Ackerbau (1914)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Paul Holdefleiß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die landwirtschaftlichen Wissenschaften / Ackerbau
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Zehntes Buch, S. 310–321
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[1454]
II. Ackerbau
Von Prof. Dr. P. Holdefleiß, Halle a. S.


Pflanzenzüchtung.

Das eigentlich Produzierende im Ackerbau sind die Kulturpflanzen, die als lebende Organismen unter dem Einflusse der Sonnenenergie gewisse Stoffe der Luft und des Bodens verarbeiten. Es ist einleuchtend, daß die Leistungsfähigkeit der lebenden Organismen wie auf so vielen anderen Gebieten auch hier verschieden sein kann. Die Auswahl der leistungsfähigeren Individuen, die Isolierung dieser von weniger leistungsfähigeren und dadurch die Heranzucht von besseren Stämmen und Sorten ist die Aufgabe der eigentlichen Züchtung bekanntlich stets gewesen. Während aber eine solche sich bei den Haustieren schon seit längerer Zeit entwickelt hatte, hat eine eigentliche Züchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen erst viel später begonnen. Wenn diese neuzeitliche Pflanzenzüchtung nun auch in ihren frühesten Anfängen, speziell in Anknüpfung an den französischen Züchter Vilmorin und an die Züchtung der Klein-Wanzlebener Zuckerrübe, bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht, so kann man doch sagen, daß erst die letzten 25 Jahre eine stürmische und in den Erfolgen glänzende Entwicklung gebracht haben. Vorher war die Zahl der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchter verhältnismäßig gering gewesen. Rimpau-Schlanstedt hatte zwar vorher durch seine wissenschaftlichen und auch praktisch züchterischen Arbeiten wichtige Vorfragen bearbeitet, und ebenso hatten auch Beseler, Steiger, Bestehorn, Richter u. a. beachtenswerte praktische Erfolge erzielt. Gegen Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts trat aber dann vor allem v. Lochow-Petkus mit seiner Roggenzüchtung in die Öffentlichkeit, durch deren damals glänzenden Erfolg die Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf die Notwendigkeit der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung gelenkt wurde. Seitdem ist nun bis heute die Zahl der Originalzüchter, die an der Schaffung ertragreicherer Sorten unserer Kulturpflanzen arbeiten, ungeheuer angewachsen, so daß man erst seitdem die Entstehung eines neuen landwirtschaftlichen Berufszweiges, nämlich der Pflanzenzüchtung, konstatieren kann. Wenn auch die starke Beteiligung an der Pflanzenzüchtung dazu geführt hat. daß die Zahl der Sorten immer mehr zunimmt und die Übersicht und Auswahl immer schwieriger wird, so ist es doch als Gewinn anzusehen, daß durch die große Zahl der Mitarbeiter der gegenseitige Wettbewerb und die Anspannung aller Kräfte gesteigert, und damit das Gesamtresultat und der stetige Fortschritt gefördert, nicht etwa gehemmt wird. Natürlich führt [1455] das Streben so vieler Mitarbeiter, sich gegenseitig zu überbieten, zu gelegentlichen nicht zu billigenden Auswüchsen, vor allem in der Art, daß hoch gezüchtete fremde Sorten zum Ausgangspunkte weiterer züchterischer Arbeit genommen werden, und nach kurzer Zeit und ohne wertvolle Veränderung unter einem neuen Namen auf den Markt gebracht werden. Daß damit die berechtigten Interessen der Züchter, die vorher an der betreffenden Sorte gearbeitet hatten, und denen allein die Verbesserung derselben als Verdienst anzurechnen ist, nicht geschädigt werden, wird jedoch ebenfalls durch eine neuere Errungenschaft der letzten hier behandelten Entwicklungsperiode nach Möglichkeit verhütet.

Öffentliche Saatenanerkennungen.

Dies geschieht durch die neuen Einrichtungen der sogen. Saaten- und Zuchtanerkennungen, wie sie zuerst von der „Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft“ eingerichtet und im Anschluß daran von anderen landwirtschaftlichen Fachorganisationen und Landwirtschaftskammern in ähnlicher Weise übernommen wurden. Es wird hierbei die möglichste Sicherung dagegen erstrebt, daß nicht unter einem anerkannten Namen etwas Falsches und Geringwertiges oder unter einem neuen Namen etwas Altes, an dem bereits ein anderer Züchter ein Recht hat, in die Öffentlichkeit gebracht wird. Diese sogenannte Anerkennung von Leistungen auf pflanzenzüchterischem Gebiete wird in verschiedenen Abstufungen ausgeübt, sowohl für die einfache Erzeugung von Saatgut, die nicht mit wesentlich züchterischer Arbeit verbunden ist, als auch bei den eigentlichen Originalzuchten, bei denen neue selbständige Sorten erstrebt werden, wie auch endlich bei ganzen Saatzuchtwirtschaften, in denen der ganze Wirtschaftsbetrieb geprüft wird, um nach Möglichkeit sowohl den Käufer der fertigen Zuchtprodukte, wie auch die auf ähnlichen Gebieten arbeitenden Züchter in ihren berechtigten Interessen zu schützen. Man kann diese Organisation der neuzeitlichen Saaten- und Zuchtanerkennung als den Regulator in der stürmischen und ungeregelten Entwicklung der pflanzenzüchterischen Arbeiten ansehen, ohne den die überaus starke Beteiligung an diesen Arbeiten zu Übelständen führen könnte.

Anbauversuche.

