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Ein Parvenu des vorigen Jahrhunderts

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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Ein Parvenu des vorigen Jahrhunderts
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, 8, S. 93–97, 112–115
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[93]
Ein Parvenu des vorigen Jahrhunderts.[1]
Von Ludwig Storch.

Graf Gotter.

Als Kind war ich von äußerst lebhafter Phantasie, und sie machte mir zuweilen tolle Streiche; sie führte mir Traumerscheinungen vor. Nichts aber beflügelte sie mehr, als die Erzählungen meiner Mutter von ihren Vorfahren, von bedeutenden Männern aus der Familie Gotter, deren Tochter sie war. Da waren es vorzüglich drei, von welchen sie prächtige Geschichten zu erzählen wußte, und unter diesen tauchte einer wie ein Riese aus dem flammenden Abendrothe untergegangener Tage hervor, dessen Haupt von einer Glorie umglänzt war.

Der erste dieser Männer war eigentlich der Stammvater der Familie, der Oberhofprediger und Generalsuperintendent Johann Christian Gotter zu Gotha, unter den Herzögen Ernst dem Frommen und Friedrich I. von Gotha und Altenburg einer der vornehmsten und angesehensten Männer des Landes, welcher den prachtliebenden Herzog Friedrich II. getauft hatte. Der Zweite, eben der phantastisch geschmückte Halbgott, war der Graf Gustav Adolph von Gotter, des Vorigen Enkel, welcher als Oberhofmarschall und Minister Friedrich’s des Großen in Berlin gestorben war; der Dritte endlich der Dichter Friedrich Wilhelm Gotter, der Jugendfreund Goethe’s, Urenkel des Generalsuperintendenten und als Geheimer Secretair in Gotha gestorben. Der Vater meiner Mutter war ebenfalls Urenkel jenes Ahn gewesen und hatte als Knabe mit seinem Vater, Rath und Amtmann Gotter zu St. Blasien-Zella, Geschwisterkindsvetter des Grafen, diesen in Molsdorf besucht. Molsdorf! der bloße Name hatte für mich etwas Zauberhaftes. Von seinem Klange entflammt, baute meine Phantasie im Nu mir Schloß und Garten eines Kalifen aus „Tausend und eine Nacht“ vor die berauschte Seele. Ich kann nicht sagen, daß ich enttäuscht war oder daß die Wirklichkeit in irgend einer Weise hinter der Schöpfung meiner Phantasie zurückgeblieben wäre, als auch ich als Knabe Schloß und Garten zu Molsdorf an der Hand meiner Mutter zum ersten Male betrat; ich zitterte vor Aufregung und wagte kaum zu athmen. Die reizende Schöpfung meines berühmten Ahnherrn war für mich eine heilige Stätte, und ich hatte ja noch nichts Aehnliches gesehen.

Friedrich der Große ist als „alter Fritz“ zum mythischen Volkshelden geworden und auf dem Schimmel mit dem Krückstocke in der Hand eine typische Figur. Nur noch Luther genießt im nördlichen Deutschland gleicher Ehre. Daran kann man ermessen, welche glänzende Höhe in den Ueberlieferungen einer bürgerlichen Familie einer ihrer Vorfahren einnehmen muß, der sich zum Grafen und Minister des großen Königs emporgeschwungen, und an welchen dieser eine seiner poetischen Episteln gerichtet hat. Wahrlich, der Graf Gotter war in meiner Mutter und meinen Augen selbst eine halb mythische Gestalt. Und was mir etwa noch zu seiner Vergötterung gefehlt hätte, das fügte eine Base in Meiningen, ebenfalls eine geborene Gotter, Tochter eines Justizamtmannes in Coburg, hinzu. Graf Gotter war eben der Stern aller Abkömmlinge dieser Familie.

Und in der That, dieser Parvenu war ein merkwürdiger Mensch, ein treuer Repräsentant seiner Zeit, und es ist sehr zu beklagen, daß er uns keine Denkwürdigkeiten hinterlassen hat, sie müßten ein guter Spiegel der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sein und ihn uns als veredelten Casanova vorführen. So sind leider die öffentlichen und Familiennachrichten über ihn dürftig, inzwischen geht doch auch aus ihnen schon sein Bild ziemlich klar hervor. Nie hat ein Mensch in den sächsisch-ernestinischen Landen durch seine Carriere und geistigen und körperlichen Eigenschaften größeres Aufsehen erregt; nie waren in Thüringen die Augen der Vornehmen wie der Geringen in gleicher Weise auf einen bürgerlichen Emporkömmling gerichtet. Und doch war dieser Mann kein Feldherr, kein Gelehrter, kein Dichter, kein Schauspieler, kein Sänger; er war kaum ein bedeutender Diplomat zu nennen; er war nur ein höchst liebenswürdiger und gewandter Gesellschafter, ein Liebling der vornehmsten Frauen am deutschen Kaiserhofe Karl’s VI. und ein brauchbarer Hofmann am Hofe Friedrich des Großen, oder, um es mit dem rechten Worte zu sagen, er war der vornehmste und feinste Aventurier seiner an Glücksrittern aller Art so reichen Zeit. Wie selten bei einem Menschen wuchs Gotter’s ungewöhnliches und glänzendes Schicksal aus seiner ausgezeichneten Persönlichkeit heraus.

Gustav Adolph Gotter war der einzige Sohn eines verdienstvollen Beamten, welcher zur Zeit der Geburt dieses Sohnes (1692) Kammerrath, später Kammerdirector des Herzogs Friedrich II., prächtigen Andenkens, in Gotha war, und erhielt eine sehr sorgfältige und vornehme Erziehung. Auf den Universitäten Jena und Halle zeichnete er sich durch geistige und körperliche Vorzüge so aus, daß ihm die schmeichelhaftesten und aufmunterndsten Zusicherungen seines Landesherrn zukamen. Wirklich soll er, der Familientradition nach, einer der schönsten und liebenswürdigsten jungen Männer gewesen sein, und die von ihm vorhandenen Portraits aus späterer Zeit können als Bestätigung dienen. Schon als Student in Jena und Halle hielt er sich nur zu Studiengenossen aus den höheren Ständen; war er doch selbst aus dem höheren thüringischen Beamtenstande hervorgegangen. Seine Mutter war nämlich die Tochter des schwarzburg-sondershausenschen Kanzlers von Happe. So schloß er in Halle ein inniges Freundschaftsbündniß mit dem nachmaligen hannoverschen Minister Freiherr Gerlach Adolph von Münchhausen, welcher sich als Curator der neuen Universität Göttingen unsterblichen Ruhm um ihre Blüthe erworben hat. Gerade dieser Freundschaftsbund wurde für Gotter’s Lebensgeschick auf eigenthümliche und fast romantische Weise bestimmend.

