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Ein „revolutionärer“ Bundestagsgesandter

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein „revolutionärer“ Bundestagsgesandter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 224–227
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[224]
Ein „revolutionärer“ Bundestagsgesandter.
Geschichtsbild und Jugend-Erinnerungen.


Alle, welche wenigstens die letzten zehn Jahre, von 1863 bis heute, mit politischem Verständniß durchlebten, müssen erkannt haben, welch ungeheure Aufgabe es war, Deutschland vom Bundestage zu erlösen und von Oesterreich’s Einfluß zu befreien. Daß die Sehnsucht nach dieser Erlösung und Befreiung eine alte, längst tief im Herzen der Nation großgezogene und immer wieder bis zur Hoffnungslosigkeit zurückgedrängte und unterdrückte war, dafür giebt es kein umumstößlicheres Zeugniß, als das, daß der vorher verhaßteste und verhöhnteste Minister in Deutschland mit einem Schlage der populärste und gefeierteste Mann der Nation werden konnte, eben weil es ihm gelang, mit diesem einen Schlage den deutschen Bund zu zertrümmern und Oesterreich aus Deutschland zu scheiden.

Beides aber geschah dem durch seine Schuld bereits ohnmächtigen Bundestag und dem durch unglückliche Kriege bereits geschwächten Oesterreich.

Wird es die gegenwärtige Generation glauben, daß zu der Zeit, wo Oesterreich nach den Befreiungskriegen in der Fülle seiner Macht dastand und wo der Bundestag unter Metternich’s Oberleitung an den drei absolutistischen Großmächten der heiligen Allianz eine unüberwindliche Schutzmauer hatte, dennoch ein Mann mit wenigen gleichgesinnten Genossen es wagte, diesem Oesterreich und diesem Bundestage Trotz zu bieten, und daß er es sogar unternahm, durch das Zusammenfassen aller constitutionellen Staaten Deutschlands einen Keil der Freiheit zwischen die absoluten Großmächte hineinzuschieben?

Dieser kühne Mann war der Freiherr Karl August von Wangenheim. Wer von den Jüngeren kennt heute noch den Namen dieses Staatsmanns, dieses Vorkämpfers deutschen Verfassungslebens, der sein muthvolles Ringen vor mehr als zwei Generationen begann? Wir sind es der Gegenwart schuldig, solche Namen der traurigsten deutschen Vergangenheit nicht vergessen zu lassen, und so wird man es nicht „außer der Zeit“ finden, wenn wir ein Bild seines Lebens und der von ihm geleiteten Geschichte unseren Lesern vorführen.

Der junge „ausstudirte“ Freiherr von Wangenheim, der für seine Existenz auf den Staatsdienst angewiesen war, lebte lange unbeachtet „von oben“ in Coburg. Diese Ungnade mochte noch wegen seiner akademischen Laufbahn auf ihm lasten, denn er war auf der Landesuniversität Jena ein so „forscher Studio“ gewesen, daß man ihn einmal auf die Leuchtenburg gefangen setzte und schließlich relegiren mußte. Er hatte seine Studien in Erlangen vollendet und harrte nun vergeblich in Coburg auf eine Anstellung.

Da machte ein kleines Unglück ihn interessant. In einer damals mit dem Residenzschloß noch zusammenhängenden Straße (Grafengasse) brach Feuer aus. Die Gefahr für das Schloß war nicht gering; die Lohe schlug zum Dach hinaus, und die Spritzen konnten die Höhe des Flammenherdes nicht erreichen. Da drang ein Kopf durch ein in den Dachfirst geschlagenes Loch hervor, ein Körper folgte, lang und immer länger, bis endlich ein hochgestreckter Mann keck da droben stand und die ihm zugereichten Wassereimer in weiten Bogen über das Feuer goß, aller Unbill der Hitze und des Rauches trotzend. Aus den Schloßfenstern sahen die höchsten Herrschaften der kühnen That Wangenheim’s, der war es natürlich, zu, und von Stund’ an verzieh man um dieses Muthes willen dem jungen Mann seine Vergangenheit voll Uebermuth.

