Eine literarische Freibeuterei

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Autor: Ernst Keil
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Titel: Eine literarische Freibeuterei
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 714–716
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine literarische Freibeuterei.

Von E. Werner, der Verfasserin der in der Gartenlaube abgedruckten vielgelesenen und belobten Erzählungen „Hermann“, „Ein Held der Feder“, „Am Altar“ und „Glück auf“, erhalten wir behufs Veröffentlichung in unserer Zeitschrift nachstehende Erklärung:

„Es ist zur Kenntniß des Redacteurs der Gartenlaube und zu der meinigen gelangt, daß meine bisher festgehaltene Anonymität in einer ebenso seltsamen als verletzenden Weise ausgebeutet wird, indem eine mir bisher dem Namen und der Person nach völlig Unbekannte sich in den verschiedensten Kreisen für die Verfasserin meiner unter dem Pseudonym E. Werner erschienenen Erzählungen ,Ein Held der Feder‘, ,Am Altar‘ und ,Glück auf‘ ausgegeben hat und noch ausgiebt. Nachdem festgestellt worden, daß es sich hier weder um einen Irrthum noch um ein Mißverständnis handelt, vielmehr eine unzweifelhaft betrügerische Absicht vorliegt, habe ich die Redaction ersucht, die Sache ohne fernere Schonung und mit vollster Namensnennung der Öffentlichkeit zu übergeben, um dadurch einem Betruge ein Ende zu machen, der vielleicht schon einen Theil des Leserkreises der Gartenlaube getäuscht hat, und den ich hiermit sammt seiner Urheberin ohne jeden weiteren Commentar dem allgemeinen Urtheile preisgebe.

Elisabeth Buerstenbinder.

Zur näheren Erläuterung dieser Abwehr hat die unterzeichnete Redaction hinzuzufügen:

Bereits im Frühjahre dieses Jahres empfingen wir aus Schwaz (Tirol) eine briefliche Mittheilung, nach welcher eine in der Zuschrift nicht genannte Dame als Verfasserin der Werner’schen Romane proclamirt wurde. Der Brief lautet:

      Geehrter Herr Redacteur!

Ich habe seit einigen Jahren das Vergnügen, eine junge Dame zu kennen, die sich mir in letzterer Zeit brieflich als die Autorin der in Ihrer geschätzten Zeitschrift „Die Gartenlaube“ erschienenen Novellen „Ein Held der Feder“, „Am Altar“ etc. nannte. Andererseits aber wurde als Verfasserin dieser Sensation machenden Novellen Fräulein Bürstenbinder aus Berlin genannt. Da mich die Sache nun außerordentlich interessirt, fühlte ich mich verpflichtet, der mir bekannten Dame, die ich nach ihren Mittheilungen für die wahre Verfasserin halten muß, von obengenannter im Publicum verbreiteter Meinung Nachricht zu geben. Aus dem Antwortschreiben der jungen Dame entnehme ich nun folgende Stellen:

„Vor Allem nun will ich zur Aufklärung dieser sonderbaren Pseudonym-Verwechselung schreiten, welcher Sie mit einiger Spannung entgegensehen werden. Die Sache verhält sich in folgender Weise: Ich schrieb vor mehreren Jahren, eben als ich von Innsbruck nach Wien kam, an mehrere Zeitschrifts-Redactionen und schickte ihnen mehrere kleine Novellen zur Aufnahme. Dieselben sandten sie mir zurück mit dem Bedeuten, sie nicht verwenden zu können. Als der deutsch-französische Krieg beendet war, schrieb ich meinen ,Federhelden‘(!) und wußte aber nicht, was damit anfangen, da ich mich nicht abermals Zurückweisungen aussetzen wollte. Der Redacteur der ,Wr. Tagespresse“ sagte mir, daß er mir zur Verwendung behülflich sein wolle. Er schickte meinen ,Hermann‘, ,Federhelden‘, ,Ohne Rast und Ruh’ an verschiedene Redactionen und Schriftsteller, welche sie alle nicht verwenden zu können vorgaben. Endlich gab er mir die Nachricht, daß eine Schriftstellerin in Berlin, welche für die ‚Gartenlaube‘ arbeite und mit deren Verleger befreundet sei, versprochen habe, womöglich die Aufnahme meiner Novellen in der ‚Gartenlaube‘ zu bewirken. Ich hatte dem Tagespressenredacteur keinen bestimmten Pseudonym angegeben und war daher durchaus nicht überrascht, als er mir mittheilte, meine Novellen würden unter dem Namen ,Ernst Werner‘ erscheinen. ,Ohne Rast und Ruh‘ erhielt ich zurück; ,Held der Feder‘ und ,Hermann‘ wurden gedruckt. Auf ,Am Altar‘, welches ich bald darauf wieder dem Tagespressenredacteur übergab, erhielt ich den Bescheid, nicht brauchbar zu sein, erschien jedoch, wie ich später erst hörte, als es schon gedruckt wurde, dennoch in der ,Gartenlaube‘. Sonst wußte ich vor Ihrem Briefe nichts davon, daß eine andere Person auch unter dem Namen Ernst Werner schrieb. Indem ich aber die gütig übersandte Zeitungsannonce lese, kann ich mir die Sache nicht anders erklären, als daß besagtes Fräulein Bürstenbinder meinen Novellen ihren eigenen Pseudonym gegeben und so nun die Leser meine Arbeiten für die Ihrigen halten. Ich habe sogleich nach Erhalt Ihres Briefes an die Redaction der ‚Tagespresse‘ nach Wien geschrieben, um mir von dem Redacteur Rath zu erbitten in der Sache. Fräulein von Blum, welche ich persönlich kenne und welche früher Redactrice der ‚Frauenzeitung‘ war (Beilage der ‚Tagespresse‘), schrieb mir zurück, daß Herr Enke die Redaction niedergelegt und Wien verlassen habe. Mir bleibt also nichts übrig in der Sache, als zu schweigen, wenn ich nicht etwa einen Preßproceß gegen Fräulein Bürstenbinder anstrenge und die Leute, welchen ich besagte drei Novellen noch im Manuscripte mitgetheilt, als Zeugen aufrufen will. Der Proceß würde mir aber zu nichts nütze sein, als Höchstens meinen Namen als Autor bekannt zu machen; denn Fräulein Bürstenbinder kann man daraus keinen Vorwurf machen, daß sie für die Arbeiten eines Anderen den Pseudonym Ernst Werner gewählt, wenn der ihrige auch E. Werner ist, denn es stand ihr ja die Wahl eines Namens für mich frei. Und Herr Keil, der Redacteur der ‚Gartenlaube‘, weiß nichts davon, daß ich der Verfasser dieser paar Novellen bin, er hält vermuthlich Fräulein Bürstenbinder für den Autor. Mich kennt er bis jetzt nur als Verfasser von lyrischen Gedichten, deren er einige unter meinen eigenen Initialien M. T. in seinem Blatte aufgenommen.“

Wie Sie nun aus dem obigen Citate ersehen, Herr Redacteur, scheint das Fräulein nicht geneigt zu sein, ihre Autorschaft zur Geltung zu bringen, und es ist nur ein rein privates Interesse, was mich veranlaßt, Ihnen diese Mittheilung zu machen und Sie, Herr Redacteur, zu bitten, mir womöglich geneigte Auskunft über den wahren Sachverhalt zu geben, wodurch ich in die angenehme Lage käme, die hiesige Gesellschaft, der das Fräulein ebenfalls bekannt ist, von ihren Zweifeln zu befreien. Wollen Sie nun so freundlich sein, meine bescheidene Anfrage nicht im Kleinen Briefkasten der Redaction, sondern durch ein paar Zeilen direct an mich zu beantworten, so würden Sie mich außerordentlich verbinden.

Achtungsvoll
M.

Im Zweifel, ob wir über dieses Gewebe von durchweg frechen Lügen lachen oder uns darüber ärgern sollten, betrachteten wir die Reclamationen der uns unbekannten Usurpatorin schließlich doch als Ausgeburt eines kranken Gehirns oder als eine freche Schwindelei und beantworteten in diesem Sinne das betreffende Schreiben, indem wir zugleich der Verfasserin der eben im Druck befindlichen Erzählung „Glück auf“ die sonderbare Anklage mit einigen scherzenden Worten einsandten. Da auch auf diese Antwort der Name der „jungen Dame“ von Schwaz aus nicht genannt wurde, so war vorläufig eine weitere Verfolgung des Intermezzos unmöglich und unterblieben deshalb alle weiteren Schritte.