Nach absolvirten Studien machte Gotter die damals allen jungen Männern von Stande, welche sich poussiren wollten, unerläßliche Reise durch Holland, England und Frankreich. Zurückgekehrt, erhielt er einen Besuch seines Freundes Münchhausen, und erbat [94] sich von seinem Vater die Erlaubniß, denselben auf die Güter der Münchhausen’schen Familie begleiten zu dürfen. Die beiden jungen Männer hatten aber ganz andere Dinge vor. Während Münchhausens Verwandte ihn in Gotha wähnten und die Familie Gotter ihren Sohn auf den Münchhausen’schen Gütern, eilten die beiden Freunde nach Wien, um die Vergnügungen der Kaiserstadt durchzukosten. Auf dieser Geniereise in Regensburg angekommen, suchten sie ein Schiff, auf welchem sie die Donaufahrt zu machen gedachten. Das einzige vorhandene war aber von zwei vornehmen Damen in Beschlag genommen, welche durchaus keine ihnen nicht ebenbürtige Reisegesellschaft dulden wollten; und sie waren Prinzessinnen von Savoyen-Carignan und Nichten des großen österreichischen Feldherrn Prinzen Eugen. Als Gotter dies in Erfahrung gebracht, war er nur um so begieriger, die Reise nach Wien auf demselben Schiffe zu machen, und es gelang seiner Ueberredungskunst, deren sieghafte Kraft ihm bekannt war, den Haushofmeister der beiden fürstlichen Damen zu gewinnen, daß er die beiden Freunde im unteren Schiffsraume versteckte. Was geschieht? Das Schiff kommt an den übelberüchtigten Strudel, damals noch gefürchtet, wie die Scylla und Charybdis; es geräth durch die Ungeschicklichkeit seines Führers in Gefahr. Die Prinzessinnen schreien in Todesangst; die Schiffer beten, die Damen ringen die Hände. Da, im Augenblicke der höchsten Noch, steht plötzlich ein Jüngling, schön, wie ein Engel, am Steuer und zwingt die Schiffer, das Fahrzeug nach seinem Befehle zu lenken. Alles gehorcht ihm wie einem höheren Wesen; er selbst legt Hand an; Schiff und Wasser fügen sich seinem Willen, und in wenigen Minuten sind sie über die Gefahr hinaus. Da Niemand weiß, wie der in jugendlicher Schönheit und Anmuth strahlende Retter auf das Schiff gekommen, so wird er vom Erstaunen und der Rührung der Fürstinnen für einen ihnen zu Hülfe geschickten Himmelsboten gehalten, bis er mit der feinsten Gewandtheit seine irdische Abkunft documentirt und das Räthsel löst.

Gotter verstand es, den außerordentlich günstigen Eindruck, welchen er auf die Prinzessinnen gemacht, zur dauernden Gunst zu erheben; denn ehe die kleine Gesellschaft nach Wien kam, hatte er die Schwestern durch seine Gewandtheit und Liebenswürdigkeit so für sich begeistert, daß sie ihn zuerst ihrem Oheim, damals nach dem Kaiser die vornehmste und bedeutendste Person in Wien, vorstellten und ihm nach und nach die Thüren aller Großen öffneten. Wie die Gunst der Prinzessinnen, so gewann Gotter schnell die des ruhmgekrönten Feldherrn. Herr von Münchhausen verschwindet neben ihm. Den sprechendsten Beweis für die bezaubernden Eigenschaften des jungen Thüringers liefert der Umstand, daß er, der bürgerliche Jüngling, zu einer Zeit in den ersten Cirkeln Wiens glänzt, wo die steifste spanische Etikette des Kaiserhofs (der Kaiser Karl VI. war erst König von Spanien gewesen und hatte das am dortigen Hofe gültige Ceremoniell nach Wien verpflanzt) maßgebend, und nur dem Artigen, welcher die große Ahnenprobe zu bestehen vermochte, der Zutritt gestattet war, jeder Andere aber, und wenn er die größten Verdienste um das öffentliche Wohl aufzuweisen gehabt hätte, streng ausgeschlossen blieb. Diese neun Schlösser des Standesvorurtheils öffneten ihm die von seinen hohen Gaben inspirirten Feenhände der Prinzessinnen von Savoyen.

Während nun der junge Gotter in der Kaiserstadt ein wahres Götterleben führt, kommt eines schönen Tages sein Vater als Beauftragter des Herzogs Friedrich II. von Gotha und Altenburg ebenfalls dahin, um Forderungen für geleistete militairische Hülfe vom Kaiser einzutreiben. Der Pracht und Aufwand liebende regierende Herr, der natürlich immer viel Geld brauchte, machte nämlich ein einträgliches Handelsgeschäft mit – Soldaten, indem er seine Landeskinder dem Kaiser verkaufte, aber nur mit Schwierigkeiten zum Kaufschilling gelangen konnte.

Im Palais des Prinzen Eugen wird ein großes Fest gegeben, und der Kammerdirector Gotter sucht sich als Zuschauer Zutritt zu verschaffen. Die geladenen Gäste wallen in reichster Gala durch die glänzenden Räume, die kaiserliche Familie, Fürsten und Fürstinnen, Grafen und Gräfinnen, hohe Kleriker, Officiere, Staatsmänner, Ungarn, Spanier, Italiener. Der bescheiden auf einer Gallerie unter anderem zugelassenen Volk stehende gothaische Beamte erblickt plötzlich einen jungen Mann sich gewandt und leicht in diesem Zauberkreise bewegen, als wär’ er darin aufgewachsen, mit den Vornehmsten vertraut, von den Damen gesucht, mit Allen bekannt. Die Augen des würdigen Herrn aus Gotha bleiben an dieser Erscheinung hängen, aber er traut doch diesen seinen eigenen Augen nicht recht. Eine solche Aehnlichkeit ist ihm noch nicht vorgekommen. Endlich fragt er einen Diener des Hauses:

„Wer ist der junge Herr, mit welchem Se. Durchlaucht der Prinz Eugen zu conversiren geruht?“

„Herr von Gotter!“ ist die Antwort, die den Kammerdirector vollends außer Fassung bringt.

