Ein österreichischer Dichter

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Albert Traeger
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein österreichischer Dichter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 293–296
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[293]
Ein österreichischer Dichter.

  „Nur frei und einsam reift der Dichter aus!“

Regelmäßig fast ergeht sich an freundlichen Sommer-Nachmittagen auf dem Wiener Glacis ein silberhaariger Greis; die Arme über dem Rücken gekreuzt, zur Erde das Haupt geneigt, so wandelt er dahin, stets allein und in tiefem Sinnen. Ernst sind die Züge des Gesichtes, grollend fast, und längst des heiteren Lächelns entwöhnt scheint der fest und bitter geschlossene Mund. Nur bei zufälliger Begrüßung schlägt er das schöne blaue Auge auf, und wie ein zuckender Blitz erleuchtet es dann den Begegnenden über die hohe Bedeutung dieses äußerlich so schlichten und einfachen Mannes. Aber selten nur ereignet sich das, theilnahmlos eilt die Menge vorüber an dem Träger eines Namens, der auch auf sie einen Schimmer seines Glanzes wirft. Der silberhaarige Greis heißt Franz Grillparzer.

Franz Grillparzer.

Unter den vier Ehren-Doctoren, welche die Universität Leipzig zu Schiller’s hundertjähriger Geburtstagsfeier promovirte, nimmt Franz Grillparzer als Vertreter der Dichtkunst, schon der Bedeutung des Tages wegen, die erste und wichtigste Stelle ein. Das Diplom wurde ihm mit dem Wunsche übersandt, „daß ihm die Nachwelt gerechter werden möge, als die Zeitgenossen.“ Von allen Anerkennungen, welche bei jener und ähnlichen Veranlassungen, nicht immer mit Einsicht und richtigem Verständniß, gespendet worden, ist keine gerechtfertigter und zweckentsprechender, als gerade diese, denn seit Schiller ist Grillparzer, wenigstens in der Anlage, der bei weitem hervorragendste dramatische Dichter unseres Volkes. Zugleich hat kein Begleitschreiben derartiger Auszeichnungen jemals eine wahrheitsgetreuere und einfachere Huldigung ausgesprochen, als jene Hoffnung auf die ungetrübte Einsicht kommender Geschlechter. Ein Vorwurf für seine Zeit, eine Kränkung für den Dichter und sicher eine große Beeinträchtigung beider ist es, daß Grillparzer seit geraumer Frist zu den fast Verschollenen zählt; sein Name gehört mehr der Literaturgeschichte an, als den Theaterzetteln, und statt mit schuldiger Ehrfurcht nennt mancher starkgeistige Jämmerling dieser aufgeklärten Gegenwart ihn mit zweideutigem Lächeln. Unerkannt schreitet der Einsame durch unsere Tage, ja unbekannt selbst durch die Straßen der „Kaiserstadt“, deren allzugetreuer Sohn er von der fernen Wiege bis an das nahe Grab geblieben ist.

