Die letzte Theatersaison
Unsere Bühne hat gegenwärtig keine Glanzepoche: Operetten, Schwänke, die von Tag zu Tag lebenden dramatischen Erzeugnisse überwiegen; man erstaunt, wenn man die Chronik der letzten Saison durchblättert, über diese Masse staubaufwirbelnder Nichtigkeiten. Gleichwohl zeigt unser Theater doch öfters noch ein festtägliches Ansehen, nicht bloß bei der häufigen Aufführung klassischer Dramen und nichtklassischer Stärke von poetischem Werth, die sich auf den Repertoires eingebürgert haben; nein, auch die begabten Dramatiker der Gegenwart schaffen rüstig weiter, und es gelingt ihnen bisweilen ein glücklicher Wurf.
Einer der unermüdlichsten ist Paul Heyse, der mit einer Dichtung, welcher es an schärferen dramatischen Accenten, aber nicht an einem Hauch poetischer Weihe fehlt, an mehreren Bühnen, besonders auch am Berliner Hoftheater, einen schönen Erfolg errungen hat. Diese Dichtung, „Die Weisheit Salomos“, bringt [570] zwei biblische Frauengestalten auf die Bühne: Sulamith, die Braut des Hohen Liedes, und die Königin von Saba. Für eine dramatische Handlung giebt die biblische Ueberlieferung keinen Anhaltspunkt, hier mußte die freie Erfindung des Dichters ergänzend eintreten. Die Königin von Saba liebt den wegen seiner Weisheit hochgerühmten König von Israel mit heißer Leidenschaftlichkeit; aber dieser empfindet für das Gärtnermädchen Sulamith eine glühende Neigung, die jedoch nicht den König, sondern einen armen Hirten liebt. Der letztere begeht ein Attentat gegen den Herrscher, wird zum Tode verurtheilt und kann nur dadurch gerettet werden, daß Sulamith den Wünschen des Königs Gehör schenkt. Doch schon festlich als Braut geschmückt, bebt sie in dem entscheidenden Augenblick vor solchem Opfer zurück und eilt in die Arme des Geliebten, um vereint mit ihm den Tod zu erleiden. Salomo aber bezwingt sich selbst und verzichtet auf diese Liebe, er begnadigt den Verbrecher. Das eben ist seine Weisheit.
Die Königin von Saba kann da diesem Verlaufe der Handlung keine dramatisch entscheidende Rolle spielen. Sie ist von Eifersucht entbrannt und sucht Sulamith zu entführen. Doch ihr Plan mißlingt, und so bewegt sie sich nur in leidenschaftlichen Ergüssen, denen jeder dramatische Abschluß fehlt, denn der Verzicht Salomos kommt ihr nicht zu statten. Seine Gleichgültigkeit gegen die hohe Dame mit der Phönixfeder hält von Anfang bis zum Ende Stich, und nachdem sie Salomo genügend „interviewt“, kehrt sie wieder in ihr Goldland zurück. Das altbiblische Kolorit ist überhaupt an dem Stücke verwischt; an seine Stelle sind moderne Empfindungen und Zustände gesetzt, denn die Eifersucht gegenüber einem König, der tausend Frauen besitzt, dürfte wenig am Orte sein. Doch man kann die Dichter nicht tadeln, welche die kulturgeschichtliche Wahrheit opfern, um nicht der berechtigten Wirkung auf ihre Zeitgenossen verlustig zu gehen.
Wenn in diesem Stücke das Seelengemälde über die energisch fortschreitende Handlung überwiegt, so haben wir in unserer Litteratur klassische Vorbilder, denen man das Gleiche nachsagen muß und welche doch ihre Bedeutung behaupten. An dichterischem Reize fehlt es ja auch dem Heyseschen Schauspiel nicht. In den Scenen des Gartenidylls herrscht Anmuth und Lieblichkeit, die Weisheit des Königs spricht sich oft mit einer salbungsvollen Milde aus, viele Sentenzen haben ein anmuthendes Gepräge, eine edle künstlerische Fassung, das Ganze ist in eine sanfte Beleuchtung gerückt, welche die Sympathien der Zuschauer zu wecken und festzuhalten vermag.