Starr vor Erstaunen gewinnt es der alte Herr endlich doch über sich, sich weiter nach dem Söhnlein, das er in Westphalen wähnt, zu erkundigen, und hört nun, daß „Herr von Gotter“ Hausfreund des Prinzen Eugen, und von diesem und seinen Nichten in die ersten Häuser Wiens eingeführt sei. Der Vater sucht den Sohn auf, bedient sich seiner zur Erreichung seiner Zwecke und gelangt durch ihn weit schneller zum Ziele, als er durch eigne Kraft vermocht hätte. Die Irrungen werden zum Vortheile des gothaischen Hofs beigelegt, die Forderungen des Herzogs berichtigt, alte Processe beim Reichshofgericht ungewöhnlich schnell zu Ende gebracht, Alles durch die Hand des jungen Gotter, der besser als der Alte weiß, an wen er sich zu wenden hat. Ein Billetdoux von ihm richtet mehr aus, als ein ganzes Actenfascikel der gothaischen Regierung.

Nach einer andern Version scheint allerdings die Rettungsgeschichte in das Bereich der Fabel zu gehören. Gotter soll nach dieser andern Quelle ganz einfach durch seinen Vater und einige Cavaliere, die ihn lieb gewonnen hatten, bei Hof eingeführt worden sein und dort durch seine Gewandtheit, wohl auch durch seine Schönheit rasch die Gunst der Höflinge gewonnen haben.

Herzog Friedrich II. zeigte sich von diesen Erfolgen sehr befriedigt; der junge Gotter blieb als sein Chargé d’Affaires in Wien, und wurde nach zweijähriger glücklicher Wirksamkeit von ihm zum Legationssecretair ernannt. Allgemein galt er als der erklärte Günstling des mächtigen Prinzen Eugen und hatte zu jeder Zeit freien Zutritt bei demselben. Diese außerordentliche Gunst theilte er nur mit einer kleinen Anzahl von mehr noch durch Verdienst als durch Würde hervorragenden Personen, so daß die Auszeichnung dadurch nur noch kostbarer wurde.

Die Familiensage läßt unerörtert, wie viel die jüngste der fürstlichen Nichten bei Gotters fabelhafter Prosperität gewirkt, aber sie behauptet, diese Prinzessin habe sich nicht verheirathet und den schönen Glücksritter in Bezug auf die gemeinschaftliche Donaufahrt und sein Erscheinen im gefährlichsten Augenblick stets ihren Engel genannt. Ich habe von meiner Mutter behaupten hören, daß die hohe Dame noch einen andern Sinn mit dieser artigen Bezeichnung verbunden habe. Genug, Gotter machte großen Aufwand, war bald die beliebteste Persönlichkeit in den Kreisen der haute volée, und erhielt dazu das rechte Relief von der beneidenswerthen Gunst des zu jener Zeit berühmtesten Feldherrn und Staatsmannes. Ihr verdankte er es auch, daß er 1724 durch einen Gnadenbrief des Kaisers sammt seinen Nachkommen in den Reichsfreiherrnstand erhoben wurde „wegen der dem kaiserlichen Hofe geleisteten Dienste und zu Ehren des Herzogs von Gotha.“ Von Letzterem war unser Glücksritter einige Jahre zuvor erst zum Rath, dann zum Hofrath und außerordentlichen Gesandten am kaiserlichen Hofe ernannt worden.

Das ungewöhnliche Glück des zweiunddreißigjährigen Mannes machte natürlicher Weise großes Aufsehen, außer Wien am meisten an den thüringischen Höfen, welche die Augen stets respectvoll auf den Kaiserhof gerichtet hielten, das meiste am Hofe seiner Vaterstadt. Die reizendsten Aventuren und Plaisanterien wurden von ihm erzählt; man schilderte ihn als den Abgott aller vornehmen Frauen Wiens und brachte glänzende Namen mit dem seinigen in Verbindung, die sonst nur mit dem ungemessensten Respect ausgesprochen zu werden pflegten. Eine zärtliche Liaison mit dem Baron Gotter – so wurde behauptet – gälte selbst Damen vom reinsten Geblüt für point d’honneur, und keine tadelte darum die andere. Die Glückliche werde nur beneidet. Kurz, Gotter war der verwöhnte Liebhaber aller Götter oder vielmehr Göttinnen auf dem Olymp des heiligen römischen Reichs deutscher Nation.

In alle Geheimnisse und Intriguen des Wiener Hofs eingeweiht, in vielen davon eine wichtige Rolle spielend, mit allen hervorragenden und einflußreichen Personen vertraut, Muscadin und Mignon der vornehmen Welt, der intime Freund des päpstlichen Nuntius, spätern Cardinals Passioni, mit welchem er Prinz Eugens Gunst theilte, wurde er von den Großen, die am kaiserlichen Hofe etwas bezweckten, gesucht und favorisirt.

Von allen Seiten regnete es Gunst- und Gnadenbezeigungen auf ihn. Im Jahre 1725 erhielt er vom gothaischen Hofe auf [95] Verwendung des Prinzen Eugen „wegen seiner treu geleisteten Dienste“ das Prädicat als „Geheimer Legationsrath“ mit erhöhtem Gehalte, und zwei Jahre später war er ein so wichtiger Mann in Wien, daß ihm der zwölfjährige Czar Peter II. den Alexander-Newsky-Orden, begleitet von einem schmeichelhaften Handschreiben des allmächtigen Fürsten Menschikoff, durch Staffette überschickte. Diese große Auszeichnung läßt uns ahnen, von welcher Wichtigkeit die Dienste sein mußten, welche der glückliche Parvenu aus Gotha sich um Personen vom höchsten Rang erworben.