Er stieg nun rasch auf der Dienststufenleiter bis zum Vicepräsidenten der Landesregierung und genoß mehrere vom ersten Eheglück verschönte Jahre – da knackte plötzlich die Leiter und brach, und der Sturz drohte vernichtend für Wangenheim zu werden. Er hatte Schwindeleien des damaligen Ministers aufgedeckt und mußte vor dessen Rache und des Herzogs Ungnade sogar schließlich entfliehen. Seine Familie fand in Hildburghausen Zuflucht und er beim alten Ritter Truchseß auf der Bettenburg.

Und abermals erblühte ihm das Glück aus fürstlicher Noth. Am 1. Januar 1806 war der dicke Herzog Friedrich von Württemberg ein Rheinbunds-König geworden. Da brach der Krieg gegen Preußen aus – und nun begab sich das Entsetzliche, daß des neuen Schwabenkönigs jüngster Sohn, Paul, heimlich Stuttgart verließ und nach Preußen ging, um gegen Napoleon zu fechten. Da nun des Herzogs Paul Gemahlin, Charlotte, eine Hildburghäuser Prinzessin war, so hatten um des einen Verbrechens willen zwei deutsche Höfe vor der Rache Napoleon’s zu zittern. Dieses Unheil dem König Friedrich in begütigendster Weise mitzutheilen und den Flüchtling vom Kriegsschauplatz zurückzubringen, das war der Auftrag, mit welchem Wangenheim nach Stuttgart gesandt wurde. Sein entschlossenes Wesen gewann ihm sofort die Zuneigung des Königs, der ihn nun selbst noch mit dem besonderen Auftrag einer Friedensvermittelung [225] mit Preußen betraute. Die Mission mißlang völlig, Wangenheim kam im Hauptquartier zu Weimar erst am Tage vor der Schlacht bei Auerstädt an, kehrte aber trotz alledem hoffnungsvoll nach Stuttgart zurück.

König Friedrich übertrug Wangenheim die Oberleitung des Finanzwesens des neuen Reichs, und sofort begann dieser ein mächtiges Fegen und Ordnen im Staatshaushalt. Aber sehr bald zeigte sich das vetterschaftliche Gemeingefühl des Beamtenthums gegen solche Störungen der heimischen Gemüthlichkeit. Wangenheim war nach allen Seiten unbequem geworden, man suchte ihn aus der schwäbischen Residenz zu entfernen und erhob ihn im September 1811 zum Curator der Universität Tübingen und zum Präsidenten des dortigen Ober-Tribunals.

Eine glücklichere Zeit hat Wangenheim im Dienst und Haus nicht wieder erlebt. Er selbst im Gefühl höchster Manneskraft, ein Achtunddreißiger, mit dem Geist voll hoher Gedanken und dem jugendfrischen und jugendfreudigen Herzen, mitten hineingestellt in das Blüthenleben einer Universität voll strebender Jünglinge und ausgezeichneter Männer, als Aller Schutz und Leiter – dieses Glück und dieser Glückliche hatten nicht besser zusammenkommen können. Das Wangenheim’sche Haus war kein Haus mehr, sondern eine Gast- und Lusthalle aller Leute von Begabung und Namen. Wangenheim selbst saß oft wieder im Hörsaal, er war im Studiren wie im Leben wieder Student im edelsten Sinne und der geehrteste und geliebteste Mann weit und breit, während gegen Hof und Regierung des Volkes Haß immer drohender wuchs. So oft er von jenen Tagen erzählte, konnte er, wie Lortzing’s Waffenschmied, seufzen und jubeln: „Das war eine köstliche Zeit!“ –

Sie dauerte wenig über drei Jahre, da brach der Verfassungskampf gegen den störrigen König aus. Wangenheim trat im Sommer 1815 mit seiner Schrift: „Die Idee der Staatsverfassung in ihrer Anwendung auf Württembergs alte Landesverfassung und den Entwurf zu deren Erneuerung“ hervor und wurde wohl deshalb als Mitglied der zur Berathung der Verfassungsangelegenheiten niedergesetzten Commission berufen.