Franz Grillparzer ist am 15. Januar 1791 in Wien geboren. Der Sohn eines tüchtigen und allgemein geachteten Advocaten, erhielt er eine sorgfältige und vielseitige Erziehung und widmete sich alsdann auf der heimischen Hochschule der Wissenschaft seines Vaters. Nachdem er 1811 die akademischen Studien beendigt, wurde er zwei Jahre später als „Conceptpraktikant bei der kaiserlichen Hofkammer“ im Staatsdienste angestellt. Fast gleichzeitig erhielt er noch eine ganz andere Stellung, denn nicht lange währte es mehr, als plötzlich der Name des jungen österreichischen Beamten in ganz Deutschland und darüber hinaus [294] mit jubelnder Begeisterung genannt ward, und dieser mit einem Male, überrascht und überraschend, in die Reihen der gefeiertsten Dichter trat. Von früher Jugend an hatte Grillparzer’s Vorliebe sich der schönsten aller schönen Wissenschaften gewidmet, und dem durch die Romantiker geleiteten und beherrschten Zeitgeschmacke huldigend, versuchte er sich damals an einer Nachdichtung des Calderon’schen Schauspieles „das Leben ein Traum“. Schreyvogel, bekannter unter seinem Schriftstellernamen C. A. West, der seit 1814 als Dramaturg des Hofburgtheaters einen fördernden und belebenden Einfluß übte, ging zufällig mit ganz demselben Vorhaben um, und es erregte daher seine Neugier und Theilnahme in nicht geringem Grade, als er durch einen Amtsgenossen und Verwandten Grillparzer’s von dessen zusammentreffender Beschäftigung gesprächsweise unterrichtet wurde. Sein sachverständiges Urtheil über die Arbeit des Nebenbuhlers ergibt sich aus der an denselben gerichteten Frage, ob er sich denn noch nicht selbstschöpferisch auf diesem Gebiete versucht habe. Nach langem Zaudern gestand der schüchterne Jüngling dem eindringlich Forschenden endlich, daß er allerdings ein Stück in seinem Pulte begraben habe, nachdem der Seinigen Ausspruch: „Franz, laß das gut sein, Du bist kein Dichter!“ das Todesurtheil darüber gesprochen. Schreyvogel’s Unablässigkeit nöthigte dem hartnäckigsten Widerstreben von der anderen Seite schließlich auch noch die Handschrift ab, und nach gewissenhafter Durchsicht gab er sie nebst Andeutungen betreffs der ihm nöthig erscheinenden Aenderungen mit den Worten zurück: „Junger Freund, wäre ich Ihr Verwandter, so würde ich zu Ihnen sagen: Franz, fahre so fort, denn, bei Gott, Du bist ein Dichter!“

Der Erfolg hat über Beide entschieden. Während West’s Bearbeitung dem Calderon’schen Drama das Bürgerrecht auf unseren Bühnen bis auf den heutigen Tag gesichert, ging Grillparzer’s „Ahnfrau“ im Jahre 1816 sofort nach ihrem ersten Erscheinen auf dem Wiener Burgtheater mit rasender Schnelle über alle deutschen Breter, von denen der glänzendsten Hofbühne bis auf die der erbärmlichsten Scheune, erregte überall denselben Sturm des Beifalls, und versenkte allerorten in gleichen Rausch schauerseligen Entzückens. Vielfach ist sie in fremde Sprachen übersetzt, und zu jeder Zeit noch wird ihr überwältigender Eindruck unbefangene Zuhörer hinreißen.

Obschon der Dichter gleich in der Vorrede zu seinem Trauerspiele, dessen Erscheinen im Druck mit der ersten Aufführung fast zusammenfällt, sich gegen jede Mitgliedschaft der Schule ausdrücklich und ganz entschieden verwahrte, gehört die „Ahnfrau“ doch einer bestimmten Richtung an, die, mit Werner’s „vierundzwanzigstem Februar“ und Müllner’s „Schuld“ angebahnt, schnell die allgemeinste Gunst eroberte. Wie Schiller’s „Räuber“ und Goethe’s „Götz von Berlichingen“ den Anschluß der geraume Zeit lang in nicht minderer Aufnahme befindlichen Spitzbuben- und Ritterstücke vermittelten, bezeichnet Grillparzer’s „Ahnfrau“ den Abschluß der „Schicksalstragödie“. In ihr gipfelt sich die Idee der ganzen Gattung bis zu einer solchen Ungeheuerlichkeit empor, daß sie hart an die Travestie streift, wird aber auch in jeder anderen Hinsicht das Höchste geleistet, was dieses Feld hervorgebracht hat.