Als weitere Folge des starken Interesses, das die landwirtschaftliche Pflanzenzüchtung in immer zunehmendem Maße in der Landwirtschaft gefunden hat, ist aber die Tatsache anzusehen, daß man auch in gewöhnlichen landwirtschaftlichen Betrieben, in denen keine eigentliche Pflanzenzüchtung getrieben wird, auf die Beschaffenheit des Saatgutes mehr achtet als früher. Dies ist besonders dadurch noch gesteigert worden, daß sich aus den zahlreichen Sortenprüfungen und Anbauversuchen ergab, daß durch Verwendung verbesserter Sorten und besser vorbereiteten Saatgutes die Felderträge beträchtlich gesteigert werden konnten, ohne daß im Verhältnis dazu die Unkosten in gleichem Maße zunahmen. Wenn auch natürlich die Verwendung besseren und höher gezüchteten Saatgutes etwas teurer ist als die von gewöhnlicher Saat, und wenn auch die höheren Ernteerträge etwas mehr Werbungs- und Bergungskosten verursachen, so ist doch die Ertragssteigerung bei wirklich wertvollem Saatgute noch beträchtlicher [1456] und gewährt einen darüber hinausgehenden Gewinn, sowohl privatwirtschaftlich für den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb selbst, als auch allgemein volkswirtschaftlich für die Steigerung der gesamten Produktion des Landes zur Beschaffung von Nahrungsmitteln für die zunehmende Bevölkerung. Auch die Ausbildung und weitere Vervollkommnung dieser Anbauversuche, also des sogen. landwirtschaftlichen Versuchswesens, ist ein hervorragendes Verdienst der letzten hier behandelten wirtschaftlichen Entwicklungsperiode.

Grundsätze der Pflanzenzüchtung: Stammeszüchtung.

Bei der eigentlichen Arbeit an der Verbesserung der vorhandenen Sorten unserer Kulturpflanzen sind nun auch in den letzten 25 Jahren Fortschritte erzielt worden, die eine fundamentale Änderung der Anschauungen und Methoden darstellen. Man kann den Unterschied dahin charakterisieren, daß etwa bis zum Beginn dieser letzten Periode bei der Pflanzenzüchtung das Verhalten des einzelnen Individuums ins Auge gefaßt wurde, jetzt dagegen ganze Bestände, Verwandtschaften, Familien oder Stämme. Der frühere Standpunkt in der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung ähnelte dem des gärtnerischen Züchters, derart, daß das Ideal in der Erzielung einzelner hervorragender Pflanzen bestand. Während nun im Gartenbau, namentlich bei den Zierpflanzen, die Erzielung hervorragender Einzelpflanzen schon der gestellten Aufgabe genügte, ist in der Landwirtschaft das Ziel insofern ein anderes, als hier der Ertrag ganzer Bestände, also der Ackerfläche im ganzen, allein entscheidend ist. Bei den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen ist der Fall durchaus nicht selten, daß eine Sorte mit hervorragenden Einzelpflanzen, auf die Flächeneinheit berechnet, durch ungleichmäßigen Bestand einen geringeren Ertrag gibt als eine andere Sorte, bei der zwar das beste Individuum hinter den besten der ersten zurücksteht, aber der ganze Bestand geschlossen und ertragreich ist. Die Gesamtleistung auf der Flächeneinheit ist durchaus nicht immer mit der hervorragenden Ausbildung einzelner Pflanzen verbunden, sondern in erster Linie mit der Gleichmäßigkeit und Geschlossenheit des ganzen Bestandes. Es kommt eben auch hier nur auf wirkliche Leistung an, weniger auf eine ideale Schönheit der Einzelpflanze, ähnlich wie sich ja auch bekanntlich die Tierzucht von der Überschätzung des „schönsten“ Viehes zu der Bevorzugung des leistungsfähigsten durchgekämpft hat. Bei den Pflanzen ist in dieser Beziehung gegebenenfalls ein sehr gutes Individuum zu verwerfen, wenn es eine schlechtere Verwandtschaft hat und ein etwas geringeres zu bevorzugen, wenn dessen Verwandtschaft besser ist. Dabei ist natürlich das unerläßliche Erfordernis, diese Verwandtschaft oder die Familie ständig zu prüfen, was wiederum durch Anbauversuche geschieht, die danach ein unerläßliches Hilfsmittel der modernen Pflanzenzüchtung sind. Die Folge der Berücksichtigung ganzer Bestände neben der Auswahl von Individuen ist nun aber gleichzeitig die Prüfung auf die Sicherheit der Vererbung und damit eine Garantie für die spätere Verwendung der gezüchteten Sorten, die auch in den folgenden Jahren nach Möglichkeit die Vorzüge der Elitepflanzen zeigen sollen. Bei so gezüchteten Sorten ist die Sicherheit im Saatguthandel beträchtlich größer, wodurch die Leistungsfähigkeit des [1457] Ackerbaues überhaupt zugenommen hat. Auch die Reinheit und Ausgeglichenheit der Sorten und der angebauten Bestände hat dadurch beträchtlich gewonnen. Diese wertvolle Erweiterung der pflanzenzüchterischen Grundsätze, die einen Übergang von der Individual- zur Familienprüfung darstellt, ist wohl am längsten in Anwendung gewesen bei der Züchtung der Klein-Wanzlebener Zuckerrübe. Mit besonderem Nachdrucke ist sie aber vor allem durch von Lochow-Petkus in der Öffentlichkeit betont worden und bei der Züchtung seines Roggens zur praktischen Anwendung gelangt. Sie ist aber jetzt in der gesamten landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung anerkannt und stellt eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten hier behandelten Entwicklungsperiode der deutschen Landwirtschaft dar.

