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Ein neues Blatt aus Kaulbach’s Todtentanz

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Textdaten
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Autor: C. A. Df.
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Titel: Ein neues Blatt aus Kaulbach’s Todtentanz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 653–655
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Zur Nachfeier des Humboldt-Jubiläums
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[653]

Ein neues Blatt aus Kaulbach’s Todtentanz.

Zur Nachfeier des jüngsten großen National-Jubiläums.

Am vierzehnten September dieses Jahres feierte die ganze Welt einen Jahrestag, der diesmal nicht der Erinnerung großer Schlachten und Kämpfe, nicht von der Geschichte glorificirtem Morden und Würgen en gros, sondern der Geburt eines einzigen Mannes galt: Alexanders von Humboldt! – Was dieser Mann der Wissenschaft war, geht aus einem einzigen Satze der im Schooße der Berliner Akademie zu seinem Gedächtniß gehaltenen Rede hervor, in der es heißt: „Da Niemand von Humboldt’s Zeitgenossen mehr lebte, so mußte die Akademie auf’s Gerathewohl einen aus ihrer Mitte veranlassen die Gedächtnißrede für ihn zu halten. Es war gleich, auf wen die Wahl fiel, denn wie auch die Art und der Gang seiner Studien gewesen sein möge, sicher ist er bei ihnen diesem allumfassenden Wirken Humboldt’s begegnet.“

Unter den Tausenden von Portraits, die der deutschen Nation das Bild ihres großen Todten wieder in’s Gedächtniß zurückrufen sollten,

[654]

Abschied vom Kosmos.
Nach dem Originalcarton von W. v. Kaulbach.


ist schwerlich eines, das ähnlicher wäre, als das auf dem Blatte, welches die Gartenlaube heute ihren Lesern bringt; unter allen den zahllosen Gaben, welche deutsche Künstler, Schriftsteller und Poeten auf dem Grabe niederlegten, ist wohl keine so ernst, so tiefergreifend und doch wieder so mild versöhnend, als die, welche Kaulbach, der große Meister, dem unvergeßlichen Freunde in dem neuesten Blatte seines „Todtentanzes“ gewidmet hat.

Es athmet dieses Blatt auf’s Neue wieder die ganze innige Verehrung, die warme Freundschaft, welche die beiden großen Männer im Leben verband und die der Künstler schon mehrfach in seinen Werten – wir erinnern nur z. B. an die Wandgemälde im Neuen Museum zu Berlin – documentirte.

Der Tod, der in dem Kaulbach’schen Todtentanz sonst so furchtbar höhnend und schrecklich an die Gewaltigen unserer Erde [655] herantritt – die Leser der Gartenlaube wollen sich an das erste Blatt dieses merkwürdigen Werkes (Gartenlaube Jahrgang 1867 Nr. 26) erinnern, wo der Tod Napoleon dem Ersten in Gestalt seines Adjutanten einen grinsenden Schädel als Globus unterschiebt – erscheint hier in der denkbar freundlichsten Gestalt.

Der Künstler hat den herrlichen Mythus der Alten benützt, der den Atlas, welcher ununterbrochen das Weltall trägt, einmal vom Hercules in seiner mühevollen Arbeit abgelöst werden läßt. Der Tod erscheint als Hercules mit der Löwenhaut bekleidet, er nimmt Humboldt, dem müden, alten Atlas, den schweren Kosmos von den Schultern, den er mit gewaltiger Kraft, die selbst im spätesten Greisenalter nicht nachließ, so lange getragen hatte, und ladet ihn mit freundlicher Handbewegung ein hinabzusteigen und auszuruhen von schwerer, aufreibender Arbeit – im Grabe.

Aber das Grab hat hier keine Schrecknisse, es ist mit Rosen angefüllt, und Blumen sprießen daraus hervor. Auch der Platz, wo es sich befindet, ist für den müden Heros der Wissenschaft ein lieber, ihn längst heimlich und vertraut anmuthender; – es ist ja die Ruhestätte der Humboldt’schen Familie in Tegel, auf welcher seit langen Jahren schon der geliebte Bruder den ewigen Schlummer schläft.

