Frauenleben im Weltkriege/Die neue Seele

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Es geht ihm gut Frauenleben im Weltkriege
von Aurel von Jüchen
Nachwort. Nach dem Gewitter
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Die neue Seele


Endlich einmal wieder machten wir, meine junge Freundin Helene und ich, einen Sonntagsspaziergang über die schöne Landstraße an den grauzackigen Bergen vorbei flußaufwärts. Der lachende Sonnenschein hatte manche Sonntagsbummler ins Freie gelockt, da plötzlich: Hupenton, Staubwolke, Benzinduft. „Natürlich“, sage ich, „solches Wildschwein darf nicht fehlen!“ Durch die verschwimmende Staubwolke des Autos traf mich ein Verachtungsblick Helenes, als sollte ich elektrisch hingerichtet werden. Was soll dieser Blitz? Ist sie prüde geworden, verträgt sie keinen harmlosen Scherz mehr? Sie hat doch einst herzhaft mit mir gelacht über die Ähnlichkeit von Wildsau und Auto: Sie rasen, sie grunzen, sie stinken. Nun dreht die Holde mir plötzlich den Nordpol ihrer Seele zu? „Solche Redensarten gehören sich nicht“, zürnte sie, „wie kann man ein Ding schmähen, das uns im Krieg so segensreiche Dienste geleistet hat, wie die Autos? Ist nicht der belgische Löwe, oder – besser gesagt – die belgische Wildkatze gezähmt worden, weil wir durch Autos eine Stromschnelle von Truppen in ihre Höhle ergossen? Haben die Autos nicht die Qualen der Verwundeten durch schnelle Beförderung verkürzt und die wackeren Krieger erfreut durch unmittelbare Zuführung von Liebesgaben?“ Also drum! dachte ich, das Wildschwein ist uns zum Wohltäter geworden, drum rufen wir jetzt „Hosianna“, wo wir früher „Kreuziget!“ schrien. So schnell konnte ich mich nicht bekehren. „Doch die Autos dienen Freund und Feind“, widersprach ich, „sie sind zum Beispiel von unseren Feinden [130] vor dem Krieg fleißig im Spionagedienst gebraucht worden, und dann denken Sie doch mal zurück an die Autos mit Damen und Gold!“ Wieder sauste ein luftverpestendes Ungetüm an uns vorüber. „Den anderen hat es nichts zu ihrem Ziel genutzt“, sprach Helene noch aus der Wolke heraus mit leuchtenden Augen, „aber wenn wir siegen, ist es natürlich, daß wir ein dankbares Herz bewahren für alles, was uns zum Sieg verholfen hat. Es ist damit ähnlich, wie mit den Steuern“, fuhr die holde Philosophin fort, „alle Völker zahlen Steuern, aber wir haben damit in höchster Not unsere Rettung erreicht. Sie wissen, wie mein Vater oft geschimpft und auf den Tisch geschlagen hat, wenn auf Steuern die Rede kam. Und heute? Er singt dem Staat Lob und Preis, weil dieser Opfer verlangte und damit rechtzeitig für unsere vorzügliche Rüstung sorgte.“ „Dann sind durch den Krieg ja die Herzen umgedreht worden“, staunte ich, „aber ob sie sich nicht wieder zurückdrehen? Ob nach dem Krieg Automobilstaub und Steuern nicht wieder verwünscht werden, wie einst?“ „So sicher uns die Erinnerung an den Krieg bleibt“, antwortete sie milde, „so sicher bleibt unsere Dankbarkeit gegenüber allem, was zu Deutschlands Sieg beitrug, auch wenn gewisse Dinge unseren persönlichen selbstischen Wünschen im Wege sind.“ „So wird sich also neben der früheren nörgelnden Friedensseele eine opferfreudige Kriegsseele bilden? Sogar in der Brust der zarten Weiblichkeit?“ „Bei dieser erst recht, weil sie bisher den allgemeinen Dingen ganz gleichgültig gegenüberstand. Der Krieg hat uns aufgerüttelt. Wieviele Frauen und Mädchen durchbebte zum erstenmal das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihrem Volke! Die Wohlfahrt des Volkes wird uns nach dem Kriege mehr am Herzen liegen, als früher, und auf vielen Gebieten der Frau wird ihrer nach dem Kriege ein weites Arbeitsfeld harren.“ „Dann würden also auch Sie sagen: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust: eine selbstsüchtige und eine soziale Seele.“ „Das Goethesche Ach! laß ich fort. Es wird nur eine [131] Seele sein, aber mit zwei Flügeln, die uns aus der alten Engherzigkeit und Beschränktheit hinaustragen.“

So sprach meine schöne, gute Helene voll Begeisterung. Was wollte ich machen gegenüber der Prophezeiung aus so holdem Munde? Man weiß doch, daß schon die alten Germanen der besseren Hälfte des Menschengeschlechts ein besonderes Ahnungsvermögen zuschrieben. Und schließlich, ob Helenes Seele einen oder zwei Flügel hat, was liegt mir daran, wenn sie einst meinem Rufe folgt und mir zufliegt!