Ehestandsgeschichten unter Pelz und Federn
Wir glauben auf den Beifall einer großen Zahl von Lesern rechnen zu dürfen, wenn wir im Folgenden Einiges aus den Aushängebogen einer interessanten Schrift mittheilen, welche Ludwig Büchner unter dem Titel „Liebe und Liebesleben in der Thierwelt“ (Berlin, Hoffmann) [1] soeben der Oeffentlichkeit übergiebt. Unter den zahlreichen Beispielen nämlich, welche der Autor für seine Beobachtungen beibringt, sind gerade die interessantesten dem Verfasser in Folge einer öffentlichen Aufforderung in der „Gartenlaube“ (siehe Jahrgang 1875, S. 780) mitgetheilt worden. Von den mannigfachen Capiteln des Buches, das einen Gegenstand behandelt, dem auch die „Gartenlaube“ von jeher ihr besonderes Interesse zugewandt hat, wählen wir dasjenige aus, welches die Ehe und das Eheleben bei den Thieren als eine der entsprechenden menschlichen sehr nahe verwandte Einrichtung bespricht. Wohl wird gar mancher Leser verwundert den Kopf schütteln und sich fragen, ob es bei den Thieren überhaupt eine Ehe gäbe oder geben könne? ob bei ihnen mehr als blos ein regelloser, nur der Eingebung des augenblicklichen Triebes folgender Verkehr der Geschlechter unter einander denkbar oder möglich sei? Die Antwort auf diese Frage lautet: Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die „Thierehe gerade so gut eine festbestimmte Einrichtung der thierischen Gesellschaft ist, wie die Menschenehe eine solche der menschlichen. Zahlreiche, gut verbürgte Beispiele und Thatsachen haben es dem Verfasser des obengenannte Buches möglich gemacht, mit Ehestandsgeschichten unter Pelz und Federn nicht weniger als 42 enggedruckte Seiten zu füllen.
„Es braucht kaum gesagt zu werden,“ bemerkt der Verfasser, „daß die Thierehe keineswegs eine blos zu Fortpflanzungszwecken geschlossene Vereinigung ist, sondern daß es, wie sich W. Wundt (Vorlesungen über Menschen- und Thierseele) ausdrückt, „ein gewisses sittliches Gefühl ist, welches dieselbe zusammenhält.“ Auch ist es nicht richtig, daß, wie man gewöhnlich annimmt, die Familienbande zwischen Eltern und Kindern bei den Thieren mit dem Selbstständigwerden der letzteren immer und gänzlich zerreißen, denn Büchner führt schlagende Beispiele für das Gegentheil an.
Als eigentliches Ideal und Vorbild der Thierehe bezeichnet derselbe die Vogelehe. Die meisten Vögel leben in geschlossener Ehe auf Lebenszeit, und nur verhältnißmäßig wenige von ihnen in Vielweiberei (einige auch in Vielmännerei) Manche Vögel halten zum Zwecke der Verehelichung oder Paarung förmliche Versammlungen, in denen der Bund auf Lebenszeit in gemeinschaftlicher Verständigung geschlossen wird. So berichtet Darwin von der „großen Elsternhochzeit“, zu welcher sich die gemeine Elster aus allen Theilen des Delamerewaldes alljährlich im Frühjahr an besonderen Orten zu versammeln pflegt. Man sieht die Vögel in Haufen eifrig schwatzend, zuweilen kämpfend und geschäftig zwischen den Bäumen hin- und herfliegend. Wenn sie sich trennen, bemerkt man, daß sie sich Alle zu Paaren zusammen gethan haben.
