Die sechs Diener (Löhr)

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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Die sechs Diener
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 82–91
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[82]
12. Die sechs Diener.

Eine alte Königin hatte ein großes Reich und eine schöne Tochter, welche die schönste war auf der ganzen Welt, und freieten große Könige und Prinzen um dieselbe. Aber die Königin war eine sehr böse und sehr mächtige Zauberin, und wenn ein Freier kam, mußte er einen großen Eid thun, was ihm die Königin aufgäbe, das wolle er vollbringen, oder seinen Kopf hergeben.

[83] Da steckten nun wohl an zwanzig Köpfe auf dem Schloßthore, von welchen jeder einst gedacht hatte, er habe Kopf genug seinen Kopf zu retten.

Da nun aber so viele die Köpfe verloren hatten, ließen sich die Andern dadurch ein klein Bißchen warnen, und fand sich lange Zeit Keiner, der um die Prinzeßin anhielt, blos weil er auf seinen Kopf ein wenig hielt.

Es hatte aber ein Königssohn schon lange um die Prinzeßin wollen werben, sein Vater aber litt es nicht, denn er fürchtete, es möchte der Prinz den Kopf auch verlieren, wie so viele andere Prinzen, die auch Leute von Kopf waren. Da wurde derselbe Prinz nun aus Sehnsucht krank, und kränker und immer kränker und verwelkte wie eine Blume, die ein böser Wurm im Herzen anfraß. Die Aerzte sagten, es stehe ihm nicht zu helfen, wenn ihn der König nicht reisen ließ.

Also hatte der König keine Wahl; hier gewißer Todt; dort doch ungewißer. „Zieh hin, sagte er; vielleicht bist du glücklich!“

Als der Sohn nun seinen Willen hatte, ward er alsbald gesund, und zog hin.

Auf der Reise kam er in einen Wald, da fand er einen Mann, der lag auf der Erde und war so gewaltig dick, daß er in der Ferne wie ein Berghügel aussahe.

„Wie bist du so ungeheuer dick worden?“ fragte der Prinz.

„Ich dick? erwiederte der Mann; jetzt bin ich ja gar nicht dick und bin ganz zusammen gefallen, denn ich habe heut erst sechs Backofen voll Brodt und 2 Stückfaß Wein gehabt, da ist mir ganz miserabel zu Muthe; aber wenn ich mich so recht auseinander thue, da bin ich dreitausendmal dicker. Ich heiße auch der Dicke.

[84] „Du bist mir schon recht, sagte der Prinz; willst du mir dienen, so ziehe mit mir. Da zog der Mann mit ihm.

Als sie weiter gekommen waren, fanden sie Einen, der lag auch auf der Erde und hielt sein Ohr an die Erde.

„Was machst du da?“ fragte der Prinz.

„Ich horche ein Bißchen, antwortete der, was sie tausend Meilen von hier stampfen und toben und blasen. Es wird wohl eine Schlacht sein, denn es sind so viel Huftritte und Menschentritte und Schwerdtergeklirre dabei. – Man heißt mich den Horcher.

„Was macht man am Hofe der bösen Königin jetzt?“ fragte der Prinz.

Der Horcher legte sein anderes Ohr an die Erde und horchte. „Eben jetzt, sagte er darauf, knappen sie einen Freier den Kopf ab, der gestern um die Prinzeßin geworben hat, und hat das erste Bund (Aufgabe) nicht lösen können, das ihm gegeben ward. So hör ich die Leute sprechen.“

„Geh mit, wenn du mir dienen willst,“ sagte der Prinz. Da ging er denn auch mit.

Alle drei zogen fürder, und fanden Einen, der sich der Länge lang ausgestreckt hatte, und war so lang, daß man eine halbe Viertelstunde gehen mußte, ehe man vom Kopf bis zu den Füßen und von den Füßen wieder bis zum Kopfe kam.

„Was tausend bist du lang!“ sagte der Prinz; der aber antwortete: „das ist noch gar nichts, denn wenn ich mich recht ausdehnen will, sehe ich weit über die höchsten Berge hinweg.“

„Wenn du mir dienen willst, so gehe mit,“ sagte der Prinz. Da ging er denn auch mit.