Formentrennung.

Diese hat ferner noch in einer anderen Hinsicht einen Fortschritt in den pflanzenzüchterischen Grundsätzen gebracht in bezug auf größere Klarheit über die Vorbedingungen der züchterischen Arbeit. Während früher von England aus, zunächst besonders in der Tierzucht, das Wort gebraucht war, daß die Organismen, also Pflanzen oder Tiere, in der Hand des Züchters „wie Wachs“ wären, das nach Belieben geformt werden könnte, entweder mit Hilfe des Auftretens kleiner, aber häufiger Variationen oder zwar seltenerer, aber großer sogen. Mutationen, hat man in der neueren Zeit immer mehr einsehen gelernt, daß die in der kurzen Zeit, die der menschlichen Beobachtung zur Verfügung steht, wirklich auftretenden Veränderungen an den Organismen viel seltener sind, als man früher glaubte. Man hat vielmehr gefunden, daß bei der Bildung der wichtigsten neueren Züchtungen weniger das Auftreten einer Variation die Ursache war, als vielmehr das glückliche Auffinden einer wertvollen Form innerhalb eines ganzen Bestandes oder – nach Johannsen – in einer Population, die nach der richtigen Erkennung ihrer Vorzüge von den übrigen geringwertigen isoliert und in reiner Linie weitergebaut wurde. Man hat anzunehmen, daß in den gewöhnlichen Mischbeständen, die auf unseren Feldern vorhanden sind, meistens verschieden wertvolle, zum Teil auch in ihren Anlagen geradezu phänomenale Individuen vorhanden sind, daß diese aber, wenn sie nur in einer geringen Zahl unter anderen stehen, ihre Vorzüge nicht zur Geltung bringen und nicht erkannt werden können. Die Auswahl und isolierte Weitervermehrung der schon längst in Mischbeständen vorhandenen guten Pflanzen ist danach zunächst die wichtigste Aufgabe des landwirtschaftlichen Pflanzenzüchters, die als sogen. Formentrennung in Anwendung ist. Gelingt es mit dieser, einen guten Stamm aufzufinden und weiter fortzupflanzen, so führt dies in kürzerer Zeit zu einem praktischen Erfolge der Züchtung als der Versuch, mit Hilfe von Variationen Vorzüge allmählich zu steigern oder Fehler zu vermindern. Zugleich ist aber auch die Wahrscheinlichkeit einer sicheren Vererbung bei den Ergebnissen der Formentrennung größer als bei denen der Variation, da ja bei der ersteren auf schon lange Zeit bestehenden Eigenschaften der Individuen aufgebaut wird, während bei der letzteren der erste Fortschritt gerade auf dem Auftreten von Abänderungen beruht, also auf der Neigung der Pflanzen, zu variieren. Ist daher mit Hilfe einer Variation ein Fortschritt [1458] erzielt worden, so kommt als weitere Aufgabe in Betracht, diesen konstant zu machen und die Neigung, neue Variationen zu bilden, zu beseitigen, während das mit Hilfe der Formentrennung Erzielte sofort in hohem Maße konstant ist. Man hat gelegentlich gemeint, daß sogar bei diesen Ergebnissen eine weitere züchterische Arbeit überflüssig wäre, wenn man nur die Fortpflanzung in reiner Linie weiter verfolgte. Bei den Arbeiten in der Praxis muß man jedoch berücksichtigen, daß vielerlei Fremdbeimischungen trotz aller Vorsicht vorkommen können, sowohl durch Übertragung von fremdem Saatgute als auch durch die zufällige Fremdbestäubung mit Blütenstaub anderer Sorten. Zum Zwecke der Kontrolle in bezug auf Reinheit und Echtheit ist daher die weitere züchterische Bearbeitung der durch Formentrennung erhaltenen Sorten unentbehrlich. Speziell in der deutschen Pflanzenzüchtung hat sich diese letztere Anschauung erhalten und sichert in besonderem Maße die Konstanz und Gleichmäßigkeit der durch die Züchtung erreichten Vorzüge.

Kreuzung.

Auch über den Wert der Kreuzung hat die neuere Zeit weitere Aufklärung gebracht, besonders insofern, als man sie in den meisten Fällen nur als letzten Notbehelf ansehen kann, wenn die anderen züchterischen Methoden für irgendeinen Zweck versagen. Es liegt in der Kreuzung, wie es sich namentlich durch die Arbeiten des Verstorbenen Cimbal in Frömsdorf ergeben hat, die Möglichkeit, wenn auch keine absolut sichere, zwei sonst schwer zu vereinigende Eigenschaften wenigstens annähernd in dem gleichen Individuum zu verbinden. Solche Aufgaben liegen z. B. vor bei der Zuckerrübenzüchtung in der Vereinigung von Massenertrag und Zuckergehalt, wie auch besonders beim Winterweizen in der Verbindung von hoher Ertragfähigkeit und Strohfestigkeit mit guter Winterfestigkeit. Bei diesen beiden Problemen hat die Kreuzung zwar auch keinen ganz vollkommenen Erfolg gebracht, aber speziell bei den Cimbalschen Weizenkreuzungen wenigstens einen annähernden, der bereits einen wertvollen Fortschritt bedeutet. Im übrigen gilt für die Kreuzung das oben für die Variationen Gesagte in noch höherem Maße, indem nach Ausführung einer Kreuzung die Konstanz noch stärker erschüttert und viel Mühe dazu notwendig ist, um die Neigung, Abänderungen zu bilden, wieder zurückzudrängen. Zugleich haben aber auch die neueren Kenntnisse auf dem Gebiete der Vererbungslehre, die namentlich seit der Wiederentdeckung der Mendelschen Vererbungsregeln im Jahre 1900 in überraschender Weise erweitert sind, gezeigt, daß die durch Kreuzungen erzielte Vereinigung von Merkmalen keine dauernde ist, sondern daß immer wieder das Streben auftritt, die Merkmale in ihrer ursprünglichen Form wiederherzustellen. Es ist aus den Fortschritten der Vererbungskunde überhaupt hervorgegangen, daß das Veränderliche nicht die einzelnen Eigenschaften sind, sondern vielmehr nur die Kombinationen, die sie zu zweien oder mehreren bilden können, und diese Kombinationen zeigen ständig die Neigung, wieder auseinander zu fallen. – Man sieht danach, daß die Pflanzenzüchtung sowohl in ihrem praktischen Bestreben wie auch in ihren wissenschaftlichen Unterlagen gewaltige Fortschritte gerade in der letzten Zeit gemacht hat, und es ist durch Schaffung leistungsfähigerer Sorten die wichtigste Vorbedingung für die Steigerung der gesamten Ernteerträge gegeben.