Die so viel bewunderte zärtliche und treue Liebe der Sperlings-Papageien ist allbekannt. Bonnet erzählt, daß, nachdem er ein solches Paar vier Jahre lang ernährt hatte, das Weibchen in Altersschwäche verfiel und nicht mehr zum Troge kommen konnte. Es wurde nun vom Männchen gefüttert, und als es schwächer wurde und nicht mehr die Sprosse zu erreichen vermochte, von demselben mit Anstrengung aller Kräfte heraufgezogen. Als es endlich starb, lief das Männchen mit großer Unruhe hin und her, versuchte ihm Nahrung beizubringen, blickte es zuweilen still an, gab ein klägliches Geschrei von sich und starb nach einigen Monaten. Ein Gleiches oder Aehnliches hat man übrigens bei allen sogenannten Gesellschaftsvögeln beobachtet, welche den Tod ihres Ehegenossen selten überleben; Brehm führt sogar ein Beispiel an, daß sich ein Uhuweibchen zu Tode grämte, als sein Gatte und langjähriger Genosse starb. Am nächsten kommt indessen in ehelicher Liebe dem Zwergpapagei der jetzt in Europa so viel gezüchtete, zierliche, in prachtvoll grasgrünem Kleid schillernde Wellensittich oder Wellenpapagei, welcher in seiner Heimath (Australien) ebenfalls in großen Gesellschaften lebt, ohne daß sich die einzelnen Pärchen jemals verlassen oder verlieren. Auch sind diese Pärchen, eben ihres treuinnigen Zusammenhanges wegen, leicht als solche zu erkennen. Freilich kommt so großer Liebe auch die Eifersucht dieser Vögel gleich. Neubert, welcher zwei Paare derselben besaß, verlor beide Männchen und erhielt erst nach geraumer Zeit Ersatz für eines von ihnen. Als das neue Männchen in den Bauer zu den beiden Wittwen gebracht wurde, welche sich bis dahin sehr gut vertragen hatten, erwachte deren Eifersucht; die nicht bevorzugte Wittwe wurde fast rasend, fuhr auf die beglückte Braut los, hing sich ihr an den Schwanz und riß ihr die Federn aus. Sie mußte entfernt und einem andern Bräutigam angetraut werden, mit dem sie aber – eine seltene Ausnahme – ein sehr mürrisches Leben führte, offenbar weil sie den ersten, ihr vor den Augen weggenommenen Bräutigam nicht vergessen konnte.
Unter unseren europäischen Vögeln sind es neben den Störchen besonders die Schwalben und die Haustauben, welche sich durch Innigkeit ihres Ehe- und Familienlebens auszeichnen. Um so tragischer pflegen sich bei ihnen auch die Conflicte zu gestalten, welche durch Zwist, Untreue oder Eifersucht in der Ehe dieser, wie es scheint, von starken Leidenschaften beherrschten Thierchen zeitweise gerade so hervorgerufen werden, wie in der menschlichen Ehe. Hier nur ein Beispiel!
In der Gaststube einer Brauerei des schlesischen Landstädtchens Lomnitz nistete 1871 ein Schwalbenpaar mit vier Jungen, ohne sich durch das Geräusch des Wirthshauslebens stören zu lassen; es benutzte die Momente des häufigen Thüröffnens zum Ein- und Ausfliegen. Im nächsten Jahre kamen sie wieder. Der Brauer Stein, welcher Interesse an den Thierchen nahm und sie genau beobachtete, sah, daß das Männchen eines Tages mit einem fremden Weibchen zum Neste kam, was der rechtmäßigen Gattin Veranlassung zu einem heißen Kampfe gab. Da derselbe aber schließlich ungünstig für sie ausfiel, wollte ihr der Brauer zu Hülfe [759] kommen, indem er die Störerin fing und in’s Freie versetzte. Irrthümlich ergriff er aber statt derselben das alte Weibchen, welches sofort seinen Flug wieder zum Neste nahm und dasselbe so energisch vertheidigte, daß das untreue Paar sich genöthigt sah, einen Neubau in der Nähe des alten Nestes anzulegen. Das verstoßene Weibchen, welches fortan seine Heimstätte nur auf Augenblicke verließ, wenn die anderen Beiden fort waren, sah dem still trauernd zu. Andere Schwalben fanden sich ab und zu ein, um die Situation zu beaugenscheinigen. Nach einigen Tagen der Einsamkeit indeß schien die anfängliche Energie von dem trauernden Weibchen gewichen zu sein; es wurde von dem neuen Paare angegriffen, jämmerlich zugerichtet und vollständig besiegt aus Nest und Zimmer getrieben, worauf die Sieger die Fortsetzung des Neubaues aufgaben und von dem alten Neste Besitz nahmen. Die neue Frau legte bald darauf Eier.
Wie viel schöner, als dieser untreue Schwalbengatte, benahm sich jener junge Tauber, über welchen Fr. Münch in der „Westlichen Post“ vom 26. September 1877 berichtet, und dessen Treiben er in dem Taubenschlage seines Elternhauses zu beobachten Gelegenheit hatte. Man hatte diesen Tauber mit einer bereits ältlichen Täubin gepaart, welche nach einiger Zeit unfähig zum Eierlegen wurde. Aber anstatt sie zu verlassen, fuhr er, ohne sich um andere Schönen zu kümmern, fort, seine Gattin zu schützen und zu pflegen, bis dem Tod der Alten das schöne Band löste.