Allbekannt ist die Hartnäckigkeit, mit welcher die Württemberger ihr sogenanntes „altes Recht“ auch gegen die freisinnigsten Verfassungsvorschläge Wangenheim’s vertheidigten. Selbst Uhland richtete sein berühmtes Lied vom „alten Recht“ gegen ihn. Er verlor seine Popularität fast völlig; es kam sogar zu handgreiflichen Demonstrationen gegen ihn, und ich selbst habe noch den großen Käslaib gesehen, der ihm damals bei einem Volksauflauf durch das Fenster flog und den er als schwäbischen Volksdank sein Lebtage aufbewahrt hat.

Mitten in diesen Kämpfen war der dicke König gestorben, und sein Nachfolger, der einst so gefeierte „Prinz Wilhelm, der edle Ritter“, hatte, des Zanks müde, sich entschlossen, bis auf Weiteres ohne Verfassung zu regieren. Mit den freisinnigsten Verordnungen dieser Zeit hat Wangenheim, den der König sofort zu seinem Cultusminister ernannte, sich bleibendes Verdienst um Württemberg erworben.

Aber nur zu bald wendete sich das Blatt. Der Haß der rein aristokratischen Clique der Beamtenschaft siegte. Der König ward kampfmüde und mißachtete den Rath Wangenheim’s in einer Weise, die „dessen menschliches Gefühl verletzen mußte“. Er forderte deshalb seinen Abschied und gab damit, sagt Heinr. von Treitschke (in seiner Abhandlung über Wangenheim in den „Preußischen Jahrbüchern 1863“, der ich hier öfter folge), als der Erste das von den Staatsmännern des deutschen Bundes (und leider noch heute) selten begriffene Beispiel für das Verhalten constitutioneller Minister.

Am vierten November 1817 hatte Wangenheim das Gesuch um seine Entlassung als Cultusminister eingereicht, und schon am elften empfing er die Bestallung als württembergischer Gesandter am Bundestage.

Jetzt beginnt eine nicht blos für Württemberg, sondern für ganz Deutschland denkwürdige Zeit von Wangenheim’s staatsmännischer Thätigkeit. So wenig nämlich König Wilhelm im Innern seines Landes den liberalen Minister länger neben sich dulden mochte, so sehr schmeichelte es seinem Ehrgeiz, im Kampfe gegen die Uebergriffe der deutschen Großmächte durch eine so erprobte Kraft vertreten zu sein. Für Wangenheim galt es aber jetzt, seine Trias-Idee (Reindeutschland, Oesterreich und Preußen als drei Staatengruppen eines Bundesstaats) in’s Leben zu rufen. Er stand längst mit ihr nicht allein. Wie schon Anselm Feuerbach in den beiden Großmächten „die natürlichen Gegner, nicht gerade Deutschlands, aber der Freiheit und Selbstständigkeit der kleinen deutschen Staaten“ sah und sogar an einen Fürstenbund dachte, der das feindliche Preußen in zwei Hälften zerreißen sollte, so bildeten bereits im Bundestag selbst die Gesandten Gagern, Aretin, Lepel und Harnier eine Oppositionspartei gegen die Buol und Goltz, und als Gagern vom Bundestag ausschied, ward Wangenheim der Führer dieser Opposition. Und er führte sie so schneidig und ließ die Gesandten von Oesterreich und Preußen seine geistige Ueberlegenheit so stark fühlen, daß Metternich im September 1818 sogar Abhülfe dagegen in Stuttgart suchte.