Die Memoiren der Berliner Akademie sagen über diese Periode seines Lebens: „Gotters Lage in den Jahren, über die wir soeben berichtet, gewährte einen ungemein heitern Anblick. Wenn es sich um einen verächtlichen Emporkömmling handelte, wir würden nicht weiter von ihm reden; aber kann man einen Mann ohne Wohlgefallen sehen, der seiner Pflicht mit Auszeichnung genügt und sich der allgemeinen Zuneigung bemächtigt, einen Mann, der, weit entfernt, die seiner Erhöhung entgegenstehenden Hindernisse stürmisch zu durchbrechen, vielmehr durch die einstimmige Zustimmung derer, welche sie verleihen, zu den großen Stellen emporgehoben wird, und, was nicht weniger selten ist, ohne das neidische Murmeln irgend eines Mitbewerbers zu erregen? Gotter hatte eine Eigenschaft, die vor jeder andern die Herzen gewann, er war verbindlich und dienstfertig über allen Ausdruck. Sich an ihn wenden, ihn um etwas bitten, und den Erfolg davon sehen, war in allen möglichen und zulässigen Fällen gewöhnlich eine und dieselbe Sache. Wie hätte man sich nicht allgemein für einen Mann interessiren sollen, der sich so großmüthig zu Gunsten Aller interessirte, welchen seine Gefälligkeiten nützlich sein konnten?“

Zwei Mittel und Wege, wie der gefeierte und gehätschelte Libertin der höhern Gesellschaft die großen Summen erwarb, durch deren generöse Verausgabung er nicht nur seiner Neigung zu fürstlichem Großleben genügte, sondern auch seine Stellung sicherte und sich die Laufbahn zu noch höhern Zielen eröffnete, zwei Mittel und Wege des Gelderwerbs, welche die Lobrede der königl. preußischen Akademie verschweigt, hat mir die Familientradition überliefert. Von dem einen habe ich schon gesprochen, von der schier fabelhaften Gunst hochgestellter Frauen, deren Herzen nicht nur, deren Cassetten ihm auch stets offen standen, und die sich bewetteifert haben sollen, seinen kleinen Verlegenheiten abzuhelfen. Das zweite ist seltsamer und ungewöhnlicherer Natur, zeigt aber, welch ein gewandter Kopf Gotter war, der Welt und Menschen kannte, und der sich so zu geben wußte, daß die Benützung auch dieses Mittels seine glänzende Stellung nicht beeinträchtigte, und selbst die Spötter in zustimmende Lacher verwandelte. – Gotter soll nämlich einen sehr einträglichen Weinhandel getrieben haben. Er entnahm die Weine aus italienischen Waarenhandlungen, und verkaufte sie seinen Gönnern und Freunden mit beträchtlichem Gewinn. Es gehörte eine Zeit lang in Wien zum guten Ton, Gotter’schen Wein auf die Tafel zu setzen.

Genug, alle Berichte stimmen darin überein, daß der Baron Gotter in Wien der schönste, liebenswürdigste, gewandteste, zärtlichste Held in Amors süßen Kämpfen, der gefeiertste Liebling der vornehmsten Frauenwelt per Kaiserstadt, der schlaueste Kopf, der gefälligste, dienstfertigste Menschenfreund, der beliebteste und großmüthigste Lebemann und Günstling der Großen und aus all diesen Gründen der gefeiertste Glücksritter seiner Zeit war.

[112] Der Scharfblick des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen begriff leicht, daß Gotter, so weit dessen Lebensweise auch von der Einfachheit und Frugalität entfernt schien, welche dieser Monarch zur Grundlage seines Lebens gemacht hatte, nichts destoweniger ein sehr geschickter und brauchbarer Mann sei, ein Mann, welchen die größten Fürsten aufsuchen und in ihr Interesse zu ziehen sich angelegen sein lassen müßten. Der König fing damit an, unsern Gotter mit dem Orden der Großmuth zu schmücken, dann, im Frühling 1726, ließ er eine schmeichelhafte Einladung an den Hof von Berlin an ihn ergehen. Zu gleicher Zeit eröffnete der König dem Herzoge von Gotha den Wunsch, den Baron von Gotter bei sich zu sehen, und dieser erhielt von seinem Hofe die Erlaubniß zur Reise nach der königlich preußischen Residenzstadt. Hier gefiel der feine Weltmann dem einfachen Monarchen so ungemein wohl, daß er kurze Zeit nach seiner Ankunft durch Cabinetsordre zum Staatsrath mit Sitz und Stimme und mit einem Gehalte von tausend Thalern (für damalige Zeit eine hohe Summe) ohne eine bestimmte Verpflichtung ernannt wurde. Damit noch nicht genug, erhielt er auch die Anwartschaft auf das erste erledigte Canonicat in Halberstadt, und wurde im folgenden Jahre von dem ihm so gnädig gesinnten Könige mit dem schwarzen Adlerorden decorirt. Nichts liefert einen schlagenderen Beweis von dem eigenthümlichen, alle Herzen gewinnenden Zauber in Gotter’s Wesen, als diese überschwengliche Gnade des sittenstrengen und leichtfüßigen Hofleuten nichts weniger als wohlgesinnten Königs. Welch ein ausgezeichneter und liebenswürdiger Mensch mußte dieser Parvenu sein, daß er einen so ernsten und eigensinnigen Charakter, wie Friedrich Wilhelm I., in so hohem Grade und so leicht und schnell für sich zu gewinnen vermochte!

Diese neuen glänzenden Bande lösten aber merkwürdiger Weise die alten nicht sogleich, mit welchen Gotter’s dankbares Herz an seinen gnädigen Landesherrn gefesselt war; denn nach Wien zurückgekehrt, blieb er auch als preußischer Staatsbeamter in seiner zeitherigen Stellung zum gothaischen Hofe, ja er wurde 1731 sogar zum Comitalgesandten des Herzogs beim Reichstage ernannt, ohne daß er genöthigt gewesen wäre, seinen Aufenthalt in Wien aufzugeben.

