Die letzten Tage eines Agitators

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Autor: Von einem Augenzeugen
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Titel: Die letzten Tage eines Agitators
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 376–378
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ferdinand Lassalle, seine letzten Tage
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Die letzten Tage eines Agitators.
Von einem Augenzeugen.

Wohl auf wenige Männer der jüngsten Vergangenheit läßt sich das Wort des Dichters:[WS 1] „Von der Parteien Gunst und Haß entstellt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte!“ mit größerem Recht anwenden, als auf Ferdinand Lassalle. Von seinen Freunden und Anhängern wird er hochgepriesen, geliebt, oft fast abgöttisch verehrt, von seinen Gegnern gehaßt, verhetzt und verleumdet – es mag daher für das große Publicum sehr schwer sein, sich ein unbefangenes Urtheil über den Mann zu bilden, der wie über Nacht plötzlich am deutschen politischen Himmel emporstieg und ebenso plötzlich wieder verschwand. Wollten doch in dem Augenblick, als der Telegraph die Nachricht von seinem Tode nach Deutschland brachte, Viele die Richtigkeit dieser Nachricht bezweifeln und jetzt noch, nachdem der Frühling bereits drei Mal das stille Grab des stürmischen Agitators mit neuen Blumen bekränzte, steht der größte Theil des Volkes, stehen selbst die meisten seiner Anhänger vor jenem verhängnißvollen Duell und seinen Ursachen wie vor einem unlösbaren Räthsel. In der That ist es auch nicht so leicht, Allen eine volle Aufklärung darüber zu geben. Die Personen und Verhältnisse, welche bei jenem Ereigniß mitwirkten und es gewissermaßen zu einer Nothwendigkeit machten, sind so mannigfaltiger Natur, daß die einfachste Delicatesse und Rücksicht eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Wir bemühen uns, in nachfolgenden Zeilen eine möglichst objective, aber treu historische Darstellung zu geben, und hoffen dadurch zur Widerlegung weitverbreiteter Gerüchte und Irrthümer beizutragen. Eine vollständige, actenmäßige Darlegung des Sachverhalts ist schon seit dem Jahre 1864 von den näheren Freunden Lassalle’s projectirt, die Ausführung bis jetzt jedoch an ausgebrochenen Zwistigkeiten und anderen, nicht mittheilbaren Verhältnissen gescheitert und dürfte schwerlich für die nächste Zeit zu erwarten sein.

Als Ferdinand Lassalle im Sommer 1864 seine gewöhnliche Erholungsreise nach der Schweiz antrat, hatte seine Agitation ihren Höhepunkt erreicht, und nicht ohne Befürchtungen beobachtete die preußische Regierung diese Bewegung. In Preußen war der Verfassungsconflict damals in seiner schärfsten Gestaltung. Vereinigte sich die social-demokratische Partei unter Lassalle mit den Verfassungsbestrebungen der Fortschrittspartei, so war die Niederlage der Regierung zweifellos und der Kampf wäre höchst wahrscheinlich aus dem Parlamentssaal auf die Straßen und Barricaden verlegt worden, um dort ausgefochten zu werden.[1] Die Gründe, warum diese Vereinigung nicht stattfand und nicht stattfinden konnte, können hier nicht erörtert werden, genug die innerhalb der Liberalen und der Demokratie entstandene Spaltung und der Erfolg des schleswig-holsteinischen Krieges verschafften der Regierung thatsächlich den Sieg.

Der Ausgang der schleswig-holsteinischen Bewegung hatte Lassalle tief verstimmt und seine in jener Zeit gehaltenen Reden zeigen eine zunehmende Heftigkeit. Dazu kam, daß die Erwartungen, welche er auf die Arbeiterbewegung gesetzt hatte, nicht erfüllt worden waren. Er hatte auf Hunderttausend gerechnet und kaum Zehntausend waren seinem Ruf gefolgt. In den Briefen an seine engeren Freunde klagte er oft bitter darüber; er fühlte, daß die ganze Last der Agitation auf ihm ruhe, daß er mitten in seinen begeistertsten Anhängern allein stände, ohne auch nur einen Mann zu besitzen, der die Last mit ihm getheilt hätte; er mußte Alles selbst thun, selbst organisiren, selbst leiten, wo sein belebender Geist fehlte, geschah wenig oder nichts. Und da tauchten in der Brust des stürmischen Mannes, dessen großartige Lebenskraft unwillkürlich Jedem imponirte, dunkle Todesahnungen auf. Oft hatte er im engen Kreise scherzhaft geäußert: „Ich erlebe mein vierzigstes Jahr nicht!“ Dieser Gedanke stellte sich jetzt häufiger ein als je. In seiner letzten, am 22. Mai 1864 in Ronsdorf gehaltenen Rede sprach er es aus, wie es möglich sei, daß er persönlich in diesem Kampf zu Grunde gehen werde, aber wie er hoffe, daß aus seinen Gebeinen ihm ein Rächer erstehen werde. Es waren diese ahnungsvollen Worte die letzten, die er auf deutschem Boden an deutsche Arbeiter richtete.

