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Frauenstein bei Freiberg im Erzgebirge

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCXXII. Segovia in Spanien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXXIII. Frauenstein bei Freiberg im Erzgebirge
CCXXIV. Die Leuchtenburg
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FRAUENSTEIN

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CCXXIII. Frauenstein bei Freiberg
im Erzgebirge.




Es giebt Worte und Namen, mit denen irrige Vorstellungen sich erblich verknüpfen. Hört man z. B. vom Erzgebirge und Bergbau, so denkt man sich gewöhnlich eine Landschaft voll großer, steiler Berge, tiefer Thäler und finsterer Schluchten, in denen der Bergmann den Weg gleichsam angebahnt findet zu den Eingeweiden der Erde. Es kann nicht fehlen, daß der Reisende, der unter so falschen Vorstellungen in die Freiberger Gegend kommt, sich unangenehm getäuscht findet; denn statt der erwarteten Gebirgswelt, in der, aus tiefen und wilden Thälern, spitze Kegel und rauhe Felswände aufragen, findet er nur sanft ansteigende Höhen und freundliche Gründe, die sich oft in ausgedehnte Ebenen ausbreiten.

Das Hauptthal bildet die Mulde; sanft erheben sich die Thalwände und nur die kleinen, jenem Gewässer zuströmenden Bäche geben hin und wieder der Landschaft ein stückliches, zerrissenes Ansehen. Doch gerade da, wo das Gebirge am meisten der Ebene sich nähert und mit einem geringen Neigungswinkel südwärts fortzieht, ist der Hauptsitz jenes seit 6 Jahrhunderten blühenden Bergbaus und die weltberühmte Lagerstätte edler Metalle, welche, nach unermeßlicher Ausbeute, noch immer unerschöpflich scheint. Frauenstein, die uralte Residenz der Burggrafen von Meißen, auf einem Porphyrfelsen unweit des gleichnamigen Städtchens, gilt gewissermaßen als der südliche Grenzstein, als der Thorwart dieses, so große Schätze verbergenden Reviers, und von seinen verfallenen Thürmen überschaut man es eines Blickes bis zu den Mauern des 4 Stunden fernen Freibergs. Weiter aufwärts nach Böhmen zu wird das Gebirge steiler, zerrissener, der edle Geschicke führende Gneis kommt nur noch in einzelnen Parthien vor, und der ärmere Porphyr wird das herrschende Gestein. Wegen der äußerst starken Bevölkerung (das 3 Quadratmeilen große Grubenrevier beschäftigt durch den Bergbau an 6000 Menschen) ist die Cultur der Gegend ungewöhnlich groß, die Wälder sind (bis auf die sogenannte Zellische Holzung) längst ausgerodet, Ackerland, Wiesen und Gartenbau traten an ihre Stelle.

[96] Schon die Sorben bauten im 11. Jahrhundert mehre Gruben in der Gegend von Frauenstein und Freiberg, und der Meißner Burggraf Otto der Reiche zog Hunderte von Bergleuten vom Harze herbei, um die entdeckten reichen Silberadern zu bearbeiten. In einer ehedem ganz öden und menschenleeren Gegend entstanden nun Flecken und Städte, welche in dem Maaße zunahmen, als der reiche Bergsegen der Ansiedler immer mehre aus allen Theilen Deutschlands herbeilockte. Freiberg erhob sich vor allen übrigen, und zur Zeit seines höchsten Glanzes, zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts, wanderten jeden Morgen 9000 Bergknappen aus seinen Thoren nach den Zechen. Diese Zeit war die der Blüthe des sächsischen Bergbaus, der sich aus Freibergs Gegend weiter im Erzgebirge verbreitete. Die Entdeckung der reichen Silbergruben bei Schneeberg und Annaberg, und der großen Lager von Zinnerzen bei Altenberge fällt noch in’s 15. Jahrhundert. Es sollen einst über 60,000 Bergknappen im Meißner Lande die Schätze der Erde zu Tage gefördert haben! Viele Gruben wurden für Rechnung des Landesherrn betrieben; mehre noch bauten die reichen Kaufleute Venedigs, Mailands, Nürnbergs, Erfurts und Magdeburgs. Die Ausbeute war unermeßlich; denn noch hatte Amerika seine Schätze nicht über Europa ausgeschüttet, der Silberwerth war das sechsfache des jetzigen, der Handlohn unglaublich gering und das Gewinnen der Erze in den obern Tiefen mit nicht dem zehnten Theil der Kosten und Beschwerden verknüpft, welche man jetzt, auf minder reichen Gängen, die bis zu einer Tiefe von 1600 Fuß unter Tage abgebaut sind, überwinden muß. Das Freiberger Revier soll in einzelnen Jahren über 300,000 Mark Silber geschmolzen haben. Dabei war der damalige Bergbau meist Raubbau, d. h. man bearbeitete die Gruben so lange sie ohne viele Mühe reiche Ausbeute gaben, ließ sie dann liegen und öffnete neue. Erst am Ende des 16. Jahrhunderts, als schon die Erzanbrüche sich überall minderten, und Besorgnisse für die Dauer des Bergbaus die Nothwendigkeit einer bessern und geregeltern Einrichtung des Bergwesens einleuchtend machten, kamen Gesetze auf, welche die Erhaltung einer Industrie bezielten, aus der die Bevölkerung des Erzgebirges ihren fast ausschließlichen Erwerb zog und noch zieht. Aber die Gesetze waren nicht weise. Die gefesselte Spekulation zog sich aus einer Industrie zurück, in der sie vom Staate mißtrauisch überwacht wurde, und eine große Menge fremder Kapitale wanderten weg und suchten eine andere Anwendung. Ueber die Hälfte der erzgebirgischen Bergwerke wurden innerhalb eines halben Jahrhunderts von ihren Eignern verlassen und aufgegeben. Viele Bergknappen gingen nun nach Ungarn, oder nach Böhmen, und ganze Schaaren wurden für spanische Unternehmer geworben und nach Peru und Mexiko eingeschifft, die dortigen reichen Minen zu bearbeiten. Die alte Regel: „Bergbau leidet keinen Zwang,“ bewies ihr altes Recht.

Der dreißigjährige Krieg mit seinen Verwüstungsstürmen, seiner Hungersnoth und seinen Seuchen, mehrte den Verfall des sächsischen Bergbaus furchtbar. Es war eine Zeit, wo fast keine Grube mehr im Betrieb stand. [97] Kein Wunder! denn für die raubsüchtigen Kriegerschaaren war der köstliche Bergsegen die lockendste Beute. Viele Bergknappen nahmen auch Kriegsdienste; noch mehre verdarben durch Pest und Noth, oder sie lernten andere Gewerbe. Die so häufigen Spuren alten Bergbaus im Erzgebirge, an Gegenden und an Orten, wo längst des Bergmanns fröhliches Glückauf! nicht mehr gehört wird, – jene oft stundenlangen Pingenzüge und überwachsenen Halden, an welche das Volk die alten Sagen von reichen Bergschätzen knüpft, sind fast alle aus jener Zeit, und die Trümmer der damals aufläßig gewordenen Werke. Erst nach dem westphälischen Frieden hob sich der Bergbau von neuem; aber doch nur in beschränkterem Kreise. Eine liberalere Gesetzgebung begünstigte ihn, so viel sie vermochte, und die Entdeckungen zum wohlfeilern und vollständigern Ausbringen der Metalle, besonders die Amalgamation, die Verbesserungen im Maschinenwesen, die dadurch ermöglichte Gewältigung der Grubenwasser mit geringern Kosten, die Errichtung der Bergakademie in Freiberg und der Generalschmelzadministration, welche den Hüttenprozeß für edle Erze aller Gruben vereinigte, und andere gute Anstalten, suchten zu ersetzen, was die Erzlager an Ergiebigkeit verloren hatten. Der Staat übernahm die Anlage der ungeheuersten Werke zur Wasserlosung mittelst stundenlang fortgetriebener Stollen (Tunnels), um die ersoffenen Gruben auf langen Gang-Zügen von ihren Wassern zu befreien. Jeder, der eine alte Grube wieder bearbeiten wollte, oder einen neuen Gang entdeckt zu haben glaubte, wurde, war er Inländer oder Fremder, erb- und eigenthümlich damit beliehen, und so lange er nicht Ausbeute hatte, verzichtete der Landesherr gewöhnlich auf herkömmlichen Zehnten und Steuern. Jeder durfte schürfen wo und wie er wollte; und wer ein bauwürdiges Lager von nutzbaren Fossilien auffand, aber nicht die Mittel, oder die Lust hatte, sie selbst zu gewinnen, wurde vom Staate freigebig belohnt. Diese und andere Bestimmungen, welche größtentheils noch gegenwärtig gesetzliche Kraft haben, (z. B. das Recht der Bergleute, oder Unternehmer, in Gewerkschaften [Aktienvereine] zusammenzutreten, und eine oder mehrere Gruben für gemeinschaftliche Rechnung zu bauen), haben dem sächsischen Bergbau seit länger als einem Jahrhundert neues Leben gegeben und erhalten. Gegenwärtig arbeiten im Freiberger Reviere, in einigen sechzig Gruben, über 2200 Bergleute, und die jährliche Ausbringung an Silber, (50,000 Mark), an Kupfer, Eisen, Kobalt, Schwefel, Blei übersteigt den Werth von 2 Millionen Thaler.

Außer den wenigen Gruben, welche dem Gouvernement gehören, sind alle übrigen vergewerkschaftet, d. h. sie werden für Rechnung von Privatgesellschaften betrieben. Das Eigenthum jeder Grube zerfällt gesetzlich in 128 Aktien, welche Kuxe heißen, und die Besitzer desselben bilden eine Gewerkschaft. Diese bestreitet die Kosten des Baus gemeinschaftlich durch Zubuße und theilt den sich ergebenden Gewinn als Ausbeute. Die Aufsicht über den Betrieb und die technische Oberleitung überhaupt übt das Bergamt, ohne daß den Grubenbesizern Kosten daraus erwüchsen. Als Bevollmächtigter der Gewerkschaft handelt der Schichtmeister, welchem die Details [98] der Verwaltung obliegen, und der sowohl der Gewerkschaft, als dem Bergamte jährlich Rechnung legen muß, welche letztgenannte Behörde sie der schärfsten Revision unterwirft. Jede Gewerkschaft hat das Recht, ihre Gruben unbearbeitet zu lassen; allein, wenn sie die Wiederbelegung länger als ein Jahr aussetzt, so verliert sie ihr Eigenthum daran, so wie an allen noch vorräthigen Erzen, Wasserkünsten und zum Dienste der Gruben gehörigen Bauwerken, und die Grube wird mit allem Zubehör für in’s Freie gefallen erklärt. Ist dieß geschehen, so kann Jeder, der zu ihrem Fortbetriebe Lust und Mittel hat, sie in Besitz nehmen (muthen), und er wird, auf sein Ansuchen, erb- und eigenthümlich damit belehnt. Um inzwischen solchen Veränderungen, die immer mit großen Nachtheilen für die Grubenwirthschaft und mit empfindlichen Störungen im gewohnten Erwerb der Bergleute verknüpft sind, möglichst vorzubeugen, besteht schon seit langen Jahren die Einrichtung, für jede Grube aus einem dazu reservirten Theil des Gewinns (der Ausbeute), oder selbst durch Zubuße, ein Vermögen (einen Kapitalfond) zu sammeln und auf große Erzvorräthe zu halten. Während nun solche Einrichtungen die Eigner (Kuxinhaber) in Zeiten der Zubuße hindern, diese zu verweigern und dadurch ein Eigenthum von bedeutendem Kapitalvermögen aufzugeben, auch bei unvorhergesehenen Unglücksfällen die bequemsten Mittel zur Abhülfe darbieten, und die Regierung in den Stand setzen, in außerordentlichen Fällen mit Vorschüssen, ohne Gefahr des Verlustes, zur Hand zu gehen, sichern sie zugleich eine ganz regelmäßige und stätige Lieferung von Erzen an die Schmelzwerke, und folglich auch diesen Anstalten einen geregelten und vortheilhaften Betrieb; denn ohne große Erzvorräthe an den Gruben würde die Erzlieferung an die Hütten von oft plötzlichen Wechseln in der Produktion abhängig seyn. Manche Gruben im Freiberger Revier haben 30,000 bis 60,000 Thaler baaren Kassenbestand und einen Erzvorrath, um für ein ganzes Jahr die vorausbestimmten Ablieferungen zu befriedigen.

Der gesammte erzgebirgische (sächsische) Bergstaat steht unter dem Finanzministerium, und theilt sich, hinsichtlich der Aufsicht und Gerichtsbarkeit über die Gruben, in 6 königliche und 5 herrschaftliche Bergämter, in Ansehung der Aufsicht über die Berggefälle (Zehnten und Zwanzigsten von den in Ausbeute stehenden Gruben der Gewerkschaften) aber in 2 Oberzehntämter zu Freiberg und zu Annaberg. Die unmittelbaren Oberbehörden sind das Oberberg- und das Oberhüttenamt, welche beide ihren Sitz in Freiberg haben. Jenes leitet den eigentlichen Erzbau; dieses führt die Aufsicht über die Schmelzhütten und das Amalgamirwerk. Alle Rechtssachen werden von den Bergämtern in erster Instanz entschieden. Früher genossen alle zum Bergwesen gehörige Personen eine Menge Vergünstigungen und Privilegien; ein sehr wichtiges war die Befreiung vom Militairdienste. Sie sind, als dem constitutionellen Prinzipe der Rechtsgleichheit aller Staatsbürger zuwider, in neuester Zeit aufgehoben worden. – Auch das Ausland hat schon längst anerkannt, daß bei der Bergverwaltung keines andern Staats eine solche Ordnung [99] und Sparsamkeit herrsche, wie bei der sächsischen, und die Tüchtigkeit der Freiberger Schule ist längst weltbekannt. Seit vielen Jahren gibt Freiberg den Bergverwaltungen anderer Länder, Amerika, Rußland, Schweden, Italien, Frankreich sogar, wie allen deutschen Staaten, die wackersten Offiziere. Auch für die Bildung praktischer Unterbeamten, von Steigern u. s. w., besteht in Freiberg ein eigenes Institut, in welchem alle Diejenigen aufgenommen werden, welche, als Bergleute, vorzügliche Anlagen entwickeln. Selbst die Ausbildung des hiesigen gemeinen Bergmanns setzt eine lange Laufbahn voraus. Er beginnt als Waschjunge, kommt dann zur Scheidebank, dann, als Förderjunge, zur Grube, als Haspelknecht an die Haspel, als Lehrhäuer vor Ort, wird als Doppelhäuer Geselle und vollendet seine Meisterschaft, als Ganghauer, auf edlen Geschicken. Auf diese Weise wird jeder sächsische Bergmann mit allen vorkommenden Arbeiten vertraut und ist zu jeder zu gebrauchen. – Der Charakter des hiesigen Bergmanns ist ehrenwerther, als anderswo, wo ihn keine so strenge und doch so väterliche Aufsicht bewacht. Bei allen Arbeiten herrscht eine militairische Pünktlichkeit und Ordnung; der Genuß von Branntwein ist in den Gruben eine unbekannte Sache, selten hört man von Veruntreuungen, obschon dem Häuer, der auf den reichsten Silberanbrüchen arbeitet, gemeinlich Armuth drückt. Wird bei einem Kameraden irgend eine Unredlichkeit bemerkt, so wird er von der Genossenschaft in den meisten Fällen selbst angegeben. Man bindet ihm das Arschleder ab, macht ihn damit ehrlos und stößt ihn als einen Unwürdigen aus, mit dem kein braver Bergknappe wieder arbeiten mag. Die gebräuchliche Schicht des Bergmanns ist 8 Stunden, so daß in den Gruben drei Arbeiter-Sätze stets wechseln, damit die Arbeiten ohne Unterbrechung Tag und Nacht fortgehen. Vor der Anfahrt versammelt sich alles im Zechenhause zum Gebet; eine fromme, uralte Gewohnheit, an der man strenge hält und ohne welche der gemeine Mann keinen Bergsegen hofft.

Eine Beschreibung der einzelnen Gruben würde ein Buch ausmachen und gehört nicht hierher. Nur der merkwürdigsten geschehe Erwähnung. – Es ist der Himmelsfürst, das reichste Silberbergwerk in Europa! Seit 400 Jahren steht diese Grube in Betrieb, ist gewöhnlich mit 500 Bergleuten belegt und liefert vierteljährig über 3000 Centner Silbererze zu den Hütten. Sie hat seit ihrem Bestehen über 8 Millionen Thaler reine Ausbeute vertheilt und zu verschiedenen Perioden war der Preis eines Kuxes von dieser Grube 20,000 Thaler. – Ihr Inneres ist ein wahres Labyrinth und dessen vollständige Befahrung ist kaum in 8 Tagen möglich. Der Gang ist bis zu einer Tiefe von 200 Lachter (1400 Fuß) abgebaut, noch 50 Lachter tiefer untersucht und edel gefunden worden. Wegen der großen Tiefe des Baues und der schweren Wetter- und Wasserlosung sind aber die Betriebskosten, jährlich über 100,000 Thaler, allmählig so gestiegen, daß von der ganzen Jahres-Ausbeute [100] gegenwärtig nur etwa 10,000 Thaler reiner Ueberschuß bleibt, die an die Kuxinhaber quartaliter vertheilt werden. Die Menge des allmählich aus den Erzen dieser Grube geschmolzenen Silbers berechnet man auf mehr als 25,000 Centner.

In dem bei Freiberg gelegenen Amalgamirwerke, dem größten in Europa, werden jährlich 60,000 Centner silberhaltiger Schlich, der aus den Pocherzen gewonnen wird, zugute gemacht. Die Pocherze sind meist sehr arm und halten im Centner nur etwa ein Loth Silber. Dennoch erzeugt man aus ihnen jährlich an 20,000 Mark jenes edlen Metalles, das die Dresdner Münzstätte verprägt. Das gesammte Silberausbringen der Gruben Freiberger Reviers vom Anfang ihres Baus an bis jetzt schätzt man auf 300 Millionen Thaler.