Ein neuer Bühnendichter
Die meisten unserer Leser werden bereits aus den Zeitungen von einem neuen Trauerspiel „Phädra“ erfahren haben, das kürzlich im Berliner Schauspielhause unter der gespanntesten und theilnahmvollsten Aufmerksamkeit eines zahlreichen Publicums über die Bühne gegangen ist. Die Kritik der Hauptstadt sprach sich fast durchgängig in anerkennendster Weise über die neue Schöpfung aus. Sie machte diesen und jenen Einwand in Betreff des antiken Stoffes und der Composition, aber sie hob zugleich in voller Uebereinstimmung mit dem Urtheil des Publicums hervor, daß eine so melodische Anmuth der Sprache, ein so macht- und gedankenvoller Schwung der Diction, daß eine so durchgebildete Reife und Tiefe edelster Anschauung und Gestaltung, wie sie dieses Werk bekunde, nicht das Product eines Neulings und Dilettanten, nicht die Leistung eines alltäglichen Talentes sei.
Der Verfasser war auf dem Zettel nicht genannt, aber die gebildeten Kreise Berlins waren nicht überrascht, als man sich erzählte, daß es der – Prinz Georg von Preußen sei. Wußten sie doch längst von dem ausdauernden Ernste und der schöpferischen Innigkeit des Bundes, den dieses jüngere Mitglied des königlichen Hauses seit seinem zartesten Lebensalter mit den Künsten und Wissenschaften geschlossen hat. Im Uebrigen war „Phädra“ nicht zum ersten Male auf einem Theater erschienen, schon vor einigen Jahren ist vielmehr die Tragödie unter der Leitung von Gustav von Puttlitz wiederholt in Schwerin aufgeführt
[341]und damals günstig in der Presse besprochen worden. Auch ist das Stück nicht die einzige dramatische Arbeit des Prinzen Georg. Seiner Feder ist auch Elektra, jenes nach der Idee des Euripides gestaltete, durch bewegenden Gehalt und hohe Formenschönheit sich auszeichnende Nachspiel zu Goethe’s Iphigenie, entflossen, das sich erst vor wenigen Monaten auf dem königlichen Theater einen unzweideutigen Beifall erworben hat.
Außerdem wissen Eingeweihte auch von modernen und romantischen Stoffen, an denen die aus innerstem Dränge schaffende poetische Kraft des Prinzen sich versucht habe. Es werden die Tragödien „Katharina Voisin“ (die berüchtigte Giftmischerin), „Yolanthe“ und „Don Sylvio“ genannt, und Kunstkenner versichern, daß es für diese drei Stücke nur eines künstlerisch gebildeten Schauspielerpersonals bedürfte, um sie vollständig bühnengerecht und wirksam zu machen. Leider freilich ist die Stellung eines Mitgliedes des königlichen Hauses für ein derartiges Heraustreten ein Hinderniß, denn die Oeffentlichkeit und die Bühne sind ihm eigentlich nicht erlaubt und jedenfalls abhängig von einer Genehmigung des herrschenden Oberhauptes der Familie. Einer eingehenderen Besprechung entziehen sich aus diesem Grunde auch die sonstigen literarischen Arbeiten des Prinzen. Dagegen wird ein flüchtiger Blick auf seinen Charakter und eigenthümlichen Bildungsgang gestattet und den Lesern der Gartenlaube in Betracht der Seltenheit und mannigfachen Bedeutsamkeit der Erscheinung nicht unwillkommen sein.