Im Juli 1864 ging er nach der Schweiz, nach dem Rigi-Kulm. Mannigfache Entwürfe beschäftigten ihn lebhaft. Die veränderten politischen Verhältnisse, die damals bereits vollendete gänzliche Niederlage der preußischen Fortschrittspartei, die dadurch und durch den schleswig-holsteinischen Krieg vermehrte Macht der Krone bedingten eine Aenderung seiner Taktik. Er entwarf einen Agitationsplan, den er nach Berlin sandte, damit er von dort aus an die einzelnen Gemeinden geschickt werde. Vielfach beschäftigten ihn auch seine zahlreichen politischen Processe. Mehrere Gefängnißstrafen waren gegen ihn bereits in den unteren Instanzen ausgesprochen und seine Verurtheilung in letzter Instanz war mit Bestimmtheit zu erwarten. Er wurde dadurch auf Monate, vielleicht noch länger, der Agitation entzogen. Der Gedanke, für immer in der Schweiz zu bleiben, stieg deshalb wiederholt in ihm auf, aber sein Charakter sträubte sich dagegen; es war ihm unmöglich, einen Entschluß zu fassen, der ihm als Act politischer Feigheit erschien. Und mitten in diesen aufregenden Gefühlen trat ihm der Dämon nahe, der seinen Tod verschuldet.

Lassalle vereinigte in sich den Charakter eines Faust und den eines Don Juan. Jung, wohlgebildet, geistreich, in glänzenden finanziellen Verhältnissen, hatte er von seinem ersten Jünglingsalter an dem weiblichen Geschlecht stark gehuldigt und stets Erfolg bei der Damenwelt gehabt. Besaß er in hohem Grade die Macht, selbst solche Männer für sich zu gewinnen, die mit ausgesprochenen Vorurtheilen in seine Nähe kamen, so gelang es ihm in noch viel ausgedehnterem Maße, die Frauen zu fesseln, freilich ohne daß er selbst gefesselt wurde. Beständigkeit in der Liebe kannte er nicht, sein unruhiger Geist ließ ihm jedes dauernde Liebesverhältniß als eine drückende Fessel erscheinen, und so sog er als Schmetterling den Duft aus allen Blumen, mit denen er in Berührung kam. Vor längerer Zeit hatte er in Berlin durch Vermittelung seines Freundes, des Rechtsanwalt Holthof, Helene, die älteste Tochter des baierschen Legationsraths von Dönniges, kennen gelernt und ihr in seiner stürmischen Weise den Hof gemacht. Fräulein Helene nahm seine Huldigungen freundlich auf, der junge, elegante, geistreiche, damals bereits (sein Werk über Herakleitos und sein „System der erworbenen Rechte“ waren schon erschienen) gefeierte Gelehrte machte einen tiefen Eindruck auf sie, allein Lassalle unterließ es, sich ihr ernsthaft zu nähern, und bald darauf verlobte sie sich mit dem jungen walachischen Bojaren Janko von Rackowicz, der die Universität in Berlin besuchte. Trotzdem bewahrte Helene ihm ein treues Andenken; sie verfolgte mit lebhaftem Interesse seine Agitation und sprach oft und gern von ihm, ohne ihre Zuneigung zu ihm irgend zu verhehlen.

