Frauenleben im Weltkriege/Nachwort. Nach dem Gewitter
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Eine junge Dame kommt mir auf der Straße entgegen und fragt mich nach dem Weg. Sie trägt eine Art Sportmütze auf ihrem Blondhaar, eine Ledertasche hängt gewichtig an ihrer Seite; sie ist Kassiererin des Elektrizitätswerks, also eine neue Gattung von Blitzmädeln. – Auf der elektrischen Straßenbahn turnt eine holde Schaffnerin durch den Wagen; gerade kein für das weibliche Geschlecht besonders geeigneter Beruf, aber sie knipst die Fahrscheine so gut, wie der stärkste Mann. Auf der Post wird man am Schalter nach der üblichen Wartezeit von einem weiblichen Assistenten abgefertigt, auf den städtischen Ämtern wimmelt es von jungen Damen, in den Zeitungsanzeigen sehen wir, daß gegenwärtig Kontoristinnen zu den begehrtesten Persönlichkeiten gehören, und der Überfluß des Lehrerinnenmarktes ist schnell in Amt und Würden abgelenkt worden. Es sieht aus, als ob plötzlich das weibliche Geschlecht das Ziel erreicht hätte, auf allen möglichen männlichen Arbeitsgebieten willkommen geheißen zu werden, aber die jungen Damen wissen selbst, daß ihre Posten nur Durchgangsposten sind, die sie räumen müssen, wenn deren ursprüngliche Inhaber aus dem Felde zurückkehren, sie finden es recht und billig, daß die leichten Stellen, die sie vorübergehend bekleiden, demnächst invaliden Kriegern zufallen.
[133] So fremd und abstoßend das Rasen der Kriegsbestie der Geistesart der Frauen erschien, sind diese nicht davor zurückgebebt, und wenn ihre Herzen erzitterten, klammerten sie sich fest an der Überzeugung, daß kein zeitliches Opfer zu teuer sei, um das Ewige, das deutsche Vaterland, gegen den tückischen Erdrosselungsplan seiner Feinde zu schützen. Während ihre Söhne, Gatten, Brüder draußen gegen die leiblichen Feinde fochten, kämpften sie heldenmütig den seelischen Kampf gegen Sorgen und Schmerzen, die nicht minder schrecklichen Feinde; sie haben in opfermütigem Dulden, in Samariterarbeit und dienender Liebe sich als stille, treue Helferinnen des Vaterlandes gezeigt. Man wird die Frauen bei Festen und Banketten dafür preisen als die Sterne und Schutzengel Deutschlands, sie dürfen neue Fahnenbänder sticken und die Brüste neuer Helden mit Kotillonorden zieren, sie dürfen gefühlsmäßig Anteil nehmen an Wohl und Wehe des Vaterlandes, aber sonst ist ihre Verbindung mit dem Staat unterbrochen, ihnen stehen vorläufig keine politischen Rechte zu im Deutschen Reich, denn dieses ist ein Männerstaat, obwohl in Zukunft sicher weit mehr, als die Hälfte seiner Angehörigen Frauen sein werden.
Schließlich können auch die in der Mehrzahl befindlichen Frauen, denen an Beruf oder Stimmrecht bei Reichstagswahlen gar nichts gelegen ist, und die im Genügen einer treuen Ehe ihr Lebensideal sehen, nicht zufrieden sein, denn, ach, wieviele Gattinnen tragen den Witwenschleier, und aus den Kreisen der Unverheirateten tönt die leise Klage: Es gibt ja keine Männer mehr! Ein großer Teil einer Generation ging für den häuslichen Herd verloren, denn das Vaterland bedurfte ihrer und hat gewichtigere Ansprüche.
[134] Der Friede kommt nicht, wie ein Laufbursche der Firma Glück & Kompagnie, um nach unseren Wünschen zu fragen und dann alles Begehrte schleunigst in unser Haus zu bringen; der Friede kommt nicht, wie ein Lustspielonkel, um auf alle Köpfe segnend seine Hand zu legen, und dennoch empfinden besonders die Frauen den Frieden, wie der Kranke seine Genesung, und auch diejenigen, welche keinen heimkehrenden Sieger ans Herz drücken können, vielleicht weil schon draußen die Erde ihn an ihr kühles Herz genommen, auch sie, für die der Friede zu spät kommt, würden gern nach Hüons Zauberhorn greifen, um die Glücksempfindung ihres Herzens bei der Friedensnachricht in die Welt zu jubeln. Der Friede ist menschenfreundlicher, menschenwürdiger, als der Krieg; wie Kreuzigung und Ostertag stehen sie hart nebeneinander und sich gegenüber, und Glück wird der Friede in viele Einzelleben tragen, viele Einzelhoffnungen erfüllen.