Ganz im Gegensatze zu Paul Heyse hat Ernst von Wildenbruch etwas dramatisch Markiges in seinen Schöpfungen, und gerade die leidenschaftlichen Scenen, in denen Heyses Muse sich nicht recht heimisch fühlt, sind die Domäne, in welcher Wildenbruch vorzugsweise zu Hause ist. Sein Schauspiel „Der Fürst von Verona“ ist am Berliner Hoftheater gegeben worden, sonst aber im Lauf der vorletzten und letzten Saison nur über wenig Bühnen gegangen. Es hat im Stoffe eine gewisse Aehnlichkeit mit „Romeo und Julie“; es stellt eine Liebe dar, die sich in der Mitte wilder Parteikämpfe entfaltet. Wie dort die Montecchi und Capuletti, so befehden sich hier die Guelfen und Ghibellinen. Selvaggia, des guelfischen Grafen San Bonifazio Tochter, träumt von einer Versöhnung der Parteien; ihre Stiefmutter aber will ihre Hand einem der erbittertsten und wildesten Guelfen Scaramello, geben. Die Tochter jedoch wendet ihr Herz dem neuen ghibellinischen Fürsten von Verona, Mestino della Scala, zu, der durch sein mildes würdiges Wesen die Neigung eines edeln Mädchens verdient. Ihr Bund scheint Frieden und Versöhnung zu verbürgen. Doch der Uebergang des Königs Konradin über die Alpen entflammt von neuem den Kampf der Parteien und Selvaggia fällt als Opfer der wilden Wuth des von ihr verschmähten Scaramello.
In diesem Gemälde fehlt es nicht an Scenen von leidenschaftlicher Kraft; einzelnes ist auch sehr anmuthend, wie beim Beginn des Stückes der Rosenkrieg im Klostergarten, in dem sich die Töchter der Guelfen und Ghibellinen gegenseitig mit weißen und rothen Rosen bewerfen. Doch die Haupthandlung löst sich nicht scharf genug von den tumultuarischen Gruppen los, welche in ihrer lärmenden Aufdringlichkeit das Drama zu oft in das Gebiet der Historie hinüberziehen; dadurch verzettelt sich die Theilnahme des Publikums, und durch diesen Fehler gegen die Kunst der dramatischen Perspektive wird manche schöne Wirkung einer im ganzen leidenschaftlich bewegten Darstellung geschädigt.
Der Haupttreffer der letzten Saison war ein spanisches Stück „Galeotto“ von José Echegaray, welches in der Bearbeitung von Paul Lindau über fast alle großen und nennenswerthen deutschen Bühnen ging. Warum soll unsere dramatische Muse, die so oft französisch aufgeputzt erschien, nicht auch einmal, wie es im „Egmont“ heißt, spanisch kommen? In geschickterer Weise als von Paul Lindau konnte ein neuspanisches Drama bei uns nicht eingeführt werden. Lindau machte kurzen Prozeß mit den spanischen Trochäen und kleidete das Ganze in einen gewandten und pikanten Dialog nach den besten französischen Mustern ein. Der Grundgedanke des Stückes aber ist ein sehr beachtenswerther. Der gesellschaftliche Klatsch mit seinen Verleumdungen ist so von manchem neuen Schauspieldichter, wie z. B. von Scribe, als dramatisches Motiv benutzt worden; aber in „Galeotto“ findet sich eine ganz neue Variante desselben. Was in der Gesellschaft erzählt wird, ist unwahr: das Verhältniß, von dem man spricht, besteht nicht. Aber es wird gerade durch diesen Klatsch hervorgerufen.
Ein junger Schriftsteller ist mit einer verheirateten Frau befreundet; die öffentliche Meinung spricht von einem skandalösen Verhältniß. Dadurch aber werden die Beziehungen zwischen den beiden immer inniger, gerade durch die Duelle und ernsten Begebenheiten, die aus diesem Klatsch hervorgehen. Wer aber ist der Schuldige? Der dramatische Dichter und der dramatische Held kann aus der unfaßbaren Menge nur einen herausgreifen, welcher derartige Gerüchte kolportirt hat. Das ist ober nur ein schwacher Träger der Gegenbewegung im Schauspiel, die dadurch etwas Zufälliges erhält. Die Handlung selbst indeß ist mit großer Gewandtheit durchgeführt; der Grundgedanke wirkt frappirend; aber weiß man einmal Bescheid damit, so wird das Stück wie ein gelöstes Räthsel erscheinen und kaum auf die Dauer fesseln.