Helene von Dönniges stand 1864 in ihrem fünfundzwanzigsten Jahre. Ohne jeden Zweifel gehört sie zu den interessantesten Frauen der Gegenwart. Mehr pikant als schön, eine vollendete Meisterin in den Künsten der Toilette, geistreich und mit einer über die Sphäre des Weibes hinausgehenden Bildung versehen, besitzt sie einen etwas excentrischen, dem Ungewöhnlichen und Abenteuerlichen zugeneigten Charakter und jenes interessante Maß von Koketterie, welches anzieht, ohne das feinere Gefühl zu verletzen. Sie ist in vielen Seiten ihres Wesens Lassalle sehr ähnlich, und nicht ohne Grund rieth Holthof seinem Freunde, Helene zu heirathen, da er niemals eine mehr zu ihm passende Frau finden würde. Bald nach Lassalle’s Ankunft auf dem Rigi erfuhr Helene seine Anwesenheit dort. Alle Erinnerungen an ihn erwachten mit erneuerter Stärke. Unter dem Vorwande, eine befreundete Familie in Wabern bei Bern zu besuchen, verließ sie Genf, wo ihr Vater als bairischer Gesandter bei der schweizerischen Eidgenossenschaft wohnte, und erschien plötzlich bei Lassalle auf dem Rigi. Und nunmehr begann sich eines jener Dramen zu entwickeln, welche immer wieder den Beweis liefern, wie sehr die Wirklichkeit oft die Phantasie des Dichters und Romanschreibers übertrifft.

In Lassalle’s damaliger trüber Gemüthsstimmung mußte das Erscheinen des liebeglühenden Mädchens einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Er fühlte wieder seine unbändige Lebenskraft und seinen ungebeugten Muth, und zum ersten Male vielleicht in seinem Leben ahnte er, daß es noch ein anderes Glück gebe, als vorübergehende Triumphe bei schönen Weibern, als das Beifalljauchzen [377] der begeisterten Menge, als das wilde Wogen der politischen Agitation, als das ernste Studium und das tiefe Grübeln über die großen Probleme der Menschheit, ja selbst als die Anerkennung bedeutender Männer; daß der Lorbeerkranz die Rosen nicht ersetzt, die das Glück der Liebe in des Mannes Leben flicht. Es steht ganz zweifellos fest, daß Lassalle damals Helene aufrichtig liebte und daß sie ihm dasselbe Gefühl vielleicht noch viel leidenschaftlicher und heißer entgegentrug.

Rasch entschlossen kamen Beide überein, ihre Verheirathung sobald als möglich zu bewerkstelligen. Lassalle benachrichtigte seine langjährige Freundin, die bekannte Gräfin Sophie von Hatzfeldt, von seiner Verlobung und begab sich mit Helene vom Rigi nach Bern. Dort faßten sie den Entschluß, nach Genf zu reisen, um die Einwilligung des Vaters, des alten Herrn von Dönniges, einzuholen. Helene reiste voraus, den Vater vorzubereiten, und Lassalle wollte ihr in einigen Tagen folgen. In Bern empfing er einen Brief der Gräfin Hatzfeldt, welche seinen Entschluß vollständig billigte und die glückliche Gemüthsstimmung, in der er sich damals befand, noch erhöhte.

Gleich darauf reiste er nach Genf. Helene hatte ihrem Vater ihre Verlobung mit Lassalle mitgetheilt und war bei diesem auf den heftigsten Widerstand gestoßen. Abgesehen von dem Herrn von Rackowicz gegebenen Wort, an welches sich Dönniges gebunden hielt, waren persönliche Vorurtheile gegen Lassalle selbst, der diametrale Gegensatz der politischen Ansichten, der Contrast der öffentlichen Stellung eines gefürchteten, gehaßten, verfolgten und verleumdeten Socialdemokraten und der eines Diplomaten und königlich bairischen Gesandten, ferner die Verschiedenheit der Religion (Lassalle war Jude und Fräulein von Dönniges Katholikin) und Aehnliches die bestimmenden Gründe dieser Weigerung.