Die durch den Tod des Herzogs Friedrich II. am gothaischen Hofe verursachten Veränderungen bestimmten Gotter, auf die ihn dort bindenden Aemter Verzicht zu leisten, um endlich den ihm so schmeichelhaften Avancen des Königs von Preußen ungetheilt zu entsprechen. Aber indem er den Herren wechselte, wechselte er seine Function nicht; er blieb königl. preuß. Gesandter am kaiserl. Hofe und erhielt die Erlaubniß, auch die Angelegenheiten des Herzogs von Würtemberg am kaiserl. Hofe besorgen zu dürfen, wie er früher die des Markgrafen von Bayreuth besorgt hatte. In dieser Eigenschaft empfing Gotter die kaiserliche Investitur des Herzogthums Stettin für den König, seinen Herrn, und die der Reichslehen des Herzogs von Würtemberg.

In dieser glänzenden Stellung blieb der Baron Gotter bis zu Ende des Jahres 1736.

Ueber zwanzig Jahre hatte der verwöhnte Sohn des Glückes alle Freuden und Seligkeiten des fröhlichen Wiens durchgeschwelgt, hatten die Götter des Olymp in der Kaiserburg alle ihre heitern Gaben aus dem Füllhorn der Gunst und der Gnade über sein Haupt ausgeschüttet; auch ihm schlug die Stunde, wo er ihrer überdrüssig wurde und sich mit Gleichgültigkeit von ihnen abwandte. Viel Schönes hatten ihm seine Göttinnen geschenkt und gewährt: ewige Jugend hatten sie ihm nicht geben können, sich selbst nicht; auch sie waren alt geworden. Er sehnte sich fort vom Schauplatz seiner Siege und wünschte nichts mehr, als seinen zurückgeschobenen Triumphwagen zur Reisekutsche umzuwandeln, die ihn in die Einsamkeit des Landlebens führen sollte. Er war satt der glücklichen Erfolge, müde der an ihn verschwendeten Gunst, und er hegte mit dem von ihm so hochverehrten Horaz nur noch den Wunsch, „daß er ein Landgut hätte, wo ein Garten und dem Wohnhaus nah eine Quelle und ein Gehölz darüber.“ Und er kaufte in der Nähe seiner Vaterstadt Gotha das an der Gera, wenn sie von Arnstadt herabkommt, gelegene freundliche Gut Molsdorf, wo einer seiner Väter einst Pfarrer gewesen war.

Von diesem Tage an lag er dem Könige, seinem Herrn, mit so inständigen Bitten ob, ihm die ersehnte Ruhe auf diesem Landsitze zu vergönnen, daß der Monarch, durch seine Dienste zu sehr zufrieden gestellt, um sie nicht auf freundliche Weise zu vergelten, ihm die erbetene Abberufung und Erlaubniß, in Molsdorf zu leben, mit einer anständigen Pension bewilligte und ihm den Charakter eines bevollmächtigten Gesandten des obersächsischen Kreises verlieh. Seit drei Jahren schon gehörte ihm das durch ihn so berühmt gewordene Landgut im Herzogthum Gotha, als er, dem geräuschvollen Wien entronnen, in die Stille desselben trat, um sich ganz den Süßigkeiten der Ruhe hinzugeben, und er betrieb nun das bereits begonnene Werk mit begeistertem Eifer, Molsdorf in den reizenden Musensitz eines modernen Epikureers umzuschaffen.

Nichts legt ein schöneres Zeugniß von Gotters im Grunde doch edler Natur ab, die von dem geistlosen, des sittlichen Gehalts entbehrenden bunten Schaumleben am Wiener Hofe zuletzt angeekelt, ihre Sehnsucht nach bessern Genüssen zum unabweisbaren Bedürfniß wachsen sah, als daß er sich in Molsdorf den stillen Freuden der Natur und einer geregelten nützlichen Thätigkeit hingab. Aber es gab noch einen dritten Grund, der ihn veranlaßt hatte, das Landgut in seinem thüringischen Vaterlande zu erwerben, und der ihn nun dorthin zog, und vielleicht war dieser der stärkste. Er, der in der Dame der höhern Gesellschaft eben nur – das Weib kennen gelernt hatte, wurde in seiner Vaterstadt von der höchsten Ehrfurcht und sittlichen Ergebenheit für ein hochgestelltes Frauenpaar von der reinsten Tugend, von der höchsten Intelligenz, vom tiefsten Gefühl und vom feinsten Lebensverständniß so mächtig ergriffen, daß ihn sein bewunderndes und anbetendes Herz in den Zauberkreis jener erhabenen Huldinnen stellte. Und in der That hat er erst hier sein reinstes und schönstes Glück gefunden. So wahr ist es und wird es ewig bleiben, daß in edlen Menschennaturen, wenn sie auch vom bunten süßduftenden Tand der Sinnlichkeit überschüttet sind, von den Strahlen der Geistessonne getroffen, das Verlangen nach übersinnlichen Genüssen geweckt wird, steigt und sie endlich dem reinen, die höchsten Wonnen gewährenden Cultus des Geistes zuführt. Dieses kleine Schloß in Molsdorf sollte durch den üppigen Zögling des üppigen Kaiserhofes ein Tempel dieses Cultus werden.

Wahrlich, Gotter gab sich in Molsdorf nicht der trägen Ruhe eines Sybariten hin! Aber ebenso wenig fiel ihm ein, den Stoiker zu spielen; er lebte nur den echten und wahren Grundsätzen seines Meisters Epikur treuer: er suchte das höchste Lebensgut in jener geistigen Genugthuung, welche aus der Freiheit der Seele von Unruhe und Schmerz entspringt, und die sie allein aus den reinen Genüssen des Geistes durch Natur, Schönheit, Kunst und Wissenschaft erringt. Das von ihm umgebaute Schloß, der von ihm angelegte [113] große Garten wurde von seinem feinen Kunstsinne auf’s Reizendste ausgeschmückt; er häufte auf dieses kleine Stück Erde alle Gaben und Mittel eines raffinirten Lebensgenusses in der edelsten Bedeutung, wie ihn das achtzehnte Jahrhundert in den ambraduftenden Kreisen der höhern Gesellschaft feinster Blüthe zur Erscheinung brachte. Der stets siegreiche Held in Cupido’s heitern Schlachten, der seine Siegestrophäen über schöne und zärtliche Herzen nicht zusammenzählen konnte, wurde nun von den keuschen Strahlen jenes unvergleichlichen Doppelsternes, – der Herzogin Louise Dorothee und der Frau von Buchwald[2] – der den Hof, die Stadt und das Land Gotha mit mildem Glanze erfüllte, gefesselt.