Wir bitten indeß unsere Leser, nicht zu übersehen, daß in obiger Zuschrift die „junge Dame“ sich auch die Autorschaft des „Hermann“ anmaßt, während diese in einer späteren Zuschrift kurzweg abgeleugnet wird.

Wenige Monate darauf (Ende Juni) lief von Pest das nachfolgende Schreiben des dortigen Buchhändlers Herrn Aigner an den Redacteur dieses Blattes ein:

Pest, 26. Juni 1873.

      Geehrtester Herr College!

Hierdurch erlaube ich mir, mich in einer heiklen Angelegenheit an Sie zu wenden, die für mich wichtig ist und für Sie nicht ohne Interesse sein kann. Es handelt sich nämlich um eine Mystifikation (wohl auch etwas mehr), deren Lüftung und Klärung für uns Beide zum Mindesten ein interessantes Problem sein muß.

Doch zur Sache.

Ich lernte unlängst ein Fräulein –a von T– kennen, die man mir als Verfasserin der unter dem Pseudonym E. Werner in der Gartenlaube erschienenen Novellen „Ein Held der Feder“ etc. vorstellte. Ich interessirte mich natürlich sofort sehr lebhaft für sie und auf meine Frage über ihr Pseudonym, über ihre Arbeiten etc. theilte sie mir die Geschichte der Gartenlaube-Novellen mit, die, so seltsam sie auch klingen mag, doch so viel psychologische Wahrscheinlichkeit enthält, daß ich mich zur Entwirrung dieses gordischen Knotens um so eher erbot, als ich dabei geschäftlich interessirt bin und in der Sache auf dem Wege des Gesetzes – wenigstens vorläufig – gar nichts zu erreichen und zu erwirken wäre.

Ich wende mich daher zunächst an Sie, den anerkannten Ehrenmann (der, wie ich sicher annehme, die Literatur gleich mir nicht blos als melkende Kuh betrachtet), mit der Bitte, den Verlauf der Historia anzuhören, sich darüber Ihr Urtheil zu bilden und mir dann mit Rath und That in meinem Vorhaben beizustehen.

Die Erzählung des Fräuleins T– lautete folgendermaßen (ich habe sie schriftlich in Händen):

„Ich schrieb im Laufe früherer Jahre, als ich noch zu Hause lebte, sechs Novellen, von welchen zwei noch Fragment, eine andere noch unbetitelt waren, als ich im September 1870 die Heimath verließ und mich nach Wien begab, um dort meine musikalischen Studien zu vollenden. Meinen streng aristokratisch denkenden Verwandten hatte ich zu Hause meine belletristischen Versuche vorgelesen, sie waren aber darüber sehr wenig erbaut, da dieselben – wie sie behaupteten – meiner emancipirten (?) gegen die herkömmliche Weltordnung zu sehr Ausdruck gaben. Sie forderten (auch außerdem stricte von mir, daß ich, wenn ich je etwas in dieser Tendenz Verfaßtes veröffentliche, es nur unter einem Pseudonym, nicht unter meinem Familiennamen thue. Mit der Veröffentlichung hatte es aber noch seine guten Wege, denn sämmtliche Redacteure und Verleger, an welche ich mich wandte, sagten mir, ohne meine Arbeiten auch nur zur Durchsicht zu acceptiren, daß sie von Anfängern nichts publiciren. So ließ ich denn meine Manuscripte in meinem Schreibtische ruhig ihrer Auferstehung entgegenschlummern, arbeitete aber zugleich eines der Fragmente, [715] dessen Inhalt sich mit dem deutsch-französischen Kriege von 1870–1871 beschäftigte, fertig.

