Dresdener Kunstausstellung 1816
[655]
Ohne die Kunstwelt als Ergänzung und Entschädigung für die wirkliche ansehen, ihren Zweck außer ihr suchen und somit den Götzendienern derselben Stoff zum Lachen geben zu wollen, gestehe ich doch, daß die hiesige dießjährige Kunstausstellung auch in jener Hinsicht mir willkommen war. Sie wissen ja wohl, o Bester, daß Natur- und Kunstgenüsse in dieser schönen Königsstadt vor allem Andern einladend sind und noch kein Fremder sie anders als ungern verlassen hat. Es mußte mir daher, da der Himmel auch hier zu Lande dieß Jahr höchst trübe, unsommerhaft und regnerisch ist, Freude machen, die Märzausstellung in eine Augustausstellung verwandelt und diesen
[656] Monat mit ihren Reizen mindestens prangen zu sehen.
Ihnen nun aber, Ihrem Wunsche gemäß, was hier zu sehen war, zu schildern, setzt mich einigermaßen in Verlegenheit. Denn einerseits bleiben Natur- und Kunstschilderungen, wie andere Beschreibungen, doch immer hinter der Sache, wie hinter der frischen, lebendigen Anschauung zurück und werden die letzten Sylben im Nachhall, gleichsam abklingender Farben, andererseits kann bei einer solchen Menge immer doch nur das Einzelne herausgehoben werden und das irritabile genus der Künstler, deren Lust und Liebe und Fleiß doch auch seine unzurückweislichen Rechte hat, mag wohl oft für Vernachlässigung und Stumpfsinn halten, was im Grunde nur nothwendige Beschränkung ist. Indessen soll mich dieß und Anderes nicht abhalten, mit Ihnen wenigstens diese Zimmer durchlaufend die schönsten Künstlergaben zu überschauen, und zwar dankbar zu überschauen; denn dieß fordert unsere, der Kunst in mehreren Hinsichten so unersprießliche Zeit.
Freilich wohl werden Sie mir erlassen, Stillleben, Blumen-, Frucht- und architektonische Stücke, wie sie auch dieß Mal nach der Natur, oder auch aus eigener Erfindung in Zeichnungen und gemalt, zum Theil recht fleißig und sinnreich, vorhanden waren, zu erwähnen, wenn ich Darnstädt’s Dom von Cöln vor allen, theils des für die Teutsche Kunst so vorzüglich merkwürdigen Gebäudes, theils der sorgfältigen, fleißigen, kräftigen Behandlung wegen, hervorgehoben. Denn am Ende ist doch auch das den Menschengeist näher, in den nächsten Bahnen Berührende, auch das Anziehendere. Es ist gleichsam [657] eine deutlichere Hieroglyphe; und darum gewinnen Landschaften jederzeit durch mitgegebene Menschen, mögen sie auch nur dienend in das Ganze einzugehen scheinen, gleichsam als müßten diese bewußtlos schlummernden Gegenstände in einem Bewußtseyn erweckt und erlös’t werden. Stelle ich aber hier neben Darnstädt’s Kupferstich sogleich des gemüthvollen, ideenreichen Friedrich’s zwei Gemälde, nämlich den Söller vor dem Domplatze und den Haven, so liegt dieß in der Trefflichkeit beider, welche leicht Schmuck und Zier der dießjährigen Ausstellung sind; so tief gedacht und durchgefühlt; so geistanreizend, kunstreich und bis in die kleinsten Theilchen fleißig ausgeführt sind beide. Im Vordergrunde des ersteren stehen an einer Balustrade auf einem Kirchplatze zwei Altteutsche, Mann und Frau. Ernst, still und heilig erhebt sich ein breithürmiger Tempel des Herrn, und hinter ihm sinkt in feierlicher Pracht die Sonne. Drei Thürme, wovon zwei durch einen Gang verbunden sind, bilden hier Eins in leicht faßlicher, symbolischer Deutsamkeit und Beziehung auf die Gottheit. Sie erheben sich schlank und leicht, mit all dem gothischen, nach dem Vorbilde der Vegetation liebevoll gebildeten Schmucke, in den schönsten und geschmackvollsten Verhältnissen. Das Ganze ist, möchte man sagen, der Triumph der Geistesanbetung über die Naturandacht. Unwandelbar, festgegründet, den wechselnden Schwingungen der Zeit überlegen, schaut der Geist ernst und tiefwürdig die sinkende Pracht der herrlichsten Naturerscheinung – Nicht minder sinnvoll sind diese zwei, dem Beschauer und dem Haven nahenden Schiffe. Sie haben des stürmischen Meeres Fährlichkeiten glücklich bestanden, und feiern, Angesichts der silbernen Mondessichel, wie der sie umfangende Aether, ihren Sabbat. Da draußen aber treibt noch manches Schifflein in der Ferne. Wie [658] einsam und schauerlich, wenn nun diese gelben Strahlen der Scheidesonne vollends im Meere untertauchen, all die leisen, schimmernden und schillernden Farbentöne abklingen! Das Ganze ist wahr und gefühlt, die Bühne harmonisch mit der Begebenheit darauf, das Einzelne wieder mit Lust und Fleiß ausgeführt.