Als die Rosen von Gotters genußreicher Jugend abgeblüht waren, und in einer Lebensperiode, wo das Herz anderer Männer, die sich Haupt und Becher mit Blumen zu kränzen und den Glanz derselben in schönen Augen widerstrahlen zu sehen lieben, kälter zu schlagen beginnt, ging in dem seinigen das erhabene Bedürfniß einer geistigen Liebe auf, und er beugte sich still anbetend vor dem Altar, auf welchem weder die Flamme wilder Leidenschaft, noch das Plaisanteriefeuer parfümirter Cupidität und zärtlicher Accommodation brannte, wo vielmehr der ätherische Strahl des durchgeisteten sittlichen Frauenthums leuchtete.

Genug, mit den Schätzen, die ihm die ebenfalls in ihn verliebte und ihn auch

Molsdorf.

hier rastlos verfolgende Glücksgöttin zweimal durch das große Loos der Staatslotterien in London und im Haag zuwarf, machte er aus Molsdorf einen Feensitz, um die Herzogin und ihre Doppelgängerin zuweilen hineinzuführen, den beiden hohen Damen sinnige Feste zu geben und ihnen auf diese ausgesuchte Weise seine Huldigung darzubringen. Was der feinste Luxus in den höchsten Regionen Köstliches und Seltenes darbot, das stellte Gotter in seinem Molsdorf auf, gleichsam als Zeichen und Tribut seiner der edlen Herzogin geweihten schwärmerischen Ehrfurcht.

Auch erkaufte er von den Brüdern des regierenden Herzogs das Rittergut zu Dietendorf in der Nähe Molsdorfs, der Altenhof genannt, und wollte 1737 darin eine Fabrik von wollenen Zeugen errichten. Es wurde aber nichts daraus, und Gotter verkaufte das Gut an einen Grafen Promnitz aus Schlesien, einen eifrigen Herrnhuter, der hier eine Brüdercolonie zu gründen gedachte und damit 1743 den Anfang machte. Die gothaische Regierung hinderte damals die Ausführung dieses Planes, der erst zwölf Jahre später gedieh und die Erbauung des Ortes veranlaßte, welcher, von den Brüdern Gnadenthal, von den Dietendörfern und der Umgegend Neugottern genannt, seinen jetzigen Namen Neudietendorf 1764 von der Regierung bei Ertheilung der landesherrlichen Concession erhielt. Der Name Gnadenthal sollte durchaus nicht geduldet werden, und er hat sich gänzlich verloren, weil er nicht im Herzen des Volks wurzelte; den Namen Neugottern hört man aber jetzt noch.

Noch stärker ist die Erinnerung an Gotter in Molsdorf; an diese seine phantastisch-prächtige Schöpfung hat er seinen Namen für Jahrhunderte gekettet. Oft sieht man dort sein Wappen und seinen verschlungenen Namenszug, sogar auf den Möbeln, die noch von ihm herrühren.

Sobald Friedrich der Zweite den preußischen Königsthron bestiegen hatte, rief er den Baron Gotter in den activen Staatsdienst zurück. Gotter gehorchte, wenn auch nicht gerade gern, und der junge König belohnte diesen Gehorsam mit der Oberhofmarschallswürde. Wenige Monate später erhob ihn der Kaiser in den Reichsgrafenstand, und Gotter nahm diese neue Würde mit Genehmigung des Königs, seines Herrn, an. Es war die letzte Standeserhöhung, welche Kaiser Karl VI. vornahm; denn er starb unmittelbar darauf. Dieser Todesfall veranlaßte den König, den Grafen Gotter mit der kitzligen Sendung an die junge Königin von Ungarn und Böhmen, Maria Theresia, zu betrauen, damit er ihr Vorschläge zu einem Abkommen in Bezug auf die vom König beanspruchten schleichen Gebietstheile mache. Die Wahl dieses außerordentlichen Gesandten zeugte vom Scharfsinne des Königs. Gotter war am Wiener Hofe immer noch ein beliebter Mann, und kein anderer preußischer Staatsbeamter durfte sich solcher intimen Verbindungen in der nächsten Nähe, der Königin-Erzherzogin rühmen, deren Kindheit er so nah gestanden hatte. Die Speculation war aber doch eine verfehlte; Gotter richtete nichts aus, und die abschlägliche Antwort, die er seinem königlichen Herrn zurückbrachte, veranlaßte bekanntlich den glorreichen ersten schlesischen Krieg.

Gotter blieb nun bis zum Jahre 1745 in Berlin, wo er nach der Wiederherstellung der königlichen Akademie der Wissenschaften (1743 und 1744) einer der vier Staatsminister und Curatoren war, welche halbjährig im Vorsitze wechselten.

Entweder hat ihn der König nachher vernachlässigt, und Gotter zog sich aus beleidigtem Stolze wieder nach Molsdorf zurück, oder die endlich wankende Gesundheit seines sonst so robusten Körpers nöthigte ihn zu der Bitte an den König, in Molsdorf wohnen zu dürfen. Der Monarch erfüllte seine Wünsche, und Graf Gotter durfte wieder fünf Jahre in seinem geliebten Patmos zubringen. Aber dieser Zeitraum genügte nicht zu seiner Wiederherstellung; seine Uebel scheinen sich sogar verschlimmert zu haben. Er nahm also seine Zuflucht zu einer Reise nach Montpellier, wie zu einem letzten Hülfsmittel, und dieses schlug über alle Erwartung gut an.