[1459]

Düngung.

Die hohe Schätzung der Pflanzenzüchtung ist in gewissem Grade erst ein Produkt der neueren Zeit. Man sah lange die Hauptbedingung für das Zustandekommen genügender Felderträge in einer richtigen Bodenbearbeitung, wie auch in einer richtigen Düngung und richtigen Fruchtfolge. So wenig die Bedeutung dieser Faktoren bei der landwirtschaftlichen Produktion irgendwie verkleinert werden darf, so ist es doch als eine außerordentlich wichtige Ergänzung anzusehen, daß man als weitere gleichwertige Bedingung eine genügende Leistungsfähigkeit der Pflanzen bezw. der Sorten hinzugenommen hat. Ebensowenig wie das beste Futter durch ein mangelhaft gezüchtetes Tier voll verwertet wird, so bedeutet es auch eine wirtschaftliche Verschwendung, wenn man die besten Kulturmaßnahmen auf dem Acker durch mangelhaft befähigte Pflanzen auszunutzen sucht. Daneben ist das Streben, auch auf dem Gebiete der Ackerkultur, speziell dem der Düngung, immer weitere Fortschritte zu erzielen, unbedingt notwendig und nicht im geringsten weniger wichtig. In bezug auf die Düngung hat nun auch die letzte 25jährige wirtschaftliche Entwicklungsperiode entscheidende Fortschritte gebracht. Vor allem sind in dieser Zeit neue Düngemittel zu den alten hinzugekommen, die für die Volkswirtschaft des ganzen Reiches sowohl wie auch für den Betrieb der Landwirtschaft selbst von ungeheurer Bedeutung geworden sind.

Thomasschlacke.

In dieser Beziehung muß vor allem auf die Thomasschlacke und auf die kalihaltigen Abraumsalze hingewiesen werden. Während man vor der hier behandelten Wirtschaftsperiode als Phosphorsäuredünger neben den nicht sehr großen Mengen verschiedener Guanosorten und des Knochenmehls nur vorwiegend das Superphosphat mit „aufgeschlossener in Wasser löslicher“ Phosphorsäure zur Verfügung hatte, dessen Menge durch die Verwendung mineralischer Phosphate größer geworden war, entdeckte man ungefähr in der Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in der als lästigen Rückstand bei der Stahlgewinnung erhaltenen sogenannten Thomasschlacke ein wertvolles phosphorsäurehaltiges Düngemittel. Man fand, daß es bei möglichst feiner Pulverung auf vielen Bodenarten, speziell auf Sand- und Moorboden, das Phosphorsäurebedürfnis der Pflanzen in ausgezeichneter Weise befriedigte, ebenso wie auf besserem Boden das Superphosphat. Man kann sagen, daß die landwirtschaftliche Kultur des leichteren Bodens und der Moor-und Torfflächen durch die Einbeziehung der gemahlenen Thomasschlacke in den Kreis der Düngemittel erst in dem Umfange ermöglicht wurde, wie es in der neueren Zeit erreicht ist. Es ist hier zugleich die volkswirtschaftlich interessierende Tatsache zu konstatieren, daß ein zunächst als lästig angesehenes Abfallprodukt eines Industriezweiges durch die überraschende Entdeckung seiner wertvollen Eigenschaften zu einem wichtigen, man kann fast sagen, Hauptprodukte geworden ist. Die Rentabilität der Stahlgewinnung nach dem Thomasverfahren wird jedenfalls in weitgehendem Maße durch die gute Verwertung der Thomasschlacke als Nebenprodukt beeinflußt. Die Mengen, die davon in der Landwirtschaft verwendet werden, sind immer mehr gestiegen und übertreffen jetzt die des Superphosphats bei weitem.

[1460]

Kalisalze.