Der fast tolle Vorwurf ist mit besonnenstem Bühnenverstande behandelt und ausgeführt, alle Hebel der Breterwirksamkeit sind mit einem Geschick in Bewegung gesetzt, welches wagehalsige Kühnheit oder nüchternste Berechnung vermuthen läßt, jede Empfindung wird aufgewühlt, jeder Gemüthsnerv erschüttert, und so eine Gesammtwirkung erzielt, wie sie ein in seinem Fache ergrauter Veteran wohl hin und wieder als Frucht langjähriger Erfahrung und unermüdlichen Studiums erreichen mag, die ein so junger Anfänger aber nur mit dem göttlichen Instincte des Genie’s ermöglicht. Zu jenen vielleicht zu erarbeitenden äußeren Mitteln des Erfolges gesellen sich eine zügellose Leidenschaftlichkeit, deren Flamme verzehrend den ganzen Bau durchloht, eine Sprache voll Mark und Wohllaut, die bis zu flüsternder Zartheit sich herabstimmt und bis zum Grolle des Donners anschwillt, und ein poetischer Hauch, der über Allem weht, unerreichbare Vorzüge für den nicht geborenen Dichter. Die Richtung selbst ist längst gerichtet. In ihrer verschrobenen Unnatur, in ihrem grellen Widerspruche mit dem Organismus der äußeren und inneren Welt, dessen wahrheitstreuer Spiegel die weltbedeutenden Breter sein sollen, mußte sie selbst die Besinnungslosen wieder zur Besinnung bringen und zu Grabe getragen werden, gleich Allem, was nicht gesund und lebensfähig ist.

Die „Ahnfrau“ hat ihre Veranlassung und ihre Zeit überlebt, niemals aber wird sie sich selbst überleben, denn es ist ein Funke des Ewigen in ihr, den wir weder in Machwerken wie Brachvogels „Narciß“, noch in der ganzen poetischen Schöpfung dieser Tage entdecken, sie hat Poesie und Leidenschaft, Begriffe, die gleichfalls unter uns keine Gestaltung mehr gewinnen können.

Es spricht für den Charakter Grillparzers, daß er sich durch den außergewöhnlich glänzenden Erfolg seines Erstlings nicht verblenden noch verwirren ließ. Dem Höchsten zustrebend, verschmähte er die Gunst des Augenblickes und schuf, gehorsam der inneren Stimme, die ihn auf andere Bahnen wies, still und emsig weiter. Im Jahre 1818 ging „Sappho“ über das Burgtheater, und der Enthusiasmus, mit welchem sie aufgenommen wurde, beweist, daß der wirkliche Dichter nicht vom Tag und von der Menge, sondern daß diese von ihm gedrängt wird. Sophie Schröder, Deutschlands größte Schauspielerin, die gleichfalls bei Schiller’s Jubelfeier aus langer und undankbarer Vergessenheit wieder an das Licht getreten, feierte in der Titelrolle ihre größten Triumphe und hat sie zu Hause wie auf allen Gastspielen unzählige Male dargestellt. Grillparzer’s zweite Dichtung machte denselben schnellen und ruhmreichen Weg, wie die erste. Sie ist selbst ein ungemeiner und staunenswerther Fortschritt des Dichters. Ein einfacher, rein menschlicher Conflict, lose an die Sage von der weltberühmten griechischen Sängerin geknüpft, wird darin einfach und menschlich zur Anschauung und Lösung gebracht. Sappho, die Göttern gleich Verehrte, muß es erfahren, daß der Liebe freie Wahl durch Ruhm sich nicht erkaufen läßt, und von Phaon gegen eine arme Sclavin zurückgesetzt, stürzt sie sich in das Meer.

Im folgenden Jahre bereiste Grillparzer Italien. Nach seiner Zurückkunft veröffentlichte er einige Gedichte, die aus dortigen Anregungen entstanden waren. Eins davon, „das Kreuz auf dem Colosseum“, enthielt folgende Verse:

      „Thut es weg, dies heil’ge Zeichen,
Alle Welt gehört ja dir;
Ueb’rall, nur bei diesen Leichen,
Ueb’rall stehe, nur nicht hier!
Wenn der Stamm sich losgerissen
Und den Vater mir erschlug,
Soll ich wohl das Werkzeug küssen,
Wenn’s auch Gottes Zeichen trug?“

Sie wurden dem Dichter verhängnißvoll durch das Aergerniß, welches sie bei Hofe erregten, zu dem Grillparzer, der kurz zuvor Privatsecretair der Kaiserin geworden war, in näherer Beziehung stand. Auch zu dem damals in vollster Blüthe stehenden Metternich’schen System paßte es schlecht, daß ein ihm unterworfener Beamter auch nur den leisesten Anflug von Freisinnigkeit oder Freigläubigkeit äußerte, und noch dazu öffentlich; Grillparzer ward anrüchig und mußte elf Jahre im Staatsdienste ausharren, ehe er „systematisirter Hofconcipist“ wurde.

