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Ein Brief von Ottilie Wildermuth

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Textdaten
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Autor: Ottilie Wildermuth
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Titel: Ein Brief von Ottilie Wildermuth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 646–647
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[646] Ein Brief von Ottilie Wildermuth. Der verstorbenen Schriftstellerin Ottilie Wildermuth ist in Tübingen, wo sie lange Jahre lebte und wirkte, ein Denkmal errichtet worden, und zwar am Neckar, im schönsten Promenadentheil. Das reich und geschmackvoll ausgehauene Denkmal hat einen achteckigen Sockel, der auf einer starken Sandsteinunterlage steht. Eine Inschrift unter dem kräftigen Gesims trägt die einfachen Worte: „Ottilie Wildermuth gewidmet von deutschen Frauen“. In halber Höhe des Aufbaus ist die überraschend ähnliche Büste der Dichterin in Hautrelief in Bronzeguß eingelassen. Die Eröffnungsfeier fand am 10. August unter Reden und Gesängen statt; Karl Gerok feierte die entschlafene durch ein Gedicht voll echter Empfindung; die Verehrung, welche ihr von Alt und Jung gezollt wird, zeigte sich bei dieser Feier im schönsten Licht.

Die Töchter der Schriftstellerin, Agnes Willms und Adelheid Wildermuth, wollen ihr aber auch noch ein litterarisches Denkmal setzen und die Biographie derselben größtentheils auf Grund ihrer eigenen Aufzeichnungen und Briefe herausgeben. Wir sind in der Lage, unsern Lesern einen dieser Briefe, welcher über die vielbesprochene Frage der Frauenschriftstellerei handelt, mitzutheilen. Er ist an Robert Prutz gerichtet und lautet:

 „Verehrter Herr!
Obgleich wir in einer Universitätsstadt, also an einer Quelle geistigen Lebens wohnen, genießen wir doch den Nachtheil – oder Vortheil? alle litterarischen Neuigkeiten erst zu Gesicht zu bekommen, wenn die Zeit, in der sie entstanden sind, gehörig ausgegohren hat.

[647] So erhalten wir nun heute am 26. November die Nummer des ‚Deutschen Museums‘ vom 1. September 1859, darin u. A. Ihre ‚Litteratur der Frauen‘. Lassen Sie sich nicht bange sein vor einem Aus- und Anfall, etwa über die sehr ungalant lautende Phrase ‚Frauen und Juden begegnet man auf jedem Schritt – ich will die in Frieden ruhen lassen‘; es ist nur Eine Stelle in jenem Aufsatz, die mir unwiderstehliche Lust erregt, Ihnen zu schreiben, obgleich ich annehmen muß, daß Sie gewiß weder Zeit noch Lust zu überflüssiger Korrespondenz haben, so wenig wie ich selbst.

Was ich Ihnen gern schreiben möchte, soll weder ein Angriff noch kann es eigentlich eine Widerlegung sein; es soll nur zur Bereicherung Ihrer Erfahrungen dienen, da Sie doch vielleicht noch mehr in den Fall kommen, von schriftstellernden Frauen zu sprechen, und – vielleicht auch zur Ehrenrettung manch wackern Mannes, der so unglücklich oder ungeschickt war, eine Schriftstellerin zur Frau zu haben.

Die Eine Stelle nämlich heißt: ‚eine glückliche Frau wird nicht leicht schreiben –‘ Nun kann es mir, die ich einen sehr unlogischen, keineswegs philosophisch gebildeten Kopf habe, gewiß nicht einfallen, vorher die Frage erörtern zu wollen: was ist Glück? Ist ganzes volles Glück, ein gehobener Zustand der innigsten Befriedigung überhaupt ein dauernder? – Ich kann Ihnen nur die einfache Versicherung geben, daß, was mir zu vollem, dauerndem, innigem Glücke fehlt, nur die Schuld meiner eignen Unvollkommenheit, nicht die meiner Verhältnisse, am allerwenigsten meiner ehelichen ist. Ich habe eine heitere und glückliche Jugend verlebt, habe aus freier Wahl mich einem Manne anvertraut, in dem ich den rechten Mann gefunden, wie ihn am Ende jedes rechte Mädchen will, bei dem die vier Grundzüge, die ich mir als Mädchen schon als unerläßliche Bedingungen bei einem Zukünftigen gedacht hatte, verwirklicht waren, nämlich: viel Verstand, wahre Herzensgüte, ein reines Jugendleben und ein männlich fester Charakter.

Eine unglückliche Frau bin ich also nicht, – begreife auch nicht, wie eine solche schreiben kann; ich muß schon gut aufgelegt sein, um schreiben zu können, und schreibe am liebsten im Sonnenschein oder nachdem ich schöne Musik gehört. Eine unbeschäftigte bin ich auch nicht; ich habe drei Kinder, viel Besuche und ein einziges Dienstmädchen; warum habe ich denn geschrieben?