Als die Vier weiter gingen, saß Einer mit verbundenen Augen da, und der Prinz fragte: „Warum hast du das Tuch um die Augen?“ [85] – „Ja, sagt der, wenn ich sie nicht verbunden hätte, so wär das nicht gut; denn was ich so geradehin ansehe, das springt voneinander.“

„So geh auch mit mir, wie die Andern, wenn du mir dienen willst.“

„Ja das will ich schon,“ sprach der, und ging mit.

Nun fanden die Fünf im Weitergehen Einen, der lag in der heißesten Mittagssonne gegen einen Felsen angelehnt, wo die Strahlen so sehr brannten, daß es Niemand erleiden konnte. Der aber zitterte am ganzen Leibe, daß die Glieder zusammen klapperten.

„Hast du das Fieber? fragte der Prinz, daß du so zitterst?“ „Nein, antwortete er, aber in der Sonnenhitze frierts mich desto mehr, je heißer es ist; aber je kälter es ist, desto heißer wirds mir, und im dicken Eise kann ichs vor Hitze nicht aushalten.“ „Das ist kurios, sagte der Prinz; aber, du Narr, da hättest du dich nicht an den Felsen legen müßen, sondern in den Schatten.“

„Ja freilich, sagt der Zittermensch, aber ich dacht eben nicht dran, denn weil ich in tiefen Gedanken war, so konnt ich nichts denken!“ der Prinz hieß ihn auch mitgehen, und er ging gleichfalls mit.

Da nun die Sechs noch weiter gingen, kamen sie über einen hohen Berg, da stand Einer, der schauete überall sich um, dahin und dorthin.

„Was schaust du da?“ fragte der Prinz. „Das thue ich zu meiner Lust, sagte er, denn meine Augen sind so hell, daß ich die ganze Welt durchschauen könnte. Seht her! da! eben alleweile frißt dort eine Krähe hinter dem Pfluge einen Maikäferwurm. Das ist aber auch freilich nicht weit, sondern nur fünfhundert Meilen von hier.“

[86] „So einer fehlte mir noch, sagte der Prinz, und nahm ihn dann auch mit.

Nun kamen sie in die Stadt, wo die böse Königin und die schönste Prinzeßin wohnten. Der Prinz ging zur Königin und sagte, er wollte um die Prinzeßin werben.

„Das magst du wohl thun, antwortete sie; aber so will ich dir denn dreimal Etwas aufgeben, wenn du das jedesmal lösest und zu Stande bringst, will ich dann die Tochter dir laßen. Zuerst mußt du mir einen Ring schaffen, den hab ich in den und den großen Fluß fallen laßen.“

Der mit den hellen Augen mußte nun sehen, wo der Ring im Fluße liege, und da er ihn in einer großen Tiefe gefunden, trank der Dicke oberhalb des Orts, wo der Ring war, das Waßer so lange weg, bis der Lange in die Tiefe hinabgereicht und den Ring genommen hatte.

Als der Prinz den Ring der Königin brachte, sagte sie: „das ist gut! denn es ist der rechte Ring; aber nun kommt der zweite Bund. Dort auf der Wiese weiden meine dreihundert Ochsen. Dazu will ich dreihundert Stückfäßer Wein bringen laßen. Die mußt du verzehren und darfst nur einen einzigen Gast zu Hülfe dabei nehmen.“

Da nahm er seinen Dicken zum Gaste, und als der sahe, was hier zu thun sei, sagte er: „Da kann man sich doch endlich einmal so ziemlich satt eßen und trinken. Er aß die dreihundert Ochsen mit gutem Appetit, und den Wein trank er gleich aus den Fäßern; ein oder zwei Stückfaß auf einmal.

Als das nun auch gethan war, sagte die Zauberin; so weit hat es noch keiner gebracht als du. So will ich dir denn auch etwas ganz Leichtes aufgeben, und dann ist Alles ausgerichtet.