Das andere neu hinzugekommene Düngemittel liefern, wie schon erwähnt, die Abraumsalze der Salzbergwerke. Auch diese wurden bei der Gewinnung des Steinsalzes als eine lästige Deckschicht angesehen, die erst mühsam durchbrochen und beseitigt werden mußte, ehe man zu dem zunächst allein wertvollen Kochsalz in den Bergwerken kam. Auch hier hat sich das Bild durch die Entdeckung des Düngerwertes vollständig verschoben. Als man einsah, daß ebenfalls für leichtere, wie auch für stark humose oder moorige Böden erst eine genügende Düngung mit Kali die volle landwirtschaftliche Ertragsfähigkeit hervorrufen konnte, ergab sich der hohe Wert dieser Abraumsalze. Die Erkenntnis ihrer Bedeutung ist allmählich in immer weitere landwirtschaftliche Kreise und in neue Länder gedrungen und hat damit zu einer Anwendung der Kalisalze in der Landwirtschaft geführt, die an wirtschaftlicher Bedeutung die Gewinnung des Kochsalzes bei weitem überragt. Man kann jetzt sagen, daß die Gewinnung des letzteren in den meisten Salzbergwerken fast nur noch eine nebensächliche Aufgabe ist, während die Gewinnung der früher lästigen Kalisalze zum Hauptbetriebszweige geworden ist. Als man nun nach voller Aufklärung über den Wert der Kalisalze das Aufsuchen derselben immer gründlicher betrieb, zeigte sich die ungeheuer wichtige Tatsache, daß größere ausbeutungsfähige Lager von Kali ganz allein in Norddeutschland zu finden sind. Die Grenzen umfassen ungefähr das ganze Gebiet und reichen nur in Lothringen und Holland wenig über dieses hinaus, sind aber im übrigen sowohl von der Ostsee- bis fast zur Mainlinie und vom Westen bis zum Osten zu finden. Diese Kalisalze stellen daher ein einzigartiges Gut des norddeutschen Gebietes dar, in dessen Lieferung kein anderes Wirtschaftsgebiet der Erde konkurrieren kann. Unabhängig von dieser Tatsache ist aber zuerst in Norddeutschland der landwirtschaftliche Wert des Kalis als Düngemittel erkannt und wissenschaftlich begründet worden, und man muß gerade in bezug auf das Kali vom landwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte aus die letzte hier behandelte Entwicklungsperiode des Wirtschaftslebens als hervorragend bedeutsam bezeichnen.

Stickstoff: Ammoniak.

Auch auf dem Gebiete der Stickstoffdüngung hat die neuere Zeit einige Fortschritte erzielt, zunächst in der Hinsicht, daß man erkannt hat, wie bei allen sogenannten trockenen Destillationen, z. B. bei der Herstellung von Koks und Holzkohle, beträchtliche Mengen von Stickstoff in Form von Ammoniak gasförmig entweichen. Bei der Herstellung von Leuchtgas unter Gewinnung von Koks als Nebenprodukt aus Steinkohle hat man zwar auch früher, wenn auch in geringerem Maße, das Ammoniak durch Schwefelsäure aufgefangen und das Produkt, das schwefelsaure Ammoniak, als Düngemittel verwendet. Diese Gewinnung ist aber in der neueren Zeit beträchtlich gestiegen, und es ist jetzt das Streben als berechtigt und unbedingt notwendig erkannt, nach Möglichkeit so gut wie keine Verbrennung oder Destillation vor sich gehen zu lassen, bei der nicht der Stickstoff als schwefelsaures Ammoniak gewonnen wird. Da in allen unseren für gewöhnlich verwendeten Verbrennungs-, und Heizstoffen, speziell in allen Kohlen- und Holzarten, beträchtliche Mengen Stickstoff enthalten sind, so ist auch [1461] die jetzt noch unverwertet an den zahlreichen Heizstellen in die Luft gehende Stickstoffmenge eine ganz ungeheure. Der gerade als Dünger so teuer bewertete Stickstoff bringt überdies bei der Verbrennung selbst nicht den geringsten Nutzen, da er nicht zur Erhöhung des Heizwertes, sondern im Gegenteil als unverbrennbar zur Verminderung desselben beiträgt. Die Gewinnung des ganzen bei allen Verbrennungen freiwerdenden Stickstoffs ist daher noch eine Aufgabe für die Zukunft, die volkswirtschaftlich von außerordentlich hoher Bedeutung ist. Auf dem Wege zu diesem Ziel befinden sich aber immerhin bereits die Fabriken, die schwefelsaures Ammoniak gewinnen, in klarer Erkenntnis der Wichtigkeit dieses wirtschaftlichen Problems.

Chilisalpeter.

In der Wertschätzung des anderen bisher wichtigsten Stickstoffdüngemittels, des Chilisalpeters, hat sich in der letzten Wirtschaftsperiode nur wenig Änderung gezeigt; höchstens hat man noch mehr den Wert dieses Düngemittels erkannt. Als tröstlicher Befund ist dabei für die neuere Zeit zu konstatieren, daß die Salpeterlager in Chile noch groß sind und für lange Zeit auszureichen scheinen.

Atmosphärischer Stickstoff.