Im Februar 1871 hatte ich genannte Novelle, welche sich ,Ein Held der Feder‘ betitelte, beendet und las daraus einige Capitel in einem kleinen Kreise im Hause der Baronin von R– vor. Unter meinen Hörern befand sich auch ein Herr, der mir als Wilhelm Enke, Mitarbeiter der ,Tagespresse‘, vorgestellt wurde. Dieser behauptete, nach dem Wenigen zu urtheilen, was ich aus meiner Novelle gelesen, sei dieselbe vollkommen würdig, gedruckt zu werden, und wenn ich sie ihm anvertrauen wolle, so werde er einen Verleger dafür suchen. Ich war über dies Anerbieten natürlich sehr erfreut, und als er am nächsten Tage zu mir kam, um meine anderen Arbeiten auch durchzusehen, gab ich ihm vier fertige Novellen.

Nach einigen Wochen kam Herr Enke zu mir und sagte, daß er alle vier Novellen an eine ihm persönlich bekannte Schriftstellerin, welche mit Herrn Keil in Verkehr stehe, geschickt habe, deren Verwendung zufolge zwei von den Novellen in der ‚Gartenlaube‘ erscheinen würden unter einem beliebigen Pseudonym, da ich sie unter meinem Namen nicht veröffentlichen wolle. Für diese beiden Arbeiten habe er für mich das Honorar von achtzig Gulden erhalten, welche er mir auch sofort ausfolgte. Bezüglich der beiden anderen Novellen wolle sich Herr Keil später entscheiden, jedenfalls müsse die namenlose Novelle umgearbeitet werden.

Im Herbste mußte ich Wien verlassen und nach Hause zurückkehren. Von dort reiste ich nach Ungarn, wo ich eine Stelle als Erzieherin antrat. Auf meiner Durchreise traf ich Herrn Enke nicht in Wien, hinterließ ihm jedoch meine Adresse, damit er mir meine Manuskripte nachsende. Es vergingen Wochen, ich erhielt von Enke kein Lebenszeichen. Wohl aber schrieb mir mein Bruder, daß eine Novelle ‚Am Altar‘ von E. Werner in der ‚Gartenlaube‘ erscheine. Da ich eine so benannte Novelle nicht kannte, pränumerirte ich auf das Blatt und überzeugte mich, daß dies meine unbetitelte Geschichte sei. Ich schrieb an Enke, erhielt jedoch den Brief als unbestellbar zurück. Nun schrieb ich an die ‚Tagespresse‘, die aber von einem Mitarbeiter Enke nichts wissen wollte. Auch meine Bekannten wußten nicht, wohin er gerathen. Kurz, er war und blieb verschollen. Nach vielen Wochen schrieb mir eine Bekannte, daß in der Grazer Zeitung stehe, hinter dem Pseudonym E. Werner, Verfasser von ‚Held der Feder‘ etc. verberge sich ein Fräulein Bürstenbinder in Berlin. Das war mir nun vollkommen unerklärlich. Ich schrieb an Herrn Keil, erhielt aber keine Antwort.

Von allen Seiten ohne Nachricht gelassen, beschloß ich endlich, vorläufig keine weiteren Schritte zu thun, bis ich Herrn Enke nicht habhaft geworden wäre. Da lernte ich Sie kennen, und da Sie versprachen, sich meiner anzunehmen, so will ich auch die Recherchen auf’s Neue mit Eifer betreiben, um meine Autorschaft zur Anerkennung zu bringen. Nachträglich habe ich zu bemerken, daß die Novelle ,Hermann‘ mit der meinen nichts gemein hat als den Namen, während der Inhalt ein ganz anderer ist. Die drei anderen Novellen (,Held der Feder‘, ,Am Altar‘, ,Glück auf‘) dagegen sind meine Produkte.“

So steht die Sache und – in meinen Augen wenigstens – ist es ganz unzweifelhaft, daß da eine Mystifikation, ein geistiger Diebstahl stattfand; wer jedoch der eigentliche Missethäter sei, Fräulein Bürstenbinder oder Herr Wilhelm Enke, oder aber Beide, das wäre vor allem Anderen zu ermitteln. Es könnte nun (objektiv gesprochen) noch ein Fall angenommen werden, der nämlich, daß Fräulein von T– selbst mystificire. Doch dagegen sprechen zu viel innere Gründe. Fräulein von T– macht (etwas Exaltation abgerechnet) durchaus den Eindruck einer einfachen, aufrichtigen und ehrlichen Dame, welcher man die Erfindung eines solchen Lügengespinnstes nicht zutrauen kann, noch weniger aber die bodenlose Frechheit, die dazu gehören würde, mit einem solchen Selbstbewußtsein aufzutreten und sogar an Sie zu schreiben.

