Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Advent 03
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Am dritten Sonntage des Advents.
- 2. Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörete, sandte er seiner Jünger zween, 3. und ließ ihm sagen: Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? 4. JEsus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und saget Johanni wieder, was ihr sehet und höret: 5. Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Todten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. 6. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. 7. Da die hingiengen, fieng JEsus an zu reden zu dem Volk von Johanne, Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet? 8. Oder was seid ihr hinaus gegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. 9. Oder was seid ihr hinaus gegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. 10. Denn dieser ists, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.
VOn der ersten Zukunft Christi, Seiner Ankunft im Fleische, und von Seiner zweiten Zukunft, der Zukunft zum Gerichte, haben die Evangelien der beiden letzten Sonntage gesprochen. Ein neuer, der dritte Sonntag des Advents, hat heute begonnen, und das Geburtsfest des HErrn kommt immer näher. Je näher| aber dieses und nach dem Gedankengang, den wir festhalten, ER Selbst, der Neugeborene, mit dem Reichtum Seiner Segnungen kommt, desto mehr geziemt es sich auch, des Vorläufers zu gedenken, der vor Christo hergieng, und eben so ein sicheres Zeichen des vorhandenen, nahenden Christus war, wie der Morgenstern ein sicheres Zeichen der vorhandenen, kommenden Sonne ist. Dieses Vorläufers gedenken nun auch die Evangelien der beiden letzten Adventsonntage. Johannes und JEsus heute, über acht Tage JEsus und Johannes, der Morgenstern und die Sonne, der HErr und Sein Engel erscheinen uns in diesen Evangelien unzertrennlich. Heute sehen wir den Vorläufer Christi in seiner Schwachheit, am nächsten Sonntage, wo wir dem Feste um eine Woche näher gekommen sein werden, sehen wir ihn in seiner Stärke. Heute sehen wir ihn im Kerker und hören ihn sehnsüchtig fragen: „Bist Dus oder nicht?“ Ueber acht Tage sehen wir ihn, ganz bestrahlt von unsrer Weihnachtssonne, mit dem zuversichtlichen Bekenntnis der Wahrheit auf den Lippen.
Bleiben wir heute bei dem fragenden Johannes. Seine Frage: „Bist Dus“ ist wichtig für alle Menschen, ist der Betrachtung und Beantwortung werth. Was wäre Johannes, wenn ERs nicht wäre? Was wäre die Kirche? Was wäre Advent? Voll Täuschung und Betrugs, voll Betrogener und betrogener Betrüger wäre die Welt! Kein Trost, kein Licht, eine Finsternis ohne Licht, kein Zweifel, sondern eitel Verzweiflung wäre übrig. Wohl uns, daß Johannis Frage so wol beantwortet wird. Laßt uns fröhlich mit einander unsern Text betrachten. Er zerlegt sich wie von selbst in drei Teile von verschiedener Wichtigkeit, indem er
- erstens erzählt die Anfechtung Johannis,
- zweitens deren Heilung durch Christum,
- drittens das Lob des Angefochtenen aus Christi Munde.
