzen darf die Schweinezucht in der Hauptsache das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, wenn es der deutschen Landwirtschaft trotz enorm gestiegenen Fleischverzehrs neben der riesigen Bevölkerungszunahme gelungen ist, bis auf einen kleinen Rest die Versorgung des deutschen Volkes mit Fleisch auszuführen.

Die Schafzucht.

Eine sehr ungünstige Entwicklung zeigt, übrigens in Übereinstimmung mit manchen anderen Staaten mit intensiver Landwirtschaft, die Schafzucht. Neben den allgemein anerkannten Gründen hierfür (überseeische Wollkonkurrenz und steigende Betriebsintensität der deutschen Landwirtschaft) muß noch die bis in die Jetztzeit reichende Überschätzung der Wolle weiter Kreise hierfür verantwortlich gemacht werden. Das von dem weitblickendsten Vorkämpfer für neuzeitliche Schafzucht vor Jahrzehnten geprägte Wort: „Der Hammel ist der Prüfstein der Schäferei“, muß die allgemeine Losung werden. Die Tage des goldnen Vließes sind vorüber.

Die ausgesprochenen Wollschafzuchten sind großenteils verschwunden oder sind, mehr oder weniger entschieden, in Fleischschafzuchten verwandelt. Leider scheinen auch die Tage der verschiedenen deutschen Landschafe gezählt zu sein; hoffentlich haben die jüngsten Bestrebungen, sie wenigstens hier und dort durch zweckmäßige Veredelung und Umzüchtung zu erhalten, einigen Erfolg. In Frankreich, wo man weniger übertrieben die Reinzucht schätzt wie bei uns, ist es ausgezeichnet gelungen.

Volkswirtschaftlich, d. h. für die Volksernährung braucht glücklicherweise der arge Rückgang der deutschen Schafzucht nicht als sehr bedeutsam angesehen werden. Beträgt doch der Verzehr an Schaffleisch pro Kopf und Jahr nur 1,1 kg oder 2,2 % des gesamten Fleischverbrauchs.

Die Ziegenzucht.

Die Ziegenzucht hat gerade in den hinter uns liegenden 25 Jahren endlich etwas allgemeinere Beachtung gefunden. Weit über die Aufgaben sonstiger Tierzucht hinaus greift die Zucht der „Kuh des kleinen Mannes“ ins soziale Gebiet hinüber und ist besonders warm zu fördern. Erfreulicherweise kommen neuerdings unsere deutschen Rassen mehr zur Geltung, nachdem es sich gezeigt, daß die anspruchsvollere, allerdings auch leistungsfähigere Schweizer Saanenziege nicht überall anpassungsfähig war.

[1470] Gerade in der Ziegenzucht kann die zur Besserung unbedingt notwendige Kleinarbeit nur unter Ausbau des genossenschaftlichen Gedankens mit genügendem Nachdruck einsetzen.

Vereinswesen.−Ausstellungswesen. Körwesen.

Einen, heut noch gar nicht zu übersehenden Fortschritt dürfte die immer mehr verbreitete Leistungsprüfung speziell in der Landesrinderzucht in Form der aus Dänemark übernommenen sog. Kontrollvereine angebahnt haben. Eine durchschnittliche Vermehrung des Milchertrages um nur 100 l im Jahr bedeutet bei 10 Millionen Milchkühen in Deutschland und einem Wert von 10 Pf. pro Liter eine Mehreinnahme von 100 Mill. Mark. Dieses Mehr zu vervielfachen, darf durchaus nicht als Utopie angesehen werden.

Die Gefahren einer einseitigen Leistungszucht sind so oft besprochen und werden so allgemein anerkannt, daß sie nicht zu fürchten sind. Eine verständige Berücksichtigung der Form, sowie vermehrter Weidebetrieb lassen alle Bedenken zurücktreten. Deshalb ist das Kontrollvereinswesen mit allen Mitteln zu fördern.

Das Vereinswesen ist in den letzten 25 Jahren auch auf unserm Gebiet in ganz wunderbarer Weise ausgebaut, und doch darf man auch hier, wenn man das große Ganze im Auge hat, erst von bescheidenen Anfängen reden. Nach unten eine immer stärkere Verzweigung zur Förderung der ebenso schwierigen wie wichtigen züchterischen Kleinarbeit, nach oben eine immer großzügigere Zusammenfassung, um auch hier die lächerliche Kirchturmpolitik zurückzudrängen, das sind Aufgaben, die sich gebieterisch jedem Weiterblickenden aufdrängen müssen und die reichen Lohn in Aussicht stellen.