Es kann Ihnen gewiß nicht einerlei sein, ob Sie das Honorar der Gartenlaube – auf Kosten des geistigen Eigenthümers – einem frechen Betrüger zahlen, oder ob Sie damit der deutschen Literatur eine junge, talentvolle Kraft erhalten, die schon nahe daran war, derselben für immer Valet zu sagen. Haben Sie daher die Güte, mir gefälligst mitzutheilen:

1) Empfingen Sie von Fräulein von T– einen, oder vielleicht auch zwei Briefe, und welchen Inhalts? Ließen sich dieselben noch produciren?

2) Empfingen Sie die Manuskripte von „Held der Feder“ etc. von Fräulein Bürstenbinder[WS 1] oder von Herrn Enke?

3) In welchen Verhältnissen lebt der betreffende Einsender und von welcher Seite kennen Sie denselben? Ganz besonders aber: wie lauten seine (sämmtlichen) Briefe?

Im Interesse eines hintergangenen, hülflosen Mädchens, das hier in dürftigen Verhältnissen (von Musik- und Sprachstunden) lebt, ersuche ich Sie freundlichst und dringendst, die Sache nicht zu leicht zu nehmen und mir baldgefälligst Mittheilung zu machen.

Hochachtungsvoll
Ludwig Aigner.

P. S. Fräulein T– hat einige neue Novellen fertig, wollten Sie nicht eine oder die andere für die Gartenlaube acquiriren? Tendenz und Stil ist mit den früheren ganz gleich!

Selbstverständlich ward auch dieser Brief Fräulein Buerstenbinder vorgelegt und nach seiner Rücksendung von dem unterzeichneten Redakteur dieses Blattes wie folgt beantwortet:

     Geehrter Herr College!

Auf Ihre Zuschrift vom 26. Juni heute nur wenige Worte. Fräulein –a von T–, die sich Ihnen als Verfasserin der Werner’schen Romane vorgestellt hat, ist entweder eine gemeine Betrügerin oder sie leidet – wie das neuerdings leider oft vorkommt – an Größenwahnsinn. Die ganze Ihnen vorlamentirte Räubergeschichte ist durchweg eine Schwindelei, auf die weder Werner, dessen wahren Namen ich vorläufig noch verschweige, noch meine Wenigkeit irgend ein Wort erwidern mögen. Da mir aber bereits von anderer Seite die lügenhaften Renommagen dieser Dame mitgetheilt wurden und die saubere Schriftstellerin unter der Fahne Werner möglicher Weise noch mehrere Schwindeleien begehen dürfte, so nehme ich nunmehr Ihre offerirte Hülfe in Anspruch und bitte Sie, mir – wenn nöthig mit gerichtlicher Hülfe – bei der Entlarvung dieser Betrügerin collegialisch zur Seite zu stehen.

Ich erkläre also:

1) Fräulein von T– ist nicht die Verfasserin der Werner’schen Erzählungen und hat weder selbst noch durch den mysteriösen Enke mit Werner in Verbindung gestanden.

2) Es ist eine Lüge, daß ich an Enke oder Fräulein von T– ein Honorar von achtzig Gulden gezahlt.

3) Es ist eine Lüge, daß genannte Dame an mich wegen Werner’s geschrieben. Ich habe nur einen Brief von ihr und zwar den beifolgenden erhalten, den Sie mir zurücksenden wollen. Gedichtbriefe werden nicht aufgehoben.

4) Erkläre ich schließlich auf das Bestimmteste, daß, wenn binnen heute und zwölf Tagen nicht die schriftliche, von –a von T– unterzeichnete Bestätigung in meinen Händen ist, daß die Ihnen brieflich mitgetheilte Erzählung ihrer Autorschaft Werner’scher Novellen eine Erfindung sei, ich sofort mit Nennung des Namens der Fälscherin die Thatsache und zwar nach den Mittheilungen Ihrer Zuschrift in der Gartenlaube veröffentlichen werde.