[87] „Heut Abend bring ich dir die Jungfrau; da setzt Ihr Euch beide zusammen, Ihr dürft aber nicht einschlafen, vor Mitternacht zwölf Uhr, wo ich selbst komme. Bist du denn eingeschlafen, so verlierst du den Kopf.“

Der Prinz war behutsam und dachte: „das möchte wohl gar das Schwerste sein, und als die Prinzeßin hereingeführt wurde, hieß er alle seine Diener in die Kammer kommen. Den Dicken stellt er gegen die Thür, daß kein Stäubchen hinein konnte und der Lange mußte sie alle umschlingen, daß keiner davon konnte. Nun, dacht er, würde es wohl gehen.

Sie wachten bis über eilf, da überfiel sie allesammt ein fester Schlaf, den sie nicht abwehren konnten, denn es war ein Schlaf, den die Zauberin gemacht hatte.

Es war nur noch eine Viertelstunde vor zwölf Uhr, da wachten sie auf, aber die Prinzeßin war, während sie schliefen, von der Zauberin fortgeschaft.

„Halt! sagte der Helle, und strengte seine Augen recht an; sie sitzt mitten in einem Felsen; aber ich kann bei Nacht nicht recht wißen, wie weit es wohl sein mag.“

Da horchte der Horcher! „Ja! sagte er, sie sitzt im Felsen und klagt jämmerlich über ihr Elend und spricht: der Prinz sei ihr Liebstes, seitdem sie ihn einmal gesehen, und nun müße sie in tiefer Felsenkluft sitzen. – Der Felsen wär aber kaum dreihundert Stunden weit.“

Der Lange nahm nun den mit den verbundenen Augen, und hockt ihn auf seinen Rücken, und trug ihn in einigen Minuten zu dem Felsen hin. Hier nahm er ihm die Binde hinterwärts ab, und der Felsen zersprang in viel Millionen Stücken, daß es krachte, und im Augenblicke schlug er die Augen zu, und verband sich wieder mit [88] der Binde; der Lange aber nahm die Prinzeßin auf seinen Arm, den Felsensprenger aber auf seinem Rücken, und sie waren so bald wieder da, daß noch hübsch fehlte, ehe es zwölf schlug.

Schlag zwölf war die alte böse Hexe da, und sahe, daß Alle wachten, und die Prinzeßin wieder da war. Mürrisch sagte die böse, alte Hexe, es sei nun Alles gut, und nahm die Tochter mit sich auf ihre Kammer.

Es war aber noch lange nicht Alles gut, sondern gar böse. Die Alte beredete die Tochter, am andern Tage zu sagen, der Prinz habe wohl vollbracht, was die Königin hätte aufgegeben, aber das gehe sie nichts an. Sie wolle ihm auch Etwas aufgeben, welches er erst ausrichten müße, ehe sie ihn nähme.

So sagte sie denn am andern Tage auch, und gab ihm auf, er solle Jemand aufsuchen, der in einem großen brennenden Haufen Holz sich wohl hielte, und unversehrt aus dem Feuer hervorginge. Das hatte die Alte sich ausgesonnen und hatte gedacht, wenn ihm die Diener auch Alles zur Liebe thäten, so würden sie doch Solches nicht thun.

Der Holzhaufen wurde zusammengelegt und angezündet, und der Frostige stieg nun in den brennenden Haufen, welcher die Flammen bis zum Himmel trieb und bis zum dritten Tage brannte, ehe er erlosch.

Als derselbe nun erloschen war, kam der Frostige aus der Asche hervor und war ganz erstarrt und sagte: wenn der Haufen noch einen einzigen Tag gebrannt hätte, so wär er gewiß erfroren.