Jeder Versuch einer persönlichen Annäherung Lassalle’s an Herrn von Dönniges scheiterte vollständig und ebenso wurde Helene auf das Strengste bewacht und ihr jede Möglichkeit einer Communication mit Lassalle abgeschnitten. Doch gelang es, eine Kammerzofe zu bestechen, und durch diese fand ein Briefwechsel zwischen Helene und Lassalle statt. In mehreren dieser kleinen Briefe klagt Helene über die Härte ihres Vaters und das Zöfchen erzählte geschwätzig furchtbare Dinge, wie Herr von Dönniges seine Tochter schlage, mit Füßen trete, an den Haaren am Boden umherschleife u. dgl. m. Es ist allerdings möglich, daß es während jener Tage zwischen Vater und Tochter zu heftigen Auftritten gekommen sein mag, aber daß ein Mann von der feinen Bildung, der Stellung und dem Charakter des Herrn von Dönniges sich irgendwie zu Brutalitäten hinreißen lassen könnte, ist auf keinen Fall anzunehmen. Dagegen steht fest, daß dasselbe Kammerzöfchen, welches eines Tages von Lassalle als Belohnung für die sichere Besorgung eines Briefs an Helene das ganz anständige Douceur von einhundertundachtzig Franken (achtundvierzig Thaler) empfing, denselben Brief für zwanzig Franken an Herrn von Dönniges verkaufte, ein Factum, welches jedenfalls die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit dieser Person in kein günstiges Licht stellt.

Lassalle fand in Genf einen Kreis zuverlässiger Freunde vor. Unter anderen waren hier die Socialdemokraten Joh. Ph. Becker und Friedrich Reusche, die ungarischen Generale Georg Klapka und Graf Bethlen Gabor, der junge Genfer Staatskanzler Elie Ducommun und der Schriftsteller Alfred Tronchin, und andere Demokraten der verschiedensten Nationalitäten. Auf Lassalle’s telegraphisch ausgesprochenen Wunsch eilte aus Zürich Wilhelm Rüstow, Garibaldi’s Freund und Brigadier, herbei; Georg Herwegh und seine Frau waren von der Sachlage benachrichtigt und bereit, wenn nöthig, jeden Augenblick zu erscheinen, außerdem waren Geldmittel und Mannschaften disponibel, um eventuell eine gewaltsame Entführung in’s Werk zu setzen. Dieser Plan, wonach die Liebenden nach Italien flüchten sollten, um dort unter dem Schutze Garibaldi’s von dessen Leibcaplan Pater Pantaleone getraut zu werden, wurde jedoch bald nach seinem Auftauchen bei Seite gelegt. Rüstow hatte dann mehrere Unterredungen mit Herrn von Dönniges, aber ebenfalls ohne Erfolg. Humoristischer Natur ist die kleine Anekdote, daß Herr von Dönniges, der Rüstow unter Anderem auf Lassalle’s Eigenschaft als Jude aufmerksam machte, den Einwurf Rüstow’s: „Aber, Herr Baron, Ihre Frau Gemahlin ist ja doch auch eine geborene Jüdin!“ mit der Bemerkung abfertigte: „Ja, das ist aber schon sehr lange her!“

Täglich fanden zwischen Lassalle und seinen Freunden lange Berathungen über die zu ergreifenden Maßregeln statt. Da stürzte eines Abends mitten in solche Versammlung Helene in höchster Aufregung. Sie warf sich auf’s Bett und in leidenschaftlichster Erregtheit brach sie in die Worte aus: „Ferdinand, ich bleibe bei Dir, ich bin Dein Weib, Deine Sache, mache mit mir, was Du willst; zu meinem Vater kehre ich nicht mehr zurück!“ Lassalle, obgleich selbst im höchsten Grade aufgeregt, suchte sie zu beruhigen, was ihm und seinen Freunden endlich auch gelang. Er setzte ihr die Unmöglichkeit auseinander, auf diese Weise von ihrem Vater sich zu entfernen. Helene’s Mutter, Frau von Dönniges, hatte inzwischen ihre Tochter vermißt, ihren Aufenthalt vermuthet und eilte herbei. Auf Lassalle’s Bitten kehrte Helene in Begleitung ihrer Mutter wieder in das väterliche Haus zurück.

