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Einige Regeln, die bey Idiotismen-Sammlungen zu beobachten sind

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Textdaten
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Autor: H. [Anonym]
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Titel: Einige Regeln, die bey Idiotismen-Sammlungen zu beobachten sind
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 5, S. 472–483
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
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X.
Einige Regeln, die bey Idiotismen-Sammlungen zu beobachten sind.[1]
Sammlungen von Idiotismen einzelner Provinzen sind für die Teutsche Sprachkenntniß von entschiedener Wichtigkeit. Sie durch Vorschrift überflüßiger Regeln beschweren, wäre so viel, als den guten Anfang, der mit ihrer Lieferung gemacht wurde, hemmen| und das noch nicht ganz zur Welt gebrachte Kind in der Geburt ersticken, dadurch aber alle guten Hoffnungen und mögliche Erfolge davon zerstören und vernichten. Aber einige solche Regeln, die den Sammler nicht abschrecken und mit weniger oder gar keiner Mühe anwendbar sind, können ohne Gefahr vorgezeichnet werden.

 Vor allem wird aber nöthig seyn, den Gesichtspunct und Nutzen zu bestimmen, den solche Sammlungen Teutscher Provinzialwörter gewähren. Dieser wird nicht deutlicher gemacht werden können, als durch Anführung des Endzwecks, welchen Fulda, bey dem Wunsch solcher Sammlungen, zu erreichen hoffte.

 Dieser große Sprachkenner, dessen ganzen Wehrt erst nachfolgende Generationen bestimmen werden, – denn leider ist er nur von sehr wenigen anerkannt, weil ihm nur sehr wenige, auf der Bahn, die er gebrochen hat, nachfolgen, oder wohl gar nur verstehen können, – hält in dem Vorbericht seines Wurzel-Lexikons, alles für idiotisch und provinziell, was der gemeinen guten Schriftsprache ungewöhnlich ist. Wollte oder sollte man sich nur auf die Wörter einschränken, die nirgend, als in dem Winkel, worin| man schreibt, angetroffen werden, wer würde es wagen, ein Idiotikon zu schreiben? Wer ist im Stande dieß zu bestimmen, ob ein Wort bloß in unserer Stadt, Gegend, Provinz, oder in mehrern, ja vielleicht in ganz Teutschland in der Sprache des gemeinen Lebens gebraucht wird? Es kann ein Wort in einem kleinen Bezirke bekannt seyn, und in einer Peripherie von 100  Meilen, nicht – weiter hinweg aber von ganzen Provinzen gebraucht werden, ob es gleich durch Veränderungen der Selbstlauter, oder durch Provinzial-Lieblings-Dialekte verstellt worden ist. Wir werden dadurch zwar eine ungeheure Menge von Provinzial-Wörtern erhalten, sie werden sich aber durch fleißiges Sichten auf eine viel geringere Anzahl vermindern, und dem aufmerksamen Geschichtforscher dadurch, daß man bezeichnet, wo? und in welcher veränderten Gestalt, sie sich hie und da befinden, ein neues Feld eröffnen, um die Züge ganzer Horden, oder die Versprengung einiger Individuen, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit inzwischen schließen zu können, welche Conjectur, sich in der Folge, durch andere Beweise, zur Gewißheit möchte bringen lassen.
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 Nach Fuldas Plan ist der Nutzen solcher Sammlungen aus einzelnen Gegenden| dieser, daß, wenn das Werk durch zahlreiche einzelne Sammlungen zur Reife gediehen seyn wird, eine gelehrte Gesellschaft das Geschäfft über sich nimmt, solche alle unter sich, mit dem Alterthum jedes seiner Gegend, mit der herrschenden Sprache, und zuletzt mit dem gemeinen Alterthum zu vergleichen, sie zu mustern, das Edle von dem Unedlen, das Ächte von dem Unächten zu sondern, ein recht Germanisches Ganzes daraus zu machen, und es öffentlich aufzustellen. Er hielte aber dieses Glück für unsere Muttersprache für zu groß, und zu schmeichelnd, als daß man solches hoffen könnte. Und doch hielte er dieses mit Grund für den einzigen Weg, zu einem für ganz Teutschland gemeinnützigen Wörterbuch, worauf keines der vorhandenen selbst das beste von Frisch nicht ausgenommen,[2] keinen Anspruch machen kann. Als Fulda dieses schrieb, hatten wir noch so wenige Beyträge, daß diese Hoffnung von solcher Seite noch sehr entfernt war. Nun möchte es weniger daran fehlen, als in der Folge an einer solchen gelehrten Gesellschaft, welche zu seiner Zeit diese Materialien bearbeiten, ordnen und gebrauchen werde: wofür| aber Teutschlands Genius auch sorgen wird.

 Der Sammler wird also auf diesen großen Endzweck nach seinem Vermögen mit zu wirken trachten, wenn er den Nutzen seiner Mühe einernden, und sich mit dem Gedanken dafür entschädigen will, nützliche Bruchstücke zu diesem Gebäude zugeführt und hergerichtet zu haben.

 Für diesen wichtigen Erfolg, ist also jedes Provinzialwort aus der gemeinen Volkssprache mit seiner präcisen Bedeutung schätzbar, es mag so prunklos, oder verwaist dastehen, als es will. Der Sammler wird aber folgende wenige Regeln dabey beobachten müssen, wenn er den wahren Nutzen stiften will, einer künftigen Gesellschaft, die sich zur Ausführung des Ganzen vereinigt, wirklich vorgearbeitet zu haben.


I. Ist eine Nachricht von den vorzüglichsten Eigenheiten des Provinzial-Dialekts, und dessen Abweichungen von der reinen Schriftsprache, nothwendig.
 Der Provinzial-Dialekt verstellet oft die Wörter so sehr, daß man einerley Wort in der Volkssprache, von eben demselben in der cultivirten, kaum erkennet. Wo sich| die Wurzel-Buchstaben unversehrt erhalten haben, ist es zwar dem wahren Sprachforscher leicht, den Begriff und die Abkunft auszuspähen, folglich das Wort in sein gehöriges Fach zu stellen, aber auch diese haben oft ihre ursprünglichen Mitlauter in andere ihnen verwandte des nämlichen Organs verwandelt. Jene aber desto leichter zu finden, dienet die allgemeine Nachricht: in welche Selbstlauter der gewöhnliche Dialekt die schriftmäßigen häufig zu verändern pflegt? wo das a in o: das e in a, welche Vocale in Diphtonge, und welche Diphtonge in reine Vocalen überzugehen pflegen? welche Mitlauter vom gemeinen Volk im Sprechen öfters ausgelassen, und welche eingeflickt zu werden pflegen? wie das Volk die Verkleinerung-Partikel gebe? u. s. f.
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 Zum Beweis, daß eine solche Nachricht den Aufschluß sehr erleichtere, soll das Eichstättische Wort, Dintel, eine Bauern-Dirne dienen. Wahrscheinlich verwandelt der Eichstättische Dialekt, das a, gerne in i. Das siehet man auch an dem Wort Ichse, die Achsel. Weiß man dieses, so setzt der Beobachter für Dintel, Dantel. Nun hat der Bayer Tanterl, als das Diminutiv von Tantel, und dieser nennt jedes artige Mädchen| so, das gefällt. Der Bayer verwechselt das ä in a und wenn wir dieses wissen, so haben wir das Zeitwort tändeln, das eigentlich heißt: niedlich, zärtlich mit einer Sache umgehen: folglich ist Tanderl, Dantel, Dintel einerley, und bedeutet insgemein ein Mädchen, der man schön thut, den Hof macht, nach altem Ausdruck, hofirt, das man gerne karessirt, weil es artig ist. Aus diesem ergibt sich zugleich die Wahrscheinlichkeit, daß Dintel nicht eben allein ein Bauern-Mädchen heiße, sondern überhaupt jedes artige Mädchen von niedrigem Stand.


II. Die Bedeutung des Worts oder der Redensart muß mit möglichster Präcision angegeben, und kein unrichtiger Begriff untergelegt werden.
 Die Folgen einer nicht bestimmt genug gegebenen Bedeutung sind so eben bey dem Wort Dintel gezeigt worden. Oft wird ein provinzielles Wort ohne weiters nach seiner Abstammung kenntlich gemacht, wenn die präcise Bedeutung beygefügt wird, da man im Gegentheil bey nicht genau bestimmter Erklärung, oft nicht weiß, woher das Wort zu dem Begriff gekommen sey. Wenn man z. B. das Wort schwänzeln, durch:| affectirt gehen deutlich machen wolle, so würde der mit diesem Wort nicht bekannte Beobachter vergeblich den Schlüssel dazu aufsuchen. Wenn man es aber auf solche Art kenntlich macht, daß dadurch nur dasjenige Affektirt-Gehen angezeigt werde, wobey der Hintere von einer Seite zur andern gedreht wird; so fällt einem sogleich die ähnliche Bewegung eines Schwanzes bey, den das Vieh hin und her schwingt, und man hat also ohne Anstrengung, die Ableitung vom Schwanz, schwänzeln.

 Wenn im Eichstättischen Spieß, ein Epigramm, Stachelgedicht, genennt wird, so geschiehet solches auch nicht mit genugsamer Präcision, weil dadurch wahrscheinlich nur die Pointe, die Spitze, der Stachel davon, verstanden wird.


III. Die Bedeutung der Idiotismen darf man nicht wieder durch andere Idiotismen kenntlich machen, sondern sie muß, entweder mittelst der allgemein bekannten Schriftsprache, oder mit erschöpfender Umschreibung, auf das genaueste bestimmt werden.
 Wenn z. B. das Fränkische Provinzial-Wort Pröpeln, Pröpler mit Popeln übersetzt| werden sollte, so weiß der Leser ausser Franken nicht, was es heißen solle. Der Sprachforscher weiß sich zwar zu helfen, wenn er das Wort in seinen Wurzelton auflöst. Da findet er, daß r – f, r – p, den Begriff von properare, rapidus, celer, hat, wovon der Holländer rabbelen, geschwind, unverständlich reden, herkommt, und kann sich daher selbst erklären, daß, pröpeln, bey welchem Wort eben diese Wurzel zum Grund liegt, ein solches Reden bedeutet, wo aus Geschwindigkeit die Worte unter einander geworfen, und dadurch unverständlich gemacht werden. In welchem Verstand auch in Apherd. Tyrocin. brabbeln, für confundere gebraucht wird: und in Luthers Auslegung des Vater Unsers vorkommt: du stehst vor Gott mit deinem köstlichen Paternoster, und proppelst mit dem Mund. Wie wenige der Leser geben sich aber mit solchen etymologischen Untersuchungen ab, und für jeden, bey dem der Provinzialismus nicht selbst zu Hause ist, ist das Wort verloren. In Nürnberg ist dieses Wort schon ganz unbekannt.
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 So auch wenn Perle-Gersten mit Perlein-Graupe übersetzt wird, möchte mancher erst wissen wollen, was Graupe| ist. In Nürnberg nennt man ausschließlich ein Gemengsel von Gerste und Erbsen also. Um sich also jedem verständlich zu machen, müßte man beyfügen, daß unter Graupe, eine solche Gerste verstanden wird, die auf der Mühle so abgemahlen wurde, daß nur der Perlein-runde Kern übrig geblieben. (hordeum tusum non molitum, ptisana rotundior)

 Hiebey wird man manche Lücken unserer Schriftsprache entdecken, und Sachen finden, welche nur mit Provinzial-Namen bezeichnet werden können.


IV. ist nützlich, ein Provinzialwort, weil dessen Unbekanntheit in andern Gegenden vorausgesetzt wird, genau zu charakterisiren.
 Dieses kann, zur Gewinnung des Raums, nur mit einzelnen Buchstaben geschehen. Man setzt wie in den Wörter-Büchern, ein M. F. oder N. bey, um das Geschlecht der Substantive anzuzeigen. Man bemerkt mit Adj. oder Adv. oder Pr. was Adjektiv, Adverb oder Präposition ist. Auch ist notwendig den Numerus zu accentuiren, ob eine Sylbe lang oder kurz ausgesprochen werde? Wollte man sich noch die Mühe geben, beyzufügen,| nach welcher Declinations- oder Conjugations-Art, die Nomina oder Zeit-Wörter gehen, so könnte dazu Nasts Teutscher Sprachforscher zum Grund gelegt, und mit Römischen Zahlen der Aufschluß gegeben werden, auf welche Art sich der gemeine Mann solcher Wörter in den Fall- und Zeitveränderungen bediente. Diese Erläuterungen würden dem Sprachforscher sehr erwünscht seyn.


V. Wörter, die der gemeine Mann aus fremden Sprachen entlehnet, und radebricht, gehören in kein Teutsches Idiotikon.

 Man würde dadurch die Sammlungen mit vielem unnützen Wust anhäufen: darunter ist z. B. zu zählen: Camaschen, mannifik (magnifique) anplokiren (employren) etc. etc. Oft wird es aber zweifelhaft bleiben, ob das Teutsche Wort aus der fremden Sprache gekommen, oder das fremde Wort ursprünglich Teutsch sey. Z. E. sich baksen kann aus dem Englischen to box genommen seyn, oder das Englische ein ursprünglich Teutsches Wort seyn.


VI. Provinzialisme müssen mit mehr als gewöhnlich deutlicher Handschrift geschrieben werden.
|  Wenn irgendwo deutliche Handschrift unumgänglich nothwendig ist, so ist es bey Provinzialismen, weil hiebey die Undeutlichkeit eines Buchstabens oder Worts, weder von dem Setzer, noch dem ausländischen Corrector, noch dem Leser, verbessert oder ergänzt werden kann.


VII. Anzeige der vermuthlichen Etymologie, aus andern verwandten Provinzial-Wörtern.

 So sehr für das künftige allgemeine Ganze vorgearbeitet wäre, wenn ein Sammler so viel Kenntniß der Germanischen Sprache besäße, daß er der Provinzialismen Ableitung wurzelgerecht anführen könnte; so selten möchte jedoch, Kenntniß, Lust und Zeit bey einem zusammentreffen, um davon Gebrauch zu machen. Inzwischen würde ein Sammler schon Dank verdienen, wenn er nur ein und anders Wort, aus einem andern ähnlichen Provinzialism erklärte.

 Wenn ein Sammler nur diese wenigen und leichten Regeln beobachtet; so wird er sich um die vaterländische Sprache ein bleibendes Verdienst erwerben.

H. 



  1. Diesen von einem unserer vorzüglichsten Teutschen Sprachforscher auf unsere Bitte verfertigten Aufsatz werden diejenigen, welche uns Idiotika ihrer Gegend einsenden wollen, zuvörderst beherzigen und ihre Sammlungen darnach einzurichten suchen. d. H.
  2. Adelungs Werk ist ohnehin vornämlich Wörterbuch der hochteutschen Mundart.