Nach einem Jahre (1751) kehrte er, an Leib und Seele gekräftigt und wieder mit der ganzen alten Lebhaftigkeit ausgestattet, zurück. Vom König gerufen, begab er sich nach Berlin, um neue Beweise der königlichen Gnade zu erleben. Er wurde mit hohen Würden und Aemtern überhäuft und sein Einkommen war ein sehr bedeutendes. Trotz all seiner einträglichen Aemter, die er bis an seinen Tod bekleidete, und trotz des zweimal gewonnenen großen Looses hinterließ er Schulden. Friedrich der Große sagte von ihm: es sei Alles möglich, nur nicht, den Grafen Gotter reich zu machen.

In den letzten fünfjährigen Aufenthalt Gotters in Molsdorf fällt seine Correspondenz mit dem Könige, welche in dessen von Preuß herausgegebenen Werken abgedruckt ist. Man ersieht daraus, daß Gotter wohl des Vertrauens seines Monarchen sich erfreute, doch schreibt dieser nicht in dem herzlichen Tone an ihn, dessen er sich gegen seine literarischen Freunde bediente. Wahrscheinlich datirt auch aus dieser Periode Friedrichs Epître au Comte Gotter (ebenfalls in den Oeuvres du Philosophe de Sans-Souci [114] abgedruckt), in welcher Gotter als ein grasser Epikureer mitgenommen wird. Dem also Angesungenen, längst über die Jahre rosenfarbner Phantasie und anakreontischen Lebensgenusses hinaus, that der bittere Spott weh, doch ergriff er die einzige Partie, die ein weltkluger Kopf, wie der seinige, unter diesen Umständen wählen konnte: er versteckte seine verletzte Empfindlichkeit hinter Scherz, indem er der königlichen Muse in einem launigen Briefe seinen tief empfundenen Dank abstattete, daß sie zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen geruht habe, einen alten abgelebten Mann wieder aus der Dunkelheit hervorzuziehen, und ihm an der Grenze des Lebens ein so herrliches Unsterblichkeitsdiplom auszufertigen, in dessen Anerkennung die Nachwelt ihn wenigstens als einen Epicuri de grege porcum unmittelbar zwischen des großen Friedrichs Tischgenossen und Schooßhunde classificiren werde.

Das Leben, welches Gotter in Molsdorf führte, namentlich in der letzten Periode als Graf, war nichts weniger als einfach idyllisch und frugal. Vielmehr haben sich von der schwelgerischen Ueppigkeit desselben, von den glänzenden Festen, die er dem Hofe und dem benachbarten Adel gab, manche Anekdoten erhalten, die wenigstens in meiner Jugend noch vielfach erzählt wurden. Er hatte sich in dieser ländlichen Zurückgezogenheit mit einem wahrhaft fürstlichen Hofstaate umgeben, bei dem auch die üblichen Laufer nicht fehlen durften. Ja, er that sich sogar etwas darauf zu gut, ein wahres Prachtexemplar, einen sogenannten Parforcelaufer zu besitzen, der, wie man behauptete, aus Molsdorf selbst gebürtig war, Namens Heinhold. Zufolge einer Wette des Grafen mit einem anderen Standesherrn mußte dieser Mensch von hier bis nach dem ungefähr fünfzig Stunden weiten Hannover und zurück in sechsunddreißig Stunden laufen. Der Läufer vollendete diese Reise wirklich in noch kürzerer Frist, erlag jedoch der übermäßigen Anstrengung dicht vor Molsdorf auf dem sogenannten Palmberge, wo ein Blutsturz seinen raschen Tod herbeiführte. Was that’s? Der Herr Graf hatte die Wette gewonnen. Mich dünkt, dieser eine Zug verbreitet über den Charakter des Mannes hinlänglich Licht. Unmittelbar neben der der Herzogin dargebrachten raffinirten Huldigung und den schwelgerischen Festen der todtgehetzte Laufer!

Es wird noch von einer andern nicht minder tollen Wette erzählt, die er einer adligen Dame aus der Nachbarschaft abgewann, die Wieland oder Thümmel wohl in seinen Versen hätten erzählen können, die aber heutigen Tages der Schicklichkeit halber sich nicht mehr mittheilen läßt, aber beweist, daß er in solchen Fällen sein eigenes Leben so wenig schonte, wie das seines Läufers. Er scheint überhaupt auf dem Gipfelpunkte des aristokratischen haut-goût seiner Zeit gestanden zu haben, und es werden in dieser Beziehung Dinge von ihm erzählt, die wie Erfindungen einer tollgewordenen Phantasie klingen, aber gerade ihrer Ungeheuerlichkeit wegen nicht von einer anständigen Feder mitgetheilt werden können und mit seiner galanten und ehrfurchtsvollen Schwärmerei für die edle und sittenstrenge Herzogin seltsam contrastiren. Er war dabei ein fröhlicher Herr, der kein Vergnügen zu theuer fand. Als er das große Loos zum ersten Male gewonnen hatte, veranstaltete er ein großes Festmahl, dessen Hauptgericht junge Erbsen, sein Lieblingsgericht, waren; er bezahlte jede Erbse mit einem Groschen.

Auf dem Schloßthore sieht man heute noch zwei männliche Figuren aus Stein mit Gotter’s Wappenschild, Spieß, Schwert und einer großen Geldkatze über dem Rücken, in welcher sich große Geldstücke abdrücken. Sie werden die Geldmänner genannt und sollen die Ueberbringer der beträchtlichen Summen gewesen sein, welche ihm zu bestimmten Zeiten von Berlin überschickt wurden. Sie standen mit dem Gesichte nach dem Schlosse zu, gleichsam als eben ankommende Freudeboten. Als die Gelder ausblieben, ließ er die steinernen Glücksmänner herumdrehen. So kehren sie noch dem Schlosse den Rücken zu.

Als er selbst endlich gezwungen war, dasselbe zu thun und auf seinem Hengste durch den hinter Molsdorf befindlichen Weidgarten sprengte, wandte er sich lachend noch einmal zurück und rief: „Leb’ wohl, mein liebes Molsdorf! Du hast mich viel Geld gekostet. Nun ich keins mehr habe, müssen wir scheiden. Wir sehen uns nicht wieder!“ Und er ritt auf und davon.