Lassalle’s Gemüthsstimmung war damals eine höchst eigenthümliche. Wie tief unglücklich er sich fühlte, geht aus einer Stelle eines am 4. August 1864 an die Gräfin Hatzfeldt gerichteten Briefes hervor, in welchem er schreibt: „Ich kann nicht anders, obgleich ich seit vierundzwanzig Stunden dagegen ankämpfe, aber ich muß mich ausweinen an der Brust meines besten und einzigen Freundes. Ach, Gräfin, warum sind Sie nicht hier!!“

Auf solche Ausbrüche der Verzweiflung folgte aber wieder die Empörung seiner ganzen Thatkraft und dann kostete es seinen Freunden die äußerste Mühe und Anstrengung, ihn von unüberlegten, voreiligen und hastigen Schritten zurückzuhalten. Die Gräfin Hatzfeldt traf bald nach jenem Briefe in Genf ein. Helene hatte bereits vom Rigi und später von Bern und Genf aus an die Gräfin geschrieben und in den zärtlichsten Ausdrücken um ihre mütterliche Freundschaft gebeten. In der freundschaftlichsten Weise hatte die Gräfin ihr geantwortet und begann nunmehr auch persönlich in die Action einzugreifen, um ihren Freund dem Ziel seiner Wünsche entgegenzuführen.

Um das Hinderniß der Religionsverschiedenheit zu beseitigen, entschloß sich Lassalle, zum Katholicismus überzutreten. Die Gräfin Hatzfeldt reiste nach Mainz, um den Bischof von Ketteler zu bewegen, die Taufe an Lassalle zu vollziehen. Herr von Ketteler sagte zu, allerdings bemerkend, er wisse recht wohl, daß dieser Uebertritt nur aus äußeren Gründen erfolge, jedoch hoffe er auf die Macht der göttlichen Gnade, welche auch die innere Umwandlung bewirken werde. Lassalle selbst eilte nach München, um die Bedenken des Herrn von Dönniges betreffs seiner officiellen Stellung zu beseitigen. In einigen Conferenzen mit dem damaligen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn von Schrenk, gelang es ihm, denselben für sich zu gewinnen, so daß Schrenk einen Bevollmächtigten in Person des Advocaten Dr. Hänel mit einem Brief an Herrn von Dönniges sandte, worin Schrenk die Verbindung Lassalle’s mit Helene befürwortete.

Inzwischen war von Berlin durch Herrn von Dönniges der bisherige Verlobte Helene’s, Janko von Rackowicz, herbeigerufen, mit der Familie Dönniges im Bade Bex (im Canton Waadt) zusammengetroffen und mit derselben nach Genf gereist. Unmittelbar darauf traf Lassalle in Begleitung des Dr. Hänel und J. B. von Hofstetten aus München in Genf ein.

Einige Tage nach seiner Ankunft erschienen die Herren Dr. Arndt, ein Verwandter der Familie Dönniges, und Graf Kayserlingk, der Bräutigam von Helene’s Schwester, bei Lassalle und brachten ihm die an Helene gemachten Geschenke zurück, begleitet von einem Zettel derselben, worin sie erklärte, daß sie ihr Verhältniß zu Lassalle als gelöst betrachte; Der Grund dieser Sinnesänderung ist bis jetzt noch nicht aufgeklärt worden und dürfte es auch jemals schwerlich werden. „Das Weib ist wandelbar!“ sagt der Dichter; Lassalle gerieth in die höchste Aufregung. Er glaubte, der Vater habe seine Tochter zur Abfassung jenes Zettels gezwungen, und ließ Herrn von Dönniges auf Pistolen fordern. Herr von Dönniges nahm die Forderung natürlich nicht an, erklärte, daß seine Tochter ganz freiwillig zurücktrete, und Helene, von ihrem Vater gerufen, wiederholte Rüstow, dem Abgesandten Lassalle’s, ruhig und ausdrücklich, daß sie freiwillig, ohne jeden Zwang, aus eigenem freien Entschluß das Verhältniß löse. Herr von Rackowicz wurde nunmehr von den Freunden Lassalle’s von der Sachlage unterrichtet. Es wurden ihm sämmtliche Briefe Helenens vorgelegt und dieselben von ihm gelesen, es wurden ihm alle Details mitgetheilt, aber er erklärte, daß alles dieses für ihn kein Hinderniß sei, zurückzutreten.

In seinem ganzen Leben war Lassalle gewöhnt gewesen, seinen [378] Willen unbedingt durchzusetzen. Seine großen Talente, seine Energie, seine Thatkraft, seine äußeren Mittel ließen ihn jedes Ziel erreichen. Und so war in ihm ein unbedingtes Selbstvertrauen erwachsen, welches den wesentlichsten Factor seiner Kraft bildete. Vor keinem Hinderniß, möge es auch noch so groß gewesen sein, war er bisher zurückgeschreckt und alle hatte er besiegt; zum ersten Male trat ihm hier nun ein unbesiegbarer Widerstand entgegen. War auch seine Liebe zu Helene durch ihr Benehmen jetzt vollständig erloschen, so konnte er den Gedanken, daß er einen einmal gehegten Wunsch aufgeben, daß er gezwungen sein solle, dies zu thun, nicht fassen. Seine ganze Natur empörte sich dagegen. „Ich bin gebrochen, geistig todt, wenn ich unterliege, mein Selbstvertrauen ist meine ganze Kraft; verliere ich dieses, gehe ich zu Grunde!“ äußerte er oft.