Die Folgen dieser Strophe, so geringfügig sie dem flüchtigen Blick erscheinen mögen, sind bedeutungsschwer für die Entwickelung des Dichters, und somit für dessen ganzes Volk; in ihnen ruht die Lösung für Vieles, was an dem hochbegabten Manne uns ein beklagenswerthes Räthsel dünkt. Im Jahre 1822 erschien die dramatische Trilogie „Das goldene Vließ.“ Von den drei Stücken vermochte nur „Medea“ sich durch Sophie Schröder’s meisterhaftes Spiel eine Zeit lang auf der Bühne zu halten; großen Anklang und ungetheilten Beifall haben sie niemals gefunden. Der ganz und streng dem Alterthum angehörige Stoff konnte auch mit der größten Geschicklichkeit unserer jetzigen Anschauung nicht durchgängig und versöhnend vermittelt werden, und so läßt trotz hoher einzelner Schönheiten das Ganze dennoch kalt. Unserer Zeit ist nun einmal die Antike in dieser Weise nicht mehr zugänglich zu machen, eine alte Erfahrung, an der trotzdem junge und beachtenswerthe Kräfte stets von Neuem wieder scheitern. Grillparzer zog Nutzen daraus und betrat mit seiner nächsten Schöpfung den Boden, in welchem jeder Dichter seine eigensten und tiefsten Wurzeln schlagen sollte, den vaterländischen. Obschon eine Verherrlichung des kaiserlichen Ahn- und Stammherrn, konnte das historische Trauerspiel „König Ottokar’s Glück und Ende“ doch erst nach manchen ängstlichen Bedenken und vielfachen Weiterungen 1824 in Wien zur Aufführung gelangen. Es ist jedenfalls Grillparzer’s tüchtigste und ausgezeichnetste Schöpfung und nicht, wie Manche meinen, ein specifisch österreichisches, sondern ein gut deutsches Stück, denn die Zeit, in der es stattfand, war eine andere, als die, welche es [295] aufführt; Oesterreich, damals Deutschlands Stern, ist inzwischen fast Deutschlands Feind geworden, – eine traurige Veränderung!

Außer dieser patriotischen Bedeutung für uns Alle nimmt der „Ottokar“ auch noch ein hohes literarisches Interesse in Anspruch, er ist seit Schiller die bei weitem hervorragendste Leistung auf dem bei uns so beklagenswerth vernachlässigten Gebiete der geschichtlichen Tragödie.

In dem klaren, streng gegliederten Bau, der treuen Färbung der Zeiten und Sitten, und der Großartigkeit der Zeichnung, namentlich im Charakter des Titelhelden, reicht Grillparzer fast bis an den nie übertroffenen Meister hinan. Der rebellische Böhmenkönig ist eine so gewaltige Gestalt, in seinem jähen Sturze so zerschmetternd, daß sein siegreicher Gegner Rudolph von Habsburg, der mit peinlicher Aengstlichkeit die engen Grenzen des Rechtsbodens innehält, von den riesigen Verhältnissen des Besiegten fast erdrückt wird; diese absichtswidrige Nebenwirkung ist aber auch das Einzige, was die Vollwirkung des Ganzen für den Aufmerksamen leise stört.

Erst nach vier Jahren trat der Dichter mit einem neuen Trauerspiele wieder vor die Oeffentlichkeit, diesmal nicht mit besonderem Glück. Selbst den gutmüthigen Oesterreichern, die doch vermöge einer vortrefflichen Erziehung das Möglichste in blinder Ergebung und duldendem Gehorsam leisteten, war es unmöglich, sich mit dem „treuen Diener seines Herrn“ zu befreunden. Es zeugt von dem außerordentlichen Talente des Schöpfers und bürgt für den poetischen Werth der Schöpfung, daß man sich eines gewissen gerührten Mitleids mit diesem „Bancbanus“ nicht erwehren kann, dessen tugendhafte Gemahlin vor seinen Augen von dem Schwager des Königs, einem rohen Wüstling, bis zur Verzweiflung des Selbstmordes getrieben wird, und der trotzdem seinen eigenen Rache heischenden Schwager im Namen den Königs als Aufrührer verhaftet und den Mörder rettet, aber Anerkennung für eine solche an Stumpfheit des Blödsinns grenzende Treue – wenn dies stolze Wort derartigen Mißbrauch erleiden darf – würde auch die stärkste Dichterkraft zu erwirken nicht im Stande sein. Metternich hätte das Stück mit einem Preise krönen können, das Publicum nahm es kühl auf.