Seinem Ende gingen schwere Leiden voraus, aber er war so bewundernswürdig ehrlich, selbst einzugestehen, daß sie verdiente seien. Dieses Geständniß ist fast geeignet, mit seinem schrankenlosen Leben zu versöhnen. Selbst Schmerzen leidend, verleugnete er seine joviale Natur nicht. Er hatte den Becher süßer Lebensfreuden bis zum Bodensatze geleert, und als ihm dieser in seiner bösen Herbigkeit nicht erlassen wurde, nahm er ihn Tropfen für Tropfen, ohne den Mund zu verziehen. Und so blieb er ein echter Epikureer bis zur letzten Stunde, die ihm am 28. Mai 1762 in Berlin schlug. Siebzig Jahre alt, starb er als königlich preußischer Staats- und Kriegsminister, Vice-Präsident des General-Directoriums für den Krieg und die Finanzen, Oberhofmarschall und Generalpostdirector. Verheirathet war er nie, aber es gab in Molsdorf und der Umgegend viel heimliche und öffentliche Nachkommenschaft von ihm. Er hat sie Gott empfohlen; mehr konnte er nicht thun. Auch seinen Verwandten im Lande Gotha hat er gar nichts genützt. Keinem hat er eine Laufbahn bereitet. Der Vater meiner Mutter und dessen Bruder, ein paar blutarme Studenten, ihm so nah verwandt und persönlich bekannt, haben kein Stipendium, auch nicht die kleinste Unterstützung durch ihn erhalten. Die Familie hat sich mit der Ehre seiner Verwandtschaft begnügen müssen. Es ist mit der menschlichen Schwachheit zu entschuldigen, daß die Familie doch stolz auf den Herrn Grafen war.

Im Andenken des Volkes hat sich Gotter nur als vornehmer jovialer Wüstling erhalten; was er als Mensch, Staatsmann und Gelehrter war, ist vergessen.

Der einst steife, von der Scheere in Ordnung gehaltene französische Garten wurde nach dem Aussterben des Fürstenhauses Gotha in einen sogenannten englischen Park umgewandelt, aus dem allmählich nicht nur die zahlreichen Götterstatuen, sondern auch die Götter selbst verschwunden sind. Das kleine Schloß hat dem Anscheine nach erhalten werden sollen, wie es zu Gotter’s Zeit war, aber sein einst so reiner Spiegel ist vom Hauche der Zeit stark getrübt. Der heutige intelligente Besucher der einst so berühmten glänzenden Schöpfung wird sich schwerlich einer unbehaglichen Verstimmung erwehren können. Nichtsdestoweniger wird auch jetzt noch der Garten den Sommer über aus den benachbarten Städten Erfurt, Arnstadt, Gotha und den übrigen Ortschaften als Rendezvous und Vergnügungsort benutzt. Sehr interessant sind die zum Theil werthvollen Bilder, mit welchen Gotter Saal und Zimmer des Schlosses geziert hat, doch sind die besten davon in neuester Zeit ausgewandert. Es sind meist historische Portraits aus seiner Zeit, zumal eine große Anzahl fürstlicher Personen. Der Kenner der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts wird sich gut in diesen Räumen unterhalten. Seine Blicke werden von einem lebensgroßen Bilde Friedrich des Großen als sechzehnjährigen und einem Brustbilde desselben als sechsundzwanzigjährigen Kronprinzen gefesselt werden.

Gotter’s mächtiger Gönner und Freund Prinz Eugen ist ebenfalls in Lebensgröße zu sehen; desgleichen Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Im Damenzimmer, so genannt, weil lauter Portraits vornehmer Damen darin hängen, sehen wir die jugendlichen Gestalten der beiden späteren Kaiserinnen Maria Theresia und Katharina II. Wenn die Erstere eine liebenswürdige Erscheinung ist, so ist die Zweite eine zarte Hebegestalt, in welcher man wahrlich die spätere nordische Semiramis nicht ahnen würde. Für mich hat das Bild der geistreichen Herzogin Louise Dorothee von Gotha in der Ordenstracht der fröhlichen Einsiedler die meiste Anziehungskraft. In einem anderen Zimmer findet man auch Portraits berühmter Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen jener famosen Zeit. Das werthvollste aller Bilder ist ein Bruststück vom Grafen Gotter selbst (es sind zwei Portraits von ihm da). Wenn irgend ein Portrait wahr und getroffen sein muß, so ist es dieses, das den Beweis liefert, daß die Erscheinung nie lügt.

Die ganze Individualität Gotters tritt uns aus diesen Zügen entgegen. Wir begreifen, daß dieser schöne kräftige Mann mit dem braunen Teint und dem braunen Haare (er ist als angehender Vierziger gemalt), mit diesen flammenden, heiter lachenden, geistreichen Augen, mit diesem üppig geschwellten Munde der Liebling aller liebebedürftigen Frauen sein mußte. Seine Genialität thut sich schon darin kund, daß er die unerläßliche Perrücke, den Galarock und die Halsbinde verschmäht und in einer poetischen, wahrscheinlich idealen Tracht erscheint. Unter den übrigen Perrückenträgern nimmt sich dieses Bild überraschend fremdartig aus. Man meint einen [[William Shakespeare|Shakespeare]ischen Helden unter den Darstellern einer Staatsaction zu sehen.[3]

[115] Auf einer 1761 (ein Jahr vor seinem Tode) auf Gotter geprägten ziemlich großen und sehr schönen Münze sieht man sein wohlgetroffenes Brustbild von der Seite in einer idealisirten Allongeperrücke. Die Rückseite zeigt ein stolzes Schiff mit vollen Segeln auf dem Meere mit der Umschrift: Quo rapiunt aurae? (Wohin reißen es die Winde?) – Gotter war ein treuer Sohn seiner leichtsinnigen Zeit, ein Cabinetsstück der aristokratischen Frivolität des vorigen Jahrhunderts, – der Mutter der Revolutionen!



  1. Medaillon aus Storch’s Denkwürdigkeiten.
  2. Den Lesern der Gartenl. aus Nr. 41. 42. des vor. Jahrg. bekannt.
  3. Unser Holzschnitt ist nach einer von diesem Bilde genommenen Photographie gemacht.
    D. Red.