Das Jahr 1819 fing sogleich unheilverkündend für ihn an. Karl Sand hatte in Tübingen Wangenheim’s gastliches Haus mehrmals besucht und den anregenden Worten des Herrn Curators gelauscht. Auch auf seiner verhängnißvollen Reise nach Mannheim suchte er Wangenheim in Frankfurt auf und traf ihn nicht. Als Letzterer dies erfuhr, trieb eine unbestimmte schreckliche Ahnung ihn, dem Wanderer in den Odenwald nachzureiten. Er fand ihn nicht, und die unselige That geschah. Man kennt ihre Folgen. Ludwig Karl Aegidi sagt in seiner tapferen Schrift „Aus dem Jahre 1819“ mit Recht: „Das Deutschland des Jahres 1819 war ein Tollhaus; irregewordene Regierungen legten der Nation, die noch bei Sinnen war, die Zwangsjacke an.“ – „Die Folge des Wiener Congresses war einfach der Mangel eines guten Gewissens auf Seite der Regierungen. Gewissensangst aber verwirrt.“ – „Darin liegt der Schlüssel des Verständnisses für das Räthsel, daß der nationale Gedanke den meisten Schrecken einflößte und gleichsam als der Todfeind der Regierungen galt.“ – „So kam es zu den Verabredungen von Karlsbad. Hier, in dem berühmten Badeort, erreichte in den Hundstagen des Jahres 1819 die gouvernementale Tollheit ihren Höhepunkt.“

Das Product derselben, die Karlsbader Beschlüsse, ist auch von Württemberg mit unterzeichnet. Vergeblich hatte Wangenheim, soweit sein Einfluß reichte, dagegen angekämpft; er suchte sein Gewissen wenigstens dadurch zu beschwichtigen, daß er in der Bundestagssitzung am 20. September seine Einsprüche und Verwahrung gegen die Beschlüsse niederlegte, darin namentlich die Rechte der Einzelstaaten in der Behauptung ihrer angeblichen politischen Verbrecher wahrte und sich der rechtlichen Behandlung der vor die Central-Untersuchungs-Commission Gestellten annahm. Als aber dieses Protokoll ein Geheimniß bleiben mußte, mochte er wohl bitter fühlen, daß ein Vorwurf darüber, daß er damals nicht sofort den Gesandtschaftsposten aufgegeben, ihn mit Recht treffen könne. Die Strafe folgte dieser Unterlassungssünde auf dem Fuß: „Vier Jahre lang arbeitete nun die liberale Minderheit zu Frankfurt an dem undankbaren Versuch, die Wirksamkeit jener Karlsbader und Wiener Beschlüsse zu untergraben, welche durch die Nachgiebigkeit der Minderheit selbst zu Bundesgesetzen erhoben waren.“

Wie sehr dies zu beklagen ist, sehen wir an einigen einzelnen Fällen Wangenheim’scher Kämpfe. Ein in einer sehr bittern Denkschrift ausgeführter Angriff Wangenheim’s richtete sich gegen die Mainzer Central-Untersuchungs-Commission, vulgo die „schwarze Commission“ genannt. Da aber Württemberg sich geweigert hatte, ein Mitglied zu derselben abzuschicken, so verweigerte der österreichische Vorsitzende des Bundes auch seinerseits jede Mittheilung. Die Gesandten der Opposition blieben ohne Kenntniß der Mainzer Acten, bis die häßliche Cloake allgemein ruchbar wurde.