Vielleicht wurde Grillparzer dadurch von der Geschichte wieder abgezogen; in seinem nächsten, 1831 erscheinenden Trauerspiele „des Meeres und der Liebe Wellen“ brachte er die durch Schiller’s Ballade „Hero und Leander“ überall bekannte altgriechische Sage auf die Bühne. Mit seinem tiefpoetischen Gehalt und der wunderbaren, fast duftigen Schönheit der Sprache und Empfindung ist es die Perle seiner Dichtungen, in der Hauptsache freilich vorwiegend lyrisch. Auch hier gehört nur die äußere Einkleidung dem Alterthume an; so lange es noch Liebende gibt, wird dies herrliche Gedicht verstanden und gewürdigt werden, und in keiner Beziehung hat es den Vergleich mit dem dramatischen „Hohenliede der Liebe“, mit Shakespeare’s „Romeo und Julia“ zu scheuen. Auch bei der Aufführung hat es stets große Wirkung erzielt, wird jedoch selten gegeben, da es an würdigen Darstellerinnen der „Hero“ fehlt. Grillparzer’s Jugend-Beschäftigung mit Calderon entsprang noch spät eine selbstständige Schöpfung, das Märchen „der Traum ein Leben“, das im Jahre 1834 über die Breter ging. Er selbst hatte es ein Wagniß genannt, „ein solch’ wunderliches Ding“, wie er sich darüber ausdrückte, dem Publicum vorzuführen. Wider sein eigenes Erwarten gelang es über die Maßen. Trotz der schattenhaften und stellenweise selbst unmöglichen Handlung fand dieses Drama seiner reichen Schönheiten, namentlich im lyrischen Elemente wegen, ungemeinen Beifall und hat sich dauernd auf dem Repertoir des Wiener Hofburgtheaters erhalten.

Grillparzer, der 1832 zum „Archivdirector bei der Kammer“ befördert worden war, hat nach jener nur noch eine Arbeit an das Licht der Lampen gebracht, das Lustspiel „Weh dem, der lügt!“ Trotz einer sehr sorgfältigen Besetzung fiel es vor einem dem Dichter äußerst wohlgeneigten Publicum durch. Diese Niederlage war vielleicht hart, aber sicher nicht ganz ungerecht. Eine große Schuld daran mag die Bezeichnung „Lustspiel“ tragen, die ganz andere Erwartungen weckt, als hier befriedigt werden. Von Humor, geschweige von Komik, findet sich nicht eine Spur darin, der tiefernste, stets den höchsten Zielen zustrebende Grillparzer hat keine derartige Ader in sich und hielt seine Kunst zu heilig, um den lachlustigen Wienern einen vergnügten Abend damit zu bereiten. Sie mögen daher enttäuscht und geärgert gewesen sein, als ihnen fünf Acte hindurch eine wenn auch noch so erhabene Moral in sehr schönen Versen gepredigt wurde. Die Annahme, daß der Dichter sich schwer darob gekränkt, ist sicher nicht ungerechtfertigt, da er, obschon damals in der Vollkraft seines Alters und Schaffens stehend, nie wieder das Theater mit einer neuen Schöpfung beschenkt hat. Er hat im Laufe der Zeit nur noch Fragmente aus einem Drama „Hannibal“ durch den Druck mitgetheilt, die von seiner ungeschwächten Kraft zeugen. Vielfachen, oft und verschieden verbreiteten Gerüchten zufolge soll eben dieser „Hannibal“ fertig in seinem Pulte gefangen liegen, nebst noch mehreren anderen Tragödien, als deren Titel „Libussa“, „Rudolph II.“ und „Esther“ genannt werden. Die Wahrheit ist schwer zu verbürgen. Daß ein gefeierter Künstler mitten in seinem Schaffen plötzlich abbricht, hat, namentlich in unserer allzu ausbeutungssüchtigen Zeit, etwas so Erstaunliches und Ueberraschendes, daß sich an jede derartig befremdende Erscheinung solch’ sagenhafte Gerüchte knüpfen; wie viele Opern soll nicht Rossini noch verborgen halten!