In Leipzig, Prag und an einigen anderen Bühnen ist ein neues Schauspiel von Richard Voß, „Eva“, mit Erfolg gegeben worden. Man darf es dem Stücke nachrühmen, daß über einzelne Scenen der Zauber warmen Empfindens gebreitet ist und daß die großen Auftritte mit leidenschaftlichem Nachdruck behandelt sind. Das schöne Talent von Richard Voß hat Mark und Kraft; doch die Plötzlichkeit der Wendungen und Wandlungen in diesem Schauspiel hat etwas Befremdendes und Gewaltsames.
Eva, eines Grafen Tochter, ist mit einem gräflichen Vetter verlobt. Als der Vater durch Spekulationen sich ruinirt hat, als der Unwille der Arbeiter gegen ihn losbricht, als Vetter Ellimar gegen diese mit Gewaltmaßregeln einschreiten will, da sagt sie sich plötzlich von dem Bräutigam los, mit dem sie dem Anschein nach überhaupt wenig harmonirt, und reicht einem bürgerlichen vermögenden Fabrikanten ihre Hand, der für sie begeistert ist und der durch den Ruin ihres Vaters, dem er alles Vertrauen geschenkt, selbst bloßgestellt und dem Zorn des Volkes preisgegeben wird.
Diese Scenen erinnern theils an das „Fallissement“, theils an den „Hüttenbesitzer“, doch fehlt ihnen das Ueberzeugende der dramatischen Beweisführung, wie es jenen Stücken eigen ist. Eva lebt mit Hertwich nicht glücklich; sie ist offenbar einer launenhaften Eingebung gefolgt, als sie ihn zum Gatten wählte. Im Grunde liebte sie Ellimar, was sie selbst überrascht und auch uns überraschen muß, da wir im ersten Akte von dieser Liebe wenig merken. Ellimar, den plötzlich eine unbezwingliche Sehnsucht nach seiner früheren Braut ergriffen hat, kehrt aus Neapel zurück und Eva, durch seine Liebesbetheuerungen bethört, verläßt Gatten und Kind und folgt blindlings dem jungen Grafen. Dieser denkt aber nicht daran, sie zu heirathen; er hat nebenher ein anderes Verhältniß; sie greift zur Pistole, die ihr eine verlassene Geliebte Ellimars, eine Art von Gräfin Orsina, reicht, und erschießt ihn. Darauf folgt im letzten Zwischenakte die Zuchthausstrafe und im letzten Akte ein melodramatisches Sterben, nach französischen Mustern.
Der Charakter der launenhaften und abenteuerlichen Heldin erregt bei ruhiger Erwägung der Vorgänge schwerwiegende Bedenken [571] doch das Talent von Voß hat etwas so leidenschaftlich Hinreißendes, daß wir bei einer Darstellung des Stückes auf der Bühne gleichsam in seinem Banne gehalten werden und die Hauptscenen mächtig aus uns wirken lassen.
Auch unsere Romanschriftsteller streben nach dem dramatischen Lorbeer, der aber für ihre Darstellungsweise schwerer erreichbar ist. Friedrich Spielhagen hat mit seinem neuesten Stück „Die Philosophin“ einen geistreichen Essay in dramatischer Form geliefert, aber trotz einzelner für den Autor als solchen ehrenvoller Erfolge die Bühnen damit nicht erobern können. Die Heldin Friederike ist eine Philosophin, die sich gegen die Bestimmung des Weibes ketzerisch auflehnt; natürlich wird sie wie ihre stolze Vorgängerin Donna Diana zuletzt von der Liebe besiegt – die jedenfalls gelungenste Scene des Stückes, welches Vorzüge der Charakterzeichnung und des Dialogs besitzt, aber, wenn sich auch die Handlung im dritten und vierten Akt steigert, doch nicht den rechten dramatischen Guß und Fluß gewinnt. Es ist bedauerlich, daß soviele nichtssagende Autoren sich auf das dramatische und theatralische Metier verstehen und mit ihrer handwerksmäßigen Fertigkeit Erfolge erringen, während manche geistreiche und hochbegabte Schriftsteller daran scheitern, daß sie der dramatischen Technik nicht ihre großen und kleinen Geheimnisse abzulauschen verstehen.
