Die letzten Menschenfresser

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: August Diezmann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus der Fremde. Die letzten Menschenfresser
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 11–12
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Inbesitznahme der Fidschi-Inseln durch Großbritannien und Aufgabe des Kannibalismus
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[11]

Aus der Fremde.

Die letzten Menschenfresser.

Es dürfte unsern Lesern allgemein bekannt sein, daß es in unseren Tagen noch Völker giebt, welche das Fleisch erschlagener Feinde oder Gefangener verzehren, ja dies sogar unter großen Festlichkeiten und mit roh pomphaften Ceremonien thun. Diese schauerliche Sitte bestand namentlich auf den Fidschi-Inseln in der Südsee bis in die neueste Zeit. Jetzt ist sie auch dort abgeschafft und zwar dadurch, daß England jene ansehnliche Gruppe herrlicher Inseln, welche die Natur mit allen Schätzen freigebig ausgestattet, in Besitz genommen hat. Die Umstände, welche England veranlaßten, jene Inseln der bereits so großen Anzahl seiner Besitzungen in Oceanien hinzuzufügen, verdienen vor Allem erzählt zu werden.

Großbritannien hielt seit mehreren Jahren einen Consul in jenem Archipel, wo sich seit längerer Zeit schon Methodisten-Missionäre niedergelassen hatten, um die wilden Bewohner für das Christenthum zu gewinnen, und es nannte einen der mächtigsten Häuptlinge, Takombo mit Namen, Tui, d. h. König. Dies schmeichelte dem Stolze und Ehrgeize desselben, wurde aber bald genug sein Verderben. Amerikaner hatten durch einige Fidschi-Insulaner Verluste erlitten, und ihre Regierung verlangte von dem Häuptlinge, der sich König nannte, Entschädigung. Dieser versicherte nun zwar der Wahrheit gemäß, daß seine Macht bei weitem nicht die ganze Inselgruppe umfasse; die Amerikaner aber ließen dies nicht gelten, lockten den Häuptling auf eines ihrer Schiffe, und hier blieb ihm keine andere Wahl, als entweder die Schuld anzuerkennen oder – gehangen zu werden. Selbstverständlich zog er das Erstere vor, aber die Summe, die er zahlen sollte, belief sich auf beinahe 100,000 Thaler, die er unmöglich aufbringen konnte. In dieser peinlichen Verlegenheit nahm er den Rath seines Freundes, des englischen Consuls, in Anspruch, der ihm denn vorschlug, sich mit allen seinen Inseln unter den Schutz Englands zu stellen, wenn dieses die Schuld für ihn tilge, auch sich erbot, die Sache zu vermitteln. Der Consul reiste 1859 nach England und nahm wohlweislich Proben von Baumwolle mit, die man auf der größten Insel der Gruppe gebaut. Diese Proben fand man vortrefflich, trotzdem ging die Regierung nicht sofort auf den Antrag ein, weil sie meinte, der eine Häuptling habe nicht das Recht, die ganze Inselgruppe abzutreten, und weil sie überdies die neue Colonie vorher genauer kennen zu lernen wünschte. Der Consul kehrte demnach nach den Fidschi-Inseln zurück, um mit einem zweiten mächtigen Häuptling, Kuruduadua, zu verhandeln. Ihn begleitete der Oberst Smyth und unser Landsmann, der Botaniker Berthold Seemann, und in Folge des günstigen Berichts dieser Beiden hat England im Laufe des Jahres 1861 die ihm von den Häuptlingen abgetretenen sämmtlichen Fidschi- oder Viti-Inseln förmlich übernommen.

Leider bestand bisher auf diesen schönen Inseln noch immer die schreckliche Sitte, Menschenfleisch zu essen, in voller Kraft trotz der Bemühungen der Missionäre, sie abzuschaffen. In allen Dörfern gab es besondere Oefen zum Braten der Opfer, und um zu wissen, wie viele verzehrt worden, hatte man die Gewohnheit, für jeden Gegessenen einen Schnitt in die Rinde eines bestimmten Baumes zu machen oder einen Stein an eine Stelle zu legen. Seemann zählte an einer einzigen vierhundert solcher Denksteine. An andern Orten pflegte man die Knochen der Geschlachteten an den Aesten der Bäume aufzuhängen und sich an den schauerlichen Tönen zu erfreuen, welche diese Gebeine gaben, wenn der Wind sie aneinander schlug. Merkwürdig ist dabei, daß die Frauen nie Menschenfleisch aßen und daß man dasselbe mit besondern Gabeln zum Munde führte, während man alle anderen Speisen mit den Fingern anfaßte. Jene Gabeln werden mit besonderer Sorgsamkeit aufbewahrt und vererben sich von Generation zu Generation.