In dem Taschenbuche des Grafen Mailáth, der „Iris“ für 1840, veröffentlichte Grillparzer die einzige von ihm bekannt gewordene Novelle „der arme Spielmann“. Trotz des etwas krankhaften Stoffes ist sie ein Meisterwerk an Abrundung und durch und durch naturwahrer Schilderung, auch zeichnet sie sich durch gediegenen Styl aus, ein seltener Vorzug bei einem österreichischen Schriftsteller. Zu Grillparzer’s fünfzigstem Geburtstage (1841) wurde in Wien eine Medaille geprägt, die einzige Huldigung, welche das Vaterland dem größten seiner lebenden Dichter dargebracht; auch sang ihn Halm, der nächste Erbe seines Ruhmes, bei dieser Gelegenheit mit einem recht gut und herzlich gemeinten Gedichte an.

Im Jahre 1843 unternahm Grillparzer eine Reise nach dem Orient. Seine Anwesenheit in Griechenland fiel zwar schon weit über ein Jahrzehnt nach den Stürmen des Befreiungskampfes, doch sah er noch viele traurige Spuren davon, und es läßt sich wohl annehmen, daß der edle, so warm und tief empfindende Dichter den lebhaftesten Antheil an der Erhebung des unglücklichen Volkes genommen. Sicher war er Philhellene, aber nur im Herzen, seine Sympathie hat kein Vers bethätigt. Schon einmal hatte er Reise-Erfahrungen gemacht, und der unter Metternich’s Botmäßigkeit niedergehaltene Beamte, durfte mit keinem Volke fühlen, das seine Ketten zerbrach, selbst wenn sie von Türken und Heiden geschmiedet waren. Grillparzer hat auch lyrische Gedichte, jedoch nur zerstreut, veröffentlicht, und es ist ein schmerzlicher Verlust, daß sie noch immer nicht gesammelt erschienen sind. Sie ragen aus der lyrischen Überschwemmung unserer Tage durch den ihm eigenthümlichen Fluß und Wohllaut der Sprache, durch Fülle der Gedanken und Empfindungen und eine namhafte Kernigkeit der Gesinnung leuchtthurmartig empor. Neuerdings am weitesten gedrungen sind das Gedicht „an Wien“, die Dichtung „Vision“, mit welcher er die Genesung des Kaiser Franz feierte, und das Lied „an Radetzky“, diesen alleinigen und nicht ganz zweifellosen Quell, aus welchem Oesterreichs Dichter in der letzten Zeit ihre patriotische Begeisterung geschöpft. Grillparzer erhielt für dieses Lied das Ritterkreuz des Leopoldsordens. Seit 1856 ist er mit dem Hofrathstitel pensionirt, außerdem ist er Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.

Nach Dingelstedt’s so schönem als wahrem Worte gehören zum Dichter Freiheit und Einsamkeit. Nun, einsam ist Grillparzer sein Leben lang gewesen, er ist nach und nach zum Einsiedler geworden. Selbst unverheiratet blieb er, vielleicht einer jedenfalls unglücklichen Jugendliebe wegen, deren Bild er in einer seiner poetischen Figuren verewigt hat. Um ihn herum lärmte und wogte das lustige Wien in all seiner heißblütigen Zerstreuungssucht, seiner gedankenlosen Leichtlebigkeit, gedankenschwer nur schritt er still und kalt hindurch, ohne das verlockende Treiben eines Blickes zu würdigen. Weder in Scherz noch Ernst hat er sich jemals an allgemeiner Bewegung betheiligt, nicht einmal an literarischer. Er stand stets für sich. Das ist nicht die Einsamkeit, wie sie dem Dichter zu Zeiten Wohlthat und Bedürfniß, wenn er sich auf sich selbst beschränken will, zu ungestörtem Schaffen, zur Verarbeitung der Eindrücke und Anregungen, die er draußen gesammelt im lauten Leben; das ist ungesunde, naturwidrige Vereinsamung, die in ihrer äußeren Erscheinung etwas Gewaltsames und Herbes hat.