Wangenheim’s gediegene Tüchtigkeit kam am schönsten zu Tage, als es galt, die gesetzlichen Befugnisse des Bundes zu vertheidigen und vornehmlich das Recht desselben, auf die Ausführung der im Artikel dreizehn der Bundesacte verheißenen Verfassungen zu dringen. Man lernte von ihm zu Frankfurt, sagt Treitschke, was gründliche und rechtliche Beurtheilung staatsrechtlicher Fragen sei. So bewies er in einem meisterhaften Gutachten die Pflicht des Bundes, in Holstein einzuschreiten. Er entlarvte die sophistische Unredlichkeit, welche dort eine niemals aufgehobene, unzählige Male feierlich bestätigte Verfassung blos deshalb für „nicht in anerkannter Wirksamkeit stehend“ erklärte, [226] weil es dem König von Dänemark gefiel, sie augenblicklich nicht zu halten. Selbst die Ausrede, der König-Herzog sei Willens, den Herzogthümern dereinst eine Verfassung zu geben, ließ Wangenheim nicht gelten, denn es handle sich um bestehendes Recht, und das Versprechen des Königs sei werthlos, wenn der Bund ihm nicht eine feste Frist setze für die Vollführung.

Man sieht daraus, wie muthig und redlich Wangenheim auf sein Ziel losging, den Bund zur Centralbehörde eines Bundesstaats umzugestalten, dessen gleichberechtigte Mitglieder auf dem Wege des Rechts zur freiheitlichen Entwicklung gelangen sollten, allem Absolutismus der heiligen Allianz zum Trotze. In Wien durchschaute man dies und rief schon jetzt Halt! „Seine apostolische Majestät werde niemals dulden, daß den deutschen Souveränen Fristen gesetzt würden zur Ertheilung von Verfassungen“ – so wurde Wangenheim auf Metternich’s Gebot zurechtgewiesen.

Trotz all solcher Unbilden arbeitete Wangenheim für alle Pläne gemeinsamer deutscher Gesetzgebung, welche damals noch am Bunde angeregt wurden, rastlos weiter. Und so kann Treitschke es als die segensreichste Frucht seines Wirkens preisen, daß „durch den entschlossenen Widerspruch der Partei Wangenheim’s einige Jahre es verhindert wurde, daß der Bundestag zu jenem willenlosen Diener des Wiener Hofs herabsank, dessen Fürst Metternich bedurfte“.

Auf irre Bahnen gerieth allerdings der rührige Kämpfer in den Verhandlungen über die Anfänge des preußischen Zollvereins, und ebenso über das Bundesheerwesen, und mit ebenso wenig Glück suchte er Wessenberg’s[1], des Constanzer Bisthumsverwesers, Plan einer deutschen Kirche unter einem Primas und einer Nationalsynode zu fördern. Welcher Schaden für Deutschland aus dem Mißlingen dieses großen Gedankens beider Männer erwuchs, das hat unsere Gegenwart am bittersten zu spüren.

Das Zusammenhalten der Opposition wurde Metternich immer bedenklicher. Da brachen (1820) die Insurrectionen in Spanien und Neapel aus – und die heilige Allianz eilte nach Troppau, um ihr frommes Manifest zu erlassen „wider die tyrannische Macht der Rebellion und des Lasters“! Und als nun Metternich mit dem Plan hervortrat, den „heiligen Bund“ zu einer ähnlichen permanenten österreichischen Polizeibehörde für Europa auszubilden, wie der Bundestag für Deutschland war, verkündete Wangenheim durch Wort und Schrift: „jetzt beginne der Kampf des constitutionellen Systems gegen den Absolutismus.“ Und als dazu noch in den folgenden Jahren die Insurrektionen in Piemont und der griechische, ganz Europa erregende Befreiungskrieg kam, so konnte wohl das Schreckgespenst einer Verbindung der deutschen Opposition der Mittelstaaten mit einer Opposition der europäischen Liberalen in den noch fortdelirirenden Diplomatenköpfen aufsteigen. Es erfolgten die großen Feuerlöschtage der heiligen Allianz zu Laibach und Verona, und als Metternich von letzteren heimgekehrt war, berief er seine Bundestagsgetreuen nach Wien und eröffnete ihnen – die Kriegserklärung des Wiener Hofes gegen Wangenheim’s Partei. „Epuration des Bundestags“ nannte man dies, und der von den „demokratischen Elementen der süddeutschen Regierungen“ gereinigte Bundestag sollte dann auf Anrufen der Einzelstaaten die deutschen Verfassungen so auslegen, „wie es das höchste der Staatsgesetze verschreibt“ – das heißt, die Verfassungsrechte der Deutschen sollten auf das Niveau der österreichischen Freiheit herabgedrückt werden.