Weiterhin hat man aber auf dem Gebiete der Stickstoffdüngemittel noch einen epochemachenden Fortschritt erzielt durch Erfindung verschiedener Methoden, die gestatten, den elementaren Stickstoff unserer irdischen Atmosphäre in wirtschaftlich brauchbarer Weise in chemische Verbindungen zu bringen, die als Düngemittel dienen können. Zunächst gelang in dieser Art die Herstellung des Kalkstickstoffs, und dann mit einer kleinen Änderung des Verfahrens die des Stickstoffkalkes, und endlich die Darstellung eines Kalksalpeters, ebenfalls aus dem atmosphärischen Stickstoff. Die Brauchbarkeit dieser Produkte im Ackerbau hat sich seitdem erwiesen, allerdings mit den kleinen Einschränkungen, daß Kalkstickstoff und Stickstoffkalk als Kopfdüngung oder auch in der Zeit der Bestellung nicht ganz unbedenklich namentlich für junge Pflanzen wirken. Dieser Mangel ist aber zu vermeiden, wenn man diese Düngemittel einige Zeit vor der Bestellung in den Acker bringt, so daß sie nicht unmittelbar mit den keimenden Saatkörnern oder mit den jungen Pflanzen in Berührung kommen. Beim Kalksalpeter andererseits ist noch als praktischer Mangel anzusehen eine gewisse Ungleichmäßigkeit in der Zusammensetzung, die den geschäftlichen Verkehr bei ihm nicht unwesentlich erschwert. Im übrigen ist aber die Wirkungsweise im Verhältnis zum Stickstoffgehalte dieser Düngemittel als genügend aufgeklärt zu betrachten. Was bei der Gewinnung dieser Stoffe aber am wichtigsten ist, bezieht sich auf den Umfang, der bei der Produktion dieser Stoffe zu erwarten ist. Wichtig ist hierbei, daß bei der Herstellung sehr starke und auf eine Stelle konzentrierte Energie angewandt werden muß, die entweder durch Aufwendung beträchtlicher Heizstoffe in Fabriken oder durch Verwendung von Wasserkräften zu gewinnen ist. Da man immerhin mit einem möglichsten Haushalten an dem Kohlenvorrate des Landes und der Erde rechnen muß, und auch der Preis der Heizstoffe zunimmt, so schien sich in den natürlichen Wasserkräften eine wertvolle [1462] Energiequelle als Ersatz darzubieten. Allerdings hat man in der Beurteilung derselben bei näherer Prüfung immer bescheidener werden müssen, da die Wasserkräfte aus einem größeren Gebiete nur schwer wirtschaftlich zu vereinigen sind, und da die einzelnen Stellen, wo bei großen Wasserfällen viel Energie konzentriert ist, nicht so häufig sind, als man ursprünglich glaubte. Speziell in Norddeutschland sind die hierin zur Verfügung stehenden Energiequellen im Verhältnis zum Bedarf des gesamten wirtschaftlichen Lebens verschwindend. In weniger dicht bevölkerten Ländern, z. B. in Norwegen und Finnland, sind allerdings noch größere derartige Energiequellen vorhanden, aber auch in der neueren Zeit meistens nicht mehr frei zur Verfügung, da bald nach der Erkennung ihres Wertes die wirtschaftliche Erschließung für andere Zwecke mit Beschlag belegt wurde. Immerhin ist die Möglichkeit, den elementaren Stickstoff aus der Luft zur Herstellung von Düngemitteln zu gewinnen, vorhanden und damit die ungeheure Quelle für Stickstoff in der Atmosphäre erschlossen.

Stalldung.

Unter den Düngemitteln nimmt der Stallmist auch in unserer letzten Wirtschaftsperiode noch eine wichtige Stellung ein. Wenn man auch eine Zeitlang an seinem Werte für die Düngung der Felder zweifelte, so hat er sich doch nach kurzer Zeit wieder als unersetzlich erwiesen. Speziell beim Anbau der Hackfrüchte, auch besonders beim Rübensamenbau, kann man den Stallmist zur Erzielung sicherer Erträge als nicht entbehrlich bezeichnen, und auch bei den übrigen Feldfrüchten, speziell beim Getreide, ist sein Wert unvermindert erwiesen. Diese Tatsache ist für die Landwirtschaft um so bedeutsamer, als der Wert des Stallmistes als Dünger für die Rentabilitätsfrage der Nutzviehhaltung meistens von entscheidender Bedeutung ist. Würde der in der Viehhaltung erzeugte Dünger als wertlos anzusehen sein, so würde diese wesentlich erschwert und die Erzeugung ihrer Produkte stark verteuert werden. Über den Wert des Stallmistes nach vorübergehenden Zweifeln wieder volle Aufklärung gebracht zu haben, ist aber ebenfalls eine Errungenschaft der hier behandelten Wirtschaftsperiode.

Gründüngung.

Ferner ist auch die Frage der sogen. Gründüngung in der neueren Zeit weiter gefördert worden. Ihre ersten Anfänge liegen ja, wenn man von ihrer Anwendung bei den Römern absieht, bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, haben aber doch erst seit den achtziger Jahren, und namentlich seit der Verwendung der Thomasschlacke und des Kalis als Dünger eine starke Entwicklung erlangt. Mit ihrer Hilfe ist es erst gelungen, den leichten, namentlich den Sandboden, zu einer hohen Kultur zu bringen, indem sie die Möglichkeit gewährt, mit Hilfe der Leguminosen, also durch lebende Organismen, ebenfalls den elementaren Stickstoff der Atmosphäre nutzbar zu machen. Der Fortschritt, den die neuere Zeit brachte, war aber der, daß man auch auf besserem Boden diese Stickstoffgewinnung aus der Luft mit Hilfe der Leguminosen zum Zwecke der Gründüngung versuchte. Durch den Anbau von Ackerbohnen, Erbsen und Wicken, wie vor allem durch den von Gelbklee, kann man auch auf besserem Boden zwischen den Hauptfrüchten, [1463] also durch Zwischenfruchtbau, die Gründüngung durchführen. Der wesentliche Unterschied ist nur der, daß auf leichtem Boden für diese Zwecke vorwiegend die Lupine in Frage kommt, deren Verwendung als Futter in grünem, nicht ausgereiftem Zustande, wie er beim Zwischenfruchtbau nur zu erreichen, so gut wie ausgeschlossen ist, während auf besserem Boden statt der Lupine nur solche Leguminosen in Frage kommen, bei denen in grünem Zustande auch eine Verfütterung an das Vieh nicht nur möglich, sondern sogar vorteilhaft ist. Bei diesen Pflanzen tritt also mit der Verwendung als Gründüngung die zu Futterzwecken in Konkurrenz. In sehr vielen, vielleicht in den meisten Fällen kommt man dann bei richtiger Rechnung zu dem Ergebnisse, daß die Verwendung dieser auf dem besseren Boden gebauten Leguminosen zur Fütterung des Viehes und also für die so wichtige Erzeugung tierischer Produkte wirtschaftlich wertvoller ist, so daß hier die Gründüngung nicht eine ganz so hohe Bedeutung hat wie auf dem leichteren Boden.