Wirklich ist Grillparzer auch im Inneren verbittert, er hat [296] sich nicht nur abgeschlossen, er hat sich auch verschlossen; das Warum beantworten seine lyrischen Gedichte. In diesen unmittelbarsten seiner poetischen Ergüsse hat er sich selbst wahr und offen gegeben, dumpf zwar, aber hörbar genug grollt in ihnen der Zorn ob der versagten Freiheit. Ihm fehlte die Freiheit, und darum verwelkte die Blüthe seines Genius, ehe die Frucht in ihrem Schooße gezeitigt war. Der dramatische Dichter, der thatverherrlichende Sänger, bedarf, wie kein Anderer, der Freiheit so nöthig, wie der Lebenslust, er bedarf auch eines Vaterlandes, das nicht nur eine große Geschichte in der Vergangenheit hat, nein, auch eine thätig eingreifende, fördernde Stellung zu den Fragen und Bewegungen der Gegenwart einnimmt. Sein Gesichtskreis nach vorwärts muß mindestens ebensoweit geöffnet sein, als nach rückwärts; versumpft der Teich, dann sterben die Fische. Es ist in dieser Beziehung Alles ausgedrückt, wenn man sagt, daß Grillparzer ein Oesterreicher war, denn Jedermann kennt zur Genüge das Verhalten dieses Staates von den Freiheitskriegen bis auf die jüngste Gegenwart zu dem öffentlichen Leben, wie es sich fast überall inzwischen verfassungsmäßig entwickelt hat.

Zum Ueberfluß war er noch Beamter unter Metternich, welcher den schon an sich hinlänglich engen Horizont des grünen Tisches noch bis zum fast Unmöglichen zu beschränken verstand. Druck bringt Gegendruck hervor, oder Zerquetschung. Oesterreichs Einschnürungs- und Verdumpfungs-System hat eine ganze Schaar glühender Freiheitssänger wachgerufen, die sich freilich Alle von ihrem Vaterlande lossagen mußten, nicht Wenige sogar selbst räumlich. Grillparzer hat es nicht gethan, wer aber möchte ihm einen Vorwurf daraus machen? Daß ihn äußerliche Beweggründe abgehalten, Bedenken materieller Art vielleicht, läßt sich bei einem Manne seiner Entschiedenheit und Ehrenfestigkeit nicht füglich vermuthen, leichter erklärt es sich aus seinem weichen und tiefen Gemüth. Er war und blieb ein guter Oesterreicher, treu seinem Vaterlande, warm dem Kaiserhause anhängend, ob zuletzt in stumpfer Ergebung, ob immer noch mit stillen Hoffnungen, wer kann das entscheiden? Seiner mehr nach innen gekehrten Natur nach machte sich sein Schmerz nicht in gewaltsamen Aeußerungen Luft, sondern nagte still an seinem Herzen.

So blieb Grillparzer freilich das Nächstliegende und ersprießlichste Feld für seine dichterische Thätigkeit unnahbar: die eigentliche deutsche Geschichte. Deutsche Stoffe waren der österreichischen Censur mit revolutionairen gleichbedeutend, und wie hätte er es wagen dürfen, die große Vergangenheit dem Bedürfniß der Gegenwart und der Hoffnung der Zukunft entsprechend uns nahe zu bringen? In dieser Hinsicht ist der Dichter an Oesterreich zu Grunde gegangen, und welchen Lohn hat er dafür empfangen? – nicht einmal die äußere Anerkennung, die an tausend tief unter ihm Stehende verschwendet worden. „Ein treuer Diener seines Herrn!“ Möge er wenigstens nach einem in seinen schönsten Anlagen theilweise gebrochenen und verfehlten Leben sich mit der Hoffnung in das Grab legen, daß in dem bald allumfassenden deutschen Vaterlande sein Name als der eines deutschen Dichters unvergänglich sein wird.

Albert Traeger.