Wenden Sie sich aber nun von diesem trügerischen Elemente zur Veste, dieser reich mit Bergen, Thälern, Matten, Pflanzen, Thieren, Menschen aufgeschmückten Bühne; sehen Sie, wie über eine schöne heitere Landschaft der weißelnde Morgenduft sich ausbreitet und der Morgen selbst, mit Shakespeare zu reden, gleichsam ein leuchtender Jüngling auf den Zehen, auf den Bergspitzen steht; wie dann, nachdem die Sonne höher herauf gestiegen und heiß und sengend geschienen, sie sich nun am Mittage hinter schwer herabhängenden schwarzgrauen Wolken verbirgt, die sich zu entladen drohen, aber auch Erquickung und Anregung zu neuer Lebenskraft versprechen. Einmal das bedrohliche Schauspiel überstanden, ruhen Sie dann wieder aus in der erquicklichen heiteren Abendkühle, wie diese Hirten und Hirtinnen mit ihren Heerden. Fürchten Sie nichts, wenn die Nacht Sie übereilt; diese schauerliche heilige Mondnacht wird Sie auf ihren Fittigen über ihre Schatten hinweg zu dem klaren, freundlichen Firmament emporheben in die Urwohnungen der Menschenseele – und Sie haben die vier Tagszeiten des trefflichen Klengel geschaut, gelebt, dessen Styl und Gediegenheit ja keiner, weiteren Schilderung bedarf. Oder, wenn Ihre Phantasie noch angeregt von den Schauern der Nacht ist, so wenden Sie sich zu dieser grausig-dunkelnden Felsschlucht, „wo alles Licht verstummt,“ und zwei Geistergestalten, der Mystagog Virgil und der in die [659] furchtbaren Geheimnisse der Unterwelt auf höheren Befehl einzuweihende, Dante, ernst und kühn, auf alle Hoffnung verzichtend, hinab steigen. Sie schaudern vor diesen ernsten Felsmassen? So folgen Sie dem Künstler (Dr. Carus) in seine tiefe Waldeinsamkeit, gleich nachdenklich sie mit milderen Phantasien belebend, oder schauen Sie hinaus in die düsteren Herbstnebel, welche die Natur um Sie her decken und Sie werden durchschauern, bis Sie auf diesem Kirchhofe desselben Künstlers hinweggetragen über dieß Wechselspiel des Lebens, dir Ruhe ahnen. Aber Sie fühlen sich neu angeregt und das Ruisdaelsche Kloster (Copie von Dem. Flor. Goetzschel) ladet Sie wieder ein mit seinen Spuren ehmaliger menschlicher Betriebsamkeit, wie Göthe sinnig noch neuerdings dort umher wandelte. Hat nun der Geist gleichsam ausgeruht, so erstehen plötzlich vor ihm die Gegenden von Trivoli, Albano, mit dem Grabmale der Horazier und Kuriazier, vier heitere, warme, glänzende Landschaften C. Graffs. So haben Sie vom Spiele der Kunst mit der bewußtlosen Natur sich anregen und von ihrem reichen Wechsel gern in wechselnde Stimmungen fortreißen lassen, bald ernst, bald heiter, wie die Bühne der Natur und des Lebens selbst ist.
Doch rollen wir nun die große ideale Raumtafel, worauf der Menschen- und Künstlergeist, der Natur den Preis schöpferischen Waltens überlassend und ihr treu und sinnig liebevoll nachtretend, wirkte, zusammen und lassen uns unserer nahen und fernen Dichterwelt Gebilde hervorzaubern! Halte sich uns dort der Natur beredtes Schweigen und ihr schmerzlich lieblicher Schlummer gleichsam in Farben und Licht verklärt, so treten Sie nun mit mir in die Sphäre, wo dieser Menschengeist sich selbst schaut, [660] wo die Breite der Welt und Natur zurück, der Mensch aber mit seinem Seyn und Thun hervortritt. Vieles begegnet uns hier in Abbildern wieder gegeben, bei deren Urbildern wir oft früher gern verweilten, der Künstler Erfindsamkeit, Innigkeit, Sinn und fertige Behandlung bewundernd. Gewiß lasten Sie sich gern an Guido Reni’s Ecce homo, Correggio’s Magdalene durch Fräulein Therese von Winkel, an Cignani’s Joseph und Potiphara von Rentzsch, Annib. Caracci’s Christus von Renner, Luca Giordano’s Himmelfahrt Mariä vom Hofschauspieler Geier erinnern. Das letztere Urbild sahen Sie einst auch in Leipzig bei dem Besitzer, Herrn Lampe, und Sie werden dieß Abbild sehr treu und fleißig finden. Madonna im ätherblauen Gewand über dem Monde, von Legionen Engeln umgeben, Lilien und Rosen zu ihren Füßen. Eine herrliche Dichtung mit Größe, Anmuth und Würde entworfen und ausgeführt – wer würde dem begeisterten Künstler und seinem Nachtreter nicht danken?