Ich bedaure sehr, dieses energische Mittel in Anwendung bringen zu müssen, aber die Entrüstung Werner’s ist eine so große, daß alle sonst üblichen Rücksichten gegen Damen hier schweigen müssen. Ich sehe Ihrer baldigen Antwort entgegen und grüße Sie inzwischen – indem ich zugleich auf die Einsendung der T–’schen Manuskripte verzichte – aus das Freundlichste als

Ihr ergebener
Ernst Keil.

Vorausgesetzt, daß Fräulein von T– ihr Vergehen einsieht und bereut, bitte ich, ohne Härte zu verfahren und jede öffentliche Blame streng zu vermeiden. Vielleicht ist es nur ihre Armuth, die sie verleitet hat, den Ruhm eines Andern zu usurpiren, um ihre eigenen schriftstellerischen Schöpfungen an den Mann zu bringen. Wir wollen dann milde richten und uns mit der Erklärung zufrieden geben.

Der oben erwähnte einzige, in unserem Besitz befindliche Brief des Fräulein –a von T– aber lautet:

N–, 27. Oktober 1872.

     Euer Hochwohlgeboren, hochgeehrter Herr!

Am 22. September d. J. nahm ich mir die Freiheit, die Anfrage an Euer Hochwohlgeboren zu richten, ob Sie geneigt wären, novellistische Versuche eines zwar unbekannten und unberühmten Autors gegen mäßiges Honorar in Ihr vortreffliches Blatt aufzunehmen, und ob ich es wagen dürfte, Einiges aus meiner Feder Ihrer einsichtsvollen Beurtheilung unterzulegen, und ob endlich Manuskripte, im Falle sie vor Ihrem Urtheile nicht bestehen würden, zurückgesendet werden. Da ich aber weder brieflich, noch auch in der Correspondenz der „Gartenlaube“ auf meine Anfrage eine Antwort zu erhalten die Ehre hatte, und da ich mich nicht entsinne, ob mein Schreiben recommandirt gewesen, so wage ich es, Sie, hochgeehrter Herr, nochmals mit meiner Frage zu belästigen. Ich weiß, daß einem Manne (folgt ein Compliment für den Redakteur) wie Sie jede Minute kostbar ist; dennoch aber bin ich so kühn, Sie um das Almosen einiger Augenblicke Ihrer werthvollen Zeit zu bitten, indem ich gänzlich rath- und hülflos in dieser Hinsicht in der Welt stehe. Vor mehreren Jahren nahm ich mir die Freiheit, einige Gedichte Ihrem vortrefflichen Blatte einzusenden, und Sie erwiesen mir die Ehre, mehrere von denselben unter der Chiffre M. v. T. in demselben abzudrucken. Ermuthigt durch dieses Glück, welches von so großer Bedeutung für mich, einen Anfänger, war, da Ihr Blatt nur das Beste und Gediegenste der neuen Erscheinungen der Literatur aufnimmt, und meinem inneren Drange nachgebend, fuhr ich fort zu schriftstellern, allerdings mit großen Hindernissen, welche meine gegenwärtige Berufsthätigkeit mir in den Weg warf, kämpfend. Seither habe ich mehrere kleinere Novellen, worunter auch eine Bauerngeschichte und einen Band lyrische Gedichte, geschrieben. Meine literarischen Bekannten riethen mir von einer der Novellen, sie einem wissenschaftlichen Blatte, von einer anderen, sie einem Jugendschriftenverleger einzusenden, und so fort. Da ich aber durchaus keine Wege kenne, um zu einem Verleger zu gelangen, und da ich wohl weiß, wie schwer es überhaupt für jeden unbekannten Autor ist, einen solchen zu finden, wende ich mich vertrauensvoll an Sie mit der dringenden Bitte, mir Ihren Rath zu ertheilen. Vielleicht machen Sie eine glänzende Ausnahme unter den großen Herren, welche die Bittschriften, Gesuche u. dgl. ungelesen oder doch unbeantwortet in der Nacht des Papierkorbes der ewigen Vergessenheit anheimfallen lassen. – Sollten Sie mir Antwort geben durch die Gartenlaube, so bitte ich diese unter Chiffre T. W. – sollten Sie Ihre Großmuth so weit treiben, mich durch ein persönliches Schreiben zu beglücken, so ist meine Adresse unten angegeben.