Einen noch auffallenderen Beweis von Gattentreue legte die von Bennet in Macao beobachtete chinesische Ente ab, deren Gatte während der Nacht gestohlen wurde. Sofort konnte man an dem Weibchen die unverkennbarsten Zeichen des Schmerzes gewahren; es verkroch sich in eine Ecke und weigerte sich, Nahrung zu sich zu nehmen. Als ein anderes Männchen sich ihr näherte und sie zu trösten versuchte, stieß sie den neuen Liebhaber rauh zurück und fuhr fort, sich ihrer Trauer hinzugeben. Mittlerweile wurde ihr alter Gefährte wiedergefunden und zurückgebracht. Ueberraschend waren die lauten Freudenbezeigungen, womit das Paar seine Wiedervereinigung feierte, und, was mehr ist, das Männchen schien erfahren zu haben, daß es während seiner Abwesenheit einen Nebenbuhler gehabt, denn es suchte diesen auf und tödtete ihn.
Dem gegenüber fehlt es auch nicht an Fällen von Bigamie oder Doppelehe, wobei sich die beiden Nebenbuhlerinnen ganz gut mit einander vertragen. Dr. R. Meyer („Zoolog. Garten“ 1868, S. 77) sah eine solche Doppelehe einer männlichen Rauchschwalbe, welche um so bemerkenswerther ist, als bekanntlich Schwalben sonst jahrelang in sehr strenger Einehe leben. Die beiden Weibchen, deren jedes nicht weit vom andern in einem besonderen Neste brütete, vertrugen sich gut mit einander. Solche Fälle sind indessen Ausnahmen. In der Regel wissen die in Einehe lebenden Thiere ganz genau, daß fremder Umgang jedenfalls nicht unter den Augen der rechtmäßigen Ehehälfte betrieben werden darf.
Was die Gattenliebe und eheliche Anhänglichkeit der übrigen Thiere betrifft, so fehlt es auch hier nicht an zahlreichen Beispielen, welche zeigen, daß das von den Vögeln Berichtete auch von jenen in vielen Fällen erreicht, in einzelnen sogar noch übertroffen wird.
Interessant und belehrend ist, was der berühmte Löwenjäger Gérard über das Benehmen des Löwengatten in der Wildheit beobachtet hat. Nach ihm verläßt der König der Thiere seine Gattin niemals ohne die dringendste Noth und zeigt ihr fortwährend die größte Liebe und Rücksicht. Gehen sie zusammen auf Raub aus, wobei der Gatte stille steht, so oft es der Gattin gefällt, so bringt er ihr, indem er in den Douar eingebrochen ist, während sie sich niedergelegt hat, das Beste, was er finden konnte, und sieht ihr mit dem größten Behagen zu, während sie frißt. Erst wenn sie gesättigt ist, denkt er auch an sich. (Menault, „Die Mutterliebe der Thiere“.)
Männchen und Weibchen des Meerschweinchens behandeln sich überaus zärtlich, lecken sich gegenseitig und kämmen sich mit den Krallen der Vorderfüße das Haar glatt. Schläft das eine, so wacht das andere für seine Sicherheit. Währt es ihm zu lange, so weckt es den Gefährten mit Lecken und Kämmen und schläft dann seinerseits ein. Namentlich sucht das Männchen dem Weibchen auf jede Weise seine Liebe und Anhänglichkeit zu beweisen.
Den Nashörnern wohnt, wie Noll mittheilt, eine wahrhaft rührende Zuneigung gegen einander inne. Legt sich das eine nieder, so streckt sich auch das andere daneben hin, oft so, daß sein Kopf auf dem Leibe des Genossen ruht; steht das erste auf, so erhebt sich auch das zweite, geht dieses im Käfig auf und ab, so thut es auch jenes; beginnt das Männchen zu fressen, so verspürt auch das Weibchen Bedürfnis, etwas zu sich zu nehmen; ruft letzteres, so antwortet ersteres, und umgekehrt.