Auch der Aufschwung des Ausstellungswesens dürfte erst der Beginn dazu sein, es immer mehr zu vertiefen und mit neuzeitlichen Fragen zu durchsetzen. So scheint es mir selbstverständlich, daß man mit der Vervollkommnung und Verallgemeinerung des Herdbuchwesens und der Leistungsprüfungen auch deren Ergebnisse neben der reinen Formbeurteilung zur Bewertung heranzieht, und zwar sollte dies in sehr viel schnellerem Tempo geschehen, wie bisher. Die Schwierigkeiten zu überwinden, wird erst die Erfahrung lehren. Ebenso dürfte es an der Zeit sein, auf Grund der zuverlässigen Nachweise im Stammbuch mehr wie bisher Abstammung und eigene Zuchtleistung der Ausstellungstiere bei der Beurteilung zu bewerten.

Das Herdbuchwesen nimmt von Jahr zu Jahr zu, wird aber leider vielfach noch immer zu engherzig gehandhabt. Das Herd- oder Stamm- oder Stutbuch soll kein Verzeichnis von Elitetieren sein, sondern ein Nachschlagebuch für die Landeszucht.

Ebenso ist zu betonen, daß das gerade in den letzten 25 Jahren so stark ausgebaute Körwesen mit großer Vorsicht gehandhabt werden muß. Keineswegs darf durch die Körung die Zucht bezüglich der Menge beeinträchtigt werden und ebensowenig soll durch zu harte Bevormundung die freudige Mitarbeit der Züchter leiden.

Die Tierzucht-Wissenschaft.

Endlich darf nicht unerwähnt bleiben die Arbeit der Tierzucht-Wissenschaft. Je länger um so mehr stellt sich die Notwendigkeit vermehrter Gelegenheit zu praktischer Forschungstätigkeit [1471] heraus, wie sie Julius Kühn mit seinem weiten Blick schon vor vielen Jahrzehnten als notwendig erkannt und im Haustiergarten an der Universität in Halle eingerichtet hatte. Gerade solche Arbeitsstätten sind der gewiesene Ort, wissenschaftlich zu forschen und, von Jahr zu Jahr zeigt es sich mehr, daß diese Arbeit an landwirtschaftlichen Nutztieren nicht entbehrt werden kann. Für gewisse theoretische Grundlagen mag Kaninchen und Maus genügen, als Ergänzung aber muß unbedingt die unmittelbare Nutztierzucht hinzukommen.

Unser Wissen über Entwickelung und ihre Beeinflussung durch verschiedene Fütterung ist noch sehr bescheiden, obwohl es neben der Zuchtwahl die eigentliche Grundlage erfolgreicher Tierzucht bilden muß. Die in den letzten Jahren in Halle in dieser Richtung begonnenen Versuche, dürfen schon jetzt als bahnbrechend angesehen werden.

In die Vererbungslehre hat die Neuentdeckung der Mendelschen Regeln ungeahntes Licht gebracht, obwohl gerade in der Tierzucht große Schwierigkeiten bestehen, ähnlichen Nutzen daraus zu ziehen, wie in der Pflanzenzucht.

Sehr fruchtbar ist die neuzeitliche Stammbaumforschung geworden, die von Chapeaurouge in Hamburg mit unendlicher Mühe aufgenommen ist und uns eine wirkliche Klärung über den Wert planvoller Verwandtschaftszucht in Aussicht stellt.

Der Zukunft ist es vorbehalten, die Widersprüche zu lösen, die zwischen den vorläufigen Ergebnissen dieser verschiedenen Zweige der Tierzuchtlehre zu bestehen scheinen. Mögen die Vertreter der Tierzuchtwissenschaft sich aber immer bewußt sein, daß sie Erfahrungswissenschaft treiben, und daß für sie der Stall wichtiger ist wie das Tintenfaß. Lassen wir uns nicht durch die Einbildung irremachen, daß wahre Wissenschaft nur in dumpfer Stubenluft gedeiht.