Die schlafende Versammlung
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
In vorliegendem Blatte verspottet Hogarth die englische Hochkirche durch Darstellung derjenigen Wirkung, welche sich aus der von Alters her ihren Geistlichen überlieferten Art zu predigen ergibt. Der Geistliche jener Staats-Religion, welche Carl II. als für einen Gentleman sich eignend definirte, darf den guten Ton der aristokratischen Gesellschaft nicht verletzen, indem er in Aufregung oder gar in Eifer geräth. Er muß auf der Canzel dieselbe fashionable Gleichgültigkeit beweisen, wie sie einem Manne von Stande in den Salons der guten Gesellschaft geziemt und seinen Ton so wie seine Worte darnach einrichten, wenn er nicht für einen halben Ketzer, oder was noch schlimmer wäre, für einen Menschen ohne Geschmack gelten wollte. – Die Geistlichen der Hochkirche, unter andern der hier dargestellte, halten es somit auch gewöhnlich für zweckmäßig, die Predigt nicht aus dem Stegreif zu halten, sondern dieselbe abzulesen; sie gehen sogar noch weiter, und
[812] verfertigen die Predigten nicht einmal selbst. Man findet wenigstens in den Zeitungen mitunter Buchhändler-Ankündigungen von Predigten, welche sich, wie es dort heißt, für den Gebrauch auf Canzeln um so mehr eignen, da sie in demselben Format, wie die Manuskripte, und auch mit sogenannter Cursivschrift gedruckt sind. Natürlich geht die Form bei diesen Verhältnissen über Alles. – Zum Verständniß des Blattes mag in dieser Hinsicht die Schilderung eines Geistlichen der Hochkirche von Bulwer dienen, welche wir zu dem Zwecke hier mittheilen:
„Tretet in dies heilige und gefüllte Haus; es ist eine Kirche nach dem feinen Ton – der Pastor beginnt seine Predigt. Er ist ein sehr gelehrter Mann, denn man sagt, er werde in Kurzem Bischof werden; er hat ferner ein griechisches Trauerspiel herausgegeben und war Erzieher von Lord Flimmer. Faßt ihn in’s Auge! wie eintönig seine Stimme, wie kalt sein Benehmen, wie gelassen seine Miene! Jedoch, welcher Art sind seine Worte? „Fürchtet den Zorn, der kommen wird, denkt an Eure unsterblichen Seelen! denkt, welch furchtbare Verantwortlichkeit auf dem Leben liegt, wie genau die Rechnung gehalten wird, wie schnell sie abgefordert werden kann!“ – Die Worte sind gewiß von der Art, daß sie den höchsten Affect anregen könnten und werden im Tone eines Menschen hingeworfen, der ganz gelassen fragt: Johann, wie lange währt es noch bis zum Mittagessen? – Ich sah in meinem Leben keinen kälteren Menschen! Aber, mein Werthester, bemerkt der fashionable Purist, diese Kälte ist Anstand; sie ist das wahre Merkmal eines Geistlichen von der Staatskirche. – Ach, Dr. Young dachte nicht so, als er beim Wahrnehmen des unzulänglichen Eindrucks, den er auf die Zuhörer machte, innehielt und in Thränen ausbrach. – Herr, Dr. Young war ein großer Dichter, aber Jedermann wußte, daß er nicht ganz orthodox war.“
Hier ist der Ort, worin das würdige Mitglied der Hochkirche predigt, nur eine Dorfkirche, so daß man bei der Gemeinde nicht jenen Anstand von fashionablen Gentlemen und Ladies erwarten kann, welche die äußere Aufmerksamkeit um so mehr der Form nach zeigen können, da sie ohnedem daran gewöhnt sind, sich bei mannigfachen Gelegenheiten zu langweilen, ohne ihre Langeweile merken zu lassen. Die [813] ländliche Bevölkerung, welche in der Bildung des feinen Tons zurücksteht, ist dem Triebe der Natur gefolgt, und somit eingeschlafen; die Hauptperson, der Prediger, welcher allen oben erwähnten Anforderungen vollkommen entspricht, hat sie durch den Text der Predigt ohnedem dazu eingeladen. Dieser besteht in den Worten Matth. 