So lange man diese Insulaner kennt (seit 1643), waren sie wegen ihrer Feindseligkeit und Grausamkeit gegen die Fremden gefürchtet, die an ihren Küsten erschienen, denn einen Jeden, den sie überwältigen konnten, pflegten sie zu tödten und zu verzehren. Ein derartiges Beispiel kennt man noch aus dem Jahre 1849. Ein Boot zerschellte an den Korallenriffen einer der Inseln, und die vierzehn Mann in dem Fahrzeuge wurden sofort als gute Beute ergriffen. Es geschah dies an einem Punkte der Küste, an welchem sich eine Missionärstation befand. Die Missionäre selbst waren nicht daheim, nur die Frauen derselben. Zwei der Schiffbrüchigen erschlug man so nahe bei dem Hause, daß ihr Angstschrei gehört werden konnte. Die Frauen eilten hinaus, und sobald sie die blutige Metzelei gesehen hatten, begaben sie sich zu dem Häuptling und baten um die Rettung der Unglücklichen. Zwar ließ er sich bewegen, die Bitte zu bewilligen, aber ehe dies geschah, waren zehn der Verunglückten bereits erschlagen.

Vor einem gleichen Schicksal rettete sich ein englischer Jude, Danford mit Namen, den seine abenteuerlichen Schicksale nach dem Fidschi-Archipel brachten, wo er noch lebt. Er hatte das Glück, zu dem Häuptlinge Kuruduadua zu gelangen, dessen hohe Gunst er sich [12] namentlich dadurch erwarb, daß er ihm von den europäischen Fürsten erzählte. Durch sein Erzählertalent gewann er sich sogar allmählich die Zuneigung des Volkes, das eine sehr lebhafte Phantasie besitzt und eine merkwürdige Vorliebe für Märchen und allerlei Wundergeschichten hat, deren sie selbst eine große Menge erfunden haben. Der Jude hatte nun in seiner Jugend „Tausend und eine Nacht“ gelesen und Einiges davon gemerkt. Großes Glück machte er namentlich mit der Erzählung von „Aladdin’s Wunderlampe“ und der Geschichte der „vierzig Diebe“. Der Häuptling ließ ihm ein Haus bauen, gab ihm Felder und Weiber und machte ihn zu einem seiner geheimen und vertrauten Räthe.

Die Frauen von Fidschi sind von mittlerer Größe und vortrefflich gewachsen, wenn auch nicht so graciös und so schön wie die von Taïti. Als junge Mädchen gehen sie ganz nackt; später legen sie einen schmalen Gürtel von Cocosnußfasern um die Hüften. Unter den Bewohnern der Inseln, die sich noch nicht zum Christenthume haben bekehren lassen, herrscht die Vielweiberei, und manche Häuptlinge haben eine sehr große Anzahl Frauen. Nur die Armen begnügen sich mit einer. Ihr Loos scheint indeß kein sehr drückendes zu sein, da sie sehr heiter sind und viel lachen. Freilich bestand noch 1856 an manchen Orten die Sitte, alle Frauen am Grabe des Mannes zu tödten.

Als die oben erwähnten englischen Commissarien bei dem zweiten Häuptlinge ankamen, mit dem sie unterhandeln sollten, bei dem bereits genannten Kuruduadua, wurden sie zu einem großen Nationalfeste eingeladen, das eben gefeiert werden sollte. Der älteste Sohn des Häuptlings war mannbar geworden und er sollte, dem Herkommen gemäß, zum ersten Male mit der Maro, dem schmalen Schurz um die Lenden, bekleidet werden. Zu dieser Ceremonie gehörten sonst grauenhafte Einzelnheiten. Man erschlug namentlich eine große Anzahl Schuldiger und Gefangener, die für diese Gelegenheit aufgespart worden waren, schichtete alle diese Leichen auf einen Haufen und legte oben darauf einen lebenden Sclaven. Der Jüngling, der unter die Zahl der Männer aufgenommen werden sollte, trennte sich dann von seinen Jugendgenossen, stieg auf diesen Leichenhaufen hinauf, stellte sich oben auf die Brust des noch lebenden Sclaven und schwang da eine Keule, während die Priester den Schutz der Götter für ihn anriefen und beteten, sie möchten ihn aus allen seinen Kämpfen siegreich hervorgehen lassen. Alles dies geschah unter dem Jubel der zahlreich Versammelten. Dann stiegen Brüder des Vaters zu dem Jünglinge hinauf, denn ihnen lag es ob, den Neffen mit dem Gürtel zu bekleiden, der aus schneeweißem Stoffe von etwa 6–8 Zoll Breite, aber vielleicht 200 Ellen Länge bestand.