Die Büste des Vorangegangenen, des geist- und gemüthvollen Wilhelm von Humboldt, der als vorzüglicher Diplomat und vielarbeitender Gelehrter immer noch Zeit fand, die schönen, so pikanten und geistreichen „Briefe an eine Freundin“ zu schreiben, die heutzutage noch häufig als werthvolles Geschenk zwischen Liebenden benützt werden, lächelt freundlich von ihrem Piedestal herunter, als wollte sie den geliebten Bruder jetzt auch im Tode willkommen heißen.

Und dieser selbst? –

Sein Antlitz spricht es aus, daß für ihn, der die Gesetze und die Bedingungen des Seins und des Werdens erforscht hatte im Blühen und Vergehen der kleinsten Pflanze, wie in den Bahnen der ewigen Sterne, das Aufhören, das Sterben, das Wiederzurückfallen in das unendliche Meer des Alls, das Wiederverklingen im großen Schöpfungsaccord keine Schrecknisse mehr hat. Längst hat er ihn ersehnt, den milden Erlöser Tod, und wie der Wanderer nach weiter, sonniger Wanderung das Ziel froh begrüßt, so bewillkommnet auch der moderne Atlas mit unsäglich mildem Lächeln den in der Löwenhaut maskirten Gesellen, der ihm die schwere Bürde des Kosmos abnimmt.

Alles duftet und blüht rund herum, verheißend und tröstend blickt hinten die Statue der Hoffnung hervor, und an diesem blühenden, schönen, düftereichen Sommertage läßt der Künstler den geliebten, verehrten Freund vom Tode zur ewigen Ruhe unter blühenden Rosen abgerufen werden. Wahrlich ein beneidenswerthes Sterben! – – – –

Werfen wir noch einen Blick auf das Portrait Humboldt’s, von dem wir eben gesagt, es sei eines der ähnlichsten unter all den zahlreichen Bildern, die uns die Gestalt des großen Todten aufbewahren. Wie er so dasteht, der kleine große Mann in dem einfachen schwarzen Abzug, der sorgsam geknüpften weißen Halsbinde, mit dem Hut und dem einen Handschuh in der Hand, die ohnedies nicht große Gestalt von der Last der neun Decennien, die auf ihr ruhen, leicht gekrümmt, so haben ihn alle die gesehen, die ihn im Leben kannten. Das milde Lächeln, das auf seinem Gesicht spielt, ist nicht nur den Großen dieser Erde am preußischen Königshof zu Gute gekommen, sondern mit demselben gütigen Ausdruck hat es auch die jungen Studenten, die armen Gelehrten erquickt, denen er ein wahrhaft väterlicher Freund und Förderer war.

Wie überraschend glücklich getroffen dieser Gesichtsausdruck ist, möge ein kleiner, mit der Entstehung des Bildes zusammenhängender Vorfall beweisen, der überdies erklären mag, woher es kam, daß die „Gartenlaube“ das Blatt nicht, wie dies anfangs projectirt war, zum Jubiläumsfeste Humboldt’s brachte.

Die Originalzeichnung ist, wie alle Blätter des Kaulbach’schen Todtentanzes, ein ungefähr vier Fuß hoher und drei Fuß breiter Carton. Es galt also, diese große Zeichnung so auf den Holzstock zu übertragen, daß ihr Charakter und Ausdruck trotz der bedeutenden Verkleinerung ungefährdet blieb. Wir hatten bei dem ersten Blatt des Todtentanzes, dem bereits erwähnten Napoleon dem Ersten, die neue Methode, die Zeichnung vermittels der Photographie direct auf den Stock zu übertragen, versucht. Allein diese Methode, die jedenfalls die einfachste und sicherste gewesen wäre, bewährte sich leider nicht, denn einmal mußte das Bild auf dem Stock doch noch überzeichnet werden und dann sprang beim Schneiden fortwährend die Collodionschicht unter den Messern des Xylographen, und mit diesen sich abblätternden Stückchen gingen selbstverständlich auch Theile der Zeichnung verloren.