Ackerbewässerung.

Noch einen weiteren Fortschritt im Ackerbau hat die hier behandelte Periode, allerdings erst in den letzten Jahren, dadurch gebracht, daß man der Frage der künstlichen Ackerbewässerung intensiver nahegetreten ist und namentlich versucht hat, sie auch in größerem Maßstabe verwendbar zu machen. Das Ziel muß dabei sein, daß, ähnlich wie beim Gartenbau, die Pflanzen in der Vegetationsperiode möglichst niemals Mangel an Feuchtigkeit leiden. Wenn z. B. ein Sommer auch im ganzen genügend Niederschläge bringt, aber doch vielleicht eine kurze Trockenperiode enthält, so ist ein niedrigerer Ertrag bei den Feldfrüchten zu erwarten, als wenn auch diese dürre Zeit durch Bewässerung unwirksam gemacht werden konnte. Nur in der Möglichkeit, die Feldfrüchte ohne jede Unterbrechung sich entwickeln zu lassen, liegt der entscheidende Grund für die Brauchbarkeit der künstlichen Bewässerung auch in unseren deutschen Gebieten, also in dem immerhin mit mäßigen Niederschlagsmengen versehenen Teile Europas. Während in den eigentlichen ariden oder dürren Gebieten, wie sie sich in Nord-Amerika, Nord-Afrika, Australien u. a. finden, ohne Bewässerung überhaupt keine Erträge zu gewinnen sind und daher derartige Anlagen durch ihre gute Verwertung sich in hohem Maße lohnen, fällt bei unseren deutschen Gebieten ins Gewicht, daß auch ohne Bewässerung bereits eine leidliche Sicherheit der Erträge vorhanden ist, daß also diese nur noch um gewisse Prozente gesteigert werden können. Daß allerdings diese Steigerung sehr beträchtlich sein kann, haben die neueren Versuche mit der künstlichen Ackerbewässerung, wie sie vor allem in dem Kaiser-Wilhelm-Institut in Bromberg ausgeführt wurden, gezeigt. Wenn die weiteren Versuche auf diesem Gebiete ähnlich hohe Erträge bringen, so kann man sagen, daß, nachdem in früheren Perioden die Einführung einer rationellen künstlichen Düngung und später die Verwendung leistungsfähigerer Pflanzensorten die bedeutsamsten Epochen in der Entwicklung der deutschen Landwirtschaft darstellten, diese mit der erfolgreichen Einführung einer künstlichen Ackerbewässerung in eine weitere neue Epoche eintreten würde. Wie es bisher aber bereits zu einem hohen Prozentsatze der deutschen Landwirtschaft gelungen ist, die wachsende Bevölkerung zu ernähren, so würde [1464] bei weiterer Zunahme dieser letzteren mit Hilfe der künstlichen Ackerbewässerung die Ernährungsfrage noch bis in weit in der Zukunft liegende Zeiten gesichert sein. Auch diese neueste Errungenschaft der deutschen Landwirtschaft ist auf die Wirtschaftsperiode der ersten 25 Regierungsjahre unseres Kaisers zurückzuführen.

Wir sehen, daß auf dem Gebiete des Ackerbaues, das hier behandelt werden sollte, die bisherige Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. die Quelle glänzender Fortschritte gewesen ist. Diese sind entscheidende Wendepunkte für die wichtige Aufgabe der Landwirtschaft, die wachsende Bevölkerung des Deutschen Reiches zu ernähren, und sind geeignet, sowohl die Menge der Produkte zu steigern, als auch durch die möglichste Erhaltung der privatwirtschaftlichen Rentabilität die Produktion für die Zukunft zu sichern. Diese Erfolge waren nur möglich durch das unermüdliche Streben unseres Kaisers, den Frieden zu erhalten, die Wissenschaften, also auch die Landwirtschaftswissenschaft zu fördern und auch neben den übrigen Berufsarten der Landwirtschaft sein Interesse zuzuwenden, sowohl in allgemein staatlicher Beziehung, als auch durch vielfache direkte Anregungen, die sich ihm aus der eigenen praktischen Betätigung in der Landwirtschaft ergeben haben. Vor allen Dingen freuen wir uns, in Deutschland einen Herrscher zu haben, der selbst auch in der grünen Praxis der Landwirtschaft disponiert und teilnimmt am Wohl und Wehe der Landwirtschaft.




Deutschlands Versorgung mit Brotgetreide.