Einer solchen Feierlichkeit sollten der englische Consul, Smythe und Seemann beiwohnen. Fünfhundert Unglückliche, die man zu dieser Metzelei bestimmt hatte, erwarteten mit Entsetzen ihr Schicksal, als die Europäer erschienen und den Häuptling ersuchten, ihnen das Amt zu übertragen, den Jüngling zu bekleiden. Kuruduadua schwankte, wie es schien, und zog sich dann zurück, um sich mit seinem Volke zu berathen. Als dies geschehen war, bewilligte er das Ansuchen, und nun traten die Engländer zu dem „Prinzen“, der völlig nackt, die Keule in der Hand, unter den Genossen stand, und umwickelten ihn mit dreißig Ellen weißen Kattuns, während die Priester und das Volk für ihn zu den Göttern beteten. Dann redete der Consul den jungen Mann an und forderte ihn auf, seinen Ruhm hinfort auf dem Wege der Civilisation zu suchen und ein Vorbild für sein Volk zu werden.

Damit und mit Nationalgesängen endigte die Scene, die, wie sich von selbst versteht, zwischen den Engländern und dem alten Häuptlinge im Voraus verabredet worden war und insofern von großer Wichtigkeit ist, als sie das Ende einer der blutigsten und grausamsten Gewohnheiten bezeichnet und fünfhundert Menschen das Leben erhielt. Das Volk nahm sie ziemlich gut auf, ja wurde dadurch gerührt. Der alte Kuruduadua selbst vergoß Thränen, als er erzählte, wie viel Blut geflossen sei, als man ihm den männlichen Gürtel umgelegt.

Zur Berathung über die Abtretung der Inseln an Großbritannien waren die mächtigsten Häuptlinge und reichsten Grundbesitzer zusammengekommen, und zwar bei hellem Tag auf einem freien Platze im Schatten von Palmen und Orangen. Bei Beginn der Berathung setzten sich Alle, die Frauen und Kinder aber zogen sich ehrerbietig zurück. Ein gar seltsames Schauspiel gewährte diese Versammlung nackter Männer, deren Gesicht alle Schattirungen von Schwarz bis Rothgelb zeigte und in den mannigfaltigsten Mustern tätowirt war, wie der ganze Körper, den nur der schmale Lendenschurz bedeckte, während die Arme und den Hals Schnüre von Muscheln, Schwein- und Menschenzähnen schmückten, das Haar aber in der wunderlichsten, wohl auch zierlichsten Weise aufgebaut war. Kuruduadua saß etwas erhöht neben seinen Brüdern und Räthen, unter denen sich Danford, jener Jude, befand. Einen besonderen Platz erhielten die Fremden, die erzählen, daß diese „Wilden“ sehr tüchtige Redner sind und niemals unparlamentarisch sich benehmen. Jeder sprach nur, wenn ihm das Wort gegeben war, dann aber mit Ruhe, laut, schmucklos, zur Sache und mit entsprechenden Gesten, während alle Anderen ruhig zuhörten und nur in Pausen ihren Beifall zu erkennen gaben.

Die feierliche Versammlung endigte mit einem Festmahle, und die Frauen wurden zur Rückkehr eingeladen. Da erschien zunächst eine Reihe von einhundert und sechszig Jungfrauen, deren ganze Bekleidung in einem schmalen bunten Gürtel, gelb, weiß oder roth, bestand. Jede trug ein Körbchen mit gebratenen Taros. Ehe sie vor die versammelten Männer kamen, stellten sie sich in Gruppen zusammen, je nach den Farben ihrer Gürtel. So übergaben sie die Körbchen jungen Männern, welche Alles auf einen Haufen schütteten. In der Ordnung, wie sie gekommen, entfernten sich die Mädchen wieder, die jungen Männer aber holten sieben gebratene Schweine herbei, die sie auf die Taros legten. Dann ging es an die Vertheilung dieser Speisen, und das Festmahl begann. Es war das erste, bei dem kein Menschenfleisch genossen wurde, das hinfort überhaupt, wie man versprochen hat, nicht mehr gegessen werden soll. Ob man das Versprechen halten wird, steht dahin, indeß dürfte die Rückkehr zu dieser Rohheit schwer sein, da die Missionäre, geschützt durch die Regierung Großbritanniens, sie nicht dulden und auch die Insulaner allmählich zu der Ueberzeugung kommen, daß die schrecklichen Hautkrankheiten, die unter ihnen wüthen, hauptsächlich von dem Genusse des Menschenfleisches herrühren.

Die Zahl der Bewohner des Fidschi-Archipels schätzt man auf 150,000, und alle Reisende, die ihn besuchten, rühmen die herrlichen Wälder und das Klima der Inseln, da die Hitze durch die Berge, die sie schmücken, und durch die Seeluft gemildert wird. Sonst waren sie außerordentlich reich an Sandelholz, das ein sehr gewinnreicher Handelsartikel hätte werden können, aber die kostbaren Wälder sind durch Schiffe aus China und Australien arg geplündert und so verwüstet worden, daß sie auf lange Zeit für erschöpft gelten. Der Boden ist überall üppig fruchtbar und meist auch bereits gut bebaut. Er trägt namentlich Cocos- und Sagopalmen. Daß Baumwolle mit Vortheil gebaut werden kann, haben wir bereits angeführt, und England wird sicher nicht verfehlen, seine neue Colonie nach allen Seiten hin auszubeuten.

D.