Epilog (Laßwitz: Seifenblasen)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<<
Autor: Kurd Laßwitz
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Epilog
Untertitel: Die Lesende
aus: Seifenblasen. Moderne Märchen. S. 259–261.
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Leopold Voß
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Hamburg und Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Düsseldorf, Deutsches Textarchiv und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[259]

Epilog.
Die Lesende.




Dacht’ ich es doch, man werde den Platz, den stillen, mir rauben
     Den ich gestern am Hang unter der Linde gewählt.
Wie behaglich die Rast, wie kühl der dämmernde Schatten!
     Und durchs liebliche Thal schweifte der träumende Blick

5
Über die Höhen hinaus ins Land; vom Glanze des Himmels

     Zum erquickenden Grün kehrt er der Wiese zurück.
Also fliegt der Gedanke hinaus in unendliche Weiten,
     Ein gefälliges Wort bindet ihn willig im Vers.
Hier am lauschigen Platz versprach die Muse zu weilen,

10
     Wenn ich heiligen Sinns stiege den Hügel hinan.

Und die Gestalt im hellen Gewand und schützenden Hute,
     Leicht an die Linde gelehnt, sollte die Muse mir sein?
Ach, sie liest! Ihr Götter! So ärmlich nährt ihr die Seele
     Mit erborgtem Geschwätz? Glüht nicht der Äther um euch?

15
Haucht nicht rings der harzige Tann ambrosische Düfte?

     Gaukeln die Falter euch nicht Tänze der Liebenden vor?
Raunet der Wind nicht säuselnd um euch unsterbliche Lieder,
     Und mit heiterem Mut prahlt der geschwätzige Bach?
Und sie liest! Und mußte darum der Stadt sie enteilen?

20
     Neckische Geister des Walds, scheuchet die Fremde mir auf!

Tummle dich um das verschlossene Ohr, hellsummende Fliege,
     Laß vor den Augen dich ihr, spinnende Raupe, herab!
Und du, rauschender Wind, ergreife die Blätter des Buches,
     Unter der zierlichen Hand hauche die Zeilen hinweg! —

[260]

25
Mürrisch schreit’ ich vorbei, den Blick zu Boden geheftet,

     Und doch hat er den Text, hat er die Finger gestreift.
Prosa! — Rascher beschwing’ ich den Schritt im einsamen Waldweg;
     Unmut steigt mir empor über die lesende Welt,
Über die schreibende mehr noch zürn’ ich. Allen Autoren

30
     Gilt mein kräftiger Fluch, und den Verlegern dazu!

Wären es Verse, vielleicht, ich ließe die Leserin gelten;
     Aber ein flacher Roman, aber ein langer Essay!
Und da sitzt sie im Walde, den Blick im Buche vergraben,
     Gleich als wäre das Thal ihr das bekannte Gemach,

35
Das sie zum hundertsten Male mit offenem Mündchen begähnte;

     Nur mit der hölzernen Bank ward ihr das Sofa getauscht.
Aber ihr schweigt die weite Natur; papierene Weisheit
     Macht sich laut, und das Wort hat die Empfindung betäubt.
Sucht nur im Spiegel des Buchs lebendiger Götter Gestalten!

40
     Sehet, ein ganzer Olymp stellt photographisch sich ein.

Hermes darf euch gefallen und klug erscheinen Athene,
     Wenn der Archäolog euch die Symbole benennt.
Glückliches Volk! Es schreibt populär der stolze Gelehrte,
     Selbst die härteste Nuß knackt er behaglich euch auf.

45
Was verschwiegene Priester in heiligen Schriften begruben,

     In verständlichem Deutsch lullt es geschwätzig euch ein.
Welch unwirtliches Land verschmachtende Forscher durchirrten,
     Illustriert vergnügt’s euch nach gelungenem Mahl.
Nicht zu den Sternen blickt mir empor! Ein billiger Atlas

50
     Weiset die Namen und zeigt sichtlich bequemer das All.

Euch erzählt manch schreibender Arzt von zuckenden Muskeln,
     Wie die Zelle sich teilt, malt der Botaniker auf,
Selbst die Gesetze des Raums versucht euch höflich zu modeln,
     Wer Euklidischen Ernst nicht mehr für passend befand.

55
Irr’ ich nicht, so bereitet man schon zur Schülerlektüre

     Kants Kritik der Vernunft leicht und verständlicher vor.
Paraphrasen beherrschen den Markt. Selbst denke mir keiner!
     Erst aus vermittelnder Hand wählt sich der Leser den Stoff.

60
Wie ihr druckt, so schreibt ihr mit Dampf! Und haben die Federn

[261]

     Nicht unmündig genug endlich den Leser gemacht?
Ach, es glaubt euch jeglicher Mann und jegliches Weiblein;
     Was die Revue gebracht, reden sie selber sich ein.
Herrliche Weisheit tagt im Gespräch. Die Werke der Meister

65
     Liegen verstaubt. Man liest über sie besser und mehr.

Und dann sitzt das kluge Geschöpf studierend im Walde;
     Wie die Natur es ergreift, will es aus Büchern ersehn. —

Hat der verschlungene Weg mich genarrt? Hier bin ich am Anfang,
     Zwischen den Bäumen hindurch schimmert mir wieder die Bank.

70
Immer noch weilt die Lesende dort. Doch — täuscht mich das Auge?

     Auf die Schulter geneigt hält sie das Köpfchen und ruht,
Nachzudenken vielleicht? Darf ich die Sinnende stören?
     Oder — — Himmel! Sie schläft! Friedlich entglitt ihr das Buch,
Und du siegtest, Natur! Den Autor zwangst du zu Boden,

75
     Und die Frevlerin selbst hüllst du in strafende Nacht.

Dank sei dir! Du rächtest auch mich. Still schleich’ ich vorüber —
     Nur den Titel —? Es ist — Götter! — mein eigenes Werk!