Man wird der Gartenlaube sicher den Vorwurf nicht machen können, daß sie ihr Augenmerk besonders auf fürstliche Persönlichkeiten richtet, allein das Talent dieses neuen dramatischen Dichters erscheint doch von so ungewöhnlicher Art, daß wir es uns als Unterlassungssünde anrechnen müßten, wollten wir unsern Lesern nicht eine kurze Schilderung vom Leben und Streben des kunstliebenden und kunstübenden Prinzen geben. Geboren am 12. Februar 1826, als zweiter Sohn des vielgenannten Prinzen Friedrich von Preußen und der Prinzessin Louise von Anhalt-Bernburg, als Enkel der schönen Königin Friederike von Hannover, zeigte Prinz Georg frühzeitig hervorragende Geistesanlagen. Die ersten Jugendjahre verlebte er in Düsseldorf, wo sein Vater sich vielfach an der regen Geselligkeit der Künstler und Gelehrten betheiligte und namentlich die Notabilitäten derselben an seinen Hof zog. Immermann leitete damals das Theater in Düsseldorf, und Uechtritz ließ seine antiken Tragödien unter dem Beistande des Freundes dort darstellen. Sein Alexander und Darius haben vielleicht zuerst in die kindliche Phantasie des Prinzen die Keime zu den ernsten historischen Stoffen seiner Muse gelegt. Die Feste am Hofe des Prinzen Friedrich hatten jedenfalls immer einen künstlerischen Boden, und der fürstliche Knabe empfing davon fruchtbringende Anregungen; mit zwölf Jahren spielte er selbst schon Komödie in einem französischen Drama „le roi, roi“. Er stellte Ludwig den Vierzehnten als Kind und Bohnenkönig dar und erntete so großen Beifall, daß seine lebhafte Phantasie von dem Augenblick an für theatralische Erfolge schwärmte. Sein vorherrschendes Talent war damals jedoch das musikalische, und um es auszubilden, hauptsächlich aber um einem drohenden Brustleiden vorzubeugen, wurde der Prinz, kaum dem Knabenalter entwachsen, nach Italien geschickt. Dort lernte er wohl zuerst die ganze Schönheit der Antike kennen und genoß mit den Anschauungen seines [342] Lieblingsdichters, Goethe, das Land der Poesie und der Kunst. In die nordische Heimath zurückgekehrt, verkehrte er viel mit den musikalischen und literarischen Größen damaliger Zeit, mit Gräfin Rossi-Sontag, Jenny Lind, Bettina von Arnim, der Gräfin Hahn-Hahn, Spontini, Meyerbeer, Tieck, Varnhagen.
Eine Bekanntschaft aber, die er etwas später machte, führte ihn entschieden der dramatischen Dichtkunst in die Arme, die Bekanntschaft mit Rachel Felix, der großen französischen Tragödin, die selbst den steifen, gespreizten Alexandriner mit einem Hauch antiker Schönheit zu umziehen wußte. Sie war es auch, die seine Künstlernatur erkannte und ihn selbst zuerst darauf hinlenkte, als Autor sich zu versuchen. Gleichsam als Verkörperung seiner Muse hat er ihrer Marmorbüste in verschiedenen Stellungen in seinem Arbeitscabinet Altäre errichtet und bewahrt, und unter dem Siegel strengster Discretion auch eine hochinteressante Briefsammlung der großen Tragödin. Eine andere Autorität der Vergangenheit, welcher der Prinz huldigt, ist Rahel Levin, die berühmte Gattin Varnhagen’s, die geistreichste Frau des Jahrhunderts, deren Eigenthümlichkeit von der raschlebenden Gegenwart unverzeihlicher Weise fast schon vergessen worden ist. Der Prinz-Autor hat ein wahrhaft liebevolles Gedächtniß für alle die schlagkräftigen Sentenzen dieses großen Frauengeistes, er kann sie auswendig und hat sie häufig als Wahlsprüche auf seinen Werken verzeichnet. Das „Ewig-Weibliche“, dem Goethe eine so hohe Bedeutung beigelegt hat, ist von unverkennbarem Einfluß auf die poetische Geistesentwickelung des Prinzen gewesen; es bewahrheitet sich an ihm die Aristotelische Lehre, daß ein Dichter die empfängliche Seele des Weibes sich aneignen muß, um schaffen zu können.
Die jetzt so plötzlich bekannt gewordene Autorschaft des Prinzen hat seine ohnehin große Popularität nur noch vermehrt; man kennt und grüßt ihn überall mit mehr als höflicher Aufmerksamkeit. Er besucht gern gelehrte Gesellschaften und verkehrt mit geistreichen Leuten, ohne jemals die Forderungen der Etikette geltend zu machen. Als Wohlthäter der Armen bringt er viele und bedeutende Opfer und giebt nicht blos Almosen, sondern stellt sich die Aufgabe, gründlich zu helfen durch Unterstützungen mit Rath und That. Durch eine seit seinen ersten Jugendjahren andauernde Kränklichkeit ist er übrigens gezwungen alle körperlichen Anstrengungen zu vermeiden und in dem lautem Berlin still zu leben. Die Sommermonate bringt er abwechselnd in Ems und Wiesbaden oder auf seinem Schlosse am Rhein zu.