Dem auf den Höhen moderner Bildung sich bewegenden Salonstück Spielhagens steht kontrastirend ein Volksstück wie Ludwig Anzengrubers „Stahl und Stein“ gegenüber. Dies Stück ist an dem Wiener Hofburgtheater mit Erfolg gegeben worden, die Erfindung ist scharf zugespitzt, die Ausführung kräftig und energisch. Die Volksbühne Anzengrubers liebt hochtragische Konflikte; die versöhnlichen Abschlüsse der oberbayerischen Bauernstücke liegen ihr fern. Der Held des Stückes, Eisner, ist Bürgermeister des Dorfes geworden. In seiner Jugend hat er ein wüstes Leben geführt und manche Schuld auf sich geladen. So hat er ein Mädchen verführt und dann den Sohn, welcher eine Frucht des Verhältnisses war, dem Elend preisgegeben. Dafür verfolgte ihn selbst häusliches Unglück, seine Frau brachte ihm keinen Segen ins Haus; es fehlte Ruhe und Frieden; seine drei Söhne starben ihm. Nun verfolgt er eine fromme Richtung und waltet seines Amtes mit unerbittlicher Strenge. Da macht das Schicksal aus ihm einen unfreiwilligen Brutus. In den Nachbarbergen wohnt ein einsamer junger Mann, der jede Auskunft über sich verweigert. Der Ortsvorsteher ist verpflichtet, ihn zur Rede zu stellen, und als der Fremde verharrt in wildtrotzigem Wesen, schickt der Bürgermeister Gendarmen ab, um ihn zu verhaften. Es kommt zum Kampf zwischen ihnen und dem Einsamen, der den einen erschießt, von dem andern aber selbst tödlich verwundet wird.
Nun folgt die ergreifende Wiedererkennungsscene; es ist Eisners Sohn, der ihm sterbend gebracht wird, nach dem er Jahre lang vergebens gesucht hat, um seine alte Schuld zu sühnen. Der Sohn hat wegen Todtschlags im Zuchthause gesessen; er hat einen erschlagen, der seine Mutter beschimpft hatte. Die Scene ist von ergreifender Innerlichkeit, schlaghaft und packend; freilich ist in ihr auch der ganze Extrakt der dramatischen Handlung zu suchen, die sich sonst vielfach in Erzählungen der Vorgeschichte verflüchtigt. Dem Drama liegt eben eine Erzählung unseres Autors zu Grunde und diese Herkunft verleugnet sich nicht so leicht.
Charakteristisch für diese Saison ist die Geltung, zu welcher die Lutherfestspiele gekommen sind. Abgesehen von Wilhelm Henzens Lutherdrama, welches sich den Anforderungen unseres Bühnenwesens anschmiegt, haben wir drei Festspiele, die aus dem Rahmen des Theaters herausgewachsen sind, nicht von Schauspielern, sondern von Studenten und anderen Mitwirkenden dargestellt werden und zu einer primitiven Form der Bühne zurückkehren: einen „Luther“ von Hans Herrig, der in Leipzig und Dresden mit Erfolg gegeben, einen andern von Otto Devrient, der in Jena zur Aufführung gekommen ist, und einen von Trümpelmann, der zuerst in Torgau und neuerdings in Berlin aufgeführt wurde. Das Streben nach einer Volksbühne ist für gewisse festliche Zwecke und nationale Schaustellungen gewiß nicht unberechtigt, doch darf dem darstellenden Dilettantismus nicht ein zu breiter Raum anheimgegeben werden.