Was die Getreideversorgung betrifft, so sind bei den zur Verfügung stehenden Zahlen erst die Angaben seit dem Jahre 1893 genügend vergleichsfähig, da seitdem die jetzt verwendete Erhebungsmethode im Gebrauch ist. Die Erzeugung an Roggen, Weizen und Spelz, also die Versorgung der Bevölkerung mit Brotgetreide läßt sich danach in umstehender Weise darstellen, wobei aber nicht das erste Jahr der neuen Erhebungsmethode 1893/94, das ausnahmsweise stark durch Trockenheit beeinflußt war, als Anfang genommen werden soll, sondern das als durchschnittlich normal anzusehende Produktionsjahr 1894/95, also das Erntejahr 1895.

[1465]

Tabelle über die Versorgung Deutschlands mit Brotgetreide. 1894−1911.
Ernte-
jahr
Durchschnittlicher
Ertrag vom ha in dz
Gesamterntemenge
in Tonnen
Ungefähre Aussaatmenge
in Tonnen
Von der eigenen
Produktion ohne Aussaat
für den Verbrauch zur
Verfügung stehend in Tonnen
Wirklich verbraucht für
menschliche und tierische Ernährung
und gewerbliche Zwecke
unter Einrechnung von
Mahlprodukten in Tonnen
Unterschied der eigenen
Produktion (±) vom
Gesamtverbrauch
Dasselbe in Prozenten
Roggen Weizen Roggen Weizen
(+ Spelz.)
Roggen Weizen
(+ Spelz.)
Roggen Weizen
(+ Spelz.)
Roggen Weizen
(+ Spelz.)
Roggen Weizen
(+ Spelz.)
Roggen Weizen
(+ Spelz.)
1894 13,4 16,9 8 343 033 3 875 991 900 000 400 000 7 443 033 3 475 991 7 905 343 4 644 014 − 462 310 − 1 168 023 − 6,2 − 33,6
1895 13,2 16,4 7 724 902 3 642 580 900 000 400 000 6 824 902 3 242 580 7 550 069 4 712 620 − 725 167 − 1 470 040 − 10,6 − 45,3
1896 14,3 17,7 8 543 037 3 845 167 900 000 400 000 7 634 037 3 445 167 8 276 444 4 799 248 − 642 407 − 1 354 081 − 8,4 − 39,3
1897 13,7 17,0 8 170 511 3 725 755 900 000 400 000 7 270 511 3 325 755 7 746 466 4 354 993 − 475 955 − 1 029 238 − 6,5 − 309
1898 15,2 18,4 9 032 175 4 121 761 900 000 400 000 8 132 175 3 721 161 8 454 077 5 145 581 − 321 902 − 1 424 420 − 4,0 − 38,3
1899 14,8 19,1 8 675 792 4 323 542 900 000 400 000 7 775 792 3 923 542 8 027 163 4 980 239 − 251 371 − 1 056 697 − 3,2 − 26,9
1900 14,4 18,7 8 550 659 4 307 512 900 000 400 000 7 650 659 3 907 512 8 323 426 5 133 083 − 672 767 − 1 225 571 − 8,8 − 31,4
1901 14,0 15,8 8 162 660 2 931 041 900 000 400 000 7 262 660 2 531 041 7 889 066 4 868 665 − 626 406 − 2 337 624 − 8,6 − 92,4
1902 15,4 20,4 9 494 150 4 383 571 900 000 400 000 8 594 150 3 983 517 9 211 687 5 823 453 − 617 537 − 1 839 936 − 7,2 − 46,2
1903 16,5 19,7 9 904 493 4 003 046 900 000 400 000 9 004 493 3 603 046 9 126 462 5 494 617 − 121 969 − 1 891 571 − 1,4 − 52,5
1904 16,5 19,8 10 060 762 4 258 655 900 000 400 000 9 160 762 3 858 655 8 791 969 5 587 156 + 368 793 − 1 728 501 + 4,0 − 44,8
1905 15,6 19,2 9 606 827 4 186 940 900 000 400 000 8 706 827 3 786 940 9 041 831 6 052 277 − 335 004 − 2 265 337 − 3,8 − 59,8
1906 15,8 20,3 9 625 738 4 398 517 900 000 400 000 8 725 738 3 998 517 8 844 040 5 815 236 − 118 302 − 1 816 719 − 1,4 − 45,4
1907 16,1 19,9 9 757 859 3 937 414 900 000 400 000 8 857 859 3 537 414 8 902 180 5 674 155 − 44 321 − 2 136 741 − 0,5 − 60,4
1908 17,5 20,0 10 736 874 4 211 965 900 000 400 000 9 836 874 3 811 965 8 961 665 5 300 319 + 875 209 − 1 488 354 + 8,9 − 39,0
1909 18,5 20,5 11 348 415 4 254 111 900 000 400 000 10 448 415 3 854 111 9 780 012 6 001 292 + 668 403 − 2 147 181 + 6,4 − 55,7
1910 17,0 19,9 10 511 160 4 249 410 900 000 400 000 9 611 160 3 849 410 9 048 938 5 688 605 + 562 222 − 1 839 195 + 5,8 − 47,8
1911 17,7 20,6 10 866 116 4 469 064 900 000 400 000 9 966 116 4 069 064 9 209 753 5 759 151 + 756 363 − 1 690 087 + 7,6 − 41,5
1894/1902 14,3 17,8 68 587 919 31 566 266 73 383 741 44 461 896 − 4 795 822 − 12 905 630 − 7,0 − 40,9
100 144 185 117 845 637 − 17 701 452 − 17,7
1903/1911 16,8 20,0 84 318 244 34 369 122 81 706 850 51 372 808 + 2 611 394 − 17 003 686 + 3,1 − 49,5
118 687 366 133 079 658 − 14 392 292 − 12,1