Die schöne Jungfrau sollte sich nun mit dem Prinzen vermählen, denn die Zauberin wußte nicht mehr, was sie sollte ersinnen. Aber als Beide zur Kirche fuhren, wollte sie nun noch Gewalt versuchen und sendete all ihr Kriegsvolk nach, den Prinzen und seine[WS 1] [89] Leute niederzumachen. Der Horcher aber hatte Alles gehört, was das böse Weib im Sinne hatte, und sagte zu dem Felsensprenger: „Nun wollen wir einen rechten Spaß haben mit dem schlechten Pack. Siehe sie nur recht scharf an, daß sie alle zerspringen. Das that der denn, und Reiter und Fußvolk zersprangen in Splittern, als ob sie aus Glas gemacht gewesen wären. Die alte Zauberin aber, die in ihrem Wagen nachgefahren war, um die Sache mit anzusehen und auch zu kommandiren, sah er besonders noch recht scharf an. Da zersprang sie so sehr, daß sie zu einem Häufchen Staub wurde.

Nun überkam der Prinz die Prinzeßin. Er reiste nun mit ihr nach seinem Schloße. Aber, weil es ihn sehr hatte geärgert, daß sie ihn auch hatte wollen in Gefahr bringen, blieb er mit ihr eine halbe Stunde vor seinem Schloße in einem Dorfe und sprach: „Jetzt sollst du wißen, du garstiges Aas, wer ich bin. Ein Schweinehirt bin ich, aber kein Prinz, und weil du mir nach dem Leben getrachtet hast, und bist so hochmüthig gewesen auf deine Schönheit, sollst du nun dein Lebtag die Säue hüten; und wenn du nicht ordentlich thust, was dir befohlen ist, sollst du die Peitsche schon kosten, denn das Karbatschen hab ich gelernt.“

Sie bekam nun einen groben Kittel, ein Paar alte Strumpfsocken statt der Schuhe und Strümpfe und grobes Brodt kaum satt, und mußte die Säue hüten. Da klagte sie ganz kläglich, und weinte lauter Thränen, und reuete es sie sehr, daß sie so hochmüthig gewesen, und habe die Mutter nicht gehindert, so brave Prinzen hinrichten zu laßen, und auch wollen helfen ihren Mann ins Verderben bringen.

Sie hütete die Säue, und er hütete sie mit. Er war aber von nun an gütig und freundlich gegen sie, und brachte ihr zuweilen [90] ein Band für zwei Dreier und einen Pfennigkuchen mit aus der Stadt.

Als nun ihr Herz ganz zerbrochen und zerknirscht war, sprach er eines Tags: „Komm, wir wollen ein wenig wohin gehen, wo es recht lustig herzu geht,“ und führte sie in sein Schloß. Da wurde denn Alles offenbar, und sie fiel vor dem Prinzen nieder, und weinte auf seine Hände und bat ihn, er möchte ihr doch verzeihen; sie wolle fortan nicht mehr so garstig sein um ihrer Schönheit willen.

Da umarmte er sie gar holdselig und freundlich, und sagte: „bleib nur dabei, du Liebe, da werden wir gewiß recht glücklich sein.“

Sein Diener behielt der Prinz bei sich. Der Felsensprenger war im Kriege so gut wie zehntausend Kanonen und sprengte Armeen auseinander; der Horcher wurde sein Spion und verrieth ihm Alles, was in andern Ländern und an andern Königshöfen vorging; der Hellseher mußte sehen, wie es die Richter und Räthe und Amtleute in seinem Lande mit den Unterthanen treiben; der Frostige mußte die tiefsten Wein und Goldkeller bewachen, in welchen er sich wohl befand; der Lange wurde sein Laufer, und wenn hundert Meilen weit Etwas hinzubringen war, war er hundertmal schneller wieder da, als alle Couriere der Welt.

Da war es freilich keine Kunst, daß es in seinem Lande in Friede und Gerechtigkeit herging, und sich alle Unterthanen wohl befanden.

Aber was machte er mit dem Dicken? – Da derselbe wie alle dicken Leute keinen Geschmack hatte, so mußte er diejenigen im Lande auffreßen, welche Recht und Ordnung um Geld verkaufen und die Wittwen und Waisen und ehrlichen Leute hatten auffreßen wollen, [91] z.B. alle Wucherer, ungerechten Sachwalter etc. und er merkte kaum, daß er giftiges Unkraut gefreßen hatte. Das machte, er hatte keinen Geschmack, aber einen guten Magen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: seine seine