Aus Armuth nicht, wenn wir auch den ungehofften Zuschuß meiner litterarischen Einnahme dankbar als eine willkommene Gottesgabe hinnehmen.

Aus Ehrgeiz auch nicht. Soweit ich mich selbst kenne, gehört der nicht zu meinen Fehlern. Obgleich ich so ein Bißchen gedichtet und geträumt habe, so lang ich denken kann, dachte ich doch nie an die Möglichkeit, etwas drucken zu lassen; eine Schriftstellerin kam mir als ein nicht beneidenswerthes Ausnahmsgeschöpf vor. Da ich nun schon im Plaudern bin, will ich Ihnen erzählen, wie ich das erste Mal dazu kam, das heißt zum Schreiben.

Ich war drei Jahre verheirathet und hatte ein liebes, kleines Kind und zu thun genug, als ich mit meinem Mann in einem Journal irgend welche Genrebilder las: ‚hör’, so könnte eigentlich Jedermann Geschichten schreiben,‘ meinte ich. ‚Ei, so schreib’ Du eben auch,‘ sagte mein Mann scherzend. Ich versuchte so ein kleines Genrebild aus meiner Erinnerung und las es meinem Mann und Bruder vor. ‚Gieb mir’s einmal,‘ sagte mein Bruder, ‚ich versuch’s und schicke es an das Morgenblatt.‘ ‚O geh, wer wird das drucken?‘ meinte ich, ließ es aber geschehen. Nach kurzer Zeit kam eine freundliche Aufforderung von der Redaktion um mehrere. Erst nach zwei Jahren, als ich noch mehr Jugend- und Familienerinnerungen geschrieben, willigte ich auf meines Bruders Bitte ein, daß er der Redaktion meinen Namen nenne.

Mein Mann hatte eine Freude an meinen Versuchen und an der freundlichen Aufnahme, die sie fanden; ich wurde wieder und von verschiedenen Seiten aufgefordert, und so kam ich allmählich weiter und weiter auf dieser Bahn.

Nur sehr schwer kam ich dazu, dem Schreiben einen Platz in der Reihe regelmäßiger Beschäftigungen einzuräumen; jetzt nehme ich mir die Morgenzeit, wenn die Kinder in die Schule befördert sind und die Küche beschickt ist; der Nachmittag gehört der Nadel, dem Flickkorb, meinen guten Freunden, allem Möglichen, der Abend ausschließlich Mann und Kindern.

Daß ich ganz fehlgegriffen, indem ich der Feder neben Nadel und Kochlöffel eine Stelle in meiner Zeit einräumte, glaube ich nicht; ich habe bis aus den weitesten Fernen von den verschiedensten Personen, von Männern und Frauen, von Kranken, von Einsamen, von Verkümmerten, so herzliche Zuschriften erhalten, daß ich wohl ohne Ueberhebung glauben darf, es sei mir gelungen, da und dort die rechten Saiten anzuschlagen.

Ob ich verstehen werde zur rechten Zeit aufzuhören? Das ist wieder eine Frage; aufhören ist schwer, wenn man allseitig gedrängt wird; das Maß meiner natürlichen Begabung aber ist ein bescheidenes. Mein ganzer Lebens- und Bildungsgang ist so überaus einfach, daß der Kreis, in dem ich mich mit voller Freiheit bewegen kann, nothwendig ein beschränkter sein muß; – mag sein, daß mich die Kritik nicht unsanft mahnen wird, wenn meine Stunde vorüber ist. Mag sein; ich habe kein Recht zu klagen, es ist mir bis jetzt so gut gegangen! Bekomme ich später auch eine bittere Pille, so wird sie mir wohl gesund sein; ich danke Gott, der meinem Leben einen andern Mittelpunkt gab als diesen flüchtigen Erfolg.

Das ist eine lange Epistel geworden, um die einfache Thatsache auszusprechen, daß auch eine glückliche, zufriedene Frau dazu kommen kann, Bücher zu schreiben!

Es ist vielleicht recht unklug, daß ich so dem Zuge gefolgt bin, der mich antrieb Ihnen zu schreiben; doch, Sie mögen es nun ansehen, wie Sie wollen: ich vertraue der Ehre des Mannes und Schriftstellers, daß Sie meine Worte als ein Wort im Vertrauen ansehen und behandeln.

Den Dank für eine freundliche Beurtheilung, die mir, ich glaube in der Allgemeinen Zeitung, zu Augen kam, kann ich nun erst am Schlusse sagen.

In aufrichtiger Hochachtung

Ottilie Wildermuth.“