Hochachtungsvoll Euer Hochwohlgeboren ergebene
–a v. T–,
bei Herrn v. K. B.
zu N. im Szaboleser Comitat, Ungarn.

Man merke wohl auf: Der Brief ist am 27. October 1872 geschrieben, also zwei Jahre nach Erscheinen des „Hermann“, anderthalb Jahre nach Veröffentlichung des „Helden der Feder“, zehn Monate nach Erscheinen der Erzählung „Am Altar“ – [716] sämmtlich Novellen, die Fräulein von T– verfaßt haben will – und trotzdem erwähnt die Briefschreiberin mit keinem Wort ihrer Autorschaft der Werner’schen Romane, mit keiner Silbe ihrer Affairen mit dem zur glücklichen Stunde verschwundenen Herrn Enke oder ihrer an die Redaction der Gartenlaube früher abgesandten Reclamationen. – Von unserer Redaction ward dieser Brief einige Tage nach Empfang, am 4. November, geschäftlich dahin beantwortet, daß man um Einsendung der Novellen – mit Ausnahme der Bauerngeschichte – ersuche. Eine Erwiderung darauf, resp. Einsendung der offerirten Manuscripte ist nicht erfolgt.

Als der von uns gestellte Termin abgelaufen war, ohne daß Fräulein von T– die verlangte Erklärung abgegeben hatte, wandte sich der Unterzeichnete Redacteur nochmals an Herrn Aigner und bat namentlich um schnelle Rücksendung des T–’schen Briefes, die denn auch mit der nachfolgenden kurzen Zuschrift des Herrn Aigner alsbald erfolgte:

Pest, 20. Juli 1873.

     Herrn E. Keil in Leipzig!

Anbei sende ich, Ihrem Wunsche gemäß, den Brief von Fräulein von T– mit dem Bemerken zurück, daß sich dieselbe zu der gewünschten Erklärung nicht verstehen will, da sie wohl schweigen, nicht aber schriftlich erklären könne, daß sie nicht die eigentliche Verfasserin der Werner’schen Novellen sei. Nachdem sie – ihrer Angabe nach – doch nicht so ganz ohne Beweise ihrer Autorschaft dasteht, als angenommen zu werden scheint, so sieht sie einer Erklärung der Gartenlaube ruhig entgegen und wird die Antwort darauf nicht schuldig bleiben.

      Damit habe ich mich meines Auftrages entledigt und zeichne

hochachtungsvoll
L. Aigner.

Einer solchen „bodenlosen Frechheit“ gegenüber (siehe Aigner’s ersten Brief) wäre längeres Schweigen Verbrechen. Reisen und Sommerfrischen der beiden Hauptbetheiligten, d. h. des Fräulein Buerstenbinder, und des Redacteurs, konnten zwar die Veröffentlichung dieser Angelegenheit um einige Wochen verschieben, sie dürfte aber heute immer noch zeitig genug kommen, um unsere Leser zu überzeugen, welchen Intriguen und Angriffen, abgesehen von tendentiösen Schmähungen der clericalen Partei, eine Schriftstellerin ausgesetzt ist, deren zeitgemäße Schöpfungen einen ungewöhnlich raschen Erfolg errungen haben.

Ein Wort der Vertheidigung zur Entlastung Werner’s hier anzuführen, hieße Fräulein Buerstenbinder beleidigen. Es bedarf auch nicht unserer wiederholten Versicherung, daß alle in den verschiedenen Briefen des Fräulein von T– angeführten Reclamationen und Manipulationen, soweit dieselben Fräulein Buerstenbinder und uns betreffen, vollständig erlogen sind, da weder die Verfasserin des „Glück auf“, noch unsere Redaction – außer dem oben angeführten Brief und vielleicht (?) einem Begleitschreiben zu Gedichten – jemals eine Zuschrift von der genannten Dame oder von dem mysteriösen Enke empfangen haben. Wir wollen ferner still darüber hinweggehen, daß die Erzählung „Am Altar“, welche unleugbar unter dem directen Einflusse der 1870 noch gar nicht existirenden altkatholischen Bewegung geschrieben ist, unmöglich schon Ende des genannten Jahres fix und fertig vorgelegen haben kann, wie Frl. von T– behauptet. Ebenso wird es unsern Lesern gegenüber nicht noch einer besonderen Hinweisung bedürfen, daß die ganze Erzählung des ruhmsüchtigen Fräuleins schließlich nur auf ein unsauberes Manöver hinausläuft, den eigenen überall zurückgewiesenen Geistesproducten Eingang in die Literatur zu verschaffen und dabei das Nützliche mit dem Angenehmen zu vereinen. Der Zweck scheint denn auch nach der Erklärung des Herrn Aigner, der offen zugiebt, bei der Sache geschäftlich interessirt zu sein, bereits erreicht, und das bisher ungedruckte Manuscript einer Reihe von Novellen, die „in Stil und Tendenz den früheren ganz gleich“, glücklich placirt zu sein. Niemand wird zweifeln, daß es sich auch recht gut ausnehmen würde, wenn auf das Titelblatt dieser etwaigen Novellensammlung nur die einfache Bemerkung gesetzt werden dürfte: Verfasserin der Romane „Ein Held der Feder“, „Am Altar“, „Glück auf!“.