Verrath und Abfall unterstützten Metternich’s Plan; Baiern und Baden beugten sich vor den Großmächten, und Wangenheim ward von seinem eigenen König verlassen. So frech waren die Sieger durch ihren Triumph geworden, daß sie ihm nicht einmal vergönnten, um seinen Abschied zu bitten, sondern sich noch seiner Beschimpfung erfreuten, einfach abberufen zu werden. Als Grund der Abberufung galt die furchtbare Behauptung, welche er in seinem Gutachten über die berüchtigte westphälische Domainenangelegenheit gegen die Ansprüche des Kurfürsten von Hessen aufgestellt hatte, „der Staat sei ewig, denn sein wesentlichster Bestandtheil, das Volk, dauere fort und habe das Recht, sich einem anderen Oberhaupte zu unterwerfen, wenn die rechtmäßige Dynastie am Regimente verhindert sei“. Für Diplomaten, in deren Augen der Thron Alles, das Volk Nichts galt, war mit diesem Satze das heilige Princip der Legitimität in seinen Grundvesten angetastet – und dafür war die Strafe des Verbrechers noch eine gelinde. Lepel und Harnier folgten ihm bald nach, und des nun gereinigten Bundestags erster Beschluß war, „daß wissenschaftlichen Lehren in der Gesetzgebung des Bundes fortan keine Autorität zustehe, ja nicht einmal eine Berufung darauf gestattet sei!“ – Mit diesem Beschlusse war die Absperrung des Bundestags von dem geistigen Leben der Nation vollendet, und er ging nun ohne Scham und Scheu die Bahn, die ihn zu dem Jahre 1848 und endlich, 1866, in den „schwarzen Bären“ nach Augsburg führte, wo er mit der von ihm fünfzig Jahre verfolgten schwarz-roth-goldenen Fahne in der Hand verendete.

Mit Wangenheim waren die letzten freisinnigen Elemente aus dem württembergischen Regierungskreise geschieden, und nun erst erkannte das Volk Württembergs, was es an ihm besessen und nun verloren hatte. Und des Volkes Dank vergaß ihn nicht. Im Jahre 1832 wählte ihn ein schwäbischer Kreis zum Landtagsabgeordneten; die Regierung erklärte sich jedoch gegen seine Wahl, angeblich weil ein Verfassungsparagraph bestimme, daß der Gewählte im Königreiche seinen Wohnsitz haben müsse. Vergeblich sprach damals der längst mit Wangenheim ausgesöhnte Ludwig Uhland: „Giebt es nicht auch ein geistiges Heimathsrecht, das nicht ganz von der Scholle abhängt? Ist es nicht auch ein Wohnen im Lande, wenn man im Angedenken seiner Bewohner lebt und durch ihr Vertrauen zur Repräsentation berufen wurde?“ In der Schrift, die er hierüber veröffentlichte, „Die Wahl des Freiherrn von Wangenheim“, finden wir auch die Schilderung seines Lebens. Zum letzten Male trat politisch der Fünfundsiebenzigjährige im Sturmjahre 1848 auf, aber nur augenblicklich und ohne Erfolg. Seine Zeit war vorüber.