Und andererseits war er auf das Höchste entrüstet über das Spiel, welches man mit ihm getrieben. Ein launenhaftes Mädchen hatte ihn zu ihrem Spielball gemacht, um ihn dann, seiner überdrüssig, bei Seite zu werfen. Das war eine Verletzung, die am allerwenigsten ein Mann wie Lassalle ertragen konnte. Eine wilde Rachsucht, seinem leidenschaftlichen Naturell angemessen, erwachte in ihm. In höchster Erbitterung schrieb er an Helene einen Brief, worin er ihr ganzes Benehmen ihr vorhielt und mit einigen, allerdings für sie sehr beleidigenden Ausdrücken schloß. Abschriften dieses Briefes sandte er an Herrn von Dönniges und Herrn von Rackowicz, und Letzterer ließ ihm sofort eine Forderung zum Duell auf Pistolen zugehen.

Alle Anstrengungen und Vorstellungen seiner Freunde, das Duell abzulehnen, waren vergeblich. Sie erinnerten ihn, daß sein Leben der Wissenschaft, dem Volke, den Arbeitern gehöre, sie stellten ihm die Folgen seines etwaigen Todes für sein begonnenes Werk, die Arbeiterbewegung, vor, aber vergeblich. „Ich muß Blut sehen, ich muß mich rächen!“ mit diesen Ausrufen schnitt er alle Einwendungen ab. Ein ausgezeichneter Pistolenschütze, dachte er kaum an die Möglichkeit, selbst erschossen zu werden; es stand vielmehr unwiderleglich bei ihm fest, daß er seinen Gegner tödten werde. Ja, als er bei seinen Freunden auf heftigere Opposition stieß, gerieth er in Zorn und erklärte nur den für seinen Freund, welcher seine Zwecke ihm fördern helfe. Am 27. August, unmittelbar nach einer heftigen Scene mit den das Duell mißbilligenden Freunden, verfaßte er sein Testament. Während Janko von Rackowicz sich in den dem Duell vorhergehenden letzten Tagen beständig im Pistolenschießen übte, verschmähte er dies vollständig. „Ich werde meinen Mann schon zu treffen wissen!“ sagte er.

Ein Versuch, durch die Polizei das Duell zu verhindern, scheiterte, und so fand dasselbe am Sonntag den 28. August Morgens zwischen acht bis neun Uhr in dem Wäldchen bei Lancy auf französischem Gebiet statt. Die Duell-Punctation lautete:

„Fünfzehn Schritt fester Stand. – Schuß innerhalb zwanzig Secunden, markirt durch 1, 2, 3, Anfang, Mitte und Ende. – Glatte Pistolen mit Visir und Korn. – Haltung beliebig. – Drei Kugeln pro Mann. – Versagen gilt für Schuß. – Jedes Mal ladet derselbe Secundant beide Pistolen. – Secundanten loosen um die Reihe des Ladens. – Graf Kayserlingk und Dr. Arndt besorgen den Arzt. – Rendezvous: Omnibus-Halteplatz in Carouge sieben ein halb Uhr Morgens, 28. August. – R. 1. A. 2. B. 3. – Jeder Duellant hat in Händen seiner Secundanten einen Revers, daß er sich selbst erschossen hat, für vorkommende Fälle.

Gregor, Graf Bethlen. – W. Rüstow, Oberst-Brigadier. – Graf Eugen Kayserlingk. – Dr. Wilh. Arndt.“

Außer den Unterzeichneten war noch anwesend beim Duell Herr von Hofstetten, der gegenwärtige Redacteur des „Social-Demokrat.“ Der von Lassalle ausgestellte Revers lautet wörtlich:

„Ich erkläre hiermit, daß ich es selbst bin, welcher seinem Leben ein Ende gemacht hat.