Doch wir wollen an diesen Copien in Oel, Kreide, Sepie u. s. w. vorühergehen und dem liberalen Sinn der Vorsteher der Akademie, wie ihrem Urtheile, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es ist in Zeiten, wie den unsrigen, stets rührend und erfreulich zu sehen, wie junge talentvolle Gemüther an jenen Meisterwerken sich versuchen, kräftigen und bilden. Sie sind gleichsam die Vorarbeiten und Studien zu dem, was nun gereiftere Meister, eigener Kraft vertrauend und geübtem Sinn, ja gewonnene Fertigkeit in und für Form kundgebend aus den Tiefen der Kunst- und Menschenwelt herauffördern. Auch hier treten wer gar manchem Schätzbaren entgegen, größtentheils von Meistern der Akademie dieses blühenden, von der [661] Natur so mütterlich mild bedachten, von Stürmen nicht zerschlagenen Ländchens. Jenen Auftritt aus der großen Sophokleischen Schicksalstrilogie, wo der edle Königsheld Theseus dem blinden, in tückische Schicksalswirren verflochtenen greisen Vater, Oedipus, die von dem kalten, staatsklugen Kreon geraubten, lang ersehnten Töchter, Antigone und Ismene, zurückführt, hat der wissenschaftlich und künstlerisch gebildete Professor Hartmann vorgeführt, und, wie zu erwarten war, mit dem ordnenden Verstand, der Farbengebung und Fertigkeit, die all seine Werke auszeichnet. Wohl möchten so riesige Gegenstände der alten plastischen Welt in größeren Dimensionen noch eine angemessenere Darstellung finden. Das Physische waltet hier ja immer über dem Psychischen und das Gemüthlose wird eher verziehen, als die kleinere Form. Von demselben Meister, ist jene Madonna dolorosa von schönem Ausdrucke, und einer Größe, die auch dem Schmerz noch steht. Vielleicht dürfte mehr Wärme der Farbengebung zu wünschen seyn.
Auch Herr von Kügelgen hat drei Bilder ausgestellt; Johannes den Evangelisten, wie er das Gesicht hat vom Throne Gottes mit den vier Thiergestalten – halb liegende Figur, tief begeistert hinschauend, ja hingegeben der Offenbarung und bereit, das Geoffenbarte wiederzugeben, voll Ausdruck und Geistesgluth! Ferner Diana und Endymion – Figuren in Lebensgröße, Endymion sitzend, schlafend, jugendliche Lebenswärme durchfließt den Körper, fast etwas zu roth, Diana naht, scheu besorgt, ihn zu erwecken. Ihre Anmuth ist etwas schaustellerisch und preciös und die glänzenden Farben wohl auch. Die tiefe Symbolik dieses Mythus, der beide Geschlechter sehr zart und mit einer Hindeutung auf die [662] täuschende Maja und starke Mondgöttin die Rollen tauschen läßt und das schlummernde Bewußtseyn, wie die Sühnung des Empörergeistes durch Schlaf darstellt, vertrüg wohl noch eine zartere, feiner gewebte Ausführung, und vielleicht fehlt gerade das Individualisirende, freilich bei diesem schönen, überaus zarten Mythus schwer Erreichbare. Sicher ist die Idee jedoch hier einfacher und besser aufgegriffen, als von Lairesse, der denselben Gegenstand technisch meisterhafter, aber unpoetischer behandelt hat. Höchst zart, ätherisch ist die Madonna, deren Motiv nach Carlo Dolce aufgefaßt ist: die heilige jungfräuliche Unschuld und bewußtlos in sich einkehrende Lieblichkeit.