Gleichwohl würden wir die so widerliche und bis jetzt private Angelegenheit nicht in die Oeffentlichkeit bringen, wenn nicht von anderer Seite ähnliche verdächtigende Aeußerungen gefallen wären, die sämmtlich auf obige trübe Quelle zurückzuführen sind. Es handelt sich zudem um eine Angelegenheit von principieller Tragweite, welche die Aufmerksamkeit aller literarischen Kreise verdient, und gleichzeitig um Aufdeckung eines Bubenstückes, wenn wir uns überhaupt einer Dame gegenüber so ausdrücken dürfen. Stelle man sich nur den Fall recht deutlich vor!

Eine reichbegabte, überaus talentvolle Schriftstellerin erobert binnen kurzer Zeit mit den Erzeugnissen ihres stillen und angestrengten Schaffens die Gunst der Leserwelt, so daß ihre Erzählungen in verschiedene Sprachen übersetzt werden und in vier- und sechsfachen dramatischen Bearbeitungen über die Bühne gehen. Bescheiden verbirgt sie sich hinter einem fremden Namen, aber alle irgend Eingeweihten wissen, daß sie eine Persönlichkeit von fleckenlosestem Rufe ist, überdies aber ihre mehr als sorgenlose Lebensstellung jeden Verdacht eines unehrenhaften Eigennutzes ausschließen muß. Und eine solche Dame muß plötzlich hören, daß sie von einer Schwindlerin oder Irrsinnigen in den verschiedensten Kreisen Oesterreichs der schimpflichen Handlung beschuldigt wird, sich mit fremden Leistungen geschmückt und zur Erzielung größerer Honorare fremde Manuscripte benutzt zu haben, die Eigenthum einer fernen Unbekannten sind – ja, mehr noch, sie muß die Erfahrung machen und es sich gefallen lassen, daß von fernher ein sonst ehrenwerther Buchhändler an das Gerechtigkeitsgefühl der Gartenlauben-Redaction „gegen sie und für jene betrogene Unglückliche“ appellirt und daß diese Letztere schließlich noch so herzensgut und mitleidig sein will, „über den ihr (man höre!) gespielten Betrug zu schweigen“.

Da war es doch wohl unsererseits eine Pflicht, das Schweigen zu brechen und ein so freches Spiel beim rechten Namen zu nennen. Fast scheint es, als ob Gaunereien dieser Art in den Schwang kommen sollten. Seitdem einzelne Frauen mit so außerordentlichem Erfolg die schriftstellerische Laufbahn betreten, hat sich eine wahre Tollheit waghalsigen Nachstrebens verschiedener abenteuerlicher weiblicher Köpfe bemächtigt. Auch eine andere berühmte und hochverehrte Erzählerin der Gartenlaube ist früher von ähnlichen rohen Angriffen und Klatschereien nicht verschont geblieben. Es ist Zeit, daß das Publicum anfängt sich selbst und seine Lieblinge gegen leichtsinnige Verleumdungen zu schützen, zumal wenn es, wie es scheint, hier und da gelingt, selbst ruhig denkende und nüchterne Männer zu bethören.

      Leipzig, den 15. Oktober 1873.

Die Redaction der Gartenlaube.
Ernst Keil.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bünstenbinder