Eines deutschen Mannes Bild/1. Aus Leipziger Kreisen

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Autor: Moritz Busch
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Titel: Aus Leipziger Kreisen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 152–154
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf Karl Mathy
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[152]
Eines deutschen Mannes Bild.
1. Aus Leipziger Kreisen.

Es war in der gährenden Zeit zwischen dem vorletzten italienischen Kriege und dem Beginn der Sammlungen für die preußische Flotte, als sich in einer der zahlreichen Trinkstuben, welche die weltbekannten Höfe und Durchgänge der alten Meßstadt Leipzig bergen, ein Kreis von politischen Glaubensverwandten zusammenfand, der selbst in dem vielfältig angeregten, gescheidten Klein-Paris in mehrfacher Hinsicht einzig in seiner Art war. Genauer gesprochen, war sein Geburtsort der Officierstisch der Kitzing’schen Bierwirthschaft im Petrinum.[1] Rasch gewachsen, oder, um mit dem komischen Dichter der Genossenschaft zu reden,

„Wie Israel, als es gewachsen,
Aus der Aegypter Mitte schwand“,

zog dieselbe dann hinüber zum zweiten runden Ecktisch des Zimmers. Dienstag und Freitag waren die Tage, an denen man sich Abends zwischen sieben und neun bei dem schweren Gerstentrank des wackern Wirths zu sammeln pflegte, um in Ernst und Scherz über alle möglichen Dinge und einige andere seine Gedanken auszutauschen. Namentlich aber besprach man die politischen Fragen und Sorgen der Zeit, und nach dem Geiste, in dem dies geschah, glaubte die böse Welt sich berechtigt, diesen Kreis von deutschen Patrioten „die preußische Verschwörung“ zu nennen. Sehr leichtfertig, schon wenn man sich an den obengemeldeten Ursprung desselben erinnerte. Es waren nicht viele Männer, die sich hier zu zwangloser Unterhaltung und gegenseitiger Erbauung trafen, etwa so viele, wie ein rechtschaffener runder Tisch von Mittelgröße, wenn die Gäste artig zusammenrücken, zuläßt. Aber es war eine vortreffliche Mischung der verschiedensten Stände, Kräfte und Erfahrungen, und es gab unter den Mitgliedern der Tafelrunde Namen vom besten Klange. Man hörte manche kluge Rede, manch’ warmes Wort. Gute Laune würzte das Gespräch mit ergötzlichsten Einfällen. Wir hatten da unter uns, um dem erwähnten humoristischen Poeten noch einmal das Wort zu gönnen,

„Geistvollste Blicke, Glanzmomente –
Gemüth, Charakter und Verstand.“

Alle Berufsarten hatten dem „Kitzing“ werthe Mitglieder gestellt. Die Schule war da und die Universität, die Rechtsgelehrtheit und die Geschichtsschreibung, die Kaufmannschaft und der Buchhandel, Verwaltung und Vertretung der Stadt, der „hohe“ Landtag, die dramatische und epische Poesie, Naturwissenschaft und Publicistik. Selbst die Diplomatie glänzte im System der Genossen, und sogar durch ein Doppelgestirn. Die Mehrzahl der Freunde waren Leipziger, unter ihnen befand sich der frühere zweite Bürgermeister der Stadt und dessen späterer Nachfolger. Andere waren Dresdner, darunter Heinrich von Treitschke, der streitbare Redner, der freisinnige und glänzende Essayist. Wieder Andere gehörten ihrer Heimath nach einer weitern Ferne an, wie Julian Schmidt, der Literarhistoriker, und der Verfasser von „Soll und Haben“. Die Schweiz hatte Salomon Hirzel, den Goethekenner, England Crowe, den viel gewanderten, auf den Schlachtfeldern der Krim und Italiens ebenso wie in den friedlichen Stätten niederländischer und romanischer Kunst bekannten Schriftsteller, gesandt. Es war in der That ein Kreis, in dem sich’s gut Hütten bauen ließ, anregend, wohlthuend, wie wenige. Jeder trug sein Theil bei zu der Summe guter Gedanken, welche in leichtem Geplauder über dem Glase sich begegneten, der Eine Gemüthlichkeit, der Andere scharfes Urtheil, wieder ein Anderer Erlebnisse und Erfahrungen eines vielbewegten Lebens. Alle waren gute Cameraden, Eins in Liebe und Haß, Eins in dem Zusammenklang der Ueberzeugungen, die sie über die höchsten Interessen der Nation gewonnen hatten, und der Hoffnungen und Forderungen, die sie daran knüpften. Alle waren Eins auch in der Verehrung vor dem würdigen Haupte der Gesellschaft, vor dem, dessen Geist und Wesen sie vorzüglich zusammengeführt hatte und dessen Liebenswürdigkeit das ganze Rund vor Allem erwärmte, wie die Sonne die Planeten ihres Systems in der aufrichtigsten Verehrung vor Karl Mathy, dem damaligen Director der Creditanstalt in Leipzig, dem nachmaligen Ministerpräsidenten in Baden.