Als Wangenheim den Frankfurter Bundestagsstaub von den Füßen geschüttelt hatte, zog er erst nach Dresden und ließ sich dann in Coburg für immer nieder. Er besaß auf dem Glockenberge ein stattliches Haus mit großen Garten- und Parkanlagen. In dieses Haus wurde ich von des Ministers Sohne und Liebling, Paul, als dessen Spielkamerad eingeführt, wann und wie, weiß ich nicht mehr. Nur eine dort erlebte Festlichkeit bildet einen Glanzpunkt meiner Knabenerinnerung. Zum vierundfünfzigsten Geburtstage „des Herrn Ministers“ (am vierzehnten März 1827)[2] wurde eine Kinderkomödie aufgeführt. Da bin auch ich zum ersten und letzten Male in meinem Leben Schauspieler gewesen. Als Aeltester der kleinen Schaar spielte ich den „Papa“ des Stückes. Meine Kinder waren zwei kleine hübsche Gräfinnen von Rotenhan, deren Bruder Max und ein kleiner Baron Ernst von Coburg. Seit jenem Abend habe ich diese meine damaligen Kinder nie wieder gesehen; ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Paul hatte die Rolle eines Hausknechts zu spielen und führte sie so vortrefflich durch, daß er den lauten Jubel seines Vaters erregte; das Talent saß aber tiefer, als damals Jemand ahnen konnte, und hat später dem alten Herrn nicht blos Tage, sondern Jahre voll Sorge und Trauer bereitet. Für mich hatte der Abend nur die eine Folge, daß Wangenheim mich bei jeder heitern Begegnung im späteren Leben standhaft fort „Papa“ titulirte.

Unvergeßlich ist es mir, wie Wangenheim, sich mit uns Kindern abzugeben verstand. Wie oft, wenn wir zusammensaßen im Hause oder im Garten, kam der hohe schlanke Mann im langen braunen Rock, die rundglasige Brille auf der scharf hervortretenden Nase des länglichen edlen Gesichts, setzte sich zu uns, examinirte uns, das that er sehr gern, oder erzählte uns Geschichten, und wie köstlich paßte er sie unserm Verständniß an! – Oder er ordnete selbst Spiele an oder trieb uns zu den Turngeräthen am fernsten Ende des Parks. Kein Wunder, daß wir mit ebenso großer Liebe als Ehrfurcht an ihm hingen. Beides wuchs nur, als wir später auch die bedeutende Vergangenheit des Mannes kennen und verstehen lernten.

Als Paul 1836 auf die Universität ging, siedelte Wangenheim mit der ganzen Familie nach Jena über und bezog das Griesbach’sche Haus, in welchem einst Schiller gewohnt hatte. Hier erneueten sich für ihn die Tage von Tübingen. In kürzester [227] Zeit war er und sein Haus der Mittelpunkt des regsten geistigen Verkehrs; seine persönliche Frische und Liebenswürdigkeit erfreute jeden Kreis, in den er trat.

Leider wurde das Ende der schönen Jahre schwer getrübt. Paul wurde in einem Hiebduell furchtbar im Gesicht verwundet. Sogar ein Nasenflügel war ihm abgehauen und wurde mit unsäglicher Mühe wieder angeheilt. Das bisher so hübsche feine Gesicht Paul’s war nach seiner Genesung kaum wieder zu erkennen. Die Familie zog 1839 nach Coburg zurück, und Paul ging mit.

Ich blieb auch das folgende Jahr noch in Jena, mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Da, in einer Nacht, als ich noch spät am Schreibtische saß, pochte es an die Hausthür und kam endlich die Treppe zu mir herauf. Es war Paul – auf der Flucht! Und mit welcher Reiseausrüstung! Als er mir mit raschen Worten erzählt, daß er bei Nacht und Nebel davongegangen sei und in der Eile im finstern Zimmer nur eingesteckt habe, was ihm eben in die Hand gekommen, packte er die verschiedenen Taschen seines Rockes und Ueberziehers aus und zum Vorschein kamen zwei dicke Pakete sorglich umwickelter Briefe, drei kurze Meerschaumpfeifen, ein Gartenmesser und fünf Haarbürsten. Am andern Morgen reiste er wieder ab. Ich hatte nichts aus ihm herausfragen können, als daß er das Actenleben nicht aushalten könne, daß er zur Bühne wolle, daß aber seine ganze Familie dagegen sei. „Jetzt zieht es mich zunächst nach Leipzig; wenn es mir gut geht, schreibe ich Dir.“ Er schrieb nicht.