Von einer Anfechtung Johannis wollen viele nichts wißen. Nicht er soll gezweifelt, nicht um seinetwillen soll er die Frage: „Bist du, der da kommen soll“ gestellt, nicht um seinetwillen soll er seine Jünger zu Christo geschickt, nicht für ihn soll Christus geantwortet haben; alles soll ein frommer Betrug gewesen sein, in den sich auch der HErr geschickt hätte. Der gefangene Täufer habe seine zweifelnden Jünger näher zu JEsu bringen wollen; habe ihre Zweifel zu eigenen angenommen, sie als die seinen in ihren Mund gelegt. Er habe vor den Jüngern als ein Zweifelnder erscheinen wollen, damit er sie füglich zu Christo senden könnte, damit ihnen ihre Zweifel von Christo selbst gelöst und sie von des HErrn Liebe, Macht und Weisheit überwunden würden. − Und Christus sei in Johannis fromme List eingegangen! − Ich kann es nicht glauben, meine Brüder, daß es so gewesen. Der ganze Liebesplan wäre so unnatürlich angelegt gewesen, − und daß ichs zum dritten Mal sage: Christus wäre auf den Plan eingegangen. Die ganze Auslegung, welche Johannem und den HErrn in ein schiefes Licht stellt, ist wol nur die Frucht einer gewissen Angst, es möchte der Würde Johannis zu nahe getreten werden, wenn man auch ihn als der Anfechtung unterworfen darstellen müßte. Allein es wird sich im Verlauf dieses Vortrags zeigen, wie wenig die Achtung vor Johannes dadurch leidet, daß man auch ihn in dem menschlichen Zustande der Anfechtung sieht. Wenn aber auch das anders wäre, was hälfe es denn? Der Text einmal schreibt die Anfechtung dem Täufer zu, dem Täufer antwortet der HErr und ihn vertheidigt Er gegen den möglichen Vorwurf, der unter dem Volke aus der wargenommenen Schwachheit eines Starken hätte aufkommen können. Nicht eine Sylbe im Texte veranlaßt eine Deutung der Frage Johannis, wie sie beliebt geworden ist. Bleiben wir also bei der Erzählung und legen wir keine Hand an, das Bild des Heiligen und Helden Johannes willkürlich zu verschönern, da er ja grade so wie er dargestellt wird, Johannes selbst und alles, was wir im Texte lesen, zu seinem Bilde paßend ist. − Es ist wahr, Johannes ist ein Wunderkind seines Vaters und seiner Mutter. Schon in Mutterleib ist er mit dem heiligen Geist erfüllt worden. Von Kindesbeinen an ist ihm sein Freund und Verwandter JEsus als Christus dargestellt und von ihm als solcher erkannt worden. Und obschon er ihn früher nicht aus eigenen Offenbarungen erkannt hatte, so wurde ihm doch am Jordan auch Offenbarung verliehen: er hörte die Worte des Vaters und sahe den Geist in der Gestalt einer Taube herabfahren und auf JEsu bleiben. Von da an glaubte er nicht mehr seinem Vater Zacharias, seiner Mutter| Elisabeth, der heiligen Jungfrau Maria: er hatte nun selbst erkannt, daß JEsus ist der Christ, der Sohn des lebendigen Gottes. Er bekannte es auch frei und predigte von JEsu, daß Er sei Gottes Lamm und ein Richter der Welt. Das alles ist wahr, und Johannes hatte also viel menschliche Ueberzeugung und göttlich hohe Offenbarung, durch welche er sich in Anfechtung und Zweifel aufrichten konnte. Allein auch anderes ist wahr! Johannes ist im Kerker, er der sonst in der Wüste lebte, dem für die Fülle seiner Seele die freie Wohnung und die Stadt seines Vaters Zacharias zu eng gewesen war. Johannes feiert, er der sonst von Tag zu Tage Tausenden predigte und sie taufte, er der mit der Macht und dem Segen des größten Propheten zu wirken gewohnt war. Johannes ist im Kerker, getrennt ist er von JEsu, die Möglichkeit zu Ihm zu kommen ist ihm abgeschnitten, er kann bloß aus dem Munde seiner Jünger etwas von seinem HErrn vernehmen. Und was er vernimmt, es ist schön, es ist herrlich, aber es ist doch alles noch wie zur Zeit, da ihm vergönnt war, wie JEsus und mit Ihm zu wirken. Ihm schienen noch immer nur Anfänge dazusein. Er hatte wol gehofft, daß der HErr alsbald zur Vollendung eilen, zur Gründung Seines großen Reiches Ihm geziemende gewaltige Schritte thun würde. Wenn der Vorläufer schwiege und feierte (dachte er vielleicht), so müßte alsbald der HErr als HErr auftreten und königlich walten. Aber von dem allen nichts! Er selbst, der Täufer, ist gefangen und Christus zögert. Während