Dies Verfahren, das die Gesammtwirkung des Holzschnittes arg benachteiligt hatte, konnte diesmal nicht angewendet werden, und es wurde daher vorgezogen, den großen Carton in dem wünschenswerthen Format der Gartenlaube photographiren zu lassen und dann die Uebertragung auf das Holz einem tüchtigen, bewährten Künstler anzuvertrauen.

Dieser Künstler war nun in Herrn Beckmann, einem äußerst fähigen Schüler Piloty’s, gefunden, und der junge Künstler unterzog sich mit allem Eifer und aller Pietät der schweren Aufgabe. Als wir aber die fertige Holzzeichnung miteinander in Kaulbach’s Atelier trugen, klopfte mir, trotzdem ich die Uebertragung für äußerst gelungen hielt, doch das Herz ein wenig, denn ich wußte nur zu gut, wie schwer Kaulbach zu befriedigen ist, und so ein junger Künstler ist an Empfindlichkeit die reine mimosa pudica die man nicht anrühren darf.

Der Meister empfing uns auf das Freundlichste, nahm den Holzstock entgegen, setzte das Lorgnon auf und besah die Zeichnung. Je freundlicher sein Gesicht wurde und je schneller die einzelnen Ausrufe: „ganz gut, ganz tüchtig“ einander folgten, je mehr fühlte ich mich erleichtert. Endlich gab er den Stock zurück: „Es ist Alles ganz gut, ganz vortrefflich, nur das Gesicht von Humboldt ist nicht ähnlich. Das ist nicht Das, was ich gezeichnet habe. Warten Sie einen Augenblick!“

Dabei verschwand er hinter den großen Bildern und Cartons, die den Hintergrund der hohen Halle seines Ateliers ausfüllen. Als er wieder erschien, hatte er in der einen Hand eine Büste, in der andern ein unförmliches Etwas, das in Papier eingeschlagen war. „Sehen Sie, das ist die sprechend ähnliche Büste Humboldt’s. Wollen Sie sich dieselbe ’mal gefälligst so richten, wie sie auf dem Bilde steht. So dürfte es etwa sein, die Beleuchtung ist auch ganz gut und trefflich. Nun sehen Sie ’mal Ihre Zeichnung an und vergleichen Sie dieselbe mit der Büste. Sehen Sie jetzt, wo es fehlt?“

Der junge Maler deutete sofort mit großer Sicherheit auf die Partie zwischen Auge und Mund.

„Ganz richtig! Und hier haben Sie die Todtenmaske, da sehen Sie es noch deutlicher.“ Dabei hielt Kaulbach die Maske in derselben Richtung empor, und jetzt wurde auch mir klar, daß sich in die Zeichnung ein fremder Zug eingeschlichen hatte, aber es wäre mir unmöglich gewesen zu sagen, wo und wie. Das konnten nur Maleraugen errathen. Herr Beckmann aber nahm sofort die Holzplatte und wischte seinen Kopf aus.

„Brav, junger Freund,“ sagte der Meister, „thun Sie dem Andenken des großen Mannes und mir den Gefallen und zeichnen Sie den Kopf noch einmal. Ich schicke Ihnen die Büste hinein in Ihr Atelier!“

Und so gingen wir denn heim. Der junge Künstler war von der Liebenswürdigkeit des Alten begeistert und zeichnete den Kopf noch einmal; diesmal kam er vollständig zur Zufriedenheit Kaulbach’s. Das ist die Ursache, warum der Stock nicht zum Jubiläum Humboldt’s fertig wurde; aber er ist deswegen doch nicht zu spät gekommen!

C. A. Df.