28. August 1864.
F. Lassalle.“

Lassalle, der auf einem Auge schlechter sah, als auf dem andern, stand bei dem Duell sehr seitwärts, mit der linken Schulter nach vorn. Als er eben im Begriff war zu schießen, erfolgte der Schuß von Rackowicz. Die Kugel traf ihn in den Unterleib an der linken Seite, zerriß alle edlen Theile und ging an der rechten Seite wieder hinaus. Darauf schoß er, jedoch natürlich ohne zu treffen. Von Rüstow und Hofstetten gestützt, wurde er nach der Droschke gebracht, und so fuhr man ihn nach Genf zurück in das Hotel Victoria, Rue Montblanc.

Gepflegt von seinen Freunden lag er dort bis Mittwoch, den 31. August früh, in gräßlichsten Schmerzen. Am ersten Tage hatte er noch die Besinnung, jedoch sprach er sehr wenig. Seine Freundin, die Gräfin Hatzfeldt, wich weder Tag noch Nacht von seinem Bett; entfernte sie sich auf einen Augenblick, so frug er sofort nach ihr und wenn sie am Bett saß, mußte ihre Hand in der seinigen ruhen. Die beiden berühmten Aerzte Chelius aus Heidelberg und Billroth aus Zürich, telegraphisch berufen, trafen in Genf ein, aber auch sie erklärten, wie die Genfer Aerzte, seinen Zustand für rettungslos. Es konnte die ärztliche Kunst nur durch Milderung seiner furchtbaren Schmerzen sich bethätigen. Der Schmerz war so stark, daß sein umflortes Auge weder am Montag den 29. noch Dienstag den 30. August Jemanden seiner Freunde erkannte. Im Laufe des Dienstag Nachmittag war der Schmerz am heftigsten. Schreiber dieser Zeilen reichte ihm in Zeit von drei Stunden zweiundeinhalb Gran Morphium, und doch reichte diese ungeheure Dosis nicht hin, den Schmerz zu stillen. Tiefe Seufzer und von Zeit zu Zeit leises Wimmern waren seine einzigen Lebenszeichen. Am Mittwoch, den 31. August, früh um sieben Uhr verschied er still, noch nicht neununddreißig Jahr alt. Seine Ahnung, daß er sein vierzigstes Jahr nicht überleben werde, war also eingetroffen.

Wir sind nicht im Stande, auch nur annähernd den Schmerz seiner Freunde, seiner langjährigen Freundin, seiner aus Wien herbeigeeilten hochbetagten Mutter zu schildern. Das läßt sich nicht in Worte kleiden. Was mit ihm verloren ist, wird jetzt bereits von Denen gefühlt, die seine Bedeutung kennen, die Zukunft wird es vielleicht in noch höherem Grade offenbaren.

Am 2. September fand im Temple unique zu Genf eine großartige, von viertausend Männern französischer, italienischer, russischer, polnischer, ungarischer und deutscher Nationalität veranstaltete Todtenfeier statt. Die Emigration aller Länder war vertreten; für Herzen und Mazzini erschienen zwei ihrer Freunde, Freiligrath sandte ein Telegramm aus London und Georg Herwegh war am Todestage bereits persönlich gekommen. Vor dem mit schwarzem Tuch überhangenen Katafalk sprachen, nachdem Joh. Phil. Becker die Trauerversammlung eröffnet, Elie Ducommun im Namen der französischen, Pfarrer Wagner im Namen der deutschen Schweizer, Alfred Tronchin im Namen der Franzosen, Georg Klapka im Namen der Ungarn und Friedrich Reusche im Namen der Deutschen.

Die Leiche Lassalle’s war einbalsamirt worden und wurde in einem Zinksarge, der in einer eleganten Umhüllung von Eichenholz ruht, nach der deutschen Heimath gebracht, wo sie auf dem jüdischen Friedhof in Breslau ihre letzte Ruhestätte fand. Ein Denkmal mit einer von dem großen Philologen August Böckh in Berlin verfaßten Inschrift sagt dem Besucher, daß Ferdinand Lassalle hier ruht, und die treue Sorge seiner Freundin, der Gräfin Hatzfeldt, schmückt das stille Grab mit Blumen.




  1. Wie Lasalle selbst es that, überschätzten auch seine Anhänger sehr die Tragweite dieser Bewegung.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)