Einsegnungsunterricht 1892/10. Stunde

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Einsegnungsunterricht 1892
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Zehnte Stunde. Freitag Abend.

 O HErr Christe, hilf uns und allen denen, die an Dich glauben, daß wir in dem Verlangen nach Dir Friede und Erquickung finden und endlich Stillung alles unsers Sehnens bei Dir genießen mögen in Ewigkeit. Amen.

 „Gleichwie Du Mich gesandt hast in die Welt, so sende Ich sie auch in die Welt; Ich gebe Mich Selbst für sie zum Opfer, damit sie heilig seien in der Wahrheit.“ Die Heiligung war das Ende der Wege unseres Heilands. Er war ausgerüstet mit allen Gaben. Ebenso| wie Ihn der Vater in die Welt gesandt hat, hat Er seine Jünger in die Welt gesandt. (Joh. 10, 36.) Sie sind in die Welt gegangen, aber nicht ohnmächtig und arm. Er hat ihnen die reichen Gaben des hl. Geistes verliehen. Und weil sie um Seinetwillen in eine ihnen feindliche Welt hinausgegangen sind, mit der sie sich sonst wohl vertragen hätten, so hat Er Sich zuvor für sie geopfert. „Ich opfere Mich Selbst für sie“, dieses Wort ist in Seiner ganzen Tiefe noch nicht erkannt, „Ich opfere Mich für sie“ zu ihrem ewigen Gewinn, das ist eine Prolepse, Vorwegnahme für all das Opfer, was man von uns verlangt. Die Opferkraft Seiner Jünger stammt nicht aus eigenem Vermögen, sondern aus der Kraft Seiner Aufopferung. Er hat das Größte geopfert. Er hat, wenn auch nur auf Momente, die Einheit mit Seinem himmlischen Vater geopfert. „Mein GOtt, Mein GOtt, warum hast Du Mich verlassen?“ das ist der Höhepunkt des Opferlebens unseres Heilandes. Diese Augenblicke waren Ihm Ewigkeiten. Er gab Sich so hin, daß Er allein war. Ich opfere Mich, Ich gebe Mich so hin, daß Ich die Qualen der Gottverlassenheit vorwegnehme und in ihrer ganzen Fülle schmecke, damit sie nicht auf die Meinen so furchtbar treffen, wie sie auf Mich getroffen. Ich gebe Mich zum Opfer für sie, an ihrer Stelle und zu ihren Gunsten. Sie müßten diese Qualen der inneren Verlorenheit, Vereinsamung und Verödung kosten bis auf die Neige, wenn Ich sie nicht vorher gekostet hätte. Sie können sich aus den Qualen Meiner Gottverlassenheit ihren Trost holen, sie können in aller Vereinsamung hinweisen auf die Wunden des barmherzigen Hohenpriesters. Sie sind der ganzen Menschheit geschlagen, indem sie dem zweiten Adam geschlagen sind. Es liegt in diesen Worten für uns die praktische und schwere Aufgabe der vollkommenen Hingabe, an der man ja doch im letzten Grunde ersehen soll, ob wir Christi Jünger sind. Es ist die vollkommene Hingabe unseres HErrn Christus nur geschehen, damit auch Sie hingegeben, geopfert seien in der Wahrheit. Heute Morgen haben wir geredet von dem, was uns als Schein, Illusion, Maske auf unserem Lebenswege begegnet. Heute Abend reden wir davon, was es| heißt, sein Leben hinströmen im Dienst der Wahrheit. Ein Gottesmann dieses Jahrhunderts sagt (Tholuck): „Jedes Opfern hebt an in der Tiefe“ – ja in der Tiefe der täglich sich verjüngenden, sich verneuernden Reinigung. Dies Opferleben nehme uns ganz und gar in Anspruch, erstrecke sich auf das Unscheinbarste am meisten, weil wir da am schwersten opfern, wo es der Welt am leichtesten dünkt und da am leichtesten, wo es ihr schwer vorkommt. Das ist Glaubensart. Wir sollen mit unserm Opferleben anheben bei den kleinen Gebrechen und Gepflogenheiten unseres Lebens, bei den sogenannten liebenswürdigen Schwächen, die nichts anders sind als unsere Sünde und Schuld. Es hat jeder auch seine geistigen Liebhabereien. Es giebt neutrale Gebiete, auf die wir uns zurückziehen dürfen. Der tägliche Konflikt, der beständige Kampf zwischen Sollen und Können reibt auf, darum hat unser HErr ein neutrales Gebiet in Gnaden uns überlassen, das nennen wir das Gebiet der christlichen Erholung. Dieses Gebiet ist sehr umfangreich, aber einige Regeln und Richtpunkte lassen sich geben. Ein sich etwas Nachsehen, im heiligen Sinn des Worts ‚sich gehen lassen‘, das ist uns gestattet, weil wir in diesem fortwährenden Angethansein mit der vollen Rüstung erstarren würden. (cf. das Schlafen auch der klugen Jungfrauen!) Aber diese Erholung darf nie Selbstzweck sein, nie so weit gehen, daß wir vergessen, es sind uns nur wenig Augenblicke dazu vergönnt; denn „die Zeit ist kurz“, mahnt der Apostel. Eine gewisse Abspannung unserer Kraft, einfache Unterhaltung, Lektüre eines nicht allzu anstrengenden Buches, Pflege einer uns geläufigen Kunst oder Arbeit, alles muß dem letzten Zweck dienen, neue Kräfte zu sammeln. Es liegt aber im Christenleben die Gefahr nahe, daß wir die Erholung so ausdehnen, daß sie uns pflichtmäßig erscheint, während sie nur eine Gunst ist. Hier setzt das Opferleben ein. Die Ruhe darf nur in Abzweckung auf die Arbeit angesehen werden, sonst ist sie Sünde. Eben weil die Welt die Begriffe so verschoben hat, daß sie Ruhe und Erholung als Selbstzweck ansieht, müssen wir gerade da, wo die Welt uns nicht versteht, unser Opferleben beginnen. Es handelt| sich hier zunächst nicht um große weltbewegende Opfer. Es sind ganz einfache Dinge, und doch, welch eine Größe des Opferlebens liegt in den Worten: „Sie verließen alles und folgten Ihm nach.“ Was war es, das sie verließen? Ein morscher Kahn, zerrissene Netze, ein sehr ungewisser Beruf – aber für sie war es alles, von den geringen Anforderungen aus geht der HErr zu den größeren: „Da du jung warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo Du nicht hinwillst.“ Das erscheint dann Petrus als das Leichtere. Das ist ein merkwürdig treuer Zug, daß Er bei kleineren Opfern anfängt. Die erscheinen uns zunächst sehr groß; denn das Wort Opfer thut dem Menschen sehr weh. Wir geben sie hin, manchmal bebenden Herzens, und schließlich kommt das größte, daß wir unser Leben hingeben sollen, und es erscheint uns dann nicht mehr groß, sondern als unsere Seligkeit. So vernichtet Er aus Gnaden die Wertungen und Werturteile in unserem Sinn, welche ihrem HErrn Christo angehören, die begehren nicht bloß den Tod unter dem Kreuze, sondern auch den Tod am Kreuze. Sie kreuzigen ihr eigenes Ich. Im einzelnen: Sie müssen trotz der vollkommenen Zugehörigkeit zu der Genossenschaft, in die Sie nächsten Sonntag aufgenommen werden sollen, imstande sein, sich doch eine ganz bestimmte Vereinzelung zu bewahren, weil Sie auf dem Wege der einsamen Ueberlegung zu demselben Ziel geführt werden sollen, dem die Genossenschaft entgegengeht. Diejenigen, die bloß mit dem Großen gehen, die veröden. Wir müssen den Mut haben, auch allein zu sein. Einsamkeit hat die Mystik der alten Kirche den Vorhof des Himmels genannt. Einsamkeit ist auch ein Vorhof der Hölle. „Des Himmels,“ wenn es eine Einsamkeit mit Ihm ist. „Ich will euch nicht einsam lassen, Ich komme zu euch.“ Diese muß Ihnen der HErr schenken, weil sie der Quellpunkt Ihres ganzen inneren Lebens sein muß. Höher als die Genossenschaft stehe Ihnen das Einzelverhältnis zu Ihrem HErrn. Sie müssen sich trotz aller Liebe zur Genossenschaft, zur Kirche, eine ganz besondere Einzelstellung zu| Christo behaupten. Es soll Ihnen nie ein Mensch anmerken, was Sie opfern. Es soll das Opferleben ein Geheimnis sein zwischen dem Heiland und Ihrer Seele. Christenmenschen müssen Geheimnisse haben, sonst werden sie oberflächliche Durchschnittsmenschen. Sie aber sollen keine Durchschnittsmenschen werden, solcher giebts genug. Es giebt aber auch eine Einsamkeit der Hölle, in der man sich getrennt weiß von allem, die fliehe. Es giebt einen Größenwahn, da man schwindelfrei vor den Tiefen des Abgrunds steht. Solches wolle der HErr in Gnaden von Ihnen fernhalten. Wir wissen es nicht immer, aber wir ahnen es, wenn manche Schwester, die nicht mehr in Kontakt mit ihrem Mutterhause, mit ihren Schwestern steht, vereinsamt, weil sie Den nicht kennt, der ihre Einsamkeit trösten könnte. Man kommt in Hochmut, in unnötige Gedanken und Erwägungen. Diese Einsamkeit hat ein Judas gehabt.
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 Nochmals: es giebt aber eine andere Einsamkeit, und das ist die, welche Sie sich wahren sollen. Sie müssen in Ihrem ganz geheimsten Innern einen Verkehr mit Ihrem HErrn und Heiland pflegen, den niemand wissen soll, den nur Er wissen darf und diejenige, welcher Er es mitteilt. Das sei der Verkehr einsamer nächtlicher Stunden, schlafloser Nächte, das Durchringen, bis die Morgenröte anbricht, bis Er mit dem Morgenglanz der Ewigkeit Ihr geängstetes Herz grüßt, und Er will es thun. Halten Sie sich in solchen Stunden an das Wort: „Ich will euch nicht Waisen lassen. Ich komme zu euch.“ „Sei fröhlich, du Einsame, dir soll mehr frohe Erfahrung werden, denn denen, die sich ins Gedränge begeben.“ So soll Ihr Opferleben ein Leben in der Einsamkeit sein. Unser HErr hat gelitten außen vor dem Thor, fern von allen Menschen (Konnex): laßt uns hinausgehen und Seine Schmach tragen. Wenn Sie Ihr Opferleben führen, so muß es außerhalb des Lagers geschehen. Dieses Opferleben hat aber eine ganz bestimmte bekehrende Bedeutung; denn an dem Opferleben der Seinen soll die Welt noch genesen. Das Opfer soll andere entzünden. Wie an dem Opferleben unseres barmherzigen Samariters wir täglich genesen, täglich neue Kraft von der uralten Wahrheit| holen: „Er hat alle unsere Sünden mit Sich hinaufgenommen an den Stamm des Kreuzes,“ so sollen, wie von diesem Opferleben auf uns täglich neue Stärke ausströmt, von unserm in Seiner Kraft geführten Opferleben auf die Welt Genesungskräfte ausgehen. Wir haben noch kein Recht, an der Zukunft der Welt zu verzweifeln. Der Schaden ist verzweifelt böse, und die Angst unseres Herzens ist groß; aber wir wissen, Er hat Sich zwar aufgeopfert, aber noch nicht ausgeopfert. So lange noch ein Christenleben in Seiner Nachfolge erglüht, so lange ist Sein Opferleben noch nicht zu Ende. Seine Aufopferung wollen wir einer aufopferungsunfähigen Welt verkünden und vorleben. So soll es die Welt erkennen und so wird sie es erkennen, und daran wird man einst uns messen, ob wir opfern können. „Dein Volk wird Dir opfern in heiligem Schmuck,“ das ist das letzte und das höchste Ziel. „So laßt uns nun Lob opfern allezeit.“ Im Zusammenhang mit diesem Opfer wünscht der Apostel Das Wohlthun. Hebr. 13, 16.

 V. 20–26: „Ich bitte aber nicht nur für sie ff.“ (V. 23: „auf daß sie vollführt seien in eins ff.“ Alle Weisheit JEsu Christi ist versammelnd und alle Seine Thätigkeit aus der Einsamkeit zur Gemeinschaft führend, und so weitet sich denn angesichts Seines Opfers der Blick des Hohenpriesters zum Blick des Propheten. Er sieht hinaus in alle die Fernen und Weiten. Und wie sich Sein Blick weitet zu einem prophetischen Blick, so Seine hohepriesterliche Bitte zu einem prophetischen Voraussagen V. 20. Damit ist die Gewißheit gegeben, daß JEsus in Sein Werk Kräfte unversieglicher Dauer gelegt hat. Er sieht die große Menge, die durch die Verkündigung des Worts zu Ihm eilt.

 Das ist die größte Not unserer Fürbitte, daß unser Sinn und Geist nicht umfassend genug ist. Wir kleben so sehr am einzelnen und ermüden dabei. Kümmern Sie sich nicht zu sehr. Lassen Sie uns von einer freien Höhe herab die Fürbitte üben. Sie haben die eine Arbeit, zu werben, und Er will das Größte thun, für die Geworbenen zu beten. Das ist unser Trost, daß Er für uns betet. Angesichts jener Nacht im Garten Gethsemane| können wir ahnen, was es heißt, daß wir einen fürbittenden Hohenpriester haben, wenn wir vom Schlaf befangen in Armut und Hilflosigkeit daliegen, welche Kräfte müßten da auch auf unser Schlaf- und Traumleben kommen, während wir scheinbar hilfslos daliegen und mit kurzen, ja manchmal thörichten Worten unsere Fürbitte vortragen, hört Er sie und führt sie alle aus. Es liegt in der Fürbitte unsere beste Kraft. „Wisset, daß eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.“ Tragen Sie die Lasten derer, die Ihnen vorgesetzt sind, Ihrer Genossenschaft in mitleidiger Fürbitte. Versetzen Sie sich je und je in die Lage derer, für die Sie bitten. Befehlen Sie das Beste, was Sie für uns wünschen, der Fürsorge des ewigen Erbarmers, wie auch wir das Beste, was wir für Sie haben, Seinem Flehen anheimgeben.

 V. 21. Die Welt wird bewundernd vor dem Schauspiel stehen, wie aus einer Menge von Zerrissenheit und verschiedener Meinungen im Augenblick der Not und Angst Eine Gemeinde erstehen wird, eins bei aller Verschiedenheit der Lebensgestaltung und Beeinflussung, eins im Bekenntnis: „Du hast mich je und je geliebet.“

 „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir GOttes Kinder sollen heißen.“ „Seine Kinder,“ das ist die Einheit, die unser Heiland auch für uns, die wir jetzt versammelt sind, erbetet. Diese Einheit läßt uns getrost sein angesichts der nächst kommenden Tage. Sie läßt uns hoffen, daß der HErr das, was hier auf Erden gehandelt wird, auch bei Ihm Ja und Amen sein läßt. Sie läßt uns hoffen, daß der HErr all unser Leben doch noch in die ideale Einheit ausgestalten will. „Ich in Dir und Du in Mir.“ „Wir gehen in einander auf, ohne uns zu verlieren, wir sind deswegen doch, was wir sind.“ So will unser HErr, daß es auch mit uns sein soll, daß jedes unter uns künden soll die Herrlichkeit Des, der uns berufen hat von der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht, daß über unserem ganzen Leben stehe: „Gelobt sei JEsus Christus in Ewigkeit.“ Wir schwinden vor dieser Einheit jene Erbärmlichkeiten, mit denen wir uns die Einheit erschweren, wie schwinden davor jene furchtbaren Kindereien, mit denen| wir Seine Einheitsgedanken schwächen, trüben. „In notwendigen Dingen Einheit, in zweifelhaften, unwichtigen Dingen Freiheit, aber in allem die Liebe, in omnibus caritas.“ (Augustinus?) Wenn Ihr Mutterhaus Sie wieder entläßt in Ihren Beruf, dann entläßt es Sie in der Hoffnung, daß Sie eins mit ihm sind in dem Ideal. Wir wollen keine Schablonencharaktere, wir wollen nur solche, die auf Ihn geprägt sind, in Ihm geprägt sind und Ihm eingeprägt sind. Wenn Sie hinausgehen, so handeln Sie königlich frei. Wir wünschen und gönnen Ihnen die Freiheit, wir stellen Ihnen durch die Einsegnung den Freiheitsbrief aus; aber bestehen Sie in der Freiheit, damit Christus Sie befreiet hat. Ihm dienen ist die wahre Freiheit. Wenn Sie ein in Christo gebundenes Gewissen haben, können wir Ihnen den weitesten Spielraum lassen. Wir wollen nicht in Formen unser Heil finden, sondern in der Kraft Seiner Nachfolge. Wir wollen und wissen nichts anderes, als die Freiheit, zu der uns Christus befreiet hat. Wenn nur die ideale Einheit gewahrt bleibt, daß wir eines HErren Haus- und Reichsgenossen sind, eines HErren Werk treiben und einem HErren im Leben und Sterben angehören. Die Gnade wenn uns der HErr schenken wollte, daß aus Ihnen ein Stamm erwüchse, an dem keine Wurzel der Uneinigkeit. Es kann keine Hoffnung groß genug sein, die nicht gerade ich für Sie hegte, weil ich das Beste nicht Ihnen, sondern Ihm zutraue. Dann können Ihre Wege ganz merkwürdig in heiliger Freiheit und Mannigfaltigkeit gehen – Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter. Man muß nicht zu viel Nachdruck auf eine Uniformität legen, das ist nichts anderes, als Mißtrauen dem HErren Christo gegenüber. Er verleiht den Geistern eine heilige Vielgestaltung. Es ist keine unter Ihnen, die nicht ein Charisma hätte. Sie sollen nicht allein wissen, wo Ihre Schwäche, sondern auch, wo Ihre Stärke liegt.
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 „Auf daß sie alle eins seien“ in der alle Gegensätze überwindenden und überbrückenden Liebe. Die Welt soll erkennen, wie sie geliebt wird. Sie soll erfahren, Der diese Menschen geschaffen hat, der hat sie auch aus Liebe erlösen wollen, V. 22: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit| gegeben, die Du Mir gegeben hast.“ Er will die Herrlichkeit jetzt schon Seiner Kirche schenken als Vorempfindung. Das ist kein Widerspruch zu V. 4, wo es heißt: „Ich habe Dich auf Erden verkläret.“ Kaum hat unser HErr die Herrlichkeit von Seinem himmlischen Vater empfangen, so drängt es Ihn: nachdem Er Seiner Kirche die Knechtsgestalt aufgeprägt hat, so will Er schon die triumphierende Gestalt Seinen Jüngern geben. Nun empfängt Er vorweltliche Herrlichkeit, diese soll jetzt durch Ihn eine innerweltliche Herrlichkeit werden. „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehöret hat, nicht das wird GOtt bereiten, sondern das hat GOtt bereitet denen, die Ihn lieben.“ „Danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat ff.“ Blumhardt hat auf seinem Totenbette gesagt: „Alle Gnade JEsu Christi ist in Schrecken eingewickelt, der Schrecken schwindet, die Gnade bleibt.“ Alle Herrlichkeit JEsu Christi ist in Knechtsgestalt eingehüllt, die Knechtsgestalt vergeht und die Herrlichkeit bleibt.
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 „O welche Majestät Seiner Christen, wie sind doch Christen Majestäten GOttes!“ (Bengel.) „Der Gedanke ist die Größe des Menschen.“ (Pascal.) Wir sollen großartige Menschen sein, das Kleine andern überlassen, etwas Großes wirken. „Aus dem wenigen, was ich erfahren habe, fühle ich den Geschmack für das, was ich noch erfahren werde.“ (Luther.) Nur keine betrübten Existenzen! Der Druck unserer Unwürdigkeit liegt wohl schwer auf uns; aber trotzdem sollen wir großartige Menschen werden, die alle Weltschmerzen als unwichtige Dinge unter sich werfen. Alle, alle Thäler sollen erhöhet werden, auch die tiefen Niederungen unseres Berufslebens. Lassen Sie uns auf der Höhe bleiben! „Wird mir von den Bergen Hilfe kommen?“ Ja, „um Jerusalem her sind Berge,“ ja du stehst bereits auf dem Berge der Verklärung, Ich habe dir die Herrlichkeit gegeben. Warum bewegen sich unsere Füße so oft auf dem Sande der Erden? Warum berühren unsere Hände so oft das gewöhnliche Leben? „Wenn Ihr glauben würdet, so würdet Ihr die Herrlichkeit GOttes sehen.“ GOtt bewahre Sie davor, daß Sie Sklaven Ihres Berufes werden! Diese Handwerkerseelen| sind Ihm ein Greuel. Lassen Sie uns nicht vergebens singen:

„Schenke, HErr, auf meine Bitte
Mir ein göttliches Gemüte,
Einen königlichen Geist,
Mich als Dir verlobt zu tragen,
Allem freudig abzusagen,
Was nur Welt und irdisch heißt.“

 Er schenkt es Ihnen, Er hat uns den königlichen Geist teuer durch Leiden erworben, der verklärte HErr spricht: „Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende, bis an Euer Ende.“ Warum zweifeln wir noch? Laßt uns bei Ihm wohnen.

„Ihr hebet oft die Blicke zu finstern Himmelsfernen,
Sie bauen euch die Brücke zu güldnen Himmelssternen.
Ein jeder Blick zum HErrn vom still Erliegenden
Glänzt heller als ein Stern am Thron des Siegenden.

 Daß der letzte brechende Blick jedes Tages und einst des Scheidens dem König der Gnaden, der Barmherzigkeiten gelte, das sei Ihr, unser Gebet. Ja, gelobet sei der HErr Christus, Er ist der König aller Barmherzigkeiten, Er hat uns zu Seiner Herrlichkeit berufen, Er will uns alles geben aus Gnaden. Amen.

 „HErr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, GOtt, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“

 Königlicher Hoherpriester, JEsu Christe, der Du eingegangen bist aus allem Leiden und aller Schwachheit zum ewigen Sieg und Triumph bei Deinem himmlischen Vater, siehe herab in Gnaden auf Deine leidende und streitende Kirche, auf Deine Diener und Dienerinnen, und verleihe ihnen aus der Fülle Deiner sieghaften Gewalt, daß sie in Deiner Kraft alles überwinden und dermaleinst Dich schauen dürfen, der Du das Geheimnis ihrer Stärke und die Quelle ihrer ewigen Freuden sein und bleiben willst. Ja gelobet seist Du, treuer HErr JEsu Christe. Amen.

|  „Deine Zeugnisse sind mein ewiges Erbe, denn sie sind meines Herzens Wonne.“



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