Einen merkwürdigen Fall von Gattentreue des Fuchses verzeichnet O. von Corvin. Ein Förster in der Nähe von Hanau, der bei einem Fuchsbau lauerte, schoß dem Fuchs absichtlich die Hinterläufe entzwei, um seinem noch jungen Hühnerhund Gelegenheit zu geben, einen Fuchs zu würgen, ohne durch dessen vielleicht zu großen Widerstand abgeschreckt zu werden. Kaum geriethen aber die beiden in Kampf, als auch sogleich die Füchsin herbeikam und ihrem Manne beistand, ohne sich durch die Anwesenheit des Jägers abschrecken zu lassen. Als derselbe näher hinzutrat, lief die Füchsin wohl etwas bei Seite, blieb aber sitzen und sah mit Angst dem Kampfe ihres verwundeten Mannes mit dem Hunde zu, bis der Jäger wieder geladen hatte und sie todt schoss.
„Hätte,“ setzt O. von Corvin hinzu, eine Frau so gehandelt, man würde ihren Namen in Gedichten feiern, allein die Füchsin trieb nur – der Instinct! Denn hätte sie Verstand gehabt, sie würde Hals über Kopf davon gelaufen und froh gewesen sein, daß sie einen verkrüppelten Mann los geworden.“
Auffallende Beispiele von ehelicher Liebe und Treue liefert unter den Vierfüßlern auch das dem Menschen so nahestehende Geschlecht der Affen, deren inniges Familienleben und große Kinderliebe ebenfalls sprüchwörtlich geworden sind. Beide Geschlechter halten bei den in Einehe lebenden Arten eng zusammen, trennen sich fast nie und schlafen auch gemeinschaftlich. Daß auf der andern Seite bei dem leidenschaftlichen Temperament der Affen auch die Eifersucht keine kleine Rolle in ihrem ehelichen Leben spielt, braucht kaum versichert zu werden.
Eine kostbare Eifersuchtsscene bei Affen hat O. von Corvin einst in einer Menagerie beobachtet. Hinter einem kleinen, sehr muntern Affenpärchen saß ein großer, melancholischer Affe, welcher seine kleine Nachbarin (sie war wohl fünf Mal kleiner, als er) ohne Einwand von Seiten ihres Gatten öfter in seine Arme nahm und zu erwärmen suchte. Was zu dieser Nachsicht vielleicht nicht unwesentlich beitrug, war der Umstand, daß der Gatte selbst eine Intrigue mit der kleinen koketten Frau seines Nachbars zur Rechten hatte, welcher letztere leichtsinnig genug war, mehr auf die Freßgeschirre seiner Nachbarn, als auf seine Ehehälfte zu achten. Als nun eines Mittags der Herr Beobachter in der Thierbude war und die kleine Frau in den Armen ihres großen Liebhabers schlief, unschuldig wie ein Kind an der Mutter Brust, war der naschhafte Mann der Frau Nachbarin beschäftigt, eine Birne wegzukapern, welche ein Besucher so hingelegt hatte, daß er nur mit Mühe zu ihr gelangen konnte. Diesen günstigen Augenblick benutzte der ungetreue Gemahl der kleinen schlafenden Frau, um seine Intrigue mit der koketten Nachbarin zum Austrag zu bringen, und beide begegneten sich einander auf halbem Wege, was um so nöthiger war, als sie Beide angekettet waren. Ihr Glück schien gesichert; aber –
„Zwischen Lipp’ und Kelchesrand
schwebt der finstren Mächte Hand!“
Wie ein Blitz stürzte plötzlich die kleine Frau aus den Armen ihres kolossalen Liebhabers auf das liebetrunkene Paar, maulschellirte – echt weiblich – zuerst die Nebenbuhlerin, nahm dann ihren Benedict am Ohre, schleppte ihn in’s häusliche Hauptquartier und demonstrirte ihm hier ad hominem oder vielmehr ad simiam, daß es für ihn gerathener sei, seine Liebe nicht an irgend eine Fremde zu vergeuden.
- ↑ Vergleiche in Nr. 16 und Nr. 21 des Jahrgangs 1877 der „Gartenlaube“ die Artikel „Sprache der Insecten“ und „Kleine Landwirthe“, welche sich auf die Schrift: „Aus dem Geistesleben der Thiere oder Staaten und Thaten der Kleinen“ von Dr. L. Büchner (Berlin, Allgem. Verein für deutsche Literatur) stützen.D. Red.