Platners zwei bunte, harte Bilder, Hagars Auszug und Aufenthalt in der Wüste möchten wenig gefallen, noch weniger Hahn’s Auswanderung Christi aus Jerusalem. Das preiswürdigste historische Bild ist das Abendmahl vom Prof. Matthäi, ein wahrhaft akademisches Bild, mit sicherer Meisterschaft gemalt. Die zwölf Apostel sind von sprechendem Ausdruck, die Gruppen schön und kühn geordnet. Nur dem Kopfe der Hauptfigur, unseres Herrn, fehlt das Große, Edle, Tiefsinnige, und es ist, als hätte dem Meister, der so viel charakteristische Köpfe hier geliefert, sich die Kraft versagt. Ob übrigens das Hochheilige dieser Handlung hier ganz ergriffen, und bedeutsam wieder gegeben sey, stünde wohl zu zweifeln. Dieß tiefste Mysterium der Vergeistigung des Irdischen, des verschmelzenden und die Natur mit der Gottheit vermittelnden Menschengeistes, ist vielleicht die unauflöslichste Aufgabe für die Kunst. Wer sie geahnet hat, wird gestehen, daß sie, so oft es auch versucht worden, doch noch nicht gelös’t ist. Es bedürfte dazu eines [663] Fiesole, oder eines Friedrichs. Denn die Tafelgesellschaft macht es nicht, und bedarf es in der christlichen Welt einer Zusammenleitung alles Gestaltigen und aller Umgebungen auf Einen sachbildlich bedeutenden Punkt, so ist es hier ganz besonders der Fall, wo so viele geheimnißvolle Ideen der religiösen Welt, wie in Einen Brennpunkt zusammengedrängt, die Seele des Christen anregen, welche fast der Form entschlüpfen, weil der Geist so rein und seiner selbst genesen darin waltet. Der Künstler, der uns zu dieser Andeutung veranlaßte, soll, wie wir hören, eine Deutung seines Werks heraus gegeben haben, die uns zwar nicht zu Gesicht gekommen, aber nach den daraus gegebenen Proben z. B. einer vor Judas Jscharioth liegenden wurmstichigen Birn u s. w. doch ein Tändeln verräth, welches unter dem Ernst und der Würde der Idee liegt und das Verständniß des Werks im Wesentlichen nicht zu fördern scheint.
Auszeichnung verdienen auch Mor. Retzschen’s Mädchenraub und Abschied eines in den Krieg ziehenden Ritters. Es liegt viel Schreck und Kampf in diesem anmuthig-weichen Mädchenkörperchen und viel Haß und Zorn in dem nacheilenden Knappen. Seine Theilnahme und Treue ist Gewöhnung; denn er war von der Geburt an gewiß um dieß liebe Mädchen. Eben so edle kräftige Jugendgestalten sind der Ritter auf seinem Roß vor dem Balcon und die, von diesem mit dem Kinde im Arme Lebewohl nachrufende, wackere Ritters- und Hausfrau. Herrn Näkes Genoveva, knieend, des vor ihr stehenden Kindes Händchen zum Gebet an den gekreuzigten Heiland aufhebend, hinter ihr die Hirschkuh, seitwärts von ihr in üppiger Pflanzung ein Haase, scheint doch nicht so gelungen, als frühere Situationen aus Faust. [664] Genovevens Züge erinnern an eine stehend gewordene, wiederkehrende Idealform aus dem Alterthume, welcher das Individuelle und Charakteristische fehlt.
Fouqués reiche Dichtungen haben auch jetzt wieder einige wackere Zeichnungen veranlaßt, wir eine Scene aus Sigurd von Jul. Schnorr; wie denn auch derselbe zwanzigjährige Künstler eine andere größere Zeichnung geliefert hat, den Kampf des Christen- und Heidenthums, welche durch Erfindung, Anordnung und Symmetrie der Gegensätze, durchgehendes gehaltene Charakteristik eben so sehr als durch freie, wohlverstandene Zeichnung zu großen Hoffnungen berechtigt.
Unter den Porträts verdienen durch geistreiche Anffassung, kräftige sichere Behandlung, wiederum zwei Bilder des Prof. Matthäi den Preis. Es ist eine seltene Wahrheit und Tiefe der Charakteristik darin. Ein angenehmes, geistreich behandeltes Mädchenköpfchen hat Cassee, der Sohn, in Pastellfarben geliefert.
Gern erinnerte ich an manche gelungene Acte, architektonische Zeichnungen, und Kupferstiche; aber wer möchte alles Gute auffassen? Des Plastischen war außer ein Paar Büsten wenig da, was erwähnt zu werden verdiente. Auch der fleißigen Stickereien von Louise Schadenhausen kann nicht einzeln gedacht werden. Nur Opitzen’s charakteristische Scenen aus Frankreichs Sitte und Leben, eine Reihe höchst drollig und witzig aufgefaßter, mit sinnvoller Wahl treu zusammen gestellter, leicht und fertig ausgeführter Situationen, verdienen eine ehrenvolle Auszeichnung. In Allem herrscht eine bunte Lust und Fülle der Ironie.
[665] Der häufige Besuch der Ausstellung veranlaßte die Directoren, diesen Genuß länger zu vergönnen als sonst, und so fanden sich bei zu Ende gehender Badezeit hier manche zum Theil merkwürdige Fremde ein.