In Karl von Suckows Kriegserinnerungen von 1813 „Aus meinem Soldatenleben“ findet sich folgende Geschichte: Ein Hauptmann schleppte sich mit Suckow aus Rußland fort, hungerte mit ihm, hörte jedoch unter allen Leiden nicht auf zu rühmen, was für trefflichen Zwiebelkuchen seine Frau machen könne; es sei sein Leibessen, und wenn er nach Hause komme, müsse das erste sein, daß die Teure ihm einen Zwiebelkuchen bereite.
Wohl nicht nur in jedem Soldatenherzen draußen im Felde lebt ein solcher Traum vom Zwiebelkuchen, sondern auch in Millionen Frauenherzen knüpft sich ein solcher Idealtraum an den Frieden, doch wir wollen nicht von den Einzelhoffnungen sprechen, nicht von den Zwiebelkuchen, sondern von den Wandlungen, die der Friede der Allgemeinheit bringen dürfte.
Wir haben den blutigen Krieg mit freudiger Begeisterung gekämpft, nicht um irgendeines Vorteils willen, sondern weil wir Deutschen entschlossen waren, uns allen Gewalten zum Trotz zu erhalten. Auch den Frauen, die [135] opfernd die große Zeit durchlebten, wird die Erinnerung daran der größte Besitz ihres späteren Lebens bleiben.
Die Zeit vor dem Kriege war reicher, aber die Menschen waren ärmer, die Kriegszeit war eine arme Zeit, aber die Menschen sind reicher geworden, reicher an den wirklichen, den inneren Werten, reicher an Kraft und Güte.
Das gewaltige Unwetter des Krieges fegte über unsere Gemüter hin wie ein Frühlingssturm, hinwegraffend, was faul und brüchig war in unserem Geistesleben, und auferweckend, was an hohen und edlen Gedanken und Gefühlen in der deutschen Seele ruhte.
So wie nun in der schweren, trüben Zeit des Krieges die alten deutschen Tugenden der Vaterlandsliebe, der Frömmigkeit, der Opferwilligkeit in ungeahnter Kraft aufschossen, so hoffen wir, daß auch die alten Friedenstugenden der Deutschen wieder frisch hervorsprießen werden, nachdem der Kriegssturm ausgetobt und den gesunden Stamm vom faulen Laub gesäubert hat.
Auch das Geistesleben der Frauen war umschlängelt von allerlei Wuchergewächsen. Seinen reinen Spiegel trübte das Streben nach äußerem Wohlleben, die Sucht, fremde Sitten nachzuahmen, das ganze Trachten nach äußerem Schein. Unter den wallenden Federn, dem lachenden Schmuck verkümmerte das Herz. Ich will nicht die Federn, die Diamanten verdammen, ich beklage nur, daß mit der Überschätzung jener Güter, die Rost und Motten fressen, eine Unterschätzung aller wahren Werte des Lebens einherging. Wir brauchen nur daran zu denken, welchen Einfluß das Trachten nach dem blendenden Schein auf die Ehe übte, wie schon der Zutritt zu dieser Daseinsform, die für das Weib im allgemeinen die begehrenswerteste scheint, erschwert, wie schon die Schwelle zu diesem Tempel des Glücks und der Zufriedenheit durch die Wuchergewächse übertriebener Ansprüche an rein äußerlichen Aufwand überwachsen wurde. Ein gute Ehe ist kein Idealtraum, sie läßt sich bauen auf der Grundlage der Liebe, gleichen Empfindens und Denkens; aber anstatt nach dieser [136] Grundlage frug man vor dem Kriege in erster Linie nach Geld und Gut, man suchte nicht die gute Ehe, sondern die gute Partie, und in der Ehe suchte man nicht den Himmel auf Erden, sondern ein bequemes, vergnügtes, beneidetes Leben. Wir wollen uns hier nicht mit einer längeren Kritik aufhalten, denn jeder weiß, wie viele faule Stellen die bezüglich der Ehe herrschende Gesellschaftsmoral hat. In den Schrecken des Krieges ist bei uns die Sittlichkeit neu erwacht, und es wäre eine herrliche Friedensaufgabe, dieser verächtlichen Gesellschaftsmoral in gleicher Weise zu Leibe zu rücken, wie es während des Krieges gegenüber dem Fremdwörterunfug und den herausfordernden Toiletten geschah, es wäre eine herrliche Friedensaufgabe, in Deutschland das sittliche Ideal der Ehe zu lebensvoller Gestaltung zu bringen. Damit wäre zugleich dem Vaterlande am besten gedient, denn die Gesundheit des Familienlebens sichert die Gesundheit des gesamten nationalen Lebens.