11, 28.: „Kommet der zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken;“ nach der englischen Uebersetzung: Ich will Euch Ruhe (oder Schlaf) verschaffen (I will give you rest). Die Inschrift an der Canzel mag sich nicht allein auf den Geistlichen, sondern überhaupt auf die Wirksamkeit der Hochkirche hinsichtlich des niederen Volkes beziehen. Sie lautet: „Ich fürchte Euer, daß ich nicht vielleicht umsonst habe an Euch gearbeitet. Galat. 4, 11. Auch die andern Zuthaten eignen sich für den Pastor, der die Predigt liest. Das feine battistene Schnupftuch liegt ihm zur Seite auf der Brüstung, damit er es mit desto größerer Gemächlichkeit brauchen kann; ein Lorberkranz auf der Rückwand der Canzel paßt schräg auf seine Perrücke. Das Stundenglas, als memento mori der entschwindenden Zeit, dient ihm gewissermaßen als Ermahnung, jenes werthvollste Capital nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen. Er selbst, der Küster und zwei alte Weiber sind die einzigen Wachenden. Der Küster, welcher ohnedem für das Wachen bezahlt wird, denn er muß nach dem Brauch der englischen Kirche das Amen am Schluß der Predigt sprechen, hat noch einen angenehmen Gegenstand in’s Auge gefaßt, welcher seine Lebensgeister rege hält. Er betrachtet mit Kennerblicken den entblösten Busen eines seitwärts sitzenden jungen Mädchens (vielleicht der Tochter des Gutsherrn), der das Halstuch während des Schlummers abgefallen ist. Sie ist sonderbarer Weise bei dem Gebete über die Ehe eingeschlafen, wie sich dasselbe in dem officiellen Gebetbuche der Hochkirche (common prayer book) vorfindet.
Im gegenüberliegenden Kirchstuhl liegen fünf Bauern in tiefster Ruhe. Man bemerkt aus dem geöffneten Munde, daß sie in höherem oder tieferem Baß die Predigt des ehrwürdigen Pfarrers accompagniren. Ihr Schnarchen bezeugt, daß sie sich den Text jenes Mannes zu Herzen genommen haben, mit dessen Namen (Parson) sie sonst zugleich einen [814] Wegweiser bezeichnen, d. h. ein Ding, welches den richtigen Weg weist, aber selbst nicht geht. Zwei alte Weiber, wie erwähnt, sind wach geblieben. Ob Hogarth hier den Widerspruchsgeist des schönen Geschlechts hat darstellen wollen (denn sie sind die einzigen, welche der Aufforderung nicht folgen), oder ob er den Damen im Allgemeinen ein Compliment zu machen beabsichtigte, mögen diejenigen entscheiden, welche den Charakter des reizenden Theils der Schöpfung genauer kennen.
Auch auf der Gallerie haben zwei Männer sich dem allgemeinen Chor unten angeschlossen. Der eine hat den Anstand beobachtet, indem er sich das Gesicht mit den Händen bedeckt, der andere ist offenbar in einem volltönigen Schnarchen begriffen.
Nebenbei hat Hogarth dem Kunstgeschmack seiner Landsleute in jenen Zeiten ein Compliment gemacht. In den Fenstern und Scheiben herrschen Verhältnisse, die ein Kenner des Vitruv schwerlich mit dessen Regeln in Einklang würde bringen können. Ueber den Fenstern ragt, von einer Glorie umgeben, ein Symbol der Dreieinigkeit in einem verkehrten Triangel. Ein Engel hält dasselbe mit der einen Hand und mit der andern die Devise des britischen Wappens. Dieser ist ein wahres Wunderwerk, denn er hat zwei Beine an einem Schenkel und doppelte Kniee. Auch eines der Wappenthiere Großbritanniens, der Löwe, ist bewunderungswürdig. Sowohl der Kopf mit dem aufgerissenen Rachen, wie auch die Zeichen der Männlichkeit fallen durch ihren Umfang in die Augen, und geben einen genügenden Begriff von der Größe der Nation. – Endlich bezeugt noch die Ausschmückung des Altars einen geläuterten Geschmack. Das zum Abendmahl bestimmte Geschirr dient anstatt des Altarblattes. Die blank gescheuerten silbernen Teller sind wie auf einem Küchensimse aufgestellt.
Unter den Zuthaten ist noch ein Familienwappen, wahrscheinlich des Gutsherrn, am Pfeiler zu erwähnen. Es besteht aus drei Nachteulen, den antiken Symbolen der Weisheit. Sie ragen, gleichsam wie ein allgemeines Wappen, über der ganzen Versammlung hoch empor.