Im folgenden Jahre zog ich nach Hildburghausen. Von dort kam ich häufiger nach Coburg und sah in Neuseß bei Rückerts zum ersten Male den Minister wieder. Er grüßte mich wohl, aber fremd und kalt, wie Jemanden, der eine unangenehme Erinnerung erweckt. Das that mir weh. Ich erhaschte die erste Gelegenheit, um Rückert’s Gattin nach der Ursache dieses abstoßenden Benehmens zu fragen. „So wissen Sie’s nicht?“ sagte sie zu mir. „Er ist noch immer mit Paul zerfallen. Ihr Anblick hat ihn an den armen Jungen erinnert, der lieber ein schlechter Jurist als ein großer Schauspieler werden soll. Erwähnen sie den Namen Paul’s ja nicht!“

Wie ganz anders im Jahre 1847, dem schönen, blüthen- und hoffnungsreichen Jahre, von dem Niemand ahnte, daß es der Vorgänger eines so furchtbaren Sturmes sein sollte! Durch ganz Deutschland zog das Gefühl einer geistigen Auferstehung. Und da saß ich wieder in Neuseß, im „Garten an der Lauter“, und auch der Minister kam wieder mit seinem halben Dutzend kleiner Hündchen. Aber wie freudig strahlte sein Antlitz! Sein Paul hatte die richtige Bahn gefunden, statt Schauspieler war er Dramendichter geworden; sein Trauerspiel „Lord Strafford“ war in Stuttgart und München mit Glanz über die Bühne gegangen; sein Schauspiel „Die Abtrünnigen“ war im Druck erschienen und von der Kritik ausgezeichnet worden. Jetzt war Alles gut und jetzt war ich auch wieder der „Papa“. Ich habe jenen Nachmittag in der Gartenlaube (1863, S. 88.) schon geschildert und kann nun darüber schweigen.

Da schlug’s an der Schicksalsuhr 1848. Die wilde Zeit brachte auch Wangenheim und Rückert in mächtige Erregung. Leider gingen die früher gemüthlichen Debatten der beiden Männer mehr und mehr in heftigen Meinungsstreit über. Im Juni 1849 zeigte Karl Barth, der Kupferstecher und Dichter und Rückert’s Gevatter, mir einen Brief der Gattin Rückert’s an ihn, der mich tief betrübte. Sie schrieb u. A.: „Mein Mann ist ärgerlich über die Begebenheiten der Welt … und Wangenheim kommt gar nicht mehr heraus und Rückert nicht in die Stadt. Wangenheim soll recht hinfällig sein. Mir thut’s wehe, daß die Freunde gerade jetzt sich nicht mehr verstehen wollen, wo es so sichtbar ist, daß sie sich bald auf – so lange trennen müssen. Da würde ich ja, wenn ich bei ihm wäre, sogar für Oesterreich schwärmen, so zuwider mir’s ist. Aber die Männer! Die haben einen starren, harten Sinn in der Politik.“ …

Schon im nächsten Jahre, am 20. Juni 1850, starb er.

Ob die alten Freunde sich noch ausgesöhnt, weiß ich nicht. Ich gebe einer Strophe in Rückert’s Todtenliedern diese Deutung. Sie lautet:

„Mit Epheu ist mein Garten geschmückt,
Den haben auch sonst die Leute gepflückt
Aus der Stadt, und ich ließ sie pflücken
Und fragte nicht, zu welchem Behuf?
Nun aber hab’ ich zu fragen Beruf,
Auf welches Haupt sie drücken
Den dunkeln Kranz, den sie pflücken.“

Friedrich Hofmann.



  1. Vgl. Gartenlaube, 1863, Seite 37 f.
  2. Es war demnach am 14. März 1873 Wangenheim’s hundertster Geburtstag zu feiern.