Nicht häufig geschieht es, daß ein Süddeutscher rasch heimisch wird im Norden, zumal wenn er in gereiftem Alter steht, und nicht oft begiebt sich’s, daß wir Verstandesmenschen von der norddeutschen Ebene einem Volksgenossen aus dem Süden schnell unser Herz zuwenden. Beide Theile der Nation haben ihre besonderen Vorzüge, die zu ihrer Annäherung führen, Leide aber auch Eigenschaften, die sie für den ersten Augenblick einander fern halten. Der Süden ist dem Norden zu gemüthlich, zu laut, zu idealistisch, dieser jenem zu verständig, zu zugeknöpft, zu praktisch. Nichts von dem Allen paßte auf das Verhältniß der Gesellschaft im Leipziger [153] Petrinum zu ihrem Mittelpunkt und Häuptling. Ein Franke seiner Herkunft nach, vereinigte er in seinem Wesen alle Vorzüge der Stämme diesseits und jenseits der Mainlinie schon gewissermaßen durch seine Geburt. Ein reiches Gemüth und ein scharfer Verstand, beide in einem ereignißvollen Leben in sehr verschiedener Stellung, in Kämpfen aller Art, in Arbeiten für das Wohl des Volkes bald in der Kammer als Redner, bald in der Dorfschule als Erzieher, bald als Unterstaatssecretär im Handelsministerium des deutschen Reichs, geläutert und bereichert, hoben ihn noch weit über die allgemeine Anlage seines Stammes hinaus. Ohne die Ideale seiner Jugendzeit zu verlieren, hatte er sich schon durch sein ursprüngliches Studium, die Cameralwissenschaften, Geringschätzung der landläufigen Redensart und der politischen Stubenweisheit angewöhnt und den Grund zu der in seiner weiteren Thätigkeit in seltnem Grade ausgebildeten Erkenntniß gelegt, daß nur der die Welt seinen Idealen dienstbar macht, welcher mit den Thatsachen rechnet. Ein heißes Herz und ein kalter Kopf glichen sich in ihm aus zu einem jener Menschen, wie wir Deutschen sie vor Allem brauchen können.

Nicht oft brach das heiße Herz hervor, dann aber mit schneidender Energie. So, als ein Vorfechter der Ultramontanen in der badischen Kammer ihm einen Brief ableugnete, auf den er sich bezogen und den er dem Dreisten dann vor’s Gesicht hielt, und so in seiner vulcanischen Rede gegen die Opposition, die ihm als Minister aus selbstsüchtigen Beweggründen einen wohlüberlegten Plan zu volkswirthschaftlicher Reform bestritt. Für gewöhnlich war er in Geschäften ein kühler, praktischer, rastloser Arbeiter, im Freundeskreise ein anspruchloser, einfach liebenswürdiger Gesellschafter, und nur ein gewisser Zug leiser Ironie, der bisweilen seine Erzählung oder sein Urtheil umspielte, verrieth den vornehmen Geist, welchen der Zuhörer vor sich hatte. In ganz vertrautem Kreise gab er sich ganz, wie er war, und dann war es eine Freude, ihm zu folgen bei der Mittheilung seiner Erlebnisse oder der Schilderung der zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen er in Berührung gekommen.