Der Mann hat zunächst die Pflicht, den Bestand und das Gedeihen seines eigenen Heims zu sichern, Aufgabe der Frau ist, dieses mit Ordnung, Behagen und Freundlichkeit zu durchdringen. Damit ist aber beider Pflicht nicht erschöpft. Der Mann muß, wenn es not tut, vor den Toren des Landes seine Brust den Feinden entgegenwerfen, ja sein eigenes Heim dem Verderben überlassen, um die höhere Pflicht der Landesverteidigung zu erfüllen. So ist auch die Pflicht der Frau nicht auf das Innere ihres Hauses beschränkt, vielmehr, wie sie hier der Balsam ist für alle Wunden, der Sonnenschein für alle Keime, der Wohlklang, in dem alle Mißtöne sich lösen, so soll sie alles dies erst recht außerhalb ihres Heims sein, wo die Not größer ist, die Mißtöne schreiender sind, wo viel mehr Keime nach Licht lechzen. Wenn die Frau von Natur ein starkes Gefühl für Bedürftigkeit jeder Art besitzt, so hat
[137] die harte Schule des Krieges viel dazu beigetragen, ihr die Erkenntnis ihrer sozialen Aufgaben zum Bewußtsein zu bringen, die Frau hat sich in einen organisierten Liebesdienst eingefügt und erkannt, wie die Kraft des Menschen in dem bewußten Zusammenwirken vieler beruht, und wie verächtlich gegenüber idealen Aufgaben die Unterschiede sind, die ein kleinlicher Klassenhochmut zwischen ihr und ihren Schwestern, zwischen den Kindern desselben Blutes aufrichtete.
Die Tugenden der Vaterlandsliebe, Opferwilligkeit, sozialer Gesinnung in der Frau, ihre Betätigung als Mutter, Erzieherin, Pflegerin, als guter Engel und bester Kamerad des Mannes, so wie sie während der Kriegszeit aus unserer Frauenwelt hervorleuchteten, haben wir in diesen schlichten Erzählungen, dieser Bildergalerie des Frauenlebens während des blutigen Völkerringens, festhalten wollen. Die Galerie ist nicht vollständig, denn wer könnte den ganzen Frühling malen? Auch an den einzelnen Bildern ist sicher vieles zu tadeln; jedenfalls haben wir uns bemüht, die herrschende Stimmung soviel wie möglich dem Leben abzulauschen. Wenn aber jemand tadeln wollte, daß der furchtbare Ernst des Krieges zu schwach hervortrete, daß wir sogar der heiteren Kehrseite von Krieg und Schlacht Raum gaben, dem möchten wir entgegnen, daß diese Darstellung mit der herrschenden Stimmung in Einklang steht, denn diese war im allgemeinen frei von trüber Furcht, von bleichem Kummer und finsterer Verzweiflung. Auch durch die Frauenwelt ging trotz aller Opfer ein Strom stiller, herzlicher Heiterkeit, dem Bewußtsein entspringend, daß die Opfer eine Pflicht waren, und kein Opfer zu schwer sein darf für die Erhaltung unseres Vaterlandes.
Wenn nun auch der Friede nicht mit Geberhänden, sondern ebenso wie der Krieg mit der gebietenden Geste der sittlichen Forderung an uns und auch an die Frauen herantritt, so wollen wir darum gewiß nicht klagen. Ein Volk, das mit solch entschlossenem Ernst, solch heldenhafter [138] Größe seine Feinde niederrang, wird die Kraft haben, auf der Grundlage einer idealen Gesinnung sein Leben aufzubauen, und auf diesem Boden wird das Glück des Volkes gedeihen.
Aus der Pandorabüchse des Krieges fiel nebenher gute Saat. Unsichtbar wird sie sprießen und reifen auf der Gedankenflur, und unsere Feinde werden noch einmal geschlagen sein, wenn das goldene Korn im Sonnenlicht wogt.