Jede Saison hat ein paar Lustspiele, die sich fröhlich im Lichte der Prosceniumslampen tummeln, viel beklatscht und viel belacht werden und nach kurzer Daseinsfreude in den Theaterarchiven verschwinden. Selten findet sich ein glücklicher Treffer, der für Jahrzehnte ausreicht. In der letzten Saison hat die Firma Franz von Schoenthan und Kadelburg, die bereits mit den „Goldfischen“ die Bühnen erobert, ein Lustspiel „Die berühmte Frau“ verfaßt, welches zuerst am Deutschen Theater in Berlin mit Erfolg gegeben wurde und dann seinen Weg über die deutschen Bühnen machte. Schade, daß „die berühmte Frau“ selbst zu wenig im Mittelpunkte des Lustspiels steht; die bekannte Satire Schillers mag die erste Anregung zu dem Stücke gegeben haben, aber man erwartet vergebens, ein Charaktergemälde darin zu finden, welches die Schillerschen satirischen Pfeile in einem dramatischen Köcher sammelt. Die berühmte Frau weilt in Italien; indeß herrscht in ihrem Hause eine kunterbunte Wirthschaft. Der Gatte geht einem Liebesabenteuer mit einer Schauspielerin nach, die Töchter haben auch ihre Liebeshändel; wie da ein Freund der berühmten Frau Ordnung schafft, selbst das Herz der einen Tochter gewinnt, die Mutter zur Rückkehr bewegt, das wird uns in einer Reihe lebendiger Scenen vorgeführt. Die berühmte Frau behandelt den unberühmten Gatten mit vernichtender Ironie; und man ist vollständig davon überzeugt, daß, wenn sie ihm vorschlägt, jeder möge seine eigenen Wege gehn, dies das einzig Richtige, ja Mögliche ist. Doch da muß noch ein Ausgleich zur Befriedigung des Publikums gesucht werden, das solche Dissonanzen nicht verträgt, und damit geht die Lebenswahrheit in die Brüche.
Ein anderes Lustspiel. „Auf glatter Bahn“ von Heinrich Heinemann kam im Berliner Schauspielhause mit Erfolg zur Aufführung und machte auch seitdem die Runde über die deutschen Bühnen. Der Verfasser ist ein tüchtiger Theaterpraktiker und weiß die effektvollen Lichter zur rechten Zeit aufzusetzen, die packenden Scenen an die rechte Stelle zu rücken. Die Voraussetzung der Lustspielhandlung ist ein pikanter Skandalprozeß, in welchem ein Graf Marberg als Zeuge vorgeladen wird. Diese Vorladung trifft ihn gerade zur Zeit, als er mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise nach Paris antreten will. Um welchen Skandal es sich eigentlich handelt, das erfahren wir nicht. Die Thatsache genügt, daß Graf Marberg da in eine sehr mißliche Angelegenheit mitverwickelt ist. Seine ganze Sorge ist, daß seine Frau nichts davon erfährt; er setzt es daher durch, daß er in den Zeitungen nur als der Zeuge M. erwähnt wird. Doch gerade für diesen Zeugen, der die pikantesten Aussagen macht, interessant sich seine Frau; es bleibt ihm nichts übrig, als einen alten Universitätskameraden Müller zu bitten, daß er sich für den Zeugen ausgiebt. Die Scene, in welcher das bemooste Haupt sich zu diesem Freundschaftsdienste entschließt, ist die ergötzlichste des Stückes. Doch Müller wird dadurch in Konflikte mit der Familie seiner eigenen Braut verwickelt und platzt schließlich mit der Wahrheit heraus. Dadurch geräth der Graf in eine Verlegenheit, welche durch eine gewandte Vermittlerin beseitigt wird. Das Stück trägt keine schriftstellerisch bedeutende Physiognomie zur Schau, aber es amüsirt durch ein paar ergötzliche Auftritte und das große Bühnenpublikum begnügt sich mit solcher geistig frugalen Kost.
Ein Fastnachtsschwank, der vorzugsweise in Malerateliers spielt, ist „Die Amazone“ von G. v. Moser, dessen Produktion sich aber nicht in aufsteigender Linie bewegt, denn die Verkleidungsscenen dieses Stückes gehören einer wohlfeilen grotesken Komik an und man muß sich schon in einer Karnevalslaune befinden, um das Derbe und Scharfgewürzte vieler Scenen genießbar zu finden.
Eine große Zahl von neuen Lustspielen, die wir hier nicht weiter erwähnen wollen, überlebte einen oder mehrere Theaterabende nicht; doch zu allen Zeiten war ja solcher dramatische Unterhaltungsstoff für das alltägliche Repertoire ein Bedürfniß und auch die Musterbühnen konnten ihn nicht entbehren.