Mathy verstand vortrefflich zu erzählen, und er erzählte gern, vorzüglich aus seinen jüngeren Jahren. Es wäre zu beklagen, wenn er darüber nicht mehr niedergeschrieben hätte, als das reizende Bildchen, aus der Zeit, wo er Schulmeister von Grenchen war, eine Dorfgeschichte, die zu dem Besten in Freytag’s „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“, gehört und die man in gewissem Sinne das aus der Phantasie in die Wirklichkeit übersetzte Zschokke’sche „Goldmacherdorf“ nennen kann. Wie er als Heidelberger Student Gefallen an der Stärke des Rosses hatte; sein Säbelduell ohne Secundanten mit einem Commilitonen, der jetzt eine hohe Stellung in der badischen Verwaltung bekleidet; seine Fußwanderung nach Frankreich hinein, der Anziehungskraft nach, die auf junge Gemüther die Julirevolution ausübte; die ersten Versuche des Cameralprakticanten Mathy, in der Presse seiner Regierung Opposition zu machen; seine Erlebnisse in der damals zum Theil noch sehr ursprünglichen zweiten Kammer Badens, in welcher unter Anderem Abgeordnete aus bäuerlichen Wahlkreisen sich ihr Feuerholz eigenhändig abluden und klein machten; seine Charakterbilder von Hecker und Struve; sein Bericht über die Art und Weise, wie er Fickler verhaftete, ein Bericht, der allerdings wesentlich anders klang, als die Darstellung der Gegner, und in dem man, wenn nicht mehr, mindestens in Mathy den unerschrockenen Vertreter seiner Auffassung der Lage bewundern muß;[2] – alle diese Dinge von ihm selbst verzeichnet würden allein schon eine Reihe der anmuthigsten und lehrreichsten Capitel bilden.

Wir Alle lernen, wenn wir die Augen offen halten. Die Jugend schwärmt für Ideale, und auch Mathy war davon nicht ausgenommen. Es wird eine Zeit gegeben haben, wo seine politischen Ziele von denen Hecker’s nicht eben weit entfernt lagen, wo er die Marseillaise nicht blos als prächtige Melodie mit erhabenem Texte verehrte, wo er sich selbst durch die Carmagnole begeistern ließ. Stimmte er doch in guten Stunden, wenn in engstem Kreise das Schlachtlied Rouget de l’Isle’s erklungen war, wiederholt den Jakobinergesang von „Madame Capet, die versprochen, ganz Paris erwürgen zu lassen“ an und nichts weniger als mit ironischer Miene. Mathy ist in seinen Jünglingsjahren in Phantasie und Glauben, dann während seines Aufenthalts in der Schweiz in voller, ganzer Wirklichkeit mehr als liberal, er ist Republikaner gewesen. Er hat dann gelernt an den Menschen und Dingen, daß die Welt unter dem Monde das Vollkommene nicht verträgt und daß sein einstiges Ideal sich nicht für deutsche Zustände schickt, und er hat im Frankfurter Parlament und anderwärts mit der ihm eigenen Entschlossenheit darnach gehandelt. Er ist zuletzt ein treuer Diener seines Fürsten und ein Staatsmann gewesen, der, wie viel er auch für Reformen im liberalen Geiste that, streng und stramm auf Maß und Ordnung nach den Gesichtspunkten des zur Zeit Möglichen hielt. Aber die Erinnerung an sein einstiges Ideal war ihm, wenigstens in Leipzig, geblieben und vielleicht mehr. Er bewahrte es, wenn ich die angeführte Aeußerung seines Gefühls und mancherlei Aehnliches nicht unrichtig deute, in einem warmen Winkel seiner Seele, wie man das Bild einer Jugendgeliebten aufbewahrt. Die Sehnsucht nach ihr hat sich nicht, erfüllt, konnte sich nicht erfüllen. Auf sie zu hoffen, war ein Traum, aber ein Traum voll beglückender Gluth. Eine der Wirklichkeit vergessende Stunde läßt ihn wieder aufleuchten und das Herz für einen Augenblick mit der alten Wärme erfüllen. Dann versinken seine Gestalten wieder, um den Pflichten Raum zu geben, die der Verstand uns auferlegt.

Aeußerlich war Karl Mathy eine gedrungene Gestalt von etwas über Mittelgröße, ein schöner Kopf mit spärlich gewordenem, früh ergrautem Haar, unter hoher, breiter Stirn ein Paar große leuchtende hellblaue Augen, der Ausdruck der Züge Milde mit Festigkeit gepaart. Die Oberlippe trug einen kurz gehaltenen grauen Schnurrbart, das mäßig geröthete Gesicht rahmte ein ebenfalls kurz geschnittener Bart von der Art ein, wie man sie früher in Süddeutschland Demagogenbärte nannte. Seine Haltung war in der Regel stramm und gerade, der Gang ein wenig einknickend. Im gewöhnlichen Verkehr klang seine Rede an den badischen Dialekt an, der wie alle südwestdeutschen das N beim Infinitiv und Particip der Vergangenheit sowie beim Plural der Hauptwörter wegläßt und im Perfectum erzählt. Bei öffentlichem Auftreten – er hielt unter Anderem in Leipzig einen Vortrag bei der im Mai 1862 vom „Kitzing“ im Schützenhause veranstalteten Fichtefeier – fielen diese Anklänge weg. Wohlüberlegt und darum klar und fließend, gedankenreich, phrasenlos wirkte sein Wort dann mächtig, zumal es durch eine sonore Stimme, durch ruhige, mannhafte Haltung, die nichts von den Theaterkünsten anderer Sprecher hatte, und durch jene leuchtenden Augen unterstützt wurde, die so prächtig die Ueberzeugungstreue widerspiegelten, welche ihn erfüllte.

Karl Mathy’s Vaterland war Deutschland. Kein Tropfen von particularistischer Vorliebe oder Abneigung floß in seinen Adern. Er hatte, als er zu uns kam, schon Jahre im Norden gelebt, erst in Gotha, dann in Berlin, bei der dortigen Discontogesellschaft angestellt, und er hatte dort allenthalben Freunde zurückgelassen. Auch in Leipzig fühlte er sich wohl. Seine Berufung zum Director der deutschen Creditanstalt setzte ihm eine Aufgabe, die einem tüchtigen Manne bis auf Weiteres genügen konnte. Er hatte die Freude, zu sehen, daß sein Plan von der Mehrzahl der Interessenten gebilligt wurde und sich gedeihlich entfaltete. Seinen Bemühungen dankte das Institut vor Allem die Abwickelung von Unternehmungen, mit denen eine phantastische Speculation es in Verbindung gebracht hatte, und das Wiederemporkommen zu solidem Stande und allgemeinem Vertrauen. Auch pecuniär war seine Stellung in Leipzig keine ungünstige. Eine angenehme Häuslichkeit, eine Gattin, die ihr vorstand, die große und schöne Erinnerungen mit ihm theilte, war ihm dahin gefolgt. Nicht die am wenigsten werthe Verschönerung seines Aufenthalts bei uns war endlich der zu Anfang dieser Mittheilung geschilderte Freundeskreis für ihn.

Kaum zwei oder drei Mal, wenn nicht durch Reisen entfernt, fehlte er in den drei Jahren, die er in Leipzig lebte, bei den Dienstags- und Freitagsabenden der runden Tafel. Mit der Regelmäßigkeit einer Uhr kam er Punkt zehn Minuten nach sieben.

Nicht immer mit derselben Regelmäßigkeit ging er, nachdem er sein ein für alle Mal feststehendes Maß von Kitzing’s dunklem Saft genossen. Aller Augen erwarteten ihn, wenn er im Dampf des ersten Zimmers hinter den Scheiben der Glasthür erschien; Alle hingen an seinem Munde, wenn er sprach. Der Geschichtschreiber[WS 1] [154] unterbrach sich in einer Auseinandersetzung über das persische Sonnenjahr oder sonst eine entlegene Herzensangelegenheit, der Botaniker vertagte eine begonnene Belehrung seines Nachbars über Pilzsporen oder Pflanzenzellen, der Komiker brachte rascher als gewöhnlich einen neugebornen guten Einfall an den Mann, wenn – Er sich zu einer längeren Erzählung oder zur Abgabe seiner Meinung über eine auf die Tagesordnung gebrachte Frage anschickte. Mathy hätte nicht die gesellige Natur, nicht der Mann von Herz sein müssen, der er war, wenn ihm diese stille und doch so deutliche Huldigung nicht wohlgethan, er hätte nicht der Patriot sein müssen, der er war, wenn es ihm nicht zur Befriedigung gereicht hätte, sich als den Grundpfeiler eines Kreises von Gleichgesinnten betrachtet zu sehen. Er gab viel, aber er empfing auch; er war unser Stolz, aber er hatte auch keine Ursache, die am runden Tische zugebrachten Stunden für verlorne anzusehen.

Leipzig war ihm werth geworden. Und doch konnte hier sein Bleiben nicht sein. Die Sehnsucht nach der schöneren Heimath im Süden, nach den altgewohnten Verhältnissen war ihm niemals erloschen. Sein Reformationswerk in der Creditanstalt war allmählich in Zug gekommen, was weiter zu thun, keine Arbeit für ihn. Vor der Reaction in Baden hatte er den Staub von den Füßen geschüttelt; jetzt, wo guter Wille dort auf dem Throne saß und die Sonne einer neuen Epoche aufging, wo wichtige allgemeine Fragen und nicht weniger wichtige Fragen seines besondern Fachs zur Entscheidung kommen sollten, verlangte es ihn heim und verlangte ihn auch die Heimath. Eine größere Wirksamkeit, neue politische Thätigkeit winkte. Das Ministerium von Roggenbach war gebildet worden, keineswegs ganz aus Staatsmännern von Mathy’s Ueberzeugung und noch weniger aus solchen von seiner Charakterstärke. Er konnte ihm neue Kraft, rascheren und kühneren Entschluß zuführen, ihm, wie ich’s nennen möchte, mehr Rückgrat geben. Es war etwas vom Grafen Bismarck in Mathy, nur daß jener von der rechten, dieser von der linken Seite auf den wahren Weg zum Ziele gelangt war. Es lag schon im Sommer 1862 etwas von großen Dingen in der Luft, und da hätte es sein Pfund vergraben und nichts von dem berechtigten Ehrgeiz besitzen heißen, der die Geschichte machen hilft, wenn Karl Mathy an der hohen und einflußreichen Stelle hätte fehlen wollen, an die ihn ein liberaler und nationalgesinnter Fürst berief.

Mit einer Mischung von Trauer und Freude vernahm der Club die Nachricht: „Der Staatsrath geht fort.“ Der Stuhl neben der Ecke, den er so oft eingenommen, sollte leer stehen fortan. Wir hatten uns verwaist gefühlt, wenn eine Reise ihn für eine kurze Zeit uns entführt, jetzt war es eine Abreise für immer. Noch wehmüthiger waren die gestimmt, die sich näheren Umganges mit ihm erfreut hatten, aber sie wußten auch noch mehr, daß die Berufung einen Lieblingswunsch von ihm erfüllte und daß ein Geist wie er nicht fehlen dürfte, wo Gelegenheit war, dem Vaterlande nicht blos mit gutem Wollen und Reden, sondern mit Thaten zu dienen.

Am 20. December gaben wir ihm ein Abschiedsmahl, bei dem ihm der Humorist der Genossenschaft die letztere in Gestalt eines Albums mit den wohlgetroffenen Photographien der Mitglieder zur Begleitung in die Ferne überreichte. In den ersten Strophen ein Muster launiger Gelegenheitsdichtung, nahmen die Verse, die der Darbringer dazu sprach, zum Schlüsse eine ernste Miene an. Jedem Original der Portraits war es aus der Seele geredet, wenn er endigte:

„Und jedes Bild, es soll Dir danken,
Für jenes Bild, das Du uns ließ’st,
Das Du uns ließ’st aus Ernst und Scherzen,
So fest und frei, so Aar und mild.
Du gehst – doch uns im tiefsten Herzen
Bleibt eines deutschen Mannes Bild.“

Er ging, um zunächst uneigentliches, dann eigentliches Mitglied eines badischen Cabinets zu werden, welches von sich sagen konnte: wir sind die Freisinnigsten im Lande, nach uns kommt die erste, dann erst die zweite Kammer, ein Verhältniß unerhört in großen und kleinen Staaten. Wir hörten von ihm, daß er sich glücklich fühle, daß er trotz nicht geringer Anfeindung mit gewohnter Umsicht und Thatkraft erst als Director der Domainenkammer, dann als Handelsminister, dann in der Eigenschaft eines Vorstandes des Finanzdepartements erfolgreich an den Reformen mitgearbeitet, von denen die Presse aus Baden meldete. Wir vernahmen, daß er in Karlsruhe neben einem größeren Wirkungskreise unter den „Bären“ – die hiermit in Erinnerung an eine gute Stunde des Sommers von 1863 gegrüßt seien – auch einen größeren Freundeskreis gefunden, dem es ebenfalls nicht an munterer Laune fehle. Wir sahen Roggenbach abtreten und mit Edelsheim für kurze Zeit die Reaction herrschen. Der Zwang dazu wurde bei Sadowa gebrochen. Karl Mathy war fortan der erste Rath seines Großherzogs, ein vollkommener, gründlicher Umschwung der badischen Politik und zu gleicher Zeit der öffentlichen Meinung trat ein, und wenn Baden nicht sofort mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen in den Norddeutschen Bund eingezogen ist, so trägt der Gegenstand dieser Charakterskizze gewiß nicht die Schuld dabei.

Die Nachrichten über die Thätigkeit unseres Freundes für diese glückliche Wendung waren die letzten erfreulichen von ihm. Mathy, ernstlich erkrankt – in der Genesung – gestern Nacht verschieden – so folgten sich Anfang Februar wechselnd die Telegramme. Und die Bestätigung des letzten blieb nicht aus. Eine Brustentzündung hatte ihn dahingerafft. Wir hatten gehofft, ihn im Zollbundesrathe zu Berlin seine gewichtige Stimme für möglichste Vollendung der Einheit des Vaterlandes einlegen zu sehen. Jetzt war er hinüber in das dunkle Land, in die Nacht, da Niemand wirkt. Nicht ohne den leuchtenden Anfang zur Verwirklichung dessen noch geschaut zu haben, was seiner Seele feuriger Wunsch war, und darum glücklicher zu preisen, als ein Anderer unserer Runde, der vor ihm für immer von uns schied. Aber dennoch zu früh für das Vaterland, für die Heimath, die Freunde.

Ein Mitglied der Leipziger Genossenschaft ging nach Karlsruhe, um dem Geschiedenen im Namen der Uebrigen die drei Hände voll Erde in’s Grab zu werfen. Er kam zu spät. Doch konnte er ihm wenigstens eine letzte Gabe der Liebe auf den Hügel legen.

Niemand ist unersetzlich. Karl Mathy wird für Baden schwer ersetzlich sein. Seine Freunde aber müssen sich über seinen frühen Hingang trösten mit dem Samen, den er unter sie gesäet, und mit dem Vorbild, das er ihnen hinterlassen. „Du gingst,“ so hallt es unter ihnen nach,

„Du gingst, doch uns im tiefsten Herzen,
Bleibt eines deutschen Mannes Bild.“



  1. Ein der Juristenfacultät gehöriger Gebäudecomplex auf der Petersstraße.
  2. Bewundern ist wohl hier nicht das rechte Wort. Bei aller Anerkennung Mathy’s kann und wird die Demokratie diesen der Reaction geleisteten Dienst niemals vergessen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Geschichtschrei er