seines ganzen Lebensganges war sein Auge immer fester auf JEsum hin gerichtet worden; je länger je mehr, je völliger hatte er sich ihm ergeben. Welch eine außerordentliche, einzige Lebensaufgabe war Johanni geworden! Nun hat er sie gelöst − sein Hosianna vor Dem her, der kommen sollte, vernahmen nur noch Kerkermauern; sein Werk ist zu Ende − und Christus zögert! Bei solchen Umständen konnte der Geist der Anfechtung Raum finden. Johannes fieng an, in quälende Zweifel zu gerathen, ja in quälende Zweifel, denn seine Freude war JEsus und der Glaube an Ihn. Kommt euch dieser Gang einer Johannesseele unglaublich vor? So frag ich euch: welcher Heilige hat keine Anfechtung gehabt? Ich mag das alte Testament durchgehen, so finde ich keinen Patriarchen, keinen Propheten, keinen Abraham, keinen Moses, keinen David, der nicht angefochten gewesen wäre. Ich mag das neue Testament durchgehen, so ist es gleich also. Die heiligen Apostel, die Mutter Gottes waren größer, als der Täufer; denn es ist der kleinste im Himmelreich größer: und doch haben sie alle ihre Anfechtungen gehabt, vor Pfingsten und nach Pfingsten. Und allein mit dem Character Johannis sollte eine Stunde, ein Tag, eine Zeit der Anfechtung unvereinbar sein? Dem Manne, welcher die Anfechtung erduldet, ist eine Krone des Lebens versprochen: warum soll sie unter allen Heiligen allein Johannes entbehren? Ist er doch nicht besiegt worden von seiner Anfechtung, sondern im Gegentheil, er hat sich in seinem bösen Stündlein benommen, recht wie es ihm geziemte. Sein Benehmen hat eine so nachahmenswerthe Schönheit, daß uns der Wunsch, Johannes möchte nicht angefochten worden sein, fast schwer werden könnte; denn wäre er nicht angefochten worden, so würden wir das edelste, männlichste Beispiel, die schönste Regel eines heiligen Benehmens in Anfechtung entbehren. Christi Versuchung und Sieg sind weit über unsern Sphären, wir verstehen sie nicht; unsre Versuchungen sind die Versuchungen Gefallener; uns steht ein versuchter Johannes näher und doch steht er zugleich so glänzend und hehr vor uns in seiner
Zwar scheint das, was Johanni geschehen, nicht beim ersten Anblick alles Dankes werth. Das Benehmen des HErrn gegen den fragenden Propheten ist uns nicht alsbald verständlich. Aber Johannes verstand die kurze Antwort Jesu und sie genügte ihm ohne Zweifel. Laßt uns diese Antwort etwas genauer ins Auge faßen. „Geht hin und saget Johanni, was ihr sehet und höret“, das ist der Anfang der Antwort. Also auf das Augen- und Ohrenzeugnis Anderer, seiner Jünger, verwies er den angefochtenen Freund. Das hieß nichts anderes, als ihm die Lage, in der er war, als hinreichend zum Wohlbefinden seiner Seele preisen. Grade diese Lage war dem Täufer eine Quelle der Anfechtung, grade sie war ihm verleidet, aus ihr wäre er gerne herausgerißen gewesen; − und grade sie wird ihm zur Aufgabe gestellt, sie muß er anders verstehen, mit noch kindlicherer, verleugnenderer Demuth faßen lernen. Johannes hätte gerne mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört und am liebsten noch Größeres, als er hätte sehen und hören können: vor JEsu her, mit Ihm durchs Leben kräftig wirkend zu gehen, das wäre dem Vorläufer recht und lieb gewesen. Und nun wird ihm anderer Leute Sehen und Hören als Seelenarzenei bezeichnet, er, der Lehrer, muß von seinem Lehrstuhl steigen und zu Füßen seiner Jünger Platz nehmen, eigenen Sehens und Hörens muß er sich begeben, in vollster Entsagung von dem leben und genesen, was ihm seine Jünger sagen können. Er muß aufhören ein Prophet zu sein und ein Jünger seiner Jünger werden. So gehts, und so gehts zum Himmel. Wenn einer gearbeitet und gewirkt hat lebenslang, muß er den Ballast seiner Lebensarbeit abwerfen, klein werden, leicht werden, daß er, wenn Gott ruft, zum Fluge in die ewige Freude tauge. Das geht dann oft so schwer, und doch ists grade die Aufgabe, die kampfgeübte, im Leben und seiner Last versuchte und erfahrene Männer zur Vollendung führt. Sterben, ehe man stirbt − das ists, um was es sich handelt. − Das ist die lichte Straße, welche freilich leicht zur Anfechtung wird, wenn man sie erst kurz betreten hat.
Was wars nun aber, das die Jünger Johannis gesehen und gehört hatten, was sollten sie ihm in seinem Kerker erzählen? Was soll er hören und erwägen? Das laßt uns einmal warnehmen! Es ist ein Doppeltes. „Die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Todten stehen auf.“ Daß das wahr sei, konnten die Jünger grade recht überzeugend schauen, als sie zu dem HErrn kamen; denn eben war Er in lauter solchen Beweisen Seiner Herrlichkeit begriffen. Die Jünger konnten mit Augen schauen, welche Macht JEsu Geist über aller Menschen Leiber hatte. Es war hier nicht von menschlichem Heilen die Rede: menschliche Aerzte wirken auf der Menschen Leiber durch leibliche Mittel, ihr Geist, ihr Wille, ihr| Wort hat über die Leiber keine Macht. Der HErr aber hat Macht über alles Leibliche. So Er spricht, so geschiehts; Sein Wort, Sein bloßer Wille reicht hin, so treten Aenderungen, starke, gewaltige in der sichtbaren Welt ein − man erkennt, daß eine schöpferische Kraft sich regt und ein Mann wirkt, der der HErr ist. Blinde sehend, Lahme gehend, Aussätzige rein und Taube hörend machen − auch menschliche Aerzte und leibliche Mittel können das zuweilen bewirken. Wenn aber auch noch mehr geschehen könnte, wenn das Unmögliche gelänge, wenn gegen den Tod des Leibes ein Mittel gefunden würde: dem Thun des HErrn gegenüber, wäre es doch nichts: es wäre Kunst, Menschenkunst, Benützung irdischer Mittel, bei Ihm aber ist schöpferischer Wille, allmächtiges Gebot. Ob Er Petri Schwieger vom Fieber heilt oder Lazarum aus der Verwesung lebendig herstellt, ob Er vor unserm Auge das Kleinste oder das Größte thut, das ist gleich: wie Ers thut und aus welcher Macht, darauf kommts an. Er ist und bleibt immer und ewig nur Einer, unterschieden selbst von Aposteln und Propheten, die nur von Seinen Gnaden Wunder wirkten: Er lebt und übt mit Seinem Geist über alles Leibliche Macht aus.Geliebte Freunde! Wenn der Mensch eigenen Gedanken Raum läßt, ist er allemal unglücklich; zufriedenes Glück ist nur in völliger Aufgebung eigener Gedanken, bei völliger Versenkung in die Gedanken Gottes, in völliger Hingebung an Seinen allein guten und gnädigen Willen. So lange du zögerst, deinen Gedanken den Abschied für immer zu geben und wie Gott und Christus zu denken und zu wollen, bist du wie Johannes im Kerker, in Nacht, in Qual − und verzögerst deine Ruhe, deine Freude, deine Stärke. Es ist drum in solchen Fällen gut, wenn es einem geht wie Johannes, und der HErr eine Antwort gibt, deren Kürze und Majestät vielleicht ein wenig weh thut, aber auch das Gemüth in die göttliche Ordnung bringt und einen festen Halt reicht, daß man weiß, was man zu denken und zu glauben hat.
Ich kann mich nicht enthalten, es zu sagen. Unsere Zeit hat mit der, da Johannes gefangen saß, manches gemein. Es geschehen viele einzelne Thaten JEsu an den Seelen, eine Menge Beweise Seines Lebens und Regimentes sind über Deutschland und die ganze Welt hingestreut. Ists nicht leiblich, so ists doch geistlich, also im größern Sinne wahr, daß Blinde sehend, Lahme gehend, Aussätzige rein werden, Todte auferstehen. Und wenn wir nun das hören, so genügt es uns alles nicht. Wir wollen mehr sehen und hören, wie Johannes. Ein Reich, eine Vereinigung der Geister, eine Gemeine der Heiligen, eine Wirkung ins Ganze und eine Umänderung der Massen − kurz eine erscheinende, herrliche Gestalt der sichtbaren Kirche wollen wir immer, und ärgern uns so gerne an dem, was geschieht, sehen und hören nicht, daß der HErr ja Seinen Himmel dennoch füllt und Sein ewiges Reich baut. Ach, da laßt uns doch das Wort vernehmen: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert,“ Seine Worte nicht für klein achten, auf Seine Hände schauen und auf des Tages Abend warten, da es Licht werden und das Vollkommene kommen wird! Wir wollen das kurze Wort der Ermahnung und Bestrafung (und beides liegt drinnen), das Wort: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert“ in die sehnsüchtige Seele faßen und Ihm, dem König, das Reich befehlen, das Sein, Sein heiligster Gedanke, Sein schönstes Werk und Seine liebste Freude ist, das Ihm viel mehr, als uns am Herzen liegt.
Jedoch laßt uns zu unserm Text zurückkehren. Johannis Jünger nahmen JEsu Worte und trugen sie dem theuren Lehrer ins Gefängnis. Ohne Zweifel nahm Johannes die Botschaft auf, wie er sollte, zu seiner Tröstung und Beruhigung. Wäre das nicht, so würde ihm der HErr auch nicht das Zeugnis gegeben haben, das er ihm gab. Seinetwegen können wir ruhig sein. Aber das Volk und die Jünger JEsu hatten zugehört, als Johannis Jünger im Namen ihres Meisters die Frage anfechtender Zweifel vorlegten; sie hatten die Antwort JEsu gehört. In der letztern lag neben aller Ermunterung etwas Tadelndes, wie fast immer, wenn Gott Seine Heiligen ermuntert, Demüthigung beigemischt ist. Und die Frage selbst war ja von der Art, daß sie einen üblen Schein auf Johannes bringen konnte, wenn man nicht des Täufers Seelenzustand würdigen und die heilige, wahrhaftige grade Einfalt seines Benehmens verstehen konnte. Das Volk konnte Anlaß nehmen, von Johanne geringer als bisher zu denken. Der ganze Vorfall konnte dazu beitragen, Johannes so in Schatten zu stellen, daß auch seine Liebe zu dem HErrn und sein Gehorsam gegen Ihn verdunkelt worden wäre. Das wollte JEsus nicht. Er liebte und ehrte den frommen Boten, den Er vor sich hergesendet hatte, und hielt ihm deshalb eine wunderschöne Vertheidigungsrede, welche| wir, ehe wir diesen Vortrag schließen, noch kürzlich betrachten wollen.
Der HErr erinnert das Volk an die Zeit, wo Johannes noch in der Wüste war und predigte, wo sie hinausgeströmt waren zu ihm. „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste, zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet?“ So fragt er − und seine Frage, die Art, wie er sie sprach, ohne Zweifel auch die Gebärde, welche er dabei annahm, waren so, daß eine Antwort überflüßig war. Ein jeder merkte wohl, daß nach dem Sinne JEsu ein vom Wind bewegtes Rohr das Gleichnis nicht war, das auf Johannes paßte. So hatten sie auch von Johannes nicht gedacht; etwas der Art konnte allenfalls eben erst in den Seelen derjenigen sich geregt haben, welche die Frage der Jünger des Täufers vernommen hatten. − Ein Rohr, nein, das war auch Johannes nicht: der Wind hatte keine Macht über ihn. Wol gieng ein starker Wind, wol stand Johannes in innern Stürmen der Anfechtung; aber des Windes Wehen riß ihn nicht auf eine andere Seite, als zuvor, vielmehr neigte er sich desto ernstlicher zu JEsu, sandte, da er selbst nicht gehen durfte, seine Jünger zu JEsu und das Auge und Ohr seiner Seele hieng ganz an JEsu Munde. Gerade das Benehmen Johannis in seiner Anfechtung bewies, daß er kein Rohr war, sondern daß Treue gegen JEsum und Beständigkeit die Tugenden waren, welche siegreich aus dem Kampfe giengen. − Wol dem, den alle seine Anfechtungen JEsu näher bringen, der sich allezeit fest hält an Ihm! Ja wol dem! Dem dient Wind und Sturm wider Willen zur Fahrt, der ist ein Beweis, daß alle Dinge denen zum Besten dienen müßen, die Ihn lieben.
„JEsu treu!“ das war des Täufers erstes Lob aus des HErrn Munde. Und „unbestechlich rechtschaffen und wahrhaftig“ − das war sein zweites Lob. Darum fragt der HErr: „Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern!“ Durch diese Rede trat des Täufers unbestechliche Wahrhaftigkeit in helles Licht. Jedermann wußte, daß er nicht in Herodis Haus, sondern in Herodis Kerker war. Jedermann wußte, warum; daß es um der Wahrheit willen war. Jedermann wußte, daß es hätte anders sein können, daß Johannes ganz wol in des Königs Haus hätte kommen können. Es war nicht Ungeschick, nicht Rohheit, was ihm den Mund gegen den König aufgethan hatte. Er war eines Priesters Sohn, des Geistes Zögling von Jugend auf: wer will dem ein edles, ehrfurchtgebietendes Benehmen auch vor Königen absprechen? Herodes hörte ihn gern, hatte ihn lieb. Er hätte Einfluß bekommen, groß werden können am Hofe, wenn er dazu nicht zu groß gewesen wäre, wenn es für ihn eine Stelle an diesem Hofe gegeben hätte, eine Stelle, seiner werth, − wenn er nicht zu untadelich und unnahbar gewesen, zu vollkommen, zu gerecht und zu bescheiden die Wahrheit gesprochen und damit zu tief in Herzen und Gewißen gesprochen hätte. Er gieng drum nicht in des Königs Haus, sondern wie es sein muß, wenn die Bosheit und das Laster herrscht, er gieng in des Königs Kerker, wie andere Propheten vor ihm − und der Kerker an sich focht ihn nicht an. Er dachte nur, nun sollte JEsus steigen; − wenn er abnähme, müßte JEsus zunehmen, das war der Gedanke, der ihn durchdrang und der ihm zur Anfechtung gedieh. – – Wenn man sichs denkt: Johannes in weichen Kleidern! Gewis, das paßte nicht! Drum eben könnte man meinen, es wäre die Bemerkung, daß Johannes kein Mann in weichen Kleidern gewesen sei, überflüßig gewesen. Man könnte sagen: wer im Wind kein Rohr ist, der wird auch nicht durch der Könige Gunst und weiche Kleider verderbt. Man könnte es sagen! Aber es ist beßer, man sagts nicht, sondern schlägt an seine Brust, denn es ist doch nicht wahr. Der Umgang der Hohen, die weichen Kleider, der Sonnenschein königlicher Gunst hat mehr als einen, der im Sturme fest stand, innerlich weichlich gemacht, entnervt, getödtet für Gottes Reich, − und es ist drum grade das Lob, welches auf das Gleichnis vom Wind und Rohr kommen muß, daß Johannes kein Mann in weichen Kleidern ist, sondern ein Prophet im Kerker.
Ja, ein Prophet ist er, denn Gott hat ihn auserwählt, von Mutterleib an ausgerüstet, ihm einen Auftrag gegeben zu weißagen von Dem, der da kommen soll, ihn Gesichte sehen laßen, wie keinen Propheten, ihn Thaten thun laßen, wie keinen: denn dieser hat Gott im Fleisch gesehen, und den Menschgewordenen getauft. Er ist ein Prophet, es ist wahr;| aber ein besonderer, ein Prophet, dem sein Stuhl allein gesetzt werden muß, denn sein Prophetenamt hat sich in das Amt eines Engels aufgelöst. Drum bleibt auch Christus nicht bei dem Prophetentitel Johannis stehen, sondern er eilt weiter und nennt ihn Engel, Seinen Engel. „Was seid ihr hinausgegangen zu sehen?“ spricht Er: „Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist, denn ein Prophet. Denn dieser ists, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“ Es hat viele Propheten gegeben im Alten und Neuen Bunde, aber Engel des HErrn ist keiner als Johannes. Schon Maleachi hat ihn im Geist einen Engel genannt und der HErr, vor dem er hergieng, bestätigt ihm diese Würde. Johannes war ein Engel, nicht von Natur, sondern dem Dienste nach. Wie die Engel des HErrn Boten sind, so war es auch Johannes. Wie die Engel vor dem HErrn stehen, so stand Johannes vor dem HErrn und gieng in Seiner nächsten Nähe. Wie die Engel des HErrn Geburt verkündigten, so verkündigte Johannes Sein Kommen. Wie die Engel unmittelbar dem HErrn dienen, so diente er Ihm selber, unmittelbar, denn er taufte Ihn. Wie die Engel auf Erden ihr Geschäft verrichten und von der Erde nichts begehren; so that der Engel Johannes seines Berufes Geschäfte, dann eilte er von hinnen zur ewigen Stadt. Er lief seinem HErrn voran in der Geburt, im Lehr- und Prophetenamt, in der Schmach und im Tode, ja endlich auch in dem Hingang zum Vater.Siehe, wie groß ist Johannes! So war er, so blieb er. Von dieser Herrlichkeit, von seiner Treue, von seiner Wahrhaftigkeit, seinem Prophetentum und Engelamt gieng ihm zur Zeit der Anfechtung nichts ab. Er sank in der Achtung seines HErrn nicht. Er blieb, was er war, und der HErr bekennt sich zu ihm zum Beweis, daß Seine Knechte um der Anfechtungen willen, die sie erdulden, nicht aufhören, Sein zu sein. Wie mögen diejenigen gestaunt haben, welche die Frage Johannis und darauf die Rede JEsu hörten! Der Frage nach schien es, als gienge es abwärts mit Johanne, und nun diese Vertheidigung aus JEsu Mund, diese Erhebung, diese Auslegung einer der herrlichsten Weißagungen des alttestamentlichen Propheten auf ihn! Also war ers, auf den Maleachi sah und wartete, auf den ganz Israel Jahrhunderte lang wie auf einen Morgenstern wartete! Welch eine Glorie hat nun Johannes!
Und was für eine hat JEsus! Denn JEsus gibt ja Johanni diese Glorie! der Geber ist aber größer, als der Empfänger. Ja, wie viel größer ist JEsus, als Johannes! Indem er den Johannes Seinen Engel nennt, ist es ja offenbar, daß Er selbst der HErr ist, vor welchem her der Engel kam. Indem Er ihn seinen Engel nennt und die Weißagung auf ihn auslegt, öffnet Er ja den Juden die Augen, daß sie Ihn selber recht erkennen. Er lehrt sie neuen Beweis dafür, daß Ers ist und kein anderer, daß auf Ihn Himmel und Erde wartete. Johanni sagte Er diesen Beweis nicht; denn eben Johannes war der Beweis − und eben am Vorläufer erkennt man den HErrn. − Mit welcher Schonung, mit welcher zarten Liebe bedeckt JEsus Christus seines Engels Anfechtung; wie kleidet er den Demüthigen demüthig in den Glanz seines gnädigen Bekenntnißes zu ihm. Wie hehr und majestätisch sind zugleich Seine Worte! Wer hat jemals so gesprochen, − so getröstet, − so gehandelt, so Huldigung und Zuflucht der gejagten Sünder, so ihre Dienste angenommen und belohnt? Es ist keiner, wie ER! Es war keiner − und kommt auch keiner, wie ER! ER ists, der da kommen sollte! Seine heilige, unaussprechlich hehre, gnädige Erscheinung sei uns immer klar und nie müße die Zeit kommen, wo wir sie nicht erkennen! ER laße uns Sein Antlitz leuchten, daß wir auf Erden erkennen Seinen Weg. Wenn es kommen wird, daß wir in Anfechtung kommen, oder sterben, oder daß wir unter den Schrecken Seines mahnenden Gerichtstages auferstehen: ach dann nehme Er uns unter Seine Fittige, wie den heiligen Täufer, und verschmähe uns nicht, wenn wir Zuflucht zu Ihm nehmen! Es segne uns Gott, unser Gott! Es segne uns Gott und gebe uns